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Das Aus

 

Sami schoss verkleidet durchs Haus und spielte irgendeine Superhelden-Szene nach. Dilara hatte sich auf ihr Zimmer verzogen und Selma hatte die Tür zu ihrem Nähzimmer von innen geschlossen. Wir hatten bereits zu Abend gegessen. Gerade wollte ich es mir bei Jasmin auf der Couch bequem machen. Sie schaute Big Bang Theory, wahrscheinlich eine Wiederholung. Uns beiden war das egal, wir konnten uns immer wieder über die Sprüche der schrägen Charaktere totlachen. Ich hatte ein Glas Wasser in der Hand und war im Begriff mich zu setzen, als es an der Haustür läutete. Ich hielt in der Bewegung inne, fragte mich, wer es um diese Zeit unangekündigt sein konnte? Die Kinder hatten nichts gesagt, dass sie noch Freunde erwarten würden.

Ich ging in das Vorzimmer und öffnete die Tür.

Die Person wandte mir den Rücken zu, unschlüssig, als hätte sie es sich anders überlegt, und dennoch abwartend.

Sonja! Was zur Hölle?

Eine unnatürliche Stille lag über der Szene: Ich hielt den Atem an, mein Herzschlag erstarb, ja selbst mein Mund brachte keinen Ton heraus. Sonja hatte sich umgewandt und starrte meinen offenen Mund an.

„Du hast meine Nachricht nicht bekommen! Ich wollte eigentlich nicht so unangekündigt hier auftauchen“, quittierte sie meinen schockierten Gesichtsausdruck und verzog betreten den Mund.

Ich schluckte. Und schließlich musste ich auch wieder atmen. Geräuschvoll sog ich einen Schwall Luft in die Lungen. Da fegte von hinten ein kleiner Wirbelwind an mir vorbei und flog Sonja um den Hals.

„Sonja!“ Sami war sichtlich begeistert. Nahm sie bei der Hand und zog sie, mich beiseiteschiebend, ins Haus.

„Ich muss mit deiner Frau reden!“, stammelte Sonja und hielt mir zur Untermalung einige Bögen Papier unter die Nase.

Ich fand es an der Zeit, meinen Mund zu schließen. Es kamen ohnehin noch immer keine Worte daraus hervor. Nicht, dass mein Gehirn leer gewesen wäre, eher das Gegenteil war der Fall! Gerade verarbeitete es sämtliche denkbare Abläufe mit tödlichem Ausgang, die ich jemals in irgendwelchen Soap-Tragödien gesehen hatte. Die Knöchel meiner Finger, die das Wasserglas beinahe zerquetschten, traten weiß hervor.

„Mama ist im Nähzimmer!“ Sami zog Sonja durch das Wohnzimmer. Ich folgte ihnen, wie ferngesteuert.

„Hallo Sonja!“ Jasmin begrüßte meine Geliebte beiläufig, als wäre das fixer Bestandteil ihres normalen Tagesablaufes. Dann lachte sie über eine Bermerkung von Penny.

Sami hatte die Tür zu Selmas Arbeitsraum aufgerissen und kündigte lautstark an: „Mama Besuch! Sonja ist gekommen!“

Selma nahm ihre Arbeitsbrille ab und legte sie zur Seite. „Sonja! So eine Überraschung!“

Ich kam mir vor wie der Hauptdarsteller eines Schauspiels, der vergessen hatte das Drehbuch zu lesen. Alle schienen ihren Part zu kennen. Nur dem armen Trottel blieb nichts anderes übrig, als das Glas in seiner Hand wie ein Schraubstock zu umklammern.

„Entschuldige bitte, das ich euch so überfalle!“ Sonja stand unschlüssig in der Tür zum Nähzimmer.

Mir blieb nichts anderes übrig als zu improvisieren. Ich hatte keine Ahnung, was hier gespielt wurde, wollte aber zumindest die Kinder aus der Schusslinie halten. „Sami, lässt du uns bitte kurz alleine?“

Etwas eingeschnappt trollte der Kleine sich ins Wohnzimmer. Ich trat näher zu Sonja und veranlasste sie so einen Schritt in den Raum zu machen. Bedacht schloss ich die Türe hinter uns. Selma stand neben der Kleiderpuppe mit dem Hochzeitskleid und schaute uns ratlos an. Die Luft in dem Raum verdichtete sich unheilschwanger. Jedenfalls musste ich wieder geräuschvoll einatmen.

„Können wir uns vielleicht kurz setzen?“ Sonja schaute auf das Sofa neben dem Arbeitstisch. Selma machte eine einladende Bewegung und ließ sich, nachdem Sonja sich gesetzt hatte, ebenfalls darauf nieder.

„Ich habe deinen Bluttest ausgewertet“, begann Sonja einen Satz.

Sema sah zu mir und unterbrach sie: „Das habe ich ganz vergessen dir zu erzählen. Sonjas Institut macht auch Bluttests. Sie hat mir angeboten, einen Test wegen meines Magens durchzuführen. Es gibt da so ein Bakterium, von dem sie meinte man könne es im Blut nachweisen.“

„Das stimmt. Helicobacter Pylori. In der Hinsicht kann ich dich beruhigen, davon habe ich keine Spuren in deinem Blut gefunden.“

Ich verstand noch immer Bahnhof. Sonja hatte Selmas Blut testen lassen?

„Was hat das mit Yoga zu tun?“, stammelte ich.

„In unserem Gesundheitszentrum sind wir unter anderem auf Blutanalysen spezialisiert!“ Sonja holte ein wenig aus. „Eigentlich ist es sogar unsere Kernkompetenz. Patienten aus ganz Europa kommen zu uns, um sich behandeln zu lassen. Das Yoga-Studio ist mehr oder weniger mein Hobby. Mein Mann erforscht seit Jahrzehnten die Zusammenhänge von verschiedensten Stoffwechselerkrankungen. Und ich bin seine Assistentin“, sie hielt kurz inne, „das konntest du ja nicht wissen!“

Natürlich konnte ich das nicht wissen! Sie hatte mich doch über Monate hinweg in dem Glauben gelassen, nichts anderes als Yoga-Trainerin zu sein. Nun, eigentlich hatten wir nie darüber gesprochen, für mich lag es klar auf der Hand. Wenn wir zusammen waren, vermieden wir es immer, über private Dinge zu reden. Ich fragte mich gerade, ob ich Sonja überhaupt kannte? Ich wusste zwar, dass ihr Mann viel älter als sie und Arzt war, aber sonst war ihr Leben für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Eine plötzliche innere Leere erfüllte mich. Ich hatte gedacht, diese Frau in- und auswendig zu kennen, doch auf einmal kam mir unsere Beziehung schal und oberflächlich vor. Ich sah sie betreten an. Das Wasserglas wog schwer in meiner Hand.

Sonja glättete sorgfältig die Papierbögen auf ihrem Schoß.

„Jedenfalls, habe ich in deinen Blutwerten festgestellt, dass du über eine sehr niedrige Zahl weißer Blutkörperchen verfügst“, sie sah Selma besorgt an. „Besonders die geringe Zahl der Lymphozyten und Monozyten gefällt mir gar nicht. Menschen mit einer niedrigen Zahl dieser Leukozyten neigen oft zu Infektionen aller Art. Es hängt mit dem Immunsystem zusammen.“

Da war noch etwas anderes. Ich konnte es an der Art erkennen, wie sie ihre Augen eine lange Sekunde geschlossen hielt. Etwas, das mir einen kalten Schauer durch den Körper jagte.

„Ich habe auch eine Untersuchung auf Trophoblastzellen durchgeführt. Trophoblasten sind eigentlich embryonale Ursprungszellen. Der Test war positiv.“ Es kostete Sonja sichtlich Überwindung weiterzusprechen.

„Wissenschaftliche Forschungsergebnisse konnten eine Übereinstimmung dieser embryonalen Ursprungszellen und Krebszellen aufzeigen. Das bedeutet ... du bist entweder schwanger, oder du hast ...“ Sie presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und fasste nach Selmas Hand. „Krebs.“ Drei lange Sekunden verstrichen.

„Ich vermute, du bist nicht schwanger, oder?“

Geballte Machtlosigkeit brachte mich dazu, das Wasserglas in meiner Hand mit voller Wucht an die Wand des Nähzimmers zu donnern. In einem ohrenbetäubenden Knall zerschellte es an der Wand und hinterließ einen nassen Fleck auf der weißen Wand. Langsam floss das Wasser zu Boden. Selma und Sonja blickten beide erschrocken auf die Stelle und beobachteten, wie der Fleck immer größer wurde. Die Splitter des Glases bedeckten den halben Raum.

„Ich bin nicht schwanger“, sagte Selma leise.

Die Tür wurde von außen aufgerissen und Jasmin starrte uns mit großen Augen an.

„Was ist passiert? Habt ihr auch diesen Knall gehört?“

Ich hob abwehrend die Hände.

„Vorsicht Schatz! Komm nicht herein! Mir ist ein Glas hinunter gefallen. Hier ist alles voller Scherben. Kannst Du einen Besen und eine Schaufel holen?“

Jasmin hatte nun auch den nassen Fleck an der Wand entdeckt. Ihr Gesicht war eine einzige große erschrockene Frage. Dann wandte sie sich um und verschwand in Richtung Küche. Als sie wieder zurückkam, nahm ich ihr wortlos Besen und Schaufel aus der Hand und schloss nachdrücklich die Tür.

„Aber ...“ Jasmins Frage drang undeutlich durch die Tür.

Ich wollte gerade damit anfangen, die Scherben aufzukehren, als Sonja auf mich zukam und mir das Kehr-Set aus der Hand nahm. Eine stumme Geste von ihr bedeutete mir, mich um Selma zu kümmern.

Meine Frau saß noch immer unbewegt auf dem Sofa und starrte auf die nasse Wand. Ich fühlte mich hilflos. Einerseits wusste ich von ihrer Abneigung gegen Umarmungen, anderseits fiel mir beim besten Willen nichts anderes ein, als sie in den Arm zu nehmen.

Ich setzte mich neben sie und legte zaghaft meinen Arm um ihre Schultern. Sie ließ es ohne Widerwillen geschehen, schmiegte sich sogar eng an mich.

„Oh Cem! Ich hatte es geahnt! Ich wusste, etwas stimmt nicht mit mir.“ Ihre Stirn legte sich in schmerzvolle Falten. „Ich hatte zu große Angst davor zum Arzt zu gehen.“

Ich strich ihr sanft übers Haar. Blies geräuschvoll Luft durch meine Nase. Das half mir dabei, mich zu beruhigen.

Sonja schüttelte vorsichtig an dem Brautkleid. Kleine Glassplitter rieselten leicht klirrend zu Boden. Sie kehrte sie auf die Schaufel.

„Es tut mir leid, dass ausgerechnet ich euch das mitteilen musste. Natürlich kann ich mich geirrt haben, obwohl ich den Test mehrmals wiederholt habe, um ganz sicher zu gehen. Ein guter Freund von mir arbeitet als Arzt im Spital, er ist Spezialist für endoskopische Untersuchungen. Ich habe Dir, um auf Nummer sicher zu gehen, vorsorglich einen Termin bei ihm vereinbart. Ich habe dir die Infos ausgedruckt.“ Sonja nickte zu den Blättern, die sie auf dem Arbeitstisch abgelegt hatte. Sie hatte die Scherben aufgekehrt und die Schaufel zur Seite gelegt. Jetzt ging sie vor uns in die Knie, um uns eindringlich in die Augen zu sehen. „Ich weiß, ihr steht jetzt beide unter Schock, aber selbst wenn der Arzt meine Befürchtungen bestätigt, heißt das noch lange nichts. Krebs ist nichts anderes als eine chronische Stoffwechselerkrankung! Und als solche sehr gut behandelbar! Auch wenn uns die Schulmedizin etwas anderes vorzumachen versucht! Ich lasse euch jetzt besser alleine.“ Sie wandte sich zur Tür und öffnete sie. „Selma, wirst du mich anrufen, nachdem du beim Arzt warst?“

Meine Frau schaute Sonja gefasst an. „Ja. Danke, dass du dir die Zeit und Mühe gemacht hast, persönlich zu kommen.“ Sie wandte sich an mich. „Bist du so lieb und bringst Sonja noch zur Tür?“

Ich stand auf und folgte ihr. Sie verabschiedete sich von Jasmin und erinnerte sie, nicht auf die nächste Yoga-Stunde zu vergessen.

An der Haustüre blieb Sonja kurz stehen. Ich bedeutete ihr weiterzugehen und begleitete sie bis zu ihrem Wagen.

„Cem! Es tut mir so leid! Ich fühle mich schrecklich!“ Ihre Augen schimmerten feucht im Dämmerlicht.

„Du kannst nichts dafür. Nennen wir es eine schicksalshafte Fügung.“ Ich verspürte den Drang, sie in die Arme zu nehmen. Sie schien meine Absicht zu erahnen und wich einen Schritt zurück.

„Cem! Wir müssen aufhören uns zu treffen.“ Sie stockte und sagte erstickt: „Ich kann das so nicht mehr.“

Schnell stieg sie in ihren Wagen. Ließ mich stehen, als gäbe es sonst nichts mehr zu sagen. Ich stand wie zur Salzsäule erstarrt. Durch die Scheibe konnte ich sehen, wie sie mit tränenblinden Augen das Auto startete.

Leise rollte der Wagen davon. Ich sah ihr hinterher und fühlte mich, als hätte mir jemand einen tödlichen Stich in den Rücken verpasst und dann das Messer noch mitten in mein Herz gerammt. Zuerst der Schock wegen Selma und wenn ich es richtig verstanden hatte, hatte Sonja soeben mit mir Schluss gemacht! Als ihr Wagen um die Kurve bog, fühlte es sich an, als ob das Messer in meinem Herzen durch eine unsichtbare Hand um 180 Grad herumgedreht wurde. Ich kämpfte noch ein paar Minuten um meine Fassung, bevor ich zurück ins Haus ging.

 

Selma hatte den Staubsauger geholt und saugte das Nähzimmer, als ich zurückkam.

„Soll ich fragen, ob ich mir die nächsten Tage frei nehmen kann?“ Ich war hinter sie getreten und hatte ihr meine Hände um die Hüften gelegt.

„Vielleicht am Freitag? Da ist der Termin, den Sonja im Krankenhaus vereinbart hat. Bis dahin muss ich ohnehin schauen, dass ich das Kleid fertig bekomme.“

Ich versuchte sie zu überzeugen das Arbeiten für heute sein zu lassen, doch sie sah mich nur erschöpft an und meinte, es brächte sie wenigstens auf andere Gedanken. Ich hauchte ihr einen Kuss auf die Schulter und ging in die Küche, um mir ein neues Glas Wasser zu holen. Im Fernsehen liefen gerade die Nachrichten. Ich saß davor, hatte aber später keinen Schimmer mehr von dem, was berichtet wurde.

Jasmin kuschelte sich zu mir. „Ich habe vorhin einen ganz schönen Schreck bekommen!“

„Das haben wir alle.“

„Was wollte Sonja denn?“

„Sie hat deiner Mutter einen Arzt empfohlen, wegen ihrer Magenschmerzen. Wir werden am Freitag da einmal hinschauen.“

„Müssen wir uns Sorgen machen?“

„Nicht wenn der Arzt so gut ist, wie Sonja meinte“, versuchte ich sie zu beruhigen.

Es reichte, wenn der Zweifel an mir nagte. Die Kinder würden früh genug mitbekommen, wenn sich Sonjas Befürchtungen bestätigen sollten.

 

In dieser Nacht hatten Selma und ich seit längerem wieder einmal Sex.

Eigentlich wollte ich ihr nur das Gefühl geben, für sie da zu sein und zog sie nach dem Zubettgehen, tatsächlich ohne Hintergedanken, in den Arm. Ihre Hand erkundete daraufhin fordernd den Inhalt meiner Boxershorts. Mein Bauch dachte nervös darüber nach, ob meine Gefühlslage wohl bereit für Sex wäre. Die Körperregion einige Zentimeter weiter südlich, hatte solche Bedenken allerdings nicht.

Ich zog meine Shorts aus und schob Selma das Nachthemd bis über die Brüste hoch. Sie waren schön und fest. Nicht zu unnatürlich. Sie hatte sich vor fünf Jahren in Istanbul eine Brustvergrößerung machen lassen, da ihr nach den Schwangerschaften zu wenig Volumen übriggeblieben war. Ich hatte versucht, es ihr auszureden, doch sie hatte darauf bestanden und die schmerzhafte OP ohne zu klagen über sich ergehen lassen. Seither hatte ich immer Angst sie etwas fester dort anzufassen. Irgendwie behagte mir der Gedanken nicht, ich könnte versehentlich einen Silikonbeutel verschieben. Sonjas Busen war weich und natürlich. Ich hasste es, in diesem Moment an Sonja zu denken, doch je mehr ich versuchte, es nicht zu tun, desto schwerer fiel es mir.

Ich schob meine Hände unter Selmas Hüften. Sie fühlte sich so schmal und zerbrechlich an. Wie ein kleiner Vogel. Warum war mir entgangen, wie dünn sie geworden war?

Ich fühlte, wie die nackte Angst in mir hochkroch. Würde sie genügend Kraftreserven aufbringen, um gegen diese verdammte Krankheit anzukämpfen?

Ihre langen, kunstvoll manikürten Nägel strichen sachte an meiner Kehrseite entlang. Ein wohliger Schauer lief mir über den Rücken. Wir hatten das Licht ausgemacht, doch ich spürte, wie sie mich auffordernd ansah. Selma war nicht der Typ Frau, der die Initiative ergriff. Sachte saugte ich an ihren Nippeln und ihr lauter werdendes Atmen bewies, das ihr das gefiel. Mit den Fingern verwöhnte ich ihr glatt rasiertes Lustzentrum zwischen den Beinen. Bereitwillig räkelte sie ihr Becken. Umfing mich mit ihren Schenkeln. Sog mich regelrecht in sich hinein. Obwohl ich mir Zeit ließ und sie unentwegt streichelte und küsste, entging mir nicht, dass sie keinen Höhepunkt erreichte. Selma fiel es immer schon extrem schwer sich gehen zu lassen. Loszulassen. Ja, sie schaffte es nicht einmal lustvoll zu stöhnen, wenn ihr etwas gefiel. Nach dem Akt verschwand sie sofort ins Badezimmer.

Ich lag danach noch lange grübelnd wach. Zum ersten Mal in meinem Leben plagten mich Zukunftsängste. Es war nicht nur die Sorge um Selma. Da war auch diese bodenlose Angst, Sonja verloren zu haben. Und ich wusste nicht, was davon schlimmer war.

 

Zwei Tage später saßen wir im Sprechzimmer von Dr. Viktor Sacher. Ein großer durchtrainierter hellhaariger Mann mit hohen Backenknochen und stechendem Blick. Ich schätzte ihn auf um die Vierzig.

„Sie wurden also von Sonja Adler zu mir geschickt.“ Er recherchierte etwas auf seinem Notebook. Sein Blick schwenkte vom Bildschirm zu uns und wieder zurück. „Ich kenne und schätze Herrn Dr. Adler und seine Frau sehr und weiß auch, worauf sie Wert legen. Wir werden deshalb keine belastenden Strahlenuntersuchungen wie Röntgen und Computertomographie durchführen. Frau Egin, ich habe hier Ihre Blut- und Urinwerte, samt einer Analyse vorliegen. Schildern Sie mir aber bitte noch einmal genau Ihre Beschwerden.“

Selma berichtete ihm von den Krankheitssymptomen, die sie schon seit Monaten quälten und von dem ersten schweren Ausbruch, den sie im Sommer in der Türkei hatte. Es hatte mit Appetitlosigkeit und Übelkeit begonnen und sich dann gesteigert in stechende Schmerzen im Magen, Schluckbeschwerden und Erbrechen. Ich war wieder schockiert, nichts von alledem mitbekommen zu haben.

„Ich schlage vor, wir beginnen mit einem Ultraschall und einem MRT, zuletzt machen wir die Gastroskopie. Sie sind nüchtern?“

Selma nickte.

Der Arzt schickte uns daraufhin zurück in den Warteraum. Kurz darauf brachte uns eine Schwester drei verschiedene Behandlungsbestätigungen und erklärte den Weg zu den jeweiligen Untersuchungsräumen. Vor jeder Untersuchung mussten wir mindestens eine Stunde warten. So war es bereits kurz vor Mittag, bis wir neuerlich von Dr. Sacher empfangen wurden.

Selma war kreidebleich im Gesicht. Die Gastroskopie hatte sie extrem mitgenommen, obwohl man ihr etwas zur Beruhigung verabreicht hatte.

Dr. Sacher zeigte uns anhand der Untersuchungsergebnisse, zu welchem Befund er gekommen war.

„Hier haben wir das Problem. Er wies auf einen dunklen Fleck auf dem Ultraschall-Foto. Das sind entartete Drüsenzellen die sich auf der Magenschleimhaut befinden. Zum Glück handelt es sich nur um einen Frühtumor der Kategorie T1. Wir werden im Zuge einer weiteren Magenspiegelung eine sogenannte Schlüsselloch-Operation durchführen können und dabei den Tumor herausschneiden. Wir sollten allerdings so schnell wie möglich einen Termin dafür ansetzen, denn breitet sich das Karzinom auf die Muskel- oder Bindegewebsschicht des Magens aus, müssten wir richtig operieren. Sind Sie damit einverstanden?“

Selma´s Hände lagen auf ihrem Magen. Sie hatte die Beine überschlagen, doch mir war bewusst, wie gekrümmt sie dasaß. Sie sah mich hilfesuchend an.

Ich wandte mich an den Arzt: „Sie würden uns das also empfehlen? Was passiert danach?“ Mir schwirrten grauenhafte Bilder von Menschen, denen die Haare von irgendwelchen Chemotherapien und Bestrahlungen ausgingen, im Kopf herum.

„Ich würde es Ihnen wirklich empfehlen. Ihre Frau würde nach diesem Eingriff zirka drei Tage hier im Krankenhaus bleiben. Sie bekommt in der Zeit intravenöse Nahrung. Natürlich können Sie sich aber auch zuvor noch einmal mit Herrn Dr. Adler besprechen. Auf dem MRT haben wir keine erkennbare Metastasenbildung gefunden, was nicht heißt, dass nicht eventuell Mikrometastasen vorhanden sein könnten. Aber auch das wird Ihnen sicher Herr Dr. Adler noch genauer erklären. Die Schulmedizin würde in so einem Fall eine Chemotherapie empfehlen, aber im Institut Adler arbeitet man nach alternativen Methoden. Die ich aber grundsätzlich aus eigener Erfahrung für weitaus schonender halte, wenn ich das ganz im Vertrauen anmerken darf. Bei Familie Adler weiß ich Sie jedenfalls in guten Händen.“

Wir dankten ihm und vereinbarten, uns gleich am folgenden Montag wegen eines Operationstermins zu melden.

 

Selma schlief auf der Heimfahrt im Wagen ein und auch ich fühlte mich erschöpft. Die bedrückende Krankenhausatmosphäre hatte ihre Spuren hinterlassen. Der Arzt hatte eine sehr gute Meinung von Sonjas Institut. Ich würde sie später anrufen und ihr die Ergebnisse der Untersuchungen mitteilen. Alleine der Gedanken an dieses Telefonat bewirkte einen kleinen Schweißausbruch.

Nachdem ich Sami von der Schule abgeholt hatte, trug ich die noch immer schlafende Selma ins Haus, wie ich es schon unzählige Male mit den Kindern gemacht hatte. Die Untersuchungen mussten sie sehr mitgenommen haben.

„Papa? Was ist mit Mama?“ Sami beobachtete mich besorgt.

Wir werden, nein, wir müssen mit dieser Sache fertig werden!

Ich erzählte ihm von den vielen Untersuchungen wegen ihrer Magenschmerzen und er akzeptierte diese Begründung, ohne weiter nachzufragen.

Ich richtete für Sami und mich belegte Brote, dann setzte ich mich zum Computer und recherchierte im Internet Sonjas YOGAMEDIKUM.

Die Bewertungen waren sowohl von Patienten, als auch von Therapeuten, die eine Ausbildung dort gemacht hatten, ausnahmslos positiv. Das Institut wurde als idyllisches Paradies in den höchsten Tönen gelobt. Viele sprachen von der enormen Herzenswärme der kompetenten Institutsleitung. Außerdem wurde das vegane Essen gepriesen, dessen Zubereitung dort in eigenen Kochkursen angeboten wurde. Nun, ein Kochkurs würde Selma sicher nicht schaden!

Danach gab ich in die Suchmaschine noch den Namen von Sonjas Mann ein.

Mehrere Zeitungsartikel, Videoseminare und eine Unzahl an veröffentlichten Büchern erschienen. Ich fand auch viele Fotos von ihm. Auf älteren Aufnahmen sah man einen dunkelhaarigen, gutaussehenden, ernsten Mann mit schmalem Gesicht und kräftigen Augenbrauen, meist hielt er eine Pfeife in der Hand. Auf neueren Aufnahmen hatte er weißes Haar und eine hohe Stirn. Ausnahmslos trug er Anzug und Krawatte. Diese dreiteiligen altmodischen Modelle, die man sonst nur noch in alten Hollywoodfilmen sah. Er hatte strahlend blaue Augen und es gab kein einziges Foto, auf dem er lachte. Was für eine Ironie, dachte ich. Sonjas Mann und meine Frau hatten eine Gemeinsamkeit. Die absolute Humorlosigkeit beim Blick in eine Kamera.

Ich fuhr den PC hinunter und griff zum Handy. Wählte Sonjas Nummer.

Nach dem dritten Freizeichen meldete sie sich mit einem einfachen „Hallo.“

Ich schloss eine Sekunde dankbar die Augen, holte tief Luft. Ich wollte nichts in dieses kurze Wort hineininterpretieren, aber ich hatte den Eindruck, sie hätte auf meinen Anruf gewartet.

„Du hattest recht“, begann ich das Gespräch, „wir waren heute im Krankenhaus und haben mit Dr. Sacher gesprochen. Er hat deine Befürchtungen anhand der Untersuchungsergebnisse bestätigt. Es ist Krebs!“ Eigentlich wollte ich so viel mehr sagen! Wollte mit ihr über uns reden, doch mein Hals fühlte sich wie zugeschnürt an. Ich schluckte die Worte, die mir auf der Zunge lagen hinunter. Selma und Sami waren im Haus und alles, was ich sonst noch sagen wollte, würde ich lieber von Angesicht zu Angesicht mit ihr bereden.

„Selma muss natürlich selbst entscheiden, was sie tun wird. Im Moment schläft sie. Aber der Doktor hat uns empfohlen, den Tumor zu entfernen. Er sagte, wir sollten die weiteren Maßnahmen mit dir, beziehungsweise mit deinem Mann, besprechen.“

„Steht denn schon ein Operationstermin fest?“

„Nein. Wir sollten uns am Montag melden. Der Tumor ist noch klein genug, ihn mit einer Sonde zu entfernen.“

„Das ist gut.“

Ich wartete, ob Sonja noch mehr sagen wollte, doch es blieb still am anderen Ende der Leitung. Ratlos fragte ich: „Sonja? Bist du noch dran?“

„Ja. Entschuldige bitte. Ich habe im Moment keinen Terminkalender bei der Hand, aber ich schreibe dir, sobald ich nachgeschaut habe.“

Ich bedankte mich. Schwieg die Leitung dann ebenfalls eine halbe Ewigkeit an.  Schließlich rang ich mich zu einem, „Bis bald“, durch.

„Bis bald, Cem.“

Ich drückte schweren Herzens auf den roten Hörer.

 

Einige Tage später, fuhren Selma und ich die Auffahrt zum YOGAMEDIKUM hoch.

„Wow. Sieht beeindruckend aus!“, sprach ich aus, was mir gerade durch den Kopf ging.

„Ja. Nicht wahr?“ Selma hatte sich wieder erholt. Sie sah aus wie immer. Wie eine Modedesignerin, die ihre neueste Kollektion der Presse vorstellen will und damit rechnete, dass ihr Foto die Ausgabe der nächsten Modezeitschrift zieren würde.

Im Foyer wies sie mich auf ein eindrucksvolles Wandgemälde hin. Sie erzählte alles Mögliche, doch ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Ich war nervös. Suchte den Eingangsraum nach Sonja ab, ohne jedoch fündig zu werden.

Man bat uns ein bereitstehendes, gesund schmeckendes Getränk an und zeigte uns den Weg zum Besprechungszimmer. Es war noch jemand vor uns drinnen. Man konnte leise Stimmen durch die Türe hören.

Schließlich öffnete sich die Tür und Sonja verabschiedete eine ältere Dame. Unsere Blicke trafen sich. Ich hatte das Gefühl, ihre Pupillen wurden größer, mein Herzschlag wurde jedenfalls lauter. Sie begrüßte uns herzlich und bat uns hinein.

Ein ovaler Tisch beherrschte den Raum. Einige leere Gläser und eine Karaffe Wasser standen bereit. Sonjas Mann erhob sich höflich und begrüßte uns mit einem Handschlag. Ohne zu lächeln. Ich selbst hatte die Mundwinkel gewohnheitsmäßig hochgezogen, genau wie Sonja. Interessiert musterte ich Selma. Sie trug einen ähnlich nüchternen Gesichtsausdruck wie Dr. Adler.

Wir setzten uns alle an den Tisch.

Nach einigen belanglosen Worten über das Wetter kam Dr. Adler, den Blick auf Selma gerichtet, auf den Sinn unseres Termines zu sprechen: „Ich kann mir vorstellen, wie es ihnen gerade geht. Jetzt wo die Diagnose gestellt ist. Viele Menschen reagieren darauf, als wäre das Todesurteil über sie gefällt worden und bekommen Panik. Einige spüren sogar eine gewisse Erleichterung, weil sie sich damit aus der Verantwortung genommen sehen.“ Dr. Adler musterte Selma bei seinen Worten aufmerksam. „Ich hoffe, Sie gehören nicht zu dieser Kategorie! Ich hoffe, Sie gehören zu den Menschen, die die Herausforderung annehmen! Denn für diejenigen kann die Diagnose wie die Initiation in einen neuen Lebensabschnitt wirken, der aber gänzlich nach anderen Gesetzen ablaufen muss. Was für die einen das Ende ist, ist für die anderen der Anfang. Der Druck ist ungeheuer! Es stellt sich also die Frage, zu welcher Gruppe möchten sie gehören?“ Er hatte eine angenehme Art zu sprechen. Eindringlich, als ob jedes einzelne Wort von immenser Wichtigkeit wäre.

„Wenn sie zur zweiten Gruppe gehören, dann bieten wir ihnen hiermit unsere Unterstützung auf diesem Weg an.“ Dr. Adler sah bei diesen Worten zu seiner Frau und untermalte das Gesagte mit einer einladenden Geste. Sonja nickte zustimmend. Ein aufmunterndes Lächeln umspielte ihren Mund.

Dr. Adler setzte seinen Vortrag fort: „In unserem Institut setzen wir dabei auf ein ganzheitliches Konzept. Wir kontrollieren vor allem genauestens die Blutwerte unserer Patienten. Bei Krebs spielen Zucker-Eiweiß-Moleküle als Tumormarker eine große Rolle. Wir stellen fest, welche Antigene sich über dem Grenzwert befinden und setzen hier gezielte natürliche Medikamente ein, natürliche Zellgifte.

Zur Stärkung des Immunsystems verwenden wir Kräuterderivate und Enzyme. Damit aktivieren wir die Leukozytenbildung, das natürliche Putzkommando unseres Körpers.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist ein ehrliches Anschauen der eigenen Situation, bis hin zur Einsicht, dass nichts zufällig geschieht, sondern alles Sinn macht! Vor jeder Heilung ist also eine Phase des Annehmens notwendig!

Wenn sie einen starken Willen aufbringen und sich für das Leben entscheiden, bringen sie die besten Voraussetzungen mit, den Kampf gegen den Krebs zu gewinnen!“

Sonja übernahm das Gespräch wie selbstverständlich. Sie waren ein gut eingespieltes Team.

„Die fünfwöchige Therapie, die wir hier anbieten, umfasst neben der medizinischen Behandlung eine radikale Umstellung der Ernährungsgewohnheiten! Normalerweise beginnen wir mit einer Heilfasten-Kur, um den Körper zu entgiften. Ein wichtiger Punkt ist auch, das seelische Gleichgewicht wiederzufinden. Das sind eigentlich die wesentlichsten Komponenten auf dem Weg zur Genesung.“ Sonja nickte nachdrücklich. „Ja. Man könnte auch sagen, Yin und Yang müssen im Gleichgewicht sein, damit unsere Körperenergie fließen kann. Krebs ist meistens nicht auf einen bestimmten Bereich des Körpers begrenzt, das wäre in deinem Fall, Selma, der Bauch. Es ist eher ein Konflikt der sich auf drei Körperebenen abspielt. Eben im Magen, im Gehirn und in der Psyche! Wir haben hier gute Therapeuten, die sich mit allen Ebenen beschäftigen und versuchen, die Ursache für diesen Konflikt herauszufinden und Aufzulösen. Weiters arbeiten wir mit Hyperthermie mittels Infrarotstrahlung, weil diese Überwärmung des Körpers die Zellatmung verbessert und das wiederum hemmt das Krebswachstum. Wir vermeiden in dieser Zeit Elektrosmog und setzen auf Makrobiotik.“

Selma rutschte unruhig auf ihrem Stuhl nach vorne. „Könnte ich während dieser Therapie zu Hause wohnen und nur zu den Behandlungen jeden Tag herkommen?“

„Ich kann es ganz ausdrücklich nicht empfehlen!“ Sonja zog bedauernd die Mundwinkel nach oben. „Jeglicher Stress sollte in diesen fünf Wochen vermieden werden! Dazu gehören auch ganz alltägliche Arbeiten, wie das Bettenmachen, Kochen, Abwaschen, Putzen. Zu Hause verfällt man auch leicht in alte Gewohnheiten was Suchtmittel angeht. Die Chance, mit dieser Krankheit fertig zu werden, sind ungleich besser, wenn du dich als Ganzes auf diese Auseinandersetzung einlässt und nicht nur deinen Körper als Stellvertreter in die Schlacht schickst!“

„Ich trinke weder Alkohol noch rauche ich“, wandte Selma kleinlaut ein.

„Wir werden uns deine Ernährungsgewohnheiten ohnehin genauer ansehen, dann wirst du feststellen, dass jeder Mensch seine gewissen Suchtmittel konsumiert. Es ist immer die Dosis, die das Gift ausmacht!“

„Ich weiß nicht, ob wir uns die Behandlung hier überhaupt leisten können!“, brachte Selma wohl ihre vorwiegendsten Bedenken zur Sprache.

„Mach dir darüber keine Sorgen, wenn du das hier machen willst, dann bekommen wir das hin!“, mischte ich mich ein. Natürlich war mir klar, dass die Behandlungen im Krankenhaus versichert waren, aber in diesem Moment war mir das wirklich egal.

Dr. Adler mischte sich wieder in das Gespräch ein, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Das große Problem der Schulmedizin ist, dass sie den Krebs als eine lokale Erkrankung sieht. Doch das stimmt nicht! Das Immunsystem befindet sich in einem schlechten Zustand! Die meisten schulmedizinischen Therapien sind so ausgelegt, den Krebs unter Kontrolle zu halten, nicht ihn zu heilen! Man darf keinen Aspekt der Abwehr vernachlässigen. Krebs ist nicht sensibel! Er kämpft mit allen Mitteln und genauso muss man ihm begegnen.“

Sonja setzte fort: „Ich sage nicht, dass wir dich heilen können! Es ist ein Versuch! Letztendlich kann sich nur jeder selbst heilen, davon bin ich überzeugt. Es geht um die Fragen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Kein anderes Krankheitsbild ist besser geeignet, uns den Spiegel vorzuhalten.“

Für mich hörte es sich an, als ob die beiden wüssten, wovon sie redeten. Das konnte mit meiner eigenen Unwissenheit zusammenhängen, da ich Sonja aber jetzt schon eine Zeit lang kannte, wusste ich, dass das Gesagte ihrer Einstellung entsprach. Sie verstellte sich nicht. Immerzu war sie auf der Suche nach der eigenen Mitte. Ihr Lieblingssatz war, „Es gibt weder mein Selbst, noch dein Selbst, sondern nur das Selbst!“ Sie war von einer übergeordneten Einheit überzeugt, alle Menschen wären ihrer Ansicht nach darin in Liebe miteinander verbunden. Ich selbst hatte mich bisher noch nicht wirklich viel mit Religion auseinandergesetzt. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, mich auf die Wurzeln, dem Ursprung von Allem, zu besinnen. Auf diese Einheit, die in manchen Religionen auch als Paradies bezeichnet wird. Ich war bereit, diesen Schritt zu gehen, wenn es Selma helfen würde, wieder gesund zu werden.

Selma sah mich an. „Ich würde mich hier schon viel wohler fühlen, als im Krankenhaus! Aber wirst du alleine mit den Kindern klarkommen?“

„Sie können dich ohnehin so oft sie wollen hier besuchen kommen“, meinte Sonja.

Ich nickte. Somit war es beschlossene Sache!

Sonja sah in ihrem Laptop nach, wann die nächsten geeigneten Therapien nach Selmas Operation starten würden. Genau zu diesem Zeitpunkt waren anscheinend bereits alle Zimmer ausgebucht. Sie kaute auf ihrer Oberlippe. Schien hin und her zu überlegen. „Unser privates Gästezimmer steht ohnehin leer“, meinte sie nachdenklich. Sie suchte den Blickkontakt zu ihrem Mann. Dr. Adler reagierte mit einem leichten Schulterzucken, er hatte keine Einwände. In mir hingegen sträubte sich alles gegen die Vorstellung! Sonja und Selma unter demselben Dach zu wissen, verursachte mir Übelkeit! Aber das konnte ich nicht gut als Einwand vorbringen.

„Dafür würden wir Euch natürlich auch nicht den vollen Preis verrechnen“, legte Sonja noch ein Argument nach.

Ich hätte jeden erdenklichen Preis in Kauf genommen, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte! Es gab keine Wahl. Den Beginn der Therapien hinauszuzögern, wäre sicher die schlechteste Alternative.

 

Auf dem Heimweg meinte Selma: „Hältst du das nicht für einen Wink des Schicksals? Das du und die Kinder Sonja gerade jetzt kennengelernt habt?“

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Nickte etwas undeutlich, ohne zu sehen, ob Selma es bemerkt hatte. In letzter Zeit standen ich und das Schicksal auf Kriegsfuß. Nur die Sterne wussten, wohin sich das noch hin entwickeln würde.

Dass alles sich noch um ein Vielfaches zuspitzen sollte, wäre mir damals nie im Leben in den Sinn gekommen. Und dennoch geschah genau das.

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 06.07.2020

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