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SGK-1

Es begann,

als Ich selber vorfuhr. Meinen Fahrer hatte ich absichtlich nicht beansprucht. Der Rolls Royce rollte vor dem futuristischen Gebäude der Xylo-Gen Corporation aus. Es war das Genlabor schlechthin. Es besaß sogar Sicherheitsstufe vier. Nach den Formalien, den Fingerabdruckscanner und den üblichen Fisimatenten, wie Augenabgleich, landete ich schließlich, wie verabredet, bei Professor Kardeschian in seinem sterilen Büro.

 

Professor Kardeschian saß mir gegenüber und stützte die Hände auf. „Und sie wollen wirklich?“ Ich bin nicht umsonst Milliardär und wollte doch Einiges gegenüber dem Professorchen klar stellen. „Ich subsumiere“, knurrte ich nachsichtig. „Ich will nicht das ewige Leben. So hirnrissig bin ich nicht. Ich will einfach nur länger leben." Ich beugte mich nach vorne. "Wir haben das doch alles schon besprochen." Kardeschian zupfte am karierten Hemd und bekam ein Augenbrauenzucken. "Wir haben zwar das Gen isoliert, aber die Manipulation von dem Enzym SGK-1 steckt noch in den Kinderschuhen." "Mimose", blaffte ich. "Die Nebenwirkungen sind aber doch noch gar nicht..." "Schluss mit dem Gewimmer!" Ein Seufzer entglitt ihm. "Wie versprochen, habe ich für sie die Pillen hergestellt. Wir haben uns überlegt auf chemische Weise auf SGK-1 zuzugreifen." "Weiß ich. Ich habe schließlich 500 Millionen € dafür gezahlt." "Von meinem Risiko reden sie wohl nicht? Das ist illegal, was sie da von mir verlangen!"

Er seufzte erneut. "Aber sie müssen sich an unsere Abmachung halten", rief Kardeschian, "strikt!" "Hm." "Wir beobachten sie hier in unserem geschützten, unterirdischen Laboratorien. Sie haben alles zur Verfügung, was sie so brauchen und dürfen sich in den unteren Stockwerken auch frei bewegen." "Für ein halbes Jahr", warf ich ein. "Ja, aber sie dürfen niemals versuchen das Labor zu verlassen." "Ich habe es versprochen", bestätigte ich. Ich erhob mich. " Morgen geht’s los?" "Ja, Morgen."

 

Am nächsten Tag

hatte ich die Sachen gepackt. Die Hausangestellten wussten Bescheid. Ich würde zur Erholung in ein Sanatorium gehen, um dort von den Geschäften zur Ruhe zu kommen. Nicht nur einen Kreislaufzusammenbruch hatte ich hinter mir, sondern es wurde auch eine Schilddrüsenunterfunktion festgestellt. Am schlimmsten aber hatte mich getroffen, dass ich Krebs hatte. Gestreut hatte die Krabbe auch schon. Da hatte ich von SGK-1 gehört. Es soll nicht nur das Leben verlängern, sondern eindeutig auch den Krebs besiegen können. Kardeschian war die einzige, wirkliche Rettung.

 

Ein viertel Jahr

ist es nun her, seit ich die Katakomben betreten habe. Ich habe keinen einzigen Sonnenstrahl, geschweige denn einen Schmetterling gesehen, aber die unterirdische Laboranlage war weitläufig. Tägliches Joggen gehörte genauso zum Programm, wie die Blutentnahme. Ab und an CT, EEG. Für meine spezielle Herz- und Gefäßdiagnostik standen mehrere Elektrokardiographen, mehrere Ergometrieplätze mit Monitor bereit. Dazu kamen noch sicherheitshalber eine Defibrillationseinheit, sowie ein hochmodernes Farbdoppler-Echokardiographiegerät einschließlich der Möglichkeit zur transösophagealen Echokardiographie.

 

Während mir die erste Pille noch mit viel Brimborium glorreich übergeben wurde, fand ich sie nun in einem weißen Schälchen jeden Tag neben meinem gemütlichen Bett. Auch im Schlaf wurde ich überwacht und die Gehirnströme gemessen. Tag und Nacht wurden auch hier unten simuliert. Ich hatte eigentlich jeglichen Komfort. Nicht nur Fernsehen, auch Blue Ray und PC konnte ich nach Belieben benutzen. Das einzige, was fehlte war ein Spiegel. Kardeschian sagte, dass es, wie bei einer Schönheits-Op wichtig sei, nämlich vorher und nacher besser beurteilen zu können. Na gut, er musste es ja schließlich wissen. Natürlich kam man sich schon ein wenig wie im Gefängnis vor, aber es hat sich bis jetzt gelohnt. Ich fühlte mich einfach toll.

 

Das wöchentliche Meeting mit Kardeschian stand an. Er wirkte sehr aufgeräumt und blätterte in seiner Kladde. Dann lächelte er. "Herr Godwin! Sie sind dem Papier nach 69 Jahre alt, aber in medizinischer Hinsicht höchstens 45. Sie sind fit, wie ein Turnschuh, wenn ich das so lapidar sagen darf. Die Metastasen sind praktisch verschwunden und der Herd allenfalls nur noch rudimentär vorhanden. Ihr Training, auch auf dem Rad hat sich bezahlt gemacht. Sie haben Muskelmasse aufgebaut und der Wasserhaushalt ist vorbildlich. Ich bin schlichtweg begeistert." "Und ich erst", strahlte ich zurück, wobei ich meine festen Fingernägel betrachtete.

"Noch was, Herr Godwin, ob sie es glauben, oder nicht: Sie bekommen neue Weisheitszähne!" "Toll!"

 

Ein weiterer Monat

war vergangen. Ein spezieller Friseur war gekommen, um mich zu schneiden. Wieder kein Spiegel, aber ich sah die abgeschnittenen Haare herunter fallen. Sie waren kräftig und dunkel, keine grauen Flocken mehr. Außerdem kämmte der Meister an Stellen, wo früher eine Fliege hätte ausrutschen können.  Ich hatte die Hantelgewichte inzwischen verdoppelt und das Radpensum ebenfalls. Das Atmen ging wesentlich befreiter. Ich entwickelte mich praktisch zu einem Konditionsbolzen. Der Krebs war besiegt, hatte Kardeschian mitgeteilt. Noch zwei Monate, dann konnten die Anderen aber staunen.

 

Im folgenden Monat

stellte ich erstmals gewisse Merkwürdigkeiten fest. Ich hatte mehr Appetit, hauptsächlich auf Fleisch. Je weniger gar, desto lieber. Ab und an probierte ich beim Kottelett sogar den Knochen. Am Hintern hatte ich eine kleine Wulst. Kardeschian sagte aber, dass das wohl durch das viele Radfahren käme. Daher bekam ich einen Spezialsitz montiert. Er hatte zwischen den Auflagebacken eine Einkerbung. Auf was ich wirklich stolz war, das waren meine Nägel. Sie waren Klasse. Ich bearbeitete sie lange und hingebungsvoll mit einer Beißzange und einer schweren Metallfeile. Die Weisheitszähne waren nun sechs an der Zahl. Vorne war mir ein Zahn ausgefallen, ein Mordsbrocken, aber es wuchs bereits ein neuer nach. Inzwischen musste ich aufpassen. Ein Teller war mir einfach so zerbrochen, als ich ihn abstellen wollte. Der gute Kardeschian ließ jetzt nur noch aus Stahltellern servieren und Getränke bekam ich nun in Zinnkrügen. Die Dusche benutzte ich schon seit längerer Zeit nicht. Das Wasser war mir irgendwie unangenehm, obwohl es mich immer wieder am Rücken juckte. Ansonsten könnte ich Bäume ausreißen, so unheimlich gesund und glücklich fühlte ich mich. Die Wulst war zum Glück nicht dicker geworden, nur etwas länger. Ach ja, noch etwas! Neulich habe ich mich glatt am oberen Türholm gestoßen. Ist das nicht merkwürdig? Der Türrahmen konnte doch wohl kaum niedriger geworden sein, oder?

 

Nur noch einen Monat,

dann konnte ich raus. Dann war das halbe Jahr vorbei. In meinen Räumlichkeiten hatte Kardeschian die Tapeten entfernen lassen und die Betonwände mit speziellen Eisenplatten verkleidet. Die aufgerissenen Tapeten hatten nämlich inzwischen wirklich nicht mehr hübsch ausgesehen. Das Bad war ebenfalls restauriert. Metall fand ich außerdem geschmackvoller. Ich verrichtete nun meine Notdurft im Stehen. Ging besser. Ob mir der Schlingel Kardeschian heimlich ein Haarwuchsmittel verabreicht hatte, weiß ich nicht. Jedenfalls konnte ich mich nicht beklagen. Einzig der Rücken machte immer noch Probleme, so dass es ab und an angenehmer war auf allen Vieren zu laufen. Das Fleisch, das mir gebracht wurde, war nun endlich roh. Mit Beilagen, wie Gemüse, oder gar Kartoffelpüree wurde ich nicht mehr malträtiert. Das mit den Tellern hatte sich ebenfalls erübrigt. Es war auch bequemer die Fleischstücke durch die Gitterstäbe zu angeln. Meinen Krallen entging nichts, das dürfen sie mir glauben. Ein klein wenig war ich betrübt, dass ich nicht mehr joggen konnte. Zuerst hatte ich die verschlossene Tür von meinem Zimmer zertrümmern können, aber seit den Gitterstäben war auch das nur noch Makulatur. Das konnte niemand antizipieren, hatte Kardeschian salbungsvoll erklärt. Mir war nun öfters langweilig. Der Fernseher war längst verschwunden. Ich hatte sowieso nicht mehr alles verstehen können, weil sie so komisch brabbelten. So kratzte ich mich ausgiebig und versuchte Läuse zu fangen. "Aber eines kann ich euch versichern: Ich fühle mich sauwohl! Und so was von kräftig! Und so gesund! Da könnt ihr alle nur neidisch sein!"

 

Nur noch 14 Tage!

Oder waren es doch.... ? Ich komme beim Zählen immer mehr durcheinander. Jedenfalls steht Kardeschian hinter den Gitterstäben und hat ein Blasrohr. "Wir werden ihn einäschern müssen", sagt er zu seinem Gehilfen. "So können wir ihn nicht einsargen." "Dann sagen wir eben, dass er leider doch an Krebs gestorben ist." "Genau", bestätigt der Professor. "Wollen wir ihm nicht doch vorher in den Spiegel blicken lassen?" Kardeschian erschrickt. "Sind sie wahnsinnig? Nehmen sie doch Rücksicht!" "Entschuldigung!"

 

Dann bekam der Assistent einen Ausdruck, wie ein Pfarrer, wenn er ein Schäflein verliert. 

 

"So soll ihn denn ein anderes, besseres Universum aufnehmen, damit er seinen Frieden findet."

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 05.03.2015

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