Inselträume
Es war ihre erste Nacht, die sie ganz allein verbrachte. Es war die Nacht nach dem letzten gemeinsamen Essen, das sie für ihn zubereitet hatte – die Nacht nach dem furchtbaren Streit.
Die Nacht, in der sie ihre Koffer gepackt und die Flucht ergriffen hatte.
Sie erinnerte sich an Nächte mit ihm an ihrer Seite, in denen sie von endlosen Südseestränden geträumt hatte. Von der Zeit, als sie ihm das erste Mal begegnet war. Von zwei Verliebten, von ihm und ihr, wie sie durch den warmen Sand spazierten, der zwischen ihren nackten Zehen hochquoll, während sie tief darin versank. Von seinen Armen, die sie umschlungen hielten. Von Umarmungen, die sie sich als ewig andauernd erträumt hatte. An sich wölbenden azurblauen Himmel erinnerte sie sich, der sich über ihr spannte, wie ein schützender Schirm, während seine Hand, mit Sonnenöl bedeckt, sie zärtlich massierend sanft über ihren Körper strich.
Während sie sich erinnerte, bedeckten heiße Tränen ihr Gesicht. Ihr war klar, dass diese geheimnisvolle Insel ihr größter Traum war und bleiben würde. Schnell war die erste Verliebtheit abgeflaut. Sie hatte täglich mehr erkennen müssen, dass er nicht der Mann des Lebens, ihres Lebens sein konnte.
Jeder Blick, den sie anderen Männern gönnte, hatte sein Misstrauen geweckt, es gesteigert ins Unermessliche. Schon bald spürte sie: Sie war seine Obsession. Er war besessen von dem Willen, dass sie ihm gehörte.
Zugleich gab es nichts, was sie ihm recht machen konnte. Millimetergenau ausgerichtete Handtücher im Bad, Hausschuhe, die paarweise an einer gedachten Linie vor dem Bett auf ihn warteten, schmackhafte Mahlzeiten, die er ausspie und deren Überreste sie vom Tischtuch vorwurfsvoll anzustarren schienen, wo er sie vor ihren Augen ausgegossen hatte.
Und in den Nächten seine Hände besitzergreifend auf ihrem Körper, deutlich signalisierend, dass sie sein war. Angst hatte sie beherrscht, sie gelähmt, bis am gestrigen Abend der Knoten geplatzt war. Ob er es geahnt hatte? Sie glaubte es nicht. Die letzte Mahlzeit war eine Hommage an sein Verhalten gewesen, versetzt mit dem schleichenden Gift, das ihr zufällig in der Garage in die Finger gefallen war.
Damit hatte sie sein Lieblingsessen zubereitet, das Gift sorgsam untergemischt, geruch- und geschmacksneutral, wie es war. Der Totenkopf auf der schlichten Glasflasche hatte sie angegrinst, als sie es hinzufügte. Er selbst hatte ihr diesen Ausweg angeboten, als er es im Regal deponiert hatte. Es war, als wollte er sie herausfordern und sie hatte diese Herausforderung dankbar angenommen. Den Hummer hatte sie fast liebevoll auf dem Teller arrangiert, dazu den Krabbencocktail, der ihr gesamtes Haushaltsgeld verschlungen hatte. Sie würde das Budget nicht mehr benötigen, hatte sie gedacht. Sie würde wieder ihr eigenes Geld verdienen, wenn er fort war.
Und dann der Anblick, als er dem Hummer die Scheren brach und sich den Krabbencocktail damit in den Mund schaufelte, als habe er seit Wochen Hunger gelitten. An den Mundwinkeln quoll ihm die Mayonnaise hervor. Da hatte sie sich nicht mehr beherrschen können....]
Es handelt sich um eine Leseprobe. Der gesamte Text ist erhältlich in meiner eigenen Anthologie "Hinter Türen" unter der ISBN: 978-3-7309-1315-4, 3,99 Euro bei Amazon und Bookrix
Texte: Anja Ollmert
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2012
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