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Eine Reise 3. Klasse

Sanft schaukelt das Schiff auf den Wellen des betriebsamen Hafens in Southampton hin und her. 46.000 Tonnen aus Stahl, und Mobiliar schaukeln im Rhythmus mit.
3.000.000 Millionen Nietnägel verbinden das Metall des Schiffsrumpfes zu dieser schwimmenden Odyssee, die schon bald unter dem Namen Titanic zu Weltruhm aufsteigen wird. Noch in hundert Jahren wird der Name des Dampfers bekannter sein, als sich die 885 Mann starke Besatzung zum Zeitpunkt der Jungfernfahrt vorstellen kann. Sie alle sind jedenfalls sind mächtig stolz, die Reederei von ihrem Können überzeugt zu haben. Auch bei den Passagieren wird ihnen das gelingen. Service wird schließlich großgeschrieben und in Kürze werden sich ihre Taschen von den Trinkgeldern ausbeulen.

Immer wieder halten hochherrschaftliche Wagen direkt vor der Gangway. Heraus springen dienstbare Geister, fast immer in Livree oder doch zumindest in dunklen Anzügen mit Chauffeurmütze. Und sie alle beeilen sich, den hinteren Wagenschlag mit einer nonchalanten oder devoten Bewegung aufzureißen, damit die Insassen das Fortbewegungsmittel möglichst übergangslos wechseln können. 564 von ihnen, von den oft selbsternannten Reichen und Schönen, haben die erste Klasse gebucht. Niemand ahnt, dass die Räumlichkeiten dadurch gnadenlos überbucht sind und im Falle eines unwahrscheinlichen Falles kaum jeder von ihnen den – natürlich verdienten – Platz in einem der 16 Rettungsboote erhalten wird.

Hier winden sie sich nun die steile Gangway hinauf wie ein Lindwurm aus Luxus, Erhabenheit und Hochnäsigkeit, der seinesgleichen sucht. Nicht lange und sie werden sich freuen, wenn ihnen jemand eine eigene Schwimmweste zugesteht.

Jetzt jedoch, ahnungslos und hocherfreut, den Luxusdampfer zu betreten, winden sie sich noch immer über die Gangway. Der Kapitän und der Steward, die das Empfangskomitee bilden, halten die Reisenden vom Einstieg ab. Sie wechseln mit jedem ein paar Worte, bis sich der Lindwurm fast in sich selbst verkeilt und die Bewegung aus dem Fluss und ins Stocken gerät.
Davon werden die Wartenden erwartungsgemäß ungeduldig.

Müssen die Zwei denn wirklich jedem die begrüßende Hand reichen? Würde nicht auch ein halbwegs freundliches Kopfnicken genügen, zum Beispiel für die neureiche Lady, ganz in halbseidenem Rosé, die ihren Koffer tatsächlich selbst trägt und gerade über ihre eigenen Beine stolpert? Zahlreiche Augenpaare, die auf dem Quai die Fortsetzung des Lindwurms bilden, wandern wertend und meinungsbildend an der ins Stocken geratenen Warteschlange hinauf und wieder hinunter. Langeweile macht sich breit. Man ist es nicht gewohnt, so dumm herumzustehen. Das würde sich auf der Liste der negativen Wertungen nicht gut machen. Aber ob es Punkt eins dieser Liste werden würde, dass musste sich noch herausstellen....]

Es handelt sich um eine Leseprobe. Der gesamte Text ist Teil  meiner eigenen Anthologie "Hinter Türen" unter der ISBN: 978-3-7309-1315-4, 3,99 Euro,  erhältlich bei Amazon und Bookrix

 

Impressum

Texte: Anja Ollmert
Bildmaterialien: Anja Ollmert
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2012

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