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Ihre letzte Chance auf das große Glück



Alfred ahnte, dass diese Aktion seine letzte Chance auf das große Geld sein würde. Im Pub hatte er den Tipp vom dicken Karl bekommen. Karl war nach dem dritten Gedeck mit Pils und einem Kurzen immer gesprächiger geworden. Und weil ihm das Thema lag, hörte Alfred gut hin. Sämtliche Lohngelder in Alfreds Firma würden in dieser einen Nacht der kommenden Woche im Tresor sein. Mehr als je zuvor, denn die konjunkturelle Lage war gut wie nie.
„Alle kaufen derzeit Gabelstapler“, hatte Karl begeistert berichtet. Wir kommen kaum mit den Aufträgen nach. Und ständig sind bei uns Neulinge zu Besuch, die den Staplerschein machen müssen. Unserm Ausbilder schwirrt der Kopf von all den vielen Fahrschülern. Stell dir vor“, hatte er beim letzten Bier erzählt, „einer hat in der vergangenen Woche die Eingangstür geschrottet, weil er nicht rechtzeitig die Kurve gekriegt hat. Seitdem hängt die Stahltür in den Angeln und lässt sich nur verschließen, wenn man sich von innen dagegen wirft. Sie ist total verzogen. Jetzt muss die ganze Belegschaft durch den Hintereingang raus, sobald der Chef abgeschlossen hat. Das geht mir und den anderen wahnsinnig auf die Nerven.“
Alfred hakte nach:
„Da kann dein Chef froh sein, dass er die Tür überhaupt noch zukriegt. Wäre es nicht besser, die Lohngelder auf der Bank zu lassen?“ Er ließ Karl ausreichend Spielraum für die nächste Antwort. „Zwei lang, ein Kurz“ hob er zweieinhalb Finger bedeutungsvoll in Richtung Bedienung. Die schob kurz darauf zwei Bier und einen Schnaps über die Theke.
„Und, macht der S04 beim nächsten Match das Rennen?“, fragte sie.
„Du spinnst wohl“, erwiderte Karl. „Niemals. Der BVB hat die Nase vorn.“ Die beiden Männer erhoben gleichzeitig das Pilsglas, prosteten sich einvernehmlich zu und nahmen einen tiefen Schluck. Karl spülte mit dem Schnaps nach. Der Kerl am anderen Ende machte unüberhörbar:
„Pffffff!“
Oh Gott, ein Schalker. Alfred drehte ihm den Rücken zu.
„Und, was meinst du, warum sie das Geld abholen?“, knüpfte er an den ersten Dialog an.
„Glaubst du im Ernst, die Schröder will mit dem ganzen Geld durch die Stadt spazieren, wenn sie die Lohntüten füllen muss? Weißt du nicht, dass man sie vor Jahren überfallen hat? Zwar hat sie das Geld nicht rausgerückt, doch der Schreck sitzt noch tief. Seitdem muss der Chef das Geld holen. Zu diesem Zweck hat er sich einen riesigen Tresor angeschafft. Da drin kann ein Mensch spielend aufrecht stehen und Verstecken spielen“, Karl grinste. Zum Spaß hatten sie einmal den Juniorchef im Tresor eingeschlossen und getan, als hätten sie ihn durch die offenstehende Tür nicht bemerkt. Klar hatte das Ärger gegeben, aber da der Urheber des Spaßes sich nicht freiwillig gemeldet hatte, war das Vergnügen auf jeden Fall auf Seiten der Belegschaft. Karl grinste noch breiter. Die geöffnete Tür und der ausgestreckte Hintern vom Junior waren zu verführerisch gewesen. Vor allem, weil der ein Scheißkerl war und ständig versuchte, den Betriebsrat auszubremsen. Und den Hebelverschluss hatte nicht er gedreht, sondern die Sekretärin. Auf deren Beliebtheitsskala stand der Nachfolger des Chefs ganz weit unten.
„Und das Geld holt er am 29., damit es am 30. ausgezahlt werden kann?“
Karl ahnte nicht, dass Alfred wusste, wer die Schröder - wenn auch erfolglos - überfallen hatte. Alfred versuchte, seine Frage unverfänglich und nur mäßig interessiert klingen zu lassen. Doch nach fünf Gedecken, saß Karls Zunge erfreulich locker. Da machte es nichts, dass die letzten vier Striche auf Alfreds Deckel gelandet waren. Er sah es als günstige Investition in seine Zukunft.
„Bei der Menge an Lohntüten, da braucht die Schröder ihre Zeit. Wie gesagt, wir sind im Augenblick gut besetzt. Ne ganze Menge Aushilfen, plus die Stammbelegschaft, da kommen mehrere tausend Euro zusammen.“ Ein gewisser Stolz über die Bonität seines Arbeitgebers schwang jetzt in Karls Stimme mit. Er wusste, dass sich Alfred mit Hartz IV und ein paar Aushilfsjobs über Wasser hielt. Über dessen unerwartete Spendierfreudigkeit wunderte er sich trotzdem nicht. Er nahm es freudig hin, dass er heute günstig davon kam und trotzdem das übliche Feierabendbier intus hatte. Der fünfte Schnaps in Folge war eine angenehme Zugabe.
„Für mich wird sie es nicht erst in Tüten stopfen müssen und auf die Lohnabrechnungen kann ich verzichten....“]

Es handelt sich um eine Leseprobe. Der gesamte Text ist Teil  meiner eigenen Anthologie "Hinter Türen" unter der ISBN: 978-3-7309-1315-4, 3,99 Euro,  erhältlich bei Amazon und Bookrix

 

Impressum

Texte: Anja Ollmert
Bildmaterialien: Anja Ollmert
Tag der Veröffentlichung: 07.04.2012

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