Eine Hälfte der in diesem Buch erwähnten Ereignisse ist nie passiert, die andere Hälfte schlicht erlogen. Alles Andere wäre rein zufällig…
‚Sam! ... SaaHam! ... MR. BURGLAR!‘
Eine weibliche Stimme, irgendwie leicht hysterisch, riss mich aus meinem Nickerchen. Vor Schreck spannte sich mein Körper an. Dadurch rollte der Chefdrehstuhl unter mir langsam in Richtung Schreibtisch. Auf diesem hatte ich jedoch die Füsse abgelegt. Das gab mir keine Chance: Wenig später kippten wir beide – ich und der Stuhl - gemeinsam nach hinten und machten ziemlich unsanft Bekanntschaft mit dem Büroboden. Nicht, dass dieser uns vorher unbekannt war, doch nun wurden wir zumindest vorübergehend enge Freunde. Immerhin verhinderte der Boden, dass wir tiefer fielen…
Mein Gehirn sendete an die Augen den Befehl, sich zu öffnen und das eine, welches dieser Anweisung folgte, offerierte mir eine etwas ungewohnte Perspektive auf meine Besucherin. Vice versa erweckte ich sicher keinen besseren Eindruck.
In mein Sichtfeld gelangte das Abbild zweier Stilettos, in denen jeweils ein blankes Füsschen steckte. Irgendwie kamen mir diese entfernt bekannt vor. Glücklicherweise folgten das zweite Auge und etwas später die Arme den Befehlen aus meiner Schaltzentrale. Langsam richtete ich mich wieder auf. Mit dem Kopf gerade so über der Schreibtischkante sah ich die Besucherin. Die zierlichen Füsschen gehörten zu Kathy Miller. Der Chef und unsere Empfangsdame standen hinter ihr im Gang.
‚Gefunden, was du gesucht hast?‘ Unser Chef, Pete Thief, versuchte offensichtlich, die Situation etwas zu entschärfen. Die Empfangsdame unterdrückte ein Kichern, und Kathy nickte mir zu.
‚Holen sie mal Kaffee! Wir haben einiges zu besprechen.‘ Pete schickte die Empfangsdame nach vorne, und ich folgte ihr. Mir fehlten einfach ein paar Sitzgelegenheiten in Schreibtischnähe. Dabei fiel mir auf, auch meine Kollegen grinsten alle freundlich, einer zeigte mir sogar seinen Daumen. Es ist immer von Vorteil, wenn gute Laune im Büro herrscht.
Als ich mit zwei Stühlen zurückkam, erklärte der Chef, wir müssten unter sechs Augen sprechen und er hätte ausreichend Sitzgelegenheiten in seinem Büro. Und wieder dieses Feixen bei den Kollegen. Ich bin halt der Agenturclown von Thief, Burglar & Co. (T.B.C.) – Private Investigation, Security & Asset Transports. So stand es auf unserem Firmenschild am Eingang.
Kathy Miller grinste nur leicht. Wie immer hatte sie die braunen Haare streng nach hinten gekämmt und zu einem Zopf gebunden. Obendrein trug sie ihren etwas aus der Mode gekommenen Hosenanzug, darunter eine bis oben zugeknöpfte Bluse mit Schlips. Handelte es sich immer noch um denselben Anzug von vor zehn Jahren? Kaufte sie sich hin und wieder mal andere Kleidung? Wäre interessant zu erfahren.
Damals waren wir kurzzeitig ein Pärchen. Was sich für mich nie richtig angefühlt hatte. Selten waren wir einer Meinung und schlitterten von einem Streit in den nächsten. Am Ende war ich froh, als es vorüber war, und Kathy über Umwege in Richtung FBI verschwand.
In diesem Augenblick fing mein hinterer Airbag wieder an zu jucken: Das ewige Souvenir von einem unserer letzten gemeinsamen Fälle. Ihr war, angeblich versehentlich, die Pistole losgegangen, als ich nicht darauf vorbereitet war. Drei Wochen musste ich mit einer Art Windel herumlaufen und konnte nur auf dem Bauch schlafen. Selbst im Büro arbeitete ich vorübergehend im Stehen. Seitdem sass ich als einziger hinter einem höhenverstellbaren Schreibtisch, was meine Sonderstellung in der Agentur unterstreicht.
Kathy Miller schnappte sich im Büro natürlich den grössten Sessel und schob ihn an die Stirnseite des Besprechungstisches. Mein Chef bedankte sich höflich und setzte sich in diesen. Ein Spielchen, welches die beiden schon früher durchgezogen hatten. Also pflanzte sie sich ersatzweise wieder auf den Stuhl an der anderen Stirnseite – und schob den Projektor zur Seite: ‚Also, Männer! Ich hab‘ wenig Zeit!‘ Dabei schwang sie ihren Kugelschreiber wie ein Zepter. Sie hatte uns wohl zusammengerufen.
‚Ich hoffe, euch ist bekannt, dass ich inzwischen beim FBI aufgestiegen bin – ich leite jetzt das örtliche Büro!‘ Doch wir schüttelten vereint die Köpfe. Das wollten wir nicht wissen. Hatte sie doch bereits während ihrer Zeit bei uns immer versucht, sich als Chefin aufzuspielen.
‚Es geht mal wieder um den Mayflower-Fall!‘, fuhr sie fort. ‚Dabei ging es um einen internationalen Schmugglerring, der Trophäen von geschützten Tieren aus Kanada und Alaska nach Ostasien verkaufte, im ganz grossen Stil mit einem dreistelligen Millionen-Umsatz pro Jahr. Zumindest hatten wir das gedacht und mit unseren ausländischen Kollegen zugeschlagen. Wir hätten noch weiter ermitteln sollen, wie wir jetzt wissen. Nun brauchen wir eure Hilfe.‘
In diesem Moment kam der Kaffee. Aus Gewohnheit zog ich mir eine Zigarette aus der Schachtel des Chefs und wollte sie schon anzünden. Doch unsere Empfangsdame nahm den Aschenbecher einfach mit. Also liess ich das Rauchen bleiben – obwohl ich wusste, alle am Tisch waren diesem Laster verfallen. Naja, Kathy tat es zumindest, als wir noch zusammenarbeiteten. Damals wollte sie jeden Tag aufs Neue aufhören, doch mittags begann sie gewöhnlich, Zigaretten von mir zu schlauchen. Die paar, die sie sich selbst in all den Jahren, die wir uns kannten, gekauft hatte, konnte ich an den Fingern einer Hand abzählen. Heute wieder, sie hatte bereits ihre Hand nach den Kippen ausgestreckt, zog sie jedoch schnell zurück und steckte sich ihren Kugelschreiber in den Mund – natürlich verkehrt herum. Der war offensichtlich ein billiger, oder einer unserer Agentur-Werbeteile. Er konnte seine Tinte nicht halten und ihre Zunge sah schnell wie die von einem Chow-Chow aus. Der Chef war leider Manns genug, sie darauf aufmerksam zu machen. Schade! Ich schob ihr einen unserer Spezial-Kaffees zu, stark und mit viel Zucker, so dass der Löffel in ihm stand. Espresso im XXL-Becher, wie die Europäer ihn nennen würden. Der half, wenn keine Zigarette erreichbar war. Blaubeer-Muffins für ihre Zunge standen nicht zur Verfügung.
‚Also Männer! Zurück zum Thema!’ Sie liess sich nichts anmerken. ‚Vielleicht könnt ihr euch daran erinnern, dass es einigen führenden Mitgliedern des Ringes damals gelang, uns zu entkommen. Zwei von ihnen sind vor Kurzem wieder in Downtown gesehen worden, als sie sich mit Leuten aus der Kunstszene trafen - in der Thaft Galerie, in der Fünften. Doch danach sind sie sofort wieder verschwunden.‘
Da musste ich nachhaken: ‚Wieso kommt ihr dann zu uns? Diese Galerie kenne ich nicht einmal.‘
‚Natürlich würden wir gerne diese Herren hinter Schloss und Riegel bringen. Am besten gleich mit dem Galeristen, falls da etwas Neues läuft. Nur leider sind diese zwei Leutchen unseren Aussendienstlern bereits über den Weg gelaufen. Wir brauchen neue Gesichter, und unsere Behörde zahlt gut für Informationen.‘
‚Und wie stellst du dir das vor? Wir beschäftigen uns nicht mit Kunsthandel – wir arrangieren höchstens mal einen Werttransport für eine der grösseren Galerien, meist bei Auktionen. Thaft gehört nicht zu unseren Kunden.‘
‚Ich weiss. Ihr habt aber andere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung als wir. Und dies, obwohl man euch kennt. Ihr werdet akzeptiert, und man vertraut euch bis zu einem gewissen Punkt. Frag‘ die doch mal nach einem Termin für ein Akquise-Gespräch! Ein guter Grund, sich dort einzuführen, ohne aufzufallen.‘
An dieser Stelle schritt jedoch mein Chef ein: ‚Sam hat keine Ahnung vom Transport-Wesen, und darüber hinaus sind wir da an unserer Grenze. Zusätzliche Fahrten sind nicht drin. Uns fehlt es bereits jetzt an den nötigen Autos, geschweige denn von ausgebildeten Fahrern. Das scheidet aus.‘
‚Wollt ihr nun leichtes Geld verdienen, oder nicht? Es geht nur um Informationen, das ist doch euer Tagesgeschäft. Dieses Mal ist halt das örtliche FBI euer Klient, na und? Lasst euch was einfallen, so schwer ist das nicht. Weiss ich aus eigener Erfahrung.‘
Kathy griff in ihre Tasche unterm Stuhl und holte zwei Mappen heraus: ‚Hier habt ihr alles, was ihr für eure Arbeit vorläufig braucht. Mit den Fotos und Bios dieser zwei Leutchens plus den anderen entkommenen. Damit ihr sie erkennt, falls sie euch über den Weg laufen. Und bitte, sprecht euch mit uns ab, wenn ihr glaubt, etwas unternehmen zu müssen! Fürs Erste wird nur beobachtet, zur Not werden auch mal beide Augen zugedrückt. Wir merken uns alles, und können es später aufs Tapet bringen. Die Verbindung zu uns sollte immer über mich laufen. Falls ich nicht erreichbar bin, mein Sekretär richtet alles aus und ich melde mich schnellstens zurück. Auch nach Feierabend und an Feiertagen! Wer wird euer Kontakt für mich?‘
‚Willst du den Fall übernehmen?‘, fragte mich mein Chef. Er kannte ja unsere Geschichte.
‚Ja! Nein! Weisst du…‘, mir fiel nichts Neutrales dazu ein. Einer würde wenigstens sauer sein. Ich wollte nicht, doch musste wohl. ‚Also ja! Fürs Erste!‘
‚Sage doch noch was dazu, was wir eigentlich beitragen sollen!‘, wollte da mein Chef von Kathy wissen. ‚Nach reiner Informationsbeschaffung habt ihr uns doch bisher nie gefragt.‘
‚Naja, am Anfang geht es für euch wirklich nur darum. Wir zahlen die doppelte Rate! 100 Bucks die Stunde! Wir erwarten jedoch eine schnelle Auskunft zum Aufenthalt der Zwei. Eventuell noch, ob sie inzwischen umgesattelt haben und jetzt mit Kunst dealen, oder ob sie die Galerie in ihr altes Geschäftsmodell integrieren wollen. Wenn möglich: Um wieviel Geld es dabei geht. Wir haben keine Lust, uns mit kleinen Fischen abzugeben. Dafür wäre das NYPD zuständig. Darum kümmern wir uns jedoch später. Die sollen nur zum Einsatz kommen, wenn sich die ganze Sache als ein neues Hobby der beiden herausstellt. Sollte es echt zu einer grossen Sache führen, dann benötigen wir das NYPD nicht. Doch als erstes: Sind die zwei noch in der Gegend, und wo? Alles andere später!‘
Mir wurde diese Diskussion lästig. ‚Gibt es noch was Wichtiges für mich? Habe anderes zu tun! Würde mich lieber um den ATM-Fall kümmern, der sollte auch mal zu Ende gebracht werden.‘
‚Hey! Du kannst nicht an zwei Fälle zur selben Zeit arbeiten!‘, beschwerte sich Kathy.
‚Deshalb will ich ihn ja zuerst erledigen, bevor ich deine Infos beschaffe.‘
‚Kann das nicht ein anderer übernehmen? So heftig kann der doch nicht sein?‘
‚Nein!‘ warf mein Chef ein. ‚Da räumt jemand die Geldautomaten aus, ohne Karte und Gewalt. Inzwischen geht es bereits um eine fünfstellige Summe. Und niemand hat eine Ahnung, wie das funktionieren kann. Es fehlt einfach nur das Geld. Dafür brauchen wir jemanden, der sich mit dieser Technik auskennt, und Sam ist der einzige bei uns, der sich inzwischen eingearbeitet hat.‘
‚Kann das nicht das NYPD übernehmen? Ist doch ihre Aufgabe, und die haben die richtigen Leute dafür.‘
‚Die haben nichts rausbekommen. Deshalb ist die Chess (Bank) zu uns gekommen. Sie haben extra nach Sam gefragt, weil er eben nicht so geradeaus denkt, wie diese NYPD-Leute. Sie hoffen, er träumt mal was Vernünftiges und kann den Fall so lösen.‘
Diese Spitze hätte er sich sparen können. Ich stand auf und wollte gehen. Doch mein Chef hielt mich zurück. ‚Bitte, Kathy, komme mal auf den Punkt und sage was zum Stand der Dinge, von denen wir wissen sollten und die wir nicht in deiner Akte hier finden! Ansonsten würde ich vorschlagen, das Gespräch wirklich zu beenden. Solche Plaudereien führen zu nichts.‘
Kathy verzog ein wenig ihr Gesicht: ‚Na gut, Männer! Hatte heute wohl zu viel erwartet… Also, die Mayflower-Bande hatte sich unserer Meinung nach nur mit dem Schmuggel von Jagd-Trophäen nach Ostasien, nach Hongkong und Japan befasst. Da müsste eigentlich auch eine Verbindung zum Kunstmarkt bestanden haben…‘
Sie erklärte jetzt einiges, was wir nicht erfahren sollten. Das FBI hatte sich damals nur auf die geschützten Tiere konzentriert und etwaige Verbindungen zu anderen Märkten aussen vor gelassen. Obwohl ihre asiatischen Kollegen sie explizit darauf aufmerksam gemacht hatten. Unter anderem deshalb konnten wohl die Zwei hier in New York rechtzeitig untertauchen. Sie hielten es für Zufall, nun glaubte das FBI, dass diese halt gerade mit anderen Dingen beschäftigt waren. Zum Beispiel war damals bereits bekannt, dass einige der Gesuchten in der Thaft Galerie Kunst kauften. Das FBI war überzeugt, als eigene Geldanlage. Doch wurden in den Lagern und Wohnungen der Mitglieder keine Kunstwerke gefunden. Auch das liess niemanden aufhorchen. Erst vor ein paar Wochen stiess man zufällig auf eine Spur dieser zwei Mitglieder der Bande, hier in New York. Inzwischen war man überzeugt, dass viel mehr dahinter steckte, als bisher geglaubt. Doch sie hatten ihr Pulver schon verschossen und wollten nun frische, unbefangene Detektive einbeziehen, die neue Entwicklungen nicht sofort unter den Tisch fallen liessen. Und genau deshalb schlug uns Kathys Washingtoner Chef vor. Weshalb sie nun in unserem Büro sass. Wir hätten eigene Gewohnheiten und im Zusammenspiel könnten sich so neue Blickwinkel ergeben. Offensichtlich waren diese Leute deutlich breiter aufgestellt als gedacht. Und das sollte aufgeklärt werden. Eigentlich eine schöne Aufgabe für uns, dem FBI zu zeigen, wie es besser gemacht werden konnte. Noch hörte sich das alles ziemlich niedlich an, reine Informationsbeschaffung! Allerdings konnte sich dieser Auftrag jedoch schnell als einige Nummern zu gross für unsere Agentur erweisen – ich hatte da so eine böse Vorahnung. Die Chance, mal wieder als Lehrer für Kathy Miller in Aktion zu treten, reizte mich aber.
‚Also, Männer, steckt eure Windeln fest und legt los!‘ Mit diesen Worten schnappte sie sich ihre Unterlagen und verliess das Zimmer. Wir blieben noch sitzen. Ich griff ich in die geheime Vorratsecke meines Chefs und holte die Whiskey-Flasche raus, um unsere Kaffees damit zu laden.
‚Greif mal in die obere rechte Schublade! Dort findest du einen Aschenbecher und die Kiste mit den dicken Kubanern.‘
Wie hatte ich das vergessen können? Zum Irish Coffee, auch ohne Sahne, gehörte für uns meist eine Zigarre. Und die Cohibas sind die besten weltweit. Ich hatte nie herausbekommen, woher der Chef sie bekam. Der Handel mit kubanischen Produkten galt immer noch als Zollvergehen in unserem Lande. Da musste eine Verbindung zum Schmuggel bestehen. Ich hoffte in diesem Moment, dass Kathy nie mit einer Anfrage betreffs der Cohibas kommen würde…
Er hatte Geschmack. Den hatte er schon immer – seit wir vor zwanzig Jahren gemeinsam unsere Agentur gründeten. Bis heute gab es keinen Co. Wir fanden damals nur das Kürzel T.B.C. (to be confirmed) witzig. Heute war unsere Agentur schon längst bestätigt – nicht nur beim I.R.S. (US-Finanzamt), sondern auch anerkannt von allen Big Playern rund um den Big Apple. Auf allen Seiten des Gesetzes. Kathys Anfrage hatte das wieder bestätigt.
Pete hatte sich seit der Gründung in die Büroarbeit eingefuchst und deshalb war er heute der Chef. Ich selbst war nie der Strasse entwachsen und kümmerte mich um die eigentliche Arbeit. Das entsprach mehr meiner Mentalität. Dazu kamen inzwischen drei festangestellte Detektive, bis zu fünf Praktikanten und unsere lieben Mädels vom Empfang. Letztere blieben immer nur, bis sie mich mal richtig kennengelernt hatten. Selten länger als ein halbes Jahr. Ein Grund, warum ich es mir abgewöhnt hatte, mir ihre Namen zu merken. Eventuell verliessen sie uns ja genau deshalb. Mit Pete dagegen schienen sie immer klarzukommen. Aber der hatte auch seine bessere Hälfte, der er treu ergeben war und die auf solche Kleinigkeiten achtete.
Schon Mitte der 90er hatten wir uns gut auf dem städtischen Markt platziert, mussten jedoch weiter unsere Kredite abstottern. Damals kam Pete auf die Idee, Leute, die an unserem Job Interesse hatten, einzustellen. Wir nannten sie Praktikanten. Kathy Miller war eine der ersten. Sie wollte Stunden bei einer eingeführten Detektei sammeln, die sie als Grundlage für ihre eigene Detektiv-Lizenz nachweisen musste. Damals gab es nur mich, der sie an die Hand nehmen konnte, und ich hatte keine Ahnung, was ich mit einem Küken Mitte zwanzig anstellen sollte. Ich übergab ihr also meinen Schreibtisch, um den mal übersichtlicher zu organisieren. Es dauerte nicht allzu lange, bis sie herausfand, dass im Staate New York für eine Detektiv-Lizenz nur die Stunden im Aussendienst zählten. Von diesem Tage an musste ich sie mitnehmen, wenn ich unterwegs war. Und sie war gut, richtig gut. Unseren ersten Fall klärte sie im wahrsten Sinne des Wortes rasend schnell.
Sie hatte sich gerade einen dieser Flitzer für junge Ladies zugelegt. Einen Briten! Ich glaube, es war ein Jaguar. Eines Tages, als ich mal wieder vergessen hatte, rechtzeitig meinen Wagen voll zu tanken, waren wir mit ihrem unterwegs. Und es kam, wie es kommen musste: Als bei einer Verfolgung die Gegenpartei sah, dass wir ein Auge auf sie geworfen hatten, versuchte die natürlich, uns abzuschütteln. Kathys Wagen war einfach zu auffällig, zumal in New York. Doch sie liess das nicht zu und wir waren schnell mitten in einem Autorennen. Sie löste den Fall und die Agentur musste ihre Speeding-Tickets zahlen. Es war eine vierstellige Summe! Mehr als uns die Klärung damals einbrachte.
Ich nahm mir danach für den Rest der Woche frei. Bin nicht so für schnelles Fahren. Ausserdem habe ich wegen ihr drei weitere Regeln zu meinen persönlichen Vorschriften hinzugefügt: Mein Wagen war seitdem ständig vollgetankt. Man weiss ja nie, wohin die Fahrt gehen wird. Und vor jeder Beschattung geht‘s auf den Topf! Unterwegs bleibt kaum Zeit dafür. Drittens macht sich ein Overnight-Bag im Auto nicht schlecht. Regelmässig landete ich in den schlimmsten Absteigen, oder musste gar im Auto übernachten. In solchen Fällen fühle ich mich in eigener Nachtwäsche und mit einem sauberen Handtuch wohler…
Kathy zeigte uns damals mit ihrer Ungeduld eine neue Art der Aufklärung. Vor allem, da sie auf den ersten Blick damit ziemlich erfolgreich wirkte. Erst später stellte ich fest, dass sie sich oft selbst im Wege stand und etwas vorgaukelte. Nach einigen Ungenauigkeiten bei unseren Fällen gewöhnte ich mich aus diesem Grunde wieder schnell an eine zurückhaltendere Arbeitsweise. Wir wurden für Erfolge bezahlt, nicht für eine scheinbare Lösung. Dies unterschied uns von den staatlichen Behörden.
Kathy bekam ihr Gehalt jeden Monat, egal, ob sie einen Fall aufklärte oder nicht. Uns würde das FBI die 100 Bucks pro Stunde jedoch erst überweisen, wenn sich unsere Antworten als richtig herausgestellt hatten. Und ihre Buchhaltung würde obendrein prüfen, ob unsere Stundenangabe nicht übertrieben war. Über diesen Punkt sind sich die Behörden nie einig: Das FBI wird uns erklären, wir hätten dies schneller erledigen können, und das I.R.S. kommt danach sicher mit der Behauptung, wir hätten einen Teil an der Steuer vorbei verdient, so schnell könne man solche Informationen nicht beschaffen. Das nennen sie dann ‚Freie Marktwirtschaft‘. Die habe ich nie gefunden, liegt sicher nicht auf der Strasse rum.
Naja, nun sollte alles wieder von vorne beginnen – mit umgekehrtem Vorzeichen. Dieses Mal würde Kathy die Chefin sein, und ich ihr Handlanger. Damit wollte ich mich, ehrlich gesagt, nicht abfinden. Ich hatte keine Lust mehr, mir von ihr ständig erklären zu lassen, dass sie die Bessere war – und das, obwohl es oft nicht stimmte. Dazu reagierte sie ziemlich sensibel auf Kritik. Ich war eigentlich froh, dass ich das hinter mir hatte und wollte keinen Nachschlag. Ganz anders wahrscheinlich Pete: Der arbeitete gerne für bzw. mit den Behörden. Deren Geld kam zwar spät, aber sie beglichen ihre Rechnungen und diskutierten nicht über jeden einzelnen Posten. Was konnte ich da tun?
Pete konnte ich das sicher erklären, ihm lag zumindest etwas an meiner guten Laune. Doch wie würde Kathy reagieren? Wenn wir wenigstens eine Ahnung hätten, was hinter diesem Auftrag steckte. Es war sicher nicht mit der Beschaffung der gewünschten Infos getan. Ich konnte den Rattenschwanz am Ende noch nicht erkennen. Aber mein sechster Sinn sagte mir: Der wird uns überrollen, diese Ratte ist eine Nummer zu fett. Auf der anderen Seite: Ich würde gerne einen solchen Fall übernehmen. Und wenn er nur dafür gut war, Kathy einmal etwas zurechtzustutzen.
‚Du, sag‘ mal, kennst du ihre momentanen Familienverhältnisse?‘, wollte ich jetzt vom Chef wissen.
Ein leises Schnarchen kam als Antwort. Ich liess meine Zigarre ausgehen und verliess mit ihr den Raum.
Ich ging nach vorne zu unserer Empfangsdame und legte ihr die Mappe auf den Tisch. ‚Bitte scanne das mal ein! Und lege damit einen neuen Fall an!‘
‚Wie soll ich ihn denn nennen?‘
‚Keine Ahnung!‘
‚Ich auch nicht! Aber einen Titel braucht das File, sonst kann ich es nicht abspeichern…‘
‚Ich sagte doch: Keine Ahnung! So nenne ich den Fall! Zumindest bis ich genau weiss, worum es eigentlich geht.‘
‚Naja, du vergibst immer eigenartige Fallnamen. Hauptsache, du findest ihn wieder. Wer soll welche Zugriffsrechte haben?
‚Nur ich!‘
‚Auch der Chef nicht?‘
‚Pete kennt mein Passwort. Aber, ja! Der ist ansonsten sauer.‘
‚Und was ist mit dem ATM-Fall? Abschliessen? Oder noch offen halten? Der Typ von der Chess-Bank hat sich deshalb vorhin gemeldet.‘
‚Ich rufe gleich dort an. Mal sehen, was er sagt. Danach wird entschieden.‘
‚Wir brauchen das Geld. Irgendeine Rechnung sollte ich ihm bald schicken.‘
‚Ach, wir sammeln alle unbezahlte Rechnungen! Ich werde was aushandeln.‘
Ohhh! Wenn unser Mädel am Empfang bereits von Geld redete, schienen unsere Konten wieder leer zu sein. Vielleicht könnte ja Kathy einen Vorschuss schicken? Keine Ahnung! Wovon hatte ich überhaupt eine Ahnung? Eventuell sollte ich mich wieder mehr um meine Fälle kümmern.
Ich ging zu meinem Platz und suchte mir aus meiner Flip-Datei die Nummer von der Chess raus. Ah ja! Der Herr dort hiess ebenfalls Miller. Ob der…? Sicher nicht!
Eigentlich hatte ich keine Lust ihn anzurufen. Es gab nichts Neues zum Fall zu sagen, und nicht einmal das wollte ich ihm mitteilen. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Doch ich kam nicht dazu – der Chef kreuzte auf. Er hätte sich erst einmal sein Toupet richten sollen.
‚Zu deiner Frage vorhin: Keine Ahnung! Interessiert mich auch nicht!‘
Waren wir alle inzwischen verblödet? Niemand hatte scheinbar eine Ahnung von dem, was im Büro abging: ‚Naja, dann hoffe ich mal, sie ist in richtig festen Händen.‘
‚Heisst das jetzt, du kümmerst dich um ihren Auftrag?‘
‚Klar! Wer soll’s denn sonst machen? Das Geld muss fliessen. Ich hoffe nur, sie schaut mir nicht zu dicht über die Schultern. Solange sie einen gewissen Abstand hält, habe ich kein Problem.‘
‚Und was ist mit dem ATM-Fall?‘
‚Ich habe mir gerade die Nummer rausgesucht. Weiss nur nicht, was ich ihm sagen soll. Das liegt weit über meinem technischen Verständnis. Ich habe zwar kapiert, wie so ein Automat grundsätzlich funktioniert, doch wie man ihn ohne Karte und Gewalt knackt? Dazu müsste jemand irgendwo ins ATM-Netz mit einem Computer rein und ein anderer könnte dann am Automaten das Geld in Empfang nehmen. Ob es so klappen könnte – keine Ahnung!‘
‚Dann frage! Vielleicht ist das ja die Lösung? Captain Archer wurde nicht in der Stadt gesehen, und dieser Dr. Who ebenfalls nicht. Niemand auf der Erde besitzt so ein Schallding.‘
‚Auch E.T. nicht! Aber der bräuchte einen Plattenspieler dafür, und die gibt es kaum noch… Spass beiseite: Du hast Recht! Jetzt habe ich eine Ahnung davon, was ich dem Herrn sagen könnte. Und die technische Lösung fällt in ihren Bereich… Rechnung lauf rüber!‘
Pete klopfte mir auf die Schulter und wies auf das Telefon. Ich nahm die Karteikarte, den Hörer und meine Zigarre, um damit durch das Fenster auf die Feuertreppe zu steigen. Doch dort stand ich etwas blöd da. Mein Ascher war verschwunden. Wieder konnte ich mir nicht vorstellen, wer überhaupt davon wusste. Bis mir jemand von hinten auf den Rücken tippte. Ich drehte mich um und schlug demjenigen dabei den Aschenbecher aus der Hand. Mit lautem Gepolter fiel der die vier Stockwerke in den vielleicht drei mal drei Meter grossen Lichtschacht. Ich schaute ihm schnell hinterher. Unten blieb diesem Teil nichts weiter übrig, als in tausende Stücke zu zerspringen. Zusätzlich schallte ein lautes ‚Idioten!‘ herauf. Das kam sicher nicht vom Aschenbecher!
Und erneut hatte ich keine Ahnung, wer mir auf den Rücken geklopft hatte. Mir blieb nichts übrig, als zurück ins Büro zu klettern. Ich brauchte einen neuen Ascher. Am besten keinen schweren aus Pressglas. Ich hätte ansonsten eine reale Chance, ungewollt zum Totschläger zu werden. Diese Feuerleitern sind nicht wirklich zum Ausbau als Balkon geeignet. Bei ihrem Anbau hat sicher noch niemand daran gedacht, dass es mal viele Leute geben könnte, die es erfreute, wenn ich zum Rauchen aus dem Fenster stieg. Ich bin doch ein rücksichtsvoller Mensch, gerade bei Zigarren.
Ich war nur zwei Schritte von meinem Schreibtisch entfernt, da kam unser jüngster Praktikant mit einem Blechascher an. Er war’s wohl, der mir gerade den anderen raus reichen wollte. ‚‘Tschuldigung! Hätte besser aufpassen sollen. Mit dem hier kannst du niemanden erschlagen! Es darf nur draussen nicht zu windig werden, sonst fliegt der weg.‘
Ich nickte ihm dankend zu. Nun musste ich ein weiteres Mal durch das Fenster. Ich legte alles schön sauber auf das Fensterbrett, aber dieses war zu schmal. Ich fragte mich, was wohl unsere etwas beleibteren Mitarbeiter machten, wenn es wirklich mal brennen sollte. Vor allem, wenn sie als erste durchsteigen wollten. Die passen doch nicht durch dieses schmale Loch. Waren die Leute vor 50 Jahren dünner? Ich versuchte mich an meine Kindheit zu erinnern. Hatte aber keine Vorstellung davon.
Das Telefon passte in meine Hosentasche, den Rest konnte ich in einer Hand halten. So kam ich durch, und hinter mir stellte ich das Fensterbrett voll. Nun hatte ich die Hände frei, um meine Zigarre anzuzünden und danach sogar noch die Nummer zu wählen. Der richtige Herr bei der Chess nahm ab, und nachdem er meinen Namen gehört hatte, explodierte sein Kopf. Ein Schwall sinnloser Worte nässte mein Ohr. Manche Wasser sind so flach, dass man beim Durchwaten keine nassen Schuhe bekam. Ich wartete ab, und erklärte ihm zehn Minuten später meine Gedanken. Hätte ich eher tun sollen, er beruhigte sich. Die Idee fand er interessant, und versprach, sich darum zu kümmern. Bat mich jedoch, nicht weiter darüber zu sprechen, auch nicht zu seinem Chef. Tja, eigentlich hätte er drauf kommen müssen. Ich kündigte ihm eine Rechnung von uns an…
Der Fall war vorläufig gelöst, so würden sie die Täter wahrscheinlich kriegen. Ich setzte mich auf die Treppe und genoss meine Zigarre. Zeit für den Abschlussbericht war später immer noch…
‚Bereits vor mehreren Monaten hatte die Chess Bank festgestellt, dass aus ihren ATM’s ohne eine dazugehörende Historie (also ohne Karten-Nummer und Bankverbindung) Geld abgehoben wurde. Das ist technisch eigentlich nicht möglich, und dennoch waren mehrfach vierstellige Summen aus ihren ATM’s spurlos verschwunden. Die Verantwortlichen bei der Chess schalteten sofort das NYPD ein. Dieses konnte jedoch keine Ergebnisse vorlegen und deshalb wandte sich Mr. Tom Miller von der Chess Bank vor etwa einem Monat an uns. Der Fall wurde von PI Sam Burglar übernommen.‘
So weit, so gut! Der erste Absatz war in etwa vorgegeben. Den übernahm ich immer aus einem der alten Fälle und änderte nur die Namen und den Sachverhalt. Doch jetzt kam der fakultative Part. Den musste ich mir aus den Fingern saugen. Er durfte nicht zu lang werden, sonst verlor der Chef die Lust am Lesen. Im Gegensatz dazu sollte der Klient möglichst wenig über unsere Arbeitsweise erfahren. Dabei schrieb ich gerne mehr auf, als notwendig war. Ich könnte zwar zwei Berichte schreiben – einen für den Chef und einen für den Klienten –, doch warum, wenn einer ausreichte? Zeit sparte ich so keine, konnte jedoch langsamer arbeiten und dies begründen: Hatte auf die Art mehr Zeit zum Nachdenken – darüber, wie ich was aufschrieb. Unsere anderen Detektive schlugen sich mit dem gleichen Problem herum und der Chef kannte es auch. Deshalb war uns ein Nachmittag für die jeweiligen Berichte erlaubt, für die grossen Fälle gab‘s manchmal mehr Zeit…
Dieser hier war keiner. Sah ich zumindest so. Die Lösung, die ich mit Miller heute durchgesprochen hatte, war mir mehr zufällig in den Kopf geschossen. Darauf hätte die Bank selbst kommen sollen. Nun musste ich erklären, warum ich solange für das Ausbrüten des Gedankenblitzes benötigt hatte.
‚Ich ging als erstes in Mr. Tom Millers Büro, um mir im Laufe eines Nachmittags die Funktionsweise der Terminals erklären zu lassen. Dabei erfuhr ich, dass der oder die Täter keine Spuren hinterliessen und immer an wechselnden ATM‘s in unregelmässigen Abständen Geld abhoben. Das machte den Fall extrem schwierig.‘
Der nächste Satz sollte wohl überlegt sein. Einerseits musste er zeigen, wofür ich möglichst viele Stunden geschuftet habe. Andererseits konnte ich keine wirklichen Ergebnisse vorweisen. Sicher, alles brauchte seine Zeit, und draussen unterwegs war ich bei diesem Fall eher weniger. An welchem Automaten hätte ich denn auf den oder die Täter warten sollen, und wie lange?
Ich sichtete als Erstes das Material, dass ich von Miller bekommen hatte, und konnte ausschliessen, dass das Geld beim Nachladen der Bankomaten von den Geldboten einbehalten wurde. Diese bekamen die gefüllten Geldkassetten und setzten sie nur ein. Die Scheine an sich wurden unter Aufsicht von Dritten in einem Keller der Bank in diese Kassetten gelegt und anschliessend versiegelt. Das hatte ich von Miller erfahren. Ausserdem hatten die ATM’s durchaus die Entnahme ohne jede Kartennummer oder so vermerkt. So etwas war von der Programmierung her ausgeschlossen. Auch registrierten die Automaten keinen Fremdeingriff in die Technik, sie wurden weder geöffnet noch wurde Gewalt angewendet. Nach den Entnahmen erfolgte die darauffolgende Nutzung des betroffenen Automaten teilweise nur Sekunden später auf die herkömmliche Weise.
‚Da die Geldboten und die Befüller der Kassetten als mögliche Täter von der Bank ausgeschlossen werden konnten, durchsuchte ich die Unterlagen unter verschiedenen Gesichtspunkten nach versteckten Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Taten, wie etwa Lage in der Stadt, Tatzeiten, entnommenen Beträgen, Dienstpläne der Geldboten etc. – ohne Ergebnis. Auch meine Bitte an die Chess um umgehende Information über eine entsprechende Entnahme brachte nichts. Ich konnte mit Hilfe der sofort genommenen Fingerabdrücke keine zwei identischen an den Automaten entdecken. Die Art der Ausführungen liess ebenfalls keine Rückschlüsse auf folgende Taten zu, so dass ein Warten vor dem eventuell nächsten ATM nichts gebracht hätte.‘
Ich hatte selten so einen langweiligen Fall. Nicht einmal stundenlanges Abwarten im Auto hätte mich da weiter gebracht. Und dieses Erstellen immer absurder werdender Listen kostete mich sehr viel Zeit. Obendrein fielen mir an meinem Schreibtisch jedes Mal die Augen fast von alleine zu. Was komischerweise während des Sitzens im Auto nie passierte. Vielleicht sollte ich meinen Schreibtisch dort einbauen? Wäre zumindest einen Versuch wert.
Das konnte ich ein anderes Mal ausprobieren, jetzt musste ich mit meinem Bericht fertig werden. Das Mädel vorne wollte eine Rechnung schicken, und ohne Bericht konnte sie keine schreiben. Bei 50 Dollar die Stunde für Informationsbeschaffung bräuchte ich bei den ausgemachten 4000 Dollar Vorschuss wenigstens achtzig Stunden. Zwanzig pro Woche ist jedoch ganz schön viel für das, was ich getan habe. Mit dem, was bisher im Bericht stand, war nur knapp die Hälfte abgedeckt. Ich musste noch was erfinden. Konnte ja schlecht sagen, ich hatte gepennt.
‚Zwei Nachmittage verbrachte ich mit einem Befüllerteam auf Tour, um mir dabei die Funktionsweise eines ATM‘s in der Praxis erklären und zeigen zu lassen. Das brachte die Erkenntnis, dass ein Manipulieren eines speziellen Automaten für Bankmitarbeiter nicht möglich ist. Es existiert ein vom öffentlichen Internet unabhängiges Netzwerk für alle Geräte. Wie mir die IT-Sicherheit der Chess Bank versicherte, kann es ihrer Erkenntnis nach ausgeschlossen werden, in dieses separate Netz von ausserhalb einzudringen, höchstens innerhalb der Bank. Das wiederum setzte natürlich voraus, man hatte eine Zugriffsberechtigung. Einzelne Terminals konnte man auf diese Weise jedoch nicht umprogrammieren. Nur alle oder keinen!‘
Hätte ich fast vergessen. Das waren immerhin wenigstens fünfzehn Stunden. Darüber hinaus hatte ich der Bank danach ein Alarmsystem für die ATM’s vorgeschlagen. In der IT zeigte der Computer nun an, wenn eine unberechtigte Geldentnahme erfolgte. Das brachte nur nicht viel, da der jeweilige Automat nie in der IT-Zentrale stand. Befand sich da überhaupt einer?
‚Ich schlug der Bank einen Software-Alarm vor, der unberechtigte Eingriffe sofort anzeigte. Leider war ein schneller Zugriff wegen der dezentralen, über die gesamte Stadt verteilten Lage der einzelnen ATM’s technisch nicht umsetzbar. Das wäre nur vereinzelt realisierbar gewesen, aber die Täter schritten generell ausserhalb der regulären Bankarbeitszeiten zur Tat.‘
Ja, manchmal hatte ich Glück, nur nicht in diesem Fall. Die Täter benutzten die Automaten zu selten, um sie mal zufällig auf frischer Tat zu ertappen. Es war scheinbar kein System in ihren Taten. Besser gesagt: Für sie galt offensichtlich keine geregelte Arbeitszeit! Auf diese bestanden jedoch die Bankmitarbeiter!
Ich musste nur konzentriert an den Fall denken, und schon flogen mir die investierten Arbeitsstunden zu. Ich hatte gar zwei Nächte in einem Büro der Sicherheit der Chess zugebracht, in der Hoffnung der oder die Leute schlugen gerade dann mal zu. Auch das gehörte auf die Rechnung.
‚Aus diesem Grunde wurde ich von Mr. Miller gebeten, zwei Nachtschichten im Büro der IT-Sicherheit der Bank zu verbringen. In diesen Nächten kam es leider nicht zu einem Vorfall, ich konnte jedoch so einiges zur Verbesserung der Effizienz an den Routinen der dortigen Mitarbeiter und an der Software veranlassen. Meine entsprechenden Vorschläge wurden von Mr. Miller dankend angenommen.‘
Da hatte ich doch richtig an dem Fall gearbeitet in den vier Wochen, hätte ich nicht gedacht, und ganz nebenbei noch drei, vier kleine Fälle gelöst. Mein Geld hatte ich diesen Monat verdient.
In diesem Augenblick klingelte mein Telefon. Die Chess! Also nahm ich ab und meldete mich. Mr. Miller kam bereits mit den ersten Ergebnissen. Die IT-Sicherheit hatte ein offenes Einfallstor in ihrer Software festgestellt, was bisher keinem aufgefallen war. Wahrscheinlich manipulierten die Täter den Magnetstreifen einer Karte so, dass sie sich über den Automaten in das System einhacken konnten. Auf die Art hätten sie ihm vorgegaukelt, dass es sich um eine echte Karte ohne Nummer handelte. Dieses Tor wäre nun geschlossen, eine weitere Bargeld-Entnahme so nicht mehr möglich. Leider wurde eine Festnahme damit unwahrscheinlicher. Die Bank würde den Fall wieder dem NYPD übergeben, nur die konnten eventuell noch die Täter feststellen – und vor allem hinter Schloss und Riegel bringen. Mit viel Glück! Ich solle nun die Rechnung schicken – mit einer guten Prämie für unsere Agentur. Dafür, dass wir halt doch irgendwie wie Gangster denken würden…
Klasse! Umsonst Gedanken gemacht! Nur noch das ‚vorläufig‘ aus dem Titel streichen und dieses Gespräch im Bericht erwähnen. Ha! Keinen Nachmittag dafür gebraucht!
‚Mein Vorschlag, ihre Netzsoftware auf Hacker-Angriffe zu untersuchen, brachte umgehend positive Ergebnisse. Die Chess Bank sicherte inzwischen ihre Software gegen weitere solche Angriffe ab und übergab den Fall zur endgültigen Lösung dem NYPD. Uns wurde eine gute Prämie von Mr. Miller telefonisch zugesagt.‘
Punkt und Unterschrift! Ich sendete den Bericht an den Computer am Eingang und an meinen Chef, schnappte mir meine Tasse und ging nach vorne.
Leider war der Kaffee alle, und im Kühlschrank fand ich nur Magermilchjoghurt. Das war echt nicht mein Ding.
‚Wann gibt es wieder Kaffee?‘
‚Ist schon im Werden. Er muss nur noch durchlaufen. Hörst du ihn nicht trapsen? Ist schon auf dem halben Weg!‘
‚Okay! Hast du meinen Bericht schon bekommen?‘
‚Ja! Aber noch nicht angesehen.‘
‚Egal! Du darfst eine Abschlussrechnung schicken, mit einer guten Prämie für uns. Mach ruhig 10,000 Dollar draus! Miller klang echt glücklich am Telefon.‘
Nun kam sogar Pete: ‚Schreib der Chess Bank eine Rechnung über 12,000 Dollar! Und überweise Sam – wenn das Geld da ist – einen Riesen als Prämie! Gute Arbeit, Sam!‘
Diese Chuzpe möchte ich mal haben. Ich machte mir schon Gedanken, weil ich nur 10,000 wollte, und der Chef kommt einfach und legt cool noch 2,000 oben drauf. Naja, Banken sitzen auf dem Geld ihrer Kunden! Man sollte jede Möglichkeit nutzen, ihnen beim Ausgeben zu helfen.
Ich ging mit ihm in sein Büro. Hatte für heute genug getan. Immerhin einen Fall gelöst…
Nach einem geladenen Kaffee mit dem Chef schnappte ich mir meinen Hut und verliess das Büro für diesen Tag. Ich wollte herausfinden, mit welcher Art von Leuten wir es in der Thaft zu tun bekommen würden.
Die Fünfte war die nächste Querstrasse und die Thaft Gallery wahrscheinlich nicht weit, deshalb wollte ich dort vorbeigehen. Nicht unbedingt mit den Leuten reden, nur mal schauen, was man dort alles zu sehen bekam. Die Galerie um die Ecke war ziemlich gross, was nicht bedeuten musste, dass viel ausgestellt war. Manche von ihnen hingen nur ein oder zwei Bilder in ihren Räumen auf, und verdienten mit deren Verkauf die Miete für ganze Jahre.
Allerdings war es nicht die Thaft! Falsch gedacht! Aber sie musste in unserer Gegend sein. Laut Hausnummern etwa zwei Blöcke weiter südlich. Ich sollte mir mal das System der Nummerierung auch von den Avenues einprägen. Bei den Strassen bekomme ich es doch auch hin, ist jedoch ein etwas einfacheres System: An der nächsten Avenue fängt der neue Hunderter an. Bei den Avenues würde diese Art zu extrem hohen Hausnummern führen. Vielleicht mal einen Taxi-Fahrer fragen, wie es bei den Nord-Süd-Strassen funktioniert. Bei uns an der Ecke haben wir etwa die 250, und gezählt wird in Richtung Norden. Diese falsche Galerie hatte die Nummer 256 – die Thaft sollte in der 234 sein. Kathy hat uns sicher die richtige Adresse gegeben. Konnte mich nur nicht erinnern, dass sich dort irgendwo eine Galerie befand.
Und doch, in der 234 befand sich eine. Was man nicht auf den ersten Blick durch das Fenster erkennen konnte. Die musste ziemlich gut laufen, wenn sie sich so klammheimlich in einem grossen Laden versteckte. Lediglich das Wort ‚Thaft‘ war auf dem Schaufenster zu lesen, nur dies hätte alles sein können. Dass es sich um eine Galerie handelte, stand ganz klein auf der Tür, mit den Öffnungszeiten.
Hinter Schaufenster und Tür sah ich einen kleinen Empfangsbereich, in dem zwei Werbeposter für Ausstellungen hingen. So etwas findet man selbst bei einem guten Klempner in der Stadt, doch ein solcher würde sich kein Geschäft auf der Fünften leisten. Die Galerie an sich befand sich im oberen Stockwerk, hinter einer verstärkten Tür mit Alarmanlage. Die mussten zumindest hin und wieder ziemlich wertvolle Werke dort oben ausstellen.
Ich betrat den Empfangsbereich und sofort stürzte sich eine resolute Dame in der Blüte ihres Lebens mit dem Mut eines Eichhörnchens auf mich. Sie war sogar nervöser als ein solches. ‚Guten Tag! Wir schliessen heute bereits um fünf, es bleibt ihnen nicht viel Zeit!‘
‚Warum denn dies? Auf der Tür steht doch, sie haben täglich bis sieben auf.‘
Sie zeigte auf einen von den Postern und erklärte mir: ‚Wir eröffnen heute eine neue Ausstellung und dafür ist noch einiges zu tun.‘
Da hatte ich ja Glück. Es sollten Skulpturen von Jack Mine gezeigt werden. Den kannte ich zufällig. ‚Der Belgier!? Ist der nicht auch Jazz-Bassist? Ich mag seine Skulpturen. Wird er ebenfalls hier sein?‘
‚Ja! Er wird sogar mit einigen Freunden seinen Bass traktieren. Würden sie kommen wollen?‘
‚Ja! Das will ich gern sehen, wie er gemeinsam mit Freunden einen Bass traktiert.‘
Sie reichte mir eine Karte vom Schreibtisch, eine Einladung für zwei. ‚Nein, nein! Er spielt Bass und seine Freunde ihre Instrumente. Aber seien sie pünktlich, eine halbe Stunde nach Anfang ist die Eingangstür zu.‘
Es sollte um neun losgehen, das war zu schaffen – selbst mit Kathy. Die würde ich doch glatt mitnehmen wollen. Auch auf die Gefahr hin, die Stimmung in der Galerie für spätere Besuche zu verseuchen. ‚Danke! Ich werde kommen. Und mich vorher satt essen. Bis dann!‘
Sie konnte sogar lächeln. Ich winkte ihr noch kurz zu und verliess die Galerie. Sie schloss sofort hinter mir ab. Ich wollte mein Handy rausholen, um Kathy anzurufen. Musste aber feststellen, das hatte ich mal wieder in meiner Schreibtischschublade im Büro liegenlassen, hoffte ich zumindest.
Im Treppenhaus begegnete mir noch kurz Pete, seine Frau erwartete ihn jeden Abend pünktlich um halb sechs zum Essen. Stolz zeigte ich ihm die Einladung. Hatte ja selbst nicht mit einem so schnellen Erfolg gerechnet.
‚Willst du jetzt im Büro bis dahin warten?‘
‚Für wie dämlich hältst du mich? Ich wollte Kathy anrufen und dazu laden.‘
‚Dafür gibt es doch Smartphones. Du hast auch eines, auf Betriebskosten!‘
‚Ja! Und das wollte ich mir jetzt holen. Liegt im Schreibtisch.‘
‚Das solltest du immer in der Tasche haben. Extra für solche Fälle hast du es bekommen. Die sollen uns die Kommunikation erleichtern.‘
‚Klar! Und dann klingelt es im falschen Moment. Nee! Nicht mit mir!‘
‚Du kannst es stumm schalten. Oder auf Vibration! Dann hättest du einen Vibrator in der Tasche.‘
‚Sowas brauche ich nicht! Früher ging es auch ohne solche Teile. Warum sollte das jetzt anders sein? Schönen Abend noch!‘
‚Ich habe dir schon mehrfach gesagt, ich ziehe dir Geld ab, wenn du weiter ohne Handy rausgehst. Soll ich dir die Extraprämie wieder streichen?‘
‚Eh, Mann, bin doch dabei, es zu holen! Muss mich erst dran gewöhnen.‘
‚Das tust du bereits seit fünfzehn Jahren… Das ist ‘ne letzte Warnung! Und viel Spass mit Kathy!‘ Laut lachend verliess er das Haus, und ich stieg die Treppen wieder hoch.
Inzwischen war kaum noch jemand im Büro, nur zwei unserer Praktikanten kämpften mit ihren Berichten. Ich setzte mich an meinen Platz und rief Kathy an.
Sie war sofort am Apparat. ‚Schon erste Ergebnisse?‘
‚Woher weisst du das?‘
‚Du hast dich früher auch nur gemeldet, wenn es was Neues gab… Bin auf dem Weg zu eurem Büro. Lass uns essen gehen!‘
‚Gerne! Wann bist du unten?‘
‚In spätestens zehn Minuten!‘
‚Okay! Ich komme runter.‘
Ich zog meine Schublade auf. Das Handy war nicht zu sehen. Aber: Mein Model 29, der kurze 4-zöllige, lag im Fach. Bloss gut, dass Pete nicht hinter mir stand. Eine Waffe in einer unverschlossenen Schreibtischschublade – sowas durfte nicht passieren. Der musste weg. Irgendwie streichelte ich ihn jedoch zuerst. Ich hatte ihn mir vor gut zwanzig Jahren zugelegt. Es war die Knarre von Dirty Harry. Auch mir hatte er schon gute Dienste erwiesen. Die .44 Magnum Munition bekam man überall. Viele Revolver nutzten das Kaliber. Er schoss gut, und war verlässlich. Obendrein war er klein und handlich, ohne eine Lady-Waffe zu sein. Ich liebte ihn.
Ruhende Ziele traf ich mit geschlossenen Augen. Doch, wer nicht getroffen werden wollte, brauchte nur rum zu hampeln. Bewegliche Ziele erwischte ich fast nie. Das schien jeder zu wissen, denn nahezu niemand blieb still stehen. Und in einer Stadt wie der unseren liefen viel zu viele Unbetroffene herum. Da wollte ich nicht daneben schiessen. Ohne Waffe fiel das leichter…
Ich schloss das kleine Safe-Fach auf. Darin lagen mein Smartphone und das Ladegerät. Natürlich war so kein Platz mehr für den Revolver. Jetzt war mir klar, warum der oben im Fach lag. Ich schaute mich um, ob mich jemand beobachtete – und tauschte schnell mit einem Griff beide Inhalte aus. Meine Schussligkeit sollte keinem auffallen. War mir sicher nach einer langen Nacht passiert, als ich schnell aus dem Büro nach Hause wollte. Ich schloss das Fach wieder ab, und steckte das Smartphone ein. Der Akku war sogar noch fast voll. Dennoch schnappte ich mir zur Sicherheit das Ladegerät. Diese Mobiles sind unberechenbar. Beides zusammen beulte zwar meine Innentasche etwas aus, aber es sah dennoch cool aus, als ob da eine Waffe drunter wäre…
Kathy erwartete mich bereits vor unserer Haustür, in ihrem alten Mädels-Renner. Es war kein Jaguar, wie ich bisher dachte. Es war das Bond-Auto, ein Aston Martin DBS V8. Stand zumindest auf der Heckklappe. Wie kann man nur in New York freiwillig Auto fahren? Steckte sie es nach Nutzung in ihre Handtasche? Klein genug war es ja.
Ich für meinen Teil verbrachte immer Stunden auf Parkplatzsuche nach einer Ausfahrt meines alten Fords. Deshalb nutzte ich ihn äusserst selten. In unserer Stadt funktionierte das öffentliche Verkehrsnetz und meist waren selbst dafür die Wege zu kurz. Per pedes kam man schneller voran als auf vier Rädern.
Sie sass mit offener Tür im Auto, auf der rechten Seite (!) und rauchte. Also doch! Ich nahm mir vor, ihr nie meine Zigaretten zu zeigen – und zündete mir eine an. ‚Ich dachte, du hast in deinem Büro zu tun?‘
‚Ich mache pünktlich Feierabend! So oft es möglich ist. Was hast du schon?‘
Ich hielt ihr kurz die Einladung unter die Nase. ‚Wir sind heute Abend zu einer Vernissage in die Thaft eingeladen!‘
‚Wie hast du das geschafft?‘
‚Verrate ich dir beim Essen. Ich lade dich ein!‘
‚Du? Hast du ja nie gemacht! Wo willst du hin?‘
‚Gleich hier in unseren Koreaner. Ist am einfachsten. Und zur Galerie nachher ist es nicht weit.‘
‚Haben die noch die gleiche Mannschaft?‘
‚Nee! Hat inzwischen bestimmt hundert Mal gewechselt. Essen schmeckt aber wie damals.‘
‚Gut! Ich fahr das Auto schnell in die Hotel-Tiefgarage dort, dann kann es losgehen. Ich lass es ungern unbeaufsichtigt rumstehen.‘
‚Und ich habe gedacht, du steckst es in deine Handtasche?‘
‚Du warst schon immer ein Spinner. Wartest du hier?‘
‚Klar!‘
Kaum sassen wir im Restaurant am Tisch, fiel Kathy natürlich die Beule an meinem Jackett auf.
‚Steck dein Schiesseisen etwas diskreter weg. Ich will auf der Feier nicht auffallen.‘
‚Den stecke ich doch kaum mal ein, weisst du doch. Das ist mein Handy.‘
‚Ist das noch älter als deine Kanone?‘
‚Das denkt selbst! Hat ‘nen grossen Kopf!‘
‚Stecke es trotzdem woanders hin! Sieht blöd aus!‘
‚Hätte nur noch Platz in meiner Hosentasche. Dort sieht es noch peinlicher aus.‘
‚Aber mich würde es schmeicheln.‘
Ich legte es vorläufig auf den Tisch, mit Ladegerät.
‚Mann, wozu schleppst du das alles mit? Traust du dem Akku nicht?‘
‚Das ist für meinen! Wer weiss, wo ich heute noch lande und wie lange ich funktionieren muss?‘
Keine fünf Minuten mit ihr und wir lagen bereits wieder im Clinch. Glücklicherweise kam in diesem Moment der Kellner mit den Karten. Bis zur Bestellung herrschte Waffenstillstand. Anschliessend packte sie das Ladegerät in ihre Handtasche. Eine Vorwarnung an mich?
‚Warum nimmst du eigentlich fast nie deine Kanone mit? Du hast doch einen Achselholster? In einem solchen fällt sie nicht auf. Liegt es immer noch am Fall der Felle?‘
‚Und ob sie da auffällt! Damit sehe ich aus, wie ein Einlasser auf Rente.‘
‚Das bist du doch! Warum so bescheiden?‘
‚Ich habe nie auf eine Tür aufgepasst. Bin ein liebenswerter Kerl!‘
‚Und doch hast du kurzzeitig als Türsteher gejobbt. Wie schon gesagt: Für den Fall der Felle!‘
‚Und du als Garderobenmieze!‘
‚Erinner‘ mich nicht daran, Mann! Habe ich dir schon hundert Mal gesagt!‘
‚Du hast angefangen!‘
So ging es weiter – bis das Essen kam.
Eigentlich machte es einen Riesenspass, sich mit ihr zu fetzen. Hatte mir lange gefehlt, irgendwie. So langsam bekam ich eine Ahnung davon, wie es wieder mit ihr werden würde. Der Nachteil daran war nur: Es würde nicht bei einzelnen Gefechten bleiben, ein Krieg stand uns bevor. Kathy konnte sich nicht zurückhalten mit ihren Spitzen. Bis ihr nichts mehr einfiel. Dann würde sie wieder mit der alten Leier anfangen, sie wäre die beste Detektivin der Welt – und ich nur ein durchschnittlicher. Dabei wollte ich nie als der Beste gelten. Unterschätzt zu werden hatte seine Vorteile in diesem Job. Auf die Art konnte ich in Ruhe meine Fälle aufklären. Mit ihr klappte das selten unfallfrei, wie beim Fall der Felle…
Ende der Neunziger bekam unsere Agentur von einer ganzen Reihe Downtown Klubs den Auftrag, eine Serie von Überfällen auf ihre Garderoben aufzuklären. Dabei ging es nicht nur um das gelegentliche Verschwinden einzelner Mäntel. Da war eine professionelle Bande am Werke und die hatte es vor allem auf Pelze abgesehen. Umso wertvoller, umso besser. Wir sollten nun herausfinden, wer ein so hohes Interesse an alten Fellen hatte.
Wir hatten jedoch noch keinerlei Erfahrungen auf diesem Gebiet und mussten erst einmal lernen, wie so ein Klub funktionierte. Deshalb bewarben wir beide uns um je einen Job im ‚Rexie‘ am Times Square, das obendrein ein Lieblingsziel dieser Bande zu sein schien.
So starteten wir unsere Laufbahnen im Veranstaltungswesen. Natürlich gab uns diese Gang ausreichend Zeit zum Lernen. Sie hatten sich für fast vier Wochen in eine Art Urlaub verdrückt. Wir nutzten diese Chance dafür, auch andere Praktikanten in den Job einzuschleusen. Am entscheidenden Abend sass deshalb noch ein dritter Mann von uns an der Eintrittskasse. Und die Klubleitung war damit einverstanden, dass wir versteckte Waffen trugen.
Ganz nebenbei fanden wir in diesen ruhigen Wochen heraus, dass von den Garderobenmädels und den Kassierern regelmässig Geld unterschlagen wurde. Was schliesslich zu einer Verlängerung unseres Mandates und zu einem weiteren Betätigungsfeld für die Agentur führte. Das wiederum machte es uns leichter, später die Auftragseinbrüche nach Guilianis hartem Durchgreifen wegzustecken. Obendrein sind die Klubs oft der schnellste Buschfunk, wenn es um die Pläne der Gangs geht.
Aber darum ging es an diesem speziellen Abend noch nicht. Wir jagten erst einmal die Bande, die sich an getragenen Fellen bereicherte. Wie aus heiterem Himmel heraus schlugen sie wieder zu. Wir hatten uns schon fast an den Schlendrian in unserem neuen Job gewöhnt. An diesem Abend, ich glaube, es war ein Freitag, fand mal wieder ein Sonderkonzert mit einem der lokalen Helden statt. Es war knackevoll, und während des Konzertes war wenig für uns zu tun. Ich konnte die Tür alleine bewachen, und an der Garderobe puhlten die Mädels in ihren Nasen. Nur an der Kasse zählten sie das Geld. Kathy ging in den Saal – sie wollte wenigstens kurz was von der Band sehen. In diesem Moment kamen drei junge Leute zur Garderobe und sprachen mit einem der Mädels. Sagten Kathy und unser Mann an der Kasse später aus. Schnell riss dieses Mädel die Tür zum Garderobeninneren auf und liess einen von den Burschen ein. Offensichtlich hatte sie die Felle alle zusammen in eine Ecke gehangen. Beide griffen sich eine Reihe dieser Pelze und reichten sie über den Tresen, drehten sich um, um sich noch eine Ladung zu schnappen und stürzten aus dem Klub. In diesem Moment kam Kathy aus dem Saal zurück und die dritte Dame am Tresen rief ihr etwas zu. Dabei zeigte sie den vieren hinterher. Die hatten mich zwischenzeitlich vor der Tür umgerannt, doch ich war schnell wieder auf den Beinen und sprintete hinterher. Dabei zog ich meine Waffe aus dem Holster. Die Leute auf der Strasse sprangen geflissentlich zur Seite. Die vier liefen um die nächste Ecke in die 46te, was ich ebenfalls versuchte. Doch ein weiterer Bursche empfing mich dort und stellte mir ein Bein. Ich geriet ins Stolpern und gab meine Waffe frei, um nicht hart auf meiner Nase zu landen. Das funktionierte und ich konnte mich abfangen. Glücklicherweise war mein Schiesseisen gut am Holster festgebunden. Leider hatte ich beim Bemessen der Länge dieser Kette aber unbedacht gearbeitet: Sie reichte etwa bis in Dicks Höhe, der nun von meinem Revolver getroffen wurde. Ganz schön schwer so ein Teil, kann ich sagen. Ich klappte zusammen wie ein Schweizer Messer und hatte mit einem Mal Schwierigkeiten beim Luftholen.
In diesem Augenblick erschien Kathy an der Ecke, ebenfalls mit gezogener Waffe. Mein Beinsteller war jedoch nicht auf ihr Kommen vorbereitet. Ihm gelang es lediglich, sie von hinten zu schubsen. Dabei entkorkte Kathy aus Versehen ihre Pistole. Der Schuss streifte über mein Hinterteil und stattete mich mit einer sauberen Querspalte aus. Nicht nur die Hose riss auf, auch das Fleisch. Ich richtete mich ungewollt wieder kerzengerade auf, und Kathy wurde ganz weiss vor Schreck. Die Gangmitglieder nutzten ihre Meisterleistung, um in einem Lieferwagen zu entkommen. Unser dritter Mann war wenigstens so geistesgegenwärtig, sich die Nummer zu merken. Kurz darauf tauchten schon die ersten Bullen am Tatort auf und verhafteten Kathy und mich, ebenfalls mit gezogenen Waffen.
Von dem, was unmittelbar danach geschah, bekam ich herzlich wenig mit. Ich hüpfte herum wie ein Huhn auf Koks. Ich war nicht mal in der Lage meine Hände hoch zu nehmen. An diesem Abend lernte ich, dass ein Streifschuss wirklich mehr schmerzt als ein direkter Treffer. Kathy konnte diesen NYPD-Leuten schnell klarmachen, dass wir auf deren Seite waren. So, dass sie umgehend einen Krankenwagen für mich riefen. Damit war ich aussen vor. Den Rest musste mir Kathy später in ihrer Wohnung erzählen. Dort war ich erstmal zu nichts mehr zu gebrauchen – ausser zum Zuhören. Sie lachte sich in dieser Nacht scheckig, nur um mich zu ärgern. Dafür bekam ich in der darauffolgenden Woche den höhenverstellbaren Schreibtisch, um weiter arbeiten zu können. Und sie musste mich pflegen, konnte ich doch nicht mal ohne Hilfe auf den Topf…
Unser Praktikant zog mit der Streife nach der ersten Klärung des Sachverhaltes in ihr Revier. Gemeinsam konnte er mit den Leuten dort den Halter des Lieferwagens feststellen. Da der Kopf der Gang nicht der hellste war, hatten sie seinen Wagen benutzt. Deshalb konnte noch in der Nacht die gesamte Bande festgenommen werden.
Der Klub säuberte seine Mannschaft von den Leuten mit den klebrigen Fingern und stellte uns für die Sicherheit in Bezug auf die Einnahmen an. Das sprach sich schnell in der Stadt herum und wir eröffneten einen neuen Geschäftsbereich – Security & Asset Transports. Die Planung übernahm ebenfalls Pete, und unsere Praktikanten konnten mehr von uns lernen. Ich wiederum entschied mich, in der Zukunft einen Eierbecher umzuschnallen, wenn ich mit Waffe ausging…
Nach meiner ‚Genesung‘ trennte ich mich ziemlich schnell von Kathy. Zum einen hatte sie nun ausreichend Stunden für ihre eigene Detektiv-Lizenz zusammen, zum anderen war sie mir einfach zu gefährlich geworden. Ich stellte mir immer wieder vor, wie es hätte ausgehen können, wenn damals die Kette etwas länger gewesen wäre…
‚Woran denkst du?‘
Ich tauchte aus meinen Gedanken wieder auf und stellte fest, dass ich sogar vergessen hatte, meine Suppe auszulöffeln. Inzwischen war sie kalt. ‚An dich!‘
‚Bin ich immer noch so wichtig für dich, dass du sogar dein Essen vergisst?‘
‚Im Gegenteil! Habe mich an den Fall der Felle und deinen glorreichen Schuss erinnert.‘
‚Mann, wie oft soll ich dir noch erklären, dass das keine Absicht war?‘
‚Und wieder sage ich dir: Das glaube ich nicht! Nehme dir aber ab, dass es wohl eher unbewusst passiert ist. Der sicherste Platz, wenn Schusswaffen zum Einsatz kommen, ist immer hinter dir.‘
‚Das sehen meine aktuellen Kollegen nicht so. Die vertrauen mir.‘
‚Ich denke da anders‘, gestand ich ihr. ‚Hast du denn heute deine Waffe mit?‘
‚Wie immer! Bin jederzeit auf das Schlimmste vorbereitet!‘
‚Aber vorne im Hosenbund nicht mehr?‘
‚Jetzt steckt sie hinten im Bund! Ist bequemer beim Sitzen, und fällt nicht so auf.‘
‚Okay! Ab sofort laufe ich nicht mehr voran.‘
‚Wenn du dich dabei glücklicher fühlst! … Iss jetzt auf! Sonst kommen wir zu spät.‘
Kathy hatte mal wieder keine Geduld. Wir kamen viel zu früh in der Galerie an und waren fast die ersten Gäste. Nur vier, fünf weitere Hansel und Gretel liefen wie verloren zwischen den Skulpturen hin und her. Bei solchen Veranstaltungen ist das nicht gerade hilfreich. Man fällt zu heftig auf.
Die Empfangsdame vom Nachmittag begrüsste mich mit einem Sprite-Gesicht – und machte uns mit Jack Mine bekannt. Als Folge darauf verpasste ich Kathy ein ähnliches Getränk: Ich stellte sie als meine Freundin vom FBI vor. Diese mögen es gar nicht, als solche in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Ich dagegen hatte gute Erfahrungen mit der Wahrheit. Zumal viele Leute mit Dreck am Stecken gerne nervös wurden, wenn sie erfuhren, wer man war. Was schnell zu Äusserungen führte, die diese verheimlichen wollten. Jack Mine blieb cool – wer weiss, ob ihm klar war, was das FBI ist? Er startete einen Flirt mit Kathy und ich gewann dadurch Zeit, mir die anderen Gäste genauer anzusehen.
Auf den ersten Blick benahmen die sich nicht gerade auffällig. Da war etwa ein typisches Kunstsammler-Pärchen – er um die 70, sie höchstens 30. Die schienen mit etwas Geld gesegnet zu sein. Vor der zentralen Skulptur diskutierten sie leise miteinander – etwa so, als ob die Grösse etwas zum Preis aussagen würde. Sie wollte genau diese, und er dachte wohl über eine etwas kleinere nach. Die sogar ich gekauft hätte, wenn denn mehr Kohlen auf meinem Konto gestapelt wären. Dieses Teil sah wie ein extrem dekadenter Kleiderständer aus. Wahrscheinlich war an ihm ebenfalls ein entsprechendes Preisschild versteckt worden. Nix für mich! Mein Budget lag im niedrigen vierstelligen Bereich, inklusive der noch ausstehenden Prämie für den ATM-Fall. Ähnlich ging es sicher auch dem Herren in der anderen Ecke. Dieser schaute sich mit hochgeschobener Brille die Schilder an den Skulpturen an und notierte sich immer wieder etwas in ein zerfleddertes Notizbuch. Er tat mächtig wissend. Sein Konto gehörte gewiss ebenfalls nicht zu seinen Stärken. Irgendwie kam er mir jedoch bekannt vor.
Kathy liess mir aber keine Zeit zum Erinnern. Sie hatte sich ziemlich schnell aus den Fängen von Jack Mine befreien können: ‚Weiss Gott nicht mein Typ!‘
‚Gutes Geld scheint er ja zu verdienen! Diese Galerie gehört gewiss zu den teuren in der Stadt.‘
‚Wie kommst du darauf?‘
‚Die Besucher bis jetzt zählen eher zu den Kennern und Sammlern. Solche Galerien verschenken ihre Ausstellungsstücke nicht. Ich mag einige der Skulpturen und verdiene gut, kann mir aber sicher keine davon leisten.‘
‚Hast du wieder an deinen Marotten-Kugeln geschnuppert? Ich würde keine dieser Kunststücke in die Nähe meiner Wohnung lassen.‘
‚Oh doch! Diese da‘, ich zeigte auf den Kleiderständer, ‚würde sich super bei mir machen. Jeder würde sofort erkennen, wie dekadent ich bin. Und meine Marotten-Kugeln würden sich ebenfalls gut daran fühlen.‘
‚Seit wann schätzt du dich als dekadent ein?‘
‚So wenig kennst du mich!‘
‚Lass uns einige der Leute interviewen. Bevor es zu voll wird‘, schlug da Kathy vor. ‚Wir sind zum Arbeiten gekommen!‘
‚Ich habe jetzt eigentlich Feierabend! Ich wollte diese Galerie nur etwas besser kennenlernen, um herauszufinden, was uns später erwarten könnte.‘
‚Ist das keine Arbeit für dich?‘
‚Naja, wenn du es genau betrachtest, schon. In dem Fall wäre jedoch alles Job für mich. Ich benötige im Gegensatz zu dir hin und wieder mal etwas Freizeit – und da stufe ich Aktionen wie diese mit ein. Zumal ich Jack Mine zumindest als Künstler mag. Und etwas Musik ist immer entspannend.‘
‚Mann! Aber nicht die, die uns heute erwartet.‘
‚Ohh, ja! Wenn die vorbei ist, wirst du ebenfalls froh sein, wenn du dich wieder zurücklehnen kannst. Höre mir solche Musik sogar zu Hause an – die Entspannung danach erfasst jeden Muskel, psychische wie physische. Du musst dich nur auf die Musik einlassen.‘
‚Du scherzt?‘ Kathy schien schnell zu vergessen…
In diesem Moment kam einer der beiden Mayflower-Typen die Treppen hinauf. Begleitet wurde er von einem Herrn in Anzug mit Schlips und einem Hut, der ihm sicher drei Nummern zu gross war. So tief ins Gesicht hatte er ihn gezogen. Beide nickten zur Empfangsdame der Galerie herüber und steuerten schnurstracks diesen Kenner-Typen an. Dabei fiel es mir wie Schuppen aus den Augen. Ich erinnerte mich daran, woher ich ihn kannte. Ich hatte ihn vor kurzem im IT-Office der Chess Bank gesehen.
Ich wandte mich wieder an Kathy: ‚Kein Scherz! Ich muss mich auch mal entspannen.‘
Sie hörte nicht mehr zu, sondern schaute völlig konzentriert zu den beiden Herren. Nebenbei öffnete sie heimlich ihre Handtasche. Dachte sie zumindest, mir fiel es auf. Auch die Drei schienen es zu bemerken. Der Mayflower-Typ griff wie zufällig unter seine Achsel, und der Herr mit dem grossen Hut steckte seine rechte Hand langsam in seine Jackett-Tasche. Sie winkten der Empfangsdame und kamen anschliessend zu viert herüber. In diesem Augenblick tauchte Jack Mine mit zwei Gläsern Sekt auf. Eines davon reichte er Kathy.
Die Herren blieben stehen, und nur die Dame ging weiter. Sie flüsterte Jack Mine etwas zu und er verschwand wieder. Selbst einige der Besucher entfernten sich ein gutes Stück von uns.
Ich zog mein Jackett aus und warf es über meine Schulter. So war offen sichtlich, dass ich keine Waffe darunter trug. Die Vier wirkten nun etwas beruhigter.
‚Wer sind sie eigentlich? Und was wollen sie auf dieser Vernissage?‘, fragte sie uns.
‚Wer will das wissen? Ich hatte uns doch vorgestellt‘, antwortete ich.
‚Lassen sie es gut sein, Doris‘, warf der Mayflower-Typ ein. ‚Er hat ihnen die Wahrheit gesagt. Uns geht es mehr darum, warum sie hergekommen sind.‘
‚Und wer sind sie?‘, wollte ich wissen.
‚Man nennt mich Ben Jamen! Der Hungerleider ist Eli Fant. Und den wohlgekleideten Herren dürfen sie Mr. Ball nennen, ihm gehört diese Galerie. Also, was treibt sie auf diese Ausstellung?‘
‚In meinem Heim fehlt ein Kleiderständer, und die von Jack Mine passen gut.‘
Das verletzte diese Doris wohl etwas: ‚Wir sind eine Kunstgalerie und keine Gebrauchtwarenhandlung.‘
‚Ist schon gut, Doris‘, antwortete ihr Chef Mr. Ball. ‚Ich verstehe ihn. Es geht uns ja nichts an… Von welcher Skulptur reden sie denn?‘
Ich zeigte auf den Kleiderständer: ‚Die da zum Beispiel!‘
‚Sie gehört ihnen. Betrachten sie sie als Geschenk! Nur einwickeln müssen sie die selbst.‘
‚Sie wissen ganz genau, dass ich solche Geschenke nicht annehmen darf. Schon gar nicht, solange mich diese junge Frau begleitet!‘ Ich zeigte auf Kathy.
‚Na gut: Was können sie zahlen? Aber bitte bar!‘
‚Ich habe immer nur kleine Scheine einstecken, für’n Burger. Selten mehr! Morgen könnte ich einen Riesen vorbeibringen. Doch eine Quittung brauche ich. Wegen ihr.‘
‚Naja, legen sie noch einen halben Schein drauf, und die Figur gehört ihnen! Sie können sie aber erst nach der Ausstellung abholen.‘
‚Alles klar! Gibt es einen Kaufvertrag dazu?‘
‚Ja, warum nicht? Lassen sie uns nach oben ins Büro gehen. Ihre Begleitung kann hier warten… Doris, kümmern sie sich um sie!‘
‚Zum Konzert will ich aber wieder unten sein. Und ihre Bar möchte ich ebenfalls noch plündern!‘
‚Doris, halten sie Mr. Mine solange zurück! Dauert höchstens 20 Minuten.‘ Und zu mir gewandt: ‚Ich habe weit besseren Whiskey oben!‘
Im Büro ging alles ganz schnell. Trotzdem konnte ich in den paar Minuten mehr über die Galerie herausfinden als mir lieb war. Vor allem, dass Mr. Ball einen phantastischen Bourbon in seinem Schreibtisch bunkerte. Er gab mir sogar eine Flasche mit. Von irgendeiner kleinen Brennerei in Louisiana! Deren Namen prägte ich mir gut ein.
In der Zwischenzeit hatte Kathy sich Ben Jamen geschnappt. Beide standen an der improvisierten Bar und schwatzten. Nur diesen hungernden Elefanten konnte ich nirgends sehen. Doch ich entdeckte zwei verdeckte Ermittler vom NYPD. Denen wollte ich nun nicht gerade ein freundliches ‚Hallo!‘ entgegen schleudern. Hätten sie mir sicher übel genommen. Was wollten die auf dieser Vernissage? Ich machte mir einen Knoten in mein rechtes Ohr. Die Zwei gehörten nicht gerade zu den Leuten, die sich in ihrer Freizeit auf solchen Veranstaltungen herumtrieben. Ich sollte mal nachfragen, was das NYPD aktiviert hatte?
Ansonsten kannte ich ein paar der Besucher vom Sehen her, niemanden näher. Es waren vor allem Kunstsammler, die ihr Geld aus allen Poren schwitzten. Deshalb fühlte ich mich mit einem Male ziemlich fehl am Platze. Obwohl: Ich war jetzt der glückliche Besitzer einer echten Jack Mine-Skulptur, und dies zum Freundschaftspreis. Ich musste nur noch die Kohle liefern. Dabei hatte ich nicht vorgehabt, mich in solche Unkosten zu stürzen. Ich setzte sie später dem FBI als Garderobenständer mit auf die Rechnung und sie wurde anstandslos bezahlt! Manchmal muss man eben Glück haben. Sie wird noch lange mein wertvollster Besitz bleiben.
‚Schon fertig oben?‘, Doris war neben mir aufgetaucht.
‚Ja!‘
‚Dann sage ich den Musikern Bescheid, dass es in 15 Minuten losgehen kann.‘
‚Super! Ausreichend Zeit für eine Krebsfütterung… Wo darf man denn hier rauchen?‘
‚Wenn sie drei Minuten warten, komme ich mit.‘
‚Okay, wird gemacht!‘
Irgendetwas hatte diese Frau mit mir vor. Und sie brauchte keine drei Minuten. Im Vorbeigehen schnappte ich mir zwei Gläser vom Bartisch, ich konnte ja nicht alleine von dem guten Whiskey trinken. Im Gegenzug reichte sie mir ihre Schachtel. Mal was anderes.
Im Lichtschacht konnte man sehen, die Thaft Galerie gab sich alle Mühe, ihre Kunden zufriedenzustellen. Dort gab es Bänke, Stühle und Tische. So kurz vor dem Konzert hatten wir die Qual der Wahl. Wir setzten uns neben einander und als ich ihr das Feuer reichte, lehnte sie sich an mich. Huch! Ich verschüttete fast meinen Whiskey. Das Sprite-Gesicht vorhin war wohl echt gewesen.
‚Bist du wirklich PI? Heute im Dienst? Oder privat?‘
Mann, die Frau legte ja los. Drinnen war ich noch ‚Sie‘, jetzt schon ‚Du‘: ‚Ich bin im Grunde immer im Dienst. Wurde mir vorhin von meiner Kollegin suggeriert. Heute jedoch eher privat!‘
‚Was seid ihr überhaupt? Diese Kathy und du? Pärchen oder Kollegen?‘
Ich nahm einen tiefen Schluck aus meinem Glas: ‚Warum fragst du? Wir sind alte Freunde, die sich heute zufällig nach über zehn Jahren getroffen haben.‘
‚Nur so! Habe mich gewundert, dass ein PI und eine FBI-Agentin gemeinsam auf einer unserer Vernissagen auftauchen. Und dann noch eine Skulptur kaufen. Ihr gehört nicht zu unserer üblichen Klientel.‘
‚Wieso eigentlich? Dürfen wir uns nicht an der Kunst erfreuen?‘
‚Doch, doch! Du bist der erste Detektiv – egal von welcher Firma –, der den Eindruck vermittelt hat, dass er weiss, wie teuer Kunst sein kann. Jeder andere hätte vielleicht zwei-, dreihundert geboten, dir schien jedoch klar zu sein, dass selbst 1,500 für eine Skulptur zu wenig sind. Das hat mich, und auch die Herren, ziemlich überrascht. Bei uns schauen oft irgendwelche Schnüffler rein. Denen merken wir immer sofort an, dass sie sozusagen im Dienst sind. Dir nehme ich den privaten Besuch ab. Zumal ihr ja eure Berufe nicht verheimlicht habt. Anders als die zwei Detektive vom NYPD im Saal. Die haben sich verkleidet, und doch sieht man ihnen den Job deutlich an.‘
‚Du bist sicher, dass ihr alle bemerkt habt? Stellen sich denn eure Besucher immer ehrlich mit Namen und Beruf vor?‘
‚Nein! Natürlich nicht! Aber wir sind an allen unseren Gästen interessiert, und manchmal forschen wir sogar nach. Deshalb war mir heute Nachmittag schon klar, mit wem ich es zu tun hatte. Du verhältst dich nicht wie in deinem Beruf üblich.‘
‚Interessant! Überprüft ihr alle potentiellen Käufer?‘
‚Jein! Aber mein Boss sieht es gerne, dass wir unsere Kunden kennen. Er sagt, auf die Art können wir unsere Werbung entsprechend ausrichten. Das würde Geld sparen.‘
‚Könnte stimmen! Habe keine Ahnung von Werbung. Klingt jedoch logisch für mich.‘
‚Lass uns reingehen. Das Konzert fängt gleich an.‘
Sie hatte recht. Die Musiker standen bereits auf der Bühne. Mit Jack Mine wollten drei weitere ‚Verrückte‘ aus der lokalen Szene spielen. Und da Kathy sich noch mit diesem Ben Jamen amüsierte, suchte ich mir ein ruhiges Plätzchen am anderen Ende des Raumes. Ich wollte die Musik ungestört geniessen.
Doris dagegen rannte fast nach vorne. Sie begrüsste die Gäste und vermeldete froh, dass ‚nahezu‘ alle Skulpturen bereits verkauft waren. Mit einem Lächeln erklärte sie, dass die Vernissage ‚eine der bisher erfolgreichsten während ihrer Zeit in der Thaft Galerie‘ ist. Dabei erwähnte sie jedoch nicht, wie lange sie bereits dort arbeitete. Und: Dass Galerien ihre Ausstellungsstücke gewöhnlich bereits vor der Eröffnung verkaufen, war mir nicht neu. Danach überliess sie den Musikern die Szene und stellte sich unauffällig genau hinter die beiden NYPD-Mitarbeiter. Das wiederum fand ich interessant…
Da sich das Konzert nicht unbedingt zu einem Top-Liveerlebnis entwickelte, fing ich in meiner Denkstube automatisch damit an, meine Beobachtungen zu sortieren.
Schon nach dieser kurzen Zeit in der Galerie stellten sich mir eine Menge Fragen. Ob die alle mit Kathys Fall zu tun hatten, sollte ich wohl als erstes klären. Zumindest schienen die drei Herren keine Unschuldsengel zu sein. Bei Doris war ich mir nicht so sicher. Doch warum suchte sie meine Nähe? Nur, um mir im Namen von Mr. Ball auf den Zahn zu fühlen? Oder steckte ein persönliches Interesse dahinter? Auf keinen Fall war sie ein naives Dummchen. Ihr Job ging deutlich weiter, als nur ihr nettes Gesicht am Eingang zu zeigen. Dafür kannte sie sich zu gut im Kunstgeschäft aus. Was jedoch nicht erklärte, wieso sie bereits nach meinem ersten Erscheinen wusste, wer ich war. Dabei hatte ich ihr, wenn ich mich recht erinnerte, bei unserem eher zufälligen Gespräch während des Nachmittags meinen Namen nicht verraten…
Doch welche Rolle spielte Eli Fant? Von meiner früheren Sichtung her wusste ich, dass er einen IT-Mann bei der Chess mimte. Heute machte er eher den Eindruck eines Kunstkenners, und er gehörte offensichtlich zum inneren Kreis der Thaft-Galerie. Arbeitete er für zwei Brötchengeber, oder finanzierte er mit einem gutbezahlten Job ein teures Hobby? Nutzte er seine Programmierfähigkeiten, um sich in fremde Computer einzuwählen? Steckte er etwa hinter dem ATM-Fall? Und: Könnte er uns mit seinen Möglichkeiten gefährlich werden? Auch in unserer Agentur gab es Computer mit Internet-Anschluss, die es durchaus gewöhnt waren von ausserhalb angefragt zu werden.
Im Augenblick hielt er sich mit den anderen beiden Herren an der Treppe zum Büro auf…
Ball gehörte offenbar eine ganze Kette mit mehreren Galerien. Im Vertrag für die Skulptur stand eine Thaft Galleries Inc. mit einer Anschrift in Toronto, und Ball als deren Geschäftsführer. Die Firmenbriefbögen, die ich aus dem Augenwinkel heraus auf dem Schreibtisch gesehen hatte, listeten zusätzlich noch Adressen in Vancouver, Los Angeles, Window Rock – im Navajo Reservat? – und Chicago. Ich sollte auf jeden Fall mal beim I.R.S. nachfragen, um welche Art Firma es sich handelte. Steuerzahler aus der Kunstszene sind den Mitarbeitern dort immer suspekt, da gibt es zu viele halb-legale Wege Steuern zu sparen. Die wussten sicher genauer Bescheid. Vor allem über die Teilhaber, selbst wenn die ganz still waren. Interessant könnte es werden, falls es einen Navajo in der Firma gab. Meinen Job würde dies ein wenig verkomplizieren. Wir durften – wie ebenfalls I.R.S. oder FBI – offiziell nicht in den Reservaten ermitteln, diese gelten meist als ex-territoriales Gebiete.
Obendrein befand sich im oberen Stockwerk ein weiterer, etwas kleinerer Ausstellungsraum. Dort waren Inuit-Schnitzereien aufgebaut. Und nicht nur Arbeiten aus Speckstein, sondern ebenfalls welche aus Elfenbein. Auch herrliche Mordsdarstellungen, wie sie bei den Inuit üblich sind. Elfenbein, egal ob von Elefanten oder Walrössern, stand auf der Roten Liste. Um solche Arbeiten verkaufen zu dürfen, war eine staatliche Lizenz pro Werk notwendig. Selbst für das Ausstellen! Besass die Thaft diese? Und woher kamen die Schnitzereien? Die Dinger waren von Sammlern hoch gefragt, und die zahlten gutes Geld dafür. Dazu konnte ich ebenfalls das I.R.S. fragen. Zumindest müssten die mir sagen können, welche Behörde über diese Lizenzen Bescheid wusste.
Was waren die Aufgaben von Ben Jamen? War er ein solcher stiller Teilhaber? Oder nur guter Kunde? Wie tief war er in die Kunstszene verstrickt? Und was hatte der Mayflower-Fall mit der Thaft zu tun? Gab es überhaupt eine Verbindung? Doris wollte ich dazu auf keinen Fall interviewen, das würde auffallen. Ich sollte mich dennoch an sie hängen, sie war ziemlich gesprächig. Wer weiss, was sie so alles unbewusst ausplaudern würde.
Hoffentlich konnte Kathy mir später mehr sagen. Immerhin hatte sie sich länger mit Ben Jamen unterhalten. Schon in ihrer Zeit bei uns hatte sie eine psychologische Teilausbildung genossen. Zwar nie abgeschlossen, aber sie wusste, wie das Spiel ging. Darüber hinaus musste sie mir mehr zum Mayflower-Fall erklären. Jetzt hatte ich konkrete Fragen.
Der Fall entwickelte sich zu einem äusserst interessanten. Er gab mir die Chance, mein bisher von freundlich meinenden Bekannten als eher schräg bezeichnetes Hobby anzuwenden. In diesem Bereich konnte selbst Kathy mir nicht das Wasser reichen. Zumindest hatte sie sich vor dem Konzert so ausgedrückt.
Dazu kam, dass die Verbindung zu den Indianern in mir alte Erinnerungen wachrief: Als ich noch ein kleiner Hosenscheisser war, hatten mir die Verwandten meines Vaters immer wieder erklärt, dass sie Cherokee-Blut in sich hatten. Keine Ahnung wie dick dies war – es bedeutete jedoch, dass ich ebenfalls eine Spur davon in mir haben musste. Leider war die Verbindung zu meinem Vater nach der Scheidung meiner Eltern verloren gegangen. Er war wieder nach St. Louis zurückgezogen, also nicht aus der Welt.
Mir fiel dabei ein, dass mein Vater seine Familiengeschichte bis zu den Gründervätern und -müttern zurückverfolgen konnte. Einer deren Tricks war es oft, darauf hinzuweisen, sie hätten ‚Cherokee-Blut‘. Das bedeutete aber keines Falles, dass es wirklich durch ihre Adern pulsierte. Es war nur ein stiller Hinweis, dass sie schon in Amerika waren, als man in Europa noch an die Erde als Scheibe glaubte. Obwohl: Eine Familie, die schon so lange hier lebte, hat in den alten Zeiten bestimmt näher mit den Indianern Bekanntschaft gemacht. Ein späterer Urahn meines Vaters betrieb zum Beispiel kurz vor dem Goldrausch in San Francisco eine Pferdefarm mit einer Poststation irgendwo an der Grenze zwischen Utah und Nevada. Der hat sich bestimmt mit Ureinwohnern rumschlagen müssen, etwa mit den Cheyenne oder den Schoschonen. Die Poststation befand sich auf ihrem Gebiet. Wenn ich mich nicht irrte…
Doch zurück zum Fall. Was schweisste die drei Männer hier zusammen? An welchem Stecken hatten sie ihren Dreck? Und wichtig: Gab es Jemanden, der hinter allem steckte? Wo war die Verbindung nach Kanada? Da war einiges zu klären. Ich musste wahrscheinlich viele gute Gefallen bei unseren Behörden einfordern, um die Antworten zu finden.
Ich schaltete mich wieder in das aktuelle Geschehen um mich herum ein. Das Konzert schien gerade am Ende angekommen zu sein.
Ungefähr ein Drittel der Besucher hatte den Raum verlassen. Wo konnten die hin sein? Der Vordereingang der Galerie war doch aussen nur mit einem Knauf versehen, nicht mit einer Klinke. So, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt keiner mehr reinkam, man aber jederzeit raus konnte. Ich schob die Leere mal auf die Musik, und diese fehlenden Leute drängelten sich alle im Raucherhof. Die Galerie wollte ja die Skulpturen verkaufen und nicht behalten…
Ich schaute mich um. Kathy und dieser Ben Jamen waren nicht zu finden. Zumindest nicht mehr an der Bar. Ball und diesen Eli Fant konnte ich ebenfalls nirgends entdecken. Die beiden NYPD-Leute hatten sich scheinbar auch verkrümelt.
Nur Doris stand nicht weit von mir: ‚Du stehst wohl auf diese Musik?‘
‚Hin und wieder! Heute hatten sie aber eher einen Allerwelts-Tag. Das Konzert war kaum durchschnittlich. Doch warum sind die schon fertig? Keine Lust?‘
‚Das war nur das erste Set! In einer halben, dreiviertel Stunde gibt‘s noch einen!‘
‚Ohhh! Hoffentlich sind die dann besser drauf!‘
‚Appetit auf eine Zigarette? Bevor es im Hof zu voll wird…‘
Ich nickte.
Auf dem Weg kamen uns Ball und Jamen entgegen. Der Chef hielt uns kurz auf: ‚Bringen sie bitte morgen mit dem Geld auch etwas Zeit mit. Ich habe einen Job für sie!‘
‚Okay! Um was geht es denn? Um neue Aufträge kümmert sich eigentlich Pete Thief bei uns. Anrufen ist da effektiver.‘
‚Ich will mit dem Besten reden! Thief kenne ich nicht.‘
‚Na dann wird es Zeit…‘
Der kleine Hof war proppenvoll und komplett vernebelt. Das machte selbst mir das Atmen schwer. Der Abzug lag entschieden zu hoch, ungefähr fünf Stockwerke. Ich gab Doris den Tipp, da eine bessere Lüftung einzubauen. Ansonsten würden sich die Hausbewohner beschweren.
‚Das gesamte Haus gehört der Galerie. Nur die Wohnungen ganz oben sind für unsere Gäste und Mitarbeiter, der Rest sind Büros und Ausstellungsräume. Da hat sich noch niemand beschwert. Normalerweise sitzen hier aber auch wesentlich weniger Leute rum.‘
Bevor ich ihr eine Zigarette anbieten konnte, klopfte mir Kathy auf die Schultern. Sie stand mit den beiden NYPD-Leuten und diesem Eli Fant direkt hinter uns. Das war interessant. Was hatten die Vier miteinander zu tun?
‚Hallo!‘, begrüsste mich Häuptling Eisenaxt, einer der wenigen Indianer beim NYPD. ‚War ja klar, wenn die Millern hier ist, kann der glücklichste Detektiv der Stadt nicht weit sein.‘
Diesen Beinamen bekam ich anscheinend bei diesen Leuten nie mehr los. Dort war man schon seit Jahren der Meinung, dass ich meine Fälle nur mit viel Glück aufklären würde: ‚Hallo! Ihr kapiert‘s wohl nie: Ich kläre meine Fälle mit Köpfchen. Das hat nichts mit Glück zu tun.‘
‚Dass du ein fotografisches Gedächtnis hast, wissen wir schon lange. Du merkst dir halt jede Kleinigkeit und kannst dazu noch denken. Da ist fast jeder Fall ein Kinderspiel für dich. So war es diesmal aber nicht gemeint: Zuerst ‘ne junge Praktikantin, jetzt ‘ne studierte Galeristin. Das nenne ich wahres Schwein haben! ‘
Ich schaute zu Doris rüber, um zu sehen, ob ich ihm wegen ihr eine Spitzfindigkeit an den Kopf werfen sollte. Doch Kathy reagierte schneller: ‚Mit Frauen hatte Sam noch nie Glück. Ansonsten wären wir zwei heute verheiratet.‘
‚Schon gut, schon gut! Mit dir wollte ich mich nicht anlegen.‘ Er holte seine Packung mit dem guten Indianertabak raus und bot ihn uns an.
Jetzt konnte ich meine Frage nicht mehr zurückhalten: ‚Was treibt euch überhaupt auf diese Vernissage? Ist doch nicht wirklich euer Hobby.‘
‚Hier ist in den letzten Monaten offensichtlich von Insidern mehrfach eingebrochen worden. Da wollten wir die Gelegenheit nutzen, um uns unauffällig mal umzuschauen. Und sind dabei auf einen guten alten Bekannten getroffen.‘ Er zeigte mit seinem Köpflein auf Eli Fant.
Aha! Eli Fant hatte wohl schon in der Vergangenheit mit den Herren zu tun. Schien jedoch inzwischen sauber zu sein. Sie würden kaum so friedlich miteinander reden, wenn da etwas im Busche wäre. Doch hier und jetzt war nicht die Gelegenheit, um auf ihm herumzuklopfen.
‚Und etwas gefunden?‘, sprang Doris ein.
‚Naja! Eher wenig… Wir hätten jedoch ein paar Ratschläge für eure Alarmanlage. Die ist verbesserungsfähig‘, meinte daraufhin Detektiv Bart. Wie der in echt hiess, konnte ich mir nie merken. Jeder wusste, wen ich mit diesem Namen meinte. Er hatte einen Bart mit Gesicht, nicht umgekehrt! Und bei Regen roch er wie ein alter, feuchter Teppich.
Der Häuptling kam sogar mit einen für einen NYPD-Mitarbeiter ungewöhnlichen Vorschlag: ‚Heuert ihn an!‘ Er wies auf mich. ‚Der weiss in drei Tagen, wer bei euch im nächsten Monat einbrechen wird. ist nur nicht gerade billig.‘
Irgendwie wurde mir das Gespräch zu blöd. Da wollte ich mich ausklinken. Glücklicherweise kam in diesem Augenblick Jack Mine auf den Hof. Fast automatisch winkte ich ihn zu uns heran. Aus dem Augenwinkel sah ich zwar, wie Kathy verschreckt den Kopf schüttelte. Aber das war ihr Problem. Sah ihr ähnlich, sie verliess unsere Gruppe.
‚Hallo noch mal!‘, begrüsste ich ihn in der Rumpfgruppe. ‚Wird denn der zweite Set besser?‘
‚Immer auf das Schlimme! Bin heute erst angekommen, etwas müde und wir hatten keine Zeit, uns zusammenzuraufen. Ich hoffe, er wird besser. Kann es jedoch nicht versprechen.‘
Doris teilte ihm daraufhin mit, dass ich einer seiner Skulpturen einen neuen Namen verpasst und diese dann gekauft hätte.
‚Welche denn?‘ wollte er von mir wissen.
‚Ähhh! Keine Ahnung, wie sie offiziell genannt wird. Ich habe sie Kleiderständer getauft.‘
‚Ohh! Ich weiss, von welcher sie sprechen. Unter uns: Ich nenne die auch manchmal so. Nach dem Konzert signiere ich die für sie.‘
‚Klasse! Für Sam Burglar bitte! Sie bekommt einen besonderen Platz in meinem Empfangszimmer.‘
‚Verdienen sie als Detektiv so gut, dass sie sich ein Apartment mit Empfangszimmer leisten können?‘
‚Klar! Ich nenne den Raum halt so.‘
‚Ich hoffe, dass sie diese Skulptur auch als Gebrauchsgegenstand benutzen. Nur zum Anschauen habe ich ihn nicht gemacht.‘
‚Klar! Mein schönster Hut bekommt einen Ehrenplatz auf diesem Teil!‘
‚Super! Jetzt gebe ich mir extra Mühe mit dem zweiten Set, speziell für sie! Danke! In zehn Minuten geht es weiter! Das wollte ich hier eigentlich nur ausposaunen…‘
‚Ich werde auf jeden Fall zuhören.‘
Jedoch gingen nur wenige wieder in die Galerie, um sich den Rest des Konzertes anzuhören. Und Kathy, die natürlich wieder an der Bar stand, verliess den Raum. Dadurch konnte sie nicht mehr hören, dass Jack Mine mir, ‚seinem neuen Freund‘, das Set widmete. Diesmal musste ich wohl oder übel der Musik genauer folgen.
Das zweite Set wurde echt besser. Zumindest mir machte die Musik Spass. Sie passte jetzt zu seinen Skulpturen. Zum Schluss befand sich jedoch kaum noch die Hälfte der Besucher im Raum. Ich ging zur Raucherecke, um Kathy zu suchen. Sie sollte mich heute nach Hause fahren. Es gab eine Menge zu besprechen.
Jetzt war die Luft besser. Es befanden sich nur wenige Leute draussen, aber Kathy sass dort – gemeinsam mit Eli Fant und Doris! Sie schienen sich prächtig zu amüsieren.
Doris stand auf und fragte: ‚Ist das Konzert zu Ende? Dann muss ich rein.‘
Ich setzte mich zu Kathy und Eli Fant: ‚Wo sind denn unsere zwei Kollegen vom NYPD?‘
‚Wohl oben im Büro, mit Ball und diesem Jamen‘, meinte Kathy.
‚Ahh so! Ich würde gerne demnächst nach Hause fahren. Nimmst du mich mit? Meine Wohnung liegt doch fast auf deinem Weg…‘
‚Ich muss noch ein Weilchen warten. Bis ein Teil des Whiskeys meinen Blutbahnen entfleucht ist.‘
‚Okay! Ich wollte eh noch eine rauchen. Wie lange, meinst du, braucht dein Whiskey noch? Halbe Stunde oder so?‘
‚So ungefähr. Übrigens, kannst du dich an Eli noch erinnern? Oder hattest du damals einen Blackout?‘
‚Was meinst du denn?‘
‚Naja! Er hat dir vor dem Rexie das Bein gestellt…‘
Daran konnte ich mich weiss Gott nicht mehr erinnern: ‚Ich hatte wohl ein anderes Problem. Sollte dir klar sein.‘
‚Tut mir echt leid!‘, griff Eli Fant in das Gespräch ein. ‚Wir hatten nicht gewollt, dass sich jemand verletzt. Ich sollte euch lediglich aufhalten. Kein Mensch von uns hat mit scharfen Waffen gerechnet. Wir wollten nur weg.‘
‚Obendrein waren damals ebenfalls Doris und das Bartgesicht dort. Doris hat an der Garderobe gearbeitet und er gehörte zur Streife, damals ohne Gesichtsbehaarung‘, ergänzte ihn Kathy.
‚Hätte ich nie gedacht. So trifft man sich wieder. Ich habe mir lediglich den sauberen Treffer gemerkt.‘ Ich hatte echt keinen dieser Leute vor meinem inneren Auge. Von alleine wäre ich da nie drauf gekommen. Aber dass sich all die anderen mein Gesicht gemerkt hatten, fand ich bemerkenswert. Damals war ich nur ein Detektiv von vielen in dieser Stadt. Unsere Agentur stand noch am Anfang…
Wir hatten damit ein gutes Thema zum Plauschen gefunden. Und als Doris und später die vier Herren aus dem Büro dazukamen, gab es viel zum Lachen. Es wurde dann doch ziemlich spät, bevor Kathy und ich aus dem Laden herauskamen…
Draussen erklärte Kathy, sie hätte Lust auf einen Kaffee. Ihr Hunger drauf wäre gross. Ich nahm’s wörtlich und schleppte sie in einen Deli. Sie trank grimmig einen stark gesüssten Tee und ich verputzte wohl gelaunt zwei Sandwiches.
‚Mann, du hast dir immer noch keinen gesünderen Lebensstil angewöhnt, oder?‘
‚Gesundbleiben ist heutzutage ein Ganztagsjob, und ich bin zu alt für zwei Jobs!‘ Meine Essgewohnheiten gingen sie nun wahrlich nichts an. ‚Was hast du denn heute Abend in deinen Gesprächen herausgefunden? Etwa mit Jamen?‘
‚Ich bin der Boss, und du musst an mich berichten! Dafür werdet ihr von uns bezahlt. So rum läuft der Deal. Ihr sollt gar nicht alles erfahren.‘
‚Okay! Aber bestimmte Dinge müssen auch wir wissen. Sonst wird es nichts. Du hast heute Nachmittag selbst bemerkt, ein kleiner Fischzug geht euch nichts an. Habt ihr noch Interesse?‘
‚Bis jetzt hat sich nichts geändert! Ich habe immer noch keine Ahnung, was in der Galerie abgeht. Alles ist möglich.‘
‚Da bin ich wahrscheinlich weiter als du. Die haben etwas ziemlich Grosses am Laufen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es mehr euch betrifft oder das I.R.S. Bei der Thaft hängen unter anderem verschiedene Indianernationen mit drin. Ein Geschäftssitz ist in Window Rock in Arizona. Und im zweiten Stockwerk befindet sich eine Ausstellung mit Inuit-Schnitzereien. Unter anderem aus Elfenbein…‘
‚Das wussten wir schon vorher. Diese Schnitzereien sind offiziell zugelassen. Genau die waren eines der Ziele der Einbrüche! In den Raum sind die Leute jedoch nicht rein gekommen, haben’s aber mit Gewalt versucht. Es wurde lediglich eine ganze Reihe von weniger wertvollem Kunsthandwerk der Irokesen gestohlen. Davon sollte nichts mehr in der Galerie rumliegen. Diese Stücke waren in dem Raum im ersten Stockwerk ausgestellt, bis vor drei Wochen. Jetzt stehen dort die Skulpturen von Jack Mine. Eine schnelle Notlösung. Demnächst wollen sie eine neue Six Nations-Ausstellung machen. Doris soll die nächste Woche persönlich in Toronto zusammenstellen.‘
‚Aha… Thaft hat in Toronto ebenfalls eine Geschäftsadresse.‘
‚Und Ben Jamen leitet die dortige Dependance. Scheint eine relativ grosse Galerie zu sein. Er fliegt morgen wieder zurück und bereitet alles für Doris vor.‘
‚Ah ja… In diesem Zusammenhang: Hast du was über den zweiten Mayflower-Typen erfahren können? Asten, oder wie der heisst?‘
‚Sep Asten… Nein! Habe mich nicht getraut zu fragen.‘
‚Und was weisst du über diesen Ball? Etwa von Jamen…‘
‚Nicht von Jamen! Von Ball selber: Er ist ein fast reiner Navajo mit einer weissen Grossmutter. Sein voller Name ist John Standing Ball, nach irgendeinem Felsen im Reservat. Offiziell lebt er in Window Rock, und hat einen First Nations Pass. Zusätzlich besitzt er Apartments in Vancouver und hier in New York. Hat mich sogar eingeladen. Ich glaube fast, sie haben uns den Freizeit-Besuch heute abgenommen.‘
‚Und was denkst du über Fant?‘
‚He, Mann! Ich beantworte hier laufend Fragen und du erzählst fast nichts. Jetzt bist du dran mit neuen Fakten! Sag‘ du was zu Fant! Du kennst ihn ja schon von mindestens einem deiner früheren Fälle her, oder?‘
‚Okay! Ja, ich habe ihn im IT-Büro der Chess-Bank gesehen. Er lief einfach mal so den Gang dort runter, als ich mit einem der Chefs sprach. Er ist kein fester Mitarbeiter der Chess, wohl eher IT-Konsultant! Keine Ahnung! Für mich ist es möglich, dass er hinter dem ATM-Fall steckt… Welche Rolle spielt er eigentlich in der Thaft? Nur guter Kunde? Oder gar Mitarbeiter?‘
Kathy holte tief Luft. Offensichtlich stellte ich zu viele Fragen: ‚Weiss nicht! Seine Firma ist für die Webseite verantwortlich. Und er sammelt privat Avantgarde-Kunst. Frag‘ aber bitte nicht, wie seine Firma heisst! Er hat sich nicht dazu geäussert. Vielleicht kannst du das in Erfahrung bringen. Du hast vorhin vom I.R.S. geredet – die müssten das auf jeden Fall wissen.‘
‚Ihr könnt doch in die Computer der anderen staatlichen Behörden rein? Ohne dass jemand bemerkt, wer da geschaut hat?‘
‚Das ist ein Gerücht!‘
Jetzt war es an mir, hörbar Luft abzulassen: ‚He! Wir reden hier unter vier Augen! Mich musst du nicht anlügen. Das ist dir bewusst, oder?‘
‚Mann, wir brauchen dafür einen richterlichen Durchsuchungsbefehl. Und nicht uns lassen sie in ihren Computern rumwühlen, das I.R.S. schickt uns die angefragten Unterlagen zu. So ohne Weiteres dürfen wir nicht selbst in ihren Akten rumsuchen. Alle Behörden nutzen ein gemeinsames Sub-Netz, mehr nicht.‘
‚Da habe ich ja bessere Karten!‘, übertrieb ich etwas. Für uns funktionierte das eben über langjährige private Kontakte. ‚Und was macht ihr, wenn ihr Weiteres wissen müsst? Ihr habt doch sicher IT-Leute, die halb-offiziell in jeden Computer reinkommen?‘
‚Nein! Höchstens in Washington! Die örtlichen Büros nicht. Wir sind nur zwei Hände voll Leute hier in New York. Du kannst uns gerne jederzeit besuchen, dann darfst du dir alles ansehen. Ich führ‘ dich sogar rum.‘
‚Okay! Ich kümmere mich drum… Gibt es noch etwas, was Du oder ich vom anderen wissen sollten? Ansonsten würde ich gerne mein Bett wiedersehen. Will morgen früh raus.‘
‚Nichts wirklich Wichtiges mehr. Du musst mir eh bald einen Zwischenbericht schicken. Danach können wir weiter reden.‘
Wir holten ihr Auto aus der Hotelgarage und sie fuhr mich in die Nähe meiner Hütte. Unterwegs fragte ich sie nach ihrer Karriere beim FBI.
Sie war kurz nach dem Start ihrer eigenen Agentur bei einem Fall der Drogenbehörde in die Quere gekommen, und deren Mitarbeiter setzten sie sofort für ihre eigene Aufklärung mit ein. Dabei hatte sie wohl Eindruck geschunden, so dass die DEA sie für eine (FBI)-Special Agent-Ausbildung in Quantico empfahl. Diese schloss sie nach ihren Aussagen mit Bravour ab. Seitdem arbeitete sie erfolgreich für das FBI, was ihr wohl extremen Spass machte. In New York darf sie nun alle Kollegen herumkommandieren. Davon träumte sie bereits, als sie noch mit mir rumschnüffelte.
Sie setzte mich an der Ecke zu meinem Block raus. Nicht ohne mir anzubieten, am kommenden Wochenende mit ihr einen privaten Ausflug nach Massachusetts zu unternehmen. Ich war nicht interessiert. Deshalb folgte wohl am Ende ein ziemlich böser Spruch und sie knallte die Tür zu. Danach schoss sie mit ihrem Auto davon…
Ich drehte mich um und lief die paar Schritte zu meinem Quartier. Vor dem Hauseingang stand – sachte von hinten angestrahlt – eine Frau und rauchte. Das war in meiner Gegend nicht ratsam. Bei uns gab es keine Pförtner mehr, die hilfreich hätten sein können. Deshalb blieb ich stehen und zündete mir ebenfalls eine Zigarette an – um diese Frau nicht in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie blieb jedoch wie angewurzelt stehen. Also schaute ich genauer hin, es war Doris. Ganz schön mutig von ihr. Doch was wollte sie? Woher wusste sie, wo ich wohnte? Von mir hatte sie die Adresse nicht. Auf meinen Karten stand nur die der Agentur. Dieses Mal konnte ich die Frage aber schnell klären. Ich brauchte nur ein paar Schritte gehen, um sie zu stellen. Was ich auch tat: ‚He, junge Frau! Lange nicht gesehen?‘
‚Ihr wart so schnell weg, und ich wollte dich unter vier Augen um etwas für mich Wichtiges bitten.‘
‚Na gut! Lass uns rein gehen! Nachts hier draussen rumzustehen ist nicht die beste Idee.‘
‚Darf Frau oben rauchen?‘
‚Sicher! Du kannst sogar einen Whiskey bekommen. Hab‘ noch einen Rest von deinem Boss.‘
Im Hausflur erklärte sie mir, woher sie meine Adresse kannte: Kathy hatte die ihr gegeben. Mit der musste ich wohl echt mal Tacheles reden. Zuerst die Frage nach dem Wochenendausflug, und nun erfuhr ich, dass sie mir eine andere Frau auf den Hals gehetzt hatte. Dabei plante ich doch nur mal eine ruhige Nacht und ein relaxtes Wochenende. Zumindest das erste hatte sie mir auf die Weise versaut.
Ich öffnete die Tür zu meinem Empfangszimmer und empfahl Doris, sich eine Sitzgelegenheit zu suchen. Ich müsse noch saubere Gläser besorgen. Wollte ihr nicht sagen, dass ich die erst abwaschen musste.
‚Hättest du vielleicht einen Salat? Der kleine Hunger plagt mich.‘
‚Ich hoffe nicht! Ich könnte dir aber ein paar Eier mit Schinken und Toast machen.‘
‚Auch gut!‘
In der Küche sah ich, dass es bereits fast drei war. Jetzt lohnte sich das Schlafen ohnehin nicht mehr. Also haute ich mir ebenfalls ein paar Eier mit in die Pfanne und lockte so Doris an den Tisch.
Wir setzten uns und schauten kurz im Fernsehen, was es Neues in der Welt draussen gab.
‚Rühreier mit Schinken kannst du - kannst du auch Kaffee?‘
Diese Frage war wohl ernst gemeint. Also musste ich noch mal hoch, um Wasser aufzusetzen. ‚Was ist denn so dringend, dass du mich unbedingt heute noch fragen musst?‘
‚Ben Jamen fliegt morgen nach Toronto.‘
‚Das hätte doch sicher Zeit gehabt? Zumal mir Kathy das bereits gesteckt hat.‘
‚Darum geht es ja auch nur am Rande. Ich muss Sonntag selbst nach Kanada und brauche einen netten Beifahrer. Ben hat das sonst gemacht, kann jedoch diesmal nicht extra dafür zurückkommen. Das Auto stellt die Galerie, und Ball hätte gerne einen wehrhaften Fahrer – zu meinem Schutz und dem der Ausstellung. Das heisst, er zahlt dafür. Auch für die Spesen!‘
‚Wie ich schon zu Ball gesagt habe: Pete Thief macht unsere Dienstpläne! Ich darf zwar mitreden, aber die letzte Entscheidung liegt bei ihm. Und – viel wichtiger – ich bin kein professioneller Fahrer und Bodyguard für Kunstwerke! Auch bin ich lieber ohne Waffe unterwegs, ist gesünder. Hinzu kommt: Ich bin nicht für eine Handvoll Dollar zu haben! Da muss das Geld schon stimmen.‘
‚Unsere normale Sicherheitsfirma ist ebenfalls nicht billig. Ich bin ungern mit einem von diesen Schlägertypen ‘ne gute Woche unterwegs. Gib doch bitte mal deinem Herzchen einen Ruck!‘
‚Warum liegt dir so viel an mir? Mit professionellen Fahrdiensten ist es sicherer für dich. Die sind für alle möglichen Vorkommnisse ausgebildet und extra versichert. Mir ist deshalb nicht einmal klar, ob ich so etwas überhaupt machen darf. Immerhin will ich ja dafür bezahlt werden und in diesem Falle sind gewisse Zusagen unsererseits nötig. Für die ich eventuell nicht qualifiziert bin. Dazu gibt es bestimmt irgendwelche Regeln, die Pete kennt, aber ich nicht. So einfach wird das nicht möglich sein. Eigentlich müsste das auch Ball und sogar dir klar sein. Tut mir leid!‘
‚Ach, bitteee!‘ Sie liess ihre Gabel los und legte die Hände zusammen. Dazu schaute sie mir mit einer Art Hundeblick tief in die Augen.
In diesem Moment fing der Kessel an zu pfeifen. Erleichtert stand ich auf und goss das kochende Wasser in ihre Tasse. Das roch so gut, dass ich mir noch schnell selbst einen Kaffee zurechtmachte. Balls Whiskey war zwar nun leer, doch ich hatte für solche Fälle immer in allen Zimmerecken welchen rumstehen: ‚Du auch?‘
‚Nee! Um diese Zeit keinen Alkohol mehr.‘ Sie hatte ihr Glas bisher nicht angerührt, schien also zu stimmen. ‚Was ist nun mit Toronto?‘
‚Wie ich bereits sagte: Ich muss mich erst mit Pete beraten. Wir sind eine seriöse Firma und wollen uns nicht durch eine Dummheit alles versauen. Auch ich kann mal am Lenkrad einpennen oder sowas, und dafür will ich weder die Agentur noch meinen Job aufs Spiel setzen.‘
‚Hast du noch nie einen eurer Werttransporte gefahren? Oder wenigstens begleitet?‘
‚Als Fahrer nie! Selten als Begleiter und nur bei kurzen Strecken innerhalb der Stadt, vielleicht zwei oder drei Mal bisher. Halt, wenn Not am Mann war.‘
‚Aber einen Transporter darfst du fahren?‘
‚Ja, sicher! Aber Ball wird uns doch ein gepanzertes Fahrzeug geben. Und solche sind deutlich schwerer und haben ein anderes Fahrverhalten als normale. Das müsste ich erst lernen, und genau dort liegt ein Problem für mich.‘
‚Ach! So anders lenken die sich nicht. Ich bin schon welche gefahren. Jamen und ich haben uns ja immer abgewechselt. Das ist kein Problem. Wir sind doch praktisch fast die gesamte Zeit auf Highways unterwegs. Und so wertvoll ist die Ladung dieses Mal auch wieder nicht. Wir brauchen keinen Spezialtransporter.‘
‚Mag sein! Aber ich will mich dennoch zuerst mit Pete bereden. Ende jetzt! Ich bin morgen Nachmittag bei euch, dann können wir das ausdiskutieren. Nicht vorher!‘
Doris verzog zwar ihren Mund, aber sie akzeptierte meine Entscheidung. Ich nahm einen kräftigen Schluck aus meiner Tasse und fragte sie, was sie denn jetzt noch vor hätte. Ich wollte unter die Dusche, mich frisch machen. Ins Bett lohnte sich nicht mehr, da würde ich vor Mittag kein Auge aufbekommen. Aber rauswerfen wollte ich sie auch nicht.
‚Weiss nicht! Wann musst du denn wieder los?‘
‚Eigentlich wollte ich ausführlich duschen, und danach ins Büro. Ich schlafe dann morgen Nacht doppelt.‘
‚Könntest du mich an der Galerie absetzen?‘
‚Ich laufe! Geht schneller!‘
‚Weiss ich! Geh du duschen, ich setze nochmal Kaffee auf. Danach können wir beide zusammen laufen. Okay? Wie spät ist es denn eigentlich?‘
‚Dort ist die Uhr! Es ist fast halb fünf!‘
‚Gut! Ich warte hier, bis du fertig bist.‘
‚Okay!‘
In meiner Schlafecke suchte ich mir schnell halbwegs saubere Wäsche zusammen und verschwand im Bad. Aus dem Augenwinkel sah ich dabei, dass Doris ihren Kopf auf dem Küchentisch liegen hatte.
Ich liess mir viel Zeit im Bad. So früh gab es mal echt heisses Wasser. Das musste ausgenutzt werden. Zum Schluss ging ich zum Wechselduschen über: Lange heiss, kurz kalt! Nicht etwa von einem Strahl zum nächsten. So schwach ist unser Wasserdruck nun auch wieder nicht…
Als ich aus dem Bad kam, lag Doris‘ Kopf immer noch auf dem Tisch, mit ihrem Körper dran. Ich sprach sie kurz an, doch sie reagierte nicht. Atmete aber regelmässig. Also schrieb ich ihr einen kurzen Zettel, dass sie sich ruhig in meinem Bett ausschlafen dürfe. Zusätzlich legte ich ihr einen Schlüssel daneben, mit der Bitte, abzuschliessen und ihn mir in der Galerie wiederzugeben.
Im Hausflur lief ich unserem Hausmeister direkt in die Arme. Ich erklärte ihm Doris und bat ihn, ihr keine Probleme beim Verlassen des Hauses zu machen. Als ich vor die Tür trat, wurde gerade mein Lieblingsfrühstücksimbiss aufgeschlossen. So kam ich denn doch zu Kaffee und noch mehr Eiern. Dieses Mal gespiegelt und nicht verrührt. Sogar die Times war schon ausgelegt.
Nach einer guten halben Stunde war ich gesättigt und auf der Höhe der Zeit. Gut gelaunt ging ich in die Agentur, wo ich ausnahmsweise mal der Erste war: Ich musste aufschliessen. Nachdem ich meinen Tisch fand, setzte ich mich und fühlte mich schlagartig völlig kaputt. Ich lehnte mich im Stuhl zurück und wollte kurz meine Füsse hochlegen. Keine Ahnung, ob es mir gelungen war…
Im Traum glaubte ich, im Wald zu sein. Der Geruch war so intensiv, dass ich davon aufwachte. Mir gegenüber stand unser Empfangsmädel, wie eine Revolverheldin bewaffnet mit zwei Spraydosen – direkt auf mich gerichtet.
‚Was machst du denn da?‘
‚Ich verschiesse hier einen angenehmeren Duft.‘
‚Ich bin frisch geduscht.‘
‚Mag sein, aber du hättest dir die Zähne putzen sollen.‘
‚Ist das echt so schlimm?‘
‚Komm auf meine Seite und rieche nach!‘
‚Sorry! Irgendwo habe ich hier Kaugummis rumliegen. Die helfen etwas.‘ Dennoch schnappte ich mir meine Zigaretten und stieg aus dem Fenster. Sie folgte und leistete mir auf der Feuertreppe Gesellschaft.
‚War wohl eine lange Nacht gestern?‘, wollte sie wissen.
‚Ohh, ja! Will heute früher Schluss machen und habe viel zu erledigen. Bis morgen Abend muss ich obendrein den ersten Zwischenbericht fertig schreiben. Werde nächste Woche nicht da sein.‘
‚Schon wieder Urlaub? Oder Arbeit?‘
‚Arbeit! Urlaub wird das bestimmt nicht.‘
‚Wo geht’s denn hin? Oder darfst du darüber nicht reden?‘
‚Doch, doch! Muss eine nette Dame nach Toronto und wieder zurückbringen.‘
‚Das mit der Dame hättest du nicht extra betonen müssen. Habe noch nie erlebt, dass du einen Mann rumgefahren hast.‘
‚Ist aber schon passiert, lange her! Ich such mir halt inzwischen die richtigen Aufträge aus. Als Senior in der Agentur steht mir das zu…‘
Ich drückte meine Zigarette aus: ‚Hast du eine Ahnung, wann Pete heute kommt?‘
‚Er sitzt in seinem Büro.‘
‚Oh Mann! Wie spät ist es denn?‘
‚Kurz nach acht!‘
‚So früh kommt Pete? Ich sollte wohl öfter mal vor dem Frühstück hier erscheinen.‘
Sie lächelte, und bemerkte nur: ‚Als Senior Detektiv hast du das nicht nötig!‘
Ich stieg wieder ins Büro und ging zu Pete.
‚War wohl ‘ne schlimme Nacht? Mit Kathy?‘ Nicht einmal einen guten Morgen wünschte er mir.
‚Anstrengende Nacht, ja! Kathy war auch dabei. Doch die konnte ich mir vom Hals halten.‘
‚Dann wäre doch sicher Zeit geblieben, um dich zum Lüften nach draussen zu hängen.‘
‚So krass war es nicht. Habe auch geduscht und sogar meine Klamotten gewechselt. Aber der Whiskey war genial.‘
‚Naja, und danach im Imbiss gefrühstückt! Dein Anzug merkt sich alles! Habe die Dame vorne zum Einkaufen geschickt. Raumspray!‘
‚Ich weiss! Sie hat mich ungewollt geweckt. Hab intensiv geträumt, ich wäre im Wald… Doch der Abend hat sich gelohnt.‘
‚Höre ich gerne! Du machst also weiter?’
‚Ja! Und darüber müssen wir uns kurz unterhalten. Es kommt ein Auftrag von der Galerie. Ich soll eine Mitarbeiterin nach Toronto fahren, um eine neue Ausstellung abzuholen. Dauert wohl insgesamt fast eine Woche.‘
‚Das ist doch gut. Warum müssen wir da reden?‘
‚Erstens habe ich dem Chef von der Thaft gesagt, er soll dich fragen. Und Zweitens weiss ich nicht, ob ich sowas überhaupt darf, versicherungsseitlich.‘
‚Wir sind beide in die Papiere für die Werttransporte mit eingetragen – als Fahrer und Aufpasser! Wir haben damals sogar diesen Test mitgemacht. Kannst du dich daran nicht mehr erinnern?‘
‚Das war dafür? Und du lässt mich für eine Woche von der Leine?‘
‚Hat doch mit Kathys Fall zu tun, oder? Warum sollten wir uns nicht von zwei Brotherren für den gleichen Job bezahlen lassen? Zumal sie sowas ja im Grunde vorgeschlagen hatte. Hast denen wohl ein herrliches Schauspiel geboten? Wäre gerne dabei gewesen.‘
‚Wir haben erzählt, dass wir als Privatpersonen dort wären. Ich kannte zufällig den Künstler vom Namen her. Und habe mir eine seiner Skulpturen gekauft. Hat scheinbar gewirkt!‘
‚Schreib die Kathy mit auf die Rechnung! War doch im Sinne der Aufklärung, und sie obendrein Ohrenzeuge. Oder?‘
‚Gar Augenzeuge! Aber gute Idee! Ich mache bis morgen einen Zwischenbericht fertig. Muss vorher nur ein paar Leutchens um einige Gefallen bitten und heute Mittag in die Galerie, die Skulptur bezahlen.‘ Auf dem Weg zur Tür fiel mir noch ein, dass es praktisch wäre, einen Preis für Ball abzumachen: ‚Was soll ich denn für den Transport aufrufen?‘
‚Das Übliche! 500 Bucks pro Tag plus Spesen für dich plus 2,000 Dollar die Woche fürs Fahren, diese im Voraus. Stellen die das Auto? Und einen Beifahrer?‘
‚Auto kommt von denen! Und die junge Dame reicht aus. So wertvoll ist das Zeug wohl nicht wirklich. Irokesenkunsthandwerk! Kann aber unterwegs eine Menge über diese Thaft-Leute herausfinden. Für Kathys Rechnung!‘
‚Gut! Das FBI hat es doch – wenn die wollen!‘, und dann rief er mir hinterher, dass er immer noch auf seinen heissen Kaffee wartete…
Zurück am Schreibtisch bekam ich einen solchen Schrecken, dass an ein erneutes Nickerchen nicht mehr zu denken war: Ich hatte den falschen Anzug an. Besser gesagt, schon den richtigen, den müffelnden sauberen – doch mit vielen leeren Taschen. Handy, Notizbuch und Brieftasche steckten zu Hause im Wäschekorb. Hoffentlich wollte sich Doris nicht bei mir bedanken, indem sie meine Anzüge wusch. In meinem Block befand sich ein Waschsalon. Wenigstens meine Schlüssel und etwas Kleingeld hatte ich einstecken. Ansonsten wäre es mir bereits im Imbiss aufgefallen.
Also rief ich mich zuerst selbst an. Doris nahm den Hörer nicht ab. Sie hätte die Sachen mit in die Galerie nehmen können, im Notizbuch stand glücklicherweise noch nichts zum Fall. Den Rest konnte sie durchaus lesen bzw. checken. Im Handy waren kaum Nummern gespeichert und an meine Mails kam sie mit dem Teil nicht ran. Das habe ich nie programmieren können.
Auch der Hausmeister hatte sie nicht gesehen. War sie nun schon weg, oder hatte sie einen tiefen Schlaf? Wahrscheinlich musste ich doch noch mal zurück, bevor ich zur Galerie aufbrach. Schon wegen des Geldes für die Skulptur.
Ich überlegte: Alle, die ich anrufen wollte, fingen normalerweise erst später an mit ihrer Arbeit. Ausser beim I.R.S.. Also suchte ich mir die Nummer von Jenny raus und rief sie als erste an. Sie war sofort am Rohr. Nach ein wenig Small Talk kam ich zur Sache: ‚Ich brauche deine Hilfe. Dieses Mal sind es nur Auskünfte zu zwei Firmen: Namen der Gesellschafter, Hauptsitz, und so was. Keine Infos zu den Umsätzen!‘
‚Dafür könntest du doch beim Gewerbeamt vorbeigehen, oder?‘
‚Ein bisschen genauer bräuchte ich es schon. Die erste Firma heisst Thaft Gallery Inc.!‘
‚Moment! Der Name sagt mir was. Ich schaue nach.‘
‚Wäre sehr nett!‘
Es dauerte zwei, drei Minuten bis sie sich wieder meldete: ‚Wow! Mit kleinen Dingen gibst du dich wohl nicht ab? Die ist eine Inc. mit anderen Inc.‘s als Gesellschafter, keine Privatpersonen. Und hauptsächlich im Kunstbereich tätig. Verdächtig, verdächtig! Mitglieder sind Gesellschaften aus Kanada und den USA, wobei hauptsächlich Indianernationen mitmischen – die Navajos, die Irokesenliga und sogar die Inuit. Geschäftsführer und einziger Mitarbeiter ist ein Eli J. Fant III. Eigenartiger Name! Der ist New Yorker, und die Firma ist auch hier eingetragen. Noch was?‘
‚Jetzt sage ich Wow! Eli Fant? Das ist der zweite, nach dem ich dich fragen wollte. Der hat doch noch eine eigene Firma, programmiert Webseiten – oder so? Kannst du auch sagen, wie seine IT-Firma heisst?‘
‚Klar: Elephant Webdesign! Keine Incorporated oder so! Reine Personengesellschaft, ohne feste Mitarbeiter! Ist nur ‘ne Minifirma. Kaum Umsatz! Scheint mir eher ein Abschreibeprojekt zu sein. Wie gesagt, dafür hättest du mich nicht anrufen müssen. Diese Infos findest du frei im Netz.‘
‚Eine weitere Frage: Wozu gehört die New Yorker Thaft Galerie Niederlassung überhaupt? Die muss doch eine der vielen Thafts sein.‘
‚Die Galerie in der Fünften? Die ist Eigentum der Thaft Galleries Inc. in Window Rock in Arizona. Geschäftsführer ist ein Navajo: John Standing Ball. Manhatten ist nur ein Briefkasten. Wie ich schon fragte: Mit kleinen Dingen gibst du dich wohl nicht ab? Wir wissen auch nicht, wer da wo wie viel Geld am Ende verdient. Die Räume in Toronto und in New York haben sie von einer Mohawk Immobilien Firma gemietet, Hauptsitz Ohsweken, ON, im Six Nations Territory. Die wiederum haben einen Geschäftssitz in Brooklyn.‘
‚Danke, das war mehr als ich erhofft hatte! Ich schulde dir ein Essen! Ich hätte das nicht so schnell herausgefunden… Wie geht’s denn deinem Mann und den Kindern? Die lade ich natürlich mit ein.‘
‚Darauf komme ich zurück! Der Familie geht es gut – ich melde mich, wenn wir Zeit haben. Wäre Ende des Monats okay für dich?‘
‚Klar! Melde dich rechtzeitig, bitte! Bin in den nächsten Wochen viel unterwegs. Aber es lässt sich sicher ein Datum finden. Besten Dank noch mal! Hast mir wahrlich viel Arbeit erspart.‘
Ich legte auf. Wirklich wow! Scheinbar war das I.R.S. schon auf Ball und Co. aufmerksam geworden. Hatte Jenny zwar nicht so direkt gesagt, aber ihre Kommentare wiesen in diese Richtung. Darüber musste ich auf jeden Fall mit Kathy reden. Vielleicht konnte sie ja doch in Washington in ihrer IT-Abteilung was erreichen? Komisch nur, dass sie nicht wusste, dass Eli Fant den obersten Chef des Thaft-Netzwerkes mimte, selbst wenn er dort wahrscheinlich nur eine Marionette war. Ich hatte jetzt zumindest eine Ahnung, auf was ich in der nächsten Zeit achten sollte. Ich hoffte nur, wir kamen der Steuerfahndung nicht in die Quere. Sowas konnte unangenehm werden.
Als nächstes rief ich den Häuptling beim NYPD an. Eine ziemlich verkaterte und vor allem sehr müde Stimme meldete sich: ‚Eisenaxt! Ich wünsche ihnen einen herrlichen Guten Morgen!‘
‚Ach, Häuptling! Mir brauchst du nichts vormachen! Ich war dabei! Auch dir einen ruhigen Morgen!‘
‚Hätte ich doch lieber aufs Display geschaut, dann hätte ich weiter unauffällig meine Augen pflegen können… Hat dich die Millern schon wieder losgelassen?‘
‚Was ihr alle mit Kathy habt! Das ist vorbei, wir haben uns gestern eher zufällig getroffen und am Ende hat sie mich aus ihrem Auto geworfen. War mir ganz lieb so…‘
‚Aber ihr arbeitet doch zusammen an einem Fall, oder?‘
‚Wie kommst du darauf?‘
‚Sie hat mich bereits vor ‘ner halben Stunde angerufen. Die Thaft wäre ein FBI-Fall, und wir sollten uns etwas zurückhalten. Sie würde uns bezüglich der Einbrüche mit Infos versorgen. Und du warst mit ihr auf der Ausstellung, das stinkt nach Zusammenarbeit. Dafür reicht meine Phantasie aus.‘
‚Okay, okay! Unter anderem deshalb rufe ich dich an. Die Ansage an euch kann ich mir jetzt also sparen. Habe aber eine weitere Frage: Dieser Eli Fant – welche Rolle spielt er für euch?‘
‚Der ist eigentlich harmlos. Er war als Teenager in die üblichen Bandendelikte als Mitläufer verstrickt, hat sich aber relativ schnell daraus gelöst. War dann eine Zeit lang als Informant für uns tätig. Das hat uns aber nichts gebracht. Wir haben ihn halt gestern mal wiedergesehen und mit ihm über die alten Zeiten geschwafelt. Mehr nicht! Laut Ball soll er heute in der Firmenleitung bei Thaft mitspielen. Hat sich doch gut entwickelt, oder?‘
‚Weiss nicht! Irgendetwas an ihm gefällt mir nicht. Kann aber nicht sagen, was. Er sieht so unauffällig aus, scheint jedoch ein ziemlich cleveres Kerlchen zu sein. Der macht bestimmt nichts nur zum Spass. Am Ende sollte für ihn was rausspringen, denke ich.‘
‚Das war auch früher schon so. Er ist uns aber nie wirklich negativ aufgefallen. Inzwischen hat er eine saubere Akte.‘
‚Du weisst, dass gerade deine letzte Bemerkung ihn für mich erst recht verdächtig macht. Wenn man eine solche Vergangenheit hat, mit Banden und so zu tun hatte, kann man keine weisse Weste haben. Manche dieser Leute werden mit der Zeit schlauer und gerissener. Die werden dann eher ein Fall für Leute wie mich.‘
‚Da magst du Recht haben. Nur beweisen musst du’s am Ende…‘
‚Klar, werde ich auch machen, wenn an meinem Verdacht was dran ist… Noch ’ne Frage, rein persönlicher Natur: Zu welchem Stamm rechnest du dich eigentlich?‘
‚Könnte ja der Einfachheit halber Cherokee sagen. Das wäre aber nicht richtig: Mein Vater ist ein Mohawk-Bauarbeiter aus Brooklyn, und meine Mutter Seminolin. Bei letzteren ist es halt fast genauso wie mit den Cherokee, jeder darf mitmischen. Doch über meine Eltern habe ich durchaus einen funktionierenden Draht zu meinen Verwandten. Bin aber in Brooklyn aufgewachsen und ein reiner Grossstadtindianer. Habe nie im Wald gelebt, ausser in meinen Ferien, und ich sehe nur entfernt wie einer aus. Werde also nie ein echter Häuptling werden.‘
‚Danke! Vielleicht lade ich dich mal zum Essen ein. Die Irokesen interessieren mich.‘
‚Nur zu! In meinem Magen ist immer Platz für gutes Futter. Melde dich einfach, wenn es dringend wird!‘
‚Klar, das machen wir! Wenn ich mal wieder etwas mehr Zeit habe…‘
Aha, Kathy wandelte also bereits wieder unter den Erweckten. Ich brauchte mein Netzteil, noch vor dem Wochenende. Das musste sie mir dringend zurückgeben. Ich rief sie auf ihrem Handy an.
‚Was willst du denn so früh? Ist doch gar nicht deine Zeit‘, schallte es sofort in meinem Ohr.
‚Du schleppst immer noch mein Ladegerät mit dir rum. Das brauche ich!‘
‚Reicht es morgen Mittag? Wollte dann bei euch vorbeischauen… Und deinen ersten Bericht abholen.‘
‚Den schaffe ich aber nicht bis Mittag.‘
‚Mann, dann mach‘ ihn jetzt fertig!‘
‚Geht nicht! Muss noch meine Skulptur bezahlen gehen, und erfahre dabei eventuell weitere interessante Fakten für euch. Deshalb komme ich erst morgen Nachmittag zu dem Bericht – falls du mittags nicht zu lange hier bleibst.‘
‚Dann komme ich eben später. Da musst du länger warten – hältst du bis dahin durch?‘
Diese Spitze wegen meiner blöden Bemerkung beim Essen am Vortag hätte sie sich sparen können. Oder wollte sie herausfinden, ob ich eventuell anderweitig tätig gewesen war? Was wusste sie über die Nacht mit Doris? ‚Ich glaub schon. Nur ob mein Handy so lange durchhält, weiss ich nicht. Nutze es zu selten… Ahh, bevor ich es vergesse: Gib meine Privatadresse nicht an Aussenstehende weiter! Es hat einen Grund, warum ich die nicht verteile.‘
‚Doris hat so nett gefragt und ich dachte, du hättest bei ihr nichts dagegen.‘
‚In dem Fall hätte ich sie ihr selbst gegeben… Sie stand vor meiner Tür, als ich nach Hause kam!‘
‚Huuuhh! So schnell hätte ich nicht erwartet. Tut mir echt leid! Bist du denn überhaupt zum Schlafen gekommen?‘
‚Jaa! An meinem Schreibtisch! Ich hoffe nur, Doris steht jetzt nicht mehr vor dem Haus. Müsste mich umziehen gehen.‘
‚Solche Angst hast du vor der Frau? Kein Wunder, dass du nicht mit mir ins Wochenende wolltest. Deine Vorlieben haben sich wohl in der Zwischenzeit geändert?‘
‚Jein! Vergiss das Ladegerät morgen nicht! Bis dann!‘
Ich legte schnell auf, es wäre ansonsten noch eine Weile so weiter gegangen. Ich hatte allerdings die Befürchtung, sie würde am nächsten Tag absichtlich das Ladegerät vergessen und mich so zwingen, mit zu ihr zu fahren. Das wollte ich nicht. Also ging ich noch mal zu Pete und brachte ihm frischen Kaffee.
‚Du sag mal: Haben wir Ersatzladeteile für diese schlauen Handys?‘
‚Hast du deines verloren?‘
‚Nein! Kathy hat es mir gestern abgenommen und ich befürchte, sie zwingt mich zu einem Ausritt in ihr Apartment, um es zu bekommen.‘
Pete beruhigte mich jedoch: ‚Sandy hat zwei vorne im Schrank, davon kannst du dir eines geben lassen. Bringe es aber zurück, wenn du es nicht mehr brauchst!‘
Gute Nachricht: Unsere Empfangsdame hiess Sandy! Heute konnte ich sie mal richtig ansprechen. Hatte sie sich verdient. Wir kamen ja gut miteinander klar – sie konnte doch nichts dafür, dass ich so ein grantiger alter Knacker bin und mir die Namen unserer Mitarbeiterinnen nicht mehr merke.
Und richtig: Als ich sie Sandy nannte, fiel ihr der Kugelschreiber aus der Hand…
Ich bekam eines der Ladegeräte und musste sogar eine Quittung dafür unterschreiben. Dann rächte sie sich an mir: ‚Danke!‘, und schaute sich die Unterschrift genau an, ‚Sam!‘ Sie lächelte dazu. Es war ein schönes Lächeln, und bekam auch mein schönstes als Antwort.
An meinem Schreibtisch schrieb ich noch diverse Notizzettel voll, mit all den Fakten zum Fall, die ich bisher herausgefunden hatte. War erstaunlich viel, so dass ich sie lieber gleich nach Antworten sortierte.
Anschliessend machte ich mich auf den Weg nach Hause, nicht ohne mich von Sandy zu verabschieden: ‚Ich gehe dann mal, mir die Zähne putzen. Und muss zur Galerie, etwas erledigen. Will dort einen guten Eindruck machen. Eventuell schaue ich zu Feierabend noch mal rein. Angenehmen Tag noch, Sandy!‘
Und weg war ich…
Unterwegs leistete ich mir einen dicken Burger, dieses Mal ohne Zwiebeln. Ich wollte in der Thaft zeigen, welch‘ dufter Typ ich bin. Also liess ich mich im Parfümdiscounter an der Ecke beraten und kaufte eines der von der Verkäuferin empfohlenen Fläschchen. Ich war mir nicht sicher, ob ich irgendwo etwas Ähnliches bei mir herumstehen hatte.
Nach dem Aufschliessen hörte ich deutlich meine Dusche rauschen. War Doris etwa noch da? Oder wieder da? Ich klopfte an die Badtür – und das Rauschen hörte auf: ‚Bist du das, Sam?‘
‚Ja! Brauchst du lange? Ich muss auch auch mal duschen.‘
‚Habe gerade erst angefangen. Aber komm ruhig rein. Kein Problem!‘
‚Nein! Lieber nicht! Lass dir Zeit, ich setze in der Zwischenzeit Kaffee für uns auf.‘
‚Super!‘
Ich suchte mir schnell meine drei Sachen aus der Dreckwäsche und griff mir aus dem Wandschrank einen garantiert frisch gewaschenen Anzug. Als der Kessel mich in die Kochecke zurückpfiff, steckte ich alles, was ich in der Galerie nachher brauchte, in die Taschen des sauberen Anzuges. Danach legte ich diesen Packen inklusive meines Einkaufes auf einen Stuhl in Badnähe.
Es dauerte eine Weile, bis sich Doris zu mir in die Küche setzte. Ich schob ihr einen Kaffee zu und verschwand selbst unter der Dusche.
Inzwischen war ich soweit beieinander, dass ich vor dem Verlassen des Bades alle meine Taschen auf Vollständigkeit überprüfte und hoffte, das neue Geruchswässerchen nicht zu verschwenderisch eingesetzt zu haben.
Anschliessend setzte ich mich zu Doris: ‚Ausgeschlafen?‘
‚Ja! Hast ein bequemes Bett, und breeiiit! Schläfst du da alleine drin?‘
‚Darüber rede ich nicht!‘
‚Naja! Du hast ja nicht einmal eine zweite Zahnbürste da. Ich denke mal, dass das eher normal ist… Aber dieses Deo darfst du gerne mit nach Toronto nehmen. Gefällt mir!‘
‚Reden wir über etwas anderes, bitte!‘ So genau wollte ich nicht wissen, was auf mich zukommen würde. ‚Jetzt können wir doch gemeinsam in die Galerie gehen. Muss nur vorher zur Bank, das Geld holen.‘
‚Liegt die auf dem Weg?‘
‚Im Prinzip, ja! Ist nur minimal weiter! Die findet sich zwischen der 29. und 30. auf der Fünften.‘
‚Na gut! Das schaffe ich grade so… Lass uns losgehen. Komme eh schon zu spät.‘
‚Ist denn jetzt überhaupt jemand bei euch in der Galerie? Oder musst du aufschliessen?‘
‚Eli wohnt im Haus, unter mir! Wenn jemand rein will, funktionieren unsere Klingeln gemeinsam! Auch haben wir eine Studentin, die auf den Laden aufpasst – am Tag nach einer Veranstaltung. Wir öffnen erst mittags und Laufkundschaft ist bei uns eher rar gesät.‘
‚Sind wir dann nicht zu früh dran?‘
‚Nein! Wenn Mr. Ball in der Stadt ist, kannst du deine Uhr nach ihm stellen: Punkt 12 Uhr mittags betritt er die Galerie. Ich sagte doch, ich komme zu spät. Er legt grossen Wert darauf, dass ich dann am Schreibtisch sitze. Deshalb brauche ich dich: Du bist mein Alibi!‘
‚Bis vor ‘ner halben Stunde konntest du nicht wissen, dass ich wiederkomme, oder doch?‘
‚Ich hab’s gehofft! Aber los jetzt, bitte!‘
‚Ja, ja! Muss nur noch meinen Hut holen.‘
Dieser fand sich aber nicht in meiner Wohnung. Also musste ich unbehütet mein Haus verlassen. Wo war er nur abgeblieben? Wann hatte ich ihn das letzte Mal auf? Als ich abends in die Galerie kam, oder hing er gar beim Koreaner am Haken? Findet sich! Im Büro hatte ich ausserdem eine grosse Auswahl, für einen Fall mit Hüten…
*
Doris hatte Glück: Ball war ausnahmsweise noch nicht da, tauchte aber kurze Zeit später auf. Und mein Lieblingshut befand sich auf seinem Schreibtisch! Leider war er etwas platt. ‚Tut mir leid! Eli Fant hat sich da wohl draufgesetzt, aus Versehen natürlich.‘
Ich richtete ihn so gut wie möglich: ‚Wird schon gehen! Kein Problem, passiert mir auch hin und wieder.‘ Ich nahm die Rolle mit den Scheinen aus meiner Tasche und schob sie ihm zu. ‚Und bitte eine Quittung dafür!‘
‚Klar doch! Mine hat die Skulptur sogar für sie signiert. Eigentlich müsste ich jetzt den Preis erhöhen. Vergessen wir das aber! Ich habe einen Auftrag für sie. Hat Doris mit ihnen schon gesprochen?‘
‚Ja! Und haben sie mit Pete Thief geredet? Wie ich es ihnen empfohlen hatte.‘
‚Er sagte, sie würden den Auftrag übernehmen.‘
‚So habe ich mich mit ihm geeinigt.‘
In diesem Moment kam die Studentin in sein Büro und brachte ihm eine Mappe mit Papieren. ‚Danke! Sie können dann für heute gehen.‘
Das Mädel verschwand wieder so schnell wie sie gekommen war. Ball nahm sich die Mappe und blätterte alles durch. Er entnahm ein Schreiben von Pete, wie ich am Briefkopf ersehen konnte. ‚Hier ist es ja! Er hat mir ihr Angebot zugesandt. Hätte erwartet, es kommt mich teurer.‘
Er sah es sich etwas genauer an: ‚Okay! Er ist nicht der Dümmste! Danach könnte die Summe am Schluss deutlich höher werden. Er hat sich alle Optionen offen gelassen. Warten wir es ab. Ich bin bereit, bei erfolgreichem Abschluss in der vorgegebenen Zeit eine Prämie draufzulegen. So, und nun stecken sie ihre Rolle wieder ein. Sie bekommen noch Geld von mir.‘
Er stand auf und holte eine Geldkassette aus seinem Wandsafe – der phantasielos hinter einem Ölbild eingemauert war. Daraus zählte er mir 500 $ auf den Tisch und schob mir meine Rolle und seinen Stapel zu: ‚Das sind die 2,000 für den Vorschuss! Auch ich benötige eine Quittung!‘ Ich nahm seinen Block und gab sie ihm. Daran hätte ich selbst denken können und dass Ball mir die Scheine ebenfalls in bar über den Tisch reichen würde. Wir hätten das gleiche Spiel mit nur 500 Bucks machen können.
‚Ach so! Hätte ich fast vergessen!‘, und griff ein weiteres Mal in seine Kassette, und nahm den Stapel grüner Scheine wieder heraus. Er zählte mir weitere 1,000 auf den Tisch: ‚Ihr müsst ja sicher tanken. Und braucht zwei Hotelzimmer und müsst essen. Aber bitte seid da nicht so knauserig. Meine Mitarbeiter sollen es sich gut gehen lassen. Dann flutscht die Arbeit besser. Noch Fragen?‘
‚Klar doch! Wie ist das mit der Maut? Habt ihr ‘nen Sender hinter der Stossstange oder muss ich immer ranfahren und zahlen?‘
‚Sender! Könnt‘ immer langsam durchfahren.‘
‚Und wo finde ich den Wagen? Welcher Typ ist es? Ist der gepanzert? Sollen wir eine bestimmte Route fahren, oder den kürzesten Weg nehmen?‘ Mir fielen zwar mehr Fragen ein, doch die reichten fürs Erste.
‚Doris wird sie abholen. Dazu braucht sie die Adresse! Macht die Zeit bitte unter euch aus. Der Wagen ist deutsche Wertarbeit, ein Mercedes Sprinter, die lange Version und nur leicht gepanzert. Kunsthandwerk ist nicht so wertvoll. Insgesamt wahrscheinlich knapp zwanzigtausend Dollar – nicht viel mehr. Der Wagen wird aber pickepacke voll werden. Hinzu könnt ihr den kürzesten Weg nehmen, über Buffalo am besten. Dort gibt es ausreichend gute Hotels für die Nacht. Zurück müsst ihr vorher in Syracuse bei den Onondagas vorbei. Die nehmen euch einen Teil bereits wieder ab und laden dafür andere Dinge aus ihrer Werkstatt dazu. Bei denen könntet ihr in einem der Ferienhäuser übernachten. Aber: Keine der Irokesen-Nationen führt Casinos. Spart euch wahrscheinlich viel Geld!‘
‚Okay! Soweit alles klar! Ich komme ohne Spielen aus. Keine Angst! Und Doris hat meine Adresse bereits! Sind Waffen im Auto?‘
‚Ja! Unter den Fahrersitzen befinden sich zwei AK-9, die dürfen immer geladen sein. Und werden in den Fahrzeugpapieren gelistet. Beide sind auch in Kanada angemeldet, nicht nur in den USA. Sie haben doch einen Waffenschein? Gilt der für automatische Schiesseisen? Und ist der ebenfalls in Kanada gültig?‘
‚Ja, ja! Ich könnte damit auch umgehen, wenn es sein müsste. Doch nehmt die bitte raus, ich benutze nur meine eigenen. Meine Detektivlizenz gilt aber nicht in Kanada, ist normal. Falls notwendig darf ich ermitteln, muss das allerdings den dortigen Behörden melden und mit denen zusammenarbeiten. Und am besten auch dem FBI hier anzeigen.‘
‚Dann macht das mal! Diese Kathy Miller ist doch vom FBI, oder? Man weiss ja nie im Voraus, was alles passieren kann. Ich melde euch beim Zoll an und sage ebenfalls Bescheid wegen der abweichenden Nichtbewaffnung. Ihr werdet offiziell für die Irokesenliga unterwegs sein. Die Kontrollen entfallen also. Dafür müsst ihr euch aber in Syracuse bei den Behörden vorstellen, wenn ihr euch nach New York auf den Weg macht. Doris weiss Bescheid. Hören sie einfach in diesen Dingen auf sie.‘
‚Naja, der Hinweis auf Doris‘ Kenntnisse wäre ganz gut am Anfang gekommen. Wir haben jetzt Donnerstag, das muss also alles morgen erledigt werden, wenn wir Samstag los sollen. Kathy ist kein Ding, aber die anderen Behörden sind nicht die Schnellsten!‘
‚Ich habe Thief alles schriftlich gefaxt. Er wollte sich heute darum kümmern. Er sagte, das würde er hinkriegen.‘
‚Ist ja sein Job, diese Anfragen zu erledigen. Das klappt auch, wenn er heute schon loslegen konnte. Nur freitags ist blöd, nach eins macht jede Behörde nur noch das Notwendigste. Aber selbst in diesem Falle kennt er die Schleichwege.‘
‚Wem sagen sie das? Weitere Fragen?‘
‚Sicher! Doch im Moment keine dringenden, ausser: Wie kann man sie erreichen? Für den Fall, die fallen mir unterwegs ein…‘
‚Doris hat meine Handynummer. Und benutzen sie bitte ihr Handy, dann nehme ich auf jeden Fall ab! Ohh, und bitte nicht vergessen: für diesen extra Tausender brauche ich Quittungen. Nicht belegte Ausgaben ziehe ich von der Rechnung ab!‘
‚Das ist mir klar! Werde dran denken!‘, versicherte ich ihm. ‚Noch was zu beachten?‘
‚Klar doch, nur im Moment ist mein Kopf leer. Doris hat diesen Ritt schon mehrfach gemacht. Das Meiste sollte sie wissen. Einfach auf sie hören vermeidet Überraschungen! Ich mach das auch, falls ich mit ihr mal zusammen unterwegs bin.‘ Und dann kam er mit einem Vorschlag: ‚Laden sie Doris von dem Tausender zum Essen ein! Von mir aus sofort. Dabei können sie alles besprechen… Und wenn ihr zurück seid, können sie ihre Skulptur gleich mitnehmen. Wir brauchen den Platz, um das neue Zeugs zu lagern und aufzubauen.‘
Er reichte mir eine seiner guten Whiskey-Pullen: ‚Für den Weg!‘ Und damit war ich entlassen. Mit seinem Riesen in der Tasche machte ich mich auf die Suche nach Doris: Ich hatte zwar einen Burger schwer im Magen liegen, doch einer bezahlten Mahlzeit war ich nie abgeneigt. In so einem Fall war ich sogar offen für ein gesundes Menü. Vielleicht war Doris damit zu beeindrucken. Aber vorher musste ich noch einmal in Balls Büro: Mein Hut fühlte sich dort wohl. Was ich nicht auf dem Kopf hatte, hatte ich in meinen Beinen…
Doris fand ich unten an ihrem Schreibtisch, in Gesellschaft von Eli Fant und dieser Studentin – so eilig hatte sie es denn wohl doch nicht. Sie blätterten gemeinsam in Ausstellungskatalogen und lachten über alte Geschichten.
‚Dein Chef hat mir erlaubt, dich jetzt zum Essen auszuführen. Damit wir unseren Trip nächste Woche bereden können. Ich habe Hunger, du auch?‘
Sie gab ein paar Anweisungen und schnappte sich ihr Täschlein: ‚Das ist aber nett von Mr. Ball! Hast du Appetit auf was Deutsches? Ich kenne da ein gutes Restaurant auf der Second.‘
‚Kann mich zwar nicht erinnern, dass ich jemals deutsch gegessen habe… Aber warum nicht?‘
Ich hatte echt noch nie die deutsche Küche ausprobiert. Das bemerkte ich in diesem Restaurant. Die Deutschen wissen, wie man für richtige Männer kocht. So gut hatte ich selten gegessen. Die Gerichte wurden erst nach der Bestellung zubereitet, nicht mit der Mikrowelle schnell erhitzt. So sollte Fleisch zurechtgemacht werden. Der Preis allerdings war entsprechend. Doch solange Ball zahlte…
Das gab uns ausreichend Zeit, um unsere Tour durchzuplanen. Doris hatte diesen Trip, nach eigener Aussage, bereits über zwanzig Mal durchgestanden. Ich hätte ihren Chef nicht so viel fragen müssen. Sie erklärte mir manches komplett anders als er. Die beiden AK-9 zum Beispiel nahm sie nie mit. Und an der kanadischen Grenze kannte man sie, bei den letzten Malen wurden sie einfach durch gewunken, nicht einmal die Pässe kontrollierte man. Wer für die Irokesen unterwegs war, genoss scheinbar so einige Vorteile. Man durfte sich lediglich nicht dabei erwischen lassen, dass ein Teil der Lieferung nach New York ging. Dabei ging mir durch den Kopf, dass dies ja praktisch eine Einladung zum Schmuggel war, egal, was man transportierte.
‚Sicher! Das wird ausgenutzt. Schon deshalb schmeisse ich die beiden Knarren lieber raus.‘ Sie hatte sich Leber kommen lassen und schob sich einen Bissen hinter die Kiemen. ‚Mpf, mpf! Doch die Six Nations Leute sind da selbst hinterher. Wenn das überhand nehmen würde, könnten sie ihre Privilegien verlieren. In solchen Fällen arbeiten die sogar mit den kanadischen und amerikanischen Behörden zusammen. Unsere Fahrzeuge werden von den Irokesen unter anderem auf Drogen und Waffen kontrolliert. Aber bei ihrem Kunsthandwerk drücken die immer drei Augen zu. Daran verdienen ja die Nations. Du darfst auch deine Waffen offen tragen, wenn du willst. Hauptsache, du hast einen echten und offiziellen Waffenschein. Was ich annehme. Ich habe auch einen und nehme meinen kleinen Ladykiller mit.‘ Mampf, mampf, mampf! Wir nahmen uns Zeit zum Essen…
Ganz so ohne, wie sie taten, war dieser Trip wohl denn doch nicht. Ansonsten würden Ball und jetzt Doris nicht so viel Wert auf Schiesseisen legen. Wo aber versteckten sich die gefährlichen Momente? Ich wollte auf keinen Fall blinden Auges in etwas Überraschendes hineinlaufen, besser gesagt: fahren. Andererseits: Lebensgefährlich konnte es nun auch nicht sein. Oder würde sich Doris in so einem Fall auf diese Trips einlassen? Den Eindruck machte sie eigentlich nicht auf mich. Wird sicher eine spannende Reise.
Mit einem Stück Brot wischte Doris ihren Teller sauber: ‚Wir sollten so in Buffalo losfahren, dass wir am frühen Nachmittag in Bala am Lake Muskoga sind. Das sind drei bis vier Stunden. Im Wahta Mohawk Territorium organisiert Watahine immer einen PowWow, wenn ich komme. Macht echt Spass. Das Hotel in Bala ist zwar nicht der Reisser, aber es hat sein eigenes Gespenst und liegt direkt am See, mit Strand über die Strasse.‘
‚Wer ist Watahine?‘, wollte ich da von ihr wissen.
‚Hat dich Ball nicht in die Geschäfte in Toronto eingewiesen?‘
‚Nein! Er meinte nur, ich solle immer auf dich hören.‘
‚Ohh! Watahine gehört eine grosse Immobilienfirma und sie beherrscht darüber hinaus den gesamten Handel mit Kunsthandwerk bei den Irokesen. Unser Haus hier in New York haben wir von ihr gemietet, und die Galerie in Toronto ist ebenfalls Mieter in einem ihrer Häuser in der Yonge Street. Sie streicht am Ende den ganzen Gewinn ein und gibt fast zwei Drittel davon an ihren Stamm ab. Genau wie Ball einen grossen Teil seines Profites an die Navajo Nation weiterreicht. Die Indianer erheben zwar offiziell keine Steuern in ihren Territorien, aber nur, weil ihre Geschäftsleute freiwillig Gewinn-Anteile in die Stämme investieren. Ein reicher Indianer ist wegen deren Traditionen eigentlich ein Widerspruch in sich selbst. In den Reservationen gilt nur derjenige als wohlhabend, der seinen Besitz mit allen teilt. Ich dachte, du weisst sowas.‘
‚Theoretisch ja! Nur konnte ich mir nie vorstellen, wie so etwas in der Realität funktioniert. Teilen die auch ihre Unterwäsche? Es klingt manchmal so.‘
‚Nein, nein! Die organisieren keinen regelmässigen Wäschetausch. Klingt lustig! Watahine tauscht ihren BH mit Tekahentakwa! Haha! Derjenige, der früher Glück auf der Jagd hatte, lud alle anderen Dorfbewohner ein. Beim nächsten Mal hatte dann eben ein anderer mehr Erfolg. So hatte jeder immer etwas zum Leben, vom Fleisch bis zum Fell. Heute jagen auch die Indianer das Geld, doch dieses wird jetzt zentral verteilt. Wer das meiste gibt, besitzt den besten Ruf im Reservat und wird oft Häuptling. So funktioniert ihr Steuersystem, eine Verknüpfung alter Traditionen mit der modernen Wirtschaft.‘
‚Sag mal, woher weisst du das alles? Ich interessiere mich zwar auch dafür, hatte bisher aber keine Ahnung. Hast du Indianerblut in deinen Venen?‘
‚Sicher ein paar Tropfen. Ich stamme von einer alteingesessenen Familie ab. Jedoch hielten die sich die gesamte Zeit im Osten auf. Die europäischen Gene überwiegen bei mir, von afrikanischem Blut werden sich vermutlich ein paar Spuren finden. Über Indianer im Stammbaum wurde jedoch nie gesprochen… In meinem Kunststudium habe ich indigene Kunst als Spezialrichtung gewählt und bin deshalb bei Thaft gelandet. Wir gelten als führend auf diesem Gebiet und Ball, als Navajo, hat die Firma auch mit dieser Ausrichtung gestartet.‘
‚Okay! Dann weiss ich, worüber ich mich mit dir auf der Fahrt unterhalten kann. Wollte dazu zwar den NYPD-Häuptling interviewen, doch diese Einladung zum Essen kann ich mir jetzt ersparen.‘
‚Eisenaxt?‘ Ich nickte, und sie warf eine überraschende Information hinterher: ‚Der ist übrigens ein Cousin von Watahine! Die Schwester seines Vaters hat die Immobilienfirma gegründet.‘
‚Das ist ja interessant. Wo steht denn Jack Mine in dieser Hierarchie? Oder war der gestern rein zufällig mal dran mit einer Ausstellung?‘
‚Nirgends! Eli hat ihn auf einem seiner Europa-Trips kennengelernt und liebt seine Skulpturen. Als uns dann die Irokesenausstellung ausgeräumt wurde, hat er ihn als kurzfristigen Ersatz vorgeschlagen. Ball fand die Idee nicht schlecht, obwohl es nicht in unser übliches Programm passte. Hätte Eli irgendeinen Deutschen oder Russen vorgeschlagen, hätten wir die wahrscheinlich ausgestellt. Dieser Jack Mine hat sich als ein kleiner Glücksgriff erwiesen. Wir konnten alles verkaufen, obwohl es seine erste Ausstellung auf dieser Seite der See ist. Übrigens: Woher kennst du ihn?‘
‚Wird dir jetzt nicht gefallen: Eure Ausstellung ist nicht seine erste in den USA! Vor zwei, drei Jahren – es können auch vier sein – habe ich Stücke von ihm auf einer Belgien-Schau im Rahmen irgendeines Kulturaustausches in Washington gesehen. Seine Skulpturen stachen dort regelrecht heraus und da habe ich mich im Netz kundig gemacht. Man konnte jedoch nur die Kataloge kaufen, keine Werke… Ich wollte einen Informanten treffen und hatte noch Zeit. Deshalb bin ich damals dort rein und wäre ansonsten gestern nicht bei euch gelandet. Wollte nachmittags im Grunde nur mal reinschauen, weil ich eure Galerie entdeckt hatte. Mine gab den Ausschlag für den Abend…‘
‚Ich habe mich da wohl ungenau ausgedrückt: Es ist seine erste Einzel-Ausstellung! Du erstaunst mich immer wieder aufs Neue!‘
‚Aber lass uns auf den Ausflug zurückkommen! Wir sind erst in Bala, wie kommen wir nun nach Toronto und Syracuse?‘
‚Das dauert noch zwei Tage, mindestens. Am Montag fahren wir mit Watahine ins County of Brant zum Six Nations Territory. Dort haben die Irokesen ihre Werkstätten und Lager und du bekommst wahrscheinlich einen freien Tag. Ich muss die Waren für den Verkauf aussuchen. Erst wenn das geklärt ist, laden wir die Kisten ein und fahren nach Toronto. Hier übergibt uns Ben dann die Präsentationsstücke und übernimmt einen Teil der Lieferung. Watahine stellt danach die Listen für den Verkauf und für die Ausstellung zusammen. Ist eine Heidenarbeit, vor allem für die Exponate! Wenn das alles fertig ist, wird wieder geladen und ab geht es nach Syracuse. Da nehmen uns die Onondaga die Kisten aus Ohsweken ab und laden dafür andere ein. Erst dann können wir zurück in die Fünfte.‘
‚Da brauchen wir aber länger als eine Woche, wenn ich mich nicht verrechnet habe. Zwei Tage nach Bala, danach mindestens zwei Tage im Six Nations und nochmal zwei in Toronto. Dann wieder zwei Tage bis wir aus Syracuse weiter können. Sind für mich wenigstens acht Tage. Da kommen auf euch noch zusätzliche Kosten zu.‘
‚Rechne mal mit neun Tagen. Das haben wir bisher meistens gebraucht. Du wirst sehen, wir werden auch eine Menge Spass haben. Kennst du die Gegenden?‘
‚In Buffalo war ich schon, auch mal kurz in Syracuse. Toronto habe ich ebenfalls schon auf meiner Liste. Bala und Ohsweken sind neu. Ich komme sicher klar. Hauptsache, ich habe überall mein Zimmer und die Dusche für mich alleine!‘
‚Äähhh, das klappt nicht überall! In Toronto übernachten wir in der Gästewohnung der Galerie, aber jeder von uns hat sein Zimmer und es gibt auch je ein Bad und eine Dusche. Und in Ohsweken sowie Syracuse stehen uns sehr komfortable Cottages zur Verfügung, mit mehreren Schlafzimmern und mindestens zwei Bädern. Ich hoffe, du kommst damit klar?‘
‚In Toronto gibt es zur Not sicher ausreichend Hotels zur Auswahl, in Ohsweken und bei den Onondaga hoffentlich mehrere Cottages. Warten wir es ab.‘
‚Wovor hast du eigentlich Angst? Ich beisse nicht.‘
‚Wenn ich eines über die Jahre gelernt habe, dann dass ich mich nie mit Klienten einlassen sollte. Bringt nur Ärger!‘
‚Ich bin doch kein Klient von dir, oder? Mr. Ball und die Galerie, aber ich bin nur eine einfache Angestellte. Du sollst auf mich und unsere Ladung aufpassen.‘
‚Aus meiner Sicht sieht es etwas anders aus. Du bist unterwegs Balls Vertreter und so durchaus meine Klientin.‘
‚Ich werde versuchen, das im Kopf zu behalten! Jetzt muss ich aber wieder ins Büro, unsere Studentin wird sicher schon nervös sein. Du hast das Geld!‘
‚Ist Balls! Geh schon mal, wenn du schnell los musst. Wir sehen uns dann Samstag früh bei mir!‘
Sie schob mir ihre Karte über den Tisch: ‚Hier hast du meine Handynummer! Für alle Fälle!‘
Ich warf einen kurzen Blick darauf. Jetzt kannte ich endlich ihren vollen Namen: ‚Uhhh! Dorethea S. Carnegie-Vanderbilt! Und dann kannst du dir keine eigene Galerie leisten?‘
‚Der Name trügt! Wir sind schon seit über einem Jahrhundert nur ein ganz kleiner Nebenzweig dieser Dynastien. Meine Vorfahren gehörten zu den schwarzen Schafen der Familien. Deshalb haben die sich wohl auch zusammengetan. Bei mir ist kein Geld zu holen! … Übrigens: Puhle dir dein Second-Hand-Essen aus den Zähnen, fällt auf!‘
Also bezahlte ich und legte die doppelte Steuer als Tip auf den Tisch. Ich schnappte mir eine Karte des Ladens und liess meinen Dank an die Küche ausrichten. Erhobenen Hauptes schritt ich zügig ins Büro. Ich wollte unbedingt Pete und Sandy noch instruieren, damit sie am nächsten Tag alles Notwendige vor meinem Erscheinen erledigen konnten.
Beide sassen noch an ihren Schreibtischen. Doch beim Gang zu meinem Platz bemerkte ich zum wiederholten Male: Ich hatte wieder den Hut irgendwo liegenlassen. Dieses Mal wohl bei den Deutschen. Er war ja eh zerdrückt. Sollten die den behalten, ich hatte noch mehr im Büro hängen. (Und bei meinem nächsten Besuch in ihrem Restaurant, fast zwei Wochen später mit Jenny und Familie, hing er immer noch an ihrer Garderobe. Heute nicht mehr! Wer weiss, wer ihn gebraucht hat?)
Ich schrieb schnell den Routenplan auf und schickte ihn an Sandy, damit sie mir die aktuellsten Unterlagen am nächsten Tag übergeben konnten. Wenige Augenblicke später stand Pete an meinem Platz. Gemeinsam stiegen wir aus dem Fenster und teilten uns eine Zigarre.
Er informierte mich zuerst, dass er die beiden Knarren nicht weitergemeldet hatte. Er ging davon aus, ich würde diese sowieso nicht mitnehmen. Er kannte mich halt gut. Danach sprachen wir die weiteren Aspekte des Transportes durch. Auch er hatte bemerkt, dass da wohl ein Gefahrenpotential drin steckte, über das weder Ball noch Doris gesprochen hatten. Ebenfalls glaubte er, dass es zumindest Ball bewusst verheimlichte. Wir einigten uns aber darauf, dass ich durchaus in der Lage war, dieses rechtzeitig zu erkennen und richtig zu reagieren. Dennoch besprachen wir einige Sicherheitsmassnahmen für den Transport. Davon sollten Doris und Ball nichts erfahren. Ganz so blauäugig, wie ich mich beiden präsentiert hatte, wollte ich nicht auf die Reise gehen.
Mir lag aber eine andere Frage mehr auf dem Herzen. Deshalb erinnerte ich Pete daran, dass Kathy am nächsten Nachmittag wieder bei uns aufschlagen wollte. Nachdem ich ihm versichert hatte, dass ich bis dahin meinen ersten Bericht fertig bekommen würde, wunderte er sich ebenfalls: ‚Du hast doch fast alle Fragen in nicht einmal 24 Stunden klären können, oder?‘ Ich nickte und er fuhr fort: ‚Ist sie inzwischen so faul oder steckt hinter dem Auftrag mehr, als wir glauben sollen? Was meinst du?‘
‚Hmm! So schlecht ist sie bestimmt nicht, immerhin hat sie eine Special Agent-Ausbildung genossen. Da muss sich etwas Anderes dahinter verbergen. Vielleicht rückt sie morgen mit mehr Infos raus. Ich glaube nicht, dass diese beiden Leute, nach denen wir offiziell suchen sollen, wirklich in den Mayflower-Fall involviert waren. Höchstens am Rande. Die Thaft erweckt in mir nicht den Eindruck, dass sie sich mit solcher Art Schmuggel abgibt. Zumindest der eine, der gestern zur Vernissage da war, leitet die Niederlassung in Toronto, und dies schon länger. Eine einfache Nachfrage hat ausgereicht. Das hätte Kathy ohne uns genauso schnell herausfinden können.‘
‚Oder das FBI ist hinter etwas Grösserem her, und Kathy darf oder will uns da nicht einweihen. Interessant finde ich ebenfalls, dass ihr beide Doris und diesen IT-Mann schon vom Fall der Felle her kennt. Obendrein will Kathy dich offensichtlich mit dieser Dame verkuppeln‘, er konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. ‚Wir sollten uns vorsichtig anschleichen und sie nicht zu sehr unter Druck setzen. Wir müssen Kathy dahin kriegen, dass sie von sich aus damit rausrückt. Unterwegs würde ich dir zusätzlich raten, mal ein Auge auf den Verkehr zu haben. Eventuell folgt euch jemand von ihrer Firma. Deren üblichen Wagentyp und Fahrstil erkennst du ja sicher. Es könnte sein, dass uns von ihrer Seite mehr Gefahr droht als von den Galerie-Leuten. Ich habe da inzwischen so ein Gefühl in meinem linken kleinen Zeh… Dieser Ball dagegen ist wahrlich kein einfacher Typ und hat sicher auch das Eine oder Andere ausgefressen, doch er scheint mir eher ein gewiefter, aber ehrlicher Geschäftsmann zu sein, kein Gangster. Meine Meinung über unsere Behörden kennst du…‘
In diesem Augenblick gesellte sich unser frischester Praktikant zu uns auf den Absatz. Wir hatten ihn erst vor knapp zwei Monaten eingestellt. Er reichte Pete einen Stapel Zettel: ‚Hier die Ergebnisse meiner Recherche!‘
‚Das ging aber schnell! Doch legen sie das Papier auf den Haufen für zukünftige Notizen! Soweit es geht versuchen wir hier, papierlos die Infos hin und her zu schieben. Laden sie diese Ergebnisse als File in die entsprechende Akte und senden sie mir eine Mail, wenn es passiert ist. Ich werde sie morgen lesen und eine Antwort anhängen! So arbeiten wir hier.‘ Und an mich gewandt: ‚Lass uns rein gehen!‘
In seinem Büro nordete er mich dann erst einmal ein: ‚Bei diesem Parker sollten wir ein wenig aufpassen! Der ist mir zu neugierig. Eigentlich muss der nichts mehr lernen. Er ist bereits ein Superdetektiv. Ausser bei der Kommunikation: Wie die hier läuft, will er offensichtlich nicht begreifen. Er taucht immer mal wieder auf, wenn ich gerade mit anderen rede, um irgendwas zu fragen. Ich glaube, der hat noch einen zweiten Brötchengeber!‘
‚Den Verdacht hatte ich ebenfalls schon. Gestern Nachmittag nach Kathys Besuch schlich er auch bei mir herum. Wollen wir ihn mal testen?‘
‚Ja! Aber wie?‘
‚Nächste Woche! Er soll mir verdeckt vorausfahren. Gib ihm den Routenplan und ich werde sehen, was er daraus macht. Der ist ja nicht geheim. Er soll sich fürs Wochenende in dieses Hotel in Bala als Touri einmieten. Dort wird mir etwas für ihn einfallen.‘
‚Klingt gut!‘ Er griff unter den Schreibtisch und holte zwei Gläser sowie seinen Whiskey hoch: ‚Zum Feierabend!‘
‚Warte mal! Ich habe was Angenehmeres an meinem Platz.‘ Ich ging, um die Flasche von Ball zu holen: ‚Der ist besser! Ein Geschenk von Ball.‘
Pete nahm die Flasche und betrachtete das Etikett: ‚Wow! Der scheint nicht der Ärmste zu sein. Er kann es sich leisten, eine Flasche Mitchell-Whiskey zu verschenken. Die gibt es nur direkt bei der Brennerei oder auf Auktionen. Nicht im Laden!‘
Er goss uns die Gläser voll: ‚Na denn! Prost! Wird ein schöner Feierabend!‘
Wir nahmen jeder einen Schluck. Pete kaute dabei seinen Whiskey sogar – wie man es mit Wein machte. Wieso nur kannte er sich in solchen Dingen aus? Er wusste, welches die besten Zigarren waren und jetzt sogar noch, wie man an den guten Whiskey rankam. Darin unterschieden wir uns gewaltig. Ich kannte Pete wohl doch nicht so gut, wie ich dachte. Woher nahm er die Zeit dafür?
Zumindest war mir jetzt klar: Balls Whiskey war nicht zum Trinken da – den sollte man sparsam geniessen. Wer konnte schon sagen, wann es wieder Nachschub gab?
Wir besprachen noch einige kleine Punkte, ansonsten liessen wir uns Zeit. Ich, besser gesagt Ball, schien Pete eine Riesenfreude gemacht zu haben. Wir vertagten den Rest der noch zu klärenden Fragen auf den nächsten Morgen. Als er anfing, seine Tasche zu packen, bat ich ihn, die Flasche in seinem Versteck für eine spätere Verwertung sicherzustellen.
Ich schaute noch schnell auf meinem Computer, ob sich in der Zwischenzeit Wichtiges ereignet hatte – hatte es nicht – und verliess gemeinsam mit Pete das Büro. Sandy – ja, ich hatte mir den Namen gemerkt – bat ich, mich ausnahmsweise am nächsten Tag spätestens um neun Uhr anzurufen. Ich hatte mir ja für den Freitag viel vorgenommen und wollte das auch erledigen. Dafür musste ich nur rechtzeitig in der Agentur aufschlagen.
Selbst zu Hause hielt ich mich an meinen Plan: Ich fiel sofort in mein Bett…
Sandy hielt am Morgen Wort. Mein Handy klingelte Punkt neun! Der Plan war aufgegangen: Um diese Zeit sass ich bereits im Imbiss über die Strasse und verschlang eine grosse Portion Rührei mit Toast.
Als ich halb zehn im Büro ankam, wurde ich von allen mit stehendem Applaus begrüsst. Sandy stand mit einer Tasse heissem Kaffee an meinem Schreibtisch und Pete fragte lapidar, ob ich jetzt öfters schon vor dem Mittag an meinem Platz anzutreffen wäre? Musste ich leider verneinen – nach dem Wochenende würde ich vorläufig gar nicht mehr kommen.
‚Lass dir das ja nicht einfallen! Übernächste Woche erwarte ich dich wieder zurück!‘, drohte er mir. ‚Und jetzt kümmere dich um deinen Bericht. Kathy hat sich für eins angemeldet.‘
‚Geht klar! Das sollte ich schaffen. Soll ich dir dann einen Subway mit ins Büro bringen? Die Zeit bleibt mir sicher.‘
‚Nein! Um die Snacks kümmert sich Sandy! Sei einfach pünktlich, wir haben einiges mit Kathy zu besprechen.‘
Das war ein Empfang. Unterwegs hatte ich mir für den Bericht in meinem Köpflein einige Formulierungen bereit gelegt. Nun hatte ich vergessen, in welchem Strohhaufen ich sie versteckt hatte und musste von vorne anfangen. Es ging jedoch verhältnismässig schnell, trotz zweier Zigarettenpausen.
Deshalb nahm ich mir noch die Zeit, um mit Parker seinen Trip nach Bala durchzusprechen. Ich schlug ihm vor, mit dem nächsten Flieger nach Toronto zu jetten und von dort direkt mit einem Leihwagen nach Bala zu fahren. Er machte zwar ein Gesicht, als ob ich ihm eine Stiege Zitronen verkaufen wollte – doch er war einverstanden. Zusätzlich bat ich ihn, uns auch nach Toronto und Syracuse vorauszufahren. Wegen der Übernachtungen sollte er sich mit Sandy arrangieren. Darüber hinaus wies ich ihn darauf hin, dass, wenn er seinen Job gut machen würde, eine Prämie drin wäre. Dieser Hinweis heiterte ihn etwas auf und er legte gleich los, um alles zu organisieren. Er wollte noch im Hellen in Bala ankommen.
Als ich gegen zwölf nach vorne ging, um mir einen neuen Kaffee zu holen, war Sandy gerade dabei, das Büro zu verlassen. Sie wollte für unser Treffen mit Kathy die Donuts abholen. Fand ich passend, knurrte mir doch bereits der Magen. Ich bot ihr an, beim Tragen zu helfen. Sie nahm gerne an.
Unterwegs beredete ich mit ihr einige organisatorische Dinge für die kommende Woche. Sie hatte für uns überall die Hotels gebucht. Das musste sie rückgängig machen. Ich hatte wohl vergessen, im Tourenplan anzugeben, dass das Doris übernehmen wollte. Sandy war ein wenig sauer, wegen der Arbeit, die sie sich hätte ersparen können. Ich versprach ihr, ein kleines Souvenir als Wiedergutmachung vom Trip mitzubringen. Da zeigte sie mir wieder ihr schönes Lächeln.
Und um eins: Kathy war pünktlich wie die Maurer. Halb zwei schlug sie in unserem Büro auf. Sie hatte sogar mein Netzteil dabei. Dieses nahm Sandy sofort an sich. Manchmal denkt sie halt mit. Falls Kathy daran etwas manipuliert hatte. Wäre ja möglich bei unserem Verdacht. Es war damit aus dem Verkehr.
Kathys Kommentar auf meinen Zwischenbericht fand ich jedoch etwas unpassend: ‚Was denn, dafür lässt du ein Wochenende mit mir sausen?‘
Mir fiel aber die richtige Antwort ein: ‚Du bezahlst mich nicht für den Ausflug, Ball sehr wohl!‘
Pete schritt sofort ein: ‚Hey, ihr zwei Beiden! Wir wollen doch wie vernünftige Menschen miteinander reden. Kathy! Bis auf die Frage nach dem, was da in der Galerie eventuell geplant ist, hat doch Sam alle wichtigen Antworten geliefert, oder?‘
‚Jein! Wir haben immer noch keine Kenntnisse zu Sep Asten. Der muss sich ebenfalls irgendwo in Kanada rumtreiben. Er ist für uns der Interessantere von den Beiden. Er war damals bei Mayflower vermutlich der Kontakt zu den Inuit. Und zum Elfenbein.‘
‚Wenn da noch eine Verbindung zu Jamen und oder Ball besteht, erfahre ich unterwegs sicher mehr‘, versprach ich ihr. ‚Die Thaft dealt mit Inuit-Schnitzereien, wie du weisst. Als früherer Freund von Jamen ist Asten wahrscheinlich immer noch die direkte Connection. Doris kann dazu sicher mehr sagen und wir werden unterwegs viel Zeit zum Reden haben.‘
‚Also, Männer, versucht lieber herauszufinden, was da eigentlich bei Thafts abgeht! Das wollen wir unbedingt wissen! Dieser Ball ist nicht ganz koscher, der beschäftigt sich sicher auch mit anderen Dingen als nur mit Indianer-Kunsthandwerk. Sein Vater hatte Kontakt zum AIM und war ‘70 in Alcatraz dabei. Diese Watahine scheint ebenfalls mehr zu sein, als sie offen zugibt. Es ist zwar bekannt, dass vor allem die Mohawks clevere Immobilien-Haie sind – doch wo bleibt deren Geld ab? Und in St. Regis haben sie gerade wieder einen Aufstand geprobt…‘
‚Aha! Darum geht es euch also? Das ist aber nicht unsere Kragenweite‘, warf ich ein. ‚Das wäre mir ein paar Nummern zu gross – und obendrein zu gefährlich.‘
‚Ach, Mann! Komm runter! In diese Richtung sollt ihr nicht ermitteln. Da halten wir uns inzwischen selbst raus. Damit beschäftigen sich heute andere Behörden. Ich wollte es lediglich erwähnen. Uns geht es nur um Schmuggel, vor allem mit Elfenbein. Auch damit kann man viel Geld verdienen. Und dieser Asten könnte dabei eine aktive Rolle spielen. Laut den Kollegen in Kanada hält er sich in Nunavut auf, aber selbst die haben ihn aus dem Blickfeld verloren. Versuche, Genaueres über ihn und seine heutige Rolle zu erfahren. Damit wäre uns bedeutend mehr geholfen. Und vielleicht findet sich eine Gelegenheit, mit Doris über die Rolle dieser Watahine zu plauschen?‘
‚Dazu könntest du Eisenaxt beim NYPD interviewen. Der ist ihr Cousin. Lade ihn doch mal zum Essen ein! Der freut sich sicher.‘
‚Woher weisst du das?‘
‚Von ihm selbst: Er freut sich immer über eine Einladung zum Essen.‘
‚Du weisst genau, was ich meine…‘
‚Na gut! Hat Doris erwähnt! Aber wie deren aktuelles Verhältnis ist, dazu habe ich keine Kenntnisse. Es besteht jedoch Kontakt zwischen den beiden.‘
‚Das ist mal eine interessante Neuigkeit! Das habe ich echt noch nicht gewusst.‘
‚Hättet ihr aber wissen sollen.‘
‚Hey, Mann! Behalte deine Bodenhaftung! Wir sind keine PI’s, die endlos Informationen sammeln, bevor sie zu einem Ergebnis kommen.‘
An diesem Punkt schaltete sich Pete wieder ein: ‚Ich hatte euch vorhin bereits gebeten, auf dem Teppich zu bleiben. Wir sind erwachsene Leute und sollten uns wie solche verhalten. Kathy, Sam weiss jetzt, worum es euch in Wirklichkeit geht. Hättest du schon vorgestern sagen können. Er wird sicher mit vielen nützlichen Informationen aus Kanada zurückkommen. Du kennst ihn ja. Er ist jemand, der sich jede Kleinigkeit merkt und daraus ein gutes Gesamtbild entwickeln kann. Dann sollten wir uns wieder in dieser Runde treffen und ausdiskutieren, wie wir eventuell weitermachen. Einverstanden?‘
‚Einverstanden, Männer! Und du, Sam, halte mich zwischendurch telefonisch auf dem Laufenden. Diese Doris wird wahrscheinlich nicht immer neben dir stehen. Vor dem Wiedersehen schicke mir einen Zwischenbericht. Dann kann ich mich besser vorbereiten.‘
Sie stand auf und schnappte sich ihre Tasche. Nebenbei verschlang sie die restlichen Donuts. Konnte gerade noch zwei für Pete und mich retten. Beim FBI ging man wohl sehr sparsam mit dem Catering für die eigenen Mitarbeiter um. Beim Herausgehen bat sie mich noch – mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen – Doris nett von ihr zu grüssen. Was wollte sie eigentlich: Mich zurückgewinnen oder mit Doris verkuppeln?
Als sie aus der Tür war, holte Pete seinen Standard-Whiskey hervor und verpasste unserem Kaffee eine kräftige Ladung: ‚Na, da hat sie doch mehr geplaudert als sie wahrscheinlich vorhatte. Ohne, dass wir danach fragen mussten. Pass unterwegs gut auf! Du wirst ungeplanten Begleitschutz haben. Wenn nicht vom FBI, dann wenigstens von der Indianerbehörde, oder vom ATF, eventuell sogar von den Mohawks selbst. Mach am besten eine grossen Bogen um St. Regis! Und lass dich nicht provozieren!‘
‚Was war denn da eigentlich los? Habe ich mal wieder was verpennt?‘
‚St. Regis ist eines der wenigen Reservate, das auf beiden Seiten der Grenze liegt. Und die Traditionalisten sind in der Minderheit. Dadurch haben unsere Indianerbehörde und die in Kanada deutlich mehr Einfluss. Es ist zum Beispiel das einzige Mohawkgebiet mit Kasino. Vor Kurzem kam es mal wieder zu internen Spannungen, und Polizeieinheiten auf beiden Seiten haben ihre Posten bewaffnet sowie die Check Points geschlossen. Bis Mitte Juli war das gesamte Territorium von der Umwelt fast hermetisch abgeriegelt.‘
‚Und das haben sich die Mohawks gefallen lassen?‘
‚Mussten sie! Glücklicherweise gab es keine Opfer. Aber die Warrior Society war wieder im Einsatz.‘
‚Okay! Da sollten wir uns wirklich raushalten. Zumindest mir geht das zu weit. Ich hoffe nur, dass uns das FBI da nicht reinziehen will.‘
‚Das meine ich auch. Wie gesagt, mach ‘nen grossen Umweg um dieses Reservat.‘
‚Klar!‘
‚Und bereite dich entsprechend vor! Lege dir zum Beispiel eine unabhängige Mail-Adresse zu, über die wir kommunizieren können, ohne dass jeder hier mitlesen kann. Meine Google-Adresse kennst du ja. Irgendwie sowas. Lass dir dabei von Sandy helfen! Die weiss, wie das funktioniert. Das scheint ein echter Sicherheitstransport zu werden, für dich eventuell sogar ein richtiges Abenteuer. Sowas liebst du doch!‘
‚Ach, heutzutage bin ich mehr für Tran-Sport als für heisse Transporte. Man wird älter.‘
‚Das habe ich jetzt nicht gehört. Es würde unsere ursprüngliche Idee hinter dieser Agentur negieren.‘
‚Das musst du gerade sagen. Sitzt doch seit Jahren den gesamten Tag nur hinter deinem Schreibtisch. Wo bleibt da das Abenteuer?‘
‚Auch Buchhaltung kann eins sein. Vor allem, wenn das Geld immer knapp ist. Probier’s mal aus!‘
‚Lieber nicht! Vielleicht macht mir das ja Spass…‘
Während wir unseren Kaffee in Ruhe ausschlürften, plauderten wir noch ein wenig. Für wenigstens eine Woche würden diese Gespräche ausfallen.
Anschliessend liess ich mir von Sandy eine externe Mail-Adresse auf meinem Handy einrichten. Eigentlich wollte sie mir erklären, wie es gemacht wird. Doch ich stellte mich so dämlich an, dass sie sich entschied, mir nur deren Nutzung näher zu bringen. Sie musste mir sogar die genaue Adresse aufschreiben, auf der zurückerhaltenen Quittung für das Netzteil. Obwohl: So schwer war die nicht, einfach mein Name at Googlemail dot com. Später, auf dem Weg nach Hause konnte ich sie auswendig lernen…
Nach einer ausführlichen Zigarettenpause auf dem Feuertreppen-Balkon setzte ich mich noch an meinen Computer. Vor dem Losfahren am nächsten Morgen wollte ich mich bezüglich der Mohawk speziell und den Irokesen allgemein auf den neuesten Stand bringen. Als erstes fiel mir dabei auf, dass Ball bewusst oder unbewusst nicht ganz bei der Wahrheit geblieben war: Es gab durchaus Kasinos bzw. Spielmöglichkeiten in einigen Reservaten der Irokesen. Entweder war ihm dies selbst nicht aufgefallen – vielleicht spielte er nicht, wie ich auch – oder er hatte es absichtlich verschwiegen. Das war mir jedoch eher unwichtig. Interessanter fand ich die Geschichte des Akwesasne Territories, mir bisher nur als St. Regis bekannt. Zum einen führte die Grenze zwischen Kanada und unserem Land genau hindurch, was das Gebiet besonders machte. Auf der anderen Seite schien es zwei verschiedene Gruppierungen dort zu geben: Die eher traditionellen Mohawk und die moderneren Indianer. Das hatte in der Vergangenheit zu diversen handgreiflichen Auseinandersetzungen untereinander geführt. Zum Beispiel um den Bau des Kasinos Ende der 80er. Davon hatte ich gehört. Es gab damals wohl sogar zwei Tote. Die militante Mohawk Warrior Society stellte sich auf die Seite der Kasino-Bauer. Und vor Kurzem hatte es wieder Auseinandersetzungen gegeben, weil erst die Kanadier und anschliessend unsere Leute ihre Polizeieinheiten an der Reservatsgrenze bewaffnet hatten. Was wiederum dazu führte, dass das gesamte Territory praktisch unter Quarantäne gestellt wurde: Niemand kam raus und niemand rein. Für über sechs Wochen. In diesem Zusammenhang wäre es wirklich besser, einen Umweg um das Gebiet herum zu machen. Da hatte Pete sicher recht. Ich nahm mir vor, genau darüber mit Doris und vielleicht sogar mit dieser Watahine zu reden. Das interessierte mich.
Ich versuchte noch, Eisenaxt in seinem Büro zu diesem Thema zu erreichen, doch: Es war freitags nach eins – er war bereits im Wochenende. Also verliess ich bis an die Zähne bewaffnet unser Büro und ging nach Hause. Unterwegs musste ich meine Hose festhalten, die Munition war zu schwer für meinen Gürtel. Auch vergass ich nicht, mir zwei Hüte aufzusetzen. In meinem Apartment waren diese ausgegangen. Ich musste davon ausgehen, dass sie inzwischen noch nicht zurück waren. Und das im Spätsommer. Für Dritte sah ich bestimmt zum Schiessen aus…
Doris stellte sich am Samstagmorgen klug an: Gegen sieben klingelte sie mich per Handy aus meinem schönen warmen Bett – in etwa einer Stunde wäre sie vor meinem Haus und ich solle bitte unten auf sie warten. Sie hätte keine Lust, erst lange nach einem Parkplatz zu suchen…
Soweit hatte bisher noch keiner mitgedacht. Und es funktionierte. Ich war kaum mit meiner Übernachtungstasche aus dem Haus, als sie mit kreischenden Bremsen vor mir zum Stehen kam. Es war ein grosser deutscher Sprinter und sah echt nicht gepanzert aus. Doch Doris‘ Bremsmanöver machte mir Angst. Ich gab ihr ein Zeichen, dass sie auf den Beifahrersitz rutschen sollte. Es gab keinen Grund, schon zum Frühstück in Buffalo zu sein…
Am ersten TGI Open fuhr ich vom Highway. Blieb aber noch hinter dem Steuer sitzen, um mir die anderen haltenden Wagen zu merken. Muss wohl ziemlich nachdenklich gewirkt haben – Doris versuchte, mich aus dem Auto zu zerren.
‚Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Doris. Ich brauche immer zwei, drei Minuten, um meinen Tunnelblick loszuwerden.‘
‚Und du wirst dich schnell daran gewöhnen, dass wenigstens ein Auto mit Mohawks hinter uns her ist. Ist aber halb so wild – die passen auf mich auf. Die Indianerbehörde ist sicher ebenfalls mit einem Wagen unterwegs – die wiederum wollen wissen, was gespielt wird. Und dann gibt es weitere Offizielle, die uns hin und wieder inoffiziell nachspionieren.‘
‚Naja, die Mohawks verstecken sich nicht. Ich habe ihre Warrior-Flagge auf der Beifahrertür erkannt. Die bereiten mir auch keine Sorgen. Manche der anderen schon.‘
‚Wen erwartest du denn? Die Nationalgarde? Oder die vereinten Kunst-Paten von New York?‘
‚So schlimm wird‘s schon nicht werden, oder? Lass uns frühstücken!‘
In diesem Moment hielt ein Wagen der Highway Patrol direkt vor uns. Der Fahrer lehnte sich aus dem Fenster und fragte, ob alles in Ordnung wäre.
‚Klar! Warum nicht?‘
‚Weil sie zwei PKW-Stellplätze blockieren. Fahren sie bitte noch 150 Yards weiter, zu den LKW-Plätzen!‘
‚Oh, sorry! Natürlich!‘
Doris ging schon rein und ich fuhr den Wagen die paar Meter weiter. Dort wartete der Sheriff und wollte meine Papiere sehen: ‚Sie sind wohl neu in diesem Geschäft?‘
Ich reichte ihm die alle Unterlagen inklusive meiner Detektiv-Lizenz und der Agentur-Karte: ‚Jein! Es ist mein erster Ritt als Chef. War bisher nur Beifahrer.‘
Er sah den Haufen flüchtig durch, tauschte unsere gegen seine Karte aus und gab den gesamten Packen zurück: ‚Dann gute Weiterfahrt!‘
Hatten wir – T.B.C. – Freunde an Orten, die wir noch nicht besucht hatten? Egal! Ich folgte Doris ins Restaurant. Jetzt brauchte ich einen starken Kaffee.
‚Na! Hast du jetzt seine Karte? Ansonsten hätte ich dir die Nummer geben können…‘
Doris schaffte es, mich immer wieder aufs Neue zu überraschen. Oder ging der Kontakt eher auf Ball zurück?
‚Woher kennt ihr ihn? Oder gehört es zu eurem Geschäftsmodell, mit der New York State Police zu dealen?‘
‚Das ist ein Kontakt von Eisenaxt – der wollte selbst mal bei denen mitmachen. Hat nicht geklappt… Die wollen keinen Ärger in ihrem Gebiet und deshalb zeigen sie unterwegs immer mal Präsenz. Zur Abschreckung sozusagen! Das ist wohl ihre Art…‘
‚Okay! Bei mir hat es funktioniert. Hab ‘nen gewaltigen Schreck bekommen! Hast du schon bestellt?‘
‚Er kommt gleich mit der Kaffeekanne. Und hier ist die Karte…‘
‚Brauche ich nicht. Zwei einseitige Spiegeleier mit reichlich Schinken und Toast! Vielleicht noch zwei süsse Donuts als Nachtisch.‘
Die braune Plörre jedoch liess ich zurückgehen: ‚Bringen sie uns welchen, der schwarz, stark und heute gebrüht ist. Bei dem will ich keinen weiteren Grund finden!‘
Beim nächsten Versuch bekamen wir Kaffee, fand ich. Und die Eier wurden gleich mitgeliefert. Als ich mich auf sie stürzen wollte, spürte ich einen Pistolenlauf am unteren Ende meines Rückens und eine kräftige rechte Hand griff nach meinem Becher: ‚He! Der ist zwar gross, doch er gehört mir!‘
Doris lächelte und war mir keine echte Hilfe: ‚Sam, darf ich vorstellen: Das sind die beiden jungen Männer von der Warrior Society! Und das ist Sam Burglar! Er begleitet mich dieses Mal.‘
Die Hand liess meinen Becher los, und der Druck in meinem Rückenbereich verschwand. Ich hörte hinter mir jemanden lachen. Eine linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger erschien vor meinem Auge: ‚War wohl nur ein kleiner Schreck? Bist ziemlich cool geblieben.‘
‚Glaubt ihr, ich kann keinen Fingerzeig vom Lauf unterscheiden?‘
‚Und Humor hast du auch. Eine Kombi, die ich im Grunde nicht mag.‘
‚Steht auch nicht zum Verkauf!‘
‚Dürfen wir uns kurz setzen?‘
Ich nickte und kümmerte mich um meine Eier. Sollte sich Doris mit den zwei Kriegern unterhalten.
Beim Kauen schaute ich mir die Beiden genauer an. Sie waren ziemlich jung, vielleicht etwa 30. Eigentlich sahen sie nicht so martialisch aus, wie ich es erwartet hatte. Klar, sie trugen beide Tarnanzüge, aber die Jacken standen offen. Darunter hatten sie T-Shirts mit der Mohawk-Flagge drauf. Ihre öffentlichen Haare hatten eine normale Länge, im Anzug wären sie wahrscheinlich als Broker durchgegangen. Waffen konnte ich keine entdecken. Wozu auch in einer Raststätte? Benutzen hätten sie die wohl kaum können. Der Sheriff der Highway Patrol stand am Tresen und genoss einen Kaffee…
Doris schien beide gut zu kennen, denn sie tauschten anfänglich die üblichen Floskeln bei einem Wiedersehen aus, wie geht’s der Familie etc. pp.. Doch dann folgten einige sehr aufschlussreiche Informationen. Uns schien ein Pulk von Behördenfahrzeugen zu folgen. Sie hatten etwa einen Wagen der Indianerbehörde ausgemacht. Selbst der Zoll würde dieses Mal wieder mitfahren, in ihrem üblichen Gefährt. Und erstmalig wäre sogar ein ziviler Wagen mit zwei kanadischen Mounties dabei. Im Bala Inn hätte sich dazu das ATF oder eine ähnliche Organisation wie etwa die OIA oder gar Homeland Security selbst eingenistet. Bei dieser Info schoss mir der Gedanke an Parker in den Kopf. Ich hoffte, er würde sich ruhig verhalten, bis wir eintrafen.
Beide äusserten den Gedanken, dass das kein Zufall sein könnte, so kurz nach den Auseinandersetzungen in Aksewane. Sie hielten es für schlauer, dieses Mal nicht durch ihr Territory zu fahren. Sie witterten eine Verschwörung, um die Mohawks zu provozieren. Das sollten wir auf jeden Fall vermeiden. Ich war da ganz ihrer Meinung.
Nur fragte ich mich in diesem Augenblick, welche Rolle die Highway Patrol in diesem Spiel übernahm? Die waren keine Bundesbehörde, sie gehörten zur State Police. Und die wiederum war in die Vorkommnisse um Aksewane involviert. Doch wir sollten lediglich ein wenig Kunsthandwerk für die Thaft Gallery transportieren – okay, innerhalb des Staates New York.
Andererseits: Indianerprobleme waren grundsätzlich Bundesangelegenheiten. Sie unterstanden nicht den Rechtssystemen der einzelnen Bundesstaaten. Waren hier etwa native Verschwörungstheoretiker am Werke? Doch lagen die Indianer mit ihren Vermutungen in der Vergangenheit oft richtig…
Ich dagegen blieb lieber bei meinem Steuerverdacht: ‚Könnte es nicht sein, dass diese Leute in Bala eher zur FinCEN oder der Schatzamts-OIA gehören? Vielleicht gar kanadische Steuer-Behörden sind?‘
Alle Drei schauten mich völlig entgeistert an. Und Brad, einer der beiden Kämpfer, fragte mich, wie ich denn darauf käme? Einwohner der Reservate würden doch keine Steuern zahlen.
‚Das ist mir schon klar. Wieso auch? Aber die Kunstszene ist den Schatzämtern immer verdächtig. Habe damit diverse Erfahrungen aus meiner Arbeit als PI. Bestimmt ein Viertel meiner Fälle hatte am Ende mit Steuervergehen zu tun. Und dieses Mal haben wir den Auftrag, Kunsthandwerk für Galerien ausserhalb eurer Territorien zu transportieren. Dabei werden theoretisch Steuern im jeweiligen Bundesstaat fällig. Doris, ist dir zu dem Thema was bekannt, bezüglich der Thaft Gallery?‘
‚Oh, zu diesen Dingen solltest du lieber Ball befragen. Ich bin bei Geldsachen eher wie die Kuh vor der Scheune: Deren Tor finde ich nie… Bin auch lieber auf der Seite von Brad und Allen: Ihre Version klingt viel abenteuerlicher, fast wie im Film.‘
‚Glücklicherweise ist das Leben eher ein langweiliger Klassiker und kein Actionknaller. Die alten Zeiten des AIM‘s und von Leuten wie Banks, Means und Trudell sind lange vorbei. Da hat sich auf beiden Seiten einiges verändert. Ich würde keinesfalls so weit gehen, dass heute alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, aber die Hauptfront geht inzwischen durch die Gerichtssäle und nicht durch die Indianerterritorien.‘
‚Träum weiter, Junge!‘ kam es von Allen. ‚Bis heute gesteht man uns nicht mal elementare Rechte zu. Auch unsere Leben sind etwas wert! Die meisten First Nation-Leute bekommen zum Beispiel Riesenprobleme, wenn sie einen Kredit oder Pass beantragen wollen. Uns wird vorgeschrieben, wie wir unsere Anführer auswählen sollen. Und ausserhalb unserer Territorien werden Indianer immer schräg angesehen. Jeder Orts-Sheriff lässt sie beobachten und schlägt beim geringsten Verdacht zu. Ein Glas zu viel und wir landen in den Ausnüchterungszellen. Vor nicht mal zwanzig Jahren mussten wir noch als Stamm in New York beantragen, dass wir auf unserem eigenen Land ein Kasino einrichten durften. Wenn mal ein Schwarzer erschossen wird, schreit das gesamte Land auf. Ein toter Indianer schafft es nicht mal in die Nachrichten. Uns schliesst man in unseren Territorien weg. Aus den Augen aus dem Sinn… Und wir müssen bis heute darum kämpfen, dass ihr die vor 150 Jahren und länger geschlossenen Verträge endlich anerkennt. Ich erinnere nur an Oka, das ist gerade einmal zwanzig Jahre her... Brauchst Du mehr Gründe?‘
Einen kurzen Augenblick benötigte ich schon, um eine Antwort zu finden. Vieles hatte ich falsch eingeschätzt. Den First Nations fehlte offenbar eine gute Publicity Abteilung. Ich wusste besser über Europa Bescheid, als über manche Dinge, die in meinem eigenen Land vorgingen. ‚Wir übernachten heute in Buffalo. Wie wäre es, wenn wir uns zum Essen treffen und ihr erzählt mir mehr über eure Situation? Hatte keine Ahnung, dass es kaum besser als in den 60ern ist.‘
‚Wow! So eine Reaktion hatte ich jetzt nicht erwartet‘, entfuhr es da Brad. Und Allen ergänzte: ‚Gerne! Wir übernachten im selben Hotel… Du zahlst?‘
‚Klar, aber nur das Essen!‘
Doris bekam es wohl mit der Angst zu tun, dass sie an diesem Abend etwas zu kurz kommen könnte: ‚Und was ist mit mir?‘
‚Okay! Du bist auch eingeladen!‘
Ich musste noch zur Kasse, um die Quittung für Ball zu bekommen. Die anderen Drei verliessen sofort das Restaurant. Ich traf sie jedoch gleich am Ausgang wieder: Wir alle hatten einen Vertrag mit dem Gott des Tabaks. Diese Chance nutzte Doris, um Ball telefonisch den bisherigen Verlauf des Unternehmens zu melden…
Auf der Weiterfahrt fand ich es an der Zeit, von Doris etwas mehr über Ball und Watahine zu erfahren. Hoffte dabei unter anderem, Argumente für das abendliche Essen zu bekommen. Sie fing mit einem ausführlichen Bericht über Balls Vorleben an:
Sein Grossvater, ein waschechter Navajo, wuchs in einem Dorf im Monument Valley auf. Deshalb kam er in Kontakt mit Hollywood und später mit der US Navy. Während des 2. Weltkrieges landete er auf den Philippinen bei den berühmten Codespeakern. Balls Grossmutter dagegen kam von New York als Krankenschwester in denselben Stützpunkt. Durch eine Verwundung des Grossvaters lernten sich die beiden kennen - und heirateten sogar noch während des Krieges. Nach der Entlassung zogen sie in sein Dorf. Sie hielt es dort jedoch nicht lange aus und ging zurück in ihr gewohntes Leben nach New York. Hier wurde Balls Vater geboren und wuchs die ersten Jahre bei seiner Mutter auf. Während des Korea Krieges zogen beide Grosseltern wieder gemeinsam an die Front und ihr Kind landete bei Nachbarn im Monument Valley. Bei einem Bombenangriff in Korea kam seine Mutter wenig später ums Leben. Nach der Entlassung aus dem aktiven Dienst heiratete Balls Grossvater erneut und der Sohn wuchs bei dieser Familie im Reservat auf.
Als Teenager muss er ein ziemlicher Lausebengel gewesen sein und verstiess wohl diverse Male gegen die guten Sitten der Navajos. Diese Aufsässigkeit verstärkte sich später – während der 60er –, so dass er ein militanter Kämpfer für Indianerrechte wurde. Er heiratete ziemlich früh und Mitte der 60er wurde Ball geboren. Doch schon ’68 verliess der Vater seine junge Familie, um sich dem AIM anzuschliessen. ’69 war er bei der Besetzung von Alcatraz dabei, und später ebenfalls in Wounded Knee. Während dieser Zeit lernte er unter anderem John Trudell kennen, mit dem ihn eine sehr lange Freundschaft verband.
Balls Mutter dagegen kümmerte sich um ihren Sohn und verdiente ihren Lebensunterhalt in einer Weberei Genossenschaft der Navajos. Sie hatte dafür wohl grosses Talent und gründete mit Freundinnen eine eigene Werkstatt, die Keimzelle für Balls spätere erste Galerie in Window Rock. Während der 70er genoss er viele Freiheiten und geriet in dieser Zeit mehr nach seinem Vater. Mit vierzehn, fünfzehn hatte er dann einen Unfall, von dem ihm eine grosse Narbe auf dem Kopf blieb – weshalb er bis heute seinen Hut äusserst selten abnimmt.
Um 1980 herum zog sich sein Vater vom AIM zurück. Er hatte keinen Draht mehr zu der nun eher esoterischen Entwicklung der Organisation. Deshalb kam er wieder nach Window Rock, um seine Frau bei der Leitung ihrer Werkstatt und Galerie zu unterstützen. Er sandte seinen Sohn ‚in die weisse Stadt‘, um eine kaufmännische Lehre zu machen (und um ihn von seiner ‚Bande‘ zu trennen). Ball stellte sich dabei so geschickt an, dass die Stammesführung ihm sofort nach dem Ende seiner Ausbildung ein Stipendium für ein Ökonomie-Studium in Boulder, CO, gewährte. Dort wurde er sogar kurzzeitig Mitglied des Football-Teams, doch er entschied sich für sein Studium und verliess die Mannschaft recht schnell wieder. Ball hat also einen Bachelor in Ökonomie! Und Erfahrungen als Defensive Tackle beim Football…
In der Zwischenzeit hatte sich sein Vater zu einem erfolgreichen Silberschmied gemausert. Die Familien-Galerie florierte seit Mitte der 80er. Nach Balls Rückkehr in die Navajo Nation übergaben seine Eltern ihm die Leitung ihrer Geschäfte. Und er nutzte seine Chancen rigoros. Zügig baute er ein kleines Vertriebsnetz zu Galerien ausserhalb des Reservates auf. So konnte er mehr verkaufen, und einige der anderen Genossenschaften im Territory liessen ihn ebenfalls ihre Erzeugnisse im gesamten Südwesten der USA vertreiben. Die Umsätze stiegen schnell und bald konnte Ball eine zweite Niederlassung in Los Angeles aufbauen. Vancouver und Chicago folgten kurze Zeit später.
In Vancouver lud er zur Eröffnung eine traditionelle Cree-Sängerin ein. Durch sie kam er in Kontakt mit mehreren First Nation-Künstlern an der kanadischen Westküste. Diese wiederum machten ihn irgendwann Mitte der 90er mit dem Netzwerk der Inuit bekannt. Vor allem mit Sep Asten, einem Weissen, der in Nunavut aufgewachsen war und mit einer Inuk in Cape Dorset zusammenlebt. Dort gab es damals schon eine gut organisierte Schnitzer Genossenschaft, eine bis heute sehr lukrative Connection für Ball. Diese Eskimos bezogen ihn in ihr Vertriebsnetz mit ein. Sie boten ihren Kunden zum Beispiel Silberschmiederzeugnisse der Navajo an, und die Thaft durfte echte und vor allem offiziell lizensierte Elfenbein-Schnitzereien in den USA verkaufen.
Ende der 90er machte Sep Asten dann Ball mit Ben Jamen bekannt. Diese zwei hatten sich in der kanadischen Studentenbewegung getroffen. Sie waren deshalb in eher linken Kreisen unterwegs und dadurch ‘90 mit den Mohawks während der Oka-Krise in Kontakt gekommen. Auf die Art begann Jamens Zusammenarbeit mit den Irokesen und die Bekanntschaft mit Watahine. Sie übergab ihm schnell die Leitung ihrer Galerie in Toronto, hatte er doch ein Kunststudium hinter sich.
Über diesen Umweg begann vor etwa zehn Jahren die Kooperation von Ball mit Watahine. Sie bot ihm das Haus auf der Fünften zur Miete an, um eine neue Galerie im Herzen New Yorks zu eröffnen. Dieser Chance konnte Ball nun echt nicht widerstehen. Watahine verschaffte ihm noch eine Penthouse-Suite in Midtown, und Ball gründete seine erste Galerie an der Ostküste. Später stieg sie selbst mit ihren Ausstellungs- und Verkaufsräumen in Toronto in das Netzwerk der Thaft Galerien mit ein.
Etwa zur selben Zeit hatte Doris ihr Studium beendet und sich in Toronto als Kuratorin beworben. Sie machte wohl einen guten Eindruck, und Jamen stellte sie als Praktikantin ein. In ihrem Schlepptau rutschte auch noch Eli Fant als Internet-Spezialist in das Firmengeflecht. Er war zu diesem Zeitpunkt mal wieder wohnungslos, weshalb ihm Ball ein Apartment im Haus in der Fünften anbot – unter der Bedingung, dass er die Webpräsenz der Thaft Galerien auf den aktuellen Stand brachte. Das machte er wohl so gut, dass Ball ihn fest als Mann fürs Digitale anstellte.
Watahine übergab irgendwann auch ihre Galerie in Toronto an Ball, um sich mehr auf ihre anderen Firmen zu konzentrieren – stieg aber nie aus dem Thaft-Konglomerat als Teilhaberin aus. Im Gegenzug überliess Ball ihrer Firma die Oberhoheit über seine Immobilien vor allem an der Westküste.
Mitte der Nullerjahre landete Doris dann als Leiterin in der Fünften, Jamen hatte sie empfohlen. Zum Einstieg erhielt sie einen Anteil von 10% an der New Yorker Dependance und ihre Wohnung mietfrei im gleichen Hause…
Doris redete und redete den gesamten Weg – ich brauchte kaum mal nachzufragen, und musste sie schliesslich regelrecht abwürgen. Kurz vor Buffalo bekam ich Hunger und schlug vor, noch vor der Stadt einen Snack einzunehmen. Das schien nicht unbedingt ihren Geschmacksnerv zu treffen. Sie meinte lediglich, unterwegs an Gewicht zuzulegen, wäre nicht ihr Plan. Ich hatte dies zwar ebenfalls nicht vor, aber mein Magen rebellierte bei dem Hinweisschild auf einen KFC. Mit einem Pot Chicken Wings hätte ich ihn beruhigen können.
‚Nicht weit hinter der nächsten Abfahrt gibt es ein Örtchen mit einem familiären Imbiss. Dort wäre ein Päuschen möglich.‘ Doris hatte wohl meinen Magen schlussendlich erhört. Beim Schreiben einer kurzen Mail wies sie ihm den Weg. Und unser Wagen folgte ihm…
Da sich gleich hinter der Abfahrt eine kleine Parknische befand, pausierten wir kurz für ein Tabakopfer. Die beiden Warrior leisteten uns dabei Gesellschaft und wiesen mich auf die einzelnen Fahrzeuge der uns beobachtenden Behörden hin. Inzwischen hatten sie fünf ausgemacht, aber weitere vier Fahrzeuge waren nach uns abgefahren. Ich vermutete, einige von denen gehörten ebenfalls zu unseren Verfolgern. Doch keiner von uns hatte eine Idee, wem diese nun zuzurechnen waren.
Die Highway Patrol kehrte als erste zurück. Diese Strasse gehörte wohl nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Auf der Weiterfahrt zum Imbiss kam uns dann das Zollfahrzeug entgegen. Die Mounties sowie die Indianerbehörde hatten nicht weit von uns Plätze zum Parken gefunden.
Im Hof des Mini-Imbisses standen dann noch drei Fahrzeuge, die kurz nach uns vom Highway abgefahren waren. Fand ich nett, denn so hatten wir eine Chance, sie im Gastraum persönlich kennenzulernen. Zwei der Insassen kannte ich bereits: Einen hatte ich bei einem Ausflug nach Washington vor mehreren Monaten beim dortigen FBI getroffen, der andere war Mitarbeiter des New Yorker I.R.S., was meinem Steuerverdacht wieder Futter gab. Doch das Zweier-Grüppchen am Klo-Tisch – halt der, der neben der entsprechenden Tür stand – war keinem von uns je untergekommen. Dabei sahen sie ziemlich grimmig in ihre Becher.
Mit so vielen hungrigen Mäulern hatte der Wirt wohl nicht gerechnet. Für uns vier musste er sogar noch einen Tisch auf der Terrasse aufstellen. Dabei fand sich nur ein Gericht auf der imaginären Karte: Burger nach Art des Hauses. Der jedoch war sehr reichlich und lag genau in meiner Lieblingsgeschmackzone. Aber: Es war eine Menge der lauwarmen braunen Flüssigkeit in unseren Kaffeebechern nötig, um weiter ruhig atmen zu können. Doris gab deshalb nach der Hälfte auf und rief zum wiederholten Male Ball an.
Nach nur drei Worten reichte sie mir ihr Handy über den Tisch – ich bedeutete ihr aber, dass mir vorerst mein Burger wichtiger wäre. Doch sie drängelte weiter: ‚Es ist extrem wichtig!‘
Zur Begrüssung mampfte ich Ball nur kurz was in sein Ohr. Er kam augenblicklich zum Punkt: ‚Eli Fant ist gerade verhaftet worden!‘
‚Und was habe ich damit zu tun?‘
‚Es geht wohl um Kreditkarten-Betrug, und das Fräulein Miller meinte, ihr hättet in diese Richtung bis vor Kurzem ermittelt…‘
‚Ja! In meinem letzten Fall ging es um so etwas. Ich war aber nicht hinter einem speziellen Täter her, ich sollte nur mehr zum möglichen Wie herausfinden… Was stand denn im Haftbefehl?‘
‚Hab ihn nur kurz überfliegen können. Irgendwie legen sie ihm mehrfachen Betrug in Höhe von fast einer Million zur Last.‘
‚Da muss es um etwas Anderes gehen. Bei uns ging es um deutlich weniger… Welche Abteilung hat die Verhaftung vorgenommen?‘
‚Es waren zwei US-Marshalls im Auftrag des Bundesgerichtes.‘
‚Ich habe mit dem NYPD zusammengearbeitet! Haben sie sich die Namen merken können, oder die zuständige Dienststelle? Dann rufe ich nachher dort an und frage nach.‘
‚Ja! Aber warum nachher?‘
‚Ich will erst in Ruhe meinen Burger verschlingen. Diktieren sie den Kontakt Doris, die ist bereits fertig und hat die Hände frei zum Schreiben!‘
‚Dann reichen sie das Smartphone mal wieder rüber!‘
Während ich weiter mit meinem Burger kämpfte, schrieb Doris alles auf und schob mir den Zettel zu. Ich warf einen Blick drauf und nickte. Dieses Büro kannten wir. Dazu musste ich jedoch Pete sprechen, deren Nummer fiel mir nicht ein. Ich hoffte darauf, dass er sie schnell parat hatte.
Doch vorher gönnte ich mir noch einen Spass und zahlte für die gesamte anwesende Runde im Saal. Die FBI-Agenten zeigten mir mit der geballten Faust ihren Dank. Alleine dafür hatte es sich gelohnt.
Bei einer Zigarette rief ich dann Pete an. Musste ihn ein zweites Mal anwählen: Er hatte die Nummer der Zweigstelle in seinem Handy gespeichert, wusste jedoch nicht unter welchem Namen. Während seiner Suche kam er wohl auf die falsche Taste…
Die Marshalls beruhigten mich anschliessend: Eli wurde als Zeuge gebraucht, nicht als möglicher Täter. Um keine schlafenden Hunde zu wecken, würden sie öfter so vorgehen. Spätestens Anfang der Woche könne er wieder nach Hause. Das teilte ich Doris mit und bat sie, es an Ball weiterzuleiten.
In der Zwischenzeit gönnten sich unsere beiden Warrior ihren eigenen Spass: Beim Gang aufs stille Örtchen legten sie sich mit den beiden grimmigen Herren an. Brad schüttelte genau neben ihnen beim Zurückkommen seine Hände trocken. Das gefiel den Zweien nun gar nicht und sie liessen eine rassistische Äusserung vom Stapel. Anschliessend auf dem Parkplatz klärten sie die Sache mit schlagfertigen Argumenten. Allens blaues Kinn hellte sich erst in Toronto wieder auf. Doch nun wussten wir, für wen die beiden arbeiteten – für eine private Schutztruppe aus Potsdam in der Nähe des St. Regis Reservates. Und Brad hatte gefühlt, dass sie Waffen unter ihren Jacken trugen. Das machte unseren Trip nicht einfacher. Ich entschloss mich, in Zukunft alles noch genauer zu hinterfragen…
Der Rest der Fahrt verlief ziemlich ruhig. Inzwischen hatten wir uns alle gegenseitig vorgestellt und jede Partei beschäftigte sich mit den eigenen Problemen.
Wir hatten wohl viel zum Nachdenken – bis zum Hotel in Buffalo. So etwas gehörte absolut nicht in meinen Alltag. Es war so gut, dass ich freiwillig meine Schuhe auszog, wenn ich mich mal hinlegen wollte. Dafür hätte mich die Empfangsdame am Check-In durchaus reizen können, so reizend war sie. Doch ihre Reaktion auf meinen zarten Versuch war eher gereizt, so dass ich meine Augen nach anderen Anreizen suchen liess - Doris schaute dazu ziemlich böse drein…
Unsere zwei Warriors traf ich erst während meines Premierenrundganges um das Hotel wieder. Ich wollte das gute Wetter nutzen, um etwas über die Übernachtungsplätze unserer Beobachter herauszufinden. Die Zwei hatten das schneller und effizienter gelöst als ich, und ersparten mir auf die Art viel Arbeit.
Die eher lokal im Staate New York operierenden Behörden, wie das I.R.S. und die Highway Patrol, waren scheinbar verschwunden. Ein anderer Teil der Bundesbeamten, etwa die Indianerbehörde oder der Zoll, mussten wohl mit billigeren Möglichkeiten vorliebnehmen. Die Mounties und das FBI erweckten gar den Eindruck, dass sie eventuell bereits nach Kanada unterwegs waren. Auch diese privaten Sicherheitsleute schienen auf dem Weg in ihre Heimat zu sein…
Drei Strassen weiter, auf einem Parkplatz mit angeschlossenem 24/7-Imbiss, hatten die Krieger zwei neue Wagen entdeckt, die sie bisher nicht zuordnen konnten. So etwas kannte ich aus meiner Frühzeit als Detektiv: Nächtelanges Rumsitzen im Wagen, Heizung kaputt und nur Kaffee aus einem ebenfalls fahrbaren Imbiss… Als sie mir dies mitteilten, schüttelte ich mich und ging schnell auf mein bequemes Zimmer zurück. Bis zu unserem Essen war noch viel Zeit und ich wollte Pete einen Bericht zukommen lassen, sowie mir vielleicht ein Nickerchen gönnen…
Doch als ich vor meiner Zimmertür stand, war diese nur angelehnt. Aus dem Nachbarzimmer kam mir Doris entgegen – sie konnte also nicht drin sein, und mir selbst traute ich durchaus zu, sie beim Verlassen richtig verschlossen zu haben. Dem Hotelservice unterstellte ich, dass er rechtzeitig vorher alles fertig hatte. Wer also war an meiner Unterwäsche interessiert? Die Reiseunterlagen hatte Doris unter dem Arm; mein Notizbuch und das Handy sowie den Revolver trug ich ständig bei mir. Ausser der Standardeinrichtung befand sich lediglich meine Übernachtungstasche darin, neben dem Bett. Aber es war leer, nur das Schloss defekt. Entweder war der Besucher überrascht worden, oder? Keine Ahnung! Doris und ich, wir entschlossen uns, zu einem Wechsel. War nicht einfach – am nächsten Tag hatten die Bills ein Heimspiel gegen die Pats –, doch an der Rezeption offerierte man uns eine Suite unter dem Dach mit getrennten Schlafräumen und Bädern. War auch nicht billig, aber Ball würde es eben akzeptieren müssen. Da das Personal keine Veränderung feststellen konnte, vermutete ich, dass uns jemand auf die Art zu einem Umzug drängen wollte. Es war rätselhaft und blieb es bis zum Ende unseres Aufenthaltes in Buffalo. Anschliessend dachte ich nicht mehr darüber nach.
Zur Sicherheit entschlossen wir uns, innerhalb der Suite nicht über den Transport zu reden. Wir mussten ja regelmässig ins Freie, um Dampf abzulassen. Das liess uns ausreichend Zeit, wichtige Themen zu diskutieren. Und soo geheim waren diese Pläne nun auch wieder nicht. Entschieden wir zumindest.
In der Suite an sich hätten wir zwei wohl längere Zeit leben können, ohne uns auch nur einmal zu begegnen. Jedes Schlafzimmer und der Zentralraum verfügten über eigene Zugänge. Jedem standen theoretisch jeweils zwei abschliessbare Schlafzimmer mit eigenen Bädern und Balkonen zur Auswahl. Obwohl: Buffalo bot nicht gerade einen berauschenden Blick von oben. Höchstens für einen Football-Fan: Bei guter Sicht erkannte man grössere Kleinigkeiten im Stadion der Bills draussen in Orchard Park. Hoch genug war das Hotel. Die Suite befand sich im obersten Stock, doch einen Blick auf das Parkdeck oder den Vorplatz liess keiner der Balkone zu, anders als von meinem vorherigen Zimmer. Nicht einmal zum Rauchen mussten wir runter fahren – auf der Terrasse des zentralen Wohnraumes befand sich ein Aschenbecher. Selbst das WLAN war in seiner Nähe schnell genug, damit ich von dort einen Bericht an Pete schreiben konnte. Das war mal echt ein Glücksgefühl: War lange her, dass ich – ausser von zu Hause – beim Berichteschreiben rauchen durfte…
Zum Telefonieren mit ihm ging ich jedoch lieber unter die Dusche. Das sollte nicht einmal Doris mithören. Pete kannte diesen Trick bereits und war geübt darin, mich durch das Rauschen hindurch zu verstehen. In der Zwischenzeit hatte er mit Ball telefoniert und dabei erfahren, dass der Vorschlag, mich als Fahrer zu engagieren, wohl von Kathy – via Jamen – an ihn herangetragen wurde. Was wiederum unseren Verdacht, dass das FBI eventuell hinter der Aktion stecken könnte, stützte. Da war etwas im Busche. Deshalb hielt Pete sich entgegen seiner Gewohnheiten an diesem Samstag ausnahmsweise im Büro auf.
Nachdem er meine Mail erhalten hatte, konnte er zu allen genannten Fahrzeugen in unseren Agentur-Unterlagen umfangreiche Angaben finden. Sogar zu diesem privaten Sicherheitsdienst: Der operierte vor allem im Norden des Staates New York in einigen der Gated Communities als Wachdienst und war bekannt für seine Nähe zu den White Aryans. Darüber hinaus verfügten sie ebenfalls über gute Beziehungen zu verschiedenen staatlichen Polizei- und Sicherheitsbehörden – was das Nichteingreifen des FBI’s, oder einer der anderen Polizeigewalten, in die Parkplatzprügelei bis zu einem gewissen Grade erklären würde. Pete war der Meinung, ich hätte mir den ‚wohl abenteuerlichsten Auftrag in der Geschichte von T.B.C.‘ ans Land gezogen und wünschte mir weiterhin viel Spass unterwegs…
Ich teilte seine Begeisterung nicht ganz so euphorisch – war ich doch der Betroffene. Nachdem ich mich kräftig eingedieselt hatte, war mir nun echt nach einem Nickerchen. Meiner Schuhe hatte ich mich ja bereits vor dem Duschen entledigt, also freute ich mich auf das komfortable Bett. So wie ich geschaffen wurde, spazierte ich über den flauschigen Teppich in Richtung Falle, als es gleichzeitig an meinen Türen klopfte. Von innerhalb der Suite konnte es nur Doris sein – doch wer kam von aussen? Notgedrungen musste ich schnellstens meine Kleidungsreserve angreifen, um wenigstens im Schlafanzug öffnen zu können.
Von beiden Seiten stürzten Doris und die Krieger auf mich zu: ‚Ist was passiert? Seit ‘ner Viertelstunde klopfen wir hier und der Hotelservice ist benachrichtigt…‘
‚Ich habe einen gesunden Schlaf. Was ist denn so dringend?‘
‚Eigentlich nichts‘, informierte mich Brad. ‚Es gibt nur eine Planänderung.‘
Doris ergänzte: ‚Wetter ist gut und auf der Terrasse dürfen wir rauchen. Wie wär’s, wenn wir uns das Essen dorthin liefern lassen?‘
‚Und dafür weckt ihr mich? Solange geraucht werden darf, bin ich für alles… Ich esse ein Steak, gross und schön blutig muss es sein. Vorher ein Süppchen, danach was Süsses! Und keinen Salat! Einen starken Kaffee dazu mit viel gutem Whiskey drin… Darf ich jetzt weiter ruhen?‘
‚Ich lasse es zu acht bringen! Und zieh dir dann was Vernünftiges an!‘ Doris versuchte wohl, mich ohne ausreichende Beziehung zu erziehen. ‚So lass ich dich nicht an den Tisch…‘
Ich schmiss alle drei aus dem Zimmer, nahm einen kräftigen Schluck aus meiner Reiseflasche und schlief bereits, bevor ich auf dem Bett aufschlug. Zum Stellen eines Weckers kam ich nicht mehr…
Wenn ich erst einmal am Schlafen bin, vergesse ich alle Zeit der Welt und selbst Kanonen können mich nicht aus dem Bett schiessen. Nur dem speziellen Sound meines privaten Weckers gelingt das. Oder meinem Handy…
Auf diese Idee kam Doris nach vielen vergeblichen Klopf-Versuchen. Obwohl – mit der Schlüsselkarte wäre sie ebenfalls reingekommen. Die galt für alle Türen der Suite. Meine hatte ich von innen nicht verriegelt. Hatte ich irgendwie vergessen, ihnen gegenüber zu erwähnen…
Oder die zwei Kämpfer hätten sich über den Balkon anschleichen können. So schwierig waren die Barrieren zwischen den einzelnen Terrassen nicht, und ich schlafe generell bei offenem Fenster. Mohawks hatten doch den Ruf, schwindelfrei zu sein? Wahrscheinlich nicht alle, wie sich gezeigt hat…
Zumindest unser zuständiger Butler wartete mit dem Servieren auf uns, und aus meinem Steak spritzte dennoch das Blut. Es war nur viel grösser, als ich es mir ausgemalt hatte. Bestimmt mindestens ein Pfund! Unser Kellner erklärte mir: Falls ich es komplett aufessen könne, würde das Hotel es nicht berechnen. Aber die Liste derjenigen, die das jemals geschafft hätten, wäre sehr, sehr kurz! Andererseits unterhielt das Hotel-Restaurant eine Obdachlosen-Speisung und diese würden sich immer über ein halbes Steak freuen. Von mir bekamen sie am Ende des Tages ein Drittel, und mein Riesenstück Apfelkuchen mit Sahne. Nach dem Essen wollte ich nur noch still dasitzen, in Ruhe verdauen und den Kriegern zuhören…
Vor allem Brad nutzte seine Chance:
Noch vor dem ersten Zusammentreffen mit dem weissen Mann hatten sich ein Teil, genau gesagt fünf, der irokesischen Stämme zusammengeschlossen und einen Verbund mit eigener Verfassung gegründet. Zwischen ihnen sollte nun Frieden herrschen, jedoch gegen die anderen Stämme verhielten sie sich nicht gerade freundschaftlich. Innerhalb kürzester Zeit gelang es diesen Five Nations, ihr Gebiet zu vergrössern. In diesem Vertrag wurden jedem der Stämme bestimmte Aufgaben übertragen. Dabei stellten sie sich ihren Verbund als Langhaus vor, deshalb der Eigenname Haudenosaunnee für ihre Liga.
Obwohl die Irokesen vorher eher patriarchalisch lebten, kehrten sie zu einer matriarchalischen Gesellschaftsform zurück. Lediglich im Kriegszustand wurde den Männern teilweise das Zepter übergeben. In Friedenszeiten diskutierten zwar ebenfalls die Männer alle Entscheidungen, doch die sogenannten ‚weisen Frauen‘ prüften hinterher ihre Vorschläge. Waren diese nicht einverstanden, hatten die Männer halt weiter zu palavern. Das betraf auch die Frage, ob sie ihre Krieger in die Schlacht ziehen liessen oder nicht. Offensichtlich waren ihre Frauen nicht so friedfertig, wie man sich das allgemein denkt – so schnell wie die Irokesen ihr Stammesgebiet damals vergrösserten und die Kontrolle über den gesamten Pelzhandel im Nordosten des Kontinents für die britische Hudson Bay Company übernahmen.
Das gereichte den Irokesen in späteren Jahren zu einem Vorteil gegenüber den meisten anderen Stämmen: Die Frauen kontrollierten alle Vertragsabschlüsse mit dem weissen Mann und hielten das Geld zusammen. Sie legten es gewinnbringend an, kauften u. a. davon Saatgut und Vorräte oder investierten in ihre Infrastruktur. Später, ab Mitte des 19. Jahrhunderts, waren sie nicht mehr von weiteren Landverkäufen abhängig. Deshalb sind die fünf Stämme heute neben den Navajos die einzigen Völker, die noch immer auf ihrem ursprünglichen Land leben, auch wenn dieses wesentlich kleiner ist, als es einmal war.
Und die Irokesen Liga konnte schon sehr früh im 19. Jahrhundert ihre Interessen gegenüber den USA und Kanada besser durchsetzen. So bekamen sie, zwar mit der Begründung, dass ihr Stammesgebiet sich über beide Staaten erstreckte, umfangreiche Autonomierechte – die sie zu verteidigen wussten. Im ersten Weltkrieg etwa erklärten die Irokesen Deutschland und seinen Verbündeten unabhängig den Krieg. Dafür stellten sie eine eigene Armee auf, die vor allem in Belgien an der vordersten Front kämpfte. Am Ende wurden sie zur Gründung des Völkerbundes eingeladen. Sie stellten sich selbst Five Nations-Pässe aus und diese wurden auf ihrer Anreise überall anerkannt. Damals gab es noch die internationale Regel, wenn mindestens drei Länder einen Pass als gültig ansehen, mussten alle anderen Länder mitziehen.
Da ihre Verfassung offen für die Aufnahme weiterer Stämme, auch nicht-irokesischer, war, kamen sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die Idee, alle Indianerstämme Nordamerikas an ihren Errungenschaften zu beteiligen. Es wurde der sogenannte First Nations-Pass erfunden, den nahezu jeder Indianer in einem Reservat beantragen kann. Das alles vor dem Hintergrund des kanadischen Indian Acts und ähnlichen Vorschriften der US-Indianerbehörden, die erst nach dem 2. Weltkrieg bemerkbar aufgeweicht werden konnten und zu ersten rechtlichen Erfolgen für die First Nations führte.
Ihre – im Vergleich mit den anderen Stämmen – grössere (relative) Unabhängigkeit vom weissen Mann führte aber auch dazu, dass sie immer auf dem Radar der offiziellen Behörden in Kanada und den USA blieben. Ihre Geschichte der letzten fünfzig Jahre war ziemlich reich an handfesten Auseinandersetzungen, und die Gründung der Warrior Society machte es ihnen nicht leichter. Als etwa Anfang der Neunziger für den Bau eines Highways die Heilige Pinie gefällt werden sollte, unter der die fünf Stämme vor fast 500 Jahren ihr Kriegsbeil vergraben hatten und die Haudenosaunee Nation gründeten, kochte sozusagen das Irokesenblut über und es kam im Ergebnis zu militärischen Handlungen, in deren Verlauf zwei Mohawks und ein Mountie ihr Leben liessen. Die Vorfälle im Sommer gingen eigentlich noch auf diese Auseinandersetzungen zurück. Zusätzlich würde es regelmässig – trotz der vielbeschworenen Political Correctness – zu rassistischen Vorfällen zwischen den Menschen aller Hautfarben und Gesinnungen auf beiden Seiten der Grenze kommen. Unsere aktuellen Erlebnisse mit dem Sicherheitsdienst wären unter diesem Gesichtspunkt eigentlich alltäglich…
Und das alles wenige Jahre nachdem in Kanada der Indian Act wenigstens zum Teil ausser Kraft gesetzt werden konnte. Dieser hatte das Leben in den Reserves – wie die Reservate in Kanada genannt werden – über hundert Jahre bestimmt. Im Gegensatz zu den USA durften die Natives hier z. B. bis in die 70er Jahre nicht mehr ihre Muttersprache benutzen und die Kindererziehung stand unter der ‚Fürsorge‘ des Staates und der Kirche. Die Eltern unserer Krieger wuchsen noch in sogenannten Internaten auf und jede Verwendung der eigenen Sprache wurde etwa mit einer Nacht im Karzer bestraft. Vor allem bei den kleinen Stämmen führte dies dazu, dass ihre Sprachen oder Dialekte heute praktisch ausgestorben sind.
Vom Rest der Ausführungen bekam ich leider nichts mehr mit. Der Whiskey und das Essen taten ihr Bestes, um mir das weitere Zuhören zu erschweren. Und nachdem es mir eine Zeitlang leidlich gelungen war, mich auf eine aufrechte Sitzhaltung zu konzentrieren, fiel ich schlussendlich dann doch vom Stuhl. Wie ich von dort in mein Bett kam, davon weiss ich nichts mehr. Am nächsten Morgen zumindest wachte ich alleine in ihm auf.
Nach einem ausgiebigen Frühstück machten wir uns innerlich gestärkt auf den Weg nach Bala in Kanada. Doch leider war die Lage des Hotels in Buffalo für diesen Tag nicht so klug gewählt wie sicher von Doris angedacht. Aus Richtung Norden kamen uns die Football-Fans entgegen: Die etwas überheblichen Pats-Fans in ihren schnieken Wagen und die verrückte Bills Mafia mit den üblichen Klapptischen auf den Dächern. Zusammen ergab das sicher ein interessantes Gemisch für die Tailgate Party vor dem Stadion. Nur wir wollten nach Norden, nach Kanada. Ich versuchte die Stadt westlich zu umfahren, das ging etwas besser, aber aufholen liess sich der Zeitverlust dennoch nicht.
Erst nach dem Mittag erreichten wir den Checkpoint in Niagara Falls. Dort erwartete man uns zwar, doch so einfach, wie Doris und Ball es erzählt hatten, war es denn nicht. Wir mussten sogar aussteigen, um einige Fragen zu beantworten. Niemand traute sich, in den Wagen zu schauen, aber zwei unauffällige Herren mit Hund schlichen auffallend langsam um ihn herum. Dem Hund fiel jedoch nichts auf und so liess man uns nach zehn Minuten passieren. Begründet wurde uns dieses Vorgehen damit, dass das Auto offiziell den Six Nations gehörte, wir jedoch keine Einwohner ihres Gebietes waren. Uns musste man deshalb kontrollieren, das Fahrzeug wiederum durfte nicht berührt werden. Das trieb Doris‘ Bluttemperatur nach oben und sie rief umgehend bei Watahine und Ball an. Doch wirklich was dagegen machen konnte keiner von beiden. Ich blieb ruhig, war ja nichts passiert. Es deutete lediglich an, dass wir in Zukunft vorsichtiger planen sollten.
Auf dem weiteren Weg zum Lake Muskoga und Bala sammelten wir nach und nach unsere Verfolger vom Vortage ein. Und ein paar kanadische Wagen stiessen zur Gruppe. Ansonsten passierte relativ wenig. Zumal wir wegen der fehlenden Zeit auf einen Zwischenstopp verzichteten. So kamen wir fast wie ausgemacht am Hotel an.
Dort lernte ich endlich Watahine persönlich kennen. Sie wartete mit unseren Zimmerschlüsseln auf der Hotel-Terrasse. Da am anderen Ende zwei Leute unserer Verfolger begrüssten, setzten wir uns zu ihr und plauderten ein wenig. Dabei erfuhr ich unter anderem, dass das Rauchen im Hotel strengstens untersagt war. Deshalb wunderte ich mich nicht, als Parker ebenfalls erschien. Er erging sich dafür auf dem Parkplatz…
Nach einem kleinen Weilchen tauchten unsere zwei Krieger auf und leisteten uns Gesellschaft. Für die Nacht hatten sie sich bei einem Mitkämpfer im Wahta Territory einquartiert. Kam mir nicht ungelegen. Das gab mir die Möglichkeit, ungestört meine gewohnten Mittel und Wege einzusetzen. Oder eben Parker zu checken…. Von ihm sollte ja keiner was erfahren. Hilfreich wurde er dennoch.
Trotzdem, Allen ratterte mir ihre Erkenntnisse von unterwegs ungefragt herunter: ‚Eigentlich hätten uns diese zwei Ankömmlinge grüssen können. Nicht wahr Brad? Wir kennen sie schon länger, die gehören zu unserer Drogenbehörde. Dann sind die zwei Amis dort am Tisch wohl von der DEA. Nix mit Steuerfahndung! Hä?‘
Ich lächelte gequält, liess ihn jedoch weiter reden: ‚Und das andere grosse Auto auf dem Parkplatz, wo dieser junge Herr gerade raucht, ist eine fahrende Einsatzzentrale der Mounties. Wird meist bei beweglichen Zielen eingesetzt. Da die aber mit den Drogenleuten nicht reden – interessieren sie sich offensichtlich für Waffen oder so was.‘
‚Oder doch für eure Steuerunterlagen?‘, warf ich schnell ein, obwohl ich ihm ja recht geben musste. Wollte nur mal mein Glück testen. Dabei unterstützte mich Watahine auf ihre Weise: ‚Zumindest ein Auto der kanadischen Finanzbehörde steht da drüben. Die beobachten mich schon seit Jahren. Ist nichts Neues, habe gelernt, damit zu leben. Doch warum tauchen dieses Mal so viele Behörden hier auf – gemeinsam mit euch, Doris?‘
‚Brad und Allen vermuten einen Zusammenhang mit den Vorfällen in Akwesasne. Wir werden dieses Mal auf dem Rückweg einen anderen Übergang als sonst wählen. Mr. Ball meint, da könnte etwas in Vorbereitung sein, um uns zu provozieren. Vielleicht sogar von der Indianerbehörde, oder dem FBI. Deshalb ist dieses Mal auch Sam dabei, und nicht Ben oder Ball. Er ist ein unabhängiger PI und hat mich schon diverse Male mit seinen Schlussfolgerungen übergerascht. Dabei bleibt er immer ziemlich cool und flippt nicht sofort aus.‘
Das waren ja Neuigkeiten. Dachte ich doch bisher, der Auftrag war uns eher zufällig in die Agentur geschneit. Und jetzt musste ich feststellen, dass er von längerer Hand an unseren Nasen vorbei zum Kochen gebracht wurde. Nur roch diese Mahlzeit immer strenger. Ich fasste einen schnellen Entschluss: ‚Habt ihr Leute hier vor Ort, die den Parkplatz während unseres Ausfluges zu euch unauffällig im Auge behalten könnten? Ich würde diesen Herren dort gerne die Chance offerieren, sich unser Auto mal ganz in Ruhe anzuschauen.‘
‚Sicher doch! Warum?‘
‚Dann lassen wir es einfach hier stehen. Ich hoffe, du kannst organisieren, dass wir nachher von euch hin und zurück gebracht werden. Dann könnte ich auch mal einen Schluck trinken. Geht das?‘
‚Ja!‘, antwortete Watahine. ‚Und Nein! Ich kann euch fahren, aber innerhalb des Gebietes von Wahta gibt es keinen Tropfen Alkohol!‘
‚Man bekommt nie alles Gute auf einmal. Unser Auftrag geht jedoch vor… Wann wollen wir los? Würde gerne noch mein Zimmer in Augenschein nehmen.‘
‚Reichen euch dreissig Minuten?‘
‚Dann beeile ich mich. Doris, brauchst du noch was aus dem Auto? Ich schliesse es gleich ab.‘
Unterwegs erklärte ich ihr die Grundzüge meines Planes. Sie sollte nicht alles wissen, doch im richtigen Moment entsprechend reagieren. Ich hatte ja keine Ahnung, wie er ausgehen würde. Es konnte alles passieren, sogar dass ich vollkommen falsch lag. So etwas war mir zwar noch nie geschehen, möglich war es jedoch. DEA, ATF, die Mounties und so waren ja keine Gagster. Die kannten ihren Job und konnten sicher eins und eins zusammenzählen. Aber: Wer gewinnen will, muss etwas wagen. Ich wollte mit der Aktion herausfinden, auf welcher Ebene wir uns gegenüber standen. Und wie weit sie gehen würden…
Im Auto schnappten wir uns unsere Survivalkits und die Reise-Unterlagen. Ich dachte noch an meinen auffälligsten Hut. Ich sollte doch im Dunkeln selbst von den Zimmern aus erkannt werden, wenn wir zurückkamen, um niemanden ungewollt zu überraschen. Zusätzlich steckte ich noch weithin sichtbar ein Streichholz ins Türschloss. Als kleinen Intelligenztest!
Als wir das Hotel betraten, war mir sofort klar: So viele Gedanken hätte ich mir nicht machen müssen. Wie Doris in New York schon sagte: Das Bala Inn war kein Reisser, aber ich mochte es von Anfang an. Es schien noch aus einer Zeit zu stammen, als es selbst hier in Kanada üblich war, Streitigkeiten mit einem Revolver zu klären. Also bestimmt so ungefähr zweihundert Jahre alt. Einschusslöcher in den Wänden waren nicht mehr zu erkennen, wahrscheinlich hatte man diese Bretter – das Hotel war nahezu komplett aus Holz – im Laufe seines Bestehens mehrfach ausgetauscht. Ich hoffte nur, dass sich zwischen den Aussen- und Innenwänden wenigstens ein Hauch moderner Dämmungsmatten befand. So genau wollte ich Doris‘ Gewohnheiten denn doch nicht mitbekommen. Immerhin hatte sie das Nachbarzimmer.
Nur eine Treppe führte zu einem langen, mit knarrenden Holzdielen ausgestatteten Gang, von dem sämtliche Zimmer abgingen. Und mittendrin hing noch ein historisches Münztelefon – mit Wahlscheibe!
Die ersten beiden Zimmer, gleich hinter der letzten Stufe, hatten sich die US-Behörden als Einsatzzentrale eingerichtet. Sogar die Türen standen offen. Ich fühlte mich sofort gut beschützt. Niemand konnte unbeobachtet in den Gang gelangen. Die dritte und vierte Tür nach vorne raus führten in unsere Bereiche. Ich wählte das hintere der beiden. Die Schlüssel, die wir von Watahine bekommen hatten, passten eh in beide Schlösser. Wahrscheinlich in noch viel mehr auf diesem Gang.
Die Räume waren übersichtlich und sauber, alles Nötige war vorhanden und funktionierte. Selbst der alte Röhrenfernseher, den ich sofort einschaltete, um zumindest meine Schritte etwas zu kaschieren. Den Inhalt meiner Tasche schüttete ich einfach auf das Bett, ich wollte meinen Besuchern die Suche vereinfachen. Und so war es mir möglich, die wenigen Dinge, die niemanden etwas angingen, schnell zur Seite zu packen. Die Mappe mit unseren offiziellen Unterlagen legte ich auf den Tisch, nicht ohne mir ein Haar auszurupfen. So könnte ich bei unserer Rückkehr sofort sehen, ob wirklich jemand reingeschaut hat. Den Schmerz hätte ich mir ersparen können…
Die Arbeit, nach Mithörgeräten zu suchen, liess ich ebenfalls. Hier war alles so hellhörig, dass ich Doris im Nachbarzimmer fluchen hörte: Ihr war das Waschtäschchen heruntergefallen.
Da entdeckte ich die Tür hinaus zur Veranda! Auch sie lief am gesamten Haus entlang, mit nur kleinen Trennzäunchen zwischen den einzelnen Zimmern. Ein Schaukelstuhl wäre eine nette Zugabe gewesen, um draussen zu sitzen und über den Parkplatz hinweg einen Blick auf den Lake Muskoga zu werfen.
Hinter der Tür fand ich einen kleinen zusammengeknüllten Zettel mit typischem Gekritzel, welches man oft während des Telefonierens aufs Papier brachte. Doch eine Zwölf war deutlich, als einzige Zahl, zu erkennen. Also fand Parker ebenfalls Einlass in fremde Räume. Und er schlief nur drei Türen weiter den Gang runter, auf unserer Seite. Alles war so herrlich einfach arrangiert. Völlig beruhigt klopfte ich an Doris‘ Fenster und zeigte ihr, dass ich wieder nach unten ging. Mit einem besonders kreativen Hut.
Watahine lachte sich halb tot, als sie meine obskure Kopfbedeckung aus der Nähe sah: ‚Wir machen einen Powwow und keinen Karneval. Was willst du denn mit diesem albernen Ding erreichen?‘
‚Jeder soll sofort erkennen können, dass ich darunter stecke. Auch im Mondschein.‘
‚Klappt damit problemlos. So’n blödes Teil setzt sich kein vernünftiger Mensch auf die Rübe… Unser Gespenst schon bemerkt? Soll Glück bringen, wenn man es hört.‘
‚Habe viel gehört, das Hotel ist sicher ausgebucht. Aber ein Geist ist mir nicht aufgefallen.‘
Lächelnd schob sie mir ihr Päckchen Drehtabak zu: ‚Rauchen darf man bei uns!‘
Doris schloss sich uns völlig aufgelöst an: ‚An dieses Hotel muss ich mich immer wieder neu gewöhnen!‘
Unterwegs hielt Watahine noch am Reservatsshop, damit ich mich mit einem Riesenpack Drehtabak und Blättchen eindecken konnte. Es war kein Gerücht, dass u. a. Rauchwaren dort deutlich billiger angeboten werden. Und Treibstoffe!
Obendrein wollte ich noch die versprochenen Geschenke für Sandy und Jennys Kinder kaufen, doch Watahine versprach, mich damit in Ohsweken vielfältiger zu versorgen. Dafür schnappte ich mir noch einige der ‚Sweet Gras‘-Zöpfe für meinen Survival-Bag – richtig angewendet, bringt man damit seine Wäsche (und Zimmer) zum Duften. Sie dürfen nur nicht austrocknen, bevor man wieder Nachschub bekommt…
Auf dem Parkplatz vor dem Gemeindezentrum probierte ich sofort den neuen Tabak aus. Watahine und Doris wurden von ihren Bekannten begrüsst. Das gab mir die Möglichkeit, mich ein wenig umzusehen. Irgendwas war falsch an dieser Szene. Ich benötigte ein kleines Weilchen, bis mir auffiel: Da waren nur Frauen am Rauchen. Wo waren die Männer abgeblieben? Sollte ich etwa der einzige sein auf diesem Powwow?
Also fragte ich Watahine, und bekam die Antwort, dass diese sich drinnen um das Essen kümmern. Das fühlte sich etwas eigenartig an. Aber es war echt so. Als wir rein gingen, rannten dort eine Handvoll von ihnen rum, mit Geschirr, Schüsseln und Besteck. Sie deckten lange Tische ein. Mit einem gemeinsamen Essen hatte ich nun bei einem Powwow wirklich nicht gerechnet. War jedoch nicht böse – seit unserem Frühstück in Buffalo hatte ich nur von unserem ‚haltbaren‘ Proviant gezehrt. Hier bekamen wir echte Hausmannskost.
Watahine wies uns zwei Ehrenplätze zu – neben ihr und unseren beiden Kriegern aus Akwesasne. Sie hatten in der Küche beim Kochen geholfen. Diese Rollenverteilung war echt gewöhnungsbedürftig für mich. Ich hatte zwar schon einige verrückte Situationen durchlebt, so dass ich ehrlich nicht mehr erwartet hatte, Neues kennen zu lernen. Doch ich kapierte schnell und gliederte mich ein: Beim Abräumen und Umräumen nach dem Essen half ich schon mit. War gesünder, dafür mal auf eine Zigarette zu verzichten. Und erregte Aufsehen…
Anschliessend begann der eigentliche Powwow, der wesentlich mehr meinen Erwartungen entsprach. Im Saal standen nun eine Menge Stühle, wohl angeordnet in einem Kreis. In dessen Mitte befanden sich weitere Sitze um eine riesige Trommel herum, vielleicht zehn, mit jeweils einem grossen Schlägel auf jedem Platz.
Zum Anfang ging ein älterer Mann den äusseren Kreis herum und räucherte uns ein. Um uns zu reinigen, wie er mir zuflüsterte. Dieser Rauch roch nach Sweet Gras mit einer besonderen Extranote. Habe nie erfahren, was sie noch in dieses Gemisch mit hineintun.
Danach stand eine ältere Frau auf und erzählte uns eine ‚belehrende‘ Geschichte. In Englisch, wie sie sich entschuldigte, damit auch die Gäste ihre Worte verstehen könnten. Dieses Erlebnis hatte sie wohl Mitte der 60er, vermutete ich nach ihrem Alter: Sie war damals nach eigenen Aussagen eine junge Teenagerin. Zum ersten Mal durfte sie mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder auf einen Trail gehen, einem winterlichen Jagdzug. Ihr Vater wollte seine Fallenstrecke regelmässig ablaufen, um die Eisen ständig bereit zu halten. Deshalb übernachteten sie in einem Tipi in der Nähe der Strecke. Doch nach drei, vier Wochen wurden die anderen krank, und niemand ausser ihr konnte weiter nach den Fallen sehen. Sie war noch nicht in der Lage, diese zu leeren und neu zu spannen. Dafür war sie zu unerfahren und schwach; die Gefahr, dass sie selbst in eine der schneebedeckten Fallen tapste, viel zu gross.
Das Fleisch ging zur Neige, dann der Tee und alle litten Hunger. Sie wusste sich nicht zu helfen, sie wollte ja nicht, dass sie im winterlichen Wald verhungerten. In diesem Augenblick fiel ihr der ‚Creator‘ ein. In ihrer Verzweiflung wendete sie sich direkt an ihn. Sie schlief ein und er sendete ihr einen Traum. In dem erklärte er ihr, was sie tun musste, um ihre Familie und sich zu retten.
Am nächsten Morgen schleppte sie sich entlang der Fallen. Und richtig: In eine war ein Biber geraten. Er lebte noch, also erschlug sie ihn mit einem starken Ast und schnitt ihn aus dem Eisen. Sie brachte ihn ins Tipi und konnte das tote Tier nach den Anweisungen ihres Bruders aufschneiden, so dass alle ein Stück von der rohen Leber essen konnten. Schnell fühlten sich auch ihre Eltern gekräftigt, so dass sie ein Mahl aus ihm bereiteten. Alle erholten sich und konnten noch ausreichend Pelze in diesem Winter ‚ernten‘. Sie ging mit ihrem Vater mit, und lernte so, wie sie es beim nächsten Mal allein schaffen würde.
Am Ende des Winters zogen sie wieder zurück in ihr Dorf. Vom Erlös für die Pelze wurde ein grosses Fest zelebriert und alle konnten sich satt essen. Für sie, und nur für sie, hatte der Vater in der Stadt eine Orange gekauft. Sie durfte diese mit Niemandem teilen! Es war ihre erste Orange, und die süsseste, die sie je gegessen hatte. Moral: Vergesst die alten Traditionen nicht – sie sind für Indianer lebensnotwendig!
Beeindruckende Geschichte, fand ich…
Danach startete die Musik und der Tanz – so wie ich es mir gewünscht hatte. Einige Krieger – nur diese durften trommeln – schnappten sich jeweils einen Schlägel und nahmen rund um die Trommel Platz. Sie schlugen einen monotonen Rhythmus und stimmten den für den sogenannten ‚Northern Style‘ typischen hohen Gesang an.
Nach dem ersten Stück kam Brad zu mir und führte mich zu einem leeren Platz an der Trommel. Mit den Worten ‚Das wird ein Stück, um unsere Frauen zu ehren‘, drückte er mir einen Schlägel in die Hand. Da erst erkannte ich, dass die Trommel auf den Füssen der Herren am Instrument ruhte und sie diese so in der Bodenhöhe und damit Tonhöhe variieren konnten.
Die Frauen tanzten um uns herum. Das war der Moment, als ich regelrecht abhob. Diese hohen Stimmen um mich, das gleichmässige Schlagen der Trommel. Das war mehr als ich erwartet hatte.
Nach dem Tanz kam Brad wieder und nahm mir den Schlägel ab. Dafür schnappte sich Watahine meine Hand und zog mich in den Kreis der Tänzer. Jetzt fing es für mich erst richtig an. Immer um die trommelnden Männer herum. Zwei Schritte nach vorne gebeugt auf einem Bein hüpfen und die Arme nach unten schütteln. Danach richteten wir uns auf und warfen die Arme nach oben. Weiter ging es auf dem anderen Bein. Immer wieder, immer wieder. Die Frauen kreischten wie bei einem Kriegstanz und die Männer blieben in ihrer hohen Stimmlage. Irgendwann sah ich den Creator über uns wachen. Ich befand mich nicht mehr in dem Saal – bis das Stück aufhörte.
Nachdem ich mich einen Augenblick gesetzt hatte, kamen Brad, Allen und ihr Quartierherr zu mir und forderten mich auf, mit ihnen eine rauchen zu gehen. Die Warrior stellten mir ihren Freund als den ‚Story Keeper‘ der Gemeinde vor. Zusätzlich boten sie mir an, ihn am nächsten Tage zu besuchen.
Watahine und Doris könnten gemeinsam nach Ohsweken im Six Nations fahren und alles vorbereiten. Mir bliebe so ein zusätzlicher Tag in Bala. Der Story Keeper hätte eine Art Museum in seinem Haus zusammengestellt. In diesem könnte ich mich in Ruhe umsehen. Er besässe zum Beispiel einen der originalen Wampume von der Gründung der Five Nations Mitte des 15. Jahrhundert. Eventuell dürfe ich den sogar in die Hand nehmen. WOW! Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Also ging ich wieder zum Gebäude, aus dem die beiden Frauen gerade heraus kamen.
‚Habt ihr euch einigen können?‘ war die direkte Frage von Watahine.
Ich nickte und sie bedeutete mir, sie wäre jetzt bereit, uns nach Bala zurückzubringen. Doch sie fuhr nicht direkt zum Hotel. Am Ortseingang bog sie in die ‚falsche‘ Richtung ab und wir landeten in einem gut besuchten Ketten-Cafe. Sie wies uns einen Tisch an und erklärte, sie würde zahlen. Wir bekamen jeder ein Riesenstück Apfelkuchen mit einem kräftigen Schlag Sahne drüber. Doris flüsterte mir zu, dies wäre der definitiv beste Apfelkuchen in ganz Kanada. Und er war genial… Es überraschte mich wenig, als ich ‚Klapperschlange‘ Russel mit seiner goldigen Liebe ein paar Tische weiter entdeckte. Angeblich besassen sie ja in der Nähe ein Häuschen…
Auf dem Rückweg zum Hotel wurde es dann dunkel. Kurz vorher, an der Stelle, an welcher der Lake Muskoga seinen Abfluss hatte, hielt sie auf einer Brücke. Unter ihr befand sich ein Wasserfall. Für diese Nacht war der Harvest-Moon angedroht. Er beleuchtete das abfliessende Flüsschen und das gesamte Wasser leuchtete Gelb. Watahine flüsterte mir zu: ‚Wir nennen ihn Moon-River!‘ In meinem Köpfchen hörte ich mit einem Schlag Marilyn vom ‚River of No Return‘ singen. Manche Augenblicke bleiben für die Ewigkeit! Doch wir mussten wieder zum Hotel.
Der Parkplatz war leer. Watahine spendierte uns noch je eine ihrer Zigaretten, die wir auf der Terrasse genossen.
Als wir anschliessend die Treppe zum Hotelstockwerk hinauf marschierten, sah ich noch schnell ein spitzes Näschen hinter einer der beiden Zimmertüren am Ganganfang verschwinden. Watahine begleitete Doris in ihren Raum.
Meine Zimmertür ein paar Schritte weiter war zu, jedoch nicht abgeschlossen. In diesem Moment bekam ich den ersten Beweis für das Hotel-Gespenst. Auf meinem Tisch stand eine Flasche vom guten Mittchell-Whiskey. Daneben zwei Gläser, auf eines war mit Lippenstift ein Smiley gemalt. Ich goss mir ein Schlückchen ins saubere Glas und trat auf die Veranda an die Balustrade. Ich wollte mir in Ruhe eine drehen, als Watahine über die Begrenzung von Doris´ Teil stieg. Sie drückte mir einen Reiseaschenbecher in die Hand: ‚Benutze lieber den! Anhand der Kippen morgen früh erkennen die Hotelangestellten, wer hier oben verbotenerweise geraucht hat.‘
Später wollte sie wissen, ob mein Handy internetfähig wäre. Dann würde sie sich gerne das Kameravideo mit mir anschauen. Was wir auch im Zimmer taten. Eigentlich war nichts zu sehen. Am Auto war niemand gewesen. Parker hatte die Mounties aus dem mobilen Einsatzwagen daran gehindert. Also daher wehte der Wind…
Mitten in der Nacht wurde ich geweckt, als jemand meine Kinnlade nach oben schob. Watahines Stimmchen erklärte mir dabei: ‚Klappe zu, deine Zunge wird obdachlos!‘
Sie drehte sich um und reichte mir eine weitere Zigarette vom Nachttischchen. Wir hingen uns gemeinsam die grosse Überdecke des Bettes um und traten wieder auf die Veranda. Auf dem Lake Muskoga hinter dem Parkplatz spiegelte sich der Harvest Moon im Wasser. Auch dieser Augenblick hätte perfekt werden können – ja, wenn sie mir nicht in mein nacktes Hinterteil gekniffen hätte…
Als ich erwachte, lag ich alleine im Bett. War Watahine nur ein Traum gewesen?
Doch auf dem Tisch fand ich eine Notiz von ihr: ‚Wir erwarten dich morgen in Ohsweken!‘
Dieser Zettel erinnerte mich daran, dass ich Kathy irgendwie mal wieder auf den neuesten Stand bringen musste. Doch sie war noch nicht im Büro, nur ihr Sekretär, der mir versprach, sie über den Anruf zu informieren. Ich stand dann kaum unter der Dusche, als ihr Rückruf kam.
Sie tat zwar etwas genervt darüber, dass ich mich nicht früher gemeldet hatte. Doch auf meine Frage, warum uns denn ihre Kollegen aus Washington folgen würden, wusste sie ebenfalls keine richtige Antwort. Das wäre mit ihr nicht abgesprochen…
Ich bot ihr an, mich anzuziehen und das Handy an einen ihrer Kollegen weiterzureichen. Was aber nur zum Abbruch des Telefonates führte. Also duschte ich in Ruhe zu Ende.
Minuten später, nachdem ich wieder salonfähig gekleidet war, trat ich auf den Gang und stiess dort mit Parker zusammen. Wir stellten uns offiziell gegenseitig vor und ich nutzte die Gelegenheit, ihn nach den Frühstücksgewohnheiten im Hotel zu fragen. Im Hause gab es keines, dafür mussten wir in den Ort hinein. Er bot an, mir ein machbares Restaurant in Bala zu zeigen. Dort gäbe es ‚phantastische Pancakes‘! Klang gut und ich schloss mich ihm an.
Unterwegs nutzte ich die Chance, mit ihm wie mit einem Kollegen zu reden. Sein Verhalten auf dem Parkplatz gegenüber den Mounties lag mir doch schwer im Magen. Er erklärte mir jedoch, dass er mit allen anwesenden Behörden Kontakt aufgenommen hätte, um mehr über ihre Vorhaben hier zu erfahren. In diesem Zusammenhang hätte er den Mounties lediglich mitgeteilt, dass der Sprinter bisher nur uninteressante Infos bergen würde. Unser Trip begann ja erst. Auch er vermutete eine mögliche Provokation von offizieller Seite. Richtig erklärte seine Antwort jedoch nicht, wieso er so schnell mit all diesen Behörden gut klar kam. Irgendetwas war faul an ihm. Wieso vertrauten ihm deren Mitarbeiter sofort? Mir wäre es sicher nicht gelungen…
Aber die Pancakes waren echt lecker. Vier Stück geschichtet, zwischen den einzelnen Lagen ‚drei Quarks von Meister Mark‘ (Zitiert nach Joyce‘ ‚Finnegans Wake‘! Daher wohl der Name für das Gericht: ‚Finnegans Tart‘!). Drüber gab es einen gewaltigen Schuss Ahorn Sirup. Garniert war diese Art Torte mit den verschiedensten lokalen Früchten, von Waldhimbeere bis hin zu Cranberries, und einem kräftigen Schlag Sahne. Die Cakes waren so locker gebacken, ich konnte sie mit Hilfe eines grossen Löffels verschlingen. Noch bevor ich mir mit einer Serviette Mund und Bart säubern konnte, erschienen die beiden Warrior: ‚Der Teller ist das Leckerste daran! Wenigstens ablecken solltest du ihn.‘ Parker wurde echt weiss im Gesicht. Er hatte halt keine Ahnung von Quantenphysik. Aber manche Menschen nutzen für sich die ‚Heisenbergsche Unschärfe‘…
‚Wir können los, wenn ihr wollt. Ich muss nur noch zahlen‘, antwortete ich ihnen.
‚Nöö! Wir hatten noch kein Frühstück. Lass dir mal Kaffee nachschenken, wir geben Bescheid, wenn wir soweit sind.‘ Sie nickten Parker zu und entfernten sich von unserem Tisch.
Parker jedoch zahlte seine Tart und verschwand auf dem schnellsten Wege aus dem Restaurant. Ich schnappte mir meinen Kaffee und setzte mich zu den zwei Mohawks. ‚Kennt ihr den Herren?‘
‚Nicht wirklich. Er ist wohl bereits am Freitag hier aufgetaucht, gemeinsam mit einem der ATF-Agenten. Gehört er zu eurer Agentur?‘
‚Eigentlich ja. In uns hat er den Verdacht erregt, dass er noch einen zweiten Auftraggeber hat. Sein Einsatz hier ist unsere Art, fragwürdige Praktikanten zu testen.‘
‚Na, testen müsst ihr den nicht mehr. Aber wir könnten diese Konstellation ausnutzen, ohne in ihm einen Verdacht aufkommen zu lassen.‘
‚Ihr habt wohl bereits eine Idee?‘
‚Klar! Wir weihen dich später ein. Jetzt wollen wir essen. Wie hat denn der Teller geschmeckt?‘ Allen brach in ein lautes Gelächter aus.
Grinsend antwortete ich (nicht ganz wahrheitsgemäss): ‚Nicht nach Porzellan, war wohl nur aus Steingut.‘
Beide schienen an diesem Tage gut gelaunt. Wir zogen uns noch ein Weilchen gegenseitig auf, bevor sie mich in ihr Auto luden und in Richtung Wahta verfrachteten.
Als wir am Hotel vorbei fuhren, schien dort alles ruhig.
‚Dein Kollege hat wohl alle informiert. Sie haben abgewartet, bevor sich wieder mal jemand an eurem Wagen zu schaffen macht. Aber keine Angst – unsere Cam ist on. Wir könnten sogar übers Netz durch ihr Auge schauen…‘
‚Läuft die die gesamte Zeit?‘
‚Ja! Wir sind überzeugt, ihr verfügt inzwischen über diverse Sensoren, damit sie nicht ständig ihre Augen aufhalten müssen. Da wollten wir nicht noch einen weiteren hinzufügen. Würde ihnen auffallen. Bin ich sicher. Von unserer Seite steht der Wagen unter permanenter Beobachtung. War alles vorbereitet, ist keine Mehrarbeit für uns. Wir haben sogar Leute in der Hotelcrew, schon seit Monaten… Also wenn du mehr Infos benötigst, einfach danach fragen.‘
‚Was davon weiss Watahine?‘
‚Alles! Sie ist der Boss. Ist aber schon nach Ohsweken unterwegs‘, erfuhr ich von Allen.
‚Ich gehe der Einfachheit halber davon aus, wenn etwas Gravierendes geschehen wäre, hättet ihr es mir bereits mitgeteilt.‘
‚Klar! Dennoch sollten wir für morgen eine Zeit ausmachen. Wir möchten kurz nach dem Mittag bei den beiden Frauen eintreffen.‘
‚Und ich bestehe auf mein Frühstück!‘
‚Okay! Treffen wir uns gegen neun im Cafe von heute. Schaffst du das?‘
‚Klar!‘
Wir hielten vor einem grösseren, einstöckigen Haus direkt an der Hauptstrasse…
Wir betraten gemeinsam dieses Riesenhaus. Es schien, als ob es nur über einen einzigen Raum verfügte. Und eine Schlaf- und Kochecke konnte ich nirgends entdecken. Trotz der Behauptung des Hausherrn, es wäre sein Wohnhaus – so richtig glauben konnte ich es nicht.
Allen stellte ihn als ‚Dr. Laugh – Story Keeper und Medizinmann des Territoriums‘ vor. Im ersten Augenblick dachte ich an ‚Dr. Love‘, doch er grinste in einer Tour, so dass mir sein richtiger Name schnell klar wurde…
Er wollte gleich zu Beginn von mir wissen, woher mein Interesse an der Geschichte der First Nations käme, und wie er sich mein Verhalten während der letzten Tage erklären dürfe. Das wäre ja nicht gerade typisch für den ‚Weissen Mann‘.
Meine Ausführung, dass mich mein Job als Detektiv zu einer möglichst vorurteilsfreien Betrachtung der gewonnenen Fakten zwingen würde, schien ihm wiederum weniger glaubhaft. Eine kleine Delle verpasste ich seinen Überzeugungen damit, als ich ihm darlegte, dass die sogenannten bösen Jungs häufig nach klar umrissenen Standards handelten. Viele unserer Behörden wiederum bewegten sich schnell mal ausserhalb jeder Regel. Hauptsache der Fall konnte zügig zu den Akten gelegt werden, egal wie weit das Recht gebeugt wurde. Dafür erntete ich ein einvernehmliches Nicken von Brad und Allen.
Aber erst mit der Geschichte meines Vaters überzeugte ich ihn. ‚Das heisst für mich, du hast echtes Indianerblut in deinen Venen. Wahrscheinlich nicht wirklich viel, aber du bist zum Teil einer von uns! Auf einem Selbstfindungstrip!‘
Naja, soweit wollte ich nicht gehen. Dachte ich bei mir. Doch er verführte sich mit seiner Annahme selbst dazu, das Museum wie abgesprochen zu öffnen. Die beiden Warrior konnten ihn wohl vorher nicht ganz von meinem ehrlichen Interesse überzeugen. Meinen Vater hatte ich ihnen gegenüber nie erwähnt.
Anfangs führte er uns in eine Art Sommergarten in einer Ecke. Dort hatte er mehrere kleine Beete eingerichtet, in denen winzige Pflänzchen zu sehen waren. Daneben standen jeweils Marmeladengläser, mehr oder weniger gefüllt mit ziemlich vertrockneten Maiskörnern. Eines davon nahm er in die Hand und erklärte uns, dass man die bei Ausgrabungen in verlassenen Dörfern gefunden hatte. Das Glas in seiner Hand enthielte Körner, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor dem Zusammentreffen mit den weissen Eroberern geerntet wurden. Nun versuche er, daraus wieder neue Pflanzen zu ziehen. Dabei zeigte er auf eines der Beete: ‚Und sie treiben!‘ Er wollte auf die Weise herausfinden, wie sich dieser urtümliche Mais von den ‚heutigen Sorten‘ unterscheidet. Ich konnte ihm sagen, dass seine Kolben wohl eher klein ausfallen werden. Das hatte ich mal irgendwo gelesen.
Dies wusste er auch. Doch war er der Meinung, dass man so eventuell eine für die Indianer besser geeignete Sorte züchten könnte. Naja, dafür wird sein Leben wohl nicht lang genug sein, fand ich. Womit ich ihn offensichtlich ein wenig verärgerte.
Danach zeigte er uns seine umfangreiche Trommel-Sammlung. Meine beiden Begleiter schnappten sich jeder eine der kleineren, um ihre Künste vorzuführen. Überzeugten aber weder mich noch den ‚Doktor‘. Er nahm sie ihnen wieder aus der Hand und zeigte sie mir. ‚Das sind sogenannte Wassertrommeln. In unserer Mythologie sind sie mit dem Blut unserer Vorfahren gefüllt.‘ Und an Brad gerichtet: ‚Sie werden ohne Stick geschlagen! Mit den Händen wird die Membran leicht gedrückt, um so die Tonhöhen zu variieren.‘
War gar nicht so leicht. Er reichte mir die Trommel und forderte mich zum Probieren auf. Man musste das Fell ziemlich stark drücken, um einen Effekt zu hören. Ich gab sie ihm zurück. Bei ihm klang es schon eher nach Musik.
Nun gingen wir zum grössten Ausstellungsstück – einer Powwow-Trommel mit ihren Schlägeln. Er nahm einen in die Hand und schlug sich damit in die andere. ‚Diese wurden früher auch als Keulen im Kampf benutzt. Aus dem Grunde dürfen bis heute nur Krieger die Trommeln beim Powwow malträtieren. Alles andere hast du ja selbst gestern herausfinden können. Hast dich wacker geschlagen. War beeindruckt.‘
‚Habe die anderen nur nachgeäfft. Der Rest kam von alleine.‘
‚Na, siehst du! Die Geister und unsere Vorfahren leiten uns immer noch an. Gemeinsam mit dem Creator zeigen sie uns den Weg.‘
Er ging zu einer Glasvitrine und winkte mich heran. Darin lagen mehrere Wampum-Gürtel. Er öffnete die Vitrine und nahm einen heraus: ‚Dieser hier stammt noch aus der Zeit vor unserer Begegnung mit den britischen Truppen. Er gehört zu den über 60 Gürteln, mit denen wir dem Bündnis der fünf Nationen beigetreten sind. Jedes Langhaus hat damals einen Wampum erhalten. Willst Du ihn einmal in die Hand nehmen?‘
Ich dachte schon, er will nicht fragen. Nun hielt ich ihn in meinen Händen. Ein wohliger Schauer durchfuhr mich. ‚Diesen Vertragsgürtel liest man von innen nach aussen. Jedes Symbol stellt einen der Stämme dar. Es wird ein Langhaus mit seinen Einwohnern symbolisiert. Daher auch unsere Eigenbezeichnung als die ‚Leute vom Langhaus‘, Haudenosaunee. Hier ganz rechts sind wir, die Mohawks. Wir sind die Hüter des östlichen Einganges. In der Mitte sind die Onondaga, die Hüter des Ratsfeuers. Die werdet ihr ja auf eurem Trip noch kennenlernen…‘
Und schon nahm er mir den Gürtel wieder aus der Hand, um ihn vorsichtig wieder zurückzulegen. In diesem Moment stellte sich mir die Frage, wie denn diese Sammlung abgesichert war. Sah ich doch darin einen kleinen Auftrag für T.B.C.. Dies würde mich nichts angehen, war seine lapidare Antwort. Er erklärte lediglich, dass das vom Stamm anders gelöst wurde als üblich. Musste ich so akzeptieren.
Er zeigte mir noch eine Reihe anderer ‚Exponate‘, die sich jedoch eher speziell auf die Geschichte und Mythologie der Wahta Mohawks bezogen. Etwa ein älteres sogenanntes Falschgesicht. Mit dem Hinweis, diese dürften Fremden gegenüber nicht gezeigt werden. Sie sind Teil der Traditionen der alten ‚Medizinbünde‘ der Irokesen.
Bei den Masken würde es sich um lebende Wesen handeln, die zu bestimmten Zeremonien sogar gefüttert werden. Diese eine spezielle Maske in seiner Hand wäre jedoch ein frühes Beispiel für die zeitweise überhand nehmende Kommerzialisierung des indianischen Alltages. Inzwischen hätte sich der Handel mit solchen und ähnlichen Masken zumindest innerhalb der Liga erledigt. Da dieses spezielle falsche ‚Falschgesicht‘ keinen Bezug zur Geschichte eines der Bünde hätte, durfte er sie auch als ‚schlechtes‘ Beispiel seinen Besuchern zeigen. Echte müsste er immer eingewickelt versteckt lagern. Darüber hinaus gäbe es signifikante Unterschiede zwischen den Souvenir- und den echten (Falsch)-Gesichtern…
Er goss uns noch jeweils irokesischen ‚Power-Tee‘ nach und verschwand im hinteren Teil des Hauses, hinter mehreren Schränken.
Nach cirka zehn Minuten kam er mit einem grossen Holzteller in der Hand wieder. Es gab gekochte Maiskolben, übergossen mit einer süsslichen Kräutersosse. ‚Das sind moderne Kolben‘, teilte er uns mit. Sie waren durchaus schmackhaft. Nur hätte ich mir nach dem eher zuckrigen Frühstück etwas Handfesteres als Snack gewünscht. Also lud ich alle zu einem herzhaften Steak ein – falls sie mir ein gutes Restaurant nennen könnten. Konnten sie. Doch es dauerte noch ein Weilchen bis wir in seine Richtung aufbrachen. Vorher zogen wir in den Wald hinter dem Museum. Dort erklärte uns der Doktor einige der alten traditionellen Jagdmethoden. Bewaffnet waren wir dafür nur mit modernen Fotohandys. Es boten sich vor allem für Brad und Allen scheinbar viele Motive…
Zu viert fuhren wir nach unserem Ausflug zurück nach Bala. Zum Hotel, denn dessen Restaurant war das genannte. Unterwegs erklärte mir der Doktor noch so einiges zu den indianischen Traditionen bezüglich ihres Gesundheitswesens.
Etwa, dass ein Medizinmann nie Geld für seine Behandlungen erhielt. Es existierte auch keine Gebührenliste. Seine Klienten gaben ihm, was ihrer Meinung nach die wiedererlangte Gesundheit Wert war. Manchmal war es ein Löffel, und manchmal das erste erlegte Tier nach der Krankheit. Die Restaurant Chefin war eine seiner Patientinnen und sie revanchierte sich dadurch, dass er von ihr als bevorzugter Kunde behandelt wurde. Er erhielt mit seinen Gästen immer einen Platz und bekam nur das beste Essen serviert. Am Ende erhielt er jedoch eine Rechnung von ihr…
Als wir auf den Parkplatz fuhren, blieb mir fast das Herz stehen. Die Warrior parkten ihren Jeep direkt neben unserem Sprinter. Dessen Fahrertür stand offen und hinter dem Lenkrad sass eine weibliche Person. Sofort sprang ich aus dem Wagen, noch bevor er still stand. Doch sie hatte sich bereits umgedreht. Kathy hielt mir mein Streichholz entgegen: ‚Das ist doch sicher deines? Von dir hätte ich etwas mehr Erfindungsgeist erwartet…‘
‚Wie kommst du denn hierher?‘
‚Mann, was besseres fällt dir nicht ein, wenn du mich wiedersiehst? Ich bin bereits gestern vor Euch hier angekommen. Hatte schon am Abend gedacht, dass du mich erkannt hast, als ich gerade noch rechtzeitig unsere Tür schliessen konnte. Und heute früh am Telefon war ich nicht in der Stimmung für eine Szene… Jetzt hast du mich eine geschlagene Stunde hier warten lassen. Ich habe aber nichts ausser der Tür im Bereich des Sitzes angefasst. Ich wollte nur dein überraschtes Gesicht sehen.‘
Inzwischen hatten die Indianer ihr Auto abgestellt und sich zu uns gesellt. ‚Ich bin Kathy Miller! Eine seiner Exen – und Leiterin des New Yorker FBI-Stadtbüros. Ich habe ihm damals ein lebenslanges Souvenir verpasst.‘ Sie streckte ihre Hand in Richtung meines Hinterteiles aus, doch ich schlug sie weg.
‚Gibt es im Hotel ein Teatimeterminal?‘, fragte ich den Doktor. ‚Ich müsste der jungen Dame einmal erklären, dass Stalking eine Straftat ist.‘
‚Ihr könntet euch auf die Terrasse setzen und ich lasse den Tee dort servieren. Da dürft ihr sogar rauchen…‘
‚Klingt gut. Also Kathy, platzen wir uns und reden!‘
So gut, wie es der Doktor geschildert hatte, waren seine Beziehungen denn doch nicht. Der Tee kam erst, nachdem wir unser Gespräch schon fast beendet hatten.
‚Also, Kathy – bedeutet dein Auftauchen, dass ich dir keinen Zwischenbericht mehr schicken muss? Oder dass du mir nicht traust?‘
‚Den Zwischenbericht benötige ich schon, um das Geld für euch zu beantragen. Du kannst ihn jedoch kurz halten. Dann sollte allerdings der Abschlussbericht etwas ausführlicher werden, ohne dass du zum Baga-Teller wirst. Zur zweiten Frage: In unserer Behörde traut euch keiner. Jetzt erst recht nicht, nachdem du dich mit diesen Roten verbrüdert hast.‘
‚Was meinst du mit Verbrüderung? Niemand hat sich hier mit irgendjemand verbrüdert… Du musst den Irokesen schon erlauben, dass sie sich um den Schutz ihrer Lieferungen selbst kümmern.‘
‚Und dennoch triffst du dich in deiner Freizeit mit ihnen.‘
‚Auch wir sehen uns noch und haben längst die Zeiten einer Verbrüderung hinter uns gelassen. Wir sind nicht einmal mehr verschwestert…‘
‚Meine Vorgesetzten denken da anders, vor allem jetzt nach den Vorkommnissen in St. Regis.‘
‚Aber was haben diese Geschehnisse mit unserem Transport zu tun? Vor allem mit deinem Auftrag, der sich ja auf einen Fall bezieht, den ihr vor zwei Jahren bereits zu den Akten gelegt hattet...‘
‚Mann! Vermische hier nicht alles miteinander! Das Eine hat nichts mit dem Anderen zu tun.‘
‚Für mich schon. Ich gehöre inzwischen zu den Betroffenen und bin zwischen die Fronten geraten. Und ich bekomme das Gefühl, du hattest es so von Anfang an geplant.‘
‚Mann! Tu mal nicht so, als ob du dies nicht sofort gespürt hattest. Du hast dich doch nicht umsonst so geziert.‘
‚Frau! Ich bin lange genug dabei, um mir die ruhigeren Jobs auszusuchen. Deiner machte mir von Anfang an den Eindruck, stressig zu werden. Und das ist er inzwischen auch. Werfe mir bitte nicht vor, dass ich jede freie Minute geniesse!‘
‚Okay, okay! Habe wohl zu hoch gepokert…‘
‚Oh, Frau! Du verkennst mich immer noch. Diese Entwicklung hatte ich bei deinem Auftrag von vorne herein erwartet. Und bis heute ist alles so gekommen, wie ich es vorausgesehen habe... Auch ich pokere gerne mal. Am Ende werden wir sehen, wer am besten von uns bluffen kann…‘
‚Okay! Klar! Du willst mir wieder einmal beweisen, dass du der bessere von uns bist. Ist dir jedoch noch nie gelungen…‘
‚Wir werden sehen!‘ Damit stand ich auf und ging rein zu meinem Steak. Das war aber noch nicht bestellt. Aus dem Augenwinkel sah ich dabei, dass sich Parker zu Kathy setzte und meinen Tee genoss…
Meine drei Begleiter hatten es sich an einem echt guten Tisch mit erstklassigem Blick auf den Parkplatz und die Terrasse gemütlich gemacht. Sofort brachte uns der Kellner hervorragenden Kaffee, wie ich ihn mochte. Der Löffel stand darin aufrecht. Für mich gab es gar einen Whiskey dazu.
‚Ist das nicht die Dame, die Jamen und Ball dazu gebracht hat, dich als Fahrer anzustellen?‘
‚Woher weisst du das, Brad?‘
‚Hat Doris erwähnt… Auf die Weise klären sich so einige Zusammenhänge.‘
‚Welche, bitte schön?‘
‚Unter anderem, warum eure Verfolger dieses Mal so gut vorbereitet sind. Und vor allem, dass bei diesem Trip kein erfahrener Fahrer dabei ist, der sich mit den speziellen Problemen der First Nations auskennt. Langsam habe ich den Verdacht, dass selbst die Einbrüche in der New Yorker Thaft zum Plan gehören. Damit wir zum richtigen Zeitpunkt eine neue Ausstellung schicken müssen…‘
‚Also beim letzten Punkt kann ich dir folgen. Da werde ich mal mit New York reden und jemanden drauf ansetzen. Doch, dass diese Kathy bei solchen Aktionen mitmacht, ist eher nicht ihr Stil. Sie war schon immer eine extrem ungeduldige, aber eine gute Detektivin. Okay! Sie hatte damals schon gewisse Vorurteile anderen Hautfarben gegenüber, sowie zu anderen Bevölkerungsschichten. UND: Ich würde denken, dass sie mich ganz gut kennt und weiss, dass ich bei solchen Spielchen nicht mitmachen…‘
An dieser Stelle unterbrach mich Allen: ‚Ich glaube, dass gerade du der richtige Mann für diese Aktion bist – solange es n-u-r auf eine Provokation hinausläuft. Deine Agentur ist als unbestechlich und ehrlich bekannt. Du wärest in so einem Fall das richtige Feigenblatt. Gerade weil dir niemand zutraut, dass du bei dieser Aktion freiwillig mitmachen würdest…‘
‚Vor zehn Jahren zumindest hätte aber dieses Mädel auch nicht bei solchen Plänen mitgewirkt. Zwischendurch hatten wir keinen Kontakt mehr zu ihr. Und haben ebenfalls ihre Karriere nicht verfolgt.‘
‚Scheinbar aber sie. Oder ihre Behörde…‘
‚Warum? Wir hatten eigentlich höchstens mal am Rande mit dem FBI zu tun…‘
‚Genau das könnte der Grund sein. Man weiss, dass ihr nicht für oder gegen die arbeitet. Und doch seid ihr keine Unbekannten in der Stadt.‘
‚Okay, klar! Aber was jetzt? Brechen wir ab? Das kann nicht euer Ernst sein… Oder habt ihr schon einen Plan?‘
‚Wir arbeiten an einem. Lass uns morgen in Ohsweken darüber reden. Und schicke diesen falschen Mitarbeiter noch nicht nach Hause! Der könnte wichtig werden… Übrigens hat sich dieser ATF-Mann, mit dem er hier ankam, gerade zu den beiden gesetzt. Versuche doch mal, mehr über den herauszubekommen…‘
‚Kann ich probieren… Habe aber jetzt erst einmal echten Hunger. Wann kommt das Essen?‘
‚Ein blutiges Steak, mit Pommes? Ja? Ich würde schätzen in fünfzehn bis zwanzig Minuten‘, bemerkte da einer der Kellner. Ich nickte nur und nahm noch einen grösseren Schluck vom Whiskey. Es war kein Mittchell, nicht einmal Bourbon. Aber dennoch ein guter…
Während des Verdauungsnickerchens nach dem Steak in meinem Zimmer machte ich mir Gedanken, wie ich Pete in diesem scheinbar alles hörendem Hotel-Umfeld sprechen konnte – ohne ein drittes Ohr in der Leitung. Dieses Problem verfolgte mich bis in den Schlaf. Dort tat sich mir dann eine mögliche Lösung auf.
Also steckte ich mir meine Grosspackung Tabak und viele Blättchen ein, als ich das Zimmer in Richtung Parkplatz verliess. Ich lief im aufkommenden Dunkeln weiter zum Strand. Direkt am See brauste der Wind laut wie das Wasser unter einer Dusche. Wozu also im Bad telefonieren?
Ich wählte Petes privates Handy und nach dem üblichen Small Talk leitete ich an ihn die Fragen von Brad und Allen weiter – mit der Bitte, sich darum zu kümmern. Da Pete manchmal die Gewohnheit hat, die Zukunft vorauszusehen, hatte er bereits eine Antwort auf die Frage nach dem ATF-Agenten. Einer seiner Vögelchen hatte ihm schon einen Hinweis ins Ohr gezwitschert. Dieser Herr war wohl kein fester Mitarbeiter des ATF, sondern lediglich ein Auszubildender im Praktikum. Er war nicht einmal US-Bürger, sondern ein Kanadier. Ebenso wie unser Mister Parker. Der hatte bezüglich seiner Personenangaben nicht einmal gelogen. Lediglich seinen kanadischen Pass hatte er verschwiegen. Uns hatte er eine US-Fahrerlaubnis zur Identifikation vorgelegt. In ihrem Berufsalltag waren beide wohl Angehörige der Mounties! Das erklärte so einiges. Ich bat Pete, vorerst Stillschweigen zu wahren. Dieses Wissen könnte mir und den Kriegern in den nächsten Tagen noch nützlich sein…
Der Gedanke, dass die Einbrüche in der Thaft nur zu unserem Trip ‚verführen‘ sollten, war ihm ebenfalls bereits gekommen. Deshalb hatte er schon versucht, mit dem Häuptling beim NYPD Kontakt aufzunehmen, doch noch keine Gelegenheit gefunden, privat mit ihm zu reden. Das sollte am nächsten Tag passieren, bei einem gemeinsamen Essen. Pete war an dem Fall dran. Was mich ungemein beruhigte. Ich drehte mir eine weitere Zigarette und versuchte, den Abend am Strand zu geniessen. Kathy hatte etwas Anderes im Sinn…
Ich hatte mich gerade gemütlich zurückgelehnt, um den kanadischen Sternenhimmel in Ruhe zu betrachten, da tauchte sie neben mir auf. Nicht aus dem See, sondern ganz profan vom Hotel her.
‚Hoffst du etwas Besonderes dort oben zu entdecken?‘
‚Hach, Mann… Was willst du denn?‘, war die einzige Entgegnung, die mir über die Lippen kam.
‚Immer noch sauer?‘
‚Das erwartest du doch?‘
‚Wäre beruhigend, wenn nicht. Hast du ein Plätzchen für mich?‘
‚Das ist ein öffentlicher Strand.‘
‚Wir könnten ein Bad nehmen‘, schlug sie wenig später vor.
‚Mir zu kalt.‘
‚Wir könnten uns ja gegenseitig wärmen…‘
‚Habe etwas anderes mit dem Abend vor.‘
‚Ach, Mann – was denn?‘
Diese Frage liess ich unbeantwortet. Dafür bediente Kathy sich aus meinem Tabakbeutel…
Eine ganze Weile sassen wir laut schweigend und rauchten. Bis es Kathy nicht mehr aushielt: ‚Darf ich mal?‘ Da hatte sie mein kluges Telefon bereits in ihren Fängen. Glücklicherweise hatten wir es uns in der Agentur angewöhnt, unsere Verläufe, auch die gewählten Nummern, nach jedem Auflegen zu löschen.
‚Nur zu! Zahlt deine Behörde eh am Ende.‘
Sie ging ein Stückchen den Strand entlang. Zwei Minuten später kam sie wieder: ‚Glaubst du wirklich, wir können nicht herausfinden, mit wem du geredet hast?‘
‚Viel Glück!‘ Die private SIM-Card hatte ich natürlich vorsorglich nach meinem Gespräch mit Pete entfernt. Jetzt wusste ich zumindest, dass ich die richtige Karte erwischt hatte. Und ich war mir ziemlich sicher: Das FBI hatte nicht mithören können. Ich hoffte, so ging es auch den anderen interessierten Behörden.
Hinter Kathy entdeckte ich bereits Parker, wie er unauffällig zum Strand schlenderte – direkt auf uns zu. Offensichtlich hatten wohl auch die Mounties ein Interesse an meinem Gespräch mit Pete. Vielleicht hatte jemand eine Wanze in mein Steak gebraten und nun wollten alle Betroffenen wissen, wie die Antworten ausgefallen waren. Keine Ahnung! Hätte eigentlich gedacht, dass es einfacher wäre, ein Handy-Gespräch mitzuhören. Oder ich hatte sie mit meinem Versuch lediglich überrascht. Auf irgendeinem Server der Welt war dieser Anruf sicher gespeichert worden. Nun versuchten sie, wenigstens eine der Nummern herauszufinden, um den richtigen Mitschnitt finden zu können. Nur eine Vermutung!
Ich wollte ihnen dabei nicht zu Hilfe eilen. Einige meiner Geheimnisse behielt ich lieber für mich. Noch nahm ich es einfach sportlich, ein kleiner Wettlauf um die entscheidenden Informationen. Ich wartete bis Parker bei uns eintraf, bevor ich ihn ansprach: ‚Schöne Gegend hier! Nur bereits ein wenig zu kalt für ein Bad…‘
Er wollte jedoch nichts von mir, denn er fragte Kathy, ob er sich setzen dürfe. Sie erlaubte es ihm. Nun war es seine Aufgabe, für ausreichend Zigaretten zu sorgen. Ich schnappte mir meinen Tabak und verabschiedete mich bis Toronto von ihnen. Keiner von ihnen würde mir nach Ohsweken folgen…
Unterwegs drehte ich mir noch eine, um sie mir auf der beleuchteten Terrasse zu genehmigen. Diese Gelegenheit nutzte ich, mir einen der dort stehenden Ascher in die Tasche zu stecken, um nicht später, während der Nacht, wieder herunter zu müssen. Ich plante, den Rest des Abends auf meinem Teil der Veranda ungestört zu verbringen.
Doch als ich aus dem Zimmer auf sie heraus trat, empfingen mich auf Doris‘ ehemaligem Teil zwei kichernde junge Frauen, die sich gerade ihre Rauchwaren anzünden wollten. Um ihnen Ärger zu ersparen – und selbst meine Ruhe zu haben – machte ich sie auf das strenge Rauchverbot im Hotel aufmerksam. Leider musste ich ihnen ebenfalls mitteilen, dass selbst an der Bar im unteren Stockwerk nicht geraucht werden durfte. Dennoch luden sie mich ein. Und zu einem Joint auf dem Parkplatz.
Den Joint schlug ich aus und – mit dem Hinweis auf die Mountie-Präsenz – empfahl ich ihnen, besser darauf zu verzichten. Wir einigten uns auf Selbstgedrehte aus meinem Vorrat, und danach versackten wir an der Bar. Der Whiskey dort schmeckte immer noch, und die beiden Damen hatten die einundzwanzig bereits überschritten. Das war aber nicht ihre Schuld…
So schlimm kann der Abend nicht ausgegangen sein. Am nächsten Morgen bestellte ich mir bereits um halb neun eine Riesenportion Spiegeleier mit Speck, Zwiebeln und Toast im ausgemachten Cafe. Auch die zwei Krieger erschienen pünktlich. Nur hatten sie ihr eigenes Frühstück nicht mit eingeplant, so dass wir erst nach halb zehn in Richtung Six Nations aufbrechen konnten.
Kurz bevor wir in unsere Autos steigen wollten, fragte mich Allen, ob es mir etwas ausmachen würde, mit ihnen ‚über die Dörfer‘ zu fahren.
‚Eigentlich nicht. Doch schaffen wir es so bis zum Dinner nach Ohsweken?‘
‚Geht im Grunde schneller als über den Highway. Du müsstest lediglich die grösseren Orte umfahren. Die Strecke ist abwechslungsreicher, kürzer und die Staus mehrheitlich nicht lang. Um die Mittagszeit sitzen alle im Büro oder im Imbiss. Da hat man meist fast leere Strassen vor sich. Wir machen das immer so.‘
‚Erklärt mir aber die Route. Ich will mich nicht verirren.‘
‚Passiert dir so was öfter?‘
‚Ich weiss immer, wo ich bin. Leider kommt es schon mal vor, dass sich der Rest der Gegend am falschen Ort befindet.‘
‚Ist wohl besser, ich gebe den Plan ins Navi ein, oder?‘
‚Macht sich immer gut.‘
Brad erklärte mir in der Zwischenzeit einen der Gründe für diese Routenwahl. Unsere behördlichen Begleiter würden uns wahrscheinlich nicht bis ins Six Nations Territory folgen. Innerhalb besässen sie keinerlei Rechte. Falls es unter ihnen aber bisher unerkannte Helfer gab, könnten sie diese auf die Weise leichter ausmachen. Dass es welche gäbe, da waren die zwei sich sicher. So lautete zumindest ein Teil ihres Planes. Den Rest davon würden sie mir in Ohsweken mitteilen…
Brad schlug mir vor, mein Auto unterwegs in eine Waschstrasse zu fahren. Dauert nicht allzu lange und würde es sicher von der einen oder anderen Wanze befreien. Er nannte eine Firma in der Umgebung von Angus. Für ein kleines Aufgeld würden die im Wagen sogar Ordnung schaffen. Obendrein gäbe es auf der anderen Strassenseite einen akzeptablen Imbiss für einen kleinen Snack. Ich war einverstanden und er machte sofort einen Termin für uns aus.
Unterwegs rief ich Pete über die Agenturnummer an. Er begriff und wir hatten einen netten Plausch. Dabei informierte ich ihn über den geplanten Reinigungsstopp in Angus. Und die Jungs dort taten wirklich einen guten Job, wie wir bei einer Nachuntersuchung in Ohsweken feststellen konnten. Oder das Auto war schon vorher in Bala sauber und ich hatte kein Ungeziefer aufgesammelt.
Ansonsten kamen wir gerade rechtzeitig in Ohsweken an. Im Büro der Irocraft wurden wir sofort zu Watahines Haus weitergeleitet. Sie hatte für uns die Reste vom Sonntagnachmittag aufgewärmt. Es kräftigte dennoch nach der relativ ereignislosen Fahrt.
‚Was ist der Plan für die nächsten Tage?‘, wollte ich anschliessend bei Kaffee und Zigarette in ihrem Wintergarten wissen.
‚Wir sind noch nicht mit dem Packen fertig‘, antwortete mir Doris. ‚Du darfst uns aber gerne helfen. Dann könnten wir bereits morgen Vormittag nach Toronto. Würde eine Menge Zeit sparen.‘
‚Eigentlich wollte ich von Brad und Allen wissen, wie ihre weitere Vorgehensweise aussieht.‘
Sie blieb jedoch stur: ‚Das könnt ihr heute Abend in unserer Hütte besprechen. Dann ist Zeit dafür. Jetzt müssen wir uns erst einmal sputen und die Kisten fertig packen.‘
‚Okay!‘ Doch ich musste noch einen Einwurf loswerden: ‚Übernachten wir alle in einer Hütte? Mein Bereich ist mir heilig. Hatte ich bereits in New York angemeldet.‘
‚Nein! Nur wir beide. Und jeder von uns hat seinen privaten Teil, wie in einer Hotelsuite. Brad und Allen sind in der Nähe untergebracht. Ich werde für uns alle kochen und wenn es nicht zu kalt ist oder regnet, können wir uns einen gemütlichen Abend im Vorgarten machen.‘
Watahine jedoch bremste Doris‘ Euphorie etwas aus. ‚Ich setze mich nicht ins Freie. Noch immer gibt es geflügelte Mitwesen, die ein Last Minute-Date suchen. Die werden besonders von warmen Mahlzeiten und menschlichem Schweiss angelockt. Nicht zu raten! Ihr habt doch eine Veranda, die wir mit Fliegengittern absichern können. Das ist in unserer Gegend empfehlenswert.‘
Also machten wir uns wieder auf den Weg ins Office. Dort war alles bereits zurechtgelegt. Auf dem Boden standen die noch leeren Kisten und auf ihren geschlossenen Deckeln lagen die Kunststücke (oder die, die es mal werden wollten). Wir brauchten lediglich die vorbereiteten Packlisten mit diesen Exponaten abgleichen und verpacken. Dies wurde von den beiden Damen erledigt. Und uns drei Männern oblag die Aufgabe, alles im Auto platzsparend zu stapeln. Leider erschien am Schluss noch ein Fahrzeug mit zwei weiteren Sicherheitsbehältnissen. In Begleitung von Sep Asten. Sie enthielten wohl die erwarteten Elfenbein-Schnitzereien aus Cape Dorset. Die hätten wir eigentlich als erstes einladen sollen – wie uns nun mitgeteilt wurde.
Gepackt und versiegelt waren diese Kisten vom kanadischen Zoll. Wir durften sie nicht öffnen. Das war nur den Zoll-Kollegen in New York erlaubt. Nicht einmal Doris hätte den Inhalt prüfen können. Schon gar nicht ich als Fahrer. Also ging ich davon aus, alles hat so seine Richtigkeit, zumal Sep Asten uns eine Mappe mit den Packlisten inklusive der Lizenzen aushändigte. Und wir fanden sogar einen Sonderplatz für die beiden Behälter im Fahrerhaus: Wir schnallten sie unter die Rücksitze. Dort waren sie relativ sicher. Alle waren mit dieser Lösung zufrieden. Nur vergass ich, vorher meinen Geheimvorrat Mitchell-Whiskey zu verlegen. Bis New York musste ich auf ihn verzichten...
Doch erst einmal spendierte uns die Irocraft zum Abschluss eine Runde mit bestem Tee, den wir beim Rauchen einer Friedenszigarette mit den Arbeitsgenossen genossen. Dabei überreichte mir Watahine einen grossen Beutel ‚mit den versprochenen Geschenken‘: ‚Die einzelnen Schachteln nicht vor dem Überreichen öffnen! Die jeweiligen Empfänger stehen drauf. Und für dich ist ein kleines Extra dabei…‘
(Später in New York konnte ich feststellen, dass sie echt ein besseres Händchen für solche Mitbringsel hatte als ich. Alle Betroffenen freuten sich…)
Für mich befand sich ein bestickter Lederbeutel für meine Räucherutensilien sowie eine einzeln gefertigte Pfeife mit einem echten geschnitzten Catlinit-Kopf in diesem typisch indianischen Umhängebeutel. Der Grund dafür, dass ich bis heute nicht auf ein Pfeifchen verzichten will. Mit meinem Lieblingshut wirke ich mit diesem verkürzten Kalumet-Imitat wie einer der frühen Siedler in der neuen Welt…
Unsere Hütte war echt geräumig. Jedem von uns stand eine Hälfte zur persönlichen Verfügung, und dazwischen gab es eine Art grossen Wohnraum mit Kochecke. Vor dem Häuschen war sogar noch ausreichend Platz für unseren Sprinter.
Der Plan war, kurz zu duschen und anschliessend die Matratze auszutesten. Ich nahm also meine Hälfte des Häuschens in Beschlag. Doch Doris hatte eine andere Vorgehensweise im Kopf.
Mit ihren Kochkünsten war es scheinbar nicht weit her, sie fragte nach Tipps. Ihre Idee, ein BBQ im Vorgarten zu veranstalten, hatten unsere Gäste bereits vorsorglich abgelehnt. Nun war für sie guter Rat teuer.
Ich schaute mir die Veranda des Cottages an: Diese war sogar bereits mit Fliegenfenstern gesichert. Also schaffte ich einfach den Grill dorthin und Doris erhielt die Aufgabe, die notwendigen Tische und Sitze aufzustellen. ‚So kannst du deine Idee immer noch umsetzen. Auf den Fensterbrettern ist sogar Platz für die BBQ-Utensilien… Zu wann hast du die Leute denn eingeladen? Ich muss meine Augenlider auf Löcher checken…‘
‚Leidest du unter der Schlafkrankheit? So oft, wie du in die Horizontale gehst…‘
‚Das liegt an meiner Zölibatie. Irgendwie muss ich mich doch ablenken… Es dauert ja noch ein Weilchen, bis deine Gäste eintreffen.‘
Ich begab mich in meinen Bereich und probierte die Dusche aus, um ungehört mit Pete zu plauschen. Und es gab Neuigkeiten: Der Häuptling hatte ihm beim Essen unseren Verdacht zu den Einbrüchen bestätigt. Auch das NYPD hegte ihn. Da eine andere Abteilung ebenfalls hinter Ball her war, wurde Eisenaxt offiziell gebeten, seinen Ermittlungen einen eher ernsteren Hintergrund zu geben. Zusätzlich warnte er Pete vor den beiden Warriorn, die wären auch nicht so ohne. Das wüsste er von früheren Transporten.
Darüber hinaus erinnerte Pete mich an unseren ursprünglichen Auftrag. Ich sollte Sep Asten stärker auf den Zahn fühlen. Wie konnte der unbehelligt nach Ohsweken reisen, da doch angeblich die Behörden seinen Aufenthaltsort nicht kannten? Irgendetwas an beiden Aufträgen stank Pete gewaltig…
Frisch geduscht testete ich danach mein Bett – mit Schuhen. Ich wollte in Ruhe über alles gründlich nachdenken. Doch Doris trommelte mich aus meinen Träumen…
Die ersten Leute waren eingetroffen und der Grill angezündet. Glücklicherweise nur der! Ich strich meinen Anzug glatt und begab mich ins Getümmel. Viele Gäste waren nicht gekommen. Aber darauf hatte sich Doris bei ihrem Einkauf wohl vorbereitet. Am Schluss blieb so gut wie nichts übrig. Sie war offensichtlich erfahrener mit solchen Aktionen, als ich anfänglich dachte.
Neben Watahine und unseren zwei kriegerischen Mitfahrern sowie Sep Asten mit seiner vermutlichen Frau war ein weiterer Herr mit Gitarrenkoffer anwesend. Dieser sass in trauter Runde mit Brad und Allen in einer Ecke. Also schnappte ich mir einen der Stühle und setzte mich dazu. Herr Asten lief mir hoffentlich nicht weg – bevor das BBQ überhaupt so richtig begonnen hatte. War zu neugierig darauf, herauszufinden, wer der geheimnisvolle Gast war.
Er reichte mir seine Hand: ‚Du darfst mich Wolf nennen – oder Ohkwaho, wenn dir das lieber ist! Bin der Rocker im Ort.‘
‚Okay, Ohkwaho! Ich bin Sam, der Fahrer aus dem fernen New York…‘
‚Und ein ziemlich ausgekochter P-Eye – wie mir die beiden erzählt haben.‘
‚Die übertreiben! Bin nur ein ganz normaler Typ…‘
‚Egal jetzt… Wie fühlt es sich an, so alleine im Regen vor dem Fenster und der Schurke sitzt mit ‘ner heissen Braut an der Bar im Trockenem? Kann mir vorstellen, dass sich daraus ein netter Blues basteln lässt…‘
An dieser Stelle schaltete sich Allen ein: ‚Darüber könnt ihr euch unterhalten, wenn ihr alleine seid.‘ Ich nickte Ohkwaho zu, und Allen wandte sich an mich. ‚Wolf ist der grosse Star hier. Hat sogar schon einen JUNO gewonnen. Watahine möchte, dass Doris ihn für die nächste Vernissage bucht...‘
‚Nur kurze Antwort: Ich setze mich dazu – so höre ich besser, über was geredet wird…‘
Ohkwaho lächelte. ‚Wir sprechen uns später.‘
Da fiel mir auf, dass an den anderen Tischen sogar leicht alkoholisch getrunken wurde. Nur an unserem nicht. Das gefiel mir gar nicht, also fragte ich: ‚Hier scheint es Bier zu geben. Wollt ihr auch?‘
Alle drei schüttelten ihre Köpfe: ‚Aber Rotwein wäre okay.‘
Ich machte mich auf den Weg zu Doris, um nachzufragen.
‚Ja! Aber keine harten Drinks. Sep Asten verwaltet den Tresen. Melde dich am einfachsten bei ihm.‘
Das traf sich gut. Den wollte ich ja eh interviewen. Da aber selbst ich nur über zwei Hände verfüge, brachte ich zuerst die Gläser und die Weinflasche zu den Kriegern und ihrem Gesprächspartner. War gut, so musste ich mein Bier extra abholen. Ich nutzte die Chance und setzte mich zu Asten. Der war jedoch vorerst mit der Ausgabe der Getränke beschäftigt und stellte mir schnell seine Frau vor. Nach einem kurzen Chat mit ihr, hatten wir dann Zeit für einander.
Bevor er sich eventuell wieder den Gästen widmen musste, wollte ich es von ihm genau wissen: ‚Wie seid ihr denn nach Ohsweken gekommen? Ein Vögelchen aus den Reihen des FBI hat mir zugezwitschert, man hätte dich aus den Augen verloren.‘
‚Alles Quatsch! Wir sind mit ‘nem Buschflieger direkt bis ins Six Nation geflogen. Schon dafür muss die komplette Passagierliste an die Flugsicherheit gemeldet werden. Ausserdem weiss jeder in der Cooperative immer, wo ich zu finden bin. Man muss nur fragen. Will sagen, ich verstecke mich nicht. Vor ein paar Wochen war ich sogar ganz offiziell in New York, mit Ben Jamen zusammen. Das FBI soll mal nicht so rumspinnen.‘
‚Habe ich mir bereits gedacht. Aber seid vorsichtig. Da scheint etwas im Busch zu warten. Unter anderem auch auf dich.‘
‚Danke! Watahine hat uns bereits vorgewarnt. Dieses Mal sind wohl ‘ne Menge Behörden hinter euch her. Ich werde dennoch nach Toronto mitkommen. Könnte Spass bringen…‘
Ich prostete ihm zu und fragte Doris nach dem Essen. ‚Dauert noch ein paar Minuten. Ich sag Bescheid…‘
Was blieb mir denn übrig? Ich pflanzte mich wieder auf meinen Sitz und drehte mir eine. Doch als ich mein Zippo anwarf, geriet mir der letzte Rest vom Stiftlein aus seiner Fassung. Ich legte es beiseite und fragte nach Hölzern.
Brad lachte und warf mir so eine typische Standardpackung aus Bradford zu: ‚Ausgerechnet die Feuersteinleute fragst du nach einem Lichtlein… Ist ein Geschenk.‘
‚Danke! Aber wer sind hier die Leute mit den Cereisenstiften?‘
‚Weisst du das nicht? Auf irokesisch wird unser Dialekt Kanien’kéha genannt. Was du als den der Feuersteinmenschen übersetzt könntest. Weil, schon lange vor der Gründung der Liga waren wir äusserst beschlagen in dessen Bearbeitung. Hat Tradition bei uns.‘
‚Wieder was dazugelernt.‘
Der Rest des Abends verlief dann eher wie ein Small Talk Event ab. Ohkwaho konnte ich sogar einige Ideen für seinen Blues liefern. Er versprach mir, diesen in New York in sein Programm extra für mich einzubauen.
Gesättigt und zufrieden warfen Doris und ich die Gäste kurz nach Einbruch der Dunkelheit aus unserer Hütte. Sie wollte Strom sparen…
Doch unsere Krieger fürchteten sich im dunklen Walde und baten mich, sie in ihre Hütte zu begleiten. Sie wollten mit mir ihren Plan für die Tage in Toronto und danach entwickeln.
Ihnen hatte man ein Cottage in unserer unmittelbaren Umgebung zugewiesen. Den Weg hätten sie sicher auch alleine gefunden, der Mond schien immer noch extrem hell. Und ihr Plan war weit davon entfernt, spruchreif zu sein. Dazu benötigten sie meine Erfahrungen am Ende denn doch. Es wurde eine längere Diskussion, bis wir uns auf ein umsetzbares Prozedere geeinigt hatten.
Glücklicherweise kochten sie einen verdammt guten Kaffee, der uns lange genug wach hielt, und Alkohol kam nicht ins Spiel.
Neben Watahine waren ausserdem noch ein Warrior aus Toronto und der Kommandeur der lokalen Abteilung mit von der Partie. Letzterer hatte einige interessante Neuigkeiten für uns. Offensichtlich gab es sogar Mounties in ihrem Volk. Und einer von ihnen lebte zwar schon länger in der ‚Stadt‘ und besuchte gerade seine Familie in einem kleineren Ort im Six Nations. Seit dem Vortage hielt er sich in Ohsweken auf, um alte Freunde aufzusuchen. Da sein Job dem halben Volke jedoch bekannt war, gingen die Warrior davon aus, dass von ihm keine wirkliche Gefahr ausging. Nur Watahine mahnte zur Vorsicht. Ich wiederum sagte mir, egal ob wir die Späher der Gegenseite ausfindig machen können oder nicht, sie ist auf jeden Fall über unsere Bewegungen bestens informiert. Und dies sollten wir unserem Plan zu Grunde legen. Wusste ich doch, dass es selbst im NYPD oder FBI Irokesen gab, die eventuell nicht damit hausieren gingen. Ich erinnerte nur an Eisenaxt – der aber hoffentlich auf unserer Seite war…
Bei dieser Gelegenheit warnte Allen ebenfalls vor Asten. Der war ihm wiederum nicht ganz geheuer. Zum einen kontrollierte er einen sehr lukrativen Zweig nativen Kunstschaffens, ohne selbst ein Künstler zu sein, und zum anderen war er schon öfters bei den staatlichen Organen auf dem Radar aufgetaucht, ohne je belangt worden zu sein – wie übrigens auch Jamen und Ball. Ich warf zwar meinen Namen mit in diesen Korb, doch alle Anwesenden waren da anderer Meinung. Offensichtlich vertrauten sie mir bis zu einem gewissen Grade. Sie betrachteten mich als einen Beobachter aus einer Art neutralen Zone heraus.
Da ich mich eh mal in Ruhe mit diesem Herren Asten unterhalten wollte, machte ich den Vorschlag, ihn in unserem Sprinter nach Toronto mitzunehmen. Alle waren einverstanden und präzisierten diese Idee sogar noch etwas. Wir einigten uns auf ein reines Frauen-Auto mit Watahine, Doris und Astens Angetrauten, sowie einem Macho-Car mit mir und Asten. Der Rest unserer Gruppe verfügte über eigene Fahrzeuge.
Auf dem Hof der Galerie in der Yonge St. wäre lediglich Platz für maximal drei grössere Karren, für den Sprinter und Watahines Van sowie Jamens Wagen. Die Warrior kämen im First Nations-Studentenwohnheim im Uni-Viertel unter, in dem sich auch ein Büro der Warrior Society befand. Dort gäbe es ebenfalls eine Parkmöglichkeit für sie. Alle anderen müssten eh im Days Inn in der Carlton St. übernachten, das über ein eigenes Parkdeck verfügte. Später sollte ich herausfinden, dass Parken in Torontos Downtown ein deutlich grösseres Problem darstellte als in Manhatten. Aber unsere Kanadier kannten sich da aus.
Schlussendlich würden die Astens, Doris und ich im Galerie-Gebäude in eigenen Räumen untergebracht werden, und Watahine sowie Jamen besassen dort ihre Apartments. So waren wir alle ziemlich eng beieinander untergebracht, fussläufig. Und ungefähr im Mittelpunkt existierte an der Ecke Yonge St., College St. ein Starbucks Cafe für kurze Treffen. Zusätzlich gab es in dieser Gegend eine Konzentration empfehlenswerter Restaurants.
Das FBI und die anderen US-Behörden hatten sich ebenfalls im Days Inn eingerichtet, was unsere Krieger bereits herausgefunden hatten. Auf dieselbe Idee war Sandy in Bezug auf Parker gekommen, wie ich beisteuern konnte. Die kanadischen Behörden-Büros jedoch waren über einen relativ grossen Teil der Stadt verteilt, und die meisten ihrer Mitarbeiter würden sicher noch besser verstreut in der Stadt ihre Hauptwohnsitze haben. Ein kleiner Nachteil für uns, sie liessen sich auf diese Weise schlechter kontrollieren.
Doch der Warrior aus Toronto wiegelte ein wenig ab. Sie würden über ausreichend Mitglieder bzw. willige Helfer verfügen. Selbst unter den Obdachlosen und Junkies in der Edward St. befanden sich Mitglieder. Er meinte, sie kannten ihre Pappenheimer und würden sie im Auge behalten können. Das wäre mal eine gute Übung. Insgesamt rechnete niemand in Toronto mit mehr als nur Beobachtungen durch die Behörden. Aktiv würden sie wohl kaum vor der Staatsgrenze zur USA werden. Eventuell hätten sie etwas an der Grenze zu Akwesasne vorbereitet, weil die Transporte bisher immer durch dieses Territory gingen. Dort würden sie aber ewig warten dürfen. Wir planten, einen anderen Übergang zu benutzen. Doch wieviel von unserem Streckenplan war den Behörden bereits bekannt? Das sollte ich versuchen, aus Parker herauszubekommen. Oder aus Kathy. Unsere finale Route würde letztendlich davon abhängen.
Zusätzlich würde es einiges an Arbeit in der Galerie für uns geben. Mich würde man zwar hauptsächlich nur zum Ent- und Neubeladen des Sprinters benötigen, doch die Warrior hätten zwischendurch eine ganze Reihe weiterer Aufgaben für mich. Da waren sie sich sicher. Die Entscheidung für unsere Fahrt nach Syracuse und ins Onondaga Territory vertagten wir bis zu unserer Abfahrt aus Toronto.
Ohne es zuzugeben, hatten die Warrior mir auf diese Weise gestanden: Ein echter Plan existierte immer noch nicht. Sie wollten wohl improvisieren. Das hätten sie jedoch kürzer und einfacher zugeben können, ist es doch meine Standardvorgehensweise. Dadurch wären zumindest für mich in dieser Nacht zwei Stunden mehr Schlaf herausgesprungen. Und den hielt ich für wichtiger - und sicherer für alle. Das teilte ich klipp und klar mit. Was nicht so gut ankam. Mir war es egal – führte es doch zum Abbruch der Diskussion…
Nur zur Hälfte ausgeschlafen wurde ich ohne kräftigendes Frühstück – wie eigentlich ausgemacht – mit Sep Asten als Beifahrer in unseren Sprinter gesetzt. Als trainierter Morgenmuffel bot ich ihm sicher das Idealbild eines perfekten Reisebegleiters. Er gab schnell auf und genehmigte sich ein Nickerchen. Je näher wir dem Ziel kamen, umso mehr mutete der Verkehr auf dem Highway an wie eine Schnecken-Stampede. Ich fuhr und fuhr bis ich irgendwann kurz nach dem Mittag das Auto auf dem Hof der Galerie abstellen konnte. Asten störte ich nicht beim Nickern und verliess das Auto auf Zehenspitzen: Ich hoffte, nach einem schnellen Imbiss, endlich mein Bett im Hause einweihen zu dürfen. Doch wieder kam es anders, als ich es mir unterwegs ausgemalt hatte.
Als Erstes erfuhr ich, dass die Studentin noch unsere Zimmer fertig machen musste. Man hatte uns für die frühen Abendstunden eingeplant. Vor allem die Unterlagen für unsere Betten befanden sich noch im Trockner. Meine Bemerkung, wir hätten doch ausreichend davon in den Begleitmappen für unsere Lieferungen dabei, wurde jedoch als blödsinnig abgetan. Doris empfahl mir ein angeblich ‚machbares‘ Restaurant um die Ecke, welches gar über eine Bar verfügen sollte. Sie wollte nach dem Auspacken der Kisten mit Watahine nachkommen.
Leider war dort noch geschlossen. Ich suchte mir also ein anderes aus der herrschenden Fülle an Möglichkeiten aus und landete an einer Bar. Sollte abwarten, bis mein Tisch eingedeckt war. Darüber war ich nicht wirklich sauer. Es lag kein Grund vor, am gleichen Abend noch weiter zu fahren.
Man schob mir einen Whiskey On The Rocks zu. Auf dem Untersetzer unter meinem Glas konnte ich eine Nachricht erkennen: ‚Gönnen Sie sich morgen um elf einen Kaffee bei Starbucks an der Ecke! Trinken Sie den Kaffee alleine vor dem Laden!‘
Ich nickte dem Barkeeper zu und genehmigte mir einen kräftigen Schluck. Den Moment nutzte er, um mir einen sauberen Werbeträger für meinen Drink unterzuschieben. Nach meinem zweiten Whiskey erschien bereits ein Kellner und führte mich an meinen Tisch. Man servierte mir ein grosses, aber gesundes Mahl – auf vietnamesisch. Gesättigt und bettschwer verliess ich nach fast zwei Stunden die Lokalität und fand umgehend den Weg zurück zu Watahines Geschäftshaus. Nur das Hoftor reagierte ziemlich verschlossen auf mich. Ich musste am Galerieeingang eine Klingel suchen, bevor man mich auf Umwegen einliess. Von den Ausstellungsräumen gab es angeblich keinen direkten Zugang zum Wohnbereich. Den Zwischenaufenthalt auf dem Hof nutzte ich, um mir mein Survivalbag aus dem Transporter zu schnappen – Asten war verschwunden. Da tauchte Watahine neben mir auf und fragte nach einer gemeinsamen Zigarette. Auf dem Trittbrett des Sprinters gab sie mir eine kurze Einweisung in die häuslichen Gepflogenheiten und den Schlüssel für mein Apartment im dritten Stock. Sie erlaubte mir obendrein, dass ich in meinem Bad rauchen durfte. Und: ‚Bitte nicht im Zimmer!‘
‚Oder ich setze mich auf die Feuertreppe vors Fenster…‘
‚Du darfst mich auch jederzeit besuchen, genau unter deinem Apartment. Bei mir erlaube ich überall das Paffen, auch im Bett…‘
So genau wollte ich es dann doch nicht wissen. Ich schnappte mir meine Tasche und betrat den Hausflur. Zu meiner Überraschung verfügte er über einen Fahrstuhl, wie ich sie bis dahin nur aus britischen Fernsehserien kannte. Die sind echt niedlich, doch sehr langsam. Dafür hat man einen unversperrten Blick ins Treppenhaus, so dass ich herausfand, von der Galerie aus hätte ich in meine Räume aufsteigen können. Ben Jamen hatte das Nachsehen, ich war bereits an seinem Büro knapp vorbei und winkte ihm gelassen zu…
In meinem Apartment war dann die Überraschung gross. Im Bad fand ich einen Whirlpool für zwei Personen und eine Riesenauswahl an Badesalzen zur persönlichen Entspannung. Das brachte mich auf eine Idee. Musste ich doch endlich mal wieder Pete auf den neuesten Stand bringen. Ob eine starke Dusche oder einlaufendes Wasser in diese spezielle Wanne – beide Varianten konnten das Mithören eines Telefonates erschweren. Hatte ich doch keine Ahnung, was so alles in diesen Räumen zusätzlich verbaut war. Und ein heisses Bad gab mir die Chance, ganz in Ruhe meine neue Pfeife einzuweihen. Mit einem Schlag fühlte ich mich wieder wach. Ich schloss meine Tür von innen ab und bereitete mich seelisch und moralisch auf einen entspannten Abend vor. Dabei fiel mir in einer kühlen Ecke eine weitere Flasche mit gutem Bourbon in die Hände. Freudig erregt stellte ich diese mit einem Glas und dem mit Eiswürfeln gefüllten Sektkühler auf einen Stuhl in Reichweite des Pools. Während die Wanne voll lief setzte ich mich auf den Klodeckel. Bei dieser Geräuschkulisse konnte ich relativ beruhigt mit New York plaudern und meine Neuigkeiten mitteilen. Mein Erlebnis an der Bar vor dem Essen erstaunte Pete ebenfalls. Ich versprach ihm, sofort nach dem Treffen anzurufen…
Ich verliess meine Bekleidung gleich an Ort und Stelle. Sie durfte einfach auf den Boden fallen. So laut rief mich die Wanne. Musste aber noch mal raus, die Pfeife mit Utensilien lag noch in Bettnähe. Dann ging es los. Ich kippte zwei Männerhände voll von den Badesalzen in die Wanne, stopfte die Pfeife und drehte die Düsen voll auf. Genüsslich füllte ich noch mein Whiskey-Glas und versank bis zum Halse im Wasser. Nicht bedacht hatte ich, dass auch Salze schäumen können, zumindest wenn sie ständig herumgewirbelt werden. Ich liess mich nicht stören und genoss das Vergnügen. Die Schaumbildung endete eh mit dem Abstellen des Hahnes. Endlich durfte ich ungestört relaxen. Bis ich auf einmal vor Schreck aus dem Wasser fuhr. Was ich auf jeden Fall verhindern wollte, war die totale Entspannung meiner Schliessmuskeln. Glücklicherweise fiel mir schnell ein, dass diese ja in ihrem Ruhezustand abdichteten. Ich glitt wieder langsam ins warme Bad und genoss den Tabak. Vergass sogar meinen Drink. Doch irgendwann entschied ich, kurz vor dem Wegdämmern, der inzwischen nur noch lauwarmen Brühe zu entsteigen – und lieber in meinem Bett auf den Tiefschlaf zu warten. Fand ich sicherer.
War gar nicht so leicht, dem Wasser zu entkommen, und zusätzlich noch daran zu denken, es in die Freiheit zu entlassen. Gerade noch so erreichte ich mein Bett und schlief wahrscheinlich schon vor dem Aufschlagen aufs Kissen…
… bis ich nachts von einem Schlüssel geweckt wurde, der versuchte, den meinigen aus dem Schloss zu verdrängen. Gelang ihm nicht. Danach bimmelte mein Handy aus der Ferne. Es versteckte sich wohl irgendwo im Bad. Auch ihm gelang es nicht, mich zum Aufstehen zu bewegen. Wenige Minuten später stieg jemand durch das offene Hoffenster von der Feuertreppe aus in mein Zimmer. Watahine zog mir die Decke weg und legte sich hin. Ich konnte ihr nur zumurmeln, dass ich diese Nacht alleine schlafen wollte. Danach fiel ich bereits wieder in tiefsten Schlaf.
Am nächsten Morgen erwachte ich zwar relativ früh, jedoch solo in meinem Bett…
Das Frühstück am nächsten Morgen war wieder mitleiderregend. Das wollte mein Magen nicht mehr tolerieren. So bot es mir eine Begründung, Richtung Starbucks zu verschwinden. Da ich dort fast eine Stunde zu früh aufschlug, um den geheimnisvollen Herren zu treffen, setzte ich mich an einen einsamen Tisch, um in Ruhe meine Sandwich-Schachteln leer zu futtern. Rühreier waren leider nicht im Angebot, und wie Ostern fühlte sich Toronto an diesem Vormittag nicht an…
Ich war so mit meinen Dreiecksbroten beschäftigt, dass mir nicht auffiel, wie ein Starbucks-Mitarbeiter meinen Tisch leerte und abwischte. Ich bemerkte dies erst, als ich eine Karte unter meiner letzten Packung entdeckte: ‚Es ist Zeit!‘ Und dazu ein kurzer Hinweis auf meinen wartenden Gesprächspartner: ‚Det. Mc Dowell, Interne Ermittlungen, Quantico, VA‘. So ganz nebenbei war noch das Logo des FBI zu erkennen…
Ich schaute auf meine Uhr. Ich hatte echt fast eine Stunde benötigt, um meine Schnittchen zu geniessen. Ich schnappte mir die letzten Reste inklusive der Karte, um endlich wieder an die frische Luft zu dürfen. Irgendwie gelang es mir sogar, ohne den Kaffee zu verschütten, alles in meinen Taschen verschwinden zu lassen. Mir blieb kaum die Zeit, mich gemütlich an die Wand zu stellen, als mich ein Herr ansprach und nach dem Weg zur Greyhound-Station fragte. Irgendwie tat er jedoch ziemlich begriffsstutzig, so dass ich mich entschied, ihn auf dem sichersten Weg hinzugeleiten. Er erweckte in mir einen Verdacht und deshalb wählte ich einen unverdächtigen Umweg und mied dabei die Edward St., die ja als eine Art No-Go-Area galt…
Nachdem wir dem Fussgängerverkehr auf der College St. entkommen waren, ging der Detective zum Angriff über: ‚Wie abhörsicher ist ihre Verbindung zu Mr. Thief?‘
‚Bisher sind wir wohl unter uns geblieben, denke ich.‘
‚Das ist gut. Ihr Co wird sie dann heute Abend in alles einweihen. Sehen sie bitte zu, dass sie ein einsames Plätzchen für das Gespräch finden.‘
‚… und ein lautes, da müssen die heimlichen Lauscher ziemlich nahe kommen, um etwas zu verstehen. Dann sehe ich die…‘
‚Wir kennen die Tricks! Dagegen gibt es technische Mittel! Vielleicht solltet ihr über verschlüsselte Verbindungen nachdenken – da ist euch das Verbrechen voraus. Aber so schlimm ist unsere Situation nicht wirklich. Unsere Kollegen, die euch folgen, übertreiben es mit ihrem Auftrag lediglich. Wir wollen verhindern, dass sie über ihr Ziel hinaus schiessen. Die Lage in St. Regis soll sich beruhigen und nicht noch weiter eskalieren. Leider sind da auch die Warrior nicht ganz unschuldig, denen käme eine Zuspitzung sicher gelegen. Und unsere kanadischen Kollegen schlagen von der anderen Seite ebenfalls in diese Kerbe.‘
So in etwa hatte ich mir inzwischen bereits den Verlauf der Fronten vorgestellt. Für mich wurde es dadurch noch komplizierter. Wem konnte ich weiter vertrauen, ausser Pete? Aber eine Frage musste ich loswerden: ‚Welche Rolle spielen in diesem Spiel die Galerien und Künstler?‘
‚Eine eher untergeordnete. Für die ist es bisher nur ein Transport wie sonst auch. Auch das IRS und der Zoll gehen ihren üblichen Ermittlungen nach. Kunst und Steuern vertragen sich nun mal nicht wirklich. Das ist jedoch nicht unser Metier und macht sicher ihre Aufgabe nicht leichter. Für uns ist erst einmal ein regelmässiges Update zu den Unternehmungen unserer eigenen Kollegen und ihren Helfern wichtig. Sollte sich daran etwas ändern, geben wir ihnen via Mr. Thief Bescheid. Mehr müssen sie im Augenblick nicht wissen…
Da drüben ist bereits die Greyhound Station. Und nicht nur die Warrior haben in der Edward St. ihre Ohren angebracht… Ich lade sie gerne als Dank fürs Bringen zu einem Kaffee ein, mein Bus geht erst in einer halben Stunde…‘
Der Kaffee im Terminal war nicht gerade der Brüller. Interessant fand ich jedoch, dass er in den Bus nach Montreal einstieg. Nach unserem Gespräch hätte ich erwartet, dass er einen in Richtung Grenze genommen hätte. War jedoch sein Problem, nicht meines.
Den Weg zurück zur Galerie nutzte ich, um mir einmal ein genaueres Bild von der Edward St. zu machen. Flüchtig hineingeblickt, wirkte sie wie eine etwas heruntergekommene Wohnecke für Normalos. Die Häuser machten noch einen halbwegs ‚gesunden‘ Eindruck. Doch wenn man näher kam, sah man die Obdachlosen in den Durchgängen hausen, mit kleinen Feuerchen und so. Überall trieben sich Junkies auf der Suche nach ihrem Pusher oder Dealer herum. Andere schauten wiederum nach einer Möglichkeit, das Geld für den nächsten Schuss zu finden. Ich hielt meine Taschen zu und war froh, dass mein Revolver noch in der Galerie lag. Der hätte jemandem auffallen können, was sicher missverstanden worden wäre.
In diesem Augenblick zeigte mir eine junge Dame einen Warrior-Badge unter ihrer Jacke und bat mich, sie zu begleiten. In einen der Hausflure, wo Allen wartete: ‚Es wäre sicherer gewesen, wenn du mit uns zum ersten Male hier durchgelaufen wärest. Im Ernstfall hätten wir dich so unangekündigt nicht schützen können. Auch wenn du mit solchen Situationen sicher vertraut bist. Man kann nie voraussagen, auf welche beknackten Ideen so manch einer kommt… Wen hast du denn da gerade zum Bus gebracht?‘
‚Keine Ahnung! Irgendeinen Touri, den man vor dieser Ecke hier gewarnt hatte. Und da ich gerade mit dem Frühstück fertig war und sich so die Gelegenheit bot, mir anschliessend diesen Teil mal allein zu beschauen, habe ich ihn freundlicherweise gleich hinten herum geführt. Er ist mir am Ende Richtung Montreal entfahren…‘
‚Ist jetzt auch egal. Asten wollte demnächst runter zum Hafen, um sich seine andere Galerie anzuschauen. Versuche mal herauszufinden, ob etwas an dem Gerücht dran ist, dass seine Cooperative diese Galerie loswerden will. Die Irocraft in Ohsweken wäre nicht abgeneigt einzusteigen… Kannst du das machen? Wir würden uns heute Abend revanchieren und dich zum Essen ausführen!‘
‚Okay! Hatte eh nichts weiter Wichtiges vor und ihre Ausstellung könnte durchaus abwechslungsreich sein…‘
Die junge Dame reichte mir einen Warrior-Badge: ‚Heften sie den auf der Innenseite ihres Mantels an, da kommen sie hier immer sicher durch…‘
Auf der Yonge St. musste ich dann Asten noch hinterher spurten. Er hatte fünfzig Meter Vorsprung und stürmte wie ein wildgewordener Stier in Richtung Hafen. Selbst mir fiel es schwer, mit ihm Schritt zu halten: ‚Sie wollen wohl schnell zurück zu ihrer Frau?‘
‚Nein! Nicht mein Problem! Bin spät dran…‘
‚Und ich muss meinen originalen Akubra-Hut festhalten, sonst bläst ihn mir der Laufwind vom Schädel…‘
‚Ich habe nicht um Begleitung gebeten…‘
‚Will aber. Hat mir Allen empfohlen…‘
‚Der möchte doch nur herausfinden, wie weit wir mit unseren Verkaufsplänen sind. Oder habe ich Recht?‘
‚Sie kennen ihre Pappenheimer gut. Aber mich würde ebenfalls die Ausstellung interessieren. Hätte Zeit dafür…‘
‚Im Moment sind dort modernere Speckstein-Schnitzereien zu sehen, nix traditionelles.‘
‚Aber ich kaufe nichts! Auch wenn’s billig ist. Brauche es zwar nicht nach New York zu tragen, doch unterwegs könnte es dennoch kaputt gehen… Was ist nun mit euren Verkaufsplänen? Daran hängt mein Essen heute Abend.‘
‚Ach! Die laden dich doch eh ein. Ist so ihre Art. Aber: Wir suchen tatsächlich etwas in Richtung Kooperation mit anderen indigenen Künstlergruppen, um eine grössere Bandbreite ausstellen zu können. Deshalb bin ich mit Watahine und der Irocraft im Gespräch… Sieht gut aus. Für diese Info spendiert dir Allen sicher ein blutiges Steak…‘
Völlig ausser Atem erreichten wir die Galerie mit Müh und Not. Der Schliesser hatte bereits den Schlüssel im Schloss, um für die Mittagspause abzusperren. Uns liess er noch ein. Während Asten sich mit der Leiterin in ihrem Büro verkroch, erlaubte man mir, die Ausstellung in Ruhe zu betrachten. Einer der Schnitzer aus Cape Dorset präsentierte seine Vorliebe zur Familie Simpson. Ohne grosse Verfremdungen passten seine Figuren in die Ausstellung und ich erkannte schnell, um wen es sich jeweils handelte. Diesen Fakt fand ich interessant. Marge, Homer und den Rest der Bande kennt man inzwischen halt überall…
Texte: 2019 - 2021, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich Edition
Bildmaterialien: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich Edition
Cover: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich Edition
Lektorat: 2019 - 2021, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich Edition
Tag der Veröffentlichung: 28.12.2019
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Danke an Raymond Chandler, Sue Grafton, Sara Gran und Dashiell Hammett (in alphabetischer Reihenfolge!) für ihre Bücher, die mir so manche prickelnde Stunde beschert haben!
Und Danke an Anne Grasse für die tolle Hilfe bei den Korrekturen!