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Das ist der Schmutztitel

 

Meine Reise zur Scheibenwelt

Glaube versetzt Berge, manchmal auch eine Welt in die Scheibenform. Seit ich von einer solchen Scheibenwelt gehört hatte, wollte ich dorthin. Was nicht so einfach möglich ist – selbst wenn man daran glaubt...

 

Vor vier Wochen nun, zu nachtschlafender Zeit, fiel mir im Reisebüro um die Ecke ein Plakat auf. Darauf war eine Scheibenwelt abgebildet, die von vier riesigen Elefanten getragen wurde. Diese wiederum standen auf dem Rücken einer noch viel gigantischeren Schildkröte. Das Plakat warb für eine Reise zu dieser geheimnisvollen Scheibenwelt. Also sprach ich am nächsten Morgen mit dem Agenten und er bestätigte, eine Reise zu dieser Welt wäre möglich - Abflug in der nächsten Vollmondnacht. Ich buchte sofort eine Passage in einer der Luxuskabinen. Man würde mich mit einem Luftschiff am darauffolgenden Donnerstag während des Vollmondes abholen, deshalb solle ich mit gepacktem Koffer auf meinem Balkon warten.

 

Und wirklich, zur abgesprochenen Zeit hörte ich es über mir laut klappern. Ein Seil mit Haken und eine Strickleiter schlugen mich fast KO. Über mir sah ich ein grosses, schwebendes Schiff, vor das zwei Drachen gespannt waren. Ich hing den Koffer an den vorgesehenen Haken und machte mich an den Aufstieg. Wäre fast wieder herunter gestürzt, als sich das Schiff bereits, während ich noch auf der Leiter war, in Bewegung setzte.

 

Oben angekommen, wurde ich von einer Art Steward begrüsst und in meine Heckkabine gebracht. Diese war echt luxuriös, mit Himmelbett und allem, was man sich so wünscht. Auf dem Tisch stand ein Kühler mit einer Flasche Champagner und ein grosses Tablett mit auserlesenem Fingerfood. Der Steward zückte seinen Kartenleser und ich hielt meine Kreditkarte darüber. Erst nach meiner Rückkehr zur Erde bemerkte ich, ich hätte mich vorher besser erkundigen sollen. Den realen Preis zahlte man erst während der Reise. Nicht nur wir Kreuzfahrer, sondern auch die Reisebüros wurden so um ihr Geld geprellt.

 

Doch während meines Trips kümmerten mich diese Sorgen nicht. Zu ändern war es nicht mehr, aussteigen war keine Option. So schipperten wir los, immer höher. Der Mond schoss draussen vorbei, anschliessend der Mars und immer weiter ging es. Nachdem wir unser Sonnensystem hinter uns gelassen hatten und draussen ein einheitliches Schwarz vorherrschte, entschloss ich mich, das Schiff zu inspizieren. Immerhin sollten wir drei Tage unterwegs sein.

 

Der Gang war leer, niemand zu sehen oder zu hören. Nur eine grosse Uhr hing da und tickte ziemlich laut. Ich erkannte sofort, die Bordzeit entsprach nicht der, die meine Uhr anzeigte. Es war eine analoge Uhr: War es jedoch Vormittag oder bereits Abend? Das musste ich herausfinden. Es wäre peinlich, gegen Mitternacht im Speisesaal aufzutauchen und ein Dinner zu erwarten. Ich stieg die Treppe zu den höheren Decks hinauf, um so etwas wie einen Speiseraum zu finden. Ein Plan des Schiffes wäre hilfreich gewesen, fand aber keinen. Irgendwann hatte ich das Ende dieser Treppe erreicht, und mir fiel auf, ich hatte vergessen, mir mein Deck zu merken. Hoffentlich fand ich meine Kabine wieder, denn immer noch schien ich alleine zu sein.

 

Erstaunlich fand ich, auf das Oberdeck konnte man hinaustreten – umgeben vom luftleeren Raum. Man verspürte sogar einen Windzug und hörte die Flügelschläge der Drachen. Ich sah mich nach einer Brücke um. Die schien es nicht zu geben. Jedoch auf dem Heck-Aufbau stand jemand am Steuer. Also entschloss ich mich, diesen mit seiner Augenklappe sehr abenteuerlich aussehenden Herren zu interviewen.

 

Furchtlos stellte ich ihm meine Fragen. Ja, ich war bisher der einzige Reisegast an Bord. Nein, ich würde es nicht bleiben – nicht mehr lange und wir würden bald weitere Reisende in kleinen und einer grösseren Gruppe aufnehmen, dann würde die Bar öffnen. Und Übersichtspläne hingen an jeder Kajütentür und in jedem Gang. Ich müsste nur die Augen aufmachen. Er hatte Recht. Nun sah ich überall Pläne hängen.

 

Auf dem nächsten fand ich sogar heraus, wie ich meine Kajüte wiederfinden konnte. Ich musste lediglich den Code am Schlüssel entziffern: Luv, Lee, Deck etc. Im Grunde war es ganz einfach. Und die Bar befand sich auf dem Oberdeck, unterhalb der Heckaufbauten – also beschloss ich, die Weiterfahrt hier zu geniessen...

 

Ich schnappte mir einen Liegestuhl und genoss die Dunkelheit des Alles. An Schlafen war eh nicht zu denken, zumindest an Deck. Etwa alle halbe Stunde stoppte das Schiff und nahm neue Passagiere an Bord. Dieses ständige Halten und Anfahren riss mich immer wieder aus meinen Gedanken. Obendrein füllte sich das Oberdeck langsam. Bis, ja bis die angekündigte grössere Reisegruppe an Bord genommen wurde. Und diese Gruppe war wirklich gross, bestimmt um die 40, 50 Leute. In der Zwischenzeit hatte ich weitere Mitreisende näher kennengelernt. Nun konnte es ungezwungen an der Bar weitergehen.

 

Doch, welche Überraschung: Das gesamte Oberdeck war die Bar. Im Heckaufbau hatte man lediglich die Getränkeausgabe (für den Selbstservice) untergebracht. Klar, das Angebot war extrem umfangreich. Von jedem Planeten, an dem wir vorbeikamen, waren Getränke zu haben. Doch wir hatten uns Liegestühle am falschen Ende des Deckes ausgesucht...

 

In diesem Trott ging es die nächsten zwei Tage weiter. Hin und wieder gönnte ich mir einen Blick auf die Planeten, an denen wir anlegten, um weitere Reisende aufzunehmen. Doch im Grossen und Ganzen unterschieden sie sich nur wenig von der Erde. Hoffe ich! Hatte ich doch vergessen, einen Blick zurückzuwerfen und kenne lediglich dieses berühmte Foto mit dem Blick vom Mond. Für die Rückreise nahm ich mir vor, diesen Blick nachzuholen...

 

Nach dem Frühstück am dritten Morgen ging dann das Gerücht um, diese Scheibenwelt käme langsam in Sicht. Deshalb befanden sich kurze Zeit später wohl alle Reisenden auf dem Oberdeck – und höchstens die paar, die sich die vorderen Plätze gesichert hatten, konnte etwas erkennen. Angeblich schwebten wir von oben auf diese Welt hinab – sie befand sich also unterhalb des Schiffes. Der Kapitän jedoch versprach uns, vor der Anlandung einmal unter die Scheibe zu fliegen, damit alle Reisenden diese einmalige Welt in Augenschein nehmen könnten.

 

Ich ging in meine Kajüte, um meine Koffer zu packen. Und musste feststellen, aus meinem Kajütenfenster konnte ich diese Welt betrachten. Ich sah die Schildkröte, die vier Elefanten auf ihrem Panzer trug. Auf den Rücken der Elefanten ruhte diese gesamte Scheibenwelt, über deren Ränder das Wasser der Ozeane schoss. Ein beeindruckendes Bild, welches die grösste Scheibe im Universum da abgab. Und ich wollte drei Wochen auf dieser Welt zubringen, um sie näher kennenzulernen. Gigantisch!

Eine tödliche Begegnung

 

 

Nun schwebten wir unter dieser Welt, unter der Schildkröte, hindurch. Eigenartigerweise erlebten wir während dieser letzten Etappe einen wahren Sturzregen, der obendrein noch ziemlich streng roch. Ich war zu diesem Zeitpunkt in meiner Kabine und entging so dem Schlimmsten. Doch meine Mitreisenden, die sich auf dem Oberdeck aufhielten, hatten im wahrsten Sinne des Wortes voll ins Klo gegriffen. Sie mussten ihre Kleidung anschliessend entsorgen...

 

Kurze Zeit später flogen wir wieder über der Scheibe und setzten auf dem Ozean auf, der einen riesigen Kontinent umschloss. Einige wenige kleine Inseln lagen vor diesem. Die Drachen zogen uns in den Hafen der scheinbar grössten Stadt auf diesem Kontinent und landeten selbst auf einer grossen Freifläche in der Nähe. Sie waren dort die einzigen Drachen.

 

Bevor wir an Land gehen durften, bekamen wir den nächsten Schwall übergebraten. Der Chefsteward hielt eine scheinbar endlose Rede. Uns wurden einige Verhaltensregeln mitgeteilt und empfohlen, ein Hotel - möglichst weit vom Hafen entfernt - zu suchen. Erst in diesem Moment wurde uns allen klar: Wir hatten lediglich für die Passage zur Scheibenwelt (und hoffentlich auch zurück) bezahlt. Der gesamte Aufenthalt auf dieser Welt – immerhin drei Wochen bis zum Rückflug – war nicht inklusive. Dafür stand es uns offen, die nächsten drei Wochen in dieser Stadt hier zu verbringen oder für eine Rundreise zu nutzen. Der Chefsteward empfahl die Rundreise, jedoch nur mit einem professionellen Führer. Unsere Hotels könnten uns da sicher weiterhelfen. Diese Welt hier hätte ihre eigenen Gesetze, die nicht wirklich menschlich waren, denn Menschen gab es hier nur wenige. Da wären wir sicher für die Ratschläge eines guten Führers dankbar. Aber dies würde uns ziemlich schnell klar werden, war er sich sicher.

 

Danach bekamen wir alle einen Reiseführer und einen Stadtplan in die Hand gedrückt. Öffentliche Verkehrsmittel gäbe es hier nicht. Deshalb empfahl man uns, lediglich die im Stadtplan gelb ausgezeichneten Strassen zu nutzen und auf jeden Fall die roten Bezirke zu meiden. Touristen wären ein neues Phänomen auf dieser Welt und ein Teil der Einwohner würde sich am liebsten den gesamten Tag um uns kümmern. Zumal hier Jeder Jeden verstehen würde, dank eines sonderbaren Parasiten, den es nur auf dieser Welt gab. Und solange wir uns nicht mit einer der Zahnfeen einlassen würden, wären diese Parasiten ungefährlich und würden nach dem Verlassen dieser Welt ihre Wirkung verlieren. Die Gefahr, auf eine der Zahnfeen zu treffen, wäre jedoch ziemlich gering, diese würden sich eigentlich nur um Heranwachsende kümmern. Aus diesem Grunde sei Kindern und Jugendlichen die Reise zur Scheibenwelt versagt. Und übrigens - diese Stadt hiesse Newor Leans. Es dauerte ein Weilchen, bis sich der Tumult wieder legte...

 

Die anschliessenden Einreiseformalitäten waren erstaunlich simpel. Nicht einmal unsere Pässe wollte man sehen. Wir wurden nach unseren Namen gefragt, die man geflissentlich in ein dickes Buch eintrug. Und unsere Kreditkarten mussten wir vorzeigen. Das war es schon. Der eigentliche Spiessrutenlauf begann, als wir das Hafengelände verliessen. Dort erwartete uns ein Riesenpulk an Möchtegernführern. Die Cleversten von uns sprinteten nahezu an ihnen vorbei, doch die Langsameren hatten keine Chance. Einige liessen sich auf diese Wesen ein, manche Reisende trafen eine gute Wahl, die meisten von ihnen wurden jedoch gnadenlos ausgenommen. An mich hing sich ein Wesen in einem langen schwarzen Gewand und einem spitzen Hut. Als Spülwein, der Zauberlehrling, stellte er sich vor. Er war erstaunlich schnell und redegewandt. Obwohl ich ihm nicht antwortete, folgte er mir sicher eine halbe Stunde lang. Bis sich ein anderes Wesen mit ziemlich spitzen Ohren anbot, mich in seiner Kutsche mitzunehmen. Da es verdammt warm war und mein Koffer mit jedem Schritt schwerer wurde, gab ich nach und stieg in die Kutsche. Spülwein hinterher. Er nannte dem Kutscher genau das Hotel, welches ich mir vorher auf der Karte ausgesucht hatte. Vielleicht war er ja wirklich ein Zauberer, keine Ahnung.

 

Bevor ich an die Rezeption trat, gab mir Spülwein noch einen guten Rat: ‚Fragen sie nach einem Zimmer zur Strasse raus, am Besten im ersten Stock! Dort ist es zwar lauter, aber die Gefahr, dass man sie beraubt ist deutlich geringer.‘

 

Ein wirklich guter Rat, wie ich im Laufe meines Aufenthaltes herausfand. Die drei Zimmer eine Treppe zur Strasse raus waren die einzigen, in die nicht eingebrochen wurde. Alle anderen in dem einstöckigen Hotel wurden regelmässig geleert, manche mehrmals am Tage.

 

Spülwein trug mir noch mein Gepäck hoch und verabschiedete sich mit dem Hinweis, dass er bei Einbruch der Dunkelheit wiederkommen würde, um mir den besten Platz zum Essen zu zeigen. Ein Trinkgeld wollte er nicht – ich solle ihn am Ende meines Aufenthaltes bezahlen. Diese Ankündigung machte mir Angst, deshalb wollte ich das Hotel bereits vor dem Sonnenuntergang verlassen...

 

Ich schaute mich in meinem Zimmer um. Es war geräumig, sauber und ordentlich, was mich erstaunte, erweckte diese Welt doch eher den Eindruck, irgendwann im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Wofür es hier jedoch etwas zu teuer schien. Keine Autos, unbefestigte Strassen und in den Seitengassen warfen die Bewohner wohl all ihren Müll einfach aus dem Fenster. Entsprechend roch es dort. Fliessend Wasser hatte mein Zimmer offensichtlich nicht, aber einen kleinen Thron mit eingelassener und verschliessbarer Schüssel. Das Papier hing sorgfältig aufgerollt an der gegenüberliegenden Wand. Ich schob den Thron in die Nähe der Rolle und entdeckte dabei eine weitere Schüssel mit Krug auf einem kleinen Tischchen, auf dem sogar ein Handtuch lag. Das war ja wie im Selbstbedienungsparadies hier. An alles war gedacht. Jetzt musste ich nur noch den Schlüssel für meinen Thron finden, ergab es doch wenig Sinn, sich direkt auf den Deckel zu setzen. In diesem Moment wünschte ich mir Spülwein zurück, er hätte sicher gewusst, wo ich mit der Suche beginnen sollte. Doch er war bereits weg. Also schaute ich mir zuerst die Rolle an, und da lag er innen drin. Wo auch hätte er sonst sein sollen? Diese Rolle spielte halt zwei Rollen: die des kaiserlichen Schlüsselverwahrers und - nicht ganz so porentief rein - die einer hinterlichen Clementine. Ich stellte noch kurz die Kerze in die Türnähe und machte mich auf Entdeckungstour.

 

Die nähere Umgebung des Hotels schien eine ziemlich ruhige zu sein. Später sollte ich begreifen, ich war im Vergnügungsviertel von Newor Leans gelandet. Hier fing das Leben erst weit nach Sonnenuntergang an. Nachmittags jedoch waren wenige Leute unterwegs, obwohl sich eine Kneipe an die andere reihte. Im ersten Moment zumindest war ich beruhigt. Ein Stück die Strasse rauf fiel mir eine auf, deren Erdgeschoss wie ein Tarnanzug angestrichen war, als wolle sie nicht erkannt werden. Die oberen Stockwerke waren dagegen mit knallbunten Brettern geschlagen.

 

Das interessierte mich. Vor dem Haus waren fast alle Tische mit Gästen besetzt, bis auf einen. Obwohl – über ihm schwebte eine Suppenschüssel und zwei Sanduhren standen drauf. Das wollte ich mir näher ansehen. Beim Näherkommen wurde eine schwarze Kutte mit spitzer Kapuze sichtbar, unter der mich zwei strahlendblaue Augen anblickten. Hinter dieser Kutte lehnte eine ziemlich zerbrechliche Sense an ihrem Stuhl. Dieses Wesen bot mir mit einer extrem tiefen Stimme an, Platz zu nehmen. Es war der einzige freie Stuhl. Also setzte ich mich. Doch selbst aus dieser Nähe konnte ich kein Gesicht erblicken. Und das Schwert, welches am Tisch lehnte, erweckte auch nicht gerade mein Vertrauen.

 

‚Tourist?‘, fragte mich dieser Herr. Ich nickte.  ‚Ah, deshalb kommen Sie mir nicht bekannt vor, und Sie können mich sehen.‘

 

‚Wieso? Werden Sie von den Einwohnern hier nicht gesehen?‘ Er hatte mich neugierig gemacht.

 

‚Ja! Nur Kleinkinder, Katzen und Zauberer sehen mich – und die Touristen.‘

 

‚Warum gerade Katzen?‘

 

‚Viele Katzen sind der Ratten Tod, und für Ratten bin ich nicht zuständig. Ich mag Katzen‘, die Suppenschüssel bewegte sich etwas, ‚und das Aroma dieser Knobel-Auch-Suppe.‘

 

‚Interessant! Aber was ist Knobel-Auch?‘

 

‚Da müssen sie den Koch fragen. Ich esse nie, komme hier jedoch gerne vorbei, um an dieser Suppe zu riechen. Dieser Platz ist immer für mich reserviert.‘

 

Eine Art Kellner erschien und fragte nach meinen Wünschen. Doch mein mysteriöser Gegenüber erklärte, dass ich mich als eingeladen betrachten solle und übernahm die Bestellung. Er orderte, ohne Rücksprache mit mir, diese Knobel-Auch-Suppe und einen kräftigen Kräutertee. Genau dies hatte ich selbst bestellen wollen: ‚Woher wussten sie, was ich wollte?‘

 

‚Es gibt hier keine Auswahl!‘

 

‚C’est la vie, so ist das Leben!‘, warf ich ein.

 

‚Aber ich bin Tod! Und wir sind hier in Teller Viv im Teller Viv. Und Seller Vih verkauft man Ihnen hier nicht.‘

 

Diese Antwort irritierte mich denn doch: ‚Sie sind tot? Ich rede hier mit einem Toten? Und was ist Teller Viv?‘

 

‚Nein, mein Name und mein Beruf sind Tod!‘ Er zeigte auf das Schild über der Tür: ‚Und diese Restauration nennt sich Teller Viv. Das ganze Viertel hier heisst Teller Viv. Von Seller Vih wiederum habe ich noch nie gehört.‘

 

‚Ahh, C’est la vie bedeutet in etwa so ist es halt... Soll das jetzt heissen, ich rede hier mit dem Sensenmann?‘

 

‚Ja, manche nennen mich so. Habe einen verantwortungsvollen Job, ich helfe den Seelen der Verstorbenen, den Weg in eine andere Welt zu finden.‘

 

Der Kellner brachte meine Bestellung. Diese Suppe roch wirklich ausgezeichnet, und schmeckte ebenfalls so. Die vielleicht beste Suppe, die ich bisher vorgesetzt bekam. Tee jedoch hatte ich schon besseren getrunken.

 

‚Wieso heisst die Suppe eigentlich Knobel-Auch-Suppe? Gibt es da eine Geschichte dazu?‘, wollte ich von meinem Gegenüber wissen.

 

‚So fängt das Knobeln an! Wer zehn der Zutaten richtig errät, erhält kostenfrei für den Rest seines Lebens täglich eine Schüssel voll. Bisher bin ich der Einzige, dem dieses Privileg zusteht – und dies nur durch Riechen.‘

 

Wie aus dem Nichts tauchte in diesem Moment Spülwein an unserem Tisch auf: ‚Hatte ich es mir doch gedacht. In diesem Hause landen fast alle Besucher am ersten Abend. Und sie haben bereits die Bekanntschaft mit einem unserer berühmtesten Bewohner gemacht. Klasse Leistung!‘ Und an Tod gewandt: ‚Wartest du etwa auf mich? Ich brauche dich heute nicht.‘

 

‚Nein! Diesmal nicht. Du weißt doch, dass ich gern auf dich treffe‘, erwiderte Tod. ‚Ihr habt euch also ebenfalls schon kennengelernt. Spülwein ist einer der besten Touristenführer auf der Scheibe. Gute Wahl! Er ist nahezu der Einzige hier, der sie echt vor mir schützen kann. Ich weiss gar nicht, wieviele Leute er schon vor meiner Sense bewahrt hat. Aus diesem Grunde ist unser Verhältnis ein ziemlich spezielles. Ich mag ihn, er mich nicht. Er fügt meinem Leben eine Brise Abwechslung hinzu. Treffe ich auf ihn, weiss ich nie, wie es endet. Ich habe schon Sterbende verschont, nur wegen seiner traurigen Augen. Das ist immer wieder aufs Neue erfrischend.‘

 

‚Ich denke, die Bewohner dieser Welt können sie nicht sehen? Er sieht sie.‘

 

‚Richtig! Ausser Katzen, Kleinkindern und Zauberern! Er ist ein Zauberlehrling. Es ist nahezu das Erste, was sie in ihrer Nie Gesehenen Universität hier lernen. Und dabei ist er ein eher mieser Zauberer, aber wie gesagt ein guter Touristenführer.‘

 

‚Was heisst hier nie gesehene Universität?‘, warf Spülwein wieder ein. ‚Ich sehe sie, wenn ich hingehe. Und du bist auch schon bei uns gewesen.‘

 

‚Ja! Weil ich genau weiss, wo sie zu finden ist. Doch frage mal die Anderen hier. Keiner von denen hat sie je gesehen.‘

 

‚Ach, hör doch auf! Sie befindet sich mitten in der Stadt und ist in einem riesengrossen Park. So etwas kann keiner übersehen. Ich habe es damals auf Anhieb gefunden.‘

 

‚Weil du Zauberer werden wolltest. Frei nach dem Spruch: Wenn du deinen Eltern weh tun möchtest, und nicht homosexuell bist, werde Zauberer – oder Hexe.‘

 

‚Hier gibt es auch Hexen?‘, wollte ich da wissen.

 

‚Ja! Aber nur wenige, und die sind alle Autodidakten. Ich kann sie ihnen vorstellen, wenn sie Interesse haben.‘

 

‚Ja! Würde mich freuen.‘

 

‚Sind sie schon mal auf einem Pferd geritten?‘, fragte mich da Tod.

 

‚Nein!‘

 

‚Dann kann es ja losgehen!‘, und Tod stiess einen gellenden Pfiff aus.

 

Ein fahles Pferd kam ebenfalls aus dem Nichts zwischen all den Tischen auf uns zu. Tod schnallte sich sein Schwert um, schnappte sich die zwei Sanduhren, nahm die Sense und stieg auf. Er reichte mir seine knochige Hand und half mir ebenfalls auf das Pferd: ‚Ich habe nur zwei Jobs zu erledigen. Ich bringe sie vorher zum Hexentanzplatz.‘

 

Und schon stieg das Pferd steil in den Himmel. Ich klammerte mich an Tod, obwohl: So richtig festhalten konnte ich mich an ihm nicht. Und ich bemerkte schnell: Der Himmel sollte immer über uns sein, nur dann scheint unsere Welt in Ordnung. Kommt es einmal umgedreht, erfasst uns eine panische Angst. Wir verlieren völlig die Orientierung. Mit diesem Gefühl in meinem Bauch jagten wir über den Himmel, meinem nächsten Abenteuer auf der Scheibenwelt entgegen.

In NeAppel

Tod hatte mich auf einer Ebene in den Bergen abgesetzt. Er meinte, dies wären die Broken Berge, hier würden sich die Hexen der Scheibenwelt herumtreiben. Auf dem Mont Real, dem höchsten in diesem Gebirge, hätten sie ihren Treffpunkt. Ich solle nur immer geradeaus, in Richtung auf das Feuer, gehen, so könne ich sie nicht verfehlen. Er jedoch bevorzuge es, diesen Damen – ja, er sagte Damen – aus dem Wege zu gehen. Hexen wären ihm nicht geheuer. Und er versprach, Spülwein mitzuteilen, wo er mich wieder aufgabeln solle. Konnte ich dem denn nirgends aus dem Weg gehen?

 

Ich lief also los, in Richtung auf das Feuer. Es war ein nahezu jungfräulicher Wald. Kein Weg, kein Steg, nur dicht stehende Bäume, die gerade einmal einer Person das Durchkommen erlaubten. Und ich kam mir vor wie ein altes Waschweib, war ich doch ein Grossstadtkind. Um mich herum Geräusche, wie ich sie noch nie gehört hatte. Ich beschloss für mich, dies solle nicht mein letzter Moment werden. Dafür war später noch ausreichend Zeit. Man muss halt ab und an um sein Leben bangen, sonst spürt man es nicht. Umso mehr wir ums Überleben kämpfen, und sei es nur in Gedanken, umso lebendiger fühlen wir uns. Das gab mir die Kraft, weiter zu gehen, und bald stiess ich auf eine Lichtung mit einem Lagerfeuer in der Mitte. Um dieses sassen sich laut anschweigend drei ältere Frauen. Sollten das die Hexen sein? Mit ihrem rasselndem Atem? Keine von ihnen hatte eine Warze auf der Nase, nicht einmal am Kinn. Und Besen waren ebenfalls nicht zu sehen.

 

‚Moin Moin! Tod sagte, ihr wäret Hexen?‘ fragte ich sie ängstlich.

 

‚Es ist mitten in der Nacht. Wo kommst du denn her, dass du um diese Zeit einen Guten Morgen wünschst?‘, antwortete mir die Älteste von ihnen.

 

‚Das sagt man so bei uns, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und Gute Nacht wäre ja ebenfalls nicht angebracht. So etwas sagt man zu kleinen Kindern, wenn sie schlafen sollen. Seid ihr nun die Hexen, oder nicht?‘

 

‚Wir selbst nennen uns nicht Hexen!‘, wies mich eine der anderen zurecht. ‚Aber, ja! Die Leute nennen uns so. Auch Tod, weil er uns nicht mag.‘

 

Ich setzte mich zu ihnen, und die Älteste goss mir aus einer Art Thermoskanne eine Schale voll köstlich riechendem Tee ein. So sassen wir uns fast 10 Minuten schweigend gegenüber. Nur ihr rasselnder Atem war noch zu hören. Der Wald kam während dieser Zeit zur Ruhe. Dann, auf einmal, fing die Älteste wieder an zu reden: ‚Hört ihr das?‘

 

‚Was?‘, wollte ich da wissen. ‚Ich höre absolut nichts, ausser unserem Atem.‘

 

‚Genau! Er ist wieder da! Alle anderen im Wald haben sich verkrümelt‘, bekam ich als Antwort.

 

‚Wer ist da? Und warum schweigt der Rest, wenn er da ist?‘

 

‚Keine Ahnung!‘, entgegnete mir die Älteste. ‚Wir dachten, du wüsstest mehr. Warum sonst solltest du hier nachts an unserem Feuer auftauchen?‘

 

‚Ich hatte nur die Absicht, wenigstens einmal im Leben auf echte Hexen zu treffen. Das hat Tod arrangiert. Also, ich kann euch da nicht weiterhelfen. Habe absolut keine Idee, es ist meine erste Nacht auf dieser Welt!‘ Und nach ein paar Sekunden Pause fragte ich weiter: ‚Aber wieso eigentlich glaubt ihr, dass ein Er alles verstummen lässt? Könnte es nicht eventuell ein Es oder gar eine Sie sein?‘

 

‚Neieieinn! Eine Sie würde dazu führen, dass hier das grosse Geschrei losgeht. Und ein Es ist zu klein, um hier allen die Ruhe zu gebieten‘, meinte die Älteste und holte etwas aus ihrer Tasche. Sie hielt mir ihre Hand hin und ein winzig kleines Männchen verbeugte sich vor mir: ‚Ich bin der Kluge Organisator von Frau Verwachsen. Kann ich helfen?‘

 

‚Hallo! Ich bin der Jimi. Und was organisierst du so für die junge Frau?‘

 

‚Na alles! Termine, Grüsse ausrichten, den Kochplan aufstellen, das rechtzeitige Aufwachen, ausgewählte Nachrichten und so.‘

 

‚Siehst du? Das ist ein Es.‘ Sie verstaute ihn wieder in einer ihrer Taschen. Das Männlein meckerte noch ein wenig, und danach kehrte das brüllende Schweigen wieder zurück.

 

Nach einer halben Stunde stand Frau Verwachsen auf. Jetzt war zu erkennen, woher sie ihren Namen hatte. Sie packte sich die Thermoskanne und sammelte die Teeschalen ein: ‚Er zeigt sich offensichtlich auch heute nicht. Lasst uns zurück in unsere Hütten gehen.‘

 

‚Wisst ihr, was ich gerade vermutet habe?‘, warf da eine der anderen ein. ‚Könnte es nicht sein, dass wir die Zeit angehalten haben? Das wollten wir doch schon immer mal. Solange wir hier beisammen sitzen, kommt er. Und wenn wir aufstehen, geht der Lärm wieder los. Eigenartiger Zusammenhang, denke ich. Oder?‘

 

Mit einem Male hatten alle Drei ihre Klugen Organisatoren in der Hand, und fragten diese nach der seit meinem Eintreffen vergangenen Zeit. Und alle Drei Männleins antworteten: ‚Vier Minuten! Aber nicht für den Gast!‘

 

Da wollte ich natürlich ebenfalls eine Auskunft zur Historie meiner Geschichte, doch bekam nur zur Antwort, ich solle meinen Klugen Organisator fragen. Sie seien mir gegenüber nicht auskunftsberechtigt. Aber Frau Verwachsen hatte ein Einsehen, und fragte ihren – bekam jedoch lediglich die Auskunft, ich wäre nicht in ‚der Blase‘ gewesen und ausserhalb dieser Blase wäre die Zeit schneller vergangen. Daraufhin fingen die Hexen einen Tanz an, für den sie sich ihre Besen – die sie hinter sich liegen hatten – schnappten. Und auf einmal flogen sie davon. Ohne Verabschiedung! Nicht gerade höflich! Aber was hätte ich von Hexen erwarten sollen. Ich war ohne Einladung an ihrem Feuer erschienen. Ich war wohl selbst schuld.

 

Nun stand ich ganz alleine am Feuer und hatte keine Ahnung, wo ich war und wie ich wieder nach Newor Leans kommen sollte. Wie weit war das von hier? In diesem Augenblick wünschte ich mir den Tod. Der könnte diesen Ausflug zu einem glücklichen Ende bringen.

 

Irgendwo in der Ferne hörte ich ein lautes Schimpfen. Vielleicht sollte ich auf dieses zugehen. Schlimmer konnte es nicht werden. Ich versuchte mir zumindest zu merken, in welche Richtung ich das Feuer verliess...

 

... Und auf einmal stand mir Spülwein gegenüber. Wie kam der so plötzlich her?

 

‚Tod hat mir ausrichten lassen, wo ich sie finden kann! Oohhh, wie ich diese Broken Berge hasse, und diesen ollen Hexenwald!‘

 

Tod hatte sein Versprechen gehalten, und Spülwein hatte sich seinen Teppich geschnappt und war sofort losgeflogen. Unterwegs hatte er noch eine Zwischenlandung eingelegt, um für uns eine Übernachtung in NeAppel zu organisieren. Was wohl nicht so einfach gewesen war, da dort übermorgen die Superkanne stattfinden würde. Aber selbst dafür hätte er noch Karten für uns herbei zaubern können. Und morgen würde uns König Mord im Weissen Haus zu einem ausgiebigen Abendmahl empfangen...

 

‚Und warum können wir nicht gleich nach Newor Leans zurückfliegen? Dort habe ich fürs Hotel bezahlt.‘

 

‚Weil der Teppich das nicht mehr schafft. Der muss erst wieder aufgeladen werden, das dauert wenigstens zwei Tage.‘

 

‚Und wie kommen wir jetzt nach NeAppel?‘

 

‚Das ist nicht so weit. Ist halt nur ein wenig blöd so mitten in der Nacht. Dort vorne scheint schon das Weisse Haus durch die Bäume.‘

 

Und ich sah wirklich einen hellen Lichtschein, dort wo er hinzeigte. Mann, diese Leute hier sparten echt nicht an Energie, so hell wie dieses Haus erleuchtet schien. Wir machten uns auf den Weg. Ich hatte dabei ein schlechtes Gewissen, das Lagerfeuer hatte ich nicht gelöscht. Aber zurück wollte ich ebenfalls nicht. Spülwein meinte, er würde sich darum kümmern. Immerhin wäre er ja ein Zauberlehrling. Ich musste dabei nur an Goethes Gedicht denken. Ich hoffte, er machte nicht den gleichen Fehler und die Wasser ergossen sich ‚mit reichem, vollem Schwalle‘ über das Feuer...

 

Kurze Zeit später erreichten wir den Rand des Waldes. Jetzt konnte ich die Stadt vor uns sehen. Und ich verstand, warum das Weisse Haus so hiess. Es leuchtete in einem blendenden Weiss, ohne angestrahlt zu werden, und das mitten in der Nacht. Nur ein Halbmond stand am Himmel. ‚Wie funktioniert das?‘, wollte ich von Spülwein wissen, und erwartete eine Erklärung mit viel Magie. Doch er meinte nur, dies läge am Baustoff. Hier war der beste Marmor der Scheibenwelt verbaut worden. Nichts war mehr im Bruch übrig geblieben. Deshalb wäre dieses Haus auf ihrer Welt so berühmt, eine Touristenattraktion.

 

Ein Vorfahre des jetzigen Königs Mord hatte es vor Jahrhunderten erbauen lassen, nach einem grossen Sieg über ein benachbartes Königreich. Deren Tribut war die Lieferung dieses Marmors gewesen. Seitdem wäre NeAppel Tag und Nacht erhellt. Was zur Erfindung von speziellen Stoffen geführt hatte, mit denen die Einwohner der Stadt ihre Zimmer jede Nacht verdunkeln konnten. Da dieses Land Gardenia heisst, wurden diese Vorhänge Gardinen genannt und verbreiteten sich auf der gesamten Scheibenwelt. Nachteilig waren nun lediglich Wohnungen, deren Fenster in Richtung zum Weissen Haus zeigten. Deren Mieten sanken enorm. Ansonsten brächte es nur Vorteile für die Bewohner der Stadt.

 

‚Ja, ja! Aber wie kann dieser Marmor aus sich selbst heraus so leuchten?‘, fragte ich ein weiteres Mal Spülwein.

 

Das wüsste man nicht so genau. Jeder andere Marmor auf der Scheibenwelt könne nicht leuchten. Und die Könige von Gardenia hatten bisher jede Probenentnahme verweigert. Allgemein nahm man an, dass ein spezielles Element im Marmor enthalten sei, welches das Licht der Sonne speichern könne und dieses Licht im Dunkeln wieder abgab...

 

In der Zwischenzeit waren wir am Stadtrand angelangt. Aus der Nähe wirkte die Stadt wie jede Grossstadt auf der Erde, das Weisse Haus tauchte sie in ein fast neonfarbenes Licht. Es gab sehr dunkle Ecken, in die dieses Licht nicht hinein drang und Orte, die fast taghell erleuchtet waren. Spülwein führte mich bevorzugt über solche Plätze, und empfahl mir, falls ich einmal alleine nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs wäre, es ihm gleich zu tun. In dieser Stadt hätten die Gilden die eigentliche Macht, und besonders stark wäre hier die Gilde der Strassenräuber und Taschendiebe. Selbst er könne mich nicht wirklich vor ihnen beschützen. Deshalb wäre es ratsam, deren Mitgliedern aus dem Weg zu gehen. Wegen der bevorstehenden Superkanne würden sich jedoch sehr viele unvorsichtige Touristen in der Stadt aufhalten, so dass sich die Gildenmitglieder lieber den einfachen Fällen zuwenden würden. Sich möglichst nur auf den belebten und erleuchteten Plätzen aufzuhalten sowie ein wenig gesunde Vorsicht würde sicher schützend wirken.

 

Genau gegenüber des Weissen Hauses blieb er vor einem als ‚seit Wochen‘ ausgebuchten Hotels stehen: ‚Hier wären wir! Das ist unser Hotel! Ich habe mir erlaubt eine Suite mit zwei Schlafräumen für uns zu buchen. Ich hoffe, dies ist recht so?‘

 

Er hatte offensichtlich das vornehmste Hotel der Stadt ausgesucht. In unserer Suite gab es sogar Duschen mit warmem Wasser für jedes der Schlafzimmer. Nur die Töpfe waren ähnlich wie die in Newor Leans. Glücklicherweise hatten alle Zimmer dicke Gardinen, das Weisse Haus erleuchtete sie ansonsten taghell – hatte Vor- und Nachteile. Auch war es vom Platz her ziemlich laut... Dennoch schlief ich lange und fest. Spülwein nutzte die Zeit und organisierte ein üppiges Frühstück in unserer Suite. Danach war ich fit für neue Abenteuer...

 

Ich fand sogar heraus, was es mit dieser Superkanne auf sich hatte. Es war das Endspiel im Football in dieser Gegend der Scheibenwelt. Seit Jahrzehnten schon gab es immer wieder Streit um ein besonders fruchtbares Tal, das an drei Länder grenzte. Irgendwann hatten dann die Königreiche Gardenia und YaBirn beschlossen, ihre Ressourcen nicht mehr in langwierigen Kriegen zu vergeuden, sondern um diese Ebene jährlich in einem Football-Spiel zu kämpfen. Hin und wieder bewarb sich auch das dritte angrenzende Land namens Neisa um dieses Tal, in den entsprechenden Jahren fand sogar ein Turnier um die Felder statt. Dieses Jahr kämpften jedoch nur Gardenia und YaBirn um die Nutzungsrechte für das folgende Jahr.

 

Gewöhnlich wurden, da es keinen Profisport gab, einsitzende Kleinkriminelle für das Spiel verpflichtet. Den Verlierern wurden am Ende die noch offenen Strafen der Gewinner aufgebrummt. Im wahrsten Sinne des Wortes brummten sie danach. Die Gewinner durften nach dem Spiel alle nach Hause gehen. Und dieses Spiel sollte nun am nächsten Tag auf einer grossen Freifläche vor der Stadt stattfinden. Als echter Football-Fan freute ich mich natürlich darauf. Vor allem interessierte mich, nach welchen Regeln dieser Sport hier ausgeführt wurde.

 

Doch vorher stand an diesem Abend ein Festbankett beim König auf dem Plan. Bis dahin war noch Zeit, in der mir Spülwein die Stadt zeigte. Doch so sehr unterschied sie sich auf den ersten Blick nicht von Newor Leans. Sie war etwas kleiner, aber ansonsten sehr ähnlich. Unterwegs sah ich Frau Verwachsen wieder, doch ehe ich sie erreichte, verschwand sie wieder in der Menge. Sie hatte wohl ein schlechtes Gewissen...

 

Spülwein hatte mir eine echt fürstliche Garderobe erzaubert, für dieses königliche Bankett. Und dann standen wir in der scheinbar endlosen Schlange und warteten darauf, dass wir aufgerufen wurden, um den riesigen Saal im Weissen Haus zu betreten. Auf einmal verschwand Spülwein in der Menge und nachdem er zurückkam, wurden wir sofort eingelassen. Ich hoffte, es war nur ein kleiner, ungefährlicher Zauber, den er da durchgeführt hatte. Auf jeden Fall wurden uns zwei Plätze am Tisch des Königs zugewiesen – am gegenüberliegenden Ende eines fast 50 Meter langen Tisches. ABER: Ich sollte an diesem Abend endlich die Chance bekommen, einmal mit einem echten König an einem Tisch zu speisen...

 

Geholfen hatte es jedoch nicht wirklich. Obwohl wir nun sassen, mussten wir weiterhin warten - bis auch der letzte Gast aus der Schlange an seinem Tische sass. Erst danach sollte das Essen aufgetragen werden. Dann gab es jedoch noch einen Zwischenfall:

 

Als bereits die ersten Wagen mit der Vorsuppe hereingefahren wurden, sprangen auf einmal die Fenster auf der Platzseite des Saales auf und die drei Hexen mit zwei weiteren Freundinnen kamen hereingeflogen. Alle Kellner, Stadtwachen und Abräumer liessen ihre Arbeit ruhen und versuchten die Hexen im Fluge zu schnappen. Was natürlich niemandem gelang. Es machte jedoch uns Zuschauern sehr viel Spass – bis König Mord ein Machtwort sprach: ‚Hexen sind hier nicht zugelassen! Verschwindet auf der Stelle!‘

 

Und weg waren sie wieder, wie ein Zauber. Nun rannten andere Angestellte mit Leitern herbei, um die Fenster wieder zu schliessen. Doch sie waren kaum bis zur Hälfte hinauf gestiegen, da hörte ich Spülwein kichernd sagen: ‚Fenster zu!‘ und diese schlossen sich mit lautem Knalle. Dabei fielen mehrere der Leitern um – und einige davon trafen die Sevierwagen mit den Suppenterrinen. Diese wiederum schossen nun durch den Saal und die Kellner versuchten sie wieder einzufangen. Was nicht immer gelang. Zwei oder drei der Kellner liefen schreiend aus dem Saal, jeder von ihnen mit einer Terrine über dem Kopf - was für eine Slapstick Einstimmung auf ein Footballspiel.

 

Der Rest des Abends verlief dann eher geruhsam und nach diesem üppigen Mahle landeten wir kurz nach Mitternacht wieder in unserem Hotelzimmer. Ich hätte mir mehr Möglichkeiten gewünscht, mich mit den Einwohnern der Scheibenwelt zu unterhalten. Es wurde relativ wenig an den Tischen gesprochen. Scheint dort so wohl eher der Sitte zu entsprechen...

 

Am nächsten Morgen weckte mich Spülwein mit der Nachricht, der Teppich wäre ‚aufgetankt‘. Da wir unser Zimmer bis Mittag räumen mussten, schlug er vor, uns das Spiel vom Teppich aus anzusehen. Unser einziges Gepäck wäre eh nur ein gewisser Nahrungsvorrat, den wir uns am Frühstücksbuffet besorgten. Also machten wir uns auf zum Spiel.

 

Ist eine ziemlich verrückte Sache, das Fliegen auf einem Teppich. Es gibt keine Sicherheitsgurte und der Wind weht einem nicht nur um die Nase. Meine erste Frage war es deshalb, wie man sich darauf fest hielt. Immer in der Mitte sitzen und nicht wackeln, war Spülweins Rat. Man würde es ziemlich schnell begreifen. Bisher wollte noch nie einer herunterfallen, und soweit er wüsste, wäre dies auch noch keinem gelungen. Jedoch wären diese fliegenden Teppiche eine eher neue Technik auf ihrer Welt.

 

Wir waren nicht die Einzigen, die diese Idee mit dem Teppich hatten. Am, besser über dem Spielfeld schwebten weitere Teppiche. Einer davon ziemlich gross, auf dem während des Spieles einer der Schiedsrichter und je ein Vertreter der beiden Mannschaften mit seinem Käfig mit Brieftauben sassen. Immer wieder wurden diese Vögel zwischen den entsprechenden Spielerbanken und dem Teppich mit Nachrichten hin und her geschickt. Im Publikum entwickelte sich in dieser Zeit dagegen eine Art weiterer Sport: Wer fängt die meisten dieser Tauben ab? Die Stadtwache wiederum jagte diese Fänger und verwies sie des Stadions. Spülwein erklärte mir, diese Fänger würden versuchen, Geld mit diesen Nachrichten zu verdienen, indem sie diese an die jeweilige Gegenmannschaft verkauften. Erschien mir logisch...

 

Irgendwann wurde dann eine riesige Metallkanne von bestimmt zehn kräftigen Männern auf das Feld getragen. Das war sie also, die Kanne, die dem Ereignis den Namen gab. Spülwein erklärte mir, am Ende bekäme die Gewinnermannschaft dieses Teil, gefüllt mit einem berauschenden Getränk. Noch nie hätte es eine Mannschaft vermocht, diese Kanne an einem Abend zu leeren. Mir ging dabei durch den Kopf, dass dieses Getränk eine ziemlich starke Wirkung haben musste, auf jeder der Spielerbanken sassen bestimmt 60, 70 Leute...

 

Dann zeigte Spülwein in Richtung des Horizontes. Von dort kam etwas, was wie ein riesiger Schwarm Vögel aussah. Ziemlich schnell wurden diese ‚Vögel‘ zu gross für meine Begriffe. Und dann bemerkte Spülwein: ‚Heute scheinen sich sogar die Hexen das Spiel ansehen zu wollen. Gardenia ist das Land der Hexen, hier rechnet man sogar mit hexendezimalen Zahlen. Dies kann manchmal etwas irritierend wirken.‘

 

Er hatte recht. Da kamen bestimmt um die 50 Hexen auf ihren Besen angeflogen. Doch sie hielten nicht wirklich auf das Spielfeld zu, eher auf einen der Wälder in der Nähe. ‚Ah, doch nicht! Sie wollen offensichtlich in den Hide Park. Dort wird sie niemand finden, nur sie kennen alle Verstecke.‘

 

Er sprach in Rätseln, die ich nicht zu lösen vermochte. Auch war ich mehr an dem kommenden Spiel interessiert. Ich liess mir lieber von Spülwein die Regeln erklären. Doch der war kein Football-Fan und meinte nur, dass sich die Spieler drei Stunden lang um einen Ball prügeln und zwischendurch immer wieder die Zuschauer Touchdown rufen würden. Mehr würde er von diesem Spiel nicht verstehen. Es gäbe zwar noch Punkte für andere Aktionen, doch was die Spieler dafür tun müssten, hatte er noch nicht herausgefunden. Das klang zwar sehr nach dem Football, wie ich ihn von der Erde her kenne, doch hatten die Spieler schon mal nicht die übliche Kleidung an. Sie traten eher wie unsere Fussballspieler an, nur ein Trikot und kurze Hosen. Nicht einmal Schuhe trugen sie. Sollte es wirklich so heftig abgehen, wie in der NFL? Ich konnte mir das nicht vorstellen. In diesem Falle würde es ja Tote geben.

 

... und es gab Tote. Den ersten bereits beim KickOfReturn. Ihm wurde der Hals gebrochen. Daraufhin rief das gesamte Stadion nach den Hexen. Und: Eine von ihnen kam auf ihrem Besen angeflogen und schaute sich ihn kurz an. Sie holte ein paar Kräuter aus ihrem Beutel und kaute sie wohl gut durch. Den Brei schmierte sie ihm um den Hals, bevor der Spieler vom Feld getragen wurde. So ging es immer weiter. Bei jedem Verletzten kam eine Hexe vorbeigeflogen, reparierte sie und drei, vier Spielzüge später stand der Mann wieder auf dem Feld. Andererseits: Dieses Spiel war eher eine Defensiv-Schlacht. Beide Teams hatten starke Verteidiger, die Angriffsspieler waren eher durchschnittlich. So war es wenig verwunderlich, dass es nach einer guten Stunde immer noch nur 0 : 3 für YaBirn stand. Jedoch spannend war das Spiel dennoch. Nur Spülwein schien sich zu langweilen. Er wollte lieber nach Newor Leans zurückfliegen. Dann würden wir noch vor Anbruch der Dunkelheit ankommen. Wir verhandelten und entschieden, dass er mich vorläufig noch auf der Tribüne absetzte und in die Stadt flog, wo er sich um einen Gastro-Gnom kümmern wollte: Damit wir unterwegs etwas Vernünftiges zu essen bekamen.

 

Es war wohl nicht so einfach, in NeAppel noch einen dieser Gastro-Gnome zu bekommen. Die waren laut Spülwein alle mit den Vorbereitungen für die Fressgelage des Abends beschäftigt. Er konnte nur ein älteres Modell auftreiben. Für eine Flugreise würde das jedoch ausreichen, meinte Spülwein. Also flogen wir eine Stunde später beim Stand von 7 : 6 für Gardenia ab, zumal mir Spülwein das Endergebnis – aus Versehen? – gespoilert hatte: Es würde 10 : 12 für YaBirn ausgehen...

 

Unterwegs nach Newor Leans zauberte uns dieser Gastro-Gnom ein Superessen aus den Resten unseres Frühstückes, ein Essen, wie man es auf der Erde wahrscheinlich nicht mal in der First Class bekam. Doch es war irgendwie viel zu windig und vor allem auch zu kalt, um es richtig zu geniessen. Zwischendurch wünschte ich mir das Pferd von Tod zurück. Dieses war wesentlich schneller gewesen, und es offerierte einen festeren Sitz unter meinem Hintern. Kurz nach Sonnenuntergang setzte mich Spülwein an meinem Hotel ab und versprach, am nächsten Morgen zum Frühstück wieder zu kommen, um mir Newor Leans zu zeigen...

Sightseeing in Newor Leans

Am nächsten Morgen freute ich mich so richtig auf mein Frühstück, ganz in Ruh‘ in meinem Hotelzimmer in Newor Leans, ohne Spülwein und so. Doch diese Freude hielt nicht lange an: Er war wohl schon im Hotel und der Zimmerservice schickte ihn mit dem Tablett zu mir. Spülwein wurde dabei von einem ziemlich ‚schrägen Vogel‘ begleitet. Er stellte ihn als Käsie Gross vor, Newor Leans‘ berühmtesten ‚Schreiberling‘. Er würde viel Geld verdienen mit seinen sogenannten ‚Kotzik Nowels‘, dem letzten Schrei auf der Scheibenwelt. Auf die Frage hin, was dies eigentlich sei, antwortete Käsie Gross ziemlich lapidar: ‚Das sind Geschichten über junge Frauen, die in ein leeres, altes Haus gehen und dort vor lauter Angst ihr feuchtes Höschen verlieren...‘ Ich konnte mir leicht denken, was er damit meinte. So etwas gibt es ja bei uns ebenfalls.

 

Keine Ahnung, warum Spülwein nun gerade mit diesem Typen bei mir auftauchte, hatten wir doch auf unserer Rückreise aus NeAppel für heute Sightseeing verabredet. Hielt er Käsie Gross für eine Sehenswürdigkeit? Galten hier ‚schräge Vögel‘ als vorzeigenswert? In diesem Falle hätte ich mich lieber alleine auf die Socken gemacht. Diese Scheibenwelt schien so ihre Besonderheiten zu besitzen, die mir nicht wirklich lagen. Ich machte Spülwein also darauf aufmerksam, dass ich viel mehr an diese Nie Gesehene Universität gedacht hatte, oder an ähnliche historische Plätze.

 

‚Sie meinen wohl Orte wie die Bank?‘, fragte da Käsie Gross. ‚Seit der Erfindung des Sparstrumpfes bringt hier niemand mehr sein Geld zur Bank. Jetzt steckt es in irgendwelchen Sockenschubladen – und erschwert der Bankräuber-Gilde das Leben. Dort, wo sie früher von einem Bruch pro Jahr leben konnten, müssen sie jetzt jede Woche zu einem neuen Bruch ausschwärmen. Aber es ergibt gute Geschichten. Wie etwa die von dem Safeknacker, der mir mal völlig ausser Atem über den Weg gelaufen ist. Der war kreidebleich und beschwerte sich über seine Kollegen. In dem Haus, aus welchem er gerade weggelaufen war, sollte es nach deren Aussagen keine Hunde geben. Doch er hatte einen gehört. Am Schluss stellte sich heraus, er war vor dem Schnarchen einer ledigen und tief schlafenden Hausfrau davongelaufen. Kein Wunder, dass diese keinen Mann fand...‘

 

‚Newor Leans ist eine noch recht junge Stadt‘, warf Spülwein ein. ‚Die Nie Gesehene Universität ist dagegen die mit Abstand älteste auf unserer Welt. Angeblich bestand sie bereits, als der legendäre Kardabra seine ersten Schüler hierher führte. Doch Kardabra verschwand vor über 1,000 Jahren einfach so von dieser Welt, und liess seine Schüler allein. Tod kann darüber sicher mehr berichten. Er meint, Kardabra müsse noch irgendwo leben, er jedenfalls hätte ihn nie in die andere Welt eingelassen, dessen Sanduhr steht noch immer in seinem Regal und alle paar Jahre fiele da ein Sandkorn nach unten. Auf diese Weise hätte Kardabra wohl noch mehrere tausend Jahre vor sich. Doch, wo er sich im Moment aufhielte, dies wüsste angeblich selbst Tod nicht. Naja, auf jeden Fall haben sich hier die ersten Wesen – nach den Zauberern und ihren Lehrlingen – erst vor weniger als hundert Jahren angesiedelt, nachdem ein Zwerg namens Gier Hans Taler darauf aufmerksam gemacht hatte, dass auch Zauberlehrlinge ihr Geld ausgeben möchten. Und da Zauberer zu den reichsten Scheibenwelt-Bewohnern zählten, folgten Hans Taler Wirtsleute, Handwerker, Kaufleute und dieses ganze Gesocks, um Newor Leans zu dem zu machen, was es heute ist – ein Eldorado für Glücksritter und der Alptraum für jeden Zauberer.‘

 

‚Wie lang ist denn ein Jahr bei euch?‘, wollte ich da wissen.

 

‚Wenn der Winter vorbei ist, fängt ein neues Jahr an. Und dazwischen müssen wir Frühjahr, Sommer und Herbst überstehen‘, meinte darauf Käsie Gross.

 

‚Ja, aber wie viele Tage hat ein Jahr?‘

 

‚Das ist verschieden‘, versuchte es nun Spülwein. ‚Mal gibt es einen langen Sommer, mal einen kurzen. Mal zieht sich der Winter, und manchmal kommt er gar nicht richtig an. Nach unseren Aufzeichnungen ist ein Jahr im Durchschnitt gute 350 Tage lang. Kann aber mal bis zu 370 haben oder schon – eher selten - nach 330 zu Ende sein. Wir haben einen Kalender mit 11 fixen Monaten a 30 Tagen plus Wechsia, der halt dann die restliche Zeit gilt. Einmal hatte Wechsia sogar 42 Tage, meist jedoch um die zwanzig.‘

 

‚Und wer legt fest, wann das Jahr anfängt? Gibt es da eine Kommission oder so?‘, fragte ich nach.

 

‚Das macht die Denkmaschine, die Kardabra mit seinen ersten Schülern gebaut hat, im Keller der Universität. Die teilt uns mit, wann es soweit ist.‘

 

‚Die würde ich mir gerne anschauen. Und vorher noch die Bank‘, entschied ich.

 

Beim Verlassen des Hotels gab es einen kleinen Auflauf wegen Käsie Gross. Da ich noch vom Frühstück ausreichend gesättigt war, bat ich Spülwein einfach zu verschwinden. Er nickte und wir überliessen Käsie Gross diesen Auflauf.

 

Spülwein winkte eines der kleineren, offenen Fiaker-ähnlichen Gefährte heran, mit dem wir uns zur Bank kutschieren liessen. Unterwegs betete er mir eine ganze Reihe von Verhaltensregeln für die grösseren Städte auf dieser Scheibe herunter. Dazu gehörte neben anderem auch die Benutzung dieser Kutschen: Nur so könne man der Gefahr entgehen, in kurze Schauer – die durchaus einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Exkrementen enthalten könnten – zu geraten. Obendrein würden diese Schauer vor allem in den Nebenstrassen schmierige Pfützen hinterlassen, was ‚zu deutlichen Verschmutzungen an Kleidung und Schuhwerk führen könnte‘. Und einmal, in den stärker frequentierten Strassen sogar mehrmals, am Tage käme die Feuerwehr durch und würde wild um sich spritzend diesen Dreck in den jeweils nächsten der vielen Kanäle der Stadt spülen. Ohne Rücksicht auf Fussgänger! Mit einer Kutsche, vor allem in denen mit Verdeck, wäre man gegenüber solchen Ereignissen ausreichend beschützt. Und falls keine Kutsche zur Hand ist, immer auf dem Sprung mittig mit offenen Augen die Strasse durchqueren. Oder erst nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus ausbrechen...

 

In der Zwischenzeit waren wir an einem grossen Platz angekommen. In seinem Zentrum stand ein riesiges tempelartiges Gebäude, welches von Weitem mehr einer überdimensionalen Bank ähnelte als einer Bank. Über dem Haupteingang war der Name des Gebäudes aus den Steinen gehauen: ‚Doller Hans Bank‘ und darunter – etwas kleiner - der Spruch: ‚Wir machen mehr aus ihren Reichtümern!‘ Neben der Eingangstür war ein Plakat angebracht, mit dem Hinweis, dass bis auf Weiteres keine Sparstrümpfe angenommen werden würden und dass an jedem Mittwochmittag eine Verlosung von Krediten stattfinden würde. Lose für diese Form der Kreditvergabe würden ebenfalls mittwochs eine Stunde nach Mitternacht am Schalter Eins verkauft. Und dass Touristen von der Verlosung ausgeschlossen wären. Ansonsten machte diese Bank einen ziemlich verschlossenen Eindruck.

 

‚Ich habe zu meinen Lebzeiten noch nie erlebt, dass hier geöffnet war‘, warf Spülwein ein. ‚Aber wir könnten auf der Rückseite das Finanzamt besichtigen. Das hat rund um die Uhr geöffnet.‘

 

Doch als wir auf der Rückseite ankamen, verlor ich schnell das Interesse. Vor dem Eingang fanden wir den nächsten Auflauf vor. In dessen Mitte waren zwei Wesen auf je einen Hocker geschnallt. Daneben standen einige Bewaffnete in einer Uniform, die sie als Mitglieder der Stadtwache auswiesen. Diese hielten mit ihren Spiessen die anderen Wesen etwas auf Abstand und liessen immer nur jeweils einen zu den Angeschnallten durch. Einige der Durchgelassenen spuckten die Sitzenden an, andere gaben ihnen eine Kopfnuss, wenige beachteten sie eher nicht. Doch alle warfen danach Münzen in eine grosse Sammelbüchse, die zwischen den Beinen der Sitzenden angebracht war. Ich fragte Spülwein nach der Bedeutung dieses Schauspieles. Er erklärte mir, diese Zwei hätten wohl ihre Steuern nicht zahlen können und müssten sie jetzt auf solche Weise verdienen. Sie würden jeden Tag von früh um sechs bis abends um zehn auf ihre Hocker geschnallt, und das Geld, dass sich in den Sammelbüchsen anhäufte, würde vom Finanzamt eingezogen, solange bis ihre Steuerschuld beglichen war. So etwas könne manchmal Monate dauern. Je nachdem wie beliebt die Deliquenten in der Stadt waren.

 

Auf einmal drängte Spülwein, wir sollten lieber das Weite suchen. Ihm war nämlich eingefallen, dass vor einer Woche der Abgabetermin für seine Steuererklärung gewesen war und er wollte nicht, dass er ebenfalls auf einen solchen Hocker geschnallt würde. Das sah ich ein und wir verliessen schnellstens diesen Platz. Dabei entdeckte ich ein weiteres älteres Gebäude mit der Aufschrift ‚Stadt Museum‘. Ich schlug Spülwein vor, uns dort vor den Steuereintreibern zu verstecken.

 

‚Das wird nicht funktionieren‘, meinte er jedoch. Das Betreten dieses Gebäudes sei untersagt, ‚um den Staub nicht in seiner Ruhe zu stören‘. Geschichte schien es hier wert zu sein, einzustauben. Oder interessierte es einfach niemanden?

 

‚Welche Funktion hat dann dieses Gebäude?‘, wollte ich wissen.

 

‚Ein Museum ist ein Museum! Welchen anderen Sinn sollte dieses Gebäude ansonsten haben?‘

 

‚Naja, bei uns sind Museen Orte, in denen man sich fachlich fundiert über bestimmte Themen kundig machen kann‘, versuchte ich zu erklären – so wirklich konnte ich es nicht. ‚Dort werden zum Beispiel Dinge ausgestellt, um etwa die Stadtgeschichten zu illustrieren. Auf keinen Fall sind diese dafür gedacht, dem Staube ein ungestörtes Dasein zu ermöglichen. Auch wenn ich bei manchen unserer Museen so etwas durchaus vermuten könnte.‘

 

‚Bei uns ist es anders! Lass uns zur Nie Gesehenen Universität gehen. Die ist auf jeden Fall ungefährlicher - und geöffnet! Es ist nicht wirklich weit.‘

 

Eine gute Entscheidung! Auf die Art bekam ich zwischendurch eine Ecke der Stadt zu sehen, die deutlich sauberer, und vor allem völlig anders war als der Rest der Stadt. Dieser Platz um die Bank herum war wohl das Zentrum von Newor Leans. Er hiess übrigens Zero-Dollar-Platz – wie passend für diese Bank mit Finanzamt. Egal wieviel Geld die Besucher mitbrachten, beim Verlassen schienen die wenigstens viel mehr als die genannten null Dollar in der Tasche zu haben. Falls irgendjemand ungeschoren aus dem Finanzamt herauskommen sollte, es gab ausreichend Gelegenheiten, sein Geld anderweitig loszuwerden – zum Beispiel eine riesige Anzahl von Marktständen in den Strassen, die so ungefähr alles anboten, was man sich denken konnte. Ständig versuchte Spülwein mir die Leckereien, die es überall zu kaufen gab, aufzuschwatzen. Da war ich glücklicherweise immun dagegen. Doch wurde mehr als einmal versucht, mir etwa so einen Klugen Organisator zu kaufen. Die sahen einfach zu niedlich aus. So einer wäre sicher der Hit auf jeder irdischen Party. Doch Spülwein machte mich darauf aufmerksam. dass deren Ausfuhr aus der Scheibenwelt verboten war und während meines Aufenthaltes wäre er der klügere Organisator für mich. Und da meine irdische Wohnung schon vor Büchern überquillt, entschloss ich mich, mir lieber eine neue Garderobe im lokalen Stile zuzulegen.

 

Egal, was die Einheimischen behaupteten, ich sah köstlich darin aus - halb wie ein mittelalterlicher Pirat, halb wie ein Hippie aus den Sechzigern. Endlich besass ich das Faschingskostüm, das ich mein bisheriges Leben lang gesucht hatte. Und auf der Scheibenwelt fiel ich nicht mehr so auf – bildete ich mir ein.

 

Nach gut zwei Stunden erreichten wir einen grossen Park mit vielen kleinen Tempelchen und festen Lauben. Eigenartigerweise liefen dort die Leute in Gruppen herum, meist verkleidet wie Zauberer. Einer schien jeweils Reden vor den anderen zu halten. Dabei hielt dieser meist ein sehr buntes Fähnchen in die Höhe.

 

‚Das ist die Nie Gesehene Universität‘, belehrte mich Spülwein. ‚Jetzt ist gerade Unterrichtszeit.‘

 

Ja, er schien Recht zu haben. So ungefähr hatte ich mir immer Platons Akademie im alten Athen vorgestellt. Diese war ja ebenfalls eher eine Schule als eine Forschungseinrichtung. Nur, wo war das ‚Riesengebäude‘ von dem Tod gesprochen hatte, wollte ich von Spülwein wissen.

 

‚Das ist einer seiner Scherze. Zum einen ist der Park nur das Dach, die Universität ist mehrere Stockwerke nach unten gebaut. Deshalb hat sie ja auch ihren Namen weg, niemand hat das eigentliche Gebäude je gesehen. Und hier im Park gibt es keinen offiziellen Hinweis auf die Universität – als erste Frage des Aufnahmetests. Wer hier studieren will, muss sie erst finden.‘

 

Nachdem ich ihm versichert hatte, nie an der Uni studieren zu wollen, führte er mich zu einem der kleinen Tempel in der Mitte des Parkes und drückte dort gegen einen der Steine im Mauerwerk. Vor uns öffnete sich eine Treppe im Boden des Tempels und wir betraten das heilige Treppenhaus nach unten. Hinter uns schloss sich diese Luke wieder und im Inneren gingen Fackeln an, die uns den Weg erleuchteten. Uns kam ein älterer Herr entgegen und fragte Spülwein ohne Begrüssung, wer ich denn sei.

 

‚Das ist Jimi, ein Tourist von einer Welt namens Erde. Er hat Interesse an unserer Universität bekundet und mir glaubhaft versichert, nie hier studieren zu wollen‘, und zu mir gewandt: ‚Das ist Kardabra der 442., unser derzeitiger erster Rektor.‘

 

Wenigstens mich begrüsste er dann höflich und fragte, was ich mir denn gerne anschauen würde. Vor allem diese Denkmaschine im Keller, die Spülwein erwähnt hatte, und darüber hinaus würde ich gerne z. B. in die Bibliothek schauen. Er schickte uns dann in eben diese und meinte, wir sollten dort auf irgendjemanden warten, den er vorbeischicken würde, der uns wiederum diese Denkmaschine zeigen darf.

 

Also führte mich Spülwein weiter ins Innere in einen riesengrossen Saal, in dem einige Wesen – anders kann ich es nicht erklären, zu verschieden waren diese, einige sahen sogar wie Verschiedene aussahen – an Stehpulten in grossen und dicken Wälzern lasen. Der Rest des Saales stand voll mit hohen Regalen, bis unter die Decke gefüllt mit weiteren Wälzern. An einigen der Regale kletterten grosse Affen mit Büchern unter den Armen herum, sortierten diese wohl wieder ein bzw. entnahmen andere. Unten nahmen weitere Wesen diese Bücher in Empfang und brachten sie an einen grossen Pult in der Mitte, an dem eine fast zwei Meter grosse Eule auf einer Stange sass. Die liess sich die Titel vorlesen und schrieb mit einem Fuss sie in ein Buch auf ihrem Pult. Danach wurden die Bücher an einen der Leser im Saale weitergereicht. Es war eine ziemlich gespenstische Szenerie, erleuchtet von grossen, flackernden Fackeln, die in regelmässigen Abständen herumstanden. Spülwein führte mich zu der Eule, und stellte mich dieser vor: ‚Hallo Onkel! Dieser Herr hier hat Interesse bekundet, unsere Universität näher kennenzulernen.‘

 

‚Huuh! Huuh! Hallo Spülwein! Bin im Augenblick ziemlich beschäftigt. Zeige ihm doch die Bücher, die auf dem Tisch dort liegen. Dort müsste auch eines zu unserer Geschichte dabei sein. Die anderen wird er eh nicht verstehen...‘

 

Spülwein und ich gingen zu dem bezeichneten Tisch und ich schaute in eines der Bücher. Staunenswert, es war in Deutsch geschrieben. Und wieder kam die Erklärung, jeder hier würde Bücher immer in seiner Muttersprache lesen können. Dies funktionierte wie beim gesprochenen Wort. Doch leider würde oft der eigentliche Sinn bei diesen Übertragungen verloren gehen. Ich solle niemals die Sprüche und Regeln in meiner Sprache anwenden, so etwas könne ziemlich heftig nach hinten losgehen. Auf diese Art wäre etwa sein Onkel in diese Eule verwandelt worden und bisher hätte er, Spülwein, noch nicht den Gegenzauber gefunden. Inzwischen wäre jedoch sein Onkel mit der neuen Form durchaus zufrieden und wünschte nicht mehr, zurückverwandelt zu werden.

 

In diesem Moment kam ein ganz in weiss gekleideter Zauberer auf uns zu. Selbst sein spitzer Hut war weiss. Er begrüsste uns und meinte, wir könnten jetzt die Denkmaschine sehen. Gemeinsam stiegen wir eine gefühlte Ewigkeit weitere Treppen nach unten, bis wir in ein von Dampf und lauten Geräuschen angefülltes Stockwerk kamen. Spülwein flüsterte mir zu, dies seien die Nebenwirkungen der Denkmaschine. Gemeinsam betraten wir einen grösseren Saal, erleuchtet ebenfalls durch die obligatorischen Fackeln. Die Tür schien schalldicht zu sein, im Inneren des Raumes war nichts mehr zu hören, ausser leisen Gesprächen. Doch ich sah zuerst niemand weiter. Als ich mich an das Licht gewöhnt hatte, erkannte ich jedoch, dass im gesamten Saal auf unterschiedlichsten Gestellen eine Unzahl von vielleicht ein bis anderthalb Zentimeter kleinen Wichteln sassen und miteinander plauderten. Der weisse Zauberer erklärte mir, ohne diese würde die Denkmaschine nicht funktionieren, doch das wichtigste Teil wäre die Maus. Dabei zeigte er auf einen kleinen Käfig neben einer Art Tastatur. In ihm sass eine Maus, deren Schwanz durch einen Faden mit der ziemlich wüsten technischen Apparatur verbunden war. Neben dem Käfig stand ein grosser Behälter mit Käsestückchen. Um die Maschine zu starten, müsse er der Maus immer ein Stückchen Käse in den Käfig werfen, manchmal auch zwischendurch. Dies schien die einzige Aufgabe der Maus zu sein, meinte er. Ohne Käse würde die Maschine keine Ergebnisse liefern. Die kleinen Wichtel kämen jedoch ohne Nahrung aus.

 

Der weisse Zauberer setzte sich an die Tastatur, die über eine Kette aus blauen Zähnen mit der Apparatur verbunden war. Blue Tooth an einem mittelalterlichem Computer und eine Maus, die mit Käse gefüttert werden musste. Was konnte da noch schiefgehen?

 

Er warf ein kleines Stückchen Käse in den Käfig und begann, auf der Tastatur zu tippen. Sofort setzte sich eine der Apparaturen in Bewegung. Eine Walze wurde von mehreren kleinen Wichtel gedreht, während etwas grössere Wichtel die auf einem Schlitten befestigte Walze langsam nach links zogen. Währenddessen wachten auf einem Brett vor dieser Walze viele kleine Wichteln auf und begannen, mit winzig kleinen Pinseln blaue, rote, gelbe und schwarze Farbe auf diese Walze zu spritzen. Langsam konnte ich mir die Funktion dieser Apparatur vorstellen. Auf der Walze war nach und nach ‚KI-1 starten!‘ zu lesen. Einen Monitor, wie bei uns, gab es offensichtlich noch nicht.

 

‚Habt ihr eine bestimmte Frage an KI-1?‘, wollte der Zauberer wissen.

 

Auf die Schnelle fiel mir nichts ein, also fragte ich nach der Einwohnerzahl der Scheibenwelt. Dies schien mir eine einfache Frage zu sein. Ziemlich schnell setzte sich diese Druckeinheit wieder in Bewegung und die Meldung ‚Fehler 43‘ erschien auf der Walze. Das war mit Sicherheit nicht die richtige Antwort. Das war offensichtlich auch dem Zauberer klar, er tippte weitere Befehle in die Tastatur, doch es erschien lediglich die Aufforderung, mehr Käse einzuwerfen. Spülwein fütterte die Maus und danach erschien: ‚Systemüberlastung! Reset drücken!‘

 

‚Dieser vermaledeite Reset-Knopf‘, kam es vom Zauberer. ‚Ich habe bisher nicht herausgefunden, was damit gemeint ist.‘ Er zog am Faden der Maus und die Maschine ging in ihre Ausgangsstellung zurück. ‚Also nochmal!‘

 

Dieses Mal schlug ich vor, die Maschine nach dem Reset-Knopf zu fragen. Doch die Antwort war ein weiteres Mal: ‚Fehler 43‘. Und auf die Bitte, ‚Fehler 43‘ zu erläutern, erschien -­ wer hätte das gedacht – wieder ‚Systemüberlastung! Reset drücken!‘

 

Ich hatte genug gesehen. KI-1 war wohl die Abkürzung für ‚Krasser Idiot 1‘. Ich fragte, ob dieser KI-1 jemals eine andere Antwort gegeben hätte. Der weisse Zauberer wusste es nicht.

 

‚Aber wie erfahrt ihr, wann das neue Jahr anfängt?‘, wollte ich dann wissen.

 

‚Eines Morgens, immer am Ende des Winters, komme ich hier rein und da steht dann ‚Gesundes Neues Jahr!‘‘, antwortete mir der Zauberer. ‚Dafür muss ich ihr keine Befehle geben. Und bisher ist dies die einzige Aufgabe, die diese Denkmaschine löst. Seit über tausend Jahren! Auf alle anderen Anfragen habe ich nur ‚Fehler 43‘ als Antwort bekommen. Ich versuche es halt immer wieder, in der Hoffnung endlich mal die richtige Frage zu stellen.‘

 

Ich schlug vor, einfach die Folge ‚Fehler 43! Systemüberlastung! Reset drücken!‘ einzugeben. Mal sehen, wie dieser KI-1 darauf reagieren würde. Der weisse Zauberer zuckte mit seinen Schultern und gab die Folge ein. Die Antwort war verblüffend wie einfach: ‚Taste 43 defekt! Kann Eingabe nicht interpretieren! Maus = Reset!‘

 

Der Zauberer kratzte sich am Kopf und schaute unter seine Tastatur: ‚Er hat Recht. Die Taste 43 ist nicht angeschlossen, es ist die Leertaste. Ich habe jetzt zu tun.‘ Und er verschwand durch eine Tür...

 

Ich drehte mich zu Spülwein um: ‚Komm lass uns essen gehen!‘

 

Wir verliessen ebenfalls den Raum. Dabei konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. An der Eingangstür hing ein vergilbter Zettel mit der Aufschrift ‚Gnomes inside!!!‘

 

 

Zugabe

 

Spülwein wollte mir ein Gefühl für den Winter auf der Scheibenwelt geben und hatte mich zu einem kurzen Ausflug zu seiner Hütte in den Pfähler Bergen überredet. Diese sind, wenn ich ihn richtig verstanden habe, auf der Newor Leans gegenüber liegenden Hälfte der Scheibe. Und wirklich, wir waren nach kurzem Flug mit dem Teppich auf einer Schneewehe vor einer ziemlich kleinen Hütte gelandet, nur um Weniges grösser als manche Laube hierzulande...

 

Er rollte den Teppich zusammen und öffnete die Hüttentür mit dem auch bei uns allgemein aus 1001 Nacht bekanntem Spruche. Innen machte dieses Häuschen einen ziemlich anheimelnden Eindruck, es schien sogar innen etwas grösser zu sein als es von aussen wirkte. Er zeigte auf einen Stapel Holz vor der Hütten und bat mich, den Kamin anzuschmeissen. Er wolle sich um ein kräftigendes Mahl kümmern.

 

Kaum züngelten die ersten Flämmchen im Kamin, da schellte es an der Tür. Spülwein schlug gerade einige Eier in eine Schüssel. Deshalb bat er mich, zu öffnen. Er machte keinen wirklich überraschten Eindruck und ergänzte nur, ich solle nach unten blicken.

 

Im ersten Moment sah ich nur einen grossen Schwarm Vögel auf der Schneewehe sitzen, doch von unten hörte ich ein Stimmchen: ‚Tschuldichung dass isch klingel, abber es Vochelfudder is leer...‘ Echt: Vor der Schwelle sass ein Eichhörnchen und blickte mich ganz treuherzig an.

 

‚Wieso kannst du reden?‘, entfuhr es mir. Da rief Spülwein vom Herd: ‚Bei uns hier versteht Jeder Jeden!‘

 

‚Wi ham Hunga!‘, riefen da alle Vögel auf einmal. Und das Eichhörnchen wies mit seinem Pfötchen nach der anderen Seite. Dort sassen nicht nur Vögel. Hinter einer extremen Mini-Ausführung von Tod, mit einer kleinen Sense in der Hand, sassen und standen alle möglichen Tiere, von Mäusen bis zum ausgewachsenen Wolf und blickten mich ebenfalls bettelnd an.

 

Spülwein rief mal wieder etwas total Unverständliches und auf einmal regnete es Nüsse, Körner, und vor allem Früchte und sogar Käsestückchen auf die Tiere. Das Eichhörnchen bedankte sich artig und stürzte sich auf ein paar Eicheln...

 

Ich schloss die Tür und drehte mich zu Spülwein um: ‚Sag mal! Da war ein Mini-Tod mit dabei?‘

 

‚Das ist Rattentod! Weil es so viele Ratten überall gibt, hat Tod diese an ihn ausgesourct. Da werden sich die Ratten wohl gleich in die Haare bekommen, wenn der schon da ist...‘

 

Kaum war ich von der Tür wieder am Kamin, um weiter auf das Feuer zu achtzugeben, klopfte es ans Fenster. Doch dieses Mal war Spülwein schneller. Die Eier waren wohl fertig. Er öffnete das Fenster und liess die Kälte ins Haus – wozu gab ich mir am Kamin eigentlich solche Mühe? Im tiefsten Winterwalde schien, im wahrsten Sinne des Wortes, der Bär zu steppen.

 

‚Squeak!‘, tönte es in einer so hohen Stimme, dass ich mir automatisch meine Ohren festhielt. Ich hatte das deutliche Gefühl, jemand versuchte diese von meinem Kopfe zu trennen.

 

Auf dem Fensterbrett sass Rattentod, auf einem Raben reitend und fuchtelte mit seiner Sense herum. Spülwein entriss ihm das Werkzeug, und der Rabe fragte ergänzend, wo denn das Futter für die ‚echten Tiere‘ bliebe.

 

‚Ich lasse mich hier nicht von euch bedrohen‘, entgegnete darauf Spülwein. ‚Und wer sind diese ‚echten Tiere‘?‘

 

Wieder dieses ‚Squeak!‘, und der Rabe interpretierte: ‚Es gibt diese Körnerfresser, die doch im Grunde nur das Futter für die echten Tiere darstellen. Oder siehst du das anders? Bisher hast du jedoch nur diese Vegetarier gefüttert. Wo ist das Futter für uns? Wir wollen auch mal wieder was Richtiges zwischen die Kiemen bekommen.‘

 

‚Da draussen sitzt der ganze Platz voller Futter – was willst du mehr?‘

 

‚Squeak!‘, und ‚Wenn wir hier wirklich mal zuschlagen, scheuchst du uns doch weg. Hatten wir bereits mehrfach.‘

 

‚Ihr müsst es doch nicht vor aller Augen tun, oder? Dem Futter hinterher jagen macht schlank! Immer in Bewegung bleiben, sonst werdet ihr zu fett‘, entgegnete da Spülwein.

 

Und dann ging die Diskussion erst richtig los. Rattentod und dem Raben schien das Argument gar nicht zu passen. Die sogenannten ‚intelligenten Wesen‘ auf der Scheibenwelt würden sich für etwas Besseres halten. Keiner von denen würde mehr das alte Naturgesetz vom Fressen und Gefressenwerden akzeptieren. Wenn mal ein Wolf ein Schaf riss, würden alle Zeitungen darüber schreiben, und auch wie bösartig dies sei. Dabei wäre es doch das Natürlichste der Welt. Obendrein ginge der Gnom der Sparsamkeit auf der Scheibenwelt um, und überall würden die Leute sparen, ebenfalls am Essen – nur damit sie nichts mehr wegwerfen müssten. In den grossen Städten fiele nicht mehr ausreichend Abfall an, um alle Tiere sattzumachen. Und diese Körnerfresser zu fressen, ginge den Leuten obendrein noch gegen den Strich. Wo bliebe da die Liebe zur Natur? Auch sie wären ein Teil davon, doch die Wesen der Scheibenwelt würden ihnen inzwischen das Recht auf Leben absprechen. Sie machten den ‚echten Tieren‘ das Leben unnötig schwer und diese bekämen so langsam das Gefühl, es wäre besser auf andere Welten zu entfliehen. Doch das Wissen über das Wie und das Wohin würde man ihnen vorenthalten.

 

Diese Beiden liessen Spülwein und später auch mir keine Chance. Wir konnten sagen, was wir wollten. Immer fanden sie ein Wenn und Aber. Selbst der Hinweis von Spülwein, er hätte sie doch dazu aufgefordert, sich ihr Futter auf dem Präsentierteller vor seiner Hütte auszusuchen, liessen sie nicht gelten. Wir wären ja nur zu Zweit und hätten dies nur aus Bedrängnis gesagt. Wir hätten eh keine Chance, ihnen zu entkommen. An diesem Punkt schloss Spülwein das Fenster. Inzwischen war die Hütte komplett ausgekühlt und wir mussten unser eisiges Essen in Handschuhen vom Teller lecken.

 

Auf die Frage von mir, wie wir jetzt entkommen könnten, bekam ich lediglich die Antwort, er wäre doch Zauberlehrling. Dies wäre kein Problem für ihn.

 

Mit unverständlichen Zaubersprüchen löschte er das Feuer, verschloss die Tür von innen und rollte den Teppich aus. Nachdem ich mich darauf gesetzt hatte, ging es durch die Decke in einem rasanten Tempo los. Keiner der Raubvögel konnte uns folgen...

Die Überraschungsparty

Eigentlich hatte Spülwein ein Essen in einem Fischrestaurant im Hafenviertel vorgeschlagen, um anschliessend in einem Klub zu feiern. Doch es war mal wieder ein weiteres Kreuzfahrtschiff angelandet. Das gesamte Viertel lief praktisch über, und es war kein Abfluss zu erkennen. Von der Stadt her kamen die Einheimischen, um die Touristen in eine ihrer Fallen zu locken. Und vom Hafen her die Touris, um in diese Fallen zu tappen. Also wies Spülwein unseren Kutscher an, besser nach Teller Viv zu fahren. So landeten wir wieder dort, wo ich bereits am ersten Abend diese verdammt gute Knobel-Auch-Suppe hatte. Selbst Tod sass auf seinem Stammplatz und lud uns zu sich ein. Spülwein wollte erst nicht, doch mein Fahrwasser spülte ihn am Ende ebenfalls an diesen Tisch.

 

Tod war an diesem Abend völlig hibbelig. Er hatte etwas auf dem Herzen, was er an uns weitergeben wollte. Gleich zu Beginn jedoch legte sich Spülwein wieder mit ihm an. Tod machte ihm ein Kompliment, welches er in den falschen Hals bekam und dort blieb es eine ganze Weile tief stecken. Erst mein Eingreifen in diesen Streit lockerte es ein wenig und es sprang heraus – genau in seine Suppe. Damit hatte er sich etwas eingebrockt. Da er jedoch mit vollem Munde nicht sprechen wollte, bekam am Ende Tod dennoch seine Chance: ‚Der Doktor ist heute gekommen! Und lädt uns später zu einer Überraschungsparty!‘

 

‚Wen will er denn überraschen?‘, entfuhr es da Spülweins Munde, inklusive eines Teiles seiner Suppe. Tod schien wasserdicht zu sein, ihn störte es offensichtlich nicht.

 

‚Wenn ich ihn recht verstanden habe, ist diese Party für seinen Begleiter‘, antwortete Tod. Und an mich gewandt: ‚Der soll übrigens von der Erde stammen.‘

 

Das hörte sich natürlich interessant an. Wie oft bekam man die Chance, einen seiner Mitmenschen kennenzulernen? ‚Wo findet denn die Party statt?‘, wollte ich von Tod wissen.

 

‚Bestimmt wieder in seiner fliegenden Kiste – oder?‘, fragte Spülwein. Er hatte in der Zwischenzeit ausgelöffelt, was er sich eingebrockt hatte. ‚Aber wo ist er dieses Mal gelandet? Muss ich meinen Teppich holen?‘

 

‚Nee, nee! Er steht auf eurem Dach! Im Park!‘

 

‚Da wird unser Gärtner aber sauer sein. Selbst uns verbietet er Parties im Park.‘

 

Ein Doktor, der in einer Kiste durchs All fliegt, mit einem Begleiter von der Erde? Wenn das mal nicht Doktor Who war? Den wollte ich schon immer treffen: ‚Wie heisst denn euer Doktor?‘

 

‚Wer?‘, kam es von Tod zurück. ‚Der Doktor? Der hat keinen Namen – sagt er zumindest. Ist das so wichtig?‘

 

‚Ja, doch! Auf unserer Welt kennt man ebenfalls einen Doktor, der in einer blauen Kiste mit der Aufschrift „Police“ durch Raum und Zeit reisen kann. Und der hat angeblich keinen Namen, obwohl er sich hin und wieder Doktor Smith nennt.‘

 

‚Die Kiste ist blau und irgendwas steht draussen drauf. Ja, es könnte euer Doktor sein‘, meinte da Spülwein. Und Tod ergänzte: ‚Das wäre heiss. Ich mag tolle Geschichten. Lasst sie uns in Angriff nehmen.‘

 

‚Wann soll es denn losgehen?‘, fragte ich so in die Runde.

 

‚Die Parties des Doktors brauchen immer etwas Anlaufzeit‘, meinte Spülwein. ‚Bis Mitternacht hängen dort nur tote Hosen herum. Die interessanten Leute kommen erst später. Wir könnten uns langsam in Stimmung trinken und verschwinden, wenn es hier langweilig wird.‘

 

Tod stand auf, schnappte sich seine Sense und drei Sanduhren. Diese zeigte er uns und sagte: ‚Hab vorher noch Arbeit zu erledigen.‘ Er pfiff nach seinem Pferd und ritt in den Sonnenuntergang.

 

‚Der taucht sicher erst morgen früh beim Doktor auf‘, kommentierte Spülwein und orderte ein neues Bier für sich. Es schien anfänglich, dass es nun ein eher trauriger Abend im Teller Viv werden würde. Wir schwiegen uns ziemlich heftig an...

 

Irgendwie schienen wir in Sachen Unterhaltung vorübergehend am Hungertuch zu nagen. Ich fing schon an, mir zu überlegen, eventuell in mein Hotel zu gehen, um mir noch eine Mütze Schlaf zu gönnen. Doch dann tauchten viele spitze Mützen auf. Das war es dann mit dem Schlaf. Mit einem Schlage war das Schweigen am Ende. Und ich lernte so manche Gepflogenheit auf dieser Welt kennen. So wurde ich etwa für meinen Teegenuss gehänselt. Dies wäre doch kein Getränk für echte Zauberer. Dass ich keiner von ihnen werden wollte, zählte dabei nicht. Ein Verhalten, wie ich es auch von zu Hause her kenne. Wer nichts mit Alk drin trinkt, gilt nichts. In diesem Fall unterschieden sich unsere Welten herzlich wenig.

 

So ergab sich für mich ganz automatisch eine Art Beobachterstatus. Es zeigte sich, dass die Wirkung des Alkohols auf der Scheibenwelt durchaus mit der auf der Erde vergleichbar war. Die Streiche, die sich diese Nachwuchszauberer spielten, wurden mit jedem Glas derber. Obendrein kristallisierten sich im Laufe des Abends spezielle Vorlieben heraus. So sassen nach einer Weile mehrere Leutchen mit gewaltigen Eselsohren am Tisch. Das hatten sie wohl, wenn ich es recht verstanden hatte, gerade im Unterricht gelernt. Und der Wirt brachte, nachdem die Stimmung ein gewisses Level überschritten hatte, auch ohne Nachbestellung gläserweise neue Drinks. Irgendwann entschliefen die Ersten, was die Überlebenden dazu verführte, ihnen weitere, noch derbere Bösartigkeiten anzuzaubern. Keiner war mehr in der Lage, sich an irgendwelche Gegenzauber zu erinnern. Einzig Spülwein hielt sich insgesamt zurück, mit den Streichen und mit dem Trinken. Er kommentierte mir das Geschehen, und enthielt sich dabei nicht gewissen Spitzfindigkeiten über seine Mitlehrlinge. So hatte ich auch etwas davon.

 

Gegen Mitternacht meinte er, die Anderen hätten wohl genug. Er rief den Wirt und zahlte lediglich meine und seine Zeche. Mit seinen Kommilitonen sollte der Wirt so verfahren, wie üblich. In der Kutsche auf dem Weg zur Universität klärte er mich auf: Üblich hiess in diesem Falle, der Wirt würde die letzten Überlebenden noch komplett abfüllen und ihnen danach eine deftige Rechnung präsentieren und die Zauberlehrlinge würden diese widerspruchslos zahlen. Anschliessend liesse er sie auf der Bank vor dem ‚Teller Viv‘ ihren Rausch ausschlafen - bis später in der Nacht die Stadtwache vorbeikäme und sie auf einem Mistkarren in die Ausnüchterungsanstalt der Stadt brächte. Dort drohte ihnen eine weitere saftige Rechnung. Dies wäre jedoch nicht Spülweins Problem.

 

Am Ende schmiss uns der Kutscher vor dem Haupteingang zum Park auf der Nie Gesehenen Universität aus seinem Gefährt. Weiter würde er uns nicht fahren, dieser dunkle Park wäre ihm nachts nicht geheuer. Man wüsste nie, wo diese Zauberer überall lauerten und er hätte keine Lust, diesen in die Hände zu fallen. Rein käme man zwar immer ungefährdet, doch nicht jeder entkäme diesem Park ungeschoren. Unter den Kutschern erzähle man sich ziemlich grauselige Geschichten über diverse Zwischenfälle in der Vergangenheit. Und er hätte wenig Lust, Teil einer weiteren zu werden. Spülwein schien dies nicht neu zu sein. Er bezahlte ihn ohne weitere Diskussion und machte mir gegenüber eine einladende Handbewegung in Richtung Haupteingang. Eigenartigerweise war nichts zu hören - und zu sehen. Bis uns ein fahles Pferd auffiel, dass von einem grossen Heuhaufen vor ihm frass. Komischerweise wurde dieser Haufen zwar immer kleiner, doch unter dem Pferd wuchs im selben Tempo ein neuer. Tod war wohl schon auf der Party...

 

Nicht weit davon konnten wir im Dunklen eine Art Telefonzelle erkennen, wie es sie früher auf der Erde an jeder zweiten Ecke mal gab. Auf einer Seite davon schienen zwei kleine Lichtlein wie durch Milchglasscheiben. Wir gingen darauf zu, doch zu hören war immer noch nichts.

 

‚Wir sind wohl noch zu früh?‘, bemerkte ich zu Spülwein.

 

‚Glaube ich nicht. Aus dieser Kiste dringen nie irgendwelche Geräusche. Nur wenn der Doktor zur Landung ansetzt.‘ Er schien zu wissen, was zu tun ist. Er klopfte an eine dieser Scheiben – und der Sensenmann empfing uns.

 

Was für ein Empfang? Bei geöffneter Tür drang leise Weihnachtsmusik in unsere Ohren. Ich tat alles, um ihr den Weg zu versperren. Alles, bloss keine Weihnachtsmusik! Damit haben mich schon meine Eltern jedes Jahr traktiert. Immer, wenn sie erklang, stand die härteste Zeit des Jahres vor der Tür, und auf der Scheibenwelt war gerade mal das Frühjahr ausgebrochen. Niemand hatte es bisher gefangen und wieder eingesperrt. Wie konnte da Weihnachten hinter dieser Tür warten?

 

Tod winkte uns herein, mit dem Hinweis, man wolle hier keine ‚schlafenden Hunde wecken‘. Hinter uns schloss er die Tür schnell wieder. Dann erst rief er nach dem Doktor. Und ich konnte mich in dieser Telefonzelle umsehen. Aus dem Fernsehen wusste ich ja, dass diese innen grösser als aussen ist. Doch dass sie soo gigantisch ist, hätte ich nicht erwartet. Und in der ziemlich riesigen Eingangshalle hielt sich ausser uns niemand auf. Nur aus der Ferne war diese unpassende Musik zu hören.

 

In der Mitte des Raumes erhob sich ein Podest mit einer Säule im Zentrum. Darum herum waren die Steuerelemente angebracht. Diese Steuerzentrale hatte der Doktor gut abgesperrt. Man musste schon eine ziemliche kriminelle Energie entwickeln, um diese Absperrungen zu überwinden. Über diese verfügte zumindest ich nicht. Also warteten wir geduldig. Tod war losgegangen, um den Doktor zu suchen.

 

Erst nach einer gefühlten Stunde tauchte Tod mit zwei Leuten wieder auf. Der eine von ihnen trug einen Bart, wie auch ich, und einen grossen Schlapphut, wie es hier auf der Scheibe üblich war. Er sah jedoch nicht älter als 30 oder 40 aus. Neben ihm stand ein Mann in einem eher nicht definierbarem Alter, mit Anzug und Fliege. Aus welcher Welt stammte dieser?

 

 

Zwei Minuten später wusste ich es. Er stellte sich als der Doktor vor, und den Herren im Schlapphut als Terry Pratchett von der Erde des Jahres 1981, genauer Weihnachten 1981. Spülwein schien der Doktor bereits zu kennen, nur ich musste mich in diese kleine Gruppe einführen – mit Hilfe meiner Karte.

 

‚Aaahh! Noch jemand von der Erde!‘, freute sich der Doktor offensichtlich. ‚Hätte ich nicht erwartet. Wie bist du denn hierhergekommen? Und vor allem aus welcher Zeit?‘

 

Ich erklärte es ihm, woraufhin er mir bedeutete, Terry Pratchett nichts von seiner Zukunft zu erzählen. Er hätte bisher nur seinen ‚Flachwelt‘-Roman auf dem Markt und der Doktor wollte nicht, dass er zu viel über seine Zukunft herausfinden würde. Gleichzeitig bot er mir an, mich mit auf seine Besichtigungstour für Herrn Pratchett durch die Geschichte der Scheibenwelt mitzunehmen, gleich am nächsten Morgen. Spülwein jedoch dürfe nicht mit. Dies könnte die Geschichte auf dieser Welt denn doch etwas sehr durcheinander bringen.

 

Meinen Einwurf, dass ich nur noch knappe zwei Wochen auf der Scheibenwelt hätte, wischte er mit der Bemerkung ‚Ich würde keine Zeit verlieren. Er hätte doch seine TARDIS‘ vom Tisch. Hinterher konnte ich meinen Einwurf echt nicht mehr finden, nirgends in dieser Telefonzelle, auch nicht unter dem Tisch. Der Doktor schien ein sehr gründlicher Herr zu sein.

 

Wir sollten ihm folgen. Und wir liefen und wir liefen. Ja, wohin liefen wir denn? Immer weiter durch eine Telefonzelle. Unterwegs kamen wir sogar an einem Olympia-tauglichen Swimming Pool vorbei, in dem zwei Zauberer mit ihren spitzen Hüten ihre Runden zogen. Danach ging es eine Treppe hinunter, und immer weiter einen Gang entlang. Und Tod folgte uns auf Schritt und Tritt, er schien dabei ein Lächeln im Gesicht zu haben. Und dies, obwohl ein solches nicht erkennbar war. Unter seiner Kapuze leuchteten lediglich zwei blaue Punkte, ansonsten war es tief schwarz. Doch nun wurde die Musik lauter.

 

‚Warum gerade Weihnachten?‘, musste ich jetzt fragen.

 

‚Gestern war der Vorweihnachtsabend – was sollten wir denn sonst feiern?‘, kam die Gegenfrage von Terry Pratchett.

 

‚Zum Beispiel das Fest der Schweinepriester!‘, schlug Spülwein vor. ‚Was ist Weihnachten?‘

 

‚Ist das Gleiche‘, erklärte der Doktor. ‚Ihr nennt es hier nur anders.‘

 

‚Ist jedoch erst im Winter dran, wenn die Leute Zeit haben, Mammon und Hans Taler anzubeten‘, belehrte ihn Spülwein. ‚Jetzt, im Frühjahr, müssen alle auf den Feldern arbeiten, um das Geld dafür zu verdienen. Die Schweine sind noch klein und Kerzen gibt es ebenfalls nicht.‘

 

‚Keine Sorge! Wir haben alles mitgebracht‘, beruhigte ihn der Doktor, und öffnete eine grosse Saaltür. Hinter dieser Tür war, ehrlich gesagt, die Hölle los. Genau das Richtige für Tod, der sich sofort ins Getümmel stürzte.

 

‚Dort, unter dem Baum findet ihr eure Geschenke!‘, erklärte der Doktor. ‚Es stehen eure Namen auf den Paketen.‘

 

‚Auch eines für mich?‘, fragte ich. Und nachdem der Doktor nickte, wollte ich wissen: ‚Wie konntest du denn ahnen, dass ich hier auftauche?‘

 

‚Die TARDIS ist eine Zeitmaschine, die weiss so etwas. Ich selbst kümmere mich nicht darum. Und bisher hat sie mich noch nie enttäuscht.‘

 

Also drängelte ich mich durch die Menge. Es war durchaus erstaunlich, welche Art von Wesen es hier auf dieser Scheibenwelt so alles gab – da wuselten winzige Gnome herum (ich hoffte die gesamte Zeit, nie auf einen von ihnen zu treten – weiss nicht, ob es gelang, es hat sich jedoch keiner bei mir beschwert), zwischendrin stritten sich die Zwerge mit den Trollen um irgendwelche Schätze, ein paar Elfen sangen auf der Bühne, die Feen schwebten über allem und versuchten den spitzen Hüten der Zauberer zu entgehen. Selbst Frau Verwachsen und ihre Freundinnen sah ich am Buffet, wie sie ein Rudel Werwölfe beiseite schubsten...

 

Hach, dieses Buffet war riesengross – doch die Auswahl war typisch britisch, vom Plumpudding bis hin zu Häggis. Kaum etwas war da geniessbar für den Festland-Europäer. Die meisten der Gerichte kannte ich gar nicht. War noch satt von unserem Abendmahl im Teller Viv. Selbst Spülwein zuckte nur mit den Schultern, und bemerkte, dass selbst die Getränke gewöhnungsbedürftig wären. Er hatte recht – es gab zwar Tee, doch der hatte die Teebeutel nur von Weitem gesehen. Viel mehr als warmes Wasser kam nicht in die Tasse. Später fand ich heraus, mit Milch und Zucker war er erträglich. Ich schnappte mir zwei Stücken von dem Früchtekuchen (der ausgezeichnet schmeckte) zu meinem Tee und schlängelte mich weiter durch diese Massen in Richtung Baum. Niemand hatte ihn geschmückt...

 

... und als ich näher kam, sah ich: Es war kein Baum. Jemand hatte einen Kabelbaum grün angestrichen, mit weissen Klecksen. Doch darunter lagen Geschenkpakete, ich hoffte, diese waren wenigstens echt. In diesem Augenblick kam der Doktor auf mich zu, mit einem dieser Pakete in der Hand: 'Das ist deines! Ich wollt‘ dir nur kurz sagen, dass wir dich morgen früh im Hotel abholen kommen.‘

 

Ich klemmte mir mein Geschenk unter den Arm, ohne es auszuwickeln. Es war ein relativ kleines Paket. Danach schmiss ich mich ins Getümmel. Nur gut, dass niemand mir wirklich aus dem Weg gehen konnte – so landete ich ziemlich weich in den Armen einer Elfin. Die Party steigerte sich im Laufe der Zeit immer mehr, am Ende bekam ich das Gefühl, die gesamte Scheibenwelt würde auf den Rücken der Elefanten wackeln. Als ich die Party verliess, war die Sonne bereits wieder am Untergehen, wie ich auf dem Weg in mein Hotel bemerkte...

Unterwegs mit dem Doktor

Am nächsten Morgen wurde ich von einem eigenartigen Geräusch geweckt. Es kam mir irgendwie bekannt vor, doch so im Halbschlaf war es nicht einzuordnen. Ich öffnete meine Augen und traute diesen nicht mehr. Direkt neben der Zimmertür - innen – materialisierte sich eine blaue Polizeinotrufzelle. Aus ihrem Inneren wurde bei mir angeklopft. Vor lauter Überraschung brüllte ich: ‚Herein! Wenn’s kein Schneider ist.‘

 

‚Was ist mit dem Doktor? Darf der herein?‘, ertönte eine mir bekannte Stimme aus dem Inneren der Zelle.

 

Den hatte ich zwar erwartet, jedoch nicht soo früh. Ich bat um einige Minuten, damit ich meinen Körperfunktionen ohne Zuschauer Tribut zollen und mich empfangsbereit machen konnte. Danach klopfte ich selbst an und wurde prompt eingelassen.

 

Mit der Frage ‚Dürfen wir dein Zimmer nicht sehen?‘, wurde ich vom Doktor empfangen. Dabei hielt er mir mein noch verpacktes Geschenk entgegen. Hatte ich wohl am Vorabend irgendwo abgelegt, wollte ich scheinbar heimlich loswerden. Doch dem Doktor entgeht selbst so ein mieser Trick nicht. Er hatte es in einer verstaubten Ecke seiner TARDIS für mich wieder eingefangen - wie er sagte.

 

Ich nahm es und nutzte die Gelegenheit, beide Besucher gleich in mein Zimmer einzulassen. Terry Pratchett war begeistert, vor allem vom Ausblick aus dem Fenster. Jetzt könne er sich ziemlich bildlich vorstellen, wie es in einer mittelalterlichen Grossstadt ausgesehen hätte. Lediglich über meinen Thron rümpfte er die Nase. Ob das denn nicht stinken würde? Ich konnte ihn jedoch beruhigen, man gewöhne sich an alles und ausserdem würde der Topf regelmässig entleert. Dennoch empfahl ich, möglichst schnell zu verschwinden: Spülwein könne jederzeit auftauchen! Nicht aus dem Topf, eher durch die Zimmertüre, mit meinem Frühstück. Das würde jeden Morgen passieren. Ich legte mein Päckchen schnell auf mein Bett und hielt ihnen die Türe der Zelle auf. Wir hatten diese kaum hinter uns geschlossen, da hörte ich bereits das Klopfen Spülweins. Der Doktor startete schnell seine TARDIS und wir verliessen mein Zimmer durch Raum und Zeit. Wir hörten noch einen erschreckten Aufschrei einer Frau – es war wohl doch nicht Spülwein gewesen, der da reinkam.

 

Es war eine sehr kurze Reise, kaum hatten wir abgehoben, landeten wir schon wieder: ‚Willkommen in der Unterwelt der Scheibe!‘

 

‚Ich dachte immer, die Unterwelt ist nur ein Sinnbild für das Leben nach dem Tode, vor allem wenn man nicht artig war‘, warf da Terry Pratchett ein.

 

‚Wie würdest du ansonsten die Unterseite benennen?‘, hob der Doktor diesen Einwurf auf und legte ihn sorgfältig zur Seite. ‚Scheibenwelten verfügen immer über eine Ober- und eine Unterseite, und im Allgemeinen bezeichnen ihre Einwohner diese als die Unterwelt. Ich dachte halt, das wäre genau das Richtige für den Anfang. Völlig anders und dennoch eigentlich das Gleiche. Ist fast ein Spiegelbild zur Oberseite, und doch wieder nicht.‘

 

‚Wie kann denn so etwas sein? Liegt denn nicht die Unterseite der Scheibe auf den Rücken der vier Elefanten?‘, erinnerte ich mich.

 

‚Jein! Die atmosphärische Kuppel liegt auf den Rücken der Elefanten, nicht die Scheibe selbst – diese ist so stabiler. Doch ein grosser Teil des Sternenhimmels wird hier durch die Elefanten und die Schildkröte verdeckt. Darum herrscht immer ein Art Halbdunkel, selbst wenn die Sonne scheint. Die Bewohner sind deshalb ziemlich düster drauf, doch die Unterwelt hat auch ihre Reize.‘

 

‚Und wer lebt dort?‘

 

‚Das ist eigentlich eher witzig‘, meinte da der Doktor. ‚Tod ist der Einzige auf der gesamten Scheibenwelt, der auf beiden Welten aktiv ist. Er selbst lebt ausserhalb der Zeit, ansonsten könnte er seinen Job nicht alleine erledigen. Diese Welt hier ist zwar nicht so dicht bevölkert wie etwa die Erde, jedoch es sterben ständig weit mehr Leute als er innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit bearbeiten könnte. Ohne Zeit zu leben kann da extrem hilfreich sein….‘

 

‚Nun mach’s nicht so spannend: Was ist denn nun sein Job?‘, wollte da Terry Pratchett wissen.

 

‚Dazu wäre ich schon noch gekommen… Also, Tod ist dafür verantwortlich, dass sich die Seelen nach dem Tode vom Körper trennen, mit Hilfe seiner Sense und/oder dem Schwert. Die Seelen wären sonst nicht in der Lage, in die jeweils andere Welt zu wechseln und sich dort einen neuen Körper zu wählen. So leben die einzelnen Seelen abwechselnd in der Ober- bzw. Unterwelt, wobei sie ihr Vorleben vergessen. Auf die Art werden sie für ihr bisheriges Leben bestraft oder belohnt. Einige steigen ständig auf, andere immer weiter ab…‘

 

‚Inwiefern?‘, interessierte es mich. Waren mir doch ähnliche Konzepte von der Erde her bekannt.

 

‚Naja, die Lebewesen ordnen sich – gesehen vom unteren Ende der Rangfolge – von den Ratten bis hin zu den Auditoren an. Wer sein Leben verschenkt hat, nie etwas Gutes getan und seine Artgenossen nicht geachtet hat, der steigt im Rang ab und wer nur Gutes tat und seinen Mitlebewesen stets eine Hilfe war, derjenige klettert nach oben. Ratten gibt es heute überall unendlich viele und Auditoren bisher lediglich sieben im gesamten Universum…‘

 

‚Wer sind denn diese Auditoren?‘, bohrte Terry Pratchett nach. ‚Götter können es nicht sein – von denen gibt es weit mehr als sieben, oder?‘

 

‚Götter gibt es auf jeder vernünftigen Welt, so viele, dass es unter ihnen sogar noch verschiedene Abstufungen gibt. Nein! Die Auditoren passen darauf auf, dass im Universum alles regelgerecht abgeht. Andererseits haben sie keine Möglichkeiten zum Strafen oder Loben. Dafür existieren Helfer, wie etwa der Rattentod, die darüber entscheiden, ob eingegriffen werden muss, oder nicht… Aber lasst uns jetzt mal schauen, wie es draussen aussieht.‘

 

‚Ich würde gerne noch Näheres darüber erfahren, worüber du vorhin geredet hast… Heisst das, dass die Seelen eigentlich unsterblich sind, wenn sie abwechselnd in der Ober- und Unterwelt leben? Halt eben nur in unterschiedlichen Körpern? Und was passiert, wenn eine Ratte sich nicht bessert?‘

 

‚Naja! Der Reihe nach! Erstens: Seelen können unsterblich sein, sind es meist jedoch nicht. Das hängt vor allem vom jeweiligen Charakter ab. Im Grunde sind lediglich die Auditoren wirklich unsterblich. Nicht einmal ich bin es. Alle Seelen sind von ihrer Geburt an im ständigen Auf- und Abstieg gefangen. Und niemand weiss wirklich davon, auch wenn es der Eine oder Andere durchaus ahnt. Doch für die Massen endet das Leben als Ratte. Als diese bekommt man drei Chancen, und wer danach nicht wieder aufgestiegen ist, stirbt letztendlich. Das ist die Aufgabe von Rattentod, er entscheidet, wessen Seele noch eine Chance bekommt und welche nicht. Tod dagegen sorgt lediglich dafür, dass sich die Seele vom Körper trennen kann und weiterziehen darf. Das Rattendasein ist sozusagen Fegefeuer und Hölle gemeinsam und auf Raten. Nur Rattentod kann es beenden, auf die eine oder andere Art…‘

 

In der Zwischenzeit waren wir aus unserer Telefonzelle herausgetreten in eine ziemlich düstere Welt. Die gesamte Landschaft war in eine Art Zwielicht getaucht und wir konnten kaum hundert Meter weit sehen. Der Doktor meinte, es wäre kurz nach dem Mittag. Wie sah es erst während der Nacht hier aus? Im Moment liess sich die Riesenschildkröte die Sonne auf den Bauch scheinen, und sie bedeckte den gesamten Himmel in der Unterwelt. Der Doktor meinte zwar, hier gäbe es pro Tag zwei Sonnenauf- und -untergänge, doch selbst im Sommer würde sie nie länger als jeweils drei Stunden am Vormittag und drei am Nachmittag scheinen. Das würde sich nicht wirklich positiv auf die Launen der Einwohner auswirken. Es wäre also Vorsicht geboten, hier würde man ziemlich schnell echt sauer.

 

Aus diesem Grunde hätte er auch eine eher dünn besiedelte Gegend für eine Besichtigung ausgesucht. Er wäre auf Tods Grundstück gelandet. Dieses wäre nur per TARDIS erreichbar, da hier keine Zeit existieren würde. Dies bedeute, dass wir, solange wir uns auf diesem Gelände aufhielten, nicht altern würden. Und wir könnten erfahren, was aus Kardabra dem 1. geworden ist.

 

Wir gingen auf ein ziemlich düsteres – ja, fast schon – Schloss zu, welches von Weitem ziemlich verschlossen wirkte. Dabei fiel mir auf, dass alle Pflanzen in diesem Park schwarz waren. Nicht nur die Stämme, auch die Blätter und Blüten. Und am Schlossteich sass ein kleines Gerippe mit einer Angel, an der ein kompletter Fisch aus Gräten hing. Vor dem Stall stand ein älterer Mann mit einem spitzen Hut und einer Zigarette zwischen den Zähnen. Er striegelte ein Pferdegerippe.

 

‚Hallo Kardi!‘, begrüsste der Doktor diesen Herren. ‚Ist der Boss zu Hause?‘

 

‚Klar doch! Er sitzt an seinem Schreibtisch und stellt seine nächste Tour zusammen. Soll ich Frühstück machen?‘

 

‚Es ist doch schon nach Mittag! Jetzt noch Frühstück?‘

 

‚Nenn’s wie du willst! Der Chef riecht nur am Frühstück, und alle anderen Mahlzeiten nimmt er unterwegs zu sich. Was also: Frühstück, oder nichts?‘

 

‚Frühstück!‘, entschied der Doktor.

 

Kardi, oder wie dieser Kette rauchende Herr nun wirklich hiess, führte uns in das erwähnte Schloss. Innen war es noch viel düsterer als von aussen. ‚Der Boss mag sehr bedrückende Stimmungen, auch wenn er selbst meist zum Scherzen aufgelegt ist‘, erklärte er uns.

 

Er führte uns in einen Raum, welchen man mit viel gutem Willen als Küche bezeichnen konnte. ‚In Tods Reich wird wohl das Licht gefiltert, nur die Grau-Töne werden hier reflektiert‘, raunte mir der Doktor zu. ‚Liegt eventuell an der fehlenden Zeit. Das Licht hat wohl zu wenig davon übrig, um sich in all seiner Pracht zu entfalten.‘ Das drückte schon nach einer kurzen Weile ziemlich auf die Stimmung. Und selbst das Essen sah nicht besser aus, vor allem das, was bei Kardi so auf den Teller kam. Er stellte jedem von uns einen Teller vor die Nase mit einer grossen Portion einer extrem geruchsintensiven grauen Masse, die er irgendwie aus vielen Ei-ähnlichen Dingen zusammengerührt hatte. Doch wie Rührei sah es nicht aus, und roch ebenfalls anders. Ich rührte es nicht an. Selbst Tod roch nur an seinem Teller – bis mir einfiel, dies ist seine Art den Hunger zu stillen. Die Erinnerung an meinen ersten Abend auf der Scheibenwelt wurde wieder wach. Der Doktor und Terry Pratchett hauten jedoch richtig rein, dass es nur so spritzte. Kardi musste ja die Küche sauber machen. Anschliessend lud uns Tod in sein Arbeitszimmer ein, welches noch viel düsterer war. Wir konnten unsere Hände vor den Augen nicht erkennen.

 

Wir mussten eine ganze Weile warten, bis Tod uns erlaubte, sie wieder herunterzunehmen. Wie passte dieser Riesenraum in sein kleines Schloss?

 

‚Wir befinden uns in meinem Keller, alles hier ist streng geheim!‘, erklärte er uns. ‚Kein Bewohner der Scheibenwelt darf hier rein. In den Regalen stehen die Sanduhren aller Bewohner. Es könnte sonst jemand auf die Idee kommen, und seine eigene Uhr manipulieren.‘

 

Just in diesem Moment fiel mir das konstante Rauschen von fallendem Sand auf. ‚Man gewöhnt sich schnell daran‘, erklärte Tod – schon wieder ungefragt.

 

‚Wie lange machen sie denn diesen Job schon?‘, Terry Pratchett schien so langsam aufzutauen.

 

‚Ich war der erste Bewohner dieser Welt hier. Und werde wohl auch der Letzte sein, der sie verlässt. Ich war scheinbar schon in dem Ei enthalten, aus dem sie entstanden ist. Oder ich war eine Verunreinigung, die dazu kam, als die Auditoren es vom Boden aufkratzten. Es war ihnen vom Löffel gefallen, beim Eintauchen in das kochende Wasser. Auch diese Welt sollte ursprünglich eine Rundwelt werden.

 

Irgendjemand hatte dann die Idee, es mal mit einer Spiegelei-Version zu versuchen, auf dem Rücken einer Schildkröte und von vier Elefanten, die gerade gemeinsam vorbeiflogen. Und so landete dieses Ei in der Pfanne und wurde zum Spiegelei. Danach wurde beschlossen, dass diese Welt auf ewig etwas Besonderes bleiben sollte und man legte fest, hier könnten all die abgelegten Fantasiegestalten aus dem gesamten Universum ihr Zuhause finden. Immer, wenn ein Volk nicht mehr an sie glaubte, durften diese hierher auswandern. An mich und mein Pferd Greyhound hat wohl niemand im Universum je geglaubt, deshalb wurde ich ihr erster Bewohner. Hab mir die schönste Ecke für mein Häuschen ausgesucht, und das ist sie immer noch. Nur einem, Kardabra, gelang es, hier einzudringen. Er hatte in einem sehr alten Buch einen Zauber entdeckt, der es ihm möglich machte, ewig zu leben. Und seitdem ist er mein Koch und Mädchen für alles. Das Buch hat er gleich mitgebracht, damit er der einzige bleibt – neben mir.‘

 

Terry Pratchett bekam dabei wohl einige neue Ideen, die er sich aufschreiben wollte, er fragte nach einem Notizbuch. Tod griff in eine seiner Schreibtisch-Schubladen und holte ein in Schildkrötenleder eingeschlagenes Oktavbüchlein heraus, welches er ihm gab. Terry Pratchett begann sofort wie ein Wilder in dieses zu schreiben. Und er hörte damit nicht mehr auf, bis zum Ende unseres Trips mit dem Doktor…

 

Dieser stand auf und reichte Tod sein Händchen: ‚Wir sollten weiter! War mal wieder schön, mit dir zu plauschen.‘

 

Tod rief nach Kardi und bat ihn, uns auszulassen. Er hätte zu tun. Kardi flüsterte uns zu, er plane kein weiteres Essen, für welches er uns auslassen könne und entliess uns einfach aus der Tür…

 

Zurück in der TARDIS fragte der Doktor nach unseren Wünschen. Ich erinnerte mich an die Schweinepriester, die Spülwein vor der Party erwähnt hatte. Das klang mir nach viel Spass. Und der Doktor war der gleichen Meinung. Er gab das Ziel ein und schon landete die TARDIS wieder in der Oberwelt.

 

Dieses Mal schien die Sonne, der Doktor hatte wohl eine Vorliebe für die Mittagszeit. Wir waren auf dem Gelände einer urtümlichen Schweinefarm gelandet, neben vielen freilaufenden Schweinen war wenig zu sehen. Lediglich vereinzelte Wesen liefen auf dem Gelände herum. Diese waren in rote Mönchskutten gekleidet. An den wenigen Bäumchen der Farm hingen kleine Glaskugeln und Glöckchen. Die Luft war von ihrem Klingeling erfüllt und dazu sangen die Mönche fast schon weihnachtliche Lieder, nur wirkten diese hier eher wie Gebete.

 

Ein ziemlich rundlicher Mönch kam auf uns zugerollt und schien sich dabei zu freuen, den Doktor zu sehen. Der Doktor machte einen Ausfallschritt nach hinten und konnte so den Mönch zum Stehen bringen. Er stellte sich uns als der Vater aller Schweinepriester vor. Eigentlich dürfte ja niemand dieses Kloster betreten, ausser den geweihten Mönchen, doch für den Doktor würde man immer gerne eine Ausnahme machen. Er hatte dem Orden seit seiner Entstehung immer wieder mit guten Tipps geholfen.

 

Er führte uns in das einzige zweistöckige Wohngebäude auf dem Gelände. Und dann entschuldigte er sich bereits wieder. Er müsse sich für ihr heutiges Fest umkleiden. Von einem Augenblick auf den anderen standen wir in einem riesengrossen Speisesaal herum – wie bestellt und nicht in Empfang genommen. Terry Pratchett schien damit am besten klarzukommen. Er setzte sich an einen der Tische und schrieb wie der Teufel in Tods Notizbuch. Als einer der Mönche eintrat, bat er sofort um ein weiteres. Der Mönch hob nur kurz seinen Finger und bedankte sich für den guten Tipp. Er rannte schnell los, als ob er etwas vergessen hätte…

 

‚Es ist ihr zentrales Fest!‘, bemerkte der Doktor. ‚Heute werden die Schweine zum Schlachten ausgewählt, sie nennen es den Hogswatchday. Morgen werden sie dann geschlachtet und die Mönche werden bei einem grossen öffentlichen Fest die Bauern in der Umgebung mit deren Fleisch und Wurst beglücken. Darum dreht es sich in ihrer Religion. Später wird daraus die Weihnachtsversion der Scheibenwelt, an dem nicht nur Schweine gefressen werden, sondern zusätzlich Jeder Jedem Geschenke überreicht. Diese letztere Änderung wird später Hans Taler einführen, um die Wirtschaft, vor allem das Finanzwesen, anzukurbeln. Es ist überall dasselbe – es geht nur ums Geld und das gemeinsame Saufen und Fressen, vor allem in den Religionen.‘

 

Nach und nach kamen immer mehr Mönche in den Saal. Sie begannen damit, die Tische zu decken. Von draussen erreichte uns ebenfalls immer mehr Lärm, vor allem die Schweine begannen zu quieken. Wir konnten uns kaum noch normal unterhalten. Einer der Mönche erklärte uns, dass die Schweine nun in ihren abgesperrten Bereich getrieben wurden, damit sie nach dem Essen von allen begutachtet werden konnten. Am Ende sollten die Hogs, die schlachtreifen Schweine, von den restlichen Schweinen getrennt werden. Dies würde ein grosser Spass werden. Wie jedes Jahr.

 

Am nächsten Tag würden sie diese Hogs dann gemeinschaftlich schlachten und am Abend hier im Saale ein grosses Fest ausrichten. Dazu würden sie ausnahmsweise die Tore des Klosters für die Bauern aus der Umgebung öffnen. Diese brächten ihnen ihre Produkte, vor allem Milch, Eier, Getreide und Gemüse, und dürften sich im Gegenzug mit Wurst und Fleisch von den geschlachteten Schweinen eindecken. Auf die Art könnte das Kloster mit seinen Mönchen ein weiteres Jahr überleben. So verfuhren sie nun bereits seit hunderten Jahren und es hatte sich für sie bewährt – so gut, dass weitere Klöster diese Tradition übernommen hätten. Auf diese Art hätte sich das Fest der Schweinepriester auf der gesamten Scheibenwelt als Feiertag durchgesetzt. Niemand würde dadurch etwas verlieren oder gewinnen. An dieser Stelle flüsterte mir der Doktor ein ‚Noch‘ ins Ohr.

 

Dieses Auswählen der Hogs stellte sich jedoch eher als ein ziemlich langwieriger Vorgang heraus, als dass wir daran echten Spass gehabt hätten. So zogen wir Drei, der Doktor, Terry Pratchett und ich, uns nach kurzer Zeit in die TARDIS zurück. Dort ging jeder von uns seinen eigenen Vorlieben nach. Unsere ‚Kiste‘ war ja innen gross genug, damit wir uns problemlos aus dem Wege gehen konnten. Ich genoss es, den Swimming Pool für mich alleine zu haben und haute mich danach aufs Ohr.

 

Kein Wunder, dass ich am nächsten Morgen mit Ohrenschmerzen aufwachte, man sollte sich halt nicht zu hart selbst schlagen. Doch die Mönche hatten ein sehr gutes Mittel dagegen. Es half nahezu sofort. Leider verrieten sie mir nicht, um was es sich dabei gehandelt hatte. Aber: Es hilft immer noch – seit diesem Tage bis heute bekam ich keine Ohrenschmerzen mehr, nur weil ich mich mal wieder für ein halbes Stündchen aufs Ohr haute. Passiert mir öfter als ich denken kann.

 

Das grosse Schlachten liessen wir uns ebenfalls entgehen und erkundeten das Kloster nach dem gemeinsamen Frühstück auf eigene Faust. Etwas abgelegen fanden wir dabei eine Art Tempel. Die Wände waren über und über mit den Riesen-Hauern der hiesigen Eber geschmückt. Sah ziemlich brutal aus. In der Mitte der Halle stand eine gigantische Skulptur eines der Eber. Dieser war sitzend auf einem grossen Schlitten dargestellt, der von vier weiteren Ebern gezogen wurde. Der Schlitten war über und über mit riesigen Paketen beladen. Und dem sitzenden Eber hatten die Mönche eine ihrer roten Kutten übergeworfen und ihm einen weissen Bart unter der Schnauze – aus Watte? - umgehängt. Die gesamte Figur war aus einem rosafarbenen Stein gehauen worden. Lediglich die Zähne, Hauer und die Augen hatte man mit Farbe angemalt. Wenn bis dahin nicht klar war, warum die Mönche Schweinepriester genannt wurden, jetzt wurde es auch mir klar. Diese Schweine waren die Grundlage ihrer Religion.

 

 

Wir gingen zurück zum Haupthaus. Dort war inzwischen ein grosses Volksfest á la Jahresmarkt im Gange. Alle möglichen Lebensmittel wurden dort getauscht, man schenkte sich gegenseitig etwas und bekam dafür etwas anderes – ähnlich wie auf einem Potlatch. Selbst Tod war unter den Gästen. Bei dieser Gelegenheit hätte er immer alle Hände voll zu tun, gestand er dem Doktor. Und dem jammernden Bauern, mit dem er sich gerade unterhielt, empfahl er, endlich auf den Punkt zukommen, denn er hätte nicht den ganzen Tag Zeit.

 

Vor dem Haus hatten die Mönche einen riesigen Schlitten aufgestellt, in dem der grösste Eber vom Vortage sitzend wie ein Mensch festgebunden war, bekleidet mit einer ihrer roten Mönchskutten. Das arme Tier musste mit ansehen, wie seine Artgenossen hier unters Volk gebracht wurden. Ihm war offensichtlich ein längeres Leben beschieden, doch ob dies für ihn wirklich anstrebenswert war, blieb offen. Gegen Abend verschied dieser Eber jedoch auf natürliche Weise. Herzinfarkt, wie uns Tod erklärte. So würde es jedes Jahr für diese Tiere enden. Er würde dieser Quälerei zwar gerne ein Ende setzen, doch die Mönche würden ihn erst erkennen, wenn ihnen selbst ihr letztes Stündlein unmittelbar bevorstünde. Und in diesen Momenten wollten sie immer andere Probleme mit ihm klären. Der Doktor versuchte zwar mit meiner Hilfe, dies dem Ober-Schweinepriester zu verklickern – doch der war nicht bereit, uns wirklich zuzuhören. Er verstand nicht – oder wollte nicht verstehen – was wir von ihm wollten. Oder er war schlicht zu betrunken…

 

Erst zu später Stunde kamen wir Drei in der TARDIS wieder zusammen. Wir streckten uns gemeinsam auf die Liegestühle im Solarium nieder und versuchten auf diese Weise zumindest etwas von dem zu verdauen, was man uns aufgezwungen hatte. Für den nächsten Tag versprach uns der Doktor einen Ausflug in eine ruhigere Zeit auf der Scheibenwelt, doch dies bekamen wir nur wie durch einen Nebel mit…

Die verrückte Teekanne

Der Doktor hatte Wort gehalten, zumindest nach dem ersten Eindruck zu urteilen. Wir waren auf einem grünen Hügel gelandet, üblicherweise schien die Sonne und nicht weit vor uns lag der die Kontinente umschliessende Ozean. Ein laues Lüftchen wehte und unweit unseres Standortes plätscherte das Delta eines gewaltigen Flusses.

 

‚Wir sind hier über 1,000 Jahre in der Vergangenheit, im späteren Newor Leans‘, erläuterte uns der Doktor. ‚Genauer: Am Hügel der Nie Gesehenen Universität!‘

 

Aus einer Höhle am Fusse des Hügels lief uns ein ganz in schwarz gekleideter alter Herr aufgeregt entgegen, mit langem weissen Bart und einem spitzen Hut auf dem Kopfe - gefolgt von einem relativ jungen Herrn: ‚Wie kommt ihr denn hierher? Es ist ewig her, dass uns mal jemand besucht hat.‘

 

‚Hallo!‘, begrüsste der Doktor die Herren. ‚Wir wollten eigentlich nach Avalon, zu Nimue und König Artus! Da sind wir wohl irgendwo falsch abgebogen?‘

 

‚Nein, nein!‘, erwiderte der junge Mann. ‚Ihr seid hier richtig. Artus ist vor ein paar Monaten gestorben. Und Nimue ist daraufhin in die Berge gezogen, um dort eine Schule für Hexen zu gründen.‘

 

‚Artus ist tot?‘, mischte sich da Terry Pratchett ein. ‚Echt jetzt? Bei uns glaubt man immer noch an seine Rückkehr.‘

 

‚Er war doch nur ein normaler Mensch, die leben nicht allzu lange. Und sie haben auf dieser Welt eigentlich nichts zu suchen.‘

 

‚Wir sind ebenfalls Menschen‘, bemerkte ich daraufhin.

 

‚Ihr seht wie Touristen aus. Das ist schon erlaubt.‘

 

‚Woran erkennst du das?‘, wollte da der Doktor wissen.

 

‚Naja! Schau doch mal in den Spiegel – ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich seine Krawatte so bindet wie du, mit zwei Schleifen. Und der hier trägt ´nen Ledermantel, der ihm gerade mal bis zur Hüfte reicht. In unserem Winter würden ihm die Kronjuwelen abfrieren. Und der Kurioseste ist der Dritte in Eurem Bunde. Der trägt Fenster im Gesicht. Hat er Angst, dass ihm die Augen weglaufen? Warum sperrt er die weg?‘

 

Wir schienen wohl wirklich sehr weit in der Zeit zurückgereist zu sein. Doch den Doktor irritierte dies offensichtlich nicht: ‚Ich bin der Doktor! Und die zwei hier nennen sich Terry Pratchett und Jimi! Wer seid ihr?‘

 

‚Ich bin Merlin! Und er ist Kardabra, mein Schüler! Lasst uns in meine Höhle gehen und setzen. Mir fällt das lange Stehen inzwischen schwer.‘

 

Wir machten uns also auf den Weg zu seiner Höhle. Jetzt erst erkannte ich, sie hatte eine runde Eingangstür. Merlin zog einen Riesenschlüssel aus der Tasche, mit dem er das laut protestierende Schloss öffnete. Selbst die Angeln beschwerten sich, als er die Tür aufzog. Die Fische machten sicher einen Bogen um diesen Flecken hier. Hinter der Tür erkannten wir einen grossen und hohen Raum, in dem ausreichend Platz zum Verstecken war. Merlin hatte ihn komplett mit Regalen vollgestellt und in diesen eine Unmenge Bücher untergebracht. Es erinnerte mich an die Bibliothek in der Nie Gesehenen Universität. Merlin führte uns durch einen seitlichen Durchgang in eine kleine Kammer, in der er offensichtlich lebte. Neben einer Kochstelle befanden sich ein Bett, ein Tisch und einige Stühle. Mehr nicht.

 

Er schickte Kardabra zum Brunnen, um Teewasser zu holen. Während dessen zündete er mit Hilfe seines Stabes ein Feuer in der Kochnische an. Aus verschiedenen Beuteln, die an der Wand hingen, warf er immer mehr Kräuter in eine Kipp-Kanne, die neben der Feuerstelle stand. Erst nachdem er Wasser in einem grossen Kochtopf zum Kochen gebracht hatte, goss er es über diese Kräutermischung, nicht ohne diverse unverständliche Sprüche aufzusagen. Dieses Gebräu bekamen wir danach aufgetischt. Es roch ziemlich streng, so dass wir Drei weitestgehend auf den Genuss verzichteten. Merlin und Kardabra dagegen genossen ihn, dieser Tee schien sie sehr gesprächig zu machen.

 

Zuerst wollte Merlin wissen, was uns geritten hätte, in diese – im wahrsten Sinne des Wortes – gottlose Gegend zu kommen. Der Doktor erklärte ihm, dass wir wohl eher geflogen seien, mit seiner blauen Kiste, und dass er eigentlich vorgehabt hatte, uns Nimue und König Artus vorzustellen. Er hätte bisher nicht gewusst, dass auch Merlin auf die Scheibenwelt ausgewandert war. Merlin wollte daraufhin wissen, was er denn gedacht hätte, wo er abgeblieben sei. Da konnten der Doktor und Terry Pratchett nur mit den Schultern zucken. Die historischen Dokumente würden dazu nichts Klares aussagen. Und nachdem Terry Pratchett nachfragte, was er denn hier so vorhabe, brachen die Dämme. Offensichtlich begann sein Tee zu wirken.

 

Im Augenblick plane er, hier an dieser Stelle eine Universität für Zauberer aufzubauen. Immerhin hatte er über hundert Jahre gebraucht, um sein gesamtes Wissen niederzuschreiben. Uns wäre wahrscheinlich seine Bibliothek beim Betreten der Höhle aufgefallen. Das hatte er sicher nicht umsonst getan. Später müsse er diese Bücher zwar wegschliessen lassen und dafür sorgen, dass nur Eingeweihte Zugriff auf seine Bücher bekamen. Deshalb Kardabra wäre sein erster Schüler. Der war einer der wenigen Einwohner, der des Schreibens und Lesens mächtig wäre.

 

Merlin war der Meinung, fast jeder könne Magie erlernen. Das wäre nicht schwer. Aber zu begreifen, wie man sie nicht nutzt, dies würde einen echten Zauberer ausmachen. Die Magie gäbe uns zwar, was wir wollen, doch sie nicht zu nutzen, gäbe uns, was wir brauchen. Die Hexen hätten das schon lange begriffen. Deshalb dürften Frauen nie Zauberer werden. Sie wären so am Ende die besseren Zauberer. Und dies ginge doch wahrlich nicht. Naja, darüber hatte Merlin eigentlich nicht philosophieren wollen. Aber er wäre halt keine Schildkröte.

 

An dieser Stelle horchte der Doktor auf: ‚Wie kommst du denn da drauf?‘

 

Merlin erklärte, dass er seitdem er auf diese Welt gekommen war, aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen seine Gedanken mit einer uralten Schildkröte teilte. Bisher hätte er diese jedoch noch nie getroffen. Diese Schildkröte würde sich über nichts und niemanden Gedanken machen. Sie war der Meinung, dass sie – die Schildkröte – alle und alles überleben würde. Warum also überhaupt nachdenken? Dies mache den Austausch mit ihr ziemlich langwierig und schwierig. Anders würde es sich da mit Quarz, speziell mit Sand, verhalten.

 

‚Warum dies?‘, wollte der Doktor wissen.

 

Naja, es wäre doch eine im gesamten Universum allgemein bekannte Tatsache, dass Quarze, und damit auch Sand, intelligent seien. Ein Sandkorn alleine weniger, doch viele zusammen würden die biologischen Lebewesen weit überflügeln. (In dem Augenblick schoss es mir in den Kopf: Bestanden unsere Computerchips nicht aus Silizium? Und Silizium ist doch Sand, oder? Dieser Gedanke könnte einem durchaus Angst machen.) Er wäre deshalb mit Kardabra auf die Idee gekommen, eine Art Denkmaschine aus Sand zu entwickeln. Sie müssten sich nur noch mit den Gnomen auf dieser Welt einigen. Diese bräuchten sie dazu, nur die Gnome könnten sehen, was der Sand gerade denkt. Sie wären klein genug, um die winzigen Denkblitze des Sandes zu erkennen. Gnome würden wohl schon ewig mit Sand arbeiten. Er fände es durchaus prickelnd, sich diese Möglichkeit zunutze zu machen.

 

Deshalb würden sie in dieser Höhle hausen. Für ziemlich bald war ein Schiff von einer anderen Welt angekündigt, mit dem einer der wohl grössten Zauberer des Universums eintreffen werde. Der wüsste, wie man mit den Gnomen reden müsse. Auch könnte er sein Werk zu Ende führen, denn selbst ein Merlin würde nicht ewig leben. Bis dahin sehe Merlin seine Hauptaufgabe darin, sein Wissen niederzuschreiben und ganz nebenbei Kardabra eine grundlegende Ausbildung zukommen zu lassen. Der sollte nach seinem Tode die Bibliothek bewachen. Immerhin wimmele es in seinen Büchern von vielen, vor allem sehr teuren, Spezialeffekten. Der Umgang mit damit müsse erlernt werden. So ohne Weiteres könnten sie zu nicht vorhersehbaren Vorfällen führen. Deshalb hatte er darauf warten müssen, dass Nimue ihre eigene Schule eröffnete und nicht mehr nebenan wohnte. Seine Spezialeffekte seien Männersache, ein langer Bart schütze vor den Nebenwirkungen seiner Magie. Ebenfalls ein Grund dafür, dass Hexen immer wieder versuchten, sich ebenfalls einen wachsen zu lassen. Sie hatten das vor langer Zeit herausgefunden. Nur wuchsen ihre Bärte nicht dicht und lang genug. Dafür kennen sie andere Tricks, die die männlichen Zauberer besser sein lassen sollten. Darum hätten die Zauberer ja einen Stab und die Hexen ihren Besen. Die Zauberei ist ein eigenartiges Feld. Anfänglich lehrt man, wie es geht und danach verschwendet man die meiste Zeit darauf, alles wieder zu vergessen. Wirklich grosse Meister auf dem Gebiet nutzen Magie nur in dringenden Fällen. Für den Rest gäbe es die Wissenschaften…

 

Und nach seinen Ausführungen schlief Merlin plötzlich auf seinem Stuhl ein. Drei Minuten später fiel er von diesem. Kardabra warf ihm eine Decke über und empfahl uns, lieber zu gehen. Er würde meist von seinem jeweils aktuellen Buche träumen und das wäre nie ungefährlich. Und schon traf Merlins Stab Terry Pratchett heftig am Kopf. Kardabra bedeutete uns noch einmal nachdrücklich, schnell zu machen. Der Doktor war bereits aufgesprungen und zog mich hinter sich her. Terry Pratchett blieb jedoch sitzen und rieb sich seine Rübe. Bis sein Stuhl mit ihm umkippte. In diesem Moment bekam er es wohl mit der Angst zu tun. Er rannte mit schreckgeweiteten Augen los und überholte uns noch vor der Höhlentür, gefolgt von der Kanne mit dem Tee. Von draussen hörten wir ihn furchtbar schreien, so dass wir uns beeilten, um ihm zu Hilfe zu kommen. Vor der Tür kam uns jedoch als erstes die Teekanne stolz wie Oskar entgegen. Sie trug ihre Nase so hoch, dass man interplanetares Fernsehen mit ihr hätte senden können. Was hatte sie Terry Pratchett angetan? Er war nirgends zu sehen. Es war stockduster, und hinter uns fiel die Tür krachend ins Schloss…

 

 

Wir liefen in die Richtung, aus der Terry Pratchetts Rufe hallten. Und stolperten dabei ständig über die Stöcke, die wohl für die Dunkelheit verantwortlich waren. Wenn doch wenigstens ein Mond am Himmel gestanden hätte. Die Sterne waren da wenig hilfreich, sie hätten uns vielleicht die Richtung anzeigen können. Doch selbst dazu hatten sie keine Veranlassung. Der Nord- oder der Südstern waren nicht zu erkennen. Dieser Sternenhimmel entsprach nicht dem, den ich aus dem Astronomieunterricht kannte. Durften die Sterne das? Wir kamen jedoch mit jedem Schritt den Rufen näher. Und nachdem ich bereits eine blutige Nase hatte, erinnerte sich der Doktor an seinen Wunder-Schraubenzieher. Dieser leuchtete im Dunkeln, und verband sich sofort mit dem Steuerpult seiner fliegenden Kiste. Mit einem Schlag der grossen Uhr in der Kommandozentrale leuchtete uns die Notrufzelle heim. Auf halbem Wege konnten wir zwei Beine aus einem Gebüsch winken sehen. Oder wollten sie uns nur anzeigen, dass dort jemand unsere Hilfe benötigte?

 

Und wirklich: Diese Beine waren fest mit dem Körper von Terry Pratchett verbunden. Wir konnten ihn durch gemeinsames Ziehen an diesen schnell und ohne Komplikationen von dem Gebüsch trennen. Aufstehen musste er alleine. Er hörte jedoch nicht auf zu schimpfen. Die Teekanne hatte ihn wohl – nachdem er in das Gebüsch gefallen war – mit dem Spruch, er solle schnell wachsen, gut gewässert. Und seinen Schlapphut fand er nicht wieder. Den hatte er wohl schon vorher auf der Flucht verloren. Es kostete uns einiges, ihn davon zu überzeugen, wir würden den Hut sicher am nächsten Morgen wiederfinden. Er solle sich lieber etwas Trockenes anziehen. Der Doktor erklärte ihm, wo er die Garderobe in der Notrufzelle finden würde. Und schon war Terry Pratchett wieder verschwunden – und wir beide, der Doktor und ich, konnten endlich schallend loslachen…

 

Da sahen wir den Hut. Auch ihn hatte die Teekanne gegossen. Ich nahm ihn dennoch mit in unsere Unterkunft und hängte ihn an einen Hebel auf der Steuerkonsole zum Trocknen. In diesem Augenblick schaltete sich das Licht aus, nur noch eine Notbeleuchtung erhellte die Steuerzentrale der Zelle.

 

‚Mist!‘, brüllte da der Doktor. ‚Immer diese blöde Stromsparfunktion! Ich muss die mal überbrücken. Die schaltet immer dann aus, wenn es spannend wird.‘

 

Ich ging in mein Zimmer, zum Schlafen. Und liess den Doktor alleine mit seiner Technik. Es war eh zu dunkel zum Weiterschreiben. Ein anderes Mal war noch ausreichend Zeit dafür…

Neue Bürger für die Scheibe

Am darauffolgenden Morgen weckte mich der herzhafte Geruch von gebratenen Eiern. Die Telefonzelle verfügte wohl über eine eigene Küche. Davon war in den historischen Dokumenten über den Doktor, die ich hin und wieder im TV zu sehen bekam, nie die Rede gewesen. Ich hatte mich da bereits mehrfach darüber gewundert, und den Verdacht gehabt, er wird wahrscheinlich nichts essen. Er ist ja kein Mensch. Doch wenn es hier eine gab, musste ich mich wohl korrigieren. Ich machte mich ausgehfertig und erschnupperte mir den Weg zu ihr, ein sehr langer Weg. Zu meiner Überraschung wirbelte dort Terry Pratchett Omeletts durch die Luft. Etwas, was ich schon immer mal lernen wollte. Ich benutze üblicherweise einen Wender. Doch Terry Pratchett schien dies perfekt zu beherrschen. Die Omeletts folgten seinen Anweisungen und landeten immer wieder in der Pfanne. Und keine Fettspritzer zierten die Wände. Ob ich es mal probieren dürfte (ich war ja hier nicht zuhause)? Doch der Doktor, der inzwischen ebenfalls aufgetaucht war, verbot es mir.

 

‚Wo kommt diese Küche her?‘, wollte er wissen. Die Frage war in einem Tone gestellt, als ob die einfach so mal vorbei gekommen wäre.

 

‚Ich hatte Hunger und habe gefragt‘, meinte Terry Pratchett. ‚Und es gibt sogar frische Lebensmittel in diesen eigenartigen Boxen.‘

 

‚Das sind Stasis-Boxen‘, erklärte der Doktor. ‚Die halten Eier Hunderte von Jahren frisch… TARDIS! Hatten wir schon immer eine Küche?‘

 

‚Sicher! Und wenn sie gebraucht wird, weise ich den Weg‘, antwortete die Computerstimme scheinheilig.

 

‚Und wenn ich Hunger habe, ist es kein Grund aufzutauchen?‘

 

‚Du hast nie gefragt, hast dir immer nur Energie-Riegel repliziert oder bist irgendwohin geflogen, wo es gute Restaurants gab.‘

 

‚Hhmmm! Muss ich mir merken!‘, versprach der Doktor. ‚Gibt es auch Tee? Mit Milch?‘

 

‚Du weisst, wo.‘

 

Also stiegen wir mit den Tellern wieder die zwei Stockwerke nach oben, um uns den Tee abzuholen. Dort entschieden wir uns, im Freien zu frühstücken. Es war herrlichstes Picknick-Wetter, mit viel Sonne und so. Einer der Sträucher trug sogar Hüte statt Blüten.

 

‚Die sehen ja aus wie mein Hut‘, stellte Terry Pratchett fest. ‚Ob ich mir ein paar auf Reserve pflücken kann?‘

 

‚Nur zu! Solange Merlins Teekanne nicht unter dem Strauch lauert, solltest du sicher sein.‘ Ich schnappte mir ebenfalls einen der Hüte - vorsorglich, damit die Sonne nicht zustechen konnte.

 

Wir hatten es uns gerade gemütlich gemacht, da kamen Merlin und Kardabra bereits den Hügel hinunter. Wir hätten auch bei ihnen frühstücken können. Als wir dieses verneinten, setzten sie sich zu uns.

 

‚Heute sollen sie kommen‘, meinte da Merlin. Kardabra rannte währenddessen seiner Nase hinterher, er hatte wohl einen kleinen Heuschnupfen. Niemand achtete wirklich auf ihn. Der Doktor wollte lediglich wissen, wer denn nun kommen würde. Na, dieser andere Zauberer mit seinen Begleitern. Die Drachen hätten sie für diesen, heutigen Tage angekündigt.

 

‚Wieso eigentlich Drachen?‘, wollte ich da wissen. ‚Das gehört doch nicht zu ihrer eigentlichen Arbeitsplatz-Beschreibung.‘

 

‚Naja! Eigentlich weiss ich es auch nicht so genau. Die meisten von ihnen leben im Zentralgebirge, wo sie die Schätze bewachen, die sie den Zwergen abgerungen haben. Doch eines Tages tauchte hier eine Handvoll von ihnen auf und fragte nach Arbeit. Die Schiffbauer boten ihnen an, ihre Schiffe zu ziehen. Offensichtlich war das Angebot verlockend, denn danach kamen immer mehr von ihnen. Ist wohl schon länger her… Gibt es noch Eier?‘

 

‚Nicht wirklich!‘, antwortete ihm Terry Pratchett. ‚Die Küche ist zu weit, und die Eier sind alle! Kannst du dir nicht welche zaubern, gleich fertig gebraten?‘

 

‚So funktioniert das nicht. Zauberei ist eine Wissenschaft, man kann mit ihr nur die Welt verändern, etwas aus dem Nichts erschaffen geht nicht.‘

 

‚An der Tür innen hängt ein Spiegel, mach `n Spiegelei draus!‘

 

‚Habe ich schon probiert. Schmeckt nicht, das knirscht beim Essen. Danach habe ich damit aufgehört. Aus Lebensmitteln ein schmackhaftes Essen zu zaubern, das bekomme ich hin und wieder mal hin. Ist jedoch eher Kardabras Metier. Der braucht heute aber ein Taschentuch.‘

 

Kardabra setzte sich nun völlig ausser Atem zu uns: ‚Hab‘ die Schnauze voll! Soll die Nase doch hinlaufen, wo sie will. Nicht mehr mit mir! Die kommt von ganz alleine zurück, wenn es ihr zu langweilig wird. Hätte ich früher drauf kommen können… Gibt’s noch Eier?‘

 

‚Nein! Das hatten wir gerade durchgekaut. Sind keine mehr da!‘

 

Und anschliessend schwiegen wir uns erst einmal an. Bis ein Rauschen vom Meer her zu uns drang, welches mir bekannt vorkam, von meiner Kreuzfahrt zu dieser Welt. Wir gingen um die Kiste des Doktors herum und sahen, wie eines dieser Schiffe vom Himmel herabschwebte. Es war nicht sonderlich gross, wurde jedoch von drei Drachen gezogen. Sah ziemlich majestätisch aus. Ganz sanft setzte es auf das Wasser auf und wurde in einen der vielen Flussarme des Deltas gezogen. Dort befand sich wohl eine Art kleiner Hafen. Merlin schritt los, in diese Richtung: ‚Da sind sie ja endlich!‘ Und wir folgten ihm willig. Wollten wir doch herausfinden, wer dieser noch grössere Zauberer war.

 

Wir waren noch nicht am Steg angekommen, da bekam ich bereits eine Ahnung davon, wer da die Scheibenwelt betrat. Zwischen den gross gewachsenen Herren und Damen kamen auch zwei wiederum sehr kleinwüchsige Wesen barfuss den Laufsteg herunter. Einer der Beiden schien extrem alt zu sein, der andere eher im mittleren Alter. Das waren zwei Hobbits, mit einem Schiff voller Elben. Einen Zauberer jedoch sah ich vorerst nicht.

 

Merlin wartete, auf seinen Zauberstab gestützt, geduldig am Ufer. Wir anderen hielten uns ein wenig im Hintergrund in Erwartung, was da noch kommen würde. Mehr und mehr Elben stiegen aus dem Schiff. Alle schön gewachsen, schlank und mit spitzen Ohren. Und dann, endlich, mit einer wunderschönen Elbin am Arm, stieg ein bärtiger alter Mann mit langen weissen Haaren und im weissem Mantel, mit einer Pfeife im Mund, gestützt auf einen weissen Zauberstab, vom Schiff. Ihnen folgten nur noch zwei männliche Elben als Abschluss der Prozession. Jetzt war ich mir sicher: Das letzte Auswandererschiff von Mittelerde hatte die Scheibenwelt erreicht. Der angeblich grösste lebende Zauberer des Universums war Gandalf, der Weisse.

 

Merlin ging ihm entgegen und begrüsste ihn überschwänglich. Gandalf lächelte nur und bot ihm an, erst einmal in Ruhe ein Pfeifchen mit ihm zu schmauchen. Was sie denn auch taten, ohne weiter miteinander zu schwatzen. Sie bliesen jedoch ihren Rauch in den unterschiedlichsten Formen aus, miteinander agierend. War fast wie im Geister-Kino. Da kämpften Schiffe miteinander, Drachen flogen über diese hinweg, verfolgt von diversen anderen Fabelwesen – bis sich alles in einer riesigen Rauchwolke sammelte, aus der es zu regnen begann. Alle Neuankömmlinge verliessen den Platz fluchtartig in Richtung Merlins Höhle, über der Tod auf seinem Pferd erschien und uns alle empfing: ‚He, wollt ihr alle hier bleiben?‘ Alle bejahten diese Frage, woraufhin er offensichtlich für diese nicht mehr sichtbar war. Die Elben und die beiden Hobbits schauten ganz erstaunt herum. Nur Gandalf fragte ihn: ‚Warum diese Frage?‘

 

‚Ich muss hier für Ordnung sorgen‘, antwortete Tod. ‚Nur Touristen dürfen mich sehen plus alle Katzen. Habe jedoch keinen Schimmer, wie ich das für die Zauberer hinkriege. Denen ist wohl ein Trick bekannt, den ich nicht ausschalten kann. Ärgerlich!‘ Und schon ritt er wieder davon…

 

Merlin lud Gandalf in seine Höhle ein, liess uns jedoch mit allen Anderen im Regen stehen – nur Kardabra durfte noch rein. Deshalb lud der Doktor alle in seine TARDIS ein, was zu einem deutlichen Unwohlsein bei den Elben führte. Diese blaue Kiste wäre doch viel zu klein für alle. Da wäre man auf dem Schiff besser dran. Doch die Drachen hatten dieses bereits wieder in die Lüfte gebracht und flogen mit ihm davon. Nur ein einsamer Koffer stand auf dem Anlegesteg und wanderte - durch den Flügelschlag der Drachen - so langsam Richtung Land.

 

Also begaben sich die Elben am Ende doch in Richtung TARDIS. Aber so wirklich waren sie nicht zu überzeugen, uns in diese zu folgen. Erst nachdem Galadriel hereingeschaut hatte, änderte sich dies: ‚He! Die ist aussen viel kleiner als innen! Wir passen da echt alle rein!‘ Und an den Doktor gerichtet: ‚Du musst nur Stühle ranschaffen!‘

 

‚Neben dem Swimmingpool zwei Stockwerke tiefer ist ein Solarium. Dort können wir es uns alle in den Liegestühlen bequem machen‘, bemerkte der Doktor und übernahm die Führung. Ich schlich mich in mein Zimmer, es waren mir irgendwie zu viele Leute und das Solarium kannte ich schon. Ich hoffte, dort eine Mütze Schlaf zu finden. Doch der vor zwei Stunden frisch gepflückte Hut war bereits verwelkt, hätte ihn wohl in eine Vase mit Wasser stellen sollen. Man lernt nie aus! Jetzt war er futsch, und ich warf ihn in den Müll. Die Mütze voll Schlaf konnte ich somit vergessen. Ich entschied mich also, wieder in den Kontrollraum zu gehen und mal draussen nachzuschauen, ob eventuell der Regen bereits weitergezogen war. War er! Dabei fiel mir auf, dass zwei – ich will mal sagen – Wanderer vor Merlins Tür standen und heftigst gestikulierten. Sie stützten sich auf Stäbe, ähnlich dem von Merlin. Was wollte die Zwei? Ich ging hinüber, um es herauszufinden.

 

Na klar, die Teekanne stand in der Tür und liess sie nicht ein. Sie war dabei ziemlich beweglich, was ich ihr so nicht zugetraut hatte. Für die Zwei war kein Vorbeikommen an ihr möglich.

 

‚Was wollt ihr denn hier?‘, wollte ich von ihnen wissen.

 

‚Wir wollen Merlin um eine Ausbildung bitten. Nimue hat uns in ihrer Schule als zu männlich abgewiesen und auf ihn aufmerksam gemacht. Wir sind den gesamten Weg aus dem Norden zu Fuss gelaufen und wollen uns nur setzen. Aber nicht in das nasse Gras. Diese Teekanne versperrt uns jedoch den Weg. Dabei haben wir kein Interesse daran, was Merlin da gerade mit dem Fremden bespricht. Diese Höhle ist doch sicher gross genug, um einen Platz für uns zu finden.‘

 

‚Wahrscheinlich schon! Doch einer von uns hat gestern schmerzhafte Erfahrungen mit dieser Kanne gemacht. Ich wäre vorsichtig, bevor ich mich mit ihr anlegen würde.‘

 

‚Ach, was kann eine Teekanne schon ausrichten?‘, und schon sprang dieser Herr über sie hinweg und drang in Merlins Bibliothek ein. Das hätte er besser bleiben lassen sollen. Die Kanne folgte ihm auf dem Fusse und verschwand ebenfalls zwischen den Regalen. Nach einem Augenblick hörten wir ein furchtbares Krachen, so als ob eines der Regale umstürzen würde. Sofort war Tod zur Stelle und schritt gemessen an uns vorbei. Er strich mit seiner Sense über den fast verdeckten Körper unter dem Regal hinweg und verliess die Höhle durch ihre Rückwand wieder. Er hatte wohl noch anderswo zu tun.

 

Die Teekanne hatte sich inzwischen dem zweiten Wanderer zugewandt und drängte ihn aus der Höhle. Mich schien sie nicht zu beachten. Währenddessen trat Merlin, gefolgt von Kardabra und Gandalf, aus seiner Kammer und zeigte mit seinem Stab, fröhlich vor sich hin murmelnd, auf die Teekanne. Diese blieb sofort stehen, und Kardabra trug sie in die Kammer zurück: ‚Die hatten wir heute früh vergessen, hatte sich wohl gut versteckt.‘

 

‚Und dies hat jetzt ein Todesopfer gefordert!‘, bemerkte ich. ‚Musste das sein?‘

 

‚Das bekomme ich wieder hin, solange Tod noch nicht hier war‘, warf da Merlin ein.

 

‚War er aber!‘

 

‚Oohh! Der reagiert auch immer schneller. Gandalf, kannst du da was tun?‘

 

‚Nicht wirklich!‘, meinte der und richtete seinen Stab auf das Opfer. In diesem Augenblick kehrte Tod wieder zurück: ‚Willst du dich mit mir anlegen?‘

 

‚Nicht wirklich!‘, entgegnete Gandalf noch einmal. ‚Ich würde aber gerne mit dir über sein Ableben verhandeln.‘

 

‚Da ist nix drin, der Job ist getan und er ist bereits in einer anderen Welt. Wie man so schön sagt: Bücher bringen Dich überall hin! Was hier bewiesen wurde. Er konnte dem nicht aus dem Weg gehen, stand schon immer in seinem Lebensbuch. Ansonsten wäre ich hier nicht rechtzeitig erschienen.‘

 

Doch Gandalf liess sich nicht abhalten. Er wedelte mit seinem weissen Stab über dem Toten herum und sprach einen – aus meiner Sicht – ziemlich konfusen Spruch. Kurz zuckte der Körper, doch mehr geschah nicht.

 

‚Habe ich doch gesagt – gegen meine Arbeit hilft kein Zauber‘, warf da Tod ein. ‚Der Tod ist immer tödlich, zumindest hier auf der Scheibenwelt. Das gilt übrigens ab jetzt auch für Dich! Ihr Zauberer habt nur den Vorteil, ihr könnt mich jederzeit sehen. Ansonsten gelten die gleichen Regeln wie für alle Bewohner hier! Und: Ich sorge nur dafür, dass diese Regeln durchgesetzt werden. Ich führe aus, was andere vor ewigen Zeiten beschlossen haben. Mit denen müsstest du reden. Ist in diesem Falle jedoch bereits zu spät.‘

 

‚Lass es sein, Gandalf!‘, warf Merlin ein. ‚Er hat den längeren und vor allem den schärferen Stab. Wenn ich hier etwas gelernt habe, dann: Lass dich nie mit Tod ein! Da liegen unsere Grenzen.‘

 

So ging es noch eine ganze Weile hin und her, geändert hat sich an dieser Situation letztlich nichts. Tod blieb die letzte Instanz für alle intelligenten Bewohner der Scheibenwelt. Auch ein Gandalf konnte daran nichts ändern.

 

In der Zwischenzeit waren Gandalfs Reisegefährten ebenfalls zur Höhle gekommen. Es wurde eng vor Merlins Türe. Jeder wollte etwas davon mitbekommen, was in seiner Höhle geschah. Es wurde geschubst und gestossen, manch einer hat sicher blaue Flecken zurückbehalten. Gandalf sah sich gemüssigt, einzuschreiten: ‚Leute! Nehmt Rücksicht! Wir wollten eh gerade raus und uns in die Sonne packen. Wir erklären euch, was wir besprochen haben. Auf der Wiese hier wachsen ausreichend essbare Pflanzen, ihr dürft essen.‘

 

Offensichtlich hatte an Bord ihres Schiffes nicht ausreichend die richtige Elben-Nahrung zur Verfügung gestanden. Nach nicht einmal einer Viertelstunde sah die Umgebung der Höhle eher wie eine Wüste aus, nicht ein grüner Halm lugte mehr aus dem Boden. Und wieder lächelte Gandalf. Er und Merlin stopften sich eine weitere Pfeife und begannen zu erklären, was sie vorhatten: Sie wollten eine Universität für Zauberer gründen (die spätere Nie Gesehene Universität). Der noch lebende Wanderer würde ihr erster Student werden. Und das erste Forschungsprojekt sollte der Rechenautomat, von dem Merlin am Vortage gesprochen hatte, sein, sowie das Finden einer Möglichkeit, Tod mal ein Schnippchen zu schlagen.

 

‚Merlin meint, es gäbe nicht weit von hier bereits eine Elben-Siedlung‘, wandte sich Gandalf an diese, ‚wohl ein Zwei-Tage-Marsch in diese Richtung.‘

 

‚Was ist mit dir?‘, wollte da Galadriel von ihm wissen.

 

‚Ich bleibe hier, und helfe Merlin. Ich glaube, ich kann auch von ihm noch etwas lernen. Und es soll eine Universität nur für Zauberer werden, Frauen unerwünscht! Ich werde dich jedoch regelmässig besuchen. Die anderen brauchen dich mehr als ich.‘

 

Da schien sich ein Streit anzubahnen. Der Doktor gab Terry Pratchett und mir ein Zeichen, und wir machten uns vom Acker. In der TARDIS bat Terry Pratchett den Doktor, ihn unbedingt gleich sofort nach Hause zu bringen. Er hätte Ideen für wenigstens 41 Bücher, diese wolle er schnellstens niederschreiben, bevor er sie vergessen würde. Und ab ging es in Richtung Erde, ins englische Wiltshire zu Weihnachten 1981…

Das Gebiss

Nachdem uns Terry Pratchett verlassen hatte, wollte der Doktor meine Pläne kennenlernen. Ob ich eventuell Lust verspüren würde, andere Gegenden oder Zeiten des Universums zu sehen? Verspürte ich nicht. Ich wollte in mein Hotelzimmer auf der Scheibenwelt. Und endlich mal einen ruhigen Tag geniessen. Immerhin hatte ich für den Hin- und Rückflug sowie für dieses Hotel inkl. des Frühstückes bezahlt. Ich bin in solchen Fällen konsequent. Was bezahlt war, sollte auch ausgekostet werden. Selbst wenn ich schon besser gegessen hatte, als es auf der Scheibenwelt möglich schien. Ich machte den Doktor darauf aufmerksam, dass es angeraten schien, nicht unbedingt kurz nach unserer Abreise dort aufzutauchen. Würde die TARDIS in diesem Fall eh nicht zulassen, meinte er. Sie würde uns in einem Moment absetzen, in dem sich kein zufälliger Besuch im Raum befindet. So etwas könnte er einstellen.

 

Und mein Zimmer war wirklich leer – bis auf die Einrichtung natürlich. Und meinem Gepäck. Selbst sein Weihnachtsgeschenk lag noch auf dem Bett. Jetzt wollte der Doktor es jedoch wissen. Er bestand darauf, dass ich es endlich auspackte. Also tat ich ihm den Gefallen. Der Inhalt der Schachtel verwirrte uns beide gewaltig. In ihr befand sich ein Gebiss! Und vor allem eines, welches nicht für einen Menschen gemacht war – es hatte 40 Zähne. Ich wollte es schon wegwerfen, doch der Doktor meinte, die TARDIS hätte sich sicher etwas dabei gedacht. Wahrscheinlich würde ich es demnächst brauchen.

 

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Der Doktor sprang in seine Telefonzelle und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Ohne sich zu verabschieden.

 

Ich öffnete die Tür und wich erschrocken zurück. Draussen stand das Zimmermädchen mit zwei Mitgliedern der Stadtwache in voller Rüstung. Einer der Zwei trug – mitten im Sommer – einen dicken Pullover unter seinem Brustpanzer.

 

‚Ist das nicht zu warm?‘, wollte ich von ihm wissen und zupfte an seinem Pullover.

 

‚Nein! Er ist mein Schutz!‘, kam die Antwort.

 

‚Wovor?‘

 

‚Er schützt mich vor der Kälte.‘

 

In diesem Moment stiess mich der andere mit seinem Spiess ins Zimmer: ‚Die Fragen stelle ich hier!‘

 

‚Wer seid ihr überhaupt?‘, mir fiel da nur die übliche Vorgehensweise für solche Gelegenheiten ein. ‚Und was wollt ihr von mir?‘

 

Der ziemlich dicke Gardist wurde etwas freundlicher: ‚Okay! Ich bin Böhnchen! Und der hier‘, er zeigte auf seinen gertenschlanken Begleiter, ‚nennt sich Kürbis. Und dieses Mädel hier behauptet, sie hätten hier ein Gebiss versteckt.‘ In diesem Moment sah er es in meiner Hand und versuchte es mir zu entreissen.

 

‚Halt! Halt! Das ist ein Geschenk eines Freundes! Es gehört mir!‘

 

‚In der gesamten Stadt wird genau so ein Gebiss gesucht. Unser Bürgermeister hat 5,000 Tallor ausgelobt für seine Wiederbeschaffung!‘

 

In diesem Augenblick fragte ich mich, wie das Zimmermädel wissen konnte, dass sich in der vor wenigen Momenten noch verschlossenen Schachtel ein Gebiss befand. Das war ziemlich irritierend für mich, so dass es dem Böhnchen gelang, es mir zu entreissen. Genau rechtzeitig erschien Spülwein auf der Bildfläche. Ihm gelang es, dieses Gebiss an sich zu bringen: ‚Er hat es wirklich geschenkt bekommen, vor drei Tagen! Es ist seins.‘ Dennoch gab er es mir nicht zurück, sondern steckte es ein. Böhnchen und der Kürbis schauten sich an und zwangen uns nun mit zu kommen. Das Zimmermädel grinste dabei. Die wollte ich später zur Rechenschaft ziehen…

 

Vor dem Hotel erwartete uns eine vergitterte Kutsche, in die wir einsteigen mussten. Drinnen gab mir Spülwein das Gebiss zurück: ‚Das wirst du noch brauchen!‘

 

Unterwegs spielte er wieder den Guide und erklärte mir die Gegenden, durch die wir kutschiert wurden. Am Ende unseres Trips kamen wir wohl in den gefährlichsten Stadtteil. Wir wurden in eine Art Burg gefahren, und Spülwein meinte, es wäre jetzt besser, vor allem seine Hände still zu halten. Bereits das Zeigen des Mittelfingers würde in diesem Bezirk häufig dazu führen, dass man danach nur noch bis Neune zählen könnte. Im Augenblick wäre es zwar etwas ruhiger, da die Gilde der Diebe für höhere Beuten streikte, was ihnen die Stadt jedoch verweigern würde – deshalb wäre es aber nicht ungefährlicher in dem Viertel um diese Burg herum. Selbst die Stadtwache hätte es aufgegeben, hier zu patrouillieren, und genau aus diesem Grunde wäre das Hauptquartier der Stadtwache auch mit solchen dicken Mauern und einem Burggraben versehen. Auf diese Weise befände es sich zwar in unmittelbarer Umgebung des Brennpunktes der Kriminalität, musste jedoch besser gegen Befreiungsversuche durch die verschiedenen Gilden geschützt werden. Manche von denen hätten ihre Büros sogar in ihr.

 

Wir wurden in einen grösseren Raum im Hauptgebäude der Burg geführt. In diesem sah es nicht viel anders aus als in unseren Polizeirevieren. Ausser vielleicht: Es waren eine Unmenge von Kerzen überall an den Wänden und auf den Tischen. Auf diesen Tischen hinter einem Tresen, der den Raum teilte, sassen kleine Saurier und schrieben alles mit, was ihnen von den Gardisten diktiert wurde. Spülwein erklärte mir, dies wären Thesaurier und sehr wertvoll. Nur eine der Hexen in Gardenia wäre in der Lage, diese auszubilden. Und dem Grossteil der Einwohner der Scheibenwelt wurde nie das Lesen und Schreiben beigebracht. Wer es konnte, würde nie zur Stadtwache gehen, sondern in eine der Gilden eintreten. Dort wäre auf jeden Fall die Bezahlung besser.

 

Wir zogen uns in eine Ecke zurück, die anderen Gäste auf unserer Seite des Tresens sahen meist nicht sehr vertrauenserweckend aus. Böhnchen ging sofort zu einem der Gardisten auf der anderen Seite. Dieser interviewte gerade einen echten Hünen, der jedoch offenbar schlecht hörte. Ständig beugte er sich mit einer Hand am Ohr dem Gardisten zu. Kürbis benannte ihn als Arnos, den Barbaren. Ein Held in Newor Leans. Er hätte die Stadt vor längerer Zeit fast im Alleingang vor den Trollen bewahrt. Diese lägen ja schon immer mit den Zwergen im Krieg und deren Anführer hatte sich in die Stadt geflüchtet. Lang, lang wäre es her.

 

Kürbis scheuchte mehrere heruntergekommene Gestalten von einer der Banken an der Wand hoch und bedeutete uns, dass wir uns dorthin setzen sollten. Doch in diesem Moment winkte uns Böhnchen hinter den Tresen und führte uns an den Tisch, an dem bereits Arnos, der Barbar, sass.

 

‚Wer hat das Gebiss?‘, war die Frage des Gardisten an dem Tisch.

 

Ich hob automatisch meine Hand, bereute es jedoch im selben Augenblick: ‚Es ist ein Geschenk von einem Freund.‘

 

‚Aber dir passt es doch nicht, es ist für mich gemacht‘, bemerkte da Arnos, der Barbar.

 

‚Und woher wisst ihr das? Das Gebiss hat doch bisher niemand wirklich in Ruhe angeschaut geschweige denn angepasst. Selbst ich habe es vorhin zum ersten Mal gesehen. Und da standen diese beiden netten Herren schon vor meiner Tür‘, ich zeigte dabei auf Böhnchen und Kürbis. ‚Woher konnten diese zwei wissen, dass ich, ein Tourist, ein Gebiss bekommen hatte?‘

 

Der Gardist nickte Arnos, dem Barbaren, zu. Mit einem Grinsen, das ihm in das Gesicht gemeisselt schien, denn der Rest seines Körpers sprach eine nahezu gegensätzliche Sprache, erzählte er nun die gesamte Geschichte zu meinem Gebiss. Bevor er damals, vor vielen Jahrzehnten, gegen die Trolle zum Schutze der Stadt gezogen war, hatte man ihm versprochen, für seinen gesamten späteren Lebensunterhalt aufzukommen. Nun sei er – wider allen Erwartungen – bereits über 100 Jahre alt, und natürlich hatte er sein Hör- und Beissvermögen verloren. Doch die Stadt wollte ihm weder ein Hörrohr noch ein Gebiss bezahlen. Jedem anderen Pensionär innerhalb der Stadt standen diese jedoch zu. Nur weil er weiter in seinen geliebten Wäldern wohnte, verweigerten sie ihm diese Dinge. Also war er vor über einem Monat in die Stadt gezogen und hatte den Anführer der Stadtwache festgesetzt. Er hatte sich gedacht, dass ein schneller und ein alter Gardist ein Widerspruch in sich sei. Aus diesem Grunde wären ihre Anführer alle zwar älter, aber eben auch träge – so wie er inzwischen auch. Dies hatte funktioniert. Und mit dieser Tat hatte er die Aufmerksamkeit nicht nur der Stadtwache sondern auch des Stadtrates und der sogenannten ‚gut situierten Familien‘ in Newor Leans gewonnen. Genau das, was er bezweckt hatte, nur diese Wesen konnten ihm das Hörrohr und das Gebiss finanzieren, ihm selbst fehlten die Mittel dazu.

 

Mit einem Schlage waren sogar die Zwerge bereit, ihm ein Hörrohr zu spendieren, welches er sich nur noch bei ihnen abholen musste. Und der Stadtrat hatte eine Sammlung veranstaltet, von dessen Erlös sie ihm ein Gebiss machen liessen.

 

Vor wenigen Tagen hiess es nun, sein Gebiss wäre abholbereit. Doch als er in der Werkstatt erschien, teilte man ihm mit, dass bei ihnen eingebrochen worden sei. Alle fertigen Gebisse wurden dabei gestohlen. Welch‘ Desaster! Eine neue Aufgabe für die Stadtwache! Und dies während des Streikes der Gilde der Diebe und Einbrecher. Irgendjemand in dieser Stadt handelte auf eigene Faust, ohne dem Schutz einer der Gilden. Das wäre die totale Anarchie, niemand könne sich mehr sicher innerhalb der Stadtmauern fühlen. Also wurde der Stadtwache aufgetragen, einen zeitweiligen Frieden mit den Gilden zu schliessen und sich auf die Suche nach diesen Chaoten zu machen. Die Spur hatte die Gardisten in allerhöchste Kreise geführt, zu einer Gruppe der Gäste auf der Party dieses Doktors. Es war nicht klar, wer zu ihnen gehörte, doch man wusste, sie wollten das Diebesgut dort im Haufen der Geschenke des Doktors verstecken. Leider hatte ein Witzbold die Etiketten auf den Geschenken vertauscht, und der Verursacher war nicht mehr feststellbar. Also liess man sie laufen und kümmerte sich darum, diese Gebisse wieder zu beschaffen. Noch auf der Party hatte man alle, bis auf das von Arnos, dem Barbaren, sicher stellen können, es blieb verschwunden. Bis einer der Zauberer auf die Idee kam, Tod zu befragen. Er hätte sich wohl die gesamte Zeit am Eingang der Kiste herumgetrieben.

 

Ich war der Einzige, dessen vertauschtes Geschenk nicht gefunden wurde. Also hatte die Stadtwache meine Spur aufgenommen und so war man auf mein Hotel und eben auf mein Zimmer gekommen. Nur leider war ich dort nicht auffindbar. Jeden Tag hätten die Gardisten versucht in mein Zimmer einzudringen, doch das Hotel hatte sie zurückgehalten. Erst am dritten Morgen, heute, hätte ich meine Tür geöffnet und nun sässe ich hier. Arnos, der Barbar, wolle jetzt sein Gebiss endlich haben.

 

Ich schaute zu Spülwein. Dieser nickte mir zu und zeigte auf den Boden unter dem Fenster. Das verstand ich zwar nicht, doch ich rückte das Gebiss heraus. In diesem Moment änderte sich die gesamte Stimmung im Raum. Einer der Gardisten nahm eine hölzerne Schachtel aus seiner Hosentasche, klappte sie auf, hielt sie zum Fenster und sagte: ‚Vier Uhr! Schichtwechsel!‘

 

Alles ging drunter und drüber. Die bewaffneten Gardisten übergaben ihre Spiesse, Schwerter und was sonst noch an die Gardisten, die bisher an den Tischen gesessen hatten, sie tauschten alle ihre Plätze. Spülwein riet mir dringend, zu verschwinden. Eine bessere Möglichkeit würde sich mir nicht mehr bieten. Also verliess ich schnellstens den Raum und das Gebäude – ohne das Gebiss.

 

Im Hof orientierte ich mich kurz und entschied, diesen Komplex besser nicht durch den Haupteingang zu verlassen. In einer nahen Ecke entdeckte ich einen schmalen Durchgang, so schmal, dass ein Böhnchen ihn spielend hätte verkorken können. Ich nahm also meine Beine unter die Arme und lief zu diesem Durchgang. War nicht so einfach, da selbst auf den Hof Schichtwechsel war und alle durcheinander liefen. Doch ich kam relativ unbehelligt zu diesem Durchgang. Auch dort wechselten gerade die Waffen ihre Besitzer, niemand beachtete mich so richtig. Ich durchquerte den engen Durchgang und stand auf einer extrem schmalen Zugbrücke ohne Geländer, die über den Burggraben führte. Ich überlegte kurz, entschied mich am Ende, diesen Steg zu überqueren.

 

Da hörte ich hinter mir das Getrappel eines Pferdes und die Stimme von Arnos, dem Barbaren. Ich schaute mich um, er kam direkt auf mich zu. Um meiner Gesundheit willen trat ich zur Seite, neben mir hätte er nicht vorbei reiten können. Leider war die Zugbrücke dafür nicht ausgelegt. Ich landete im Graben. Und die Raben auf der Mauer frassen mich nicht – sie schienen mich eher auszulachen. Dann schlug das Wasser über mir zusammen, und ich sah und hörte nichts mehr.

 

Als ich wieder auftauchte, hörte ich jemanden durch den Durchgang laut fluchen. Ich schaute mich kurz um. Erstaunlicherweise hatte man Sprossen in den Burgwall eingelassen, die bis zur Zugbrücke hinauf führten. Da ich unbedingt herausfinden wollte, was oben passiert war, stieg ich diese empor. Oben, neben der Brücke, angekommen, lugte ich vorsichtig um die Ecke. Arnos, der Barbar, kroch im Burghof im Schlamm herum. Der Durchgang war wohl zu niedrig gewesen, für ihn auf seinem Pferd. Er schien etwas zu suchen: ‚Meine Tschähne! Meine Tschähne! Wo sind meine Tschähne?‘

 

Die beiden Gardisten, die noch vor Kurzem mit ihrem Schichtwechsel beschäftigt waren, zeigten auf sein Pferd: ‚Dein Pferd! Dein Pferd! Dein Pferd steht drauf!‘

 

Da entschied ich für mich, dass es an der Zeit war, sicherheitshalber erneut abzutauchen. Ich liess die Sprossen los und fiel zurück in den Graben…

Der Vertretungsjob

Noch während ich krampfhaft versuchte, unter Wasser zu entkommen, packte mich etwas am Kragen und zog mich aus dem Wasser. Immer höher hinaus entschwebte ich der Gefahrenzone. In sicherem Abstand zur Burg ergriff mich eine zweite knöcherne Hand und hievte mich quer über den Rücken eines fahlen Pferdes. Noch immer konnte ich nicht sehen, wer mich da entführte. Doch denken konnte ich es mir. Mit einem Pferd in den Himmel, dazu die knöchernen Finger und ein langer, schwarzer Mantel – nur einer kam in Frage: Tod.

 

Etwas ausserhalb der Stadt setzte Tod mit seinem Pferd zur Landung an. Endlich konnte ich wieder aufrecht stehen und meine völlig durchnässte Kleidung richten. Dies hatte jedoch kaum Auswirkungen auf mein Wohlbefinden: ‚Kennst du einen Trick, wie ich die schnell trocken bekomme? Oder, wo ich trockene Klamotten finde?‘

 

‚Kein Dank? Immerhin habe ich dich aus dem Graben gerettet.‘

 

‚Ich kann schwimmen und so breit war der Graben nicht.‘

 

‚Aber auf der anderen Seite haben die Trolle auf Arnos, den Barbaren, gewartet. Gleich zwei Wesen vor dem sicheren Tod bewahrt. Das ist eine Premiere.‘

 

‚Wieso hast du diesen Barbaren gerettet? Und wie? Wieso bewahrst du überhaupt Wesen vor dem Tode? Solltest du nicht gerade das Gegenteil durchsetzen?‘

 

‚Ich brauche auch keinen Friseur, und dennoch muss ich immer wieder bei Friseuren einkehren. Nur den Salon müssen die Hinterbliebenen danach selbst kehren‘, scherzte Tod mal wieder. ‚Es gibt selbst für mich Vorschriften, an die ich mich halten muss. Und eine davon ist, dass der Tod im jeweiligen Lebensbuch stehen muss. Manchmal kommen halt Wesen in bedrohliche Situationen, obwohl sie noch nicht dran sind. Da muss ich dann entsprechend einschreiten – so wie vorhin bei Arnos, dem Barbaren, und bei dir. Solche Geschehnisse sind das Salz in meinem Job. Ansonsten wäre mein Leben doch langweilig, tot langweilig.‘

 

‚Ja! Der Tod ist eine ernste Sache!‘

 

‚Keine Ahnung! Trotz meines langen Daseins war ich selbst nie tot. Und meine Klienten versuchen, mit mir über alles Mögliche zu reden, nur nicht darüber, wie es für sie ist, tot zu sein. Ihnen bleibt ja nichts weiter übrig, als ihr Ableben ernst zu nehmen. Ich gebe ihnen keine Chance. Es gibt tausende erfolgreiche Wege, dem Leben zu entkommen. Doch keinen, um die letzte Begegnung mit mir zu überleben.‘

 

‚Ich habe dich überlebt. Und Spülwein ebenso.‘

 

‚Du bist Tourist auf dieser Welt, und Spülwein wird die finale Begegnung mit mir ebenfalls nicht überleben, er ist lediglich noch nicht dran.‘

 

Inzwischen waren wir in seinem Reich angekommen. Obwohl ich ja mit dem Doktor schon einmal dort war, das Fehlen jeglicher Farbe irritierte mich erneut. Doch dieses angelnde Gartenzwerg-Gerippe, mit der Fisch-Gräte am Haken, fand ich weiterhin witzig. Kardi erwartete uns bereits: ‚Frühstück steht in der Küche! Ich mache es auch gerne nochmal warm für deinen Besucher. Doch vorher bringe ich Greyhound in den Stall.‘

 

 

Ich wollte kein Frühstück. Diese graue Pampe hatte mir schon beim letzten Besuch nicht wirklich zugesagt. Also führte mich Tod in sein Büro. Heute kam mir das ständige Rauschen der Sanduhren in den Regalen viel lauter vor. Doch Tod meinte nur, dass ich mich schnell daran gewöhnen werde. Auf die Frage, wieso er dies glaube, wies er mir einen Stuhl neben seinem zu: ‚Ich brauche eine zeitweilige Vertretung. Die Auditoren haben mich zu einer Weiterbildung verdonnert und während dieser Zeit ist eine Aushilfe nötig. Und die Auditoren haben dich vorgeschlagen, weil wir uns bereits kennen.‘

 

‚Und wie lange dauert deine Fortbildungsmassnahme? In sechs Tagen geht mein Schiff nach Hause. Das sollte ich nicht verpassen. Auf der Scheibenwelt leeren sich die Geldbeutel schneller als man denken kann.‘

 

‚Du wirst auch bezahlt! Alle Deine Kosten, die du hier hattest. Spülwein hat bereits sein Geld, auch das Hotel ist bezahlt. Und am Ende gebe ich dir genug, damit du die Schiffpassage zahlen kannst – und immer noch was übrig hast. Und deine Spesen, die du in deinem Aushilfsjob hier haben wirst, gehen ebenfalls auf meine Kappe.‘

 

‚Ja, klingt gut. Doch wie lange brauchst du mich nun? Und: Brauchst du eine Quittung von mir? Wegen der Steuer.‘

 

‚Steuern zahlen immer nur die anderen, das gilt auch für dich auf der Scheibenwelt – solange du mich vertrittst. Wir können das ohne Quittungen und so machen. Ist ja nur für fünf Tage, und dann noch halbtags.‘

 

‚Und wo soll ich bleiben? Doch nicht etwa hier? Füüünnf Tage halte ich den Frass von Kardi nicht durch!‘

 

‚Dein Gepäck ist schon hier. Du hast deine eigene Suite.‘ Er öffnete eine der Schubladen in seinem Schreibtisch und entnahm ihr einen Geldbeutel, aus der er einige Münzen in seine knöcherne Hand schüttete. Dann reichte er mir den Beutel: ‚Nimm den! Der wird niemals leer. Damit kannst du essen gehen, wo immer du willst.‘

 

‚Und sehen mich die Kellner auch?‘

 

‚Nein! Aber sie hören dich und werden dich auch bedienen. Wie schon gesagt – Du sollst mich zeitweise ersetzen und so übernimmst du auch meine Fähigkeiten.‘

 

‚Das ist ja gruselig! Ich hatte vor, hier Urlaub zu machen, und nicht, andere Leute in den Tod zu schicken.‘

 

‚So schlimm wird es schon nicht. Ich bin nur für den halben Tag mit den Auditoren beschäftigt, so dass ich den Hauptteil meiner Arbeit weiterhin erledigen kann…‘ Und nun erklärte er mir, was mein Hauptjob sein wird. Tagsüber – nach seiner Zeitrechnung – wird Tod mit den Auditoren zusammensitzen. Danach kann er weiterhin ausreiten und den Wesen dieser Welt den Übertritt in die jeweils andere Welt erleichtern. Mein Job wäre es hauptsächlich, seine Touren vorzubereiten – mit Hilfe des dicken Buches auf seinem Schreibtisch. Ich musste Tod bitten, es immer offen liegen zu lassen. Alleine war ich nicht in der Lage, das Buch aufzuschlagen. Zu schwer! Er wies mich daraufhin, dass in diesem Buch immer etwa einen Tag vorher die Namen derjenigen erschienen, die demnächst mit dem Sterben dran waren. Zu diesen müsste ich die dazugehörigen Sanduhren und Lebensbücher raussuchen. In den Büchern würde ich erfahren, in welcher Region auf der Scheibenwelt diese sich zu ihrem Todeszeitpunkt aufhalten würden. Und mit den Karten an der Wand wäre ich sicher in der Lage, ihm die effektivste Tour zusammenzustellen. Selbst Kardi würde das hinbekommen. Ich sollte jedoch dabei immer im Kopf behalten, dass in seinem Reich keine Zeit vergehen würde. In verlustreichen Zeiten – wie etwa während der Kriege oder wenn eine Pestepidemie irgendwo herrscht, müsste ich ausreichend Pause in seinem Reich für ihn einplanen. Immerhin dürfte er seine Bienenstöcke nicht zu lange unbeobachtet lassen. Er liebe seine Bienen, ausser wenn sich mal eine in seinem Skelett verirren würde. Diese könnte ihn dann schnell in den Wahnsinn treiben mit ihrem beständigen Summen. Jedoch stechen konnte sie ihn mangels der richtigen Oberfläche nicht. Und ihr Honig würde so lecker duften. Um die kümmere er sich aber selbst, dies gehöre nicht zu meinem Job…

 

Doch wenn es ganz schlimm kommen würde, müsste ich auch mal für ihn ausreiten. Dafür hätte er ein zweites Pferd im Stall. Dieses dürfe ich ebenfalls nutzen, wenn ich Pause hätte und mir etwas vom realen Leben gönnen wollte, etwa essen oder so. Ich müsste nur im Kopf behalten, niemand ausser den Zauberern und Katzen könnten mich sehen. Ab sofort auch die Touristen nicht mehr. Es sei denn, es gehe mit ihnen zu Ende. In diesem Falle müsste ich seinen Job tun. Also dürfte ich nie die Sense – ich sollte eine eigene bekommen! - vergessen, wenn es in die reale Scheibenwelt gehen würde.

 

Das war denn doch eine Neuigkeit: ‚Auch Touristen können mich nicht mehr sehen? Das ist doch nur vorübergehend?‘

 

Ja, das hätte etwas mit dem Thema seiner Weiterbildung zu tun. Die Auditoren hatten sich den Weltraumtourismus einmal näher angesehen. Und dabei festgestellt, dass dieser inzwischen ein Ausmaass angenommen hatte, dass Touristen nicht mehr als Ausnahme betrachten werden konnten. Ab sofort waren sie auch auf der Scheibenwelt nicht mehr ihres Lebens sicher. Die Auditoren wollten mit ihm die Möglichkeiten durchdiskutieren, wie dies umgesetzt werden konnte, und entsprechende Verfahren entwickeln.

 

‚Wurden die Touris entsprechend informiert?‘, wollte ich da von ihm wissen.

 

‚Naja, ich kann sie nicht informieren. Sie sehen mich ja erst, wenn es soweit ist. Keine Ahnung! Ich kann es gegenüber den Auditoren mal ansprechen.‘

 

‚Naja! Ist vielleicht nicht nötig. Wir sterben alle irgendwann, und ein Unfall kann immer passieren. Ich habe vorher nicht gewusst, dass ich auf keinen Fall auf der Scheibenwelt sterben kann. Die anderen Touris sicher ebenfalls nicht. Sollte sie also nicht wirklich überraschen, oder?‘

 

‚Wie gesagt, ich werde es ansprechen. Es muss ja z. B. geklärt sein, wie ich in diesen Fällen vorgehen muss. Bleiben sie danach endgültig auf der Scheibenwelt und landen zunächst auf der Unterseite? Oder muss ich sie auf ihre Heimatwelt senden? Und vor allem, auf welchem Wege? Nehmen die Drachenschiffe sie wieder mit? All das wollen die Auditoren mit mir klären. Ich hoffe, es geht schnell und unkompliziert.‘

 

Anschliessend zeigte er mir, nach welchen Gesichtspunkten ich seine Touren zusammenstellen sollte. War auch nicht zu kompliziert. Mit Hilfe der jeweiligen Lebensbücher sollte ich sie nach Nasen, Augen und Ohren sortieren. Immer zuerst die mit den spitzen Ohren, an zweiter Stelle kamen die Wesen mit einer ungeraden Anzahl von Augen und am Schluss die grossen Mäuler. Es war für mich ziemlich erstaunlich, wieviele unterschiedliche Wesen es auf der Scheibenwelt gab. War mir bis dahin nicht aufgefallen, obwohl ich bereits viel gesehen hatte. Naja, anschliessend sollte ich mit Hilfe der Karten an der Bürowand eine möglichst effektive Tour zusammenstellen, immer unter Beachtung der Todeszeitpunkte. Es war offensichtlich möglich, in den meisten Fällen diesen Zeitpunkt etwas zu variieren. Klar, wenn jemand einen Felsen herunterfiel, gab es wenig Variationsmöglichkeiten, jedoch bei einem natürlichem Tode kam es wohl nicht auf die Minuten an. Tod vertraute mir da erst einmal, dass ich schon die richtigen Entscheidungen treffen würde. Er wolle es mir schon sagen, falls ich da mal falsch entschieden hätte.

 

Danach ging er mit mir nach draussen, um mir mein Pferd zu zeigen. Er meinte zwar, es wäre ebenfalls ein Schimmel, doch für mich sah es sehr klapprig aus. Es bestand nur aus Knochen, aber diese waren gut sortiert. Ich hoffte nur, dass dieses Skelett nicht unterwegs durchbrach. Da wollte Tod von mir wissen, ob ich etwa unter Höhenangst leide.

 

‚Nein!‘, antwortete ich. ‚Höhe kann nicht töten. Erst wenn wir mit dem Boden zusammenstossen, wird es unangenehm. Dabei habe ich keinen Streit mit ihm.‘

 

‚Naja, wir trampeln ihm ständig auf dem Kopf rum.‘

 

‚Siehst du! Der Boden ist es, vor dem wir uns fürchten sollten. Nicht die Höhe. Umso höher wir sind, umso mehr Zeit bleibt uns für das Leben.‘

 

‚Hmm, du leidest wohl unter einer chronischen Bereitschaft zur Hysterie?‘

 

‚Aachchh! Ich würde eher sagen, dass ich in bestimmten Fällen schnell vom Optimismus zum Pessimismus konvertiere. Hysterie ist eher unangebracht. Man kann an der Situation doch nichts mehr ändern.‘

 

‚Denke einfach immer dran, solange du das Leben nicht spürst, hast du keines. Leben heisst immer Risiken eingehen. Umso grösser diese sind, umso grösser wird das Prickeln. Viele Wesen verpassen das ihre, weil sie nur damit beschäftigt sind, wie sie am besten am Leben bleiben und jedes Risiko vermeiden.‘

 

Womit er natürlich Recht hatte. Tod konnte manchmal auf einfachste Weise tief philosophisch werden. Hatte sicher viel mit seinem Job zu tun.

 

Anlässlich unseres Deals lud er mich danach zum Essen ein, in das angeblich beste Restaurant auf der Scheibenwelt. Ich bräuchte jetzt zwar nicht wirklich essen, ich würde ja vorübergehend über seine Fähigkeiten verfügen. Da die Nahrung jedoch nicht aus mir herausfallen könnte – wie bei ihm –, solle ich es ruhig tun. Rein aus Gewohnheit, damit ich es nicht verlernen würde…

Mein erster Schnitt

Tod forderte mich auf, mit der vollen Ausrüstung – also mit eigenem Pferd und Sense sowie einigen seiner Sanduhren am Gürtel – abzureisen. Es wäre sicher lehrreich für mich, wenn ich ihn nach dem Essen auf seiner Tour begleiten würde. Dann könnte ich besser verstehen, was in meinem Job in den nächsten Tagen wirklich wichtig sei. Und ich könne ihm einmal zeigen, wie gut mein Schnitt wäre. Er wolle nicht, dass jemand unnötig leiden müsse, weil ich die Sense nicht richtig führen könnte. Ich hatte ihm vorher gestanden, dass ich noch nie eine in der Hand gehalten hätte…

 

Nach einem schnellen Rundritt über beide Welten - damit ich einen Überblick bekam, wo was liegt - entführte mich Tod in eine abgelegene Gegend der Oberwelt, an den Rand der grössten Wüste des Kontinentes. Dort, am Eingang zu einem tiefen, zerklüfteten Tal gab es eine Karawanserei und einen Hafen für Wüstenschiffe. Ja, durch diese Wüste reisten die Kaufleute ebenfalls in Schiffen, die von zweihöckrigen, kleinen (jungen?) Drachen über den Boden gezogen wurden. Dabei erzeugten diese Schiffe einen eigenartigen knirschenden Ton, der ziemlich nervend war. Es waren mehrere Schiffe auf dem Weg zu diesem Hafen. Vor dem Gebäude war es so laut, dass man nicht einmal seine eigenen Gedanken hören konnte. Und heiss war es, so heiss, dass selbst der Ventilator im Gastraum einen eigenen Ventilator benötigte.

 

Doch Tod war der Meinung, in dieser Karawanserei würde das am besten duftende Mahl der gesamten Scheibenwelt serviert. Es duftete wirklich hervorragend, über den Geschmack hätte ich mich gerne mit ihm gestritten, liess es jedoch sein. Der Tee im Gegensatz war einzigartig und äusserst erfrischend.

 

Als wir wieder nach draussen gingen, hatte sich die gesamte Szenerie erheblich gewandelt. Alle Schiffe lagen im Hafen und über der Wüste flirrte die Luft. Es sah wirklich so aus, als ob diese Schiffe im Wasser lagen. Und in der Wüste war ein auf dem Kopf stehender Berg zu sehen. Ich zeigte auf ihn und fragte Tod, ob es auf der Scheibenwelt solche Berge gäbe oder ob dies lediglich eine Täuschung wäre.

 

 

‚Das ist `ne Fette Morgana‘, wurde ich korrigiert. ‚Vor langer, langer Zeit kam eine ziemlich unangenehme Hexe mit Artus, Merlin und dieser Bande hier an. Sie hiess Morgan Le Fay. Da sie aber unerträglich war, haben die anderen sie ziemlich schnell vergrault und sie hat sich in dieser Wüste angesiedelt. Zur Irreführung der Reisenden, damit ihr Domizil nicht gefunden werden konnte, schuf sie solche Irrbilder. Ein Grund dafür, dass ich nie in dieser Wüste hier zur Tat schreite, auch ich verirre mich hier extrem schnell.‘

 

‚Heisst dies, Morgan le Fay lebt noch hier irgendwo?‘

 

‚Nein! Ich habe sie irgendwann auf einem Ausflug in die Berge erwischt. Wie auch jeden anderen, der eigentlich hier zum Sterben bereit war. Alle verlassen diese Wüste auf dem kürzesten Wege. Habe noch nie Probleme deshalb bekommen… Aber lass uns losziehen! Wir haben viel Arbeit zu erledigen.‘

 

Er ritt mit mir zu einer genau Newor Leans gegenüber liegenden Stadt mit vielen Tempeln. Deshalb waren wohl auch mehr als die Hälfte ihrer Einwohner Mönche. Ansonsten sah sie nicht viel anders aus, als das, was ich bisher schon von der Scheibenwelt kannte. Es gab sogar ein extrem grosses Vergnügungsviertel vor den Toren. In dieses führte mich Tod: ‚Wir haben noch ein paar Minuten. Möchtest du diese zum Lachen nutzen oder lieber ins Kabarett?‘

 

‚Was ist der Unterschied?‘

 

‚Naja, das wirkliche Leben ist viel lustiger als diese krampfhaften Versuche der Kabaretts. Ausserdem wartet unser erster Job in diesem hier. Und das ist nun wirklich nicht lustig.‘

 

Wir banden unsere Pferde neben der Tür zu einem ‚Cabaret Voll Teer‘ an. Diesen Namen fand selbst ich nicht lustig. ‚Lass uns gleich hier warten und das Leben in dieser Gasse geniessen‘, schlug Tod vor.

 

Ich lehnte mich an die Aussenwand des Gebäudes und diese vermittelte mir das Gefühl, strohdumm zu sein. Sie gab nach und ich fiel nach hinten in das Cabaret hinein. Mitten durch einen Tisch mit leeren Stühlen. Keinem der Besucher schien dies jedoch aufzufallen. Tod beugte sich durch die Wand über mich und reichte mir seine helfende Hand: ‚Ich habe dir doch gesagt, du verfügst jetzt über all meine Fähigkeiten. Dazu zählt auch, dass du durch Wände gehen kannst.‘

 

Als ich wieder aufrecht draussen stand, musste ich eine schon ewig in mir rumorende Frage stellen: ‚Aber warum fallen wir dann nicht durch den Boden?‘

 

Tod sah mich völlig verwirrt an: ‚Wie kommst du da drauf?

 

‚Naja, wenn wir durch Wände, also feste Materie laufen können, warum fallen wir dann nicht durch den Boden, der ja ebenfalls nur feste Materie ist? Darüber habe ich mich schon bei vielen Filmen gewundert. Ist doch unlogisch.‘

 

‚Keine Ahnung! Haben sicher die Drehbuchautoren so festgelegt.‘

 

‚Aber wir sind doch hier im echten Leben und nicht im Film.‘

 

‚Woher weisst du das so genau? So wie jedes Wesen im Universum sein eigenes Lebensbuch hat, hat auch das Universum eines. Und die Auditoren sorgen dafür, dass alles wie aufgeschrieben passiert. Betrachte dies als Drehbuch!‘

 

Das war nicht die Antwort, die ich mir gewünscht hatte. Immer wenn ich diese Frage auf einer der Fanconventions stellte, bekam ich die gleiche Antwort. Nun sogar vom Tod. Aber wie kann das wirklich funktionieren?

 

In diesem Moment wurde ein Troll völlig trunken aus der Kneipe gegenüber geworfen und die Strasse entschied sich urplötzlich, für ihn zur Mauer zu werden. Obwohl sie mit der Rolle, die die Schwerkraft ihr zugeschrieben hatte, durchaus zufrieden waren, näherten sich die Pflastersteine seinem Gesicht. Eigentlich ein die gesamte Scheibe erschütterndes Ereignis: Ein weiteres Wesen benötigte ein Gebiss. Ich fand‘s lustig, sorry…

 

 

Tod zog mich am Ärmel: ‚Lass ihn! Der hat noch Zeit. Wir müssen jetzt hier rein.‘

 

Und wieder betraten wir das Cabaret durch die Wand. Der Zwerg auf der Bühne philosophierte gerade wenig lustig über den Tod. Nur die Claqueure in den ersten Reihen lachten gezwungen. Der Zwerg jedoch schien uns zu sehen. Er sprach uns direkt an und freute sich über diesen Einfall des Managers. Er bat uns auf die Bühne und stellte uns dem verdutzten Publikum vor. Dieses nahm uns wiederum nicht wahr. Tod meinte nur lakonisch ‚Es ist Zeit für dich!‘ und schwang seine Sense. Eine kleine Rauchwolke zog aus dem Körper in Richtung Decke und dem Zwerg fiel der Kopf nach vorne auf die Brust. Das Publikum tobte. Tod zog mich weg: ‚Wir haben hier noch einen Job. Vielleicht zeigst du mal, wie du mit der Sense arbeitest?‘

 

Wir gingen an einen der hinteren Tische, wo eine ältere Frau sass und ihre Hände krampfhaft vor der Brust hielt. Auch sie erkannte uns beide und fragte Tod, was er hier wolle. ‚Wir sind dein letztes Date‘, meinte Tod zu ihr und nickte mir zu. Ich schwang meine Sense über ihrem Kopf und wieder verliess ein kleines Wölkchen einen Körper. Irgendwie fühlte ich mich gar nicht wohl in dieser Rolle. Hatte ich sie getötet? Oder ihr nur geholfen, in ein anderes Leben zu entschwinden? Tod klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Doch ich machte mir so meine Gedanken, während wir das Cabaret verliessen und uns auf die Pferde schwangen.

 

‚Wir haben noch etwas Zeit bis zum nächsten Kunden‘ meinte da Tod. ‚Lass uns was trinken gehen!‘

 

Dieses Mal ging es nach Neisa und in seine Hauptstadt. Tod zeigte mir dort eines der Hexencafes. Witzige Einrichtung! Die grosse Eingangstür schien nur auf die Mauer gemalt zu sein. Man betrat das Cafe durch eine Hintertür. ‚Hexen reagieren allergisch auf Vordertüren‘, erklärte mir Tod. Drinnen war es urgemütlich und dennoch ungewöhnlich. Wir zwei waren scheinbar die einzigen männlichen Gäste, naja, eventuell waren einige der vielen Katzen auch Kater. Diese Katzen reagierten auf uns, die Frauen eher nicht. Vor allem Tod strichen einige der Katzen (oder Kater?) ständig vor den knochigen Beinen herum. Er musste höllisch aufpassen, dass er nicht stolperte.

 

Wir gingen an den Tresen. Er schnappte sich zwei Gläser und eine Flasche mit einer giftgrünen Flüssigkeit, in der Frösche herumschwammen, scheinbar lebendige, und legte zwei Münzen aus seinem Beutel auf den Tresen. Die Dame hinter diesem rief daraufhin in den Raum: ‚Hei, Emma! Er ist wohl schon hier.‘ Dabei zeigte sie die beiden Münzen hoch. ‚Ich habe noch ´ne gute halbe Stunde‘, rief diese zurück. Tod nickte nur.

 

Ich wollte mich gleich an den Tisch am Tresen setzen, doch Tod hielt mich zurück: ‚Das sind Stammplätze! Diese Sessel beissen dir den Schniedel ab.‘ Er zeigte auf einen Tisch neben der Toilette: ‚Das sind die Plätze für die Laufkundschaft, besonders für die männliche. Diese Sessel sind sicherer.‘

 

Er schenkte uns beiden jeweils einen Sto-Gram ein und meinte, dass dies meine Gedanken leichter machen würde. So richtig konnte ich mich jedoch mit dem Frosch, der nun in meinem Glas herumschwamm, nicht anfreunden. ‚Den trinkt man nicht mit, der ist nur für den Geschmack‘, erklärte mir Tod.

 

‚Wenn der für den Geschmack ist, wieso soll er dann nicht in den Schlund?‘

 

‚Seine Haut enthält das Gegengift zum Drink! Also runter damit!‘ Er selbst roch nur an seinem Schnaps, schüttelte sich dennoch danach. Seine Knochen klapperten ziemlich kräftig.

 

Auch wenn es scheusslich schmeckte und ich mich ebenfalls kräftig schütteln musste, tat mir das Getränk gut. Ich fühlte mich mit einem Schlag der örtlichen Kirchenuhr 70 Kilo leichter. Mann, war diese Glocke laut. Ich stellte Tod das Glas zum Nachfüllen vor die Nase. Dabei fiel mir auf, ich konnte allen Gesprächen im Raume genau folgen. ‚Was ist das eigentlich für ein Zeugs?‘, fragte ich Tod.

 

‚Ist `ne Erfindung der Damen hier. Sie haben einen Trunk gemixt, der dir das Gefühl gibt, all dein Gewicht zu verlieren, die Sinne schärft und die Nerven beruhigt.‘

 

‚Und fühlst du dich leichter?‘

 

‚Nein! Das Knochengerüst können sie noch nicht wegzaubern. Ich werde nicht leichter. Nerven habe ich ebenfalls nicht. Und meine Sinne sind scharf genug. Aber bei dir sollte er wirken.‘

 

‚Sicher! Deshalb habe ich ja gefragt.‘

 

‚Und, hast du deine Gedanken über deinen ersten Job überwinden können?‘

 

‚Welche Gedanken?‘

 

‚Okay! Jetzt kommt gleich der nächste Job. Stecke dir die Flasche ein – du wirst sie heute noch brauchen.‘ Er stand auf und ging zu dieser Emma hinüber. Ich folgte ihm.

 

‚Da isser ja‘, rief diese aus. ‚Die sind sogar zu zweit gekommen. Welch Ehre! Darf ich noch einen Drink nehmen, bevor du deinen Job machst?‘

 

‚Na klar! Aber nicht herauszögern!‘

 

‚Also, Schwestern beiderlei Geschlechtes, gehabt euch alle wohl! Das Leben mit euch hat Spass gemacht. Und vergesst mich nicht so schnell!‘ Alle erhoben ihr Glas, meine Ohren schmerzten vom Geklirr und Tod tat seinen Schnitt. Emma sank mit der Bitte nach mehr Licht auf ihren Lippen in ihren Sessel und ein weiteres Wölkchen zog gen Himmel.

 

Tod griff nach meinem Mantel und zog mich mit: ‚Dieses Mal müssen wir uns beeilen. Aber der nächste Job wird twistig. Es geht nach Brrr.‘

 

Wir pfiffen nach unseren Pferden und es ging zu einer grossen Stadt am Meer. Dort ging es zu einer riesigen, verkehrsreichen Kreuzung im Zentrum hinab. Wieder liessen wir unsere Pferde einfach laufen. An einer der Ecken versuchte die örtliche Rollatorbande, bestehend aus bestimmt zehn älteren Damen, sicher über die Strasse zu kommen. Eine Ampel gab es nicht. Auch keinen, der den Verkehr regelte. Immer wieder schoben die Damen ihre Rollatoren auf die Strasse, und weil niemand anhielt, gleich wieder zurück. In diesem Moment näherte sich eine grosse Gruppe von Reitern der Kreuzung. Die Geräuschkulisse war ohrenbetäubend, so laut klapperten die Rüstungen. Mit gezogenem Schwert näherten sich die Ritter der Kreuzung. Ein Mönch dort begann sofort mit innigen Gebeten.

 

Beim Näherkommen konnte ich sehen, was diese Reiter auf ihre Schilder gemalt hatten. Dort war ein Teufelsgesicht zu sehen, darüber stand in verschnörkelter Schrift ‚Brrr, Höllenritter!‘. Ich griff sofort stärker nach meiner Sense: Alles erweckte den Eindruck, wir würden bald ein Massaker erleben. Doch dann wendete sich das Blatt. Die Höllenritter von Brrr stoppten völlig überraschend ab und ihr Führer bedeutete den Damen, dass sie die Strasse überqueren könnten. Doch die nachfolgenden Reiter waren auf dieses plötzliche Halten nicht gefasst gewesen. Es gab ein mächtiges Kuddelmuddel und einige der Ritter verloren ihren Halt auf dem Pferd. Mit viel Getöse fielen sie in den Dreck. Tod zog mich am Ärmel in Richtung dieses Gewühles, durch die Damen hindurch. Sie erreichten die andere Seite der Kreuzung ungefährdet. Doch von den Rittern blieben zwei auf der Strasse liegen. Tod fragte mich: ‚Willst du den Genickbruch? Oder den Infrakt?‘

 

Auf diese Frage war ich nicht gefasst und nickte nur. Tod wies mich nach links, wo ein äusserst kräftiger junger Herr im Drecke lag und feststellte, dass ich keine schwarze Kutte trug. Ich waltete meines Amtes.

 

Tod kam zu mir herüber und schlug vor, erst einmal in sein Reich zurückzureiten. Das wäre jetzt genug für den Anfang. Den heutigen Rest könne er später, in der Nacht, noch alleine erledigen. Ich solle mich lieber ausruhen, damit ich am Morgen meine Hausaufgaben erledigen und seine nächste Tour festlegen könnte.

Die Nacht mit Kardi

Ohne Müh‘ und ohne Not erreichten wir sein Reich, an meiner Seite ritt der Tod. Dabei fiel mir auf, die Scheibe ist gar nicht so dick. Vielleicht 10 km, oder so. Dass diese nicht auf den Rücken der Elefanten zerbricht, erschien mir deshalb rätselhaft. Doch Tod meinte, die Lufthülle gibt der Sache die Spannung, die Scheibe würde lediglich in der Luft schweben. Weder die Elefanten noch die Schildkröte würden ihr Gewicht spüren. Das gesamte System wäre ein sehr stabiles. Es würde selbst noch mit drei Elefanten störungsfrei funktionieren. Er wüsste dies, weil ab und an mal einer von ihnen ausgetauscht würde.

 

Kardi erwartete uns bereits und nahm die Pferde in Empfang. Er fragte mich sogar, ob ich etwas essen wolle. Tod jedoch nahm ihn zur Seite, um seine Zusatzaufgaben für den nächsten Tag zu besprechen. Die Auditoren würden hier vor dem Frühstück auftauchen, um ihn, Tod, auf den möglichen Tod der Touristen einzustimmen. Ich dürfe auf keinen Fall seinen Besuchern über den Weg laufen. Deshalb solle er sie durch die Hintertür direkt in sein Privatgemach einlassen, damit ich ihnen nicht zufällig im Flur über den Weg laufen könnte. Dabei wäre ich diesen so gerne begegnet. Immerhin war ihnen die gesamte Geschichte des Universums vertraut, und ich wollte doch nur meine kennenlernen. Was ist daran verkehrt? Kardi schien meine Gedanken zu erraten. Er flüsterte mir ins Ohr, dass das Universum im Chaos enden würde. Und damit kämen diese Auditoren nicht klar. Deshalb würden sie immer darauf achten, dass alles wie geplant abliefe und niemand im Voraus wisse, was kommen würde. Das gäbe den anderen Lebewesen das Gefühl, sie wären die Herren über ihr Schicksal. Schon deshalb wollten sie die Regel, jeder solle auf seinem Heimatplaneten sterben, jetzt ausser Kraft setzen. Wo kämen wir denn hin, wenn auf diese Art jeder sein Leben endlos verlängern könnte, in dem er im All herumreisen würde.

 

Er zeigte mir mein Zimmer, welches genau gegenüber von Tods Arbeitszimmer lag. Und er wies mich darauf hin, dass es sicher besser für meinen Magen wäre, wenn ich bereits mein Frühstück in der Normalwelt einnehmen würde. Ich erinnerte mich gut an seine Kochkünste und konnte ihm nur beipflichten. Er zeigte auf eine Seitentür und erklärte mir, dass sich dahinter ein modernes Bad mit allen bekannten Bequemlichkeiten befände. Sein Herr wüsste jetzt schon, wie sich die Technik in den nächsten 1,000 Jahren entwickeln würde. Und obwohl er diese Dinge selbst nicht nötig hätte, er umgäbe sich gerne mit den neuesten Errungenschaften. Da hier auf seiner Farm, ja, er sagte Farm, keine Zeit existieren würde, mache er hin und wieder auch Ausflüge in andere Zeit-Perioden. Etwa so wie dieser Doktor mit seiner blauen Kiste. Tod bliebe dabei jedoch auf die Scheibe beschränkt, ihm fehle so ein intergalaktisches Reiseklo.

 

Ich schaute in meines herein, und es sah dort aus wie in meinem Bad zu Hause und vor allem war es nicht viel grösser als draussen. Es war sogar sauber und mit ausreichend Papier versorgt. Ich war zufrieden. Anschliessend entdeckte ich meinen Koffer und einen ganzen Haufen weiterer Dinge, die nicht alle mir gehörten. Kardi meinte jedoch nur, dass würde nichts machen. Alles, was nicht in den Koffer passen würde, wäre eh untragbar. Ich könne es später hier lassen, im Laufe der Jahrhunderte würde es schon hinweg diffundieren. Es kämen hier zwar selten Gäste, doch diese nehmen generell Souvenirs mit. In mehreren hundert Jahren wäre alles weg, und die vergehen auf der Farm schnell…

 

Doch als ich die Flasche mit dem Getränk der Hexen auf meinen Nachttisch stellte, rannte er sofort los und holte zwei saubere Gläser und einen zweiten Stuhl. Da bemerkte ich, was im Zimmer fehlte: Ein Tisch! Es gab zwar ein Brett an der Wand, welches unter Umständen als Schreibfläche durchgehen könnte. Und auch EINEN Sessel in der Ecke, von dem man auf den nicht vorhandenen Fernseher hätte schauen können – oder aus dem Fenster in diesen mehrheitlich schwarzen Garten. Doch es war eindeutig ein Doppelbett vorhanden. Durfte man hier etwa keine Gäste empfangen? ‚Gibt es hier irgendwo eine gemütliche Ecke, in die wir uns setzen könnten? Hier ist es eher nur zum Schlafen gemütlich. Eine zweite Person im Zimmer ist wohl nicht vorgesehen?‘

 

‚Nur meine Küche – und die habe ich nach eurem Besuch neulich noch nicht sauber gemacht. Hatte nicht so schnell mit weiteren Gästen gerechnet.‘

 

Naja, diese Küche war auch nicht besser geeignet, egal ob sauber oder nicht. Ich setzte mich auf das Bett und es hielt mich nicht. Ich knallte mit dem Hinterteil ungebremst auf den Fussboden. Wie halten das Kleinkinder aus? Tat höllisch weh. Dabei fiel Kardi fiel auf, ich besass jetzt die Fähigkeiten seines Bosses: ‚Du musst dir vorstellen, das Bett ist ein Möbelstück! Ansonsten gehst du durch es hindurch wie durch eine Wand. Aber stehe erst auf, bevor du es neu versuchst. Ich möchte dich nicht aus dem Bett pulen.‘

 

Ich stand auf, um es erneut zu probieren. Es gelang. Wenn doch alles so einfach wäre. Ich öffnete die Flasche und goss uns beiden je einen Schluck ein. Wir prosteten uns zu und in diesem Augenblick fiel ein riesiges Porträt von der Wand. Mein Frosch hüpfte vor Schreck aus dem Glas. Ich versuchte, mir einen neuen aus der Flasche zu angeln.

 

‚Das war eh schon abgehangen. Bringe morgen ein neues an‘, war der lapidare Kommentar Kardis zum Bild. Ich hoffte nur, es würde ein fröhlicheres sein. War aber nicht zu erwarten, in Tods Reich. Irgendwie erschien mir inzwischen, als würde sich Tods Welt in einem frühkomatösen Zustand befinden. Nicht nur in seinem Haus sah alles farblos aus. Wie ertrug Kardi dies nur?

 

‚Wenn es um dein Leben geht, bist du zu vielen Kompromissen bereit‘, antwortete er mir.

 

‚Wie meinst du das?‘

 

‚Wir kennen uns doch schon seit über 1,000 Jahren. Erinnerst du dich nicht? Wir sind uns bei Merlin, am Tag bevor Gandalf ankam, begegnet. Mir gelang es später, mit Hilfe eines der Bücher von Merlin in Tods Reich zu emigrieren. Hier gibt es keine Zeit, man altert nicht. Nur in der realen Scheibenwelt. Anfänglich habe ich weiter die Nie Gesehene Universität besucht und Vorlesungen gehalten. Bis ich herausfand, der Preis dafür ist zu hoch, war ich bereits um weitere zwanzig Jahre gealtert. Inzwischen habe ich mein Lebensbuch gesehen. Mir bleiben nur noch Stunden, bevor der Boss auch mich entlassen muss. Also verlasse ich sein Reich nicht mehr, und er unterstützt mich. Er braucht mich für seine Bequemlichkeit. Er mag nicht kochen, oder sich um sein Pferd kümmern. Habe mich sozusagen unentbehrlich gemacht und extrem viel gelernt über die Jahrhunderte. Kann das Wissen nur nicht anwenden, und aufschreiben lohnt nicht. Alles was hier niedergeschrieben wird, ist ausserhalb nicht mehr entzifferbar. Damit ist es schlimmer als dieses Kame Tantra Sexmagie Buch. Dieses ist so heiss, dass es nur in einem Wassertank gelagert werden konnte. Viele sind ertrunken, weil sie sich nicht rechtzeitig losreissen konnten. Wird dir eventuell in den nächsten Tagen auffallen. Alle drei, vier Tage muss der Boss zur Nie Gesehenen Universität, um Ertrunkene von ihren Seelen zu trennen…‘

 

Er redete und redete und hörte nicht auf. War er vom Hexen-Trunk so gesprächig geworden? Oder fehlte ihm hier der entsprechende Gesprächspartner? Keine Ahnung! Im Grunde war es schon interessant, was er so erzählte. Doch irgendwann wollte ich ins Bett. Mich machten seine Rede und der Trank gleichermassen müde. Konnte kaum noch meine Augen offenhalten. Und Kardi bemerkte es nicht. Er gab mir viele Tipps zum Leben in Tods Reich. Dabei hatte ich nicht vor, länger zu bleiben. Zu Hause auf der Erde wartete nach dem Urlaub wieder Arbeit auf mich. Ich wollte nach meiner Zeit bei Tod zurück. Hatte ich doch ziemlich viel Geld für den Urlaub bezahlt. Ich sollte erst später merken, dass Tod die Wahrheit gesprochen hatte – betreffs der Kosten.

 

Dann hatte ich doch noch eine Frage: ‚Dieses Zeitding, von wegen, dass sie hier nicht vergeht, gilt das auch für mich hier? Heisst das, ich könnte nach meinem Eindruck mehrere Monate hierbleiben und doch rechtzeitig mein Schiff erreichen?‘

 

‚Nee, nee! Wir befinden uns immer noch auf der Scheibenwelt, ausserhalb dieses Gartens vergeht die Zeit ganz normal. Auf diesem Hof gibt es keine Zeit, was lediglich bedeutet, wir werden hier nicht älter. Wenn du hier einen vollen Tag schläfst, vergehen auch vierundzwanzig Stunden. Du wachst nach dieser Zeit auf und bist keine Minute älter. Mehr passiert nicht. Das Blöde dabei: Wenn dir der Boss sagt, du musst in vier Stunden fertig sein, musst du in vier Stunden fertig sein – ohne selbst kontrollieren zu können, wieviel Zeit vergangen ist. Selbst Sanduhren gehen hier falsch, nur die Lebensuhren nicht.‘

 

‚Ahh, ist mir jetzt zu kompliziert. Die Zeit vergeht, ohne dass ich es merke. Die paar Tage komme ich damit schon klar. Lass uns noch einen trinken! Und dann leg ich mich hin. Muss ja morgen arbeiten, und das in meinem Urlaub. Tod kann einen echt zu Dingen überreden, die man nicht tun will.‘

 

‚Ja! Da ist er gut darin. Aber er zahlt extrem anständig. Das macht viel wett.‘

 

In diesem Moment schrillten draussen im Gang die Alarmglocken. Hatte nicht gewusst, dass es hier welche gab.

 

‚Da hat wieder jemand vom Jungbrunnen getrunken‘, erklärte Kardi. ‚Da musst du los, dies sind die einzigen Fälle, die die Lebensbücher nicht berücksichtigen.‘

 

‚Ich denke, ein Jungbrunnen verlängert das Leben?‘

 

‚Ja! Aber nur, wenn du das Wasser vorher abkochst. Lernt jedes Kind – doch in ihrer Begeisterung vergessen dies alle, wenn sie ihn schon mal gefunden haben… Sattel den Schimmel! Und schnapp dir deine Ausrüstung. Lass den armen Kerl nicht zu lange leiden. Ich bringe dir noch schnell einen Kaffee in den Stall, damit du mir nicht vom Pferd fällst.‘

 

‚Und woher weisst du, dass es ein Kerl ist?‘

 

‚Weiss ich nicht. Ist jedoch fast nie eine Frau. Der Jungbrunnen liegt ziemlich versteckt in einem wilden Tal und wird gut bewacht. Das tun sich fast nur Männer an. Vielleicht mal eine Hexe, wenn die herausfinden, wo der Jungbrunnen ist, nutzen die ihren Besen. Doch die kochen eh alles ab, den passiert nichts. Rohkost mögen sie nicht.‘

 

Ich ging in den Stall und tat mein Bestes, um das Pferd bereit zu machen. Nach fünf Minuten kam Kardi mit dem Kaffee: ‚Hier, trink! Ich sattel den Grauen, das musst du noch lernen. Also schau zu!‘

Mein erster Tag im neuen Job

Tod hielt Wort. Er trommelte mich in aller Früh aus dem Bett. Wie nur kam er auf solche Ideen? Und wofür brauchte er solch eine grosse Trommel?

 

‚Auf jetzt! In einer halben Stunde fangen meine zweite und deine erste Schicht an, und vorher wollte ich noch mit dir essen gehen‘, rief er mir durch das Fenster zu.

 

Ich sprang auf und folgte ihm, gleich auf dem kürzesten Weg durch das Fenster. Duschen konnte ich später, dachte ich mir so. Dieses Mal entführte er mich in eine Stadt auf der Unterseite. Hier schienen gerade die abendlichen Stunden anzubrechen. Die gesamte Stadt schien auf den Beinen zu sein. Was war los? Tod meinte nur, die Nacht des Samstags stünde unmittelbar vor dem Tor. Da wolle er mit mir durch und an einem kräftigen Frühstück schnuppern. Bei genauerer Betrachtung erschien mir die Unterwelt nicht allzu verschieden zur Oberwelt. Mit Ausnahme der eigenartigen Sonnenscheingepflogenheiten ging hier alles seinen von anderen Welten her bekannten Gang. Später sollte mir noch auffallen, die Leute hier waren etwas leichter reizbar als anderswo. Aber das war es dann schon. Auch sah die Stadt hier fast wie ein Duplikat von Newor Leans aus. Und im Hafen lag ebenfalls eines der Drachenschiffe und spuckte Touristen aus anderen Welten aus. Genau wie oben waren um diesen Hafen herum eine Unzahl von Touri-Fallen versteckt, und viele von ihnen traten nahezu freudig hinein. Die meisten schienen das nicht einmal zu bemerken. Es war eine Welt wie jede andere.

 

Tod führte mich in eines der etwas abgelegeneren Viertel dieses Ortes - in ein eher ungewöhnliches Etablissement, um ein Frühstück zu sich nehmen. Das gesamte Erdgeschoss war offen zur Strasse hin und alle Tische waren von jungen Damen in ziemlich spärlicher Bekleidung besetzt. Doch das, was sie so vor sich auf den Tischen hatte, konnte durchaus als Frühstück durchgehen. Tod schien zu wissen, was ich erwartete. Er fand auch einen unbesetzten Tisch in der hintersten Ecke, gleich neben dem Buffet. Ich bediente mich schamlos, vor allem an den zweideutig präsentierten Tellern. Auch Tod nahm sich zwei der Teller, die mit angenehm riechenden Happen bestückt waren. Kaum sassen wir, tauchte eine junge Dame an unserem Tisch auf und goss uns jeweils einen stark duftenden Kaffee ein.

 

‚Du sollst mir nicht vom Fleische fallen‘, meinte Tod. ‚Kardis Kochkünste sind eher sehr bescheiden. Er haut nur heftig riechende Substanzen zusammen, um mich zufrieden zu stellen. Habe selten erlebt, dass meine Gäste mit seinen Gerichten zufrieden waren. Hier dafür achtet man den Gast und das Leben in dieser Gegend erwacht erst so richtig am Abend, deshalb gibt es eine Art sehr spätes Frühstück. Ausserdem belästigt uns niemand, man nimmt uns schlicht nicht wahr.‘

 

Pünktlich nach einer halben Stunde stand Tod auf und schickte mich nach Hause. Ich solle rechtzeitig anfangen, der Job wäre neu und ich müsste mich da erst hinein wursteln. Ich könne mir ja die Wurstreste als Snacks mitnehmen. Gerade heute stünde ihm eine harte Nacht bevor, nachdem ihm die Auditoren die nicht vorhandenen Ohren abgekaut hätten. Ihm graue es bereits davor. Deshalb hätte er sich für diese Unterweltnacht etwas sparsam mit Jobs eingedeckt. Er wolle rechtzeitig zurück sein, um meine Arbeit noch kontrollieren zu können. Er pfiff nach unseren Pferden und, nachdem ich auf dem meinigen sass, warf er mir noch zwei Papiertüten zu: ‚Eine ist für die Katz‘!‘ Damit war er verschwunden.

 

Ich überliess es meinem Schimmel, den richtigen Weg zu finden, nach nicht einmal drei Minuten landete ich direkt vor meinem Fenster. Ich stieg gleich vom Pferd durchs Fenster in mein Zimmer. Der Graue würde den Rest des Weges auch alleine finden. Ich wollte wenigstens noch kurz unter die Dusche in der Zeit, die Kardi sicher brauchte, um mein Reittier zu versorgen. Doch es sollte nicht sein. Er stand schon in meinem Zimmer, um mich einzuweisen. Er gab mir nicht einmal die Zeit, um die beiden Fresspakete, die ich in der Hand hatte, abzustellen.

 

‚Du bist ziemlich spät dran! Es ist viel zu tun heute‘, war sein Willkommensgruss. ‚Welches ist für die Katzen?‘ Sicherheitshalber nahm er mir auf dem Weg ins Büro beide Papiertüten ab. ‚Tod mag es nicht, wenn man an seinem Schreibtisch isst!‘

 

Unterwegs warf er sie in die Küche, und zerrte mich in mein vorübergehendes Büro. Dort verstand ich Tods Bedenken. Sein Schreibtisch brach fast unter der Last eines riesigen Stapels von Lebensbüchern zusammen. Dazu war noch ein viel grösserer Stapel in einer der Ecken am Wachsen. Wie aus dem Nichts landeten immer wieder neue Bücher auf beiden Stapeln.

 

‚Auf dem Schreibtisch findest du die aktuellen Bücher der Scheibenwelt für heute. Grau ist für die Oberwelt, tiefschwarz für die Unterwelt. In der Ecke sind alle Lebensbücher der Touristen, die im Augenblick auf der Scheibenwelt weilen. Da ist gerade wieder ein Schiff angekommen. Es stirbt heute aber keiner von ihnen. D. h. wichtig für dich ist nur der Schreibtisch. Die Bücher dort musst du entsprechend sortieren und die dazugehörenden Sanduhren aus den Regalen zuordnen. Die aktuellen rutschen immer nach Vorne, das geht schnell. Die richtige Reihenfolge für die Tour dauert… Ach, dein Buch brauchst du nicht zu suchen. Es ist nicht dabei. Solange du für Tod arbeitest, bist du vor ihm sicher. Und nun, viel Erfolg. Mich findest du im Stall oder in der Küche, wenn du Fragen hast… Ach so, wenn du eines der Bücher aufschlägst, schau auf die Karten in der Wand.‘

 

Und draussen war er wieder. Ich stand nun einsam vor den Stapeln, wie die sprichwörtliche dumme Kuh vor dem Schreibtisch. Ich getraute mich nicht, um ihn herumzugehen und mich zu setzen. Aus Angst, der Stapel würde mich unter sich begraben. Doch dann sah ich eine Trittleiter in einer Ecke, schnappte sie und griff mir die obersten drei Bücher. Ich staunte, sie waren enorm schwer und dick. Im selben Augenblick erschienen zwei weitere Bücher an ihrer Stelle. Das konnte eine echte Sisyphos-Arbeit werden. Ich fragte mich, ob es mir gelingen würde, diesen Stapel wirklich abzuarbeiten. Noch auf der Leiter schlug ich das erste blaue Buch auf und sah zur Karte der Oberwelt hinüber. Ein Fähnchen erschien dort, mit einer Uhrzeit drauf. Aha, so ging es. ich öffnete die zwei anderen Bücher und auf der jeweiligen Karte erschienen die dazugehörenden Fähnchen. Hinter dem Stapel hörte ich eine Feder kratzen. Nun stieg ich herunter und ging herum. Dort lagen zwei Bücher in den beiden Grautönen, in die diese Feder etwas in jeweils eine Liste schrieb. Ich konnt´s zwar nicht lesen, es schien jedoch seine Richtigkeit zu haben – bildete ich mir ein. Ich ging zum Uhren-Regal hinüber und fand auf Anhieb die entsprechenden Sanduhren, die ich nun mit den Büchern zum Schreibtisch hinüber trug. Ich stellte sie jeweils neben ihre Liste im Buch. Da verschwanden die Bücher in meiner Hand. Aha, so ging das. Wieder die Leiter hoch und das gleiche Spiel noch einmal. Dieses Mal erschien nur ein neues Buch. Ich hatte eine Chance. Bei dieser zweiten Runde schoben sich die Sanduhren auf dem Schreibtisch eigenständig zurecht. Sie schienen selbst die richtige Reihenfolge zu finden. Der Hauptjob schien sich von alleine zu machen. Wenn da nur nicht diese beständige Lauferei gewesen wäre. Das schlauchte ganz schön. Nun hatte ich mal einen Schreibtisch-Job und der war extrem kräftezehrend. Man bekommt nie alles Gute auf einmal. Irgendwas war immer.

 

Als ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, entschied ich mich für eine Pause. Der Stapel auf dem Schreibtisch war nur noch halb so hoch wie am Anfang. Es war also ein guter Moment. Ich hatte keine Ahnung, wieviel Zeit mir noch blieb, bis Tod ein Ergebnis erwartete. Also machte ich mich auf die Suche nach Kardi, er hatte immer noch meine Frühstücksreste. Ich wollte etwas essen, obwohl ich ehrlich gesagt keinen Hunger verspürte.

 

Ich fand Kardi im Gang, wie er an Tods Türe lauschte. Man konnte echt hören, wie er versuchte, kein Geräusch zu machen. Er drehte sich zu mir um, mit dem Finger auf seinem Mund. Ich winkte ihm jedoch zu, um ihn in die Küche zu lotsen. Unwillig folgte er mir.

 

‚Was ist denn los?‘, wollte er von mir hören, als wir in der Küche waren.

 

Ich fragte ihn im Gegensatz, was es denn an der Türe zu hören gäbe. Nichts meinte er. Obwohl dort alle Auditoren drin sein sollten. Plus Tod.

 

‚Naja, was hast du denn erwartet? Dass sich alle gegenseitig anbrüllen? Soweit ich weiss, geht es da um eine Weiterbildung für Tod, und nicht um das weitere Schicksal unseres Universums… Mir geht es jedoch, um mein weiteres Schicksal. Ich muss mal Pause machen und brauche meine Restetüte vom Frühstück!‘

 

‚Du hast mir keine gegeben.‘

 

‚Nee! Gegegeben habe ich es dir nicht, doch du hast es mir abgenommen. Das waren eine Tüte für die Katz – wie sich Tod ausgedrückte – und eine Tüte von mir. Du hast sie in die Küche geworfen, und jetzt brauche ich meine.‘

 

‚Das haben die Katzen gefressen.‘

 

‚Und was soll ich jetzt essen, in meiner Pause?‘

 

‚Weiss ich doch nicht. Ich kann dir was kochen, wenn du willst. Wie weit bist du denn inzwischen?‘

 

‚Naja, die Hälfte ist fertig. Nach der Pause wird der Stapel wohl wieder die alte Höhe erreicht haben. Komme jedoch gut voran.‘

 

‚Was? Erst die Hälfte? In drei, maximal vier Stunden werden die da drin fertig sein. Dann wird Tod los wollen. Du hast nicht einmal Zeit für eine Zigarette, du musst schnellstens weiter machen.‘

 

‚He, ich bin total geschlaucht. Leiter hoch, Leiter runter, zum Regal und so weiter. Bin sicher wenigstens zehn Kilometer gelaufen.‘

 

‚Waaass? Du brauchst dich doch nur in seinen Stuhl zu setzen, und deine Hand aufzumachen. Dann fliegt dir alles zu. Das geht ganz von alleine. Und auf keinen Fall die Sanduhren sortieren. Dann kommen die durcheinander.‘

 

‚Hättest du das nicht gleich sagen können? Probiere ich aus. Du aber verschaffe mir etwas Essbares, einen kleinen Snack wenigstens!‘

 

‚Ich besorge dir was von dem, was sich die Auditoren mitgebracht haben. Mache erst einmal alles fertig, dann melde dich wieder. Deren Essen wirkt bei den einfachen Wesen des Universums Wunder. Du wirst es merken.‘

 

Wie Recht er hatte. Es ging alles wie von alleine. Ich musste nur meine Hand aufmachen, und die Bücher kamen mir zugeflogen. Die andere Hand auf und die entsprechende Sanduhr landete auf dem Schreibtisch. Oh, wie mir meine Beine jetzt weh taten, jetzt, wo ich mich nicht mehr bewegte.

 

Auf einmal war dort kein Buch mehr auf dem Schreibtisch. Und die Sanduhren standen alle in zwei Reihen. Ich hatte es geschafft, bevor Tod im Raum auftauchte. Doch aufstehen konnte ich nicht. Meine Beine waren wie Blei. Ich massierte sie, und nach wenigen Minuten kam das Gefühl in ihnen wieder zurück. Ich griff nach meiner Sense und schleppte mich, gestützt auf sie, in die Küche. Dort fand ich Tod und Kardi vor zwei riesigen Tellern mit Keksen wieder. Ich schnappte mir sofort einen und setzte mich zu ihnen. Doch Kardi zog den Teller wieder weg: ‚Esse erst einmal nur einen von den Keksen! Das ist das sogenannte Manna. Zuviel davon ist kontraproduktiv.‘

 

Ich schnappte mir schnell zwei der Kekse vom Teller: ‚Soweit ich weiss, muss Manna schnell gegessen werden. Über Nacht lässt Gott es verderben.‘

 

‚Das ist ein Mistverständnis! Du redest vom Manna der Götter. Das sollte wirklich schnell gefuttert werden. Das Manna der Auditoren ist was Anderes. Das ist für körperlose Wesen gemacht. Und die können es gleich mit den Tellern essen. Wir sind anders. Unsere Mägen sind nicht dafür geschaffen, zu viel davon zu verdauen. Wir können mehrere Monate von nur einem Teller voll überleben.‘

 

Ich spuckte sofort beide Kekse wieder aus. Ich wollte mich nicht überfressen. Nur die paar Krümel, die ich schon geschluckt hatte, vermittelten mir ein Völlegefühl, wie ich es vorher nicht kannte. Ich riss mir eine Seite aus meinem Notizbuch, welches ich immer bei mir trage, und wickelte die beiden Kekse darin ein. Tod schüttelte nur den Kopf: ‚Hast du alles geschafft?‘

 

‚Ja! Du könntest sofort los. Ich glaube, du hast heute eine Menge zu tun.‘

 

‚Wie kommst du darauf?‘, fragte da Kardi. ‚Es war eher weniger als üblich zu sehen. Ein guter Tag zum Üben.‘

 

‚Naja, wenn wir mal unterwegs waren, trug Tod weit weniger Sanduhren mit sich als da auf dem Schreibtisch stehen.‘

 

‚Aahhh!‘, meinte dieser dazu. ‚Der Doktor hat mir einen speziellen Mantel spendiert. In dessen Taschen kann ich die Sanduhren sehr platzsparend unterbringen. Ich trage nur die nächsten vier, maximal fünf am Gürtel. Früher musste ich mehrfach wieder hier vorbeireiten, um neue abzuholen. Heute kann ich sie alle auf einmal mitnehmen, und habe so noch Zeit für Privates.‘

 

‚Du hast Privates zu tun?‘

 

‚Klar doch! Glaubst du, ich kann meinen Job ohne Pausen erledigen? Ein wenig Spass solltest du mir schon gönnen. So kann ich in Ruhe am Essen schnüffeln. Und hin und wieder eine Katze streicheln. Das gibt Kraft für die nächste Runde… Willst du mitkommen?‘

 

Ich wollte nicht. Konnte mich ja kaum noch bewegen, von den paar Krümeln Manna-Kekse. Ich ging in mein Zimmer und legte mich hin. Draussen herrschte gerade das mittägliche Halbdunkel der Unterwelt. Ich war sofort weg…

Die bestandene Prüfung

Die nächsten zwei Tage vergingen wie im Fluge, ich hatte komplett auf Autopiloten geschaltet. Die Arbeit war ja nicht wirklich schwer, wenn man erst einmal kapiert hatte, wie es ging. Und von den zwei Manna-Keksen konnte ich leben. Ob es an ihrer sättigenden Wirkung lag, oder daran, dass ich – wie Tod am Anfang gesagt hatte – nicht wirklich essen musste, keine Ahnung! Doch am dritten Tag entschied ich: Ich muss mal wieder unter Leute! So konnte ich den Geldbeutel von Tod testen. Der Ausflug würde keine Kosten verursachen. Ausserdem hatte mich Kardi jeden Abend mit seiner Rum-Philosophiererei genervt. Dies wollte ich mir wenigstens einmal ersparen. Obendrein war an diesem Tage der erste Touristen-Job für Tod reingekommen. Und dieser betraf eine Erden-Bewohnerin, mit Namen Katie Petl. Sie sollte die erste Ausserirdische sein, die auf der Scheibenwelt starb. Und ich wollte an diesem Ereignis teilhaben.

 

Ich ging noch schnell in der Küche vorbei, um meine Vorbereitungen an Tod zu übergeben und mich für den Abend zu entlassen. Doch Tod hielt mich zurück. Ob ich denn nicht die Ehre beanspruchen wolle, dem ersten Ausserirdischen in seine neue Welt zu helfen? Sie wäre ja nicht nur die erste auf der Scheibenwelt, sondern die erste im gesamten Universum, die nicht auf ihrer Heimatwelt verstirbt. Die Auditoren und seine Kollegen auf den anderen Planeten würden mich so bis in alle Ewigkeiten in Erinnerung behalten. Das war verlockend. Ich hatte also die Chance, im gesamten Universum berühmt zu werden, als ein universumeller VIP. Klar, in einer winzigen und geheimen Nische – aber immerhin.

 

‚Okay! Ich kümmere mich drum‘, bestätigte ich meinen Auftrag. Ich ging also noch einmal zurück und nahm mir Katie Petls Sanduhr. Im Auftragsbuch fand ich den genauen Ort, die Zeit und den Grund ihres Ablebens: In den Strassen Newor Leans‘ würde sie einem Raubüberfall zum Opfer fallen. Ein ziemlich unnötiger Tod - fand ich. Auf dem Weg zum Stall schnappte ich mir noch meine Sense und zog mit meinem Grauen davon. Ich hatte beschlossen, meinen Hengst so zu nennen. Er hat sich nie über seinen Namen beschwert.

 

An diesem Tage war in Newor Leans der Sommer ausgebrochen. Der Stadt selbst stand der Schweiss auf der Stirn. Und die Luft war voll vom Gestank des Flusses und noch Schlimmerem. Selbst die Vögel schienen rhythmisch zu husten.

 

Da noch Zeit war, zog ich zuerst nach Teller Viv, für eine Knobel-Auch-Suppe. Insgeheim hoffte ich, dort auf Spülwein zu treffen. Ich hatte ja keine Gelegenheit gehabt, mich von ihm zu verabschieden. Doch er war nicht da. Nur zwei ältere Zauberer sassen in einer Ecke herum und erweckten den Anschein, sie wären nur mit sich selbst beschäftigt. Ich griff in meine Taschen und fand noch zwei, drei Krümel von diesen Manna-Keksen…

 

Deshalb entschied ich mich, mir mal den Tempelbezirk der Stadt anzuschauen, auf der anderen Flussseite. Dieser Teil der Stadt sah zumindest vom Rücken des Grauen ziemlich interessant aus. Ich gab ihm zu verstehen, mich auf dem Vorplatz des grössten Tempels abzusetzen. Das Bauwerk war ziemlich beeindruckend. Es war deutlich, dies war der Tempel der Schweinepriester. Unwahrschweinliche Hauer schmückten den Eingang. Ich drehte mich um und mir fiel die Klappe runter. Hinter mir stand eine Pyramide, die von sich behauptete, der Tempel von Atlantis zu sein. Das interessierte mich wesentlich mehr.

 

Ich betrat das Gebäude durch eine relativ kleine Tür und fand mich in einer grossen Bibliothek wieder. Auf einem Schild stand geschrieben: Die Atlantis-Protokolle, gesammelt von Oma Rocca. Wie kamen die auf die Scheibenwelt? Lagen die nicht zu Hause bei mir auf dem Schreibtisch herum? Kein Wunder, dass keiner meine Bücher kaufte. Auf der Scheibenwelt lagen sie für jeden erreichbar und kostenfrei aus. Ich schaute mich um und musste feststellen, ich war der einzige im Raume. Niemand interessierte sich für diese Protokolle. Schon deshalb wollte ich meine Babel-Viren testen. Ich schnappte mir eine der Mappen und begann zu lesen. Es funktionierte, ich konnte die Texte lesen. Irgendwie kochte jedoch Ärger in mir hoch. Ich machte mir auf der Erde eine solche Arbeit, und am Ende las niemand meine Übersetzungen. Ich entschied, noch einmal zur Scheibenwelt zu reisen, um in dieser Bibliothek zu arbeiten. Wenn ich mir schon mal ein solches Vorhaben übergeholfen habe, so wollte ich es mir möglichst leicht machen. An diesem Tage jedoch blieb keine Zeit, mein Grauer wurde vor der Tür ziemlich nervös. Ich schaute auf meine Sanduhr und musste sehen, wie das vorletzte Sandkorn nach unten fiel. Ich steckte mir die Mappe ein, vielleicht bekam ich noch eine Chance, sie zurück in den Tempel zu bringen.

 

Der Graue stieg wieder auf und schlug den Weg in Richtung der Stadtwachen-Burg ein. Dort wollte ich eigentlich nicht mehr hin, aber er liess sich davon nicht abbringen. Warum nur treiben sich Touristen immer in den gefährlichsten Gegenden der Städte herum? Haben die keinen Mund zum Fragen?

 

Er landete in einer ziemlich dunklen Gasse. Doch vor mir stand Spülwein, der mit einer Person, die ich nicht erkennen konnte, diskutierte. Er versuchte ihr – ihre Stimme klang sehr weiblich – klarzumachen, dass dies keine Ausflugsgegend wäre. Ich band den Grauen an ein vergittertes Fenster an und gab ihm eine Möhre zum Kauen.

 

Vorerst versuchte ich herauszufinden, mit wem sich Spülwein da unterhielt. Jedoch seine Begleiterin war in dieser dunklen Gasse nicht zu erkennen – bis Spülwein sie beim Namen nannte: ‚Glaubst du wirklich, dein süsser Popo kann dich in dieser Ecke der Stadt retten, Katie Petl?‘ Sie war meine Kundin. Ich befand mich am richtigen Platze.

 

‚Nein! Aber ich bezahle dich dafür, dass du mich schützt!‘

 

Oh, Mann! Diese Frau traute Spülwein wirklich ziemlich viel zu. Er kennt sich zwar auf dieser Welt, speziell in dieser Stadt, gut aus, aber man sollte auf seine Ratschläge hören. War zumindest meine Erfahrung. Ich trat aus dem Schatten und ging auf die Beiden zu.

 

‚Was machst du denn hier?‘, fragte mich da Spülwein. ‚Ich dachte, du hilfst vorübergehend Tod.‘

 

‚In dieser Rolle bin ich hier. Und du bist nicht der Grund, bleib ruhig.‘

 

‚Was treiben sie denn hier - in dieser komischen Aufmachung?‘, fragte mich da Katie Petl. Sie hatte wirklich einen süssen Popo. Spülwein hatte nicht übertrieben.

 

‚Ich bin hier, um dir in eine andere Welt zu helfen. Hat noch ein paar Minuten Zeit. Hast du irgendwelche letzten Worte?‘

 

In diesem Moment traten drei dunkle Wesen aus dem Schatten hinter ihr, mit gezogenen Degen: ‚Heh! Mädel! Wir wollen unseren Spass haben. Her mit den Hosen!‘ Und Spülwein forderten sie auf, besser schnell zu verschwinden.

 

Er bemerkte schnell, dass sie keiner Gilde angehörten. Was die drei Männer bestätigten. Sie wären Freiberufler und unterstünden so keinen Regeln. Das würde bedeuten, dass sie ihn gedankenlos beseitigen könnten – falls er nicht verschwände. Spülwein schlug in diesem Augenblick mit seinem Stab rhythmisch an das Haus. Daraufhin schien die gesamte Scheibenwelt zu kippen. Ein starkes Erdbeben folgte. Wir alle verloren unsere Haltung und landeten teilweise sogar im Strassengraben, in der buchstäblichen Scheisse. Nur der Graue rührte sich nicht. Als ich wieder meinen Kopf heben konnte, sah ich das Malheur. Einer der Drei war mit seinem Degen auf Katie Petl gestürzt und hatte sie glatt durchbohrt. Ich griff nach meiner Sense und tat den letzten Schnitt, um ihre Seele frei zu geben.

 

Da kamen aus dem hinteren Teil der Gasse mehrere Schatten auf mich zu und in ihrer Mitte Tod. Tod applaudierte mir: ‚Glückwunsch! Prüfung bestanden!‘

 

‚Welche Prüfung?‘, wollte ich da von ihm wissen. Mir hatte niemand etwas davon gesagt.

 

‚Du bist jetzt ein von den Auditoren anerkannter Vertreter in meiner galaktischen Zunft. Meine Kollegen im gesamten Universum dürfen dich ab sofort ohne Antrag als ihren Vertreter anheuern. Und du behältst meine, unsere Eigenschaften für diese Zeiten. Nur im normalen Leben hast du keinen Zugriff auf diese.‘

 

‚Was soll das heissen?‘

 

‚Wenn einer meiner Kollegen – oder ich – dich mal brauchen, können sie dich als Vertreter einsetzen. Endlich dürfen wir mal in Urlaub gehen. Der Nutzniesser wird anfänglich sicher hauptsächlich der irdische Tod sein – doch sobald noch mehr Leute die Prüfung bestehen, wird es auch für alle anderen Tode angenehmer. Hast dich gut geschlagen in dieser besonderen Situation. Bist nicht in Panik geraten.‘

 

‚In welcher Situation? Was ist überhaupt passiert?‘

 

‚Du hast keine Ahnung, oder? Einer der Elefanten, die die Scheibenwelt tragen, ist umgefallen. Er ist zwar inzwischen wieder aufgestanden und alles ist wieder im Lot. Doch die Scheibe wurde gründlich durchgerüttelt. Und ich muss jetzt erst einmal los, mich um meine Opfer kümmern. Wir sehen uns später, ich lade dich ein. Vergnüge dich bis dahin mit Spülwein! Ich finde euch schon.‘

 

Den hatte ich glatt vergessen. Die drei Strassenräuber sah ich nur noch von hinten. Doch, wo war Spülwein abgeblieben? Er war nicht zu sehen. Aber zu hören. Nicht weit von mir, im Dunkeln der Gasse. Langsam ging ich in diese Richtung. Eine Fackel wäre gut gewesen. Ich roch jedoch das Malheur bevor ich ihn erkannte. Ihm stand die Scheisse im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Bauchnabel. Scheinbar wollte er auf sicheren Grund springen und war im Abwasser-Kanal gelandet. Ich überlegte echt, ob ich ihm helfen wollte. Doch in der Zeit hatte er sich selbst aus dem Graben bemüht: ‚Ich muss mich dringendst umziehen! Verstehst du sicher.‘

 

Ja, dies verstand ich. Damit es schnell ging, bot ich ihm an, den Grauen zu nehmen. Dies traute er sich jedoch nicht zu. Also bat ich ihn, schon mal vorzugehen. Ich würde in einer Stunde vor der Nie Gesehenen Universität, am Parkeingang, auf ihn warten. Und er solle sich auf alle Fälle ausreichend Zeit zum Duschen nehmen.

 

Ich schaute in dieser Zeit auf der Unterwelt vorbei. Einen gefallenen Elefanten wollte ich mir nicht entgehen lassen. Doch er war bereits – wie Tod gesagt hatte – wieder aufgestanden. Er stand jetzt etwas abseits, trug seine Last nicht mehr. Die anderen Drei stützten nun die Scheibenwelt, und an der Stelle des Einen stand ein junger, noch relativ kleiner Elefant. Für Tod schien die Geburt eines Jungtieres keine Erwähnung wert gewesen sein. Ich fand ihn echt niedlich. Nur, sein zukünftiges Los schien das Tragen dieser Welt zu werden. Ob er es schon ahnte? Ich wollte Spülwein oder Tod danach fragen. Ich ritt schnell noch bei Tods Farm vorbei, um die Protokolle von Oma Rocca zu sichern. Und machte mich anschliessend wieder auf den Weg nach Newor Leans.

 

Kaum war ich vom Grauen abgestiegen, roch ich Spülwein, wie er geschniegelt und gestriegelt zum Parkeingang kam. Er stank dieses Mal nach Old Spice, was eigentlich auch nicht angenehmer als vorher war. Ich schlug einen Dauerlauf durch den Park vor, doch er hatte keine Lust, ‚Zauberer treiben keinen Sport!‘ war seine Begründung. Ich eigentlich ebenfalls nicht. Also fragte ich ihn nach dem Tempel von Atlantis.

 

‚Wie kommst du da drauf? In ihm findest du die zweitgrösste Bibliothek unserer Welt. Doch niemand hat ein Interesse an diesen Büchern. Es sind lediglich Geschichtsbücher, zur Geschichte des Weltraumes. Irgendeine Oma Rocca hat sie gesammelt, und ein Joe Dah bewacht sie. Die Bücher sind langweilig und uninteressant. Wir können jederzeit in unsere Bibliothek hier, die hat alle Arten von Büchern. Sogar echt gefährliche. Und eine Abteilung mit Büchern, die nie erschienen sind – weil etwa der Autor vorher Tod über den Weg gelaufen ist, oder bessere Ideen hatte.‘

 

‚Waaass? Joe Dah lebt dort in der Pyramide? Den muss ich treffen!‘

 

‚Warum das? Der ist ein langweiliger kleiner Mann, der nicht einmal richtig reden kann. Und er lässt sich von Niemandem in die Bücher schauen.‘

 

‚Mit mir wird er reden, wetten?‘

 

Ich half ihm auf den Grauen, und wir machten uns auf den Weg zum Atlantis-Tempel. Dieses Mal war die kleine Seitentür abgeschlossen. Ich klopfte, das durfte doch nicht wahr sein. Nach wenigstens 30 Minuten wurde uns denn doch geöffnet. Ein kleines Männlein mit sehr grossen und spitzen Ohren öffnete uns im Schlafanzug: ‚Wer nach Einlass verlangt – so spät bei Nacht und grosser Hitze? Zauberer selten hier.‘

 

So spät war es noch gar nicht, auf jeden Fall vor Mitternacht. Hatte er mich überhaupt gesehen? Ich dachte mich als Menschen, und siehe da: ‚Erst er nicht war, und jetzt er ist. Wer ihr seid?‘

 

Also stellte ich mich vor und erklärte ihm, was ich von ihm wollte. Kurz zusammengefasst: Ich würde halt schon seit einiger Zeit Kopien von einigen der Atlantis-Protokolle besitzen und diese mühsam in eine auf der Erde verständlichen Sprache übersetzen. Und dass ich gerne damit fortfahren würde – ich dafür jedoch Zugriff auf weitere von den Protokollen bräuchte. Doch Joe Dah schüttelte nur den Kopf. Die Mappen müssten in der Bibliothek verbleiben, und er wüsste keine Reisemöglichkeit, mit der ich von der Erde auf diese Scheibenwelt kommen könnte. Die Pyramide würde zwar einen Anschluss an das Torsystem im Weltraum verfügen, doch dieses Tor hier wäre nicht durch dieses System erreichbar, da es in einem anderen Weltraum läge. Mir würde sozusagen die Vorwahl fehlen und unser Torsystem wäre gar nicht in der Lage, die Vorwahl anzuwählen. Nur die Torschiffe, wie sie seine Leute hätten, wären in der Lage bis hierher zu gelangen.

 

Das erstaunte mich denn, war ich doch per Drachenschiff hierher gereist. Und ich würde hoffentlich demnächst auch wieder zurück zur Erde kommen. Joe Dah winkte ab. Dies wäre nur lokaler Reiseverkehr, und war ich wirklich bereit, dass viele Geld zu investieren, um die Protokolle zu studieren? So viele Bücher könne ich von den Übersetzungen nicht verkaufen, dass sich dies rechnen würde. Er riet mir, von diesem Riesenprojekt Abstand zu nehmen. Erstens bliebe mir nicht die Zeit, um es jemals zu beenden. Und zweitens hätten sie diese Protokolle eben auf dieser Welt versteckt, damit niemand von der Geschichte seiner Welt erfahren konnte. Obendrein würde mir sicher keiner glauben, dass es sich um echte historische Aufzeichnungen handeln würde. Ich könne aber – solange ich mich in Newor Leans aufhalten würde – jederzeit tagsüber vorbeikommen und diese Protokolle studieren.

 

In diesem Moment kam Tod mit seinem Schimmel vom Himmel her. Joe Dah schien ihn nicht zu sehen, doch Spülwein und ich. Tod meinte, in dieser Pyramide, in dieser Gegend, wäre nichts los, und er würde meine Prüfung gerne mit mir an einer anderen Stelle feiern. Ich verabschiedete mich von Joe Dah. Leider würde mir wahrscheinlich die Zeit für einen weiteren Besuch fehlen. Joe Dah jedoch erweckte nicht den Eindruck, er könnte darüber böse sein…

Die Geschichtsschreiber und mehr

‚Du hast wohl heute einen wahren Scheiss-Tag gehabt?‘, wurde Spülwein von Tod begrüsst. ‚Wir sollten uns irgendwo im Freien ein nettes Plätzchen suchen. Heiss genug ist es ja.‘

 

Doch Spülwein wollte lieber nicht mitkommen, wenn der Abend schon so anfing. Er rief sich einen Kutscher und verschwand, nicht ohne mir zuzurufen, er würde zur Abfahrt zum Hafen kommen.

 

‚Was ist denn mit ihm heute?‘, wollte Tod wissen. ‚So habe ich ihn noch nie erlebt. Ansonsten ist er eher einer der Coolen.‘

 

‚Ihm wurde es wohl zu heiss, als du mit deinen Schatten ankamst. Und da ist er vor Schreck in den Abfallgraben gehüpft. Hat ihn nicht abgekühlt. Du hättest deine Freude gehabt.‘

 

‚Auch ich gehe manchen Gerüchen aus dem Weg. Eigentlich mag ich nur den von gutem Essen. Wo wollen wir hin? Ist ja noch nicht einmal Mitternacht.‘

 

‚Du kennst dich hier besser aus als ich. Schön wäre aber eine andere Gegend, wo es nicht so heiss ist. Doch ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt einen Grund zum Feiern habe. Dein Stellvertreter zu sein ist nicht unbedingt das, was ich angestrebt hatte. Mal aushelfen, okay. Aber so prickelnd ist der Job nicht, dass ich ihn öfter tun möchte. Was habt ihr euch dabei gedacht?‘

 

Wir stiegen auf unsere Rösser und ich folgte Tod in die Nacht. Unterwegs erklärte er mir, dass eine Anzahl seiner Kollegen auf anderen Planeten seit einiger Zeit streiken, für mehr Freizeit und einen dreiwöchigen Jahresurlaub. Dabei gäbe es bereits auf mehreren Planeten zwei oder mehr von seiner Sorte. Und da hätten eben die Auditoren die Idee gehabt, sogenannte Anlernlinge als Vertreter zu akzeptieren. Sie können nicht ganze Welten voller Zombies zulassen, Leuten, deren Seelen nicht vom Körper wegkommen, weil der Schnitter keine Zeit hat. Und in diesem Augenblick kam ich ins Spiel. Nun wollen sie auf allen Welten immer ein paar Leute anlernen, die im Notfall helfen könnten. Und einen Vorteil hätte diese Aushilfe auf jeden Fall: Solange man als Tod unterwegs wäre, könne man nicht altern. Es wäre sozusagen eine dein Leben verlängernde Massnahme. Ob ich so etwas nicht auch feierwürdig finden würde?

 

In der Zwischenzeit waren wir im zentralen Gebirge der Oberwelt gelandet, auf dem höchsten Gipfel der Scheibe. Tod und ich, wir wickelten uns sofort fester in unsere Mäntel. Tod scheint die Extreme zu lieben. Dass wir gleich zum Kältepol der Scheibe reiten würden, hatte ich eigentlich nicht gemeint. Tod jedoch erweckte den Eindruck, mir hier etwas Interessantes zeigen zu wollen.

 

Wir gingen auf eine Tür unterhalb des Gipfels zu, vor der ein junger Mann stand, der so dürre war, dass selbst Tod neben ihm aussah, als würde er an Übergewicht leiden. Tod nickte ihm zu und wir wurden eingelassen. Kaum war die Türe offen, beschlug meine Brille. So konnte ich erst einmal nur ein gewaltiges Kratzen hören.

 

Erst nachdem meine Brille sich langsam wieder entschlagen hatte, konnte ich erkennen, was sich hinter dem Tore befand. Es war ein riesiges Grossraum-Büro, mit Tausenden von winzigen Tischchen, an denen ameisenartige Wesen unablässig am Schreiben waren. Von ihren Federn stammte dieses gewaltige Kratzen, welches den Raum erfüllte. Mir fiel nichts Blöderes ein als: ‚Wenn du Ameisen im Winter siehst, ist die Klimakrise da.‘

 

Mit einer ausholenden Geste erklärte Tod: ‚Willkommen in der wahren Geschichtsschreibstube der Scheibenwelt!‘

 

Danach zeigte er auf ein Schild am Ende dieser Halle, auf dem gross das Recht auf freies Zuhören gefordert wurde. Etwas kleiner stand unter diesem Spruch, dass jede Art der Interpretation eine Geschichtsverfälschung wäre. Auf einem Felsabsatz unter dem Schild erkannte ich die Schatten wieder, die vorhin Tod begleitet hatten. Ich sah, es waren sieben Schatten: ‚Sind das etwa diese Auditoren?‘

 

‚Ja! Doch wichtiger sind all diese kleinen Wesen hier für die Geschichtsschreibung. Die Auditoren sollen nur dafür sorgen, dass die Geschichte genau so verläuft, wie sie hier aufgeschrieben wird.‘

 

‚Heisst das etwa, dass hier unsere Zukunft niedergeschrieben wird?‘

 

‚Im Grunde ja! Doch denke daran, in einem Bruchteil einer Sekunde beginnt bereits deine Zukunft. Wir befinden uns ein Leben lang auf einer kontinuierlichen Reise in unsere Zukunft. Und alles, was nur eine Sekunde vorbei ist, gehört bereits zur Vergangenheit. Die Gegenwart ist lediglich eine kurze, flüchtige Illusion, die im Grunde schon zur Vergangenheit gehört, wenn wir ihr bewusst werden. So wie zum Beispiel meine Rede gerade!‘

 

 ‚Willst du mir erklären, dass wir nicht die Herren über unser Schicksal sind? Dass jede unserer Entscheidungen schon Sekunden vorher von solchen Wesen wie hier aufgeschrieben werden?‘

 

‚Jein! Es gibt, soweit ich weiss, bestimmte Ereignisse, die nicht geändert werden können. Die treten so ein, wie seit Anfang des Raumes vorherbestimmt. Falls du nicht in solche Ereignisse involviert bist, bist du in gewissen Grenzen frei in deinen Entscheidungen. Doch wir alle haben einen Charakter, und unsere Entscheidungen werden im Laufe unseres Lebens immer in die gleiche Richtung weisen. Da können wir nicht aus unserer Haut. Und wie gesagt, das was hier geschrieben wird, ist nur Sekunden den eigentlichen Ereignissen voraus. Was in einigen Tagen passieren wird, wissen selbst die Wesen hier nicht. Die Auditoren reagieren zum Beispiel immer nur auf Wahrscheinlichkeiten. Mehr ist ihnen nicht möglich.‘

 

‚Okay! Ist einzusehen! Aber willst du wirklich hier mit mir feiern? Scheint mir nicht die richtige Umgebung.‘

 

‚Nein! Natürlich nicht! Hatte nur gedacht, du interessierst dich für Geschichtsschreibung. Da wollte ich dir zeigen, wie diese im Kleinen vor sich geht.‘

 

‚Wie kommst du da drauf?‘

 

‚Naja! Ich habe euch am Tempel von Atlantis bei einer Diskussion mit Joe Dah erwischt. Er beaufsichtigt die Geschichtsbibliothek des gesamten Weltraumes. Diese Oma Rocca, von der all die Schriften dort stammen, ist eine der wenigen Personen, die die gesamte Geschichte kennt. Sie hat sie erlebt. Und versteht sie dennoch nicht. Deshalb hat sie diese Protokolle zusammengestellt, um eine Antwort darauf zu finden. Hat sie bisher jedoch noch nicht gefunden.‘

 

‚Mistverständnis! Ich besitze auf der Erde einige ihrer Mappen. Und übersetze sie in eine unserer irdischen Sprachen. Ich wollte deshalb mit ihr, oder – wenn nicht direkt möglich – mit Joe Dah reden. Mehr nicht. Zumal ich bisher dachte, es sind rein fiktive Personen – von mir erfunden.‘

 

‚Schreibst du diese Geschichten auf, weil du möchtest, dass sie gelesen werden, oder weil du sie schreiben willst?‘

 

‚Interessante Frage! Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Geld verdienen muss ich damit nicht. Obwohl es nett wäre. Kostet ja viel Arbeit und Zeit. Ich schreibe, weil es mir hilft zu entspannen. UND: Weil die Geschichten da oben‘ – ich tippte an meinen Schädel – ‚raus wollen. Es ist wohl mehr Zwang zum Aufschreiben als der Wille, dass es andere lesen. Das Thema ist wahrscheinlich auch eher nur für eine Minderheit interessant.‘

 

‚Gut! Mach den Leuten klar, diese Protokolle sind wahr. Alles passiert so, wie es in den Protokollen geschrieben steht… Lass uns jetzt noch eine Flasche von dem Hexentrunk holen, und dann feiern wir in meinem Garten.‘

 

Mit zwei Flaschen von diesem grünen Hexen-Gesöff im Gepäck erreichten wir schnell seinen Hof. Und mir fiel sofort der kleine Elefant wieder auf. Nun wollte ich wissen, wie so etwas passieren kann. So eng standen die Elefanten ja nicht zusammen. Aber Tod wollte nur wissen, ob ich erkennen könnte, ob es sich bei dem Jungen um ein Weibchen oder Männchen handeln würde. Ich war der Meinung, dass es eher nach einer sie aussehen würde und Kardi, der uns unsere Pferde abnahm, bestätigte diese Vermutung. Dies schien Tod zu beglücken: ‚Na endlich! Nach drei Jungen endlich ein Mädel. Ein weiteres Männchen wäre das Ende der Scheibenwelt gewesen.‘

 

Beim Hereingehen erklärte er mir, dass diese Elefanten keine Million Jahre alt werden würden. Alles würde so ablaufen wie bei den kleineren Versionen, wie sie auch auf der Scheibenwelt leben würden – nur halt etwas langsamer. Niemand hätte zwar bisher gesehen, wie die Elefantin geschwängert wurde, doch dies wäre ihr viertes Junges in etwa 500,000 Jahren. Bisher verschwand kurze Zeit später immer einer der Alten – und nicht einmal die Auditoren könnten sagen, wohin. Die wären einfach weg. Er nahm an, sie rutschen einfach vom Rücken der Schildkröte und machten so Platz für den jüngeren Elefanten. Er würde dieses Mal auf den mittleren der Bullen tippen. Dieser wäre der Älteste von den Vieren. Auch stände die junge Kuh inzwischen neben ihm. In ein paar Tagen könnte auch die alte Kuh ihren Platz wieder einnehmen. Das gäbe wieder einen arbeitsreichen Tag für ihn, dies ginge nicht ohne starke Beben ab und in der Oberwelt hätten sie die Elefanten nicht im Blick, d. h. dort gäbe es immer viele Tote bei diesen Gelegenheiten. Glücklicherweise würde ich vorher abreisen, dann konnte er mich schwer um Hilfe bitten.

 

An diesem Abend setzten wir uns in die Küche. Tod holte zwei Wassergläser und goss uns reichlich von dem grünen Hexentrunke ein. ‚Kommt Kardi nicht auch?‘, wollte ich wissen. Tod nickte und holte noch ein drittes Glas: ‚Das wird aber noch ein Weilchen dauern. Er muss heute zwei Pferde trocken reiben. Und füttern!‘

 

‚Was fasziniert dich so an diesen Atlantis-Geschichten von Oma Rocca?‘, wollte da Tod auf einmal von mir wissen.

 

‚Kann ich nicht so genau sagen. Zum einen macht das Herumspielen mit der Zeit einen verdammten Spass. Dazu kommt, dass ich durch das Schreiben dieser Geschichten auf die Idee kam, der gesamte Raum könne am Einfachsten durch die Zeit beschrieben werden, wenn man davon ausgeht, dass die Lichtgeschwindigkeit in allen Universen gleich ist. Damit könne man seine Grösse in Jahren angeben und hätte eine ziemlich genaue Angabe zu seiner Ausdehnung. Was wiederum bedeuten könnte, dass es mehr als nur eine Zeitdimension gibt… Es macht einfach einen Höllenspass, sich dies vorzustellen und mit diesen Möglichkeiten zu spielen. Da ist es völlig egal, ob es wirklich so ist.‘

 

‚Hhhmm! Du liegst da wahrscheinlich nicht falsch. Bin bisher noch Keinem begegnet, der es so sah. Und ich existiere ja schon ewig – eigentlich. Und verstehe nicht einmal die Grundlagen von dem, was Oma Rocca, Joe Dah und ihre Leute da schreiben. Vielleicht solltest du auf die Art ein Gespräch mit denen anfangen. Für mich ist die Zeit einfach eine Droge. Jedes Lebewesen braucht sie. Haben wir zu wenig von ihr, werden wir nervös, manche gar depressiv. Haben wir zu viel von ihr, sterben wir wie nach einer Überdosis.‘

 

‚Da ist auch was dran! So habe ich es noch nie betrachtet. Hast du denn die Protokolle schon gelesen?‘

 

‚Habe es versucht. Joe Dah, auch Oma Rocca und die anderen, konnten mir jedoch nie klarmachen, wie das funktionieren soll. Sie sind ja älter als der gesamte Raum. Und waren schon da, als es noch keine Auditoren gab. Sie unterliegen dennoch Einschränkungen, die weder für die Auditoren noch für mich gelten. Wie geht das?‘

 

‚Wenn ich es richtig sehe, haben die wiederum Möglichkeiten, die ihr nicht habt.‘

 

‚Ja, ja!‘, sah Tod ein. ‚Doch auf meiner Farm hier gibt es keine Zeit! Liegt diese nun ausserhalb des Raumes? Oder ist mein Reich nur eine Illusion? Selbst Joe Dah konnte diese Frage nicht beantworten.‘

 

‚Das trifft doch sicher auf all deine Kollegen zu, oder? Vielleicht seid ihr mit euren Reichen nur eine Nische im normalen Raum? Und die fehlende Zeit ist nur eine Illusion? Könnte doch sein?‘

 

‚Das nimmt Joe Dah an. Mit ihrem Schiff können die mich nicht anwählen, aber mit ihren konventionellen Triebwerken ist es kein Problem hier zu landen. Dasselbe gilt auch für den Doktor. Wobei: Der Doktor wird irgendwann in ferner Zukunft ein Fall für einen von uns werden, Oma Rocca und ihre Leute wahrscheinlich nie. Die werden eher bei uns zum finalen Schnitt ansetzen.‘

 

‚Naja, wir müssen dies nicht ausdiskutieren. Können wir eh nicht. Im Vergleich zu Oma Rocca haben wir nur einen IQ so hoch wie die Raumtemperatur in deiner Küche hier. Eine mehrdimensionale Zeit liegt jenseits meiner Vorstellung. Für Leute wie mich wurde die Algebra erfunden, damit ich wenigstens ausrechnen kann, was ich an Steuern zahlen muss.‘

 

‚Apropos Steuern: Die für deinen Verdienst bei mir übernehme ich! Da brauchst du dich nicht drum kümmern.‘

 

‚Was? Auch du musst Steuern zahlen?‘

 

‚Klar doch! Das Finanzamt ist die Geisel des bekannten Universums. Und diese Leute kommen jedes Jahr aufs Neue! Nur ich kann dich von ihm erlösen. Und dafür komme ich in der Regel nur einmal im Leben vorbei.‘

 

In diesem Moment kam Kardi in die Küche. Er schnappte sich das Glas, welches Tod schon vorhin für ihn eingegossen hatte. Der Frosch war bereits entkommen und nicht mehr zu sehen. Er trank es in einem Zuge leer: ‚Nachschlag bitte!‘

 

Ich zog mich danach ziemlich schnell zurück. Der nächste Tag war mein letzter auf der Scheibenwelt, und ich hatte noch Einiges vor an diesem. Da wollte ich halbwegs ausgeschlafen sein…

Mein letzter Tag

Am nächsten, sehr frühen Morgen wurde ich ziemlich lautstark geweckt. Als ich meine Augen öffnete, schaute ich einem Frosch in die seinen. Er sass auf meinem Kopfkissen und sah mich ziemlich verwundert an, ich ihn wahrscheinlich ebenfalls. Das war ein Schreck. So zehn Zentimeter entfernt sehen diese Tierchen ziemlich gewaltig aus. Obendrein kam von der Tür ein lautes Gelächter. Tod und Kardi hatten ihn wohl gerade auf das Kissen gesetzt und auf mein blödes Gesicht gewartet.

 

‚Los! Hoch jetzt! Die letzte Schicht ruft! Diese musst du noch durchziehen!‘, scheuchte mich Kardi. Und Tod ergänzte: ‚In etwa zehn Stunden ist dein Schiff zum Einchecken bereit. Und wir wollen doch noch vorher gemeinsam eine letzte Suppe im Teller Viv zu uns nehmen, oder?‘

 

Ich schnappte mir den Frosch und drückte ihn Kardi in die Hand: ‚Kümmere dich um ihn! Und bring mir in einer Viertelstunde einen Tee und vielleicht eines der Manna-Kekse ins Büro. Danke!‘

 

Eine heisse Dusche machte mich frisch für den Tag und die letzten Sachen flogen in meinen Koffer. So war ich im Grunde bereits abreisefertig. Da entdeckte ich eine der Kutten auf meinem Bett, eine, wie sie Tod immer trug. Auf einem Zettel stand: ‚Du wirst sie brauchen!‘ Also landete sie ebenfalls im Koffer. Erstaunlicherweise war da noch viel Platz drin. Hatte wohl vor der Abreise gedacht, ich würde mich hier mit Andenken zuschütten. Was für Andenken? Diese Kutte und meine Fast-Piraten-Verkleidung waren ausreichend. Wahrscheinlich hatten sich die Leute im Hotel aus dem Koffer bedient. Ich wollte es nicht wissen…

 

Ich sass kaum auf meinem Platze, da kam schon Kardi mit einer kleinen Schachtel Manna-Kekse und einer Tasse Tee: ‚Trink ihn, solange er noch heiss ist! Mit angebrannter Zunge schmeckst du den scheusslichen Geschmack nicht so. Selbst diese Manna-Kekse schmecken danach besser.‘

 

‚Das soll wohl meine Reiseverpflegung sein?‘ Dabei hob ich die Keks-Schachtel etwas an.

 

‚Hat der Boss angeordnet.‘

 

Schon sass ich wieder alleine an Tods Schreibtisch. Die sogenannte Arbeit lief wie an den anderen Tagen von ganz alleine und ich wollte mir mal die Zeit nehmen, mir die Regale mit den Lebensbüchern anzuschauen. Doch sobald ich weiter als drei, vier Meter vom Schreibtisch entfernt war, stoppte die Arbeit. Da war wohl vorgesorgt worden. Ohne meine unmittelbare Anwesenheit schien nichts zu funktionieren. Es war zwar ein nicht gerade schwieriger Job, doch das ständige Sitzen am Schreibtisch schlauchte doch extrem. Mir ging dabei durch den Kopf, dass es jetzt an der Zeit wäre, endlich Urlaub zu nehmen. Tod hatte mich reingelegt, von wegen leichter Job. Auch wenn er extrem gut bezahlte. Traue keinem ehrlichen Manne, er hat immer nur seinen Vorteil im Hinterstübchen! Naja, den Urlaub hatte ich mir anders vorgestellt. Und ein klein wenig verrückt war er schon. Tod zu überleben – zumindest bis dahin – und auf Doktor Who zu treffen, dies hatte ich mir vorher nicht so gedacht. Das Leben geht halt immer unter die Haut – auf die eine oder andere Weise. Und in Zukunft hatte ich das Recht, mich als Sensenmann zu betätigen. Und das war ein gut bezahlter Job. Nicht zu anstrengend, wenn auch nervenzehrend. Und wer weiss, vielleicht würde ich den irdischen Vertreter nie kennenlernen?

 

Irgendwann tauchte Tod auf und wollte mit mir losziehen. Doch ich hatte meinen Job noch nicht fertig. An diesem Tage war wohl viel für ihn zu tun. Touris waren kaum dabei, jedoch vor allem auf der Unterwelt wollten offensichtlich eine Menge Wesen wieder auf die Oberwelt. Tod empfand dies als normal. Solche Tage würde es immer geben. Manchmal schien es ihm, dass man sich beim Sterben verabredete. Nie zweie am selben Orte, um es ihm nicht zu leicht zu machen. Früher wäre es einfacher gewesen, als sie noch Kriege führten. Da verabredete man sich am gleichen Orte zum gemeinsamen Sterben. Heute würde so etwas nur vorkommen, wenn mal Jemand bei einer Erfindung oder beim Bau eines höheren Gebäudes die Sicherheitsvorschriften nicht beachtete. Oder wenn mal ein Drache in einer grösseren Ortschaft Amok lief. Das kam jedoch selten vor.

 

Ihm machten diese Touris echte Sorgen. So viele Planeten, so viele Rituale waren zu beachten. Zum Beispiel hoffte er, dass er nie einem Klingonen den Weg in seine andere Welt frei machen musste. Das wäre echte harte Arbeit. Denen musste er die Augen gewaltsam aufhalten und dazu wie ein Löwe brüllen. Glücklicherweise verlangten die nicht nach seiner Sense. Da konnte ich ihn beruhigen. Klingonen sahen ihrem Tod ruhig entgegen. Sie würden sich auf das Stovokor freuen, auf ihre Nachwelt, in der sie alte Kampfgenossen wieder sehen würden. Ausserdem sind die nicht die Typen für einen Urlaub, würden also eher selten hier auftauchen. Er würde sicher schnell merken, dass alles nur halb so kalt war, wenn es aus dem Kühlschrank kam. Er meinte jedoch, ich hätte den Kurs nicht mitmachen müssen und könnte deshalb so reden. Die Auditoren hätten genauere Zahlen als ich, und der Tourismus würde diese schöne Welt sicher bald zerstören. Umso intelligenter das Universum werden würde, umso dümmer würden seine Einwohner handeln. Für einen Cent mehr würden sie eine Klimakrise riskieren. Oder ihre Grossmutter verkaufen. Und wechsele mal einen Cent. In diesem Universum wäre etwas so gar nicht in Ordnung.

 

‚Was ist hier nicht in Ordnung?‘, wollte ich da wissen.

 

‚Na, alles! Fällt dir das nicht auf?‘, kam seine Antwort. ‚Bist du nun endlich fertig für den heutigen Tag? Können wir los?‘

 

Wir konnten. Wir schnallten meinen Koffer auf den Grauen und ab ging der wilde Ritt.

 

Zuerst steuerten wir den Hafen von Newor Leans, und dort mein Schiff, an. Die Mannschaft war gerade beim Klar-Schiff-machen. Wir konnten also klammheimlich meinen Koffer in meiner Kabine verstauen. Uns sah ja keiner. Meine Kabine war sogar schon hergerichtet. Dennoch empfahl Tod, den Koffer besser zu verstecken. Man wüsste nie, was so alles passieren könnte. Danach ging es direkt ins Teller Viv.

 

Dort sass bereits Spülwein und wartete auf uns. Am Nachbar-Tisch hatte es sich ein älterer Herr gemütlich gemacht, dessen Augen drauf und dran waren aus seinem Kopf zu springen, so starrte er uns an. Tod fragte mich, ob ich noch einen letzten Schnitt vor meiner Abreise führen wollte. Ich wollte nicht. Also gab Tod die Seele des Herren frei.

 

‚Ich habe hier etwas für dich‘, begrüsste mich Spülwein. Er holte ein in ein Tuch eingeschlagenes Paket unter dem Tisch hervor und gab es mir. ‚Wir können damit nichts anfangen, und da hat mir mein Onkel erlaubt, dir diese Bücher zu übereignen.‘

 

Ich packte sie aus. Es waren drei weitere Bände der Atlantis-Protokolle. Spülwein hatte mir viel Arbeit für die nächsten Jahre geschenkt. Und dennoch freute ich mich ehrlich. Ich versprach ihm, zu vermerken, dass sie ein Geschenk der Nie Gesehenen Universität waren.

 

In der Zwischenzeit hatte der Wirt bemerkt, dass sein Gast am Nachbartisch verstorben war und fing an zu jammern. Er wäre einer der besten Gäste des Hauses gewesen, und immer spendabel mit dem Trinkgeld.

 

Spülwein nickte: ‚Ja, ja! Er war der letzte noch lebende Taler-Enkel. Da werden wir sicher demnächst wieder einen grossen Erben-Streit bekommen. Die Zeitungsleute wird es freuen.‘

 

Doch Tod warf nur ein: ‚Reiche Leute sind nur Arme mit viel Geld. Bei mir wird jeder gleich behandelt. Jetzt hat er nichts mehr von seinen Tollarn, in seinem neuen Zustande helfen sie ihm nicht mehr.‘

 

Ich liess die beiden das ausdiskutieren und genoss lieber meine vorläufig letzte Knobel-Auch-Suppe. Dabei machte ich mir Gedanken über eine eventuelle nächste Reise zur Scheibenwelt. Diese Oma Rocca würde ich doch zu gerne sprechen. Ausserdem gab es sicher noch vieles zu entdecken auf dieser Welt. Währenddessen ging mir durch den Kopf, dass ich meine Zeit in Newor Leans doch nicht so effektiv genutzt hatte, wie ich es bei der Ankunft plante. Da war so vieles dazwischen gekommen, sogar gearbeitet hatte ich. Und einen neuen Job gelernt. Das war kein Urlaub wie er in der Bilderbuche stand: ‚Ich werde wahrscheinlich noch einmal wiederkommen, aber dann will ich mehr von eurer Welt sehen. Und ich möchte Oma Rocca treffen.‘

 

‚Du kannst jederzeit bei mir unterkommen‘, meinte da Tod. ‚Ich zeige dir gerne mehr von dieser Welt.‘

 

‚Und ich könnte ein Treffen mit Oma Rocca arrangieren‘, warf Spülwein ein. ‚Wenn sie denn mal hier ist. Das kann niemand wirklich voraussagen.‘

 

‚Genau da liegt der Haken: Wie erfahre ich, wann sie mal hier ist? Und viel wichtiger: Wovon zahle ich die Reise?‘

 

‚Du behältst meine Fähigkeiten – d. h. du könntest ungesehen an und von Bord kommen‘, schlug Tod vor. ‚Ausserdem hast du noch meine Börse – nimm die mit. Die wird nie leer. Sollte genauso auf der Erde funktionieren. Falls nicht, gibt dir sicher mein Kollege eine von seinen. Auf jeden Fall wird der sich gleich nach deiner Rückkehr melden. Oder ich fordere dich an, dann bringen dich die Auditoren… Es gibt so viele Möglichkeiten wie es Tode gibt. Such dir was aus!‘

 

Das waren ja Aussichten! Scheinbar schien ich reicher aus dem Urlaub zurückzukommen als ich losgefahren war. Mir stellte sich lediglich die Frage: Zu welchem Preise? Verlor ich meine Unabhängigkeit? Oder eröffneten sich mir echte neue Möglichkeiten, die ich noch nicht einschätzen konnte? Hatte ich meine Seele verkauft und wurde ein moderner Faust? Gab es überhaupt einen Weg aus dem Ganzen heraus?

 

‚Kann ich aus dem Deal auch wieder aussteigen?‘, entfleuchte es da ungewollt meinem Munde.

 

‚Wo kommt das auf einmal her?‘, wollte Tod wissen. ‚Überlege dir das genau!‘

 

‚Naja, du hast gut reden. Du hattest nie die Wahl, würde ich denken. Aber habe ich eine Wahl?‘

 

‚Du hattest die Wahl – bevor du bei mir angefangen hattest. Jetzt nicht mehr. Du weisst jetzt zu viel. Und kannst dir sicher denken, wie die Konsequenzen sein werden. Lass diesen Gedanken einfach mal wachsen und du wirst erkennen, welche Vorteile dir dein neues Amt bringen wird.‘

 

‚He! Genau da ist der Haken versteckt. Ich wollte abnehmen und nicht etwas in mir wachsen lassen, was ich eventuell später nur durch eine Extrem-Diät wieder loswerde.‘

 

‚Ach Mann! Hör auf zu jammern!‘, warf da Spülwein ein. ‚Ich studiere, um wenigstens einen kleinen Teil von dem, was dir Tod hat zukommen lassen, irgendwann mal zu begreifen. Und du hast alles praktisch auf einem Silbertablett serviert bekommen und bist dafür sogar noch bezahlt worden.‘

 

‚Spülwein hat Recht. Du hast etwas geschafft. Nichts schaffen kann jeder, doch etwas zu schaffen, gelingt nur wenigen. Nutze deinen Heimflug, um darüber nachzudenken. Trete einfach ein paar Schritte zurück und lass das Universum in Ruhe auf dich wirken. Du wirst sehen, es besteht praktisch aus Nichts. Du hast etwas geschaffen, also mehr als das Universum je hinbekommen hat. Ist denn das nichts?‘

 

‚Ich könnte ebenfalls einen Schalter entwerfen, der das Ende der Welt einläutet. Und daneben gross mit roter Farbe die Worte pinseln: „Nie schalten!“. Die Farbe bekäme keine Chance bis zum Ende der Welt zu trocknen. Irgendein Idiot würde den Schalter bereits vorher betätigen. Ist auch ein Etwas, ein Etwas, welches das Nichts zurückbringt. Ich würde es im Nachhinein sicher bedauern und wünschen, es nie getan zu haben. Und im Moment bin ich mir nicht klar, ob ich den richtigen Job zugesagt habe. Dahinter könnte ebenfalls das Nichts lauern.‘

 

‚Jetzt fängst du an, Krümeln zu kacken‘, meinte da Tod. ‚Lass uns lieber den Abend geniessen! Du hast ausreichend Zeit, über einen eventuellen Ausstieg nachzudenken. Du wirst es jedoch nie tun. Ich weiss das. Und Spülwein wäre zurecht sauer. Er strengt sich so an und bezahlt viel Geld dafür, um nur einen kleinen Teil der Dinge, die du inzwischen gelernt hast, zu begreifen. Rede mit meinem irdischen Kollegen. Der wird dir alles klarmachen.‘ Er orderte eine Runde vom lokalen Biere.

 

In diesem Augenblick setzten sich zwei junge Damen zu uns an den Tisch und sprachen Spülwein an. Uns, Tod und mich, schienen sie nicht wahrzunehmen. Sie fragten ihn, warum er denn so alleine am Tisch sitze und sich mit fiktiven Personen unterhalten würde. Sie würden ihm gerne über seine einsamen Stunden hinweghelfen. Da liess Tod seine tiefe, sonore Stimme erschallen: ‚Sagt mal ihr zwei Hübschen, besitzt ihr einen Waffenschein für eure Körper?‘ Und ich klappte ihnen die Unterkiefer wieder nach oben. Sie verliessen fluchtartig unseren Tisch.

 

‚Wenigstens Zwei, die jetzt überzeugt sind, ich kann zaubern‘, kommentierte Spülwein diese Szene. ‚Sag mal – fällt mir gerade ein – hat dir denn Tod unser Einhorn gezeigt?‘

 

‚Es gibt Einhörner auf der Scheibenwelt?‘

 

‚Nur eines!‘, konterte da Tod. ‚Man muss es immer ewig suchen. Wird mit der Zeit langweilig, da es in einer ziemlich unwirtlichen Gegend lebt, in Terror Incognito. Dort liegen mehr Skelette in der Landschaft rum, als es lebende Wesen gibt. Und so besonders sieht es nicht aus. Ist halt eine Art Reh mit einem Horn auf der Stirn.‘

 

‚Es soll jedoch Glück bringen, sein Horn zu streicheln.‘

 

‚Würde ich nicht bestätigen. Du hättest lediglich Glück gehabt, wenn du dies überlebst. Muss da regelmässig hin, um meinen Job zu erledigen. Wenigstens die Hälfte der Skelette dort stammen von Wesen, die es versucht haben. Ich rate davon ab. Genauso wie vom Trinken aus dem Jungbrunnen. Habe da sogar ein Schild angebracht, dass das Wasser aus diesem Brunnen nur abgekocht getrunken werden darf. Glaubst du echt, es hat schon mal einer getan? Die sind alle so gierig auf dieses Wasser, zum Abkochen nimmt sich niemand Zeit. Nur Grossmutter Verwachsen und ihre Freundinnen halten sich als einzige daran. Man sieht es ihnen aber inzwischen an.‘

 

‚Muss wohl doch noch einmal herkommen? Die besten Sachen habt ihr beide dieses Mal aussen vor gelassen. Ein Einhorn, einen Jungbrunnen – was habt ihr ansonsten noch zurückgehalten?‘

 

‚Einen Besuch in Filosophia lohnt auch. Dort leben all die Götter, die nicht mehr gebraucht werden. Und viele Philosophen, wie etwa Dogenos. Als Blinder geht er nur mit einer Laterne vors Haus, ohne Kerze drin. Dort gibt es eine Menge solcher Verrückter.‘

 

Und Tod ergänzte Spülwein: ‚Ackeron, unserem Agrarland, laufen die jungen Leute davon. Sogar ihr König muss seinen Dienern neuerdings Rollatoren zur Verfügung stellen, selbst der Schloss-Wache. Und er muss seiner Frau eigenhändig das Korsett binden. Zum Anziehen ist kein Diener mehr da.‘

 

So überboten sich die Beiden weitere zwei Stunden. Ich hatte schon lange beschlossen, wiederzukommen. Es schien eine viel interessantere Welt zu sein, als ich dachte. Die Frage war nur: Konnte ich mir eine weitere Reise zur Scheibenwelt leisten? Und wann?

 

‚Hast du noch weitere Fragen?‘, wollte dann Spülwein wissen.

 

Ich war müde und wollte aufs Schiff: ‚Nein! Ihr könntet mir antworten. Und ich muss in meine Koje. Das Schiff startet früh.‘

 

Wir gingen gemeinsam zum Hafen. Dort kehrte mich Tod wieder um. Danach war ich wieder Mensch, konnte mich jedoch in die Rolle des Ersatz-Sensenmannes denken. Behauptete Tod zumindest. Und seinen Geldbeutel durfte ich wirklich behalten, er würde dafür sorgen, dass er auf der Erde funktionieren würde. Wir verabschiedeten uns – bis zum nächsten Mal.

 

Am Zoll wurde ich noch gefragt, ob ich irgendwelche Drogen, Waffen, Schnäpse oder so dabei hätte. Als ich dies verneinte, bot mir der Zöllner an, mir diese Dinge zu verkaufen, immerhin zollfrei!!! Ich wollte nicht und ging an Bord in meine Kajüte. Mein Koffer stand noch dort, wo ich ihn gelassen hatte…

Wieder zu Hause

Ich haute mich sofort in meine Koje, in der Hoffnung so richtig ausschlafen zu können. Sollte ich das Frühstück, oder gar das Mittag verpassen – ich hatte dank Tods Spendierlaune ausreichend Manna einstecken. Doch es sollte anders kommen.

 

Bereits ein, zwei Stunden später begann die Mannschaft, das Schiff startklar zu machen. Und dies mit einem enormen Geräuschpegel. In keinster Weise war da noch an Schlaf zu denken. Morgens um vier stand ich bereits wieder auf dem Oberdeck und wartete, dass die Bar geöffnet wurde. Dabei war ich nicht alleine. Fast alle Reisenden hatten sich dort versammelt. Doch die Bar sollte erst in Betrieb gehen, wenn das Schiff den sogenannten freien Raum erreicht hatte. Und Startzeit aus dem Hafen war um acht. Am Ende eröffnete das Frühstückbuffet deutlich früher als diese Bar, erst ab neun Uhr durften wir uns wieder selbst bedienen. Da alle Liegestühle bereits besetzt waren, ging ich in meine Kajüte zurück und schob mir meinen Sessel an das geöffnete Fenster. Im Westen stieg gerade die Sonne über den Rand der Scheibe und im Hafen war die Hölle los. Zum Beispiel wurden unsere Drachen gebracht. Deren Anschirren entging mir leider, meine Kajüte lag am Heck. Doch das Laden vor allem der Verpflegung konnte ich ziemlich genau verfolgen. Erstaunlich, wieviel wir unterwegs verdrücken sollten. Wo gingen die nicht verdauten Teile eigentlich hin? Verschmutzten wir den Weltraum, so wie die Toiletten im Flugzeug eine direkte Verbindung zur irdischen Atmosphäre hatten (und manchmal die gefrorenen Batzen Hausdächer durchschlugen)?

 

Genauso wie das eine Netz voller Fässer, dass sich vom Haken des Kranes löste und auf die Köpfe zweier Hafenarbeiter fiel. Nach getaner Arbeit winkte mir Tod nun endgültig zum Abschied. Ich sollte ihn nicht mehr wiedersehen auf meiner Reise. Wahrscheinlich hatte es auch eine oder mehrere Ratten erwischt. Ein Rabe mit einem etwa rattengrossem Skelett in einem dunklen Mantel und einer Sense in der Hand landete auf dem Fensterbrett. Es hob die Sense zum Gruss: ‚Squeak!‘ Ich winkte ihm noch zum Abschied, dann war auch Rattentod in den Morgenhimmel verschwunden.

 

Ich schloss das Fenster und begab mich in den Speisesaal für ein ausgiebiges Frühstück. Ich hatte ja dafür bezahlt. Dabei bemerkte ich, wie wir langsam aufstiegen, in Richtung zur Erde…

 

Im freien Raum, noch während der obligatorischen Ehrenrunde um die Scheibenwelt, trat dann endlich die erwartete Ruhe ein. Ich schaffte es kaum noch bis in meine Kajüte. Dort fielen mir meine Augen bereits auf dem Weg zu meiner Koje zu. Einige Stunden später erwachte ich in meinem Sessel. Drei Schritte bis zur Koje und ich verlor wieder die Übersicht. Gerade noch rechtzeitig zum Abendbrot erfassten meine Augen wieder Licht, und die Geräusche aus meiner Körpermitte trieben mich in den Speisesaal.

 

Auf der Suche nach einem Platz entdeckte ich die beiden Mädels vom Vorabend, die, die sich im Teller Viv an Spülwein heranmachen wollten. Sie hatten mich ja dort nicht sehen können, jetzt schon. Also pirschte ich mich an den Tisch und fragte. Sie hatten nichts dagegen, dass ich mich zu ihnen setzte. Ich bereute dies ziemlich schnell, ihre Mundwerke waren wohl nicht mit ihrem Gehirn verdrahtet. Sie bewegten sich in einer Tour und raus kamen nur rhythmische Geräusche. Hatte ihnen nie jemand mitgeteilt, dass sie besser nachdenken sollten, bevor sie ihre Gedanken aus ihren Quasseltriebwerken herausliessen? Dabei füllten sie ihre Münder ständig mit enormen Mengen an exotischen Früchten und bunten Flüssigkeiten. Mir verdarben sie nahezu umgehend den Appetit, also verabschiedete ich mich und begab mich aufs Oberdeck.

 

Dort war es auch nicht besser. Man hatte für den Rückflug eine Band angeheuert, die dort jeden Abend zum Tanze aufspielen sollte. Nur leider hatte diese kein wirklich umfangreiches Repertoire auf der Pfanne. Immer, und immer wieder gaben sie den Lah-Marsch zum Besten. Okay, das Tempo der Stücke unterschied sich, doch musikalisch klang alles sehr ähnlich. Es klang wie die Begleitmusik zum Schneckenschubsen. Niemals rutschten sie aus, keine Schnecke fiel um. Nach einem Drink verschwand ich wieder in meiner Kabine. Glücklicherweise verbannte man die Band ab dem zweiten Abend in den kleinsten Saal, und nicht einmal den konnten sie füllen. Ich hatte aber auch ein Pech. Nix los auf der Rückreise. Nicht einmal ein Last-Minute Urlaubsflirt war drin.

 

Also nahm ich mir die Zeit und folgte Tods Ratschlag. Ich trat ein paar Schritte zurück – beim ersten Mal wäre ich fast auf der anderen Seite über die Reling gefallen – und betrachtete das Universum. Es ist wirklich erstaunlich, wieviel Nichts man da zu sehen bekommt. Irgendwie ging mir dabei durch den Kopf, wenn man genügend Zeit hätte, könnte man vielleicht das Ende des Universums erblicken, wenigstens aber seinen Anfang. Die Rückreise war nicht lang genug dafür. Es war jedoch ungemein beruhigend, so den Kopf zu leeren und seinen eigenen Mittelpunkt zu finden. Und ich erkannte, Tods Job-Angebot war nicht so schlecht, wie es anfänglich aussah. Dennoch fielen mir ein paar Fragen ein, die ich mit seinem Kollegen auf der Erde noch klären wollte.

 

Am dritten Abend trat einer der Stewarts während meiner Betrachtungen überraschend an mich heran: ‚Man kann fast hören, wie sie nichts sagen… Es ist an der Zeit, ihre Sachen zu holen, wir erreichen die Erde in dreissig Minuten.‘

 

Und wieder ging es per Strickleiter runter auf meinen Balkon. Hätte nie gedacht, dass Heruntersteigen viel anstrengender ist als die Gegenrichtung. Nichtdestotrotz kam ich gesund unten an. Schnell war die Leiter wieder weg. Hatte kaum die Zeit, meinen Koffer vom Haken zu nehmen.

 

Beim Zurücktreten, um Platz zum Abstellen des Koffers zu haben, fiel ich über einen eRoller! Wie kam der auf meinen Balkon? Im vierten Stock? Da musste wohl Jemand einen sehr starken Wurfarm gehabt haben. Obendrein schob sich Tods Gesicht durch die Wand: ‚‘Tschuldigung! Hätte ihn wohl besser mit reinnehmen sollen?‘

 

Ich rieb mir den Rücken: ‚Wie kommst du hier her?‘ Erst dann nahm ich wahr, er hatte jetzt gelbe Augen: ‚Bist wohl sein irdischer Kollege?‘

 

‚Ja! Er hat viel von dir erzählt. Hast dich angeblich im Urlaub wacker geschlagen. Aber komm erstmal rein. Oder willst du die Nacht auf dem Balkon verbringen?‘

 

‚Nein, natürlich nicht! Kannst du die Tür aufmachen? Geht schlecht von aussen. Und die Nachbarin hat offensichtlich nicht dran gedacht, sie heute offen zu lassen.‘

 

‚Das war nicht ratsam. Bis vor einer halben Stunde hat es geschüttet – und immer schön gegen die Fenster hier.‘

 

Erst jetzt merkte ich, dass mein Hosenboden ziemlich feucht wurde. Nicht, dass ich meine Wasser nicht halten konnte, es kam von ausserhalb meines Körpers. Sass ich doch noch immer auf dem Boden und streichelte meinen Hinterkopf, mit dem ich vorher an der Hauswand herunter geglitten war. Also erhob ich mich vom Boden, schnappte mir den Koffer und trat in meine Wohnung, hereingelassen vom Tod: ‚Naja, hätte mich auch durch die Wand denken können. Tod meinte, es würde weiter funktionieren, nur eben nicht automatisch. Doch dies wusste ich ja vor meinem Trip noch nicht – deshalb die nette Nachbarin.‘

 

Tod rutschte mir mit seiner Knochenhand vom Hinterkopf den Rücken hinunter. Die Schmerzen hörten nahezu augenblicklich auf: ‚Das ist einer der Vorteile, die wir haben. Hat dir das mein Kollege nicht erklärt?‘

 

‚Nein! Sowas kam nie zur Sprache… Willst du was trinken oder nur dran riechen? Ich brauche jetzt einen Tee.‘

 

Ich ging in die Küche, er folgte mir. Und staunte über die reiche Auswahl: ‚Ich rieche mal an allen. Und sage dir dann, welchen du in die Kanne schütten sollst.‘

 

Nach drei, vier Minuten reichte er mir den japanischen Gyokuro Tokiwa: ‚Der sieht so schön giftgrün aus!‘

 

Ich hätte zwar erwartet, dass er sich einen Lapsang oder Genmaicha aussucht. Aber der Tokiwa war auch gut. Selbst der fertige Tee sieht fast giftgrün aus. Und schmeckt zu später Stunde. Wir blieben gleich in der Küche sitzen.

 

‚Wie kommuniziert ihr Beide eigentlich? Du scheinst ziemlich gut Bescheid zu wissen über mich.‘

 

‚Eigentlich nie. Jeder hat seine eigenen Problemzonen. Ich habe ihn erst letzte Woche kennengelernt, wie auch all die anderen Kollegen auf den verschiedenen Welten. Es war der erste Kurs für alle von uns. Die Auditoren mussten sich was einfallen lassen, wegen des immer regeren Tourismus im All. Nun darf jeder auf jedem Planeten sterben. Und wir müssen ran, um auch noch diesen Job erledigen. Dazu kommt, dass überall die Bevölkerungen explodieren. Da war ich einer der Erste, der sich einen Gehilfen zugelegt hat – Mephisto. Vielleicht hast du ja schon von ihm gehört? Doch so eine Möglichkeit gibt es nicht auf jeder Welt. Also sollten wir uns gemeinsam eine Lösung einfallen lassen. Und da kamst du ins Spiel. Ausgerechnet die Auditoren schlugen dich als Versuchsballon vor. Aber, bitte, frage mich nicht, warum. Ich weiss es nicht.‘

 

‚Dann bin ich der einzige offiziell zugelassene Vertreter für Euch im gesamten Universum?‘

 

‚Im Grunde schon. Mephisto hat nie eine Ausbildung und eine Prüfung gemacht. Wir alle eigentlich nicht, fällt mir da ein. Wir sind von Anfang an dabei, und bleiben bis zum bitteren Ende. Bis zum Ende kannst auch du nun mitmachen – wenn du denn willst?‘

 

‚Bedeutet das, ich sterbe nicht mehr?‘

 

‚Jein! Solange du einen von uns vertrittst, nein. Als normal Sterblicher, wie du es im Augenblick wieder bist, ja, irgendwann. Ich könnte nachschauen – würde es dir jedoch nie sagen. Wo bliebe denn da der Spass am Leben?‘

 

‚Und wenn ich mal krank bin, komme ich zu dir und gehe nicht mehr zum Arzt?

 

‚Würde ich dir empfehlen. Ärzte und Versicherungen ziehen dir nur dein Geld aus der Tasche. Heilen wollen die schon lange nicht mehr.‘

 

‚Und wie kann ich dich kontaktieren?‘

 

‚Ich bin auf Facebook. Schick mir einfach ‘ne Nachricht! Mephisto oder ich kommen dann vorbei. Wie können wir dich erreichen, falls wir dich brauchen?‘

 

‚Tod hat immer gewusst, wo ich mich gerade aufhalte. Funktioniert das auf der Erde nicht?‘

 

‚Du könntest unser Auftauchen mistverstehen. Aber wenn du so denkst – ist so am einfachsten.‘

 

‚Krieg ich dann auch eine Sense und ein Pferd?‘

 

‚Die Sense steht drüben im Balkonzimmer. Wir nutzen jedoch keine Pferde mehr, wir gehen hier mit den Zeiten. Diese eRoller sind genial. Vor allem, wenn wir mit ihnen über den Himmel ziehen. Die sprühen Funken, wenn wir es wollen. Ich schicke dir einen mit Mephisto. Sollte in drei Minuten hier sein. Dann können wir mal kurz üben, das Rollerfahren.‘

 

‚Für wie dämlich hältst du mich denn? Das ich nicht Rollerfahren könnte.‘

 

‚Soll ich ehrlich sein?‘

 

‚Ich bin da relativ schmerzfrei.‘

 

‚Sagen wir es mal so: Wäre dein genutztes Gehirn Sprengstoff, hättest du nicht genug davon, um deine Schädeldecke weg zu sprengen.‘

 

‚Naja, kommt auf den Stoff an.‘

 

‚Hhhmmm, nein!‘

 

‚Und du glaubst, das ist eine gute Voraussetzung für eine Zusammenarbeit?‘

 

‚Du bist lernfähig, hast du während deiner Ausbildung bewiesen. Aber lassen wir das. Immer der Reihe nach, wir raufen uns schon zusammen.‘

 

In diesem Augenblick kam jemand durch meine Aussenwand in die Küche gerollert. Mit einem zweiten Roller auf seinem Rücken: ‚Hallo! Nett mal jemand kennenzulernen, den ich öfter als nur ein Mal treffen werde! Hier ist dein Arbeitsroller!‘

 

Ich musste mein Küchenfenster öffnen. Er roch, höflich ausgedrückt, ein wenig nach Schwefelwasserstoff, und ich wollte nicht, dass meine Nachbarn denken, ich lagere verfaulte Eier in meiner Küche. Auch wenn Mephisto gleich wieder verschwand, schlug ich Tod vor, die Übungsstunde auf einen anderen Tag zu verlegen. Ich müsse mich zuerst an meine neue Rolle gewöhnen. Und Rollerfahren könne nicht wirklich kompliziert sein.

 

‚Kein Problem! Doch warte mit dem Probieren! Diese eRoller sind nicht ohne, und dieser hier ist noch spezieller. Er rollt durch alle drei Dimensionen, nicht nur rechts oder links auch nach oben und unten. Und ich will nicht, dass du vom Himmel fällst. Das könnte ungeahnte Konsequenzen haben, für alle. Mephisto ist dies mal passiert, und er musste sich erst von Doktor Faust freikaufen. Seitdem darf er im Dienst nicht mehr am Schnaps schnüffeln. Das wird übrigens auch für dich gelten! Wir sind seriöse Leute.‘

 

Wir gingen zurück ins Balkonzimmer und er gab mir meine Sense. Ich solle ihr einen schönen Platz zuweisen, wo ich sie mir schnell schnappen könnte. Dann war er weg.

 

Eigentlich wollte ich noch meine e-Mails checken, bevor ich ins Bett ging. Doch ich stand nun bereits genau neben ihm, also legte ich mich hin. Ich hätte an diesem Abend wahrscheinlich eh keine mehr beantworten können. Schon beim Hinlegen schlief ich ein – bis ich am nächsten Morgen durch meine Klingel geweckt wurde…

 

Impressum

Texte: 2019 Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Bildmaterialien: Zeichnungen: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition / Foto: Copyright controlled
Cover: 2019 Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition, gemeinsam mit Anne Grasse
Tag der Veröffentlichung: 13.11.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Besten Dank an Anne Grasse für ihre Hilfe beim Korrektorat / Lektorat! Ohne sie hätte ich viel länger gebraucht...

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