Huby und Suzy Duby landeten nach einem ziemlich ereignislosen Flug an der Westküste Nordamerikas, in einem galaktischen Handelszentrum. Bevor ein Grossteil der Menschheit vor längerer Zeit die Erde verlassen hatte, befand sich hier einer der grössten Häfen ihrer Welt, der inzwischen noch weiter ausgebaut worden war. Vancouver war heute die einzige grössere Stadt auf diesem Planeten, oft wurde sogar der Name Vancouver synonym für die Erde verwendet. Alle grösseren Handelsunternehmen der bekannten Zivilisationen hatten hier eine Vertretung.
Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich der ehemalige Flughafen zu einem grossen Raumflughafen entwickelt. Vierhundert Kilometer über der Stadt schwebte eine riesige Raumstation, an der die grossen Schiffe anlegten, die kleineren landeten direkt auf dem Flugfeld. Vancouver war das Zentrum für eines der heissbegehrtesten Handelsgüter im bekannten Universum: Echte Lebensmittel! Und nicht dieser replizierte Frass, den jeder hasste und doch täglich zu sich nahm. Nur in dieser Stadt bekam man echtes Essen für einen vernünftigen Preis. So war diese Stadt zu einem gefragten Ausflugziel im Planetenverbund geworden.
In der Stadt selbst reihte sich ein Restaurant an das andere. Einige der besten Köche von allen Welten hatten sich in Vancouver niedergelassen. Viele Reisenden buchten extra einen Umweg über die Erde, um sich dieses besondere Vergnügen zu gönnen. Zumal direkt hinter der Stadt einer der grössten noch existierenden Regenwälder in der Galaxis lag. Die Erde hatte sich so zu einem der beliebtesten Naturausflugsorte dieser Welten entwickelt. Landwirtschaft und Tourismus waren nahezu die einzigen nennenswerten Wirtschaftszweige auf diesem Planeten. Die Hand voll der verbliebenen Erdenbewohner konnte sehr gut davon leben. Zumal man den Zuzug begrenzte, die Erde sollte ein sauberer Planet bleiben.
Auf die Art war Vancouver einer der lebendigsten Knotenpunkte des Planetenverbundes geworden. Obwohl die Erde eher am Rande seines Gebietes lag. Ständig hielten sich neben den Einwohnern ein Vielfaches an Touristen und Geschäftsreisenden in Vancouver auf. Und diese wollten unterhalten werden. Vancouver war so ebenfalls zu einem Partyzentrum des Universums geworden. Jeder Künstler, der etwas auf sich hielt, musste hier in der einen oder anderen Form aufschlagen, ein Konzert geben, seine Bilder ausstellen, im städtischen Theater auftreten – Hauptsache präsent sein. Einige der wichtigsten Sportereignisse des Planetenverbundes fanden zusätzlich hier statt.
Es gab auf Erden keinen besseren Platz, um für eine Weile unerkannt unterzutauchen. Ihre Tablets hatten sie bereits in Atlantis am Flughafen entsorgt und den Flieger unterwegs mehrfach gewechselt. Fürs Erste waren Huby Duby und seine Schwester Suzy vom Radar verschwunden. Sie mieteten sich ein Apartment im höchsten Gebäude der Stadt, im zweihundertsten Stockwerk. Höher war nichts mehr frei gewesen. Beide standen am Fenster und konnten sich nicht sattsehen. Unter ihnen pulsierte das Leben. Es war bereits fast Mitternacht und die Stadt war hell erleuchtet. Über allem schien ein Vollmond. So etwas kannten die Beiden bisher nicht.
Nach einer ganzen Weile drehte sich Suzy um und fragte ihren Bruder, ob er nicht ebenfalls Hunger hätte. Auch würde sie sich gerne an einem der vielen öffentlichen Terminals auf den Laufenden bringen. Immerhin war sie mehrere Jahre im Universum unterwegs gewesen.
‚Wieviel Zeit willst du öffentlich in den Netzen verbringen?‘, fragte ihr Bruder. ‚Das Wichtigste kann ich dir beim Essen erzählen, und wir besorgen uns neue Tablets, dann kannst du dir in Ruhe alles Wichtige zusammensuchen. OK?‘
‚OK! Lass uns losgehen!‘
Sie wählten die Lobby an und wurden nach unten teleportiert. An der Rezeption fragten sie nach einem guten Restaurant, möglichst mit Tokker Küche. Der Android hinter dem Tresen bemerkte, ihr Tablet würde doch all diese Informationen auf Anfrage liefern, mit Wegbeschreibung. Wo sie denn ihres hätte? Suzy meinte lapidar, sie wäre gerade erst von einer Tiefraumexpedition zurück und müsse sich erst wieder eines beschaffen. Und das Tablet ihres Bruders hätten sie heute in der Aufregung verloren. Da der Android auf Hilfsbereitschaft programmiert war, holte er ihnen zwei neue Tablets aus dem Büro: ‚Aber bitte bei der Abreise wieder zurückgeben!‘
Sie bedankten sich und verliessen das Apartmenthaus. Dabei fiel Huby Duby auf, dass ihnen ein Mann folgte. Das konnte Zufall sein, aber er merkte sich dessen Gesicht. Besser ist besser, dachte er. Die Erlebnisse der letzten Tage hatten ihn vorsichtiger werden lassen. Seiner Schwester sagte er vorläufig noch nichts. Er wollte ihr keine unnötige Angst machen.
Sie entschieden sich am Ende dann doch, lieber kein Tokker Restaurant aufzusuchen. Eventuell vielleicht könnte dort ausgerechnet heute einer ihrer Bekannten sitzen. Oder gar Jemand, der wusste, dass sie sich aus dem Staub gemacht hatten. Huby Duby hatte gegen eines ihrer Gesetze verstossen und mit den Menschen zusammengearbeitet, was nicht gern gesehen war. Nicht weit vom Apartmenthaus fanden sie einen versteckten Imbiss, der Fleischgerichte im Angebot hatte. Diese sollten von der alten Erde stammen, bevor die Menschen sich für eine fleischlose Ernährung entschieden hatten. Das klang interessant.
Die Namen der Gerichte sagten ihnen zwar nichts, doch sie waren offen für Neues. Angenehm fanden sie, dass hier Menschen die Arbeit machten und keine Androiden. Huby fragte seine Schwester, ob diese junge Männer hier ihre eigenen Gerichte essen würden. Und einer von ihnen antwortete, ja, das würden sie. Es gäbe zumindest auf der Erde immer mehr Menschen, die wieder echtes Essen mit Fleisch genossen. Er empfahl ihnen, doch einmal das Chicken Biryani zu probieren, es wäre sein Lieblingsessen. Chicken würde ähnlich wie ihre Rienchen schmecken, gemischt mit irdischen Gewürzen. Sie liessen sich darauf ein und bereuten es nicht.
Nach dem Essen entschlossen sie sich, noch ein wenig durch das Viertel zu laufen. Erstaunlicherweise waren enorm viele Lebewesen zu Fuss unterwegs. Zu Hause auf Tethris nahmen sie stets selbst für kurze Strecken ein Fahrzeug, hier schien dies nicht üblich. Die Luft war klar, der Mond und die Sterne schienen über der Stadt. Es gab zu viel Licht und die Häuser verstellten den Blick. Jedes Restaurant, jeder Klub, jedes Haus beleuchteten die Nacht. Auf der Strasse war es hell wie am Tage, und es war laut.
Dann sah Suzy Duby ein Schild, welches damit warb, dass man hier keine Replikatoren benutzte und dass man in diesem Establishment wahre Ruhe finden könnte. Es gäbe keine Musik in diesem Cafe, aber über hundert Versionen frisch gekochten Kaffee und Tee. Huby fand dies ebenfalls angenehm und sie gingen hinein. Wahre Ruhe war sicher etwas übertrieben, doch man konnte sich in normaler Lautstärke unterhalten. Sie holten sich ihren Kaffee am Tresen ab und suchten nach einem Platz. Alle Tische waren besetzt. Da sah Huby den Mann von vorhin wieder. Dieser sass alleine an einem Tisch und zeigte auf zwei leere Stühle. Da Huby Duby herausfinden wollte, wer dieser Mann nun war und was er von ihnen wollte, schlug er seiner Schwester vor, sich zu ihm zu setzen. Der Mann erklärte ihnen, er hätte sie aus der Ferne bereits seit ihrem Eintreffen auf der Erde beobachtet. Sie wären in eine schwere Raumzeitstörung verwickelt und er müsse herausbekommen, inwieweit sich diese auf den Rest des Universums auswirken könnte.
Huby und Suzy schauten sich völlig irritiert an. Huby fragte ihn, ob er vom Wissenschaftsrat der Tokker geschickt worden sei, um sie zu suchen. Nein, er wäre ein Gallerid, mit einer menschlichen Mutter.
Galleriden hatten keinen besonders guten Ruf in der Galaxis. Ein Teil von ihnen bildete sich ein, über die Zeit wachen zu müssen. Ständig waren sie irgendwo aufgetaucht, wo sie eine Raumzeitstörung vermuteten. Auf der anderen Seite gehörten sie zu den ältesten Zivilisationen des Universums. Sie verfügten bereits über eine intergalaktische Raumfahrt, als sich noch die sogenannten Alten in dieser Gegend herumtrieben. Eventuell hatten sie sogar noch die Synapsiden kennengelernt. Dennoch waren sie erst nach dem Untergang des irdischen Tores mit dem Planetenverbund in Verbindung getreten, doch nie beigetreten. Als Historiker kannten Huby und Suzy Duby viele obskure Geschichten über die Galleriden. Auf der anderen Seite wurde unter Tokkern vermutet, dass die Galleriden ebenfalls verschwunden waren. Seit über 1,000 Jahren hatte man nichts mehr von ihnen gehört. Und nun sassen sie einem von ihnen gegenüber. Einem Galleriden, der auch noch eine menschliche Mutter haben wollte. Das hiesse, die Galleriden müssen irgendwann einmal auf der Erde gewesen sein, und dies wahrscheinlich vor deren Auftauchen in der galaktischen Gemeinschaft. Galleriden wurden sehr, sehr alt, man vermutete über 10,000 Jahre und sie hatten eine sehr lange Kindheit. Dieser hier war offensichtlich bereits mehrere 100 Jahre alt. Wie konnte er da eine menschliche Mutter haben?
Doch dies war im Augenblick nicht die wichtigste Frage. Wieso sie? Das wollten sie wissen. Der Gallerid sagte ihnen, sie könnten ihn John Doe nennen. Das wäre einer seiner Namen. Zusätzlich erklärte er ihnen, dass die Systeme in seinem Raumschiff vor einigen Wochen ein Zeitvergehen auf der Erde gemeldet hatten. Als er hier eintraf, konnte er die Ursache nicht mehr finden. Vor knapp fünfzehn Stunden aber schlugen seine Systeme wieder heftig aus. Die Ursache lag in dieser Atlantis Akademie. Bevor er sich dort kundig machen konnte, zeigten sie ihm an, dass eine der verursachenden Personen den Ort verliess. Deshalb war er ihnen nach Vancouver gefolgt. Die anderen drei Beteiligten hätten die Erde wieder in Richtung galaktisches Zentrum verlassen und von dort waren sie aus dem Universum verschwunden. Jetzt würde alles an Suzy Duby hängen. Deshalb hätte er sie an seinen Tisch gerufen. Er wollte wissen, was passiert war.
Suzy Duby erklärte ihm, dass sie von einer Tiefraumexpedition zurückgekehrt war, mit drei Lebewesen, die sie in einem anderen Universum getroffen hätte. Diese waren wahrscheinlich die drei, die die Erde inzwischen wieder verlassen hätten. Sie wäre mit ihrem Bruder bereits vorher aus Atlantis verschwunden, um von dem Chaos dort wegzukommen. Ihr Bruder würde zusätzlich Probleme mit dem Wissenschaftsrat haben. Aber dies alles hätte auf keinen Fall mit der Zeit zu tun. Da müssten sich seine Systeme irren. Doch John Doe blieb dabei, seine Systeme würden sich nie irren. Wie sie denn zur Erde gereist war? Auf keinen Fall mit einem Raumschiff, das hatte er bereits herausgefunden. Haben die Menschen eventuell ihr Tor wieder in Betrieb genommen? Das wäre eine Erklärung. Eine furchtbare obendrein. Suzy bejahte dies, und wollte wissen, wieso dies furchtbar ist.
Da fragte sie John Doe, ob sie noch etwas trinken wollten. Beide nickten und beharrten auf ihrer Frage. John Doe holte ein kleines Täschchen heraus und entnahm ihm drei Gläser und eine Art Thermoskanne – all dies war wesentlich grösser als sein Täschchen. Wie machte er dies? Sie prosteten sich zu und...
Huby und Suzy Duby wachten in einem riesigen Raum wieder auf. John Doe stand an einem Terminal und überprüfte irgendwelche Daten. Huby Duby fragte ihn sofort, was er mit ihnen vor hatte. John Doe sagte lediglich, sie hätten von seiner Margarita getrunken und deshalb hatte er entschieden, sie lieber in sein Raumschiff mitzunehmen. Dies wäre besser gewesen, als sie in diesem Cafe vom Sitz rutschen zu lassen. Sie könnten jederzeit zurück in ihr Apartment, wenn sie wollten. Sein Raumschiff befände sich auf dem Dach ihres Hotels. Er war jedoch der Meinung, sie würden eine Erklärung verdienen. Doch Suzy Duby wollte in ihr Apartment. Der Gallerid war ihr nicht geheuer. Sie könnten sich am nächsten Tag beim Frühstück treffen, in einem dieser Cafes unten in der Stadt. Eine Entführung, wohin auch immer, fand sie nicht angemessen, wie sie sich ausdrückte. Huby und Suzy Duby verliessen den Raum. Der Meister hinderte sie nicht. Vor der Tür fanden sie sich auf dem Dach ihres Apartmenthauses wieder, praktisch nur eine Handvoll Stockwerke über ihren Räumen. Als sie sich umdrehten, sahen sie jedoch kein Raumschiff, dort stand lediglich eine winzig kleine Blechhütte, ähnlich einem Dixi-Klo. Auf jeden Fall wesentlich kleiner als der Raum, aus dem sie gerade kamen. Wie war das möglich? Doch bevor sie wieder zurückkonnten, hob dieses Dixi-Klo ab. Sie verliessen das Dach und hofften, John Doe am nächsten Morgen zum Frühstück wiederzutreffen. Sie hatten vergessen, einen Treffpunkt auszumachen...
Texte: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 25.02.2019
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