Am nächsten Morgen wurde ich von einem eigenartigen Geräusch geweckt. Es kam mir irgendwie bekannt vor, doch so im Halbschlaf war es nicht einzuordnen. Ich öffnete meine Augen und traute diesen nicht mehr. Direkt neben der Zimmertür - innen – materialisierte sich eine blaue Polizeinotrufzelle. Aus ihrem Inneren wurde bei mir angeklopft. Vor lauter Überraschung brüllte ich: ‚Herein! Wenn’s kein Schneider ist.‘
‚Was ist mit dem Doktor? Darf der herein?‘, ertönte eine mir bekannte Stimme aus dem Inneren der Zelle.
Den hatte ich zwar erwartet, jedoch nicht soo früh. Ich bat um einige Minuten, um meinen Körperfunktionen den Lauf zu lassen und um mich empfangsbereit zu machen. Danach klopfte ich selbst an und wurde prompt eingelassen.
Mit der Frage ‚Dürfen wir dein Zimmer nicht sehen?‘, wurde ich vom Doktor empfangen. Dabei hielt er mir mein noch verpacktes Geschenk entgegen. Hatte ich wohl am Vorabend irgendwo abgelegt, wollte ich scheinbar heimlich loswerden. Doch dem Doktor entgeht selbst so ein mieser Trick nicht. Er hat es in einer verstaubten Ecke seiner TARDIS für mich wieder eingefangen - wie er sagte.
Ich nahm es und nutzte die Gelegenheit, sie gleich in mein Zimmer einzulassen. Terry Pratchett war begeistert, vor allem vom Ausblick aus dem Fenster. Jetzt könne er sich ziemlich bildlich vorstellen, wie es in einer mittelalterlichen Grosstadt ausgesehen hätte. Lediglich über meinen Thron rümpfte er die Nase, ob das denn nicht stinken würde. Ich konnte ihn jedoch beruhigen, man gewöhne sich an alles und ausserdem würde der Topf regelmässig entleert. Dennoch empfahl ich, möglichst schnell zu verschwinden. Spülwein könne jederzeit auftauchen. Nicht aus dem Topf, eher durch die Zimmertüre mit meinem Frühstück. Das würde jeden Morgen passieren. Ich legte mein Päckchen schnell auf mein Bett und hielt ihnen die Türe der Zelle auf. Wir hatten diese kaum hinter uns geschlossen, da hörte ich bereits das Klopfen Spülweins. Der Doktor startete schnell seine TARDIS und wir verliessen mein Zimmer durch Raum und Zeit. Wir hörten noch einen erschreckten Aufschrei einer Frau – es war wohl doch nicht Spülwein gewesen, der da reinkam.
Es war eine sehr kurze Reise, kaum waren wir abgehoben, landeten wir schon wieder: ‚Willkommen in der Unterwelt der Scheibe!‘
‚Ich dachte immer, die Unterwelt ist nur ein Sinnbild für das Leben nach dem Tode, vor allem wenn man nicht artig war‘, warf da Terry Pratchett ein.
‚Wie würdest du ansonsten die Unterseite benennen?‘, hob der Doktor diesen Einwurf auf und legte ihn sorgfältig zur Seite. ‚Scheibenwelten verfügen immer über eine Ober- und eine Unterseite, und im Allgemeinen bezeichneten ihre Einwohner diese als die Unterwelt. Ich dachte halt, das wäre genau das Richtige für den Anfang. Völlig anders und dennoch eigentlich das Gleiche. Ist fast ein Spiegelbild zur Oberseite, und doch wieder nicht.‘
‚Wie kann denn so etwas sein? Liegt denn nicht die Unterseite der Scheibe auf den Rücken der vier Elefanten?‘, erinnerte ich mich.
‚Jein! Die atmosphärische Kuppel liegt auf den Rücken der Elefanten, nicht die Scheibe selbst – diese liegt so stabiler. Doch ein grosser Teil des Sternenhimmels wird hier durch die Elefanten und die Schildkröte verdeckt. Darum herrscht immer ein Art Halbdunkel, selbst wenn die Sonne scheint. Die Bewohner sind deshalb ziemlich düster drauf, doch die Unterwelt hat auch ihre Reize.‘
‚Und wer lebt dort?‘
‚Das ist eigentlich eher witzig‘, versuchte sich da der Doktor. ‚Tod ist der Einzige auf der gesamten Scheibenwelt, der auf beiden Welten aktiv ist. Aber er selbst lebt ausserhalb der Zeit, ansonsten könnte er seinen Job nicht alleine erledigen. Diese Welt hier ist zwar nicht so dicht bevölkert wie etwa die Erde, jedoch es sterben ständig weit mehr Leute als er innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit bearbeiten könnte. Ohne Zeit zu leben kann da extrem hilfreich sein….‘
‚Nun mach’s nicht so spannend: Was ist denn nun sein Job?‘, wollte da Terry Pratchett wissen.
‚Dazu wäre ich schon noch gekommen… Also, Tod ist dafür verantwortlich, dass sich die Seelen nach dem Tode vom Körper trennen, mit Hilfe seiner Sense und / oder dem Schwert. Die Seelen wären sonst nicht in der Lage, in die jeweils andere Welt zu wechseln und sich dort einen neuen Körper zu wählen. So leben die einzelnen Seelen abwechselnd in der Ober- bzw. Unterwelt, wobei sie ihr Vorleben vergessen. Auf die Art werden sie für ihr bisheriges Leben bestraft oder belohnt. Einige steigen ständig auf, andere immer weiter ab…‘
‚Inwiefern?‘, interessierte es mich. Waren mir doch ähnliche Konzepte von der Erde her bekannt.
‚Naja, die Lebewesen ordnen sich – gesehen vom unteren Ende der Rangfolge – von den Ratten bis hin zu den Auditoren an. Wer sein Leben verschenkt hat, nie etwas Gutes getan und seine Artgenossen nicht geachtet hat, der steigt im Rang ab und wer nur Gutes tat und seinen Mitlebewesen stets eine Hilfe war, derjenige steigt halt im Rang. Ratten gibt es heute überall unendlich viele und Auditoren bisher lediglich sieben im gesamten Universum…‘
‚Wer sind denn diese Auditoren?‘, bohrte Terry Pratchett nach. ‚Götter können es nicht sein – von denen gibt es viel mehr, oder?‘
‚Götter gibt es auf jeder vernünftigen Welt, so viele, dass es unter ihnen sogar noch verschiedene Abstufungen gibt. Nein! Die Auditoren passen darauf auf, dass im Universum alles regelgerecht abgeht. Andererseits haben sie keine Möglichkeiten zum Strafen oder Loben. Dafür existieren noch Helfer, wie etwa der Rattentod, die darüber entscheiden, ob eingegriffen werden muss, oder nicht… Aber lasst uns jetzt mal schauen, wie es draussen aussieht.‘
‚Ich würde gerne noch Näheres darüber erfahren, worüber du vorhin geredet hast… Heisst das, dass die Seelen eigentlich unsterblich sind, wenn sie abwechselnd in der Ober- und Unterwelt leben? Halt eben nur in unterschiedlichen Körpern? Und was passiert, wenn eine Ratte sich nicht bessert?‘
‚Naja! Der Reihe nach! Erstens: Seelen können unsterblich sein, sind es meist jedoch nicht. Das hängt vor allem vom jeweiligen Charakter ab. Im Grunde sind lediglich die Auditoren wirklich unsterblich. Nicht einmal ich bin es. Alle Seelen sind von ihrer Geburt an im ständigen Auf- und Abstieg gefangen. Und niemand weiss wirklich davon, auch wenn es der Eine oder Andere durchaus ahnt. Doch für die Massen endet das Leben als Ratte. Als diese bekommt man drei Chancen, und wer danach nicht wieder aufgestiegen ist, stirbt letztendlich. Das ist die Aufgabe vom Rattentod, er entscheidet, wessen Seele noch eine Chance bekommt und welche nicht. Tod dagegen sorgt lediglich dafür, dass sich die Seele vom Körper trennen kann und weiterziehen darf. Das Rattendasein ist sozusagen Fegefeuer und Hölle gemeinsam und auf Raten. Nur Rattentod kann es beenden, auf die eine oder andere Art…‘
In der Zwischenzeit waren wir aus unserer Telefonzelle herausgetreten in eine ziemlich düstere Welt. Die gesamte Landschaft war in eine Art Zwielicht getaucht und wir konnten kaum hundert Meter weit sehen. Der Doktor meinte, es wäre kurz nach dem Mittag. Wie sah es erst während der Nacht hier aus? Im Moment liess sich die Riesenschildkröte die Sonne auf den Bauch scheinen, und sie bedeckte den gesamten Himmel in der Unterwelt. Der Doktor meinte zwar, es gäbe am Tag zwei Sonnenauf- und -untergänge, doch selbst im Sommer würde sie nie länger als jeweils drei Stunden am Vormittag und drei am Nachmittag scheinen. Das würde sich nicht wirklich positiv auf die Launen der Einwohner auswirken. Es wäre also Vorsicht geboten, hier würde man ziemlich schnell echt sauer.
Aus diesem Grunde hätte er auch eine eher dünn besiedelte Gegend für eine Besichtigung ausgesucht. Er wäre auf Tods Grundstück gelandet. Dieses wäre nur per TARDIS erreichbar, da hier keine Zeit existieren würde. Dies bedeute, dass wir, solange wir uns auf diesem Gelände aufhielten, nicht altern würden. Und wir könnten erfahren, was aus Kardabra dem 1. geworden ist.
Wir gingen auf ein ziemlich düsteres – ja fast schon – Schloss zu, welches von Weitem ziemlich verschlossen wirkte. Dabei fiel mir auf, dass alle Pflanzen in diesem Park schwarz waren. Nicht nur die Stämme, auch die Blätter und Blüten. Und am Schlossteich sass ein kleines Gerippe mit einer Angel, an der ein kompletter Fisch aus Gräten hing. Vor dem Stall stand ein älterer Mann mit einem spitzen Hut und einer Zigarette zwischen den Zähnen. Er striegelte ein Pferdegerippe.
‚Hallo Kardi!‘, begrüsste der Doktor diesen Herren. ‚Ist der Boss zu Hause?‘
‚Klar doch! Er sitzt an seinem Schreibtisch und stellt seine nächste Tour zusammen. Soll ich Frühstück machen?‘
‚Es ist doch schon nach Mittag! Jetzt noch Frühstück?‘
‚Nenn’s, wie du willst! Der Chef riecht nur am Frühstück, und alle anderen Mahlzeiten nimmt er unterwegs zu sich. Was also: Frühstück, oder nichts?‘
‚Frühstück!‘, entschied der Doktor.
Kardi, oder wie dieser Kette rauchende Herr nun wirklich hiess, führte uns in das erwähnte Schloss. Innen war es noch viel düsterer als von aussen. ‚Der Boss mag sehr bedrückende Stimmungen, auch wenn er selbst meist zum Scherzen aufgelegt ist‘, erklärte er uns.
Er führte uns in einen Raum, welchen man mit viel guten Willen als Küche bezeichnen konnte. ‚In Tods Reich wird wohl das Licht gefiltert, nur die Grau-Töne werden hier reflektiert‘, raunte mir der Doktor zu. ‚Liegt eventuell an der fehlenden Zeit. Das Licht hat wohl zu wenig davon übrig, um sich in all seiner Pracht zu entfalten.‘ Das drückte schon nach einer kurzen Weile ziemlich auf die Stimmung. Und selbst das Essen sah nicht besser aus, vor allem das, was bei Kardi so auf den Teller kam. Er stellte jedem von uns einen Teller vor die Nase mit einer grossen Portion einer extrem geruchsintensiven grauen Masse, die er irgendwie aus vielen Ei-ähnlichen Dingen zusammengerührt hatte. Doch wie Rührei sah es nicht aus, und roch ebenfalls anders. Ich rührte es nicht an. Selbst Tod roch nur an seinem Teller – bis mir einfiel, dies ist ja seine Art von Mahlzeit. Die Erinnerung an meinen ersten Abend auf der Scheibenwelt wurde wieder wach. Die anderen Drei hauten jedoch richtig rein, so dass es nur so spritzte. Kardi musste die Küche anschliessend sauber machen. Tod lud uns anschliessend in sein Arbeitszimmer ein, welches noch viel düsterer war. Wir konnten unsere Hände vor den Augen nicht erkennen.
Wir mussten eine ganze Weile warten bis Tod uns erlaubte, sie wieder herunterzunehmen. Wie passte dieser Riesenraum in sein kleines Schloss?
‚Wir befinden uns in meinem Keller, alles hier ist streng geheim!‘, erklärte er uns. ‚Kein Bewohner der Scheibenwelt darf hier rein. In den Regalen stehen die Sanduhren aller Bewohner. Es könnte ja jemand auf die Idee kommen, und seine eigene Uhr manipulieren.‘
Just in diesem Moment fiel mir das konstante Rauschen von fallendem Sand auf. ‚Man gewöhnt sich schnell daran‘, erklärte Tod - schon wieder ungefragt.
‚Wie lange machen sie denn diesen Job schon?‘, Terry Pratchett schien so langsam aufzutauen.
‚Ich war der erste Bewohner dieser Welt hier. Und werde wohl auch der Letzte sein, der sie verlässt. Ich war scheinbar schon in dem Ei enthalten, aus dem sie entstanden ist. Oder ich war eine Verunreinigung, die dazu kam, als sie es vom Boden aufkratzen. Es war ihnen vom Löffel gefallen, beim Eintauchen in das kochende Wasser. Auch diese Welt sollte ursprünglich eine Rundwelt werden.
Irgendjemand hatte dann die Idee, es mal mit einer Spiegelei-Version zu versuchen, auf dem Rücken einer Schildkröte und von vier Elefanten, die gerade aus dem Universum aufgetaucht waren. Und so landete dieses Ei in der Pfanne und wurde zum Spiegelei. Danach wurde beschlossen, dass diese Welt auf ewig etwas Besonderes bleiben sollte und man legte fest, hier könnten all die abgelegten Fantasiegestalten aus dem gesamten Universum ihr zu Hause finden. Immer, wenn ein Volk nicht mehr an sie glaubte, durften diese hierher auswandern. An mich und mein Pferd Greyhound hat wohl niemand im Universum je geglaubt, deshalb wurde ich ihr erster Bewohner. Hab mir die schönste Ecke für mein Häuschen ausgesucht, und das ist sie immer noch. Nur einem, Kardabra, gelang es, hier einzudringen. Er hatte in einem sehr alten Buch einen Zauber entdeckt, der es ihm möglich machte, ewig zu leben. Und seitdem ist er mein Koch und Mädchen für alles. Das Buch hat er gleich mitgebracht, damit er der einzige bleibt – neben mir.‘
Terry Pratchett bekam dabei wohl einige neue Ideen, die er sich aufschreiben wollte, er fragte nach einem Notizbuch. Tod griff in eine seiner Schreibtisch-Schubladen und holte ein in Schildkrötenleder eingeschlagenes Oktavbüchlein heraus, welches er ihm gab. Terry Pratchett begann sofort wie ein Wilder in dieses zu schreiben. Und er hörte damit nicht mehr auf, bis zum Ende unseres Trips mit dem Doktor…
Dieser stand auf und reichte Tod sein Händchen: ‚Wir sollten weiter! War mal wieder schön, mit dir zu plauschen.‘
Tod rief nach Kardi und bat ihn, uns auszulassen. Er hätte zu tun. Kardi flüsterte uns zu, er plane kein weiteres Essen, für welches er uns auslassen könne und entliess uns einfach aus der Tür…
Zurück in der TARDIS fragte der Doktor nach unseren Wünschen. Ich erinnerte mich an die Schweinepriester, die Spülwein vor der Party erwähnt hatte. Das klang mir nach viel Spass. Und der Doktor war der gleichen Meinung. Er gab das Ziel ein und schon landete die TARDIS wieder in der Oberwelt.
Dieses Mal schien die Sonne, der Doktor hatte wohl eine Vorliebe für die Mittagszeit. Wir waren auf dem Gelände einer urtümlichen Schweinefarm gelandet, neben vielen freilaufenden Schweinen war wenig zu sehen. Lediglich vereinzelte Wesen liefen auf dem Gelände herum. Diese waren in rote Mönchskutten gekleidet. An den wenigen Bäumchen der Farm hingen kleine Glaskugeln und Glöckchen. Die Luft war von ihrem Klingeling erfüllt und dazu sangen die Mönche fast schon weihnachtliche Lieder, nur wirkten diese hier eher wie Gebete.
Ein ziemlich rundlicher Mönch kam auf uns zugerollt und schien sich dabei zu freuen, den Doktor zu sehen. Der Doktor machte einen Ausfallschritt nach hinten und konnte so den Mönch zum Stehen bringen. Er stellte sich uns als der Vater aller Schweinepriester vor. Eigentlich dürfte ja niemand dieses Kloster betreten, ausser den geweihten Mönchen, doch für den Doktor würde man immer gerne eine Ausnahme machen. Er hatte dem Orden seit seiner Entstehung immer wieder mit guten Tipps geholfen.
Er führte uns in das einzige, zweistöckige Wohngebäude auf dem Gelände. Und dann entschuldigte er sich bereits wieder. Er müsse sich für ihr heutiges Fest umkleiden. Von einem Augenblick auf den anderen standen wir in einem riesengrossen Speisesaal herum - wie bestellt und nicht in Empfang genommen. Terry Pratchett schien damit am besten klarzukommen. Er setzte sich an einen der Tische und schrieb wie ein Teufel in Tods Notizbuch. Als einer der Mönche eintrat, bat er sofort um ein weiteres. Der Mönch hob nur kurz seinen Finger und bedankte sich für den guten Tipp. Er rannte schnell los, als ob er etwas vergessen hätte…
‚Es ist ihr zentrales Fest!‘, bemerkte der Doktor. ‚Heute werden die Schweine zum Schlachten ausgewählt, sie nennen es den Hogswatchday. Morgen werden sie dann geschlachtet und die Mönche würden bei einem grossen öffentlichen Fest die Bauern in der Umgebung mit deren Fleisch und Wurst beglücken. Darum dreht es sich in ihrer Religion. Später wird daraus die Weihnachtsversion der Scheibenwelt, an dem nicht nur Schweine gefressen werden, sondern zusätzlich Jeder Jedem Geschenke überreicht. Diese letztere Änderung würde später Hans Dollar einführen, um die Wirtschaft, vor allem das Finanzwesen, anzukurbeln. Es ist überall dasselbe – es geht nur ums Geld und das gemeinsame Saufen und Fressen, vor allem in den Religionen.‘
Nach und nach kamen immer mehr Mönche in den Saal. Sie begannen damit, die Tische zu decken. Von draussen erreichte uns ebenfalls immer mehr Lärm, vor allem die Schweine begannen zu quieken. Wir konnten uns kaum noch normal unterhalten. Einer der Mönche erklärte uns, dass die Schweine nun in ihren abgesperrten Bereich getrieben wurden, damit sie nach dem Essen von allen begutachtet werden konnten. Am Ende sollten die Hogs, die schlachtreifen Schweine, von den restlichen Schweinen getrennt werden. Dies würde ein grosser Spass werden. Wie jedes Jahr.
Am nächsten Tag würden diese Hogs dann gemeinschaftlich geschlachtet, um am Abend hier im Saale das grosse Fest auszurichten. Dazu würden sie ausnahmsweise mal die Tore des Klosters für die Bauern aus der Umgebung öffnen. Diese brächten ihnen ihre Produkte, vor allem Milch, Eier, Getreide und Gemüse, und dürften sich im Gegenzug mit Wurst und Fleisch von den geschlachteten Schweinen eindecken. Nur so könnte das Kloster mit seinen Mönchen ein weiteres Jahr überleben. So verfuhren sie nun bereits seit hunderten Jahren und es hatte sich für sie bewährt – so gut, dass weitere Klöster diese Tradition übernommen hätten. Auf diese Art hätte sich das Fest der Schweinepriester auf der gesamten Scheibenwelt als Feiertag durchgesetzt. Niemand würde dadurch etwas verlieren oder gewinnen. An dieser Stelle flüsterte mir der Doktor ein ‚Noch‘ ins Ohr.
Dieses Auswählen der Hogs stellte sich jedoch eher als ein ziemlich langwieriger Vorgang heraus, als dass wir daran echten Spass gehabt hätten. So zogen wir Drei, der Doktor, Terry Pratchett und ich, uns nach kurzer Zeit in die TARDIS zurück. Dort ging jeder von uns seinen eigenen Vorlieben nach. Unsere ‚Kiste‘ war ja innen gross genug, dass wir uns problemlos aus dem Wege gehen konnten. Ich genoss es, den Swimming Pool mal für mich alleine zu haben und haute mich danach aufs Ohr.
Kein Wunder, dass ich am nächsten Morgen mit Ohrenschmerzen aufwachte, man sollte sich halt nicht zu hart selbst hauen. Doch die Mönche hatten ein sehr gutes Mittel dagegen. Es half nahezu sofort. Leider verrieten sie mir nicht, um was es sich dabei gehandelt hatte. Aber: Es hilft immer noch – seit diesem Tage bis heute bekam ich keine Ohrenschmerzen mehr, nur weil ich mich mal für ein halbes Stündchen aufs Ohr gehauen habe. Passiert mir öfter als ich denken kann.
Das grosse Schlachten liessen wir uns ebenfalls entgehen und erkundeten das Kloster nach dem gemeinsamen Frühstück auf eigene Faust. Etwas abgelegen fanden wir dabei eine Art Tempel. Die Wände waren über und über mit den Riesen-Hauern der hiesigen Eber geschmückt. Sah ziemlich brutal aus. In der Mitte der Halle stand eine grosse Skulptur eines der Eber. Dieser war sitzend auf einem grossen Schlitten dargestellt, der von vier weiteren Ebern gezogen wurde. Der Schlitten war über und über mit grossen Paketen beladen. Und dem sitzenden Eber hatten die Mönche eine ihrer roten Kutten übergeworfen und ihm einen weissen Bart unter der Schnauze – aus Watte? - umgehängt. Die gesamte Figur war aus einem rosafarbenen Stein gehauen worden. Lediglich die Zähne, Hauer und die Augen hatte man mit Farbe angemalt. Wenn bis dahin nicht klar war, warum die Mönche Schweinepriester genannt wurden, jetzt war es auch mir klar. Diese Schweine waren die Grundlage ihrer Religion.
Wir gingen zurück zum Haupthaus. Dort war inzwischen ein grosses Volksfest a la Jahresmarkt im Gange. Alle möglichen Lebensmittel wurden dort getauscht, man schenkte sich gegenseitig etwas und bekam dafür etwas anderes – ähnlich wie auf einem Potlatch. Selbst Tod war unter den Gästen. Bei dieser Gelegenheit hätte er immer alle Hände voll zu tun, gestand er dem Doktor. Und dem jammernden Bauern, mit dem er sich gerade unterhielt, empfahl er endlich auf den Punkt zukommen, denn er hätte nicht den ganzen Tag Zeit.
Vor dem Haus hatten die Mönche einen grossen Schlitten aufgestellt, in dem der grösste Eber vom Vortage sitzend wie ein Mensch festgebunden war, bekleidet mit einer ihrer roten Mönchskutten. Das arme Tier musste mit ansehen, wie seine Artgenossen hier unters Volk gebracht wurden. Ihm war offensichtlich ein längeres Leben beschieden, doch ob dies für ihn wirklich anstrebenswert war, blieb offen. Gegen Abend verschied dieser Eber jedoch auf natürliche Weise. Herzinfarkt, wie uns Tod erklärte. So würde es jedes Jahr für diese Tiere enden. Er würde dieser Quälerei zwar gerne ein Ende setzen, doch die Mönche würden ihn erst erkennen, wenn ihnen selbst ihr letztes Stündlein unmittelbar bevorstünde und in diesen Momenten wollten sie immer andere Probleme mit ihm klären. Der Doktor versuchte zwar mit meiner Hilfe dies dem Ober-Schweinepriester zu verklickern – doch der war nicht bereit, uns wirklich zuzuhören. Er verstand nicht – oder wollte nicht verstehen – was wir von ihm wollten. Oder er war schlicht zu betrunken…
Erst zu später Stunde kamen wir Drei in der TARDIS wieder zusammen. Wir streckten uns gemeinsam auf die Liegestühle im Solarium nieder und versuchten auf diese Weise zumindest etwas von dem zu verdauen, was man uns aufgezwungen hatte. Für den nächsten Tag versprach uns der Doktor einen Ausflug in eine ruhigere Zeit auf der Scheibenwelt, doch dies bekamen wir nur wie durch einen Nebel mit…
(Ende des sechsten Berichtes)
Texte: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Bildmaterialien: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2019, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 25.02.2019
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