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Sightseeing in Newor Leans

Am nächsten Morgen freute ich mich so richtig auf mein Frühstück, ganz in Ruh‘ in meinem Hotelzimmer in Newor Leans, ohne Spülwein und so. Doch diese Freude hielt nicht lange an: Er war wohl schon im Hotel und der Zimmerservice schickte ihn mit dem Tablett zu mir. Spülwein wurde dabei von einem ziemlich ‚schrägen Vogel‘ begleitet. Er stellte ihn als Käsie Gross vor, Newor Leans‘ berühmtesten ‚Schreiberling‘. Er würde viel Geld verdienen mit seinen sogenannten ‚Kotzik Nowels‘, dem letzten Schrei auf der Scheibenwelt. Auf die Frage hin, was dies eigentlich sei, antwortete Käsie Gross ziemlich lapidar: 'Das sind Geschichten über junge Frauen, die in ein leeres altes Haus gehen und dort vor lauter Angst ihr feuchtes Höschen verlieren...‘ Ich konnte mir leicht denken, was er damit meinte. So etwas gibt es ja bei uns ebenfalls.

Keine Ahnung, warum Spülwein nun gerade mit diesem Typen bei mir auftauchte, hatten wir doch auf unserer Rückreise aus NeAppel für heute Sightseeing verabredet. Hielt er Käsie Gross für eine Sehenswürdigkeit? Galten hier ‚bunte Vögel‘ als vorzeigenswert? In diesem Falle hätte ich mich lieber alleine auf die Socken gemacht. Doch diese Scheibenwelt schien so ihre Besonderheiten zu besitzen, die mir nicht wirklich lagen. Ich machte Spülwein also darauf aufmerksam, dass ich viel mehr an diese Nie Gesehenen Universität gedacht hatte, oder an ähnliche historische Plätzen.

‚Sie meinen wohl Orte wie die Bank?‘, fragte da Käsie Gross. ‚Seit der Erfindung des Sparstrumpfes bringt hier niemand mehr sein Geld zur Bank. Jetzt steckt es in irgendwelchen Sockenschubladen – und erschwert der Bankräuber-Gilde das Leben. Dort, wo sie früher von einem Bruch pro Jahr leben konnten, müssen sie jetzt jede Woche zu einem neuen Bruch ausschwärmen. Aber es ergibt gute Geschichten. Wie etwa die, von dem Safeknacker, der mir mal völlig ausser Atem über den Weg gelaufen ist. Der war kreidebleich und beschwerte sich über seine Kollegen. In dem Haus, aus welchem er gerade weggelaufen war, sollte es nach deren Aussagen keine Hunde geben. Doch er hatte einen gehört. Am Schluss stellte sich heraus, er war vor der ledigen, und schlafenden, Hausfrau davongelaufen. Kein Wunder, dass diese keinen Mann fand...‘

‚Newor Leans ist eine noch recht junge Stadt‘, warf da Spülwein ein. ‚Diese Nie Gesehene Universität ist mit Abstand die älteste Universität auf unserer Welt. Angeblich bestand sie bereits als der legendäre Kardabra seine ersten Schüler hierher führte. Doch Kardabra verschwand vor über 1,000 Jahren einfach so von dieser Welt, und liess seine besten Schüler allein. Tod kann darüber sicher mehr berichten. Er meint, Kardabra müsse noch irgendwo leben, er jedenfalls hätte ihn nie in seine Welt eingelassen, dessen Sanduhr stände noch immer in seinem Regal und alle zehn Jahre fiele da ein Sandkorn nach unten. Auf diese Weise hätte er wohl noch mehrere tausend Jahre vor sich. Doch, wo er sich im Moment aufhielte, dies wüsste selbst Tod nicht. Naja, auf jeden Fall haben sich hier die ersten Wesen – nach den Zauberern und ihren Lehrlingen – erst vor weniger als hundert Jahren angesiedelt, nachdem ein Zwerg namens Gier Hans Taler darauf aufmerksam gemacht hatte, dass auch Zauberlehrlinge ihr Geld ausgeben möchten. Und da Zauberer zu den reichsten Scheibenwelt-Bewohnern zählten, folgten Hans Taler Wirtsleute, Handwerker, Kaufleute und dieses ganze Gesocks, um Newor Leans zu dem zu machen, was es heute ist – ein Eldorado für Glücksritter und der Alptraum für jeden Zauberer.‘

‚Wie lang ist denn ein Jahr bei euch?‘, wollte ich da wissen.

‚Wenn der Winter vorbei ist, fängt ein neues Jahr an. Und dazwischen müssen wir Frühjahr, Sommer und Herbst überstehen‘, meinte darauf Käsie Gross.

‚Ja, aber wie viele Tage hat ein Jahr?‘

‚Das ist verschieden‘, versuchte es nun Spülwein. ‚Mal gibt es einen langen Sommer, mal einen kurzen. Mal zieht sich der Winter, und manchmal kommt er garnicht richtig an. Nach unseren Aufzeichnungen ist ein Jahr im Durchschnitt gute 350 Tage lang. Kann aber mal bis zu 370 haben oder schon – eher selten - nach 330 zu Ende sein. Wir haben einen Kalender mit 11 fixen Monaten a 30 Tagen plus Wechsia, der halt dann die restliche Zeit gilt. Einmal hatte Wechsia sogar 42 Tage, meist jedoch um die zwanzig.‘

‚Und wer legt fest, wann das Jahr anfängt? Gibt es da eine Kommission oder so?‘, wollte ich noch wissen.

‚Das macht die Denkmaschine, die Kardabra mit seinen ersten Schülern gebaut hat, im Keller der Universität. Die teilt uns mit, wann es soweit ist.‘

‚Die würde ich mir gerne anschauen. Und vorher noch die Bank‘, entschied ich daraufhin.

Beim Verlassen des Hotels gab es einen kleinen Auflauf wegen Käsie Gross. Da ich noch vom Frühstück ausreichend gesättigt war, bat ich Spülwein einfach zu verschwinden. Er nickte und wir überliessen Käsie Gross diesen Auflauf.

Spülwein winkte eine der kleineren, offenen Fiaker-ähnlichen Gefährte heran, mit der wir uns zur Bank kutschieren liessen. Unterwegs betete er mir eine ganze Reihe von Verhaltensregeln für die grösseren Städte auf dieser Scheibe herunter. Dazu gehörte neben anderem auch die Benutzung dieser Kutschen – nur so könne man der Gefahr entgehen, in kurze Schauer – die durchaus einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Exkrementen enthalten könnten – zu geraten. Obendrein würden diese Schauer vor allem in den Nebenstrassen schmierige Pfützen hinterlassen, was ‚zu deutlichen Verschmutzungen an Kleidung und Schuhwerk führen könne‘. Und einmal, in den stärker frequentierten Strassen sogar mehrmals, am Tage käme die Feuerwehr durch und würde wild um sich spritzend diesen Dreck in einen der vielen Flüsschens der Stadt spülen. Ohne Rücksicht auf Fussgänger! Mit einer Kutsche, vor allem in denen mit Verdeck, wäre man gegenüber solchen Ereignissen ausreichend beschützt. Und falls keine Kutsche zur Hand ist, immer auf dem Sprung mittig mit offenen Augen die Strasse durchqueren. Oder erst nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus ausbrechen...

In der Zwischenzeit waren wir an einem grossen Platz angekommen. Das Zentrum des Platzes nahm ein riesiges tempelartiges Gebäude ein, welches von Weitem mehr einer überdimensionalen Bank ähnelte als einer Bank. Über dem Haupteingang war der Name des Gebäudes aus den Steinen gehauen: ‚Doller Hans Bank‘ und darunter – etwas kleiner - der Spruch: ‚Wir machen mehr aus ihren Reichtümern!‘ Neben der Eingangstür war ein Plakat angebracht, mit dem Hinweis, dass bis auf Weiteres keine Sparstrümpfe angenommen werden würden und dass an jedem Mittwoch mittag eine Verlosung von Krediten stattfinden würde. Lose für diese Form der Kreditvergabe würden ebenfalls Mittwochs eine Stunde nach Mitternacht am Schalter Eins verkauft. Und dass Touristen von der Verlosung ausgeschlossen wären. Ansonsten machte diese Bank einen ziemlich verschlossenen Eindruck.

‚Ich habe zu meinen Lebzeiten noch nie erlebt, dass hier geöffnet war‘, warf Spülwein ein. ‚Aber wir könnten auf der Rückseite das Finanzamt besichtigen. Das hat rund um die Uhr geöffnet.‘

Doch als wir auf der Rückseite ankamen, verlor ich schnell das Interesse. Vor dem Eingang fanden wir den nächsten Auflauf vor. In dessen Mitte waren zwei Wesen auf je einen Hocker geschnallt. Daneben standen einige Bewaffnete in einer Uniform, die sie als Mitglieder der Stadtwache auswiesen. Diese hielten mit ihrem Spiessen die anderen Wesen etwas auf Abstand und liessen immer nur jeweils einen zu den Angeschnallten durch. Einige der Durchgelassenen spuckten die Sitzenden an, andere gaben ihnen eine Kopfnuss, wenige beachteten sie eher nicht. Doch alle warfen danach Münzen in eine grosse Sammelbüchse, die zwischen den Beinen der Sitzenden angebracht war. Ich fragte Spülwein nach der Bedeutung dieses Schauspieles. Er erklärte mir, diese Zwei hätten wohl ihre Steuern nicht zahlen können und müssten diese jetzt auf die Weise verdienen. Sie würden jeden Tag von früh um sechs bis abends um zehn auf diese Hocker geschnallt, und das Geld, dass sich in den Sammelbüchsen anhäufte, würde vom Finanzamt eingezogen, solange bis ihre Steuerschuld beglichen war. So etwas könne manchmal Monate dauern. Je nachdem wie beliebt die Deliquenten in der Stadt waren.

Er schlug vor, lieber das Weite zu suchen. Ihm war nämlich eingefallen, dass vor einer Woche der Abgabetermin für seine Steuererklärung gewesen war und er wollte nicht, dass er ebenfalls auf einen solchen Hocker geschnallt würde. Das sah ich ein und wir verliessen schnellstens diesen Platz. Dabei entdeckte ich ein weiteres älteres Gebäude mit der Aufschrift ‚Stadt Museum‘. Ich schlug Spülwein vor, uns dort vor den Steuereintreibern zu verstecken.

‚Das wird nicht funktionieren‘, meinte er jedoch. Das Betreten dieses Gebäudes sei untersagt, ‚um den Staub nicht in seiner Ruhe zu stören‘. Geschichte schien es hier wert zu sein, einzustauben. Oder sie interessierte einfach niemanden?

‚Welche Funktion hat dann dieses Gebäude?‘, wollte ich wissen.

‚Ein Museum ist ein Museum! Welchen andere Sinn sollte dieses Gebäude ansonsten haben?‘

‚Naja, bei uns sind Museen Orte, in denen man sich fachlich fundiert über bestimmte Themen kundig machen kann‘, versuchte ich zu erklären – so wirklich konnte ich es nicht. ‚Dort werden zum Beispiel Dinge ausgestellt, um etwa die Stadtgeschichten zu illustrieren. Auf keinen Fall sind diese dafür gedacht, dem Staube ein ungestörtes Dasein zu ermöglichen. Auch wenn ich bei manchen unserer Museen so etwas durchaus vermuten könnte.‘

‚Bei uns ist es anders! Lass uns zur Nie Gesehenen Universität gehen. Die ist auf jeden Fall ungefährlicher, und geöffnet! Es ist nicht wirklich weit.‘

Eine gute Entscheidung! Auf die Art bekam ich eine Ecke der Stadt zu sehen, die deutlich sauberer, und vor allem völlig anders war als der Rest der Stadt. Dieser Platz um die Bank herum war wohl das Zentrum von Newor Leans. Er hiess übrigens Zero-Dollar-Platz – wie passend für diese Bank mit Finanzamt. Egal wieviel Geld die Besucher mitbrachten, beim Verlassen schienen die wenigstens viel mehr als die genannten null Dollar in der Tasche zu haben. Falls irgendjemand ungeschoren aus dem Finanzamt herauskommen sollte, es gab ausreichend Gelegenheiten, sein Geld anderweitig loszuwerden – zum Beispiel eine riesige Anzahl von Marktständen auf den Strassen, die so ungefähr alles anboten, was man sich denken konnte. Ständig versuchte Spülwein mir die Leckereien, die überall angeboten wurde, aufzuschwatzen. Da war ich glücklicherweise immun dagegen. Doch ich wurde mehr als einmal versucht, mir etwa so einen Klugen Organisator zu kaufen. Die sahen einfach zu niedlich aus. So einer wäre sicher der Hit auf jeder irdischen Party, doch Spülwein machte mich darauf aufmerksam. dass deren Ausfuhr aus der Scheibenwelt verboten war und während meines Aufenthaltes wäre er der klügere Organisator für mich. Und da meine irdische Wohnung schon vor Büchern überquillt, entschloss ich mich, mir lieber eine neue, Garderobe im lokalen Stile zuzulegen.

Egal, was die Einheimischen behaupteten, ich sah köstlich darin aus - halb wie ein mittelalterlicher Pirat, halb wie ein Hippie aus den Sechzigern. Endlich besass ich das Faschingskostüm, was ich mein bisheriges Leben lang gesucht hatte. Und auf der Scheibenwelt fiel ich nicht mehr so auf – bildete ich mir ein.

Nach gut zwei Stunden erreichten wir einen grossen Park, mit vielen kleinen Tempelchen und festen Lauben darin. Eigenartigerweise liefen die Leute darin in Gruppen herum, meist verkleidet wie Zauberer. Einer schien jeweils Reden vor den anderen zuhalten. Dabei hielt dieser meist ein sehr buntes Fähnchen in die Höhe.

‚Das ist die Nie Gesehene Universität‘, belehrte mich Spülwein. ‚Jetzt ist gerade Unterrichtszeit.‘

Ja, er schien Recht zu haben. So ungefähr hatte ich mir immer Platons Akademie im alten Athen vorgestellt. Diese war ja ebenfalls eher eine Schule als eine Forschungseinrichtung. Nur wo war das ‚Riesengebäude‘ von dem Tod gesprochen hatte, wollte ich von Spülwein wissen.

‚Das ist einer seiner Scherze. Zum einen ist der Park nur das Dach, die eigentliche Universität ist mehrere Stockwerke nach unten gebaut. Deshalb hat sie ja auch ihren Namen weg, niemand hat das eigentliche Gebäude je gesehen. Und hier im Park gibt es keinen offiziellen Hinweis auf die Universität – als erste Frage des Aufnahmetests. Wer hier studieren will, muss sie erst finden.‘

Nachdem ich ihm versichert hatte, nie an der Uni studieren zu wollen, führte er mich zu einem der kleinen Tempel in der Mitte des Parkes und drückte dort gegen einen der Steine im Mauerwerk. Vor uns öffnete sich eine Treppe im Boden des Tempels und wir betraten das heilige Treppenhaus ins Innere. Hinter uns schloss sich diese Luke wieder und im Inneren gingen Fackeln an, die uns den Weg nach unten erleuchteten. Uns kam ein älterer Herr entgegen und fragte Spülwein ohne Begrüssung, wer ich denn sei.

‚Das ist Jimi, ein Tourist von einer Welt namens Erde. Er hat Interesse an unserer Universität bekundet und mir glaubhaft versichert, nie hier studieren zu wollen‘, und zu mir gewandt: ‚Das ist Kardabra der 942., unser derzeitiger erster Rektor.‘

Wenigstens mich begrüsste er dann höflich und fragte, was ich mir denn gerne anschauen würde. Vor allem diese Denkmaschine im Keller, die Spülwein erwähnt hatte, und darüber hinaus würde ich ebenfalls gerne z. B. in die Bibliothek schauen. Er schickte uns dann in eben diese und meinte, wir sollten dort auf irgendjemanden warten, den er vorbeischicken würde, der uns wiederum diese Denkmaschine zeigen könnte.

Also führte mich Spülwein weiter ins Innere in einen riesengrossen Saal, in dem einige Wesen – anders kann ich es nicht erklären, zu verschieden waren diese, auch wenn einige schon wie Verschiedene aussahen – an Stehpulten in grossen und dicken Wälzern lasen. Der Rest des Saales stand mit hohen Regalen voll, bis unter die Decke gefüllt mit weiteren Wälzern. An einigen der Regale kletterten grosse Affen mit Büchern unter den Armen herum, sortierte diese wohl wieder ein bzw. entnahmen andere. Unten nahmen weitere Wesen diese Bücher in Empfang und gingen an einen grossen Pult in der Mitte. an dem eine fast zwei Meter grosse Eule auf einer Stange sass. Diese liess sich die Titel vorlesen und schrieb mit einem Fuss diese dann in ein Buch auf ihrem Pult. Danach wurden die Bücher an einen der Leser im Saale weitergereicht. Es war eine ziemlich gespenstische Szenerie, erleuchtet von grossen, flackerten Fackeln, die in regelmässigen Abständen herumstanden. Spülwein führte mich zu der Eule, und stellte mich dieser vor: ‚Hallo Onkel! Dieser Herr hier hat Interesse bekundet, unsere Universität näher kennenzulernen.‘

‚Huuh! Huuh! Hallo Spülwein! Bin im Augenblick ziemlich beschäftigt. Zeige ihm doch die Bücher, die auf dem Tisch dort liegen. Dort müsste auch eines zu unserer Geschichte herumliegen. Die anderen wird er eh nicht verstehen...‘

Spülwein und ich gingen zu dem bezeichneten Tisch und ich schaute in eines der Bücher. Staunenswert, es war in deutsch geschrieben. Und wieder kam die Erklärung, jeder hier würde Bücher immer in seiner Muttersprache lesen können. Dies funktionierte wie beim gesprochenen Wort. Doch leider würde oft der eigentliche Sinn bei diesen Übertragungen verloren gehen. Ich solle niemals die Sprüche und Regeln in meiner Sprache anwenden, so etwas könne ziemlich heftig nach hinten losgehen. Auf diese Art wäre etwa sein Onkel in diese Eule verwandelt worden und bisher hätte er, Spülwein, noch nicht den Gegenzauber gefunden. Inzwischen wäre jedoch sein Onkel mit der neuen Form durchaus zufrieden und wünschte garnicht mehr, zurückverwandelt zu werden.

In diesem Moment kam ein ganz in weiss gekleideter Zauberer auf uns zu. Selbst sein spitzer Hut war weiss. Er begrüsste uns und meinte nur, wir könnten jetzt die Denkmaschine sehen. Gemeinsam stiegen wir eine gefühlte Ewigkeit weitere Treppen nach unten, bis wir in ein von Dampf und lauten Geräuschen angefülltes Stockwerk kamen. Spülwein flüsterte mir zu, dies seien die Nebenwirkungen der Denkmaschine. Gemeinsam betraten wir einen weiteren grösseren Saal, erleuchtet ebenfalls durch die obligatorischen Fackeln. Die Tür schien schalldicht zu sein, im Inneren des Raumes war nichts mehr zu hören, ausser leisen Gesprächen. Doch ich sah zuerst niemand weiter. Als ich mich an das Licht gewöhnt hatte, erkannte ich jedoch, dass im gesamten Saal auf unterschiedlichsten Gestellen eine Unzahl von vielleicht ein bis anderthalb Zentimeter kleinen Wichtel sassen und miteinander plauderten. Der weisse Zauberer erklärte mir, ohne diese würde die Denkmaschine nicht funktionieren, doch das wichtigste Teil wäre die Maus. Dabei zeigte er auf einen kleinen Käfig neben einer Art Tastatur. In ihm sass eine Maus, deren Schwanz durch einen Faden mit der ziemlich wüsten technischen Apparatur verbunden war. Neben dem Käfig stand ein grosser Behälter mit Käsestückchen. Um die Maschine zu starten, müsse er der Maus immer ein Stückchen Käse in den Käfig werfen, manchmal auch zwischendurch. Dies schien die einzige Aufgabe der Maus zu sein, meinte er. Ohne Käse würde die Maschine keine Ergebnisse liefern. Die kleinen Wichtel kämen jedoch ohne Nahrung aus.

Er setzte sich an die Tastatur, die über eine Kette aus blauen Zähnen mit der Apparatur verbunden war. Blue Tooth an einem mittelalterlichem Computer und eine Maus, die mit Käse gefüttert werden musste. Was kann da noch schiefgehen?

Er warf ein kleines Stückchen Käse in den Käfig und begann auf der Tastatur zu tippen. Sofort setzte sich eine der Apparaturen in Bewegung. Ein Walze wurde von mehreren kleinen Wichtel gedreht, während etwas grössere Wichtel die auf einem Schlitten befestigte Walze langsam nach links zogen. Währenddessen wachte auf einem Brett vor dieser Walze viele kleine Wichteln auf und begannen mit winzig kleinen Pinseln blaue, rote, gelbe und schwarze Farbe auf diese Walze zu spritzen. Langsam konnte ich mir die Funktion dieser Apparatur vorstellen. Auf der Walze war nach und nach ‚KI-1,starten!‘ zu lesen. Einen Monitor, wie bei uns, gab es offensichtlich noch nicht.

‚Habt ihr eine bestimmte Frage an KI-1?‘, wollte der Zauberer von mir wissen.

Auf die Schnelle fiel mir nichts ein, also fragte ich nach der Einwohnerzahl der Scheibenwelt. Dies schien mir eine einfache Frage zu sein, ziemlich schnell setzte sich diese Druckeinheit wieder in Bewegung und die Meldung ‚Fehler 43‘ erschien auf der Walze. Das war mit Sicherheit nicht die richtige Antwort. Das war offensichtlich auch dem Zauberer klar, er tippte weitere Befehle in die Tastatur, doch lediglich die Aufforderung, mehr Käse einzuwerfen erschien. Spülwein fütterte die Maus und danach erschien: ‚Sytemüberlastung! Reset drücken!‘

‚Dieser vermaledeite Reset-Knopf‘, kam es vom Zauberer. ‚Ich habe bisher nicht herausgefunden, was damit gemeint ist.‘ Er zog am Faden der Maus und die Maschine ging in ihre Ausgangsstellung zurück. ‚Also nochmal!‘

Dieses Mal schlug ich vor, die Maschine nach dem Reset-Knopf zu fragen. Doch die Antwort war ein weiteres Mal ‚Fehler 43‘. Und auf die Bitte, ‚Fehler 43‘ zu erläutern, erschien – wer hätte das gedacht – wieder ‚Systemüberlastung! Reset drücken!‘

Ich hatte genug gesehen. KI-1 war wohl die Abkürzung für ‚Krasser Idiot 1‘. Ich fragte, ob dieser KI-1 jemals eine andere Antwort gegeben hätte. Der weisse Zauberer wussten es nicht.

‚Aber wie erfahrt ihr, wann das neue Jahr anfängt?‘, wollte ich dann wissen.

‚Eines Morgens, immer am Ende des Winters, komme ich hier rein und da steht dann ‚Gesundes Neues Jahr!‘‘, antwortete mir der Zauberer. ‚Dafür muss ich ihr keine Befehle geben. Und bisher ist dies die einzige Aufgabe, die diese Denkmaschine löst. Seit über tausend Jahren! Auf alle anderen Anfragen habe ich nur ‚Fehler 43‘ als Antwort bekommen. Ich versuche es halt immer wieder, in der Hoffnung endlich mal die richtige Frage zu stellen.‘

Ich schlug vor, einfach die Folge ‚Fehler 43! Systemüberlastung! Reset drücken!‘ einzugeben. Mal sehen, wie dieser KI-1 darauf reagieren würde. Der weisse Zauberer zuckte mit seinen Schultern und gab die Folge ein. Die Antwort war verblüffend wie einfach: ‚Taste 43 defekt! Kann Eingabe nicht interpretieren! Maus = Reset!‘

Der Zauberer kratzte sich am Kopf und schaute unter seine Tastatur: ‚Er hat Recht. Die Taste 43 ist nicht angeschlossen, es ist die Leertaste. Ich habe jetzt zu tun.‘ Und er verschwand durch eine Tür...

Ich drehte mich zu Spülwein um: ‚Komm lass uns essen gehen!‘

Wir verliessen ebenfalls den Raum. Dabei konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. An der Eingangstür hing ein vergilbter Zettel mit der Aufschrift ‚Gnomes inside!!!‘...

(Ende des vierten Berichtes)

Impressum

Texte: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Bildmaterialien: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 17.11.2018

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