Tod hatte mich auf einer Ebene in den Bergen abgesetzt. Er meinte, dies wären die Broken Berge, hier würden sich die Hexen der Scheibenwelt herumtreiben. Auf dem Mont Real, dem höchsten in diesem Gebirge, hätten sie ihren Treffpunkt. Ich solle nur immer geradeaus, in Richtung auf das Feuer, gehen, könnte ich nicht verfehlen. Er jedoch bevorzuge es, diesen Damen – ja, er sagte Damen – aus dem Wege zu gehen. Diese wären ihm nicht geheuer. Und er versprach, Spülwein zu sagen, wo er mich wieder aufgabeln solle. Konnte ich diesem denn nicht aus dem Weg gehen.
Ich lief also los, in Richtung auf das Feuer. es war ein nahezu jungfräulicher Wald. Kein Weg, kein Steg, nur dicht stehende Bäume, die gerade einmal einer Person das Durchkommen erlaubten. Doch ich kam mir vor wie ein altes Waschweib, war ich doch ein Grossstadtkind. Um mich herum Geräusche, wie ich sie noch nie gehört hatte. Ich beschloss für mich, dies solle nicht mein letzter Moment werden. Dafür war später noch ausreichend Zeit. Man muss halt immer um sein Leben bangen, sonst spürt man es nicht. Umso mehr man ums Überleben kämpft, und sei es nur in Gedanken, umso lebendiger fühlt man sich. Das gab mir die Kraft, weiter zu gehen, und bald stiess ich auf eine Lichtung mit einem Lagerfeuer in der Mitte. Um dieses sassen sich laut anschweigend drei ältere Frauen. Sollten das die Hexen sein? Mit ihrem rasselndem Atem? Keine von ihnen hatte eine Warze auf der Nase, nicht einmal am Kinn. Und Besen waren ebenfalls nicht zu sehen.
‚Moin Moin! Tod sagte, ihr wäret Hexen?‘ fragte ich sie ängstlich.
‚Es ist mitten in der Nacht. Wo kommst du denn her, dass du um diese Zeit einen Guten Morgen wünschst?‘, antwortete mir die Älteste von ihnen.
‚Das sagt man so bei uns, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und Gute Nacht wäre ja ebenfalls nicht angebracht. So etwas sagt man zu kleinen Kindern, wenn sie schlafen sollen. Seit ihr nun die Hexen, oder nicht?‘
‚Wir selbst nennen uns nicht Hexen!‘, wies mich eine der anderen zurecht. ‚Aber, ja! Die Leute nennen uns so. Auch Tod, weil er uns nicht mag.‘
Ich setzte mich zu ihnen, und die Älteste goss mir aus einer Art Thermoskanne eine Schale voll köstlich riechendem Tee ein. So sassen wir uns fast 10 Minuten schweigend gegenüber. Nur ihr rasselnder Atem war noch zu hören. Der Wald kam während dieser Zeit zur Ruhe. Dann, auf einmal, fing die Älteste wieder an zu reden: ‚Hört ihr das?‘
‚Was?‘, wollte ich da wissen. ‚Ich höre absolut nichts, ausser unserem Atem.‘
‚Genau! Er ist wieder da! Alle anderen im Wald haben sich verkrümelt‘, bekam ich als Antwort.
‚Wer ist da? Und warum schweigt der Rest, wenn er da ist?‘
‚Keine Ahnung!‘, entgegnete mir die Älteste. ‚‘Wir dachten, du wüsstest mehr. Warum sonst solltest du hier Nachts an unserem Feuer auftauchen?‘
‚Ich hatte nur die Absicht, wenigstens einmal im Leben auf echte Hexen zu treffen. Das hat Tod arrangiert. Also, ich kann euch da nicht weiterhelfen. Habe absolut keine Idee, es ist meine erste Nacht auf dieser Welt!‘ Und nach ein paar Sekunden Pause fragte ich weiter: ‚Aber wieso eigentlich glaubt ihr, dass ein Er alles verstummen lässt? Könnte es nicht eventuell ein Es oder gar eine Sie sein?‘
‚Neieieinn! Eine Sie würde dazu führen, dass hier das grosse Geschrei losgeht. Und ein Es ist zu klein, um hier allen die Ruhe zu gebieten‘, meinte die Älteste und holte etwas aus ihrer Tasche. Sie hielt mir ihre Hand hin und ein winzig kleines Männchen verbeugte sich vor mir: ‚Ich bin der Kluge Organisator von Frau Verwachsen. Kann ich helfen?‘
‚Hallo! Ich bin der Jimi. Und was organisierst du so für die junge Frau?‘
‚Na alles! Termine, Grüsse ausrichten, den Kochplan aufstellen, das rechtzeitige Aufwachen, ausgewählte Nachrichten und so.‘
‚Siehst du? Das ist ein Es.‘ Sie verstaute ihn wieder in einer ihrer Taschen. Das Männlein meckerte noch ein wenig, und danach kehrte das brüllende Schweigen wieder zurück.
Nach einer halben Stunde stand Frau Verwachsen auf. Jetzt war zu erkennen, woher sie ihren Namen hatte. Sie packte die Thermoskanne ein und sammelte die Teeschalen ein: ‚Er zeigt sich offensichtlich auch heute nicht. Lasst uns zurück in unsere Hütten gehen.‘
‚Wisst ihr, was ich gerade vermutet habe?‘, warf da eine der anderen ein. ‚Könnte es nicht sein, dass wir die Zeit angehalten haben? Das wollten wir doch schon immer mal. Solange wir hier beisammen sitzen, kommt er. Und wenn wir aufstehen, geht der Lärm wieder los. Eigenartiger Zusammenhang, denke ich. Oder?‘
Mit einem Male hatte alle Drei ihre Klugen Organisatoren in der Hand, und fragten diese nach der seit meinem Eintreffen vergangenen Zeit. Und alle Drei Männleins antworteten: ‚Vier Minuten! Aber nicht für den Gast!‘
Da wollte ich natürlich ebenfalls eine Auskunft zur Historie meiner Geschichte, doch bekam nur zur Antwort, ich solle meinen Kluge Organisator fragen. Sie seien mir gegenüber nicht auskunftsberechtigt. Aber Frau Verwachsen hatte ein Einsehen, und fragte ihren – bekam jedoch nur die Auskunft, ich wäre nicht in ‚der Blase‘ gewesen und ausserhalb dieser Blase wäre die Zeit schneller vergangen. Daraufhin fingen die Hexen einen Tanz an, für den sie sich ihre Besen – die sie hinter sich liegen hatten – schnappten. Und auf einmal flogen sie davon. Ohne Verabschiedung! Nicht gerade höflich! Aber was hätte ich von Hexen erwarten sollen. Ich war ohne Einladung an ihrem Feuer erschienen. Ich war wohl selbst Schuld.
Nun stand ich ganz alleine am Feuer und hatte keine Ahnung, wo ich war und wie ich wieder nach Newor Leans kommen sollte. Wie weit war das von hier? In diesem Augenblick wünschte ich mir den Tod. Der könnte diesen Ausflug zu einem glücklichen Ende bringen.
Irgendwo in der Ferne hörte ich ein lautes Schimpfen. Vielleicht sollte ich auf dieses zugehen. Schlimmer konnte es nicht werden. Ich versuchte mir zumindest zu merken, in welche Richtung ich das Feuer verliess...
... Und auf einmal stand mir Spülwein gegenüber. Wie kam der so plötzlich her?
‚Tod hat mir ausrichten lassen, wo ich sie finden kann! Oohhh, wie ich diese Broken Berge hasse, und diesen ollen Hexenwald!‘
Tod hatte sein Versprechen gehalten, und Spülwein hatte sich seinen Teppich geschnappt und war sofort losgeflogen. Unterwegs hatte er noch eine Zwischenlandung eingelegt, um für uns eine Übernachtung in NeAppel zu organisieren. Was wohl nicht so einfach gewesen war, da dort übermorgen die Superkanne stattfinden würde. Aber selbst dafür hätte er noch Karten für uns herbei zaubern können. Und morgen würde uns König Mord im Weissen Haus zu einem ausgiebigen Abendmahl empfangen...
‚Und warum können wir nicht gleich nach Newor Leans zurückfliegen? Dort habe ich fürs Hotel bezahlt.‘
‚Weil der Teppich das nicht mehr schafft. Der muss erst wieder aufgeladen werden, das dauert wenigstens zwei Tage.‘
‚Und wie kommen wir jetzt nach NeAppel?‘
‚Das ist nicht so weit. Ist halt nur ein wenig blöd so mitten in der Nacht. Dort vorne scheint schon das Weisse Haus durch die Bäume.‘
Und ich sah wirklich einen hellen Lichtschein, dort wo er hinzeigte. Man, diese Leute hier sparten echt nicht an Energie, so hell wie diese Haus erleuchtet schien. Wir machten uns auf den Weg. Ich hatte dabei ein schlechtes Gewissen, das Lagerfeuer hatte ich nicht gelöscht. Aber zurück wollte ich ebenfalls nicht. Spülwein meinte, er würde sich darum kümmern. Immerhin wäre er ja ein Zauberlehrling. Ich musste dabei nur an Goethes Gedicht denken. Ich hoffte, er machte den gleichen Fehler und die Wasser ergossen sich im ‚mit reichem, vollem Schwalle‘ über das Feuer...
Kurze Zeit später erreichten wir den Rand des Waldes. Jetzt konnte ich die Stadt vor uns sehen. Und ich verstand, warum das Weisse Haus so hiess. Es leuchtete in einem blendenden Weiss, ohne angestrahlt zu werden, und das mitten in der Nacht. Nur ein Halbmond stand am Himmel. ‚Wie funktioniert das?‘, wollte ich von Spülwein wissen, und erwartete eine Erklärung mit viel Magie. Doch er meinte nur, dies läge am Baustoff. Hier war der beste Marmor der Scheibenwelt verbaut worden. Nichts war mehr im Bruch übrig geblieben. Deshalb wäre dieses Haus auf ihrer Welt so berühmt, eine Touristenattraktion.
Ein Vorfahre des jetzigen Königs Mord hätte es vor Jahrhunderten erbauen lassen, nach einem grossen Sieg über ein benachbartes Königreich. Deren Tribut wäre die Lieferung dieses Marmors gewesen. Seitdem wäre NeAppel Tag und Nacht erhellt. Was zur Erfindung von speziellen Stoffen geführt hatte, mit denen die Einwohner der Stadt ihre Zimmer jede Nacht verdunkeln konnten. Da dieses Land Gardenia heisst, wurden diese Vorhänge Gardinen genannt und verbreiteten sich auf der gesamten Scheibenwelt. Nachteilig waren danach lediglich Wohnungen, deren Fenster in Richtung zum Weissen Haus zeigten. Deren Mieten sanken enorm. Ansonsten brächte es nur Vorteile für die Bewohner der Stadt.
‚Ja, ja! Aber wie kann dieser Marmor aus sich selbst heraus so leuchten?‘; fragte ich Spülwein.
Das wüsste man nicht so genau. Jeder andere Marmor auf der Scheibenwelt könne nicht leuchten. Und die Könige von Gardenia hatten bisher jede Probenentnahme verweigert. Allgemein nahm man an, dass ein spezielles Element im Marmor enthalten sei, welches das Licht der Sonne speichern können und dieses Licht im Dunklen wieder abgab...
In der Zwischenzeit waren wir am Stadtrand angelangt. Aus der Nähe wirkte die Stadt wie jede Grossstadt auf der Erde, das Weisse Haus tauchte sie in ein fast neonfarbenes Licht. Es gab sehr dunkle Ecke, in die dieses Licht nicht hinein drang und Orte, die fast taghell erleuchtet waren. Spülwein führte mich bevorzugt über solche Plätze, und empfahl mir, falls ich einmal alleine nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs wäre, es ihm gleich zu tun. In dieser Stadt hätten die Gilden die eigentliche Macht, und besonders stark wäre hier die Gilde der Strassenräuber und Taschendiebe. Selbst er könne mich nicht wirklich vor ihnen beschützen. Deshalb wäre es ratsam, deren Mitgliedern aus dem Weg zu gehen. Wegen der bevorstehenden Superkanne würden sich jedoch sehr viele unvorsichtige Touristen in der Stadt aufhalten, so dass sich die Gildenmitgliedern lieber den einfachen Fällen zuwenden würden. Sich möglichst nur auf den belebten und erleuchteten Plätzen aufzuhalten sowie ein wenig gesunde Vorsicht würde sicher schützend wirken.
Genau gegenüber des Weissen Hauses blieb er vor einem als ‚seit Wochen‘ ausgebuchten Hotels stehen: ‚Hier wären wir! Das ist unser Hotel! Ich habe mir erlaubt eine Suite mit zwei Schlafräumen für uns zu buchen. Ich hoffe, dies ist Recht so?‘
Er hatte offensichtlich das vornehmste Hotel der Stadt ausgesucht. In unserer Suite gab es sogar Duschen mit warmen Wasser für jedes der Schlafzimmer. Nur die Töpfe waren ähnlich wie die in Newor Leans. Glücklicherweise hatten alle Zimmer dicke Gardinen, das Weisse Haus erleuchtete alles ansonsten taghell – hatte Vor- und Nachteile. Auch war es vom Platz her ziemlich laut... Dennoch schlief ich lange und fest. Spülwein nutzte die Zeit und organisierte ein üppiges Frühstück in unserer Suite. Danach war ich fit für neue Abenteuer...
Dabei fand ich heraus, was es mit dieser Superkanne auf sich hatte. Es war das Endspiel im Football in dieser Gegend der Scheibenwelt. Seit Jahrzehnten schon gab es immer wieder Streit um eine besonders fruchtbare Gegend, die an drei Länder grenzte. Irgendwann hatten dann die Königreiche Gardenia und YaBirn beschlossen, ihre Ressourcen nicht mehr in langwierigen Kriegen zu vergeuden, sondern um diese Ebene jährlich in einem Football-Spiel zu kämpfen. Hin und wieder bewarb sich auch das dritte angrenzte Land namens Neisa um diese Ebene, in den entsprechenden Jahren fand sogar ein Turnier um die Felder statt. Dieses Jahr kämpften jedoch nur Gardenia und YaBirn um die Nutzungsrechte für das folgende Jahr.
Gewöhnlich wurden, da es keinen Profisport gab, einsitzende Kleinkriminelle für das Spiel verpflichtet. Den Verlierern wurde am Ende die noch offene Strafe der Gewinner aufgebrummt. Im wahrsten Sinne des Wortes brummten sie danach. Die Gewinner durften nach dem Spiel alle nach Hause gehen. Und dieses Spiel sollte nun am nächsten Tag auf einer grossen Freifläche vor der Stadt stattfinden. Als grosser Football-Fan freute ich mich natürlich darauf. Vor allem interessierte mich, nach welchen Regeln dieser Sport hier ausgeführt wurde.
Doch vorher stand an diesem Abend ein Festbankett beim König auf dem Plan. Bis dahin war noch Zeit, in der mir Spülwein die Stadt zeigte. Doch so sehr unterschied sie sich auf den ersten Blick nicht von Newor Leans. Sie war etwas kleiner, aber ansonsten sehr ähnlich. Unterwegs sah ich Frau Verwachsen wieder, doch eh ich sie erreichte, verschwand sie wieder in der Menge. Sie hatte wohl ein schlechtes Gewissen...
Spülwein hatte mir eine echt fürstliche Garderobe erzaubert, für dieses königliche Bankett. Und dann standen wir in der scheinbar endlosen Schlange und warteten darauf, dass wir aufgerufen wurden, um den riesigen Saal im Weissen Haus zu betreten. Auf einmal verschwand Spülwein in der Menge, und als er zurückkam wurden wir sofort aufgerufen. Ich hoffte, es war nur ein kleiner ungefährlicher Zauber den er da durchgeführt hatte. Auf jeden Fall wurden uns zwei Plätze am Tisch des Königs zugewiesen – am gegenüberliegenden Ende eines fast 50 Meter langen Tisches. ABER: Ich sollte an diesem Abend endlich die Chance bekommen, einmal mit einem echten König an einem Tisch zu speisen...
Geholfen hatte es jedoch nicht wirklich. Obwohl wir nun sassen, mussten wir weiterhin warten - bis auch der letzte Gast aus der Schlange an seinem Tische sass. Erst danach sollte das Essen aufgetragen werden. Dann gab es doch noch einen Zwischenfall:
Als bereits die ersten Wagen mit der Vorsuppe hereingefahren wurden, sprangen auf einmal die Fenster auf der Platzseite des Saales auf und die drei Hexen mit zwei weiteren Freundinnen kamen hereingeflogen. Alle Kellner, Stadtwachen und Abräumer liessen ihre Arbeit ruhen und versuchten die Hexen im Fluge zu schnappen. Was natürlich niemandem gelang. Es machte jedoch uns Zuschauern sehr viel Spass – bis König Mord ein Machtwort sprach: ‚Hexen sind hier nicht zugelassen! Verschwindet auf der Stelle!‘
Und weg waren sie wieder, wie ein Zauber. Nun rannten andere Angestellte mit Leitern herbei, um die Fenster wieder zuschliessen. Doch sie waren kaum bis zur Hälfte hinauf gestiegen, da hörte ich Spülwein kichernd sagen: ‚Fenster zu!‘ und diese schlossen sich mit lautem Knalle. Dabei fielen mehrere der Leitern um – und einige davon trafen die Sevierwagen mit den Suppenterrinen. Diese wiederum schossen nun durch den Saal und die Kellner versuchten sie wieder einzufangen. Was nicht immer gelang. Zwei oder drei der Kellner liefen schreiend aus dem Saal, jeder von ihnen mit einer Terrine über dem Kopf - was für eine Slapstick Einstimmung auf ein Footballspiel.
Der Rest des Abends verlief dann eher geruhsam und nach diesem üppigen Mahl landeten wir kurz nach Mitternacht wieder in unserem Hotelzimmer. Ich hätte mir mehr Möglichkeiten gewünscht, mich mit den Einwohnern der Scheibenwelt zu unterhalten. Es wurde relativ wenig an den Tischen gesprochen. Scheint dort wohl eher der Sitte zu entsprechen...
Am nächsten Morgen weckte mich Spülwein mit der Nachricht, der Teppich wäre ‚aufgetankt‘. Da wir unser Zimmer bis Mittag räumen mussten, schlug er vor, uns das Spiel vom Teppich aus anzusehen. Unser einziges Gepäck wäre eh nur ein gewisser Nahrungsvorrat, den wir uns am Frühstücksbuffet besorgten. Also machten wir uns auf zum Spiel.
Ist eine ziemlich verückte Sache, das Fliegen auf einem Teppich. Es gibt keine Sicherheitsgurte und der Wind weht einem nicht nur um die Nase. Meine erste Frage war es deshalb, wie man sich darauf fest hielt. Immer in der Mitte sitzen und nicht wackeln, war sein Rat. Man würde es ziemlich schnell begreifen. Bisher wollte noch nie einer herunterfallen, und soweit er wüsste, wäre dies auch noch nicht vorgekommen. Jedoch wären diese fliegenden Teppiche eine eher neue Technik auf ihrer Welt.
Wir waren nicht die Einzigen, die diese Idee mit dem Teppich hatten. Am, besser über dem Spielfeld schwebten weitere Teppiche. Einer davon ziemlich gross, auf dem während des Spieles einer der Schiedsrichter und je ein Vertreter der beiden Mannschaften mit jeweils einem Käfig mit Brieftauben sassen. Immer wieder wurden diese taubenähnlichen Vögel zwischen den jeweiligen Spielerbanken und dem Teppich mit Nachrichten hin und her geschickt. Im Publikum entwickelte sich in dieser Zeit dagegen eine Art weiterer Sport: Wer fängt die meisten dieser Tauben ab? Die Stadtwache wiederum jagte diese Fänger und verwies sie des Stadions. Spülwein erklärte mir, diese Fänger würden versuchen, Geld mit diesen Nachrichten zu verdienen, indem sie diese an die jeweilige Gegenmannschaft verkauften. Erschien mir logisch...
Irgendwann wurde dann eine riesige Metallkanne von bestimmt zehn kräftigen Männern auf das Feld getragen. Das war sie also, die Kanne, die dem Ereignis den Namen gab. Spülwein erklärte mir, am Ende bekäme die Gewinnermannschaft dieses Teil, gefüllt mit einem berauschendem Getränk. Noch nie hätte es eine Mannschaft vermocht, diese Kanne an einem Abend zu leeren. Mir ging dabei durch den Kopf, dass dieses Getränk eine ziemlich starke Wirkung haben musste, auf jeder der Spielerbanken sassen bestimmt 60, 70 Leute rum.
Dann zeigte Spülwein in Richtung des Horizontes. Von dort kam etwas, das wie ein riesiger Schwarm Vögel aussah. Ziemlich schnell wurden diese ‚Vögel‘ zu gross für meine Begriffe. Und dann bemerkte Spülwein: ‚Gardenia ist das Land der Hexen, und heute scheinen die sich alle das Spiel ansehen zu wollen. Gardenia ist das Land der Hexen, hier rechnet man sogar mit hexendezimalen Zahlen. Dies kann manchmal etwas irritierend wirken.‘
Er hatte recht. Da kamen bestimmt um die 50 Hexen auf ihren Besen angeflogen. Doch sie hielten nicht wirklich auf das Spielfeld zu, eher auf einen der Wälder in der Nähe. ‚Ah, doch nicht! Sie wollen offensichtlich in den Hide Park. Dort wird sie niemand finden, nur sie kennen alle Verstecke.‘
Er sprach in Rätseln, die ich nicht zu lösen vermochte. Auch war ich mehr an dem kommenden Spiel interessiert. Ich liess mir lieber von Spülwein die Regeln erklären. Doch der war kein Football-Fan und meinte nur, dass sich die Spieler drei Stunden lang um einen Ball prügeln und zwischendurch immer wieder die Zuschauer Touchdown rufen würden. Mehr würde er von diesem Spiel nicht verstehen. Es gäbe zwar noch Punkte für andere Aktionen, doch was die Spieler dafür tun müssten, hatte er noch nicht herausgefunden. Das klang zwar sehr nach dem Football, wie ich ihn von der Erde her kenne, doch hatten die Spieler schon mal nicht die übliche Kleidung an. Sie traten eher wie unsere Fussballspieler an, nur ein Trikot und kurze Hosen. Nicht einmal Schuhe trugen sie. Sollte es wirklich so heavtig abgehen, wie in der NFL? Ich konnte mir das nicht vorstellen. In diesem Falle würde es ja Tote geben.
Und es gab Tote. den ersten bereits beim ersten Angriff. Ihm wurde der Hals gebrochen. Daraufhin rief das gesamte Stadion nach den Hexen. Und: Eine von ihnen kam auf ihrem Besen angeflogen und schaute sich ihn kurz an. Sie holte ein paar Kräuter aus ihrem Beutel und kaute sie wohl gut durch. Den Brei schmierte sie ihm um den Hals, bevor der Spieler vom Feld getragen wurde. So ging es immer weiter. Bei jedem Verletzten kam eine Hexe vorbeigeflogen, reparierte ihn und drei, vier Spielzüge später stand der Mann wieder auf dem Feld. Andererseits: Dieses Spiel war eher eine Defensiv-Schlacht. Beide Teams hatten starke Verteidiger, die Angriffspieler waren eher durchschnittlich. So war es wenig verwunderlich, dass es nach einer guten Stunde immer noch nur 0 : 3 für YaBirn stand. Jedoch spannend war das Spiel dennoch. Nur Spülwein schien sich zu langweilen. Er wollte lieber nach Newor Leans zurückfliegen. Dann würden wir noch vor Anbruch der Dunkelheit ankommen. Wir verhandelten und entschieden, dass er mich vorläufig noch auf der Tribüne absetzte und in die Stadt flog, wo er sich um einen Gastro-Gnom kümmern wollte: Damit wir unterwegs etwas Vernünftiges zu essen bekamen.
Es war wohl nicht so einfach, in NeAppel noch einen dieser Gastro-Gnome zu bekommen. Die waren laut Spülwein alle mit den Vorbereitungen für die Fressgelage des Abends beschäftigt. Er konnte nur ein älteres Modell auftreiben. Für eine Flugreise würde das jedoch ausreichen, meinte Spülwein. Also flogen wir eine Stunde später beim Stand von 7 : 6 für Gardenia ab, zumal mir Spülwein das Endergebnis – aus Versehen? – gespoilert hatte: Es würde 10 : 12 für YaBirn ausgehen...
Unterwegs nach Newor Leans zauberte uns dieser Gastro-Gnom ein Superessen aus den Resten unseres Frühstückes, ein Essen, wie man es auf der Erde wahrscheinlich nicht mal in der First Class bekam. Doch es war irgendwie viel zu windig und vor allem auch zu kalt, um es richtig zu geniessen. Zwischendurch wünschte ich mir das Pferd von Tod zurück. Dieses war wesentlich schneller gewesen, und es offerierte einen festeren Sitz unter meinem Hintern. Kurz nach Sonnenuntergang setzte mich Spülwein an meinem Hotel ab und versprach, am nächsten Morgen zum Frühstück wieder zu kommen, um mir Newor Leans zu zeigen...
(Ende des dritten Berichtes)
Texte: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Bildmaterialien: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 22.09.2018
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