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Gefangen im Netz – wie ein falscher Pollock

Susan hatte mich auf das Sofa in ihrer Küche verbannt. Frauen! Was soll ich da denken? Ich hatte mal laut über einen meiner aktuellen Fälle nachgedacht, und schon hiess es, die Arbeit hat nichts in meinem Bett zu suchen. Eigentlich könnte ich jetzt zu mir nach Hause gehen, aber nachts um zwei ist es selbst mir in Gramercy zu einsam. Und ich müsste ja rüber bis nach Chelsea watscheln, leicht trunkig, wie ich es meistens bin. Ein einladendes Ziel für jeden Neueinsteiger in die Kriminellenlaufbahn. Die alten Hasen kennen mich, die lassen mich meist zufrieden.

Auf der anderen Seite, so an der frischen Luft – soweit so etwas in dieser Stadt vorhanden ist – lassen sich die Gedanken besser sortieren. Seit über einer Woche versuche ich schon, das Leck in unserem Informantennetz zu finden. Ich war immer tiefer in seine Abgründe eingetaucht, so dass ich jetzt langsam den Überblick verlor. An welchem Knoten schwamm ich gerade herum? Das war jedoch nicht so wichtig. In dem Teil unseres Netzes, in dem ich mich gerade aufhielt, war das Leck sicher nicht. Aber man weiss ja nie, wer so mit wem auf welche Weise in dieser Scheinwelt redet...

Vielleicht wäre es besser, wenn ich unser Netzwerk mal aufzeichne. Kann jetzt eh nicht schlafen. Doch wo hatte Susan Papier, Stift und ihren Computer in dieser Bretterbude versteckt? Wahrscheinlich werde ich auf der Suche danach eine ausgewachsene Beziehungskrise starten. Dabei lief es bisher super gut. Na ja, da muss ich wohl durch. Zumindest sollte ich wenigstens die Küchenlichter anwerfen, weiss jetzt garnicht, ob die Tür zu ihrem Zimmerchen zu ist. Egal! Sollte mich an Wand entlang zum Schalter tasten.

Natürlich, hier standen ihre Blumen. Jetzt nicht mehr! Und was ist das? Man, tut das weh, wenn man eine Kneifzange am falschen Ende in die Pfoten nimmt. Wozu liegt hier überhaupt eine rum? Jetzt ist Susan bestimmt wach, so wie ich gejault habe. Und den Schalter habe ich immer noch nicht. Wo kommt jetzt der Windzug her? Steht die Wohnungstür offen?

Ich stand direkt vor Susan, als sie das Licht anmachte. War in die falsche Richtung um das Zimmer gesurft. ‚Was treibst du hier?‘ Wenn sie wütend ist, hat sie so einen kleinen Glorienschein um ihren Schädel, da fängt ihr blondes Haar richtig an zu leuchten. Sieht richtig niedlich aus!

‚Ich habe den Lichtschalter gesucht‘, entgegnete ich ihr leise. ‚Konnte nicht schlafen und hatte mir gedacht, ich mal mir das Netzwerk einfach mal auf – damit ich endlich in meinem Kopf aus diesem herauskomme. Vielleicht sehe ich so Verbindungen, die mir in meinen Gedanken nicht klar sind.‘

‚Willst ´n Butterbrot?‘ Sie ging zum Kühlschrank. ‚Papier und Stift kann ich dir geben, aber nur, wenn du versprichst endlich Ruhe zu geben.‘

‚Dein Laptop wäre auch hilfreich, damit ich mich in unseren internen Datenkanal einhacken kann.‘

Sie stellte mir einen Whiskey on the Rocks auf den Tisch: ‚Hier hast du deine Butterstulle. Rest kommt sofort. Du kehrst inzwischen die Scherben zusammen...‘ Sie ging nach nebenan...

Nach knapp zwei Stunden war ich immer noch nicht viel weiter. Ich hatte lediglich die Namen der Informanten in eine Liste gepackt: Wespe, Stachel, Schabe, Distel, Klette, Ratte, und so weiter. Ich kam mir vor wie auf einer Wiese im Central Park. Hätte nicht gedacht, dass es in der Unterwelt so natürlich zuging. Das Netz an sich versteckte sich jedoch weiter vor mir. Vielleicht war der Listenansatz nicht der richtige. Ich fing neu an, schrieb einen Namen auf und schrieb, in welcher Art von Fällen wir ihn kontaktierten. Danach der zweite Name und eine Linie zwischen beiden, sie kannten sich. Nach einer Weile sah das Netzwerk wie ein Netz aus, aber ein sehr chaotisches. Mehr wie ein Bild von Pollock als nach Informationen. So ging es jedenfalls nicht. Also noch einmal und dieses Mal in Farbe. Die Sonne schien draussen bereits aufzugehen. Zumindest wurde es im Lichtschacht vor dem Fenster heller und die ersten Klospülungen waren zu hören. Dies machte mich optimistisch. Mein Bild sah nach etwas aus, nur erkennen konnte ich immer noch nichts. Und der Aschenbecher quoll über. Wo hatte Susan ihren Müll versteckt? Ich nahm mir einfach einen neuen...

Auf dem Weg zurück zum Tisch erkannte ich eine Struktur im Netz. Ich kam langsam voran. Dennoch brauchte ich einen vierten Versuch, damit es übersichtlicher wurde, weniger nach Pollock aussah. Dieses Netz nahm mich gefangen. Ich sah und hörte nichts mehr, auch nicht, als Susan auf einmal neben mir stand. Sie hatte sich meinen dritten Versuch vorgenommen und fragte mich, ob ich wirklich sicher sei, dass es keine Verbindung zwischen der Wespe und dem Stachel gab. Weil, falls ja, wäre ihr klar, wo das Leck ist. Also starteten wir jetzt gemeinsam einen fünften Versuch. Jetzt waren wir beide vom Netz gefangen. Doch wir kamen der Sache näher. Jetzt sah ich es ebenfalls – eine Verbindung zwischen Wespe und Stachel würde alles auflösen. In dem Fall wäre es einer der Beiden. Susan meinte jedoch, es wären immer Infos aus dem Wespen-Netz bei den Falschen gelandet, jedoch nicht immer die aus dem Stachel-Netzwerk. Sie tippte auf die Wespe. Dabei ist der ein so netter Bursche, der kam sogar ab und an in unsere Agentur. Und angeblich liess er die Finger von den Drogen. So kann man sich irren.

Wir mussten uns aus dem Netz befreien. Erstens hätte Susan schon seit `ner Stunde an ihrem Platz in der Agentur sitzen müssen, und zweitens knurrte uns beiden der Magen so mächtig gewaltig, dass wir schnell eine gemeinsame Dusche nahmen, wir hatten uns ja wieder lieb. Danach marschierten wir gemeinsam zur Agentur. Unterwegs sammelten wir noch ein paar essbare Lebensmittel und Kaffee für alle ein.

Der Chef war begeistert von unserer Idee. Er wäre nie drauf gekommen, so etwas mal aufzumalen. Naja, dafür hatte er ja mich. Nach einem ausgiebigen Studium unseres Kunstwerkes schloss er sich ebenfalls Susans Verdacht an. Er schlug vor, mal ein wenig Präsident zu spielen und der Wespe eine Fake News zuzuspielen. Dann würden wir ja sehen...

Ich dagegen ging für heute nach Hause und legte mich in mein Bett. Letzten Endes hatte ich mich aus dem Netz befreit, um Platz für die Wespe zu machen...

 

Pollock, Jackson (1912 – 1956) – US-amerikanischer Maler; begründete das sogenannte Action Painting; viele seiner vor allem späteren Bilder muten auf dem ersten Blick wie sinnfreie abstrakte Strich- und Klecksmalereien an;
Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Jackson_Pollock

Impressum

Texte: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Bildmaterialien: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 07.09.2018

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