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Die Reise zur Scheibenwelt

Glaube versetzt Berge, manchmal auch eine Welt in die Scheibenform. Seit ich davon gehört hatte, wollte ich zu dieser Welt. Was nicht so einfach möglich ist – selbst wenn man daran glaubt.

Vor vier Wochen nun, zu nachtschlafener Zeit, fiel mir im Reisebüro um die Ecke ein Plakat auf. Darauf war eine Scheibenwelt abgebildet, die von vier riesigen Elefanten getragen wurde. Diese wiederum standen auf dem Rücken einer noch viel gigantischeren Schildkröte. Das Plakat warb für eine Reise zu dieser geheimnisvollen Scheibenwelt. Also sprach ich mit dem Agenten und er bestätigte, eine Reise zu dieser Welt wäre möglich - Abflug in der nächsten Vollmondnacht. Ich buchte sofort eine Passage in einer der Luxuskabinen. Man wolle mich mit einem Luftschiff am darauffolgenden Donnerstag während des Vollmondes abholen, deshalb solle ich mit gepacktem Koffer auf meinem Balkon warten.

Und wirklich, zur abgesprochenen Zeit hörte ich es über mir laut klappern. Ein Seil mit Haken und eine Strickleiter hätten mich fast KO geschlagen. Über mir sah ich ein grosses, schwebendes Schiff, vor das zwei Drachen gespannt waren. Ich hing den Koffer an den vorgesehenen Haken und machte mich an den Aufstieg. Wäre fast wieder herunter gestürzt, als sich das Schiff während meines Aufstieges in Bewegung setzte.

Oben angekommen, wurde ich von einer Art Steward begrüsst und in meine Kabine gebracht. Diese war echt luxeriös, mit Himmelbett und allem, was man sich so wünscht. Auf dem Tisch stand ein Kühler mit einer Flasche Champagner und ein grosses Tablett mit auserlesenem Fingerfood. Der Steward zückte seinen Kartenleser und ich hielt meine Kreditkarte darüber. Nach meiner Rückkehr bemerkte ich, ich hätte mich vorher nach dem Wechselkurs erkundigen sollen. Den realen Preis für die Reise zahlte man erst während der Reise. Nicht nur die Reisenden, sondern auch die Reisebüros wurden so um ihr Geld geprellt.

Doch während meiner Reise kümmerten mich diese Sorgen nicht. Zu ändern war es nicht mehr, aussteigen war keine Option. So segelten wir los, immer höher. Der Mond schoss draussen vorbei, der Mars und immer weiter ging es. Nachdem wir unser Sonnensystem hinter uns gelassen hatten und draussen ein einheitliches Schwarz vorherrschte, entschloss ich mich, das Schiff zu inspizieren. Immerhin sollten wir drei Tage unterwegs sein.

Der Gang auf meinem Deck war leer, niemand zu sehen oder zu hören. Nur eine grosse Uhr hing da und tickte ziemlich laut. Ich erkannte sofort, die Bordzeit entsprach nicht der, die meine Uhr anzeigte. Es war eine analoge Uhr: War es nun Vormittag oder bereits Abends. Das musste ich noch herausfinden. Es wäre peinlich, gegen Mitternacht im Speisesaal aufzutauchen und ein Dinner zu erwarten. Ich stieg die Treppe zu den höheren Decks hinauf, um so etwas wie einen Speiseraum zu finden. Ein Plan des Schiffes wäre hilfreich gewesen, fand aber keinen. Irgendwann stand ich auf dem Oberdeck, und mir fiel auf, ich hatte vergessen, mir mein Deck zu merken. Hoffentlich fand ich meine Kabine wieder, denn immer noch schien ich alleine zu sein.

Erstaunlich fand ich, auf das Oberdeck konnte man hinaustreten – umgeben vom luftleeren Raum. Man verspürte sogar einen Windzug und hörte die Flügelschläge der Drachen. Ich sah mich nach einer Brücke um. Die schien es nicht zu geben. Jedoch auf dem Heck-Aufbau stand jemand am Steuer. Also entschloss ich mich, diesen mit seiner Augenklappe sehr abenteuerlich aussehenden Herren zu interviewen.

Furchtlos stellte ich ihm meine Fragen. Ja, ich war bisher der einzige Reisegast an Bord. Nein, ich würde es nicht bleiben – in spätestens einer Stunde würden wir eine grössere Reisegruppe aufnehmen und zur gleichen Zeit würde die Bar öffnen. Und Übersichtspläne hingen an jeder Kajütentür und in jedem Gang. Ich müsste nur die Augen aufmachen. Er hatte Recht. Nun sah ich überall Pläne hängen.

Auf dem nächsten fand ich sogar heraus, wie ich meine Kajüte wiederfinden konnte. Ich musste lediglich den Code am Schlüssel entziffern: Luv, Lee, Deck etc. Im Grunde war es ganz einfach. Und die Bar befand sich auf dem Oberdeck, unterhalb der Heckaufbauten – also beschloss ich, die Weiterfahrt hier zu geniessen...

Ich schnappte mir einen Liegestuhl und genoss die Dunkelheit des Alles. An Schlafen war eh nicht zu denken, zumindest an Deck. Alle fünf bis zehn Minute stoppte das Schiff und nahm neue Passagiere an Bord. Dieses ständige Halten und Anfahren riss mich immer wieder aus meinen Gedanken. Obendrein füllte sich das Oberdeck langsam. Bis, ja bis die angekündigte grössere Reisegruppe an Bord genommen wurde. Und diese Gruppe war wirklich gross, bestimmt um die 40, 50 Leute. In der Zwischenzeit hatte ich mir weitere Mitreisende näher kennengelernt. Nun konnte es ungezwungen in der Bar weitergehen.

Doch, welche Überraschung: Das gesamte Oberdeck war die Bar. Im Heckaufbau hatte man lediglich die Getränkeausgabe (für den Selbstservice) untergebracht. Klar, das Angebot war extrem umfangreich. Von jedem Planeten, an dem wir vorbeikamen, waren Getränke zu haben. Aber wir hatten uns Liegestühle am falschen Ende des Deckes ausgesucht...

In diesem Trott ging es die nächsten zwei Tage weiter. Hin und wieder gönnte ich mir einen Blick auf die Planeten, an denen wir anlegten, um weitere Reisende aufzunehmen. Doch im Grossen und Ganzen unterschieden sie sich nur wenig von der Erde. Hoffe ich! Hatte ich doch vergessen, einen Blick zurüchzuwerfen und kenne lediglich dieses berühmte Foto mit dem Blick vom Mond. Für die Rückreise nahm ich mir vor, diesen Blick nachzuholen...

Nach dem Frühstück am dritten Morgen ging dann das Gerücht um, diese Scheibenwelt käme langsam in Sicht. Deshalb befanden sich kurze Zeit später wohl alle Reisenden auf dem Oberdeck – und höchstens die paar, die sich die vorderen Plätze gesichert hatten, konnte etwa erkennen. Angeblich schwebten wir von oben auf diese Welt hinab – sie befand sich also unterhalb des Schiffes. Der Kapitän jedoch versprach uns, vor der Anlandung einmal unter die Scheibe zu fliegen, damit alle Reisenden diese einmalige Welt in Augenschein nehmen könnten.

Ich ging in meine Kajüte, um meine Koffer zupacken. Und musste feststellen, aus meinem Kajütenfenster (eigentlich ein grosses quadratisches Bullaugen) konnte ich diese Welt betrachten. Ich sah die Schildkröte, die die vier Elefanten trug. Auf den Rücken der Elefanten ruhte diese gesamte Scheibenwelt, über deren Ränder das Wasser der Ozeane schoss. Ein beeindruckendes Bild, welches die grösste Scheibe im Universum da abgab. Und ich wollte die nächsten drei Wochen auf dieser Welt zubringen, um sie näher kennenzulernen. Gigantisch!

(Ende der ersten Übertragung)

Impressum

Texte: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Bildmaterialien: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 15.07.2018

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