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Graf Isch - Eine Traumreise (Januar 1990)

Neulich, genauer gesagt kommenden Mittwoch, in dem Traum gleich nach dem von morgen und vor dem vom letzten Monat, zu einer Uhrzeit, zu der die Nachtwächter mit ihrem Tagwerk beginnen, stand mir auf meiner Reise ein dicht bewaldeter Hügel im Wege, den alle nur den ‚Kahlen‘ nannten. Ich nahm meine Kletterausrüstung aus der Hosentasche und nahm als Erster die berühmte Südroute quer durch den nördliche Kamin. Oben angekommen sah ich ein Dach-Cafe namens ‚Weinkeller‘, welches über vierhundert verschiedene Biersorten im Angebot hatte. Am einzigen freien Tisch sass ein glattrasierter Mann, der sich genüsslich über seinen Bart strich. Ich fand ihn sympathisch und setzte mich dazu.

Irgendwoher stürzte sofort ein Kellner auf mich zu und wollte meine Bestellung. Natürlich hatte sie den Stift vergessen – ich gab ihr meinen. Ich brauchte ein üppiges Mahl und bestellte deshalb einen kleinen Salat. Mein Tischgenosse lächelte verschmitzt: ‚Willst du mir jetzt etwas vorkauen? Dann setzt dich woanders hin!‘

Ich hörte nicht auf ihn und fragte, ob er ein Problem damit hätte. Es wäre doch nur ‘ne Kleinigkeit. Er schob sich ein grosses Stück seines Steaks in den Mund, konnte jedoch vor lauter Lachen nicht antworten. In dem Moment erkannte ich, dass er keine Ohren hatte. Wie konnte er mich hören?

Er reichte mir seine Hand: ‚Hallo! Ich bin Graf Isch und mein Bio-Auto steht vor der Tür. Wie bist du auf dieses Establishment gekommen?‘

‚Ich penne nie zweimal mit der Selben und gehöre nicht dazu‘, war meine einsilbige Antwort. Dabei spuckte ich ihm ein Salatblatt ins Gesicht. Wieder lächelte er und legte sich das Blatt wie eine Serviette in den Schoss. Ich reichte ihm ein weiteres Blatt, mit dem er sich das Gesicht abwischte. Etwas vom Dressing blieb in seinem Bart hängen.

Da kam ich durch die Tür und setze mich zu uns. Das konnte ja interessant werden – Isch, ich und ich an einem Tisch. und vor der Tür ein Bio-Auto. Zuerst beschnupperten wir uns gegenseitig. Einer von uns roch ziemlich streng, aber nicht unangenehm, ein wenig nach Oliven. Oder kam dieses Aroma von meinem Salat. Ich war doch allergisch auf Steinfrüchte. Egal, alles ging gut und wir begannen, uns gegenseitig auf die Zähne zu fühlen. Leider biss Isch ziemlich energisch zu. Meine Finger schmerzen und ich blies darauf. Die Flamme ging sofort aus.

‚Was sollte denn das?‘, fragte ich und bekam von mir die Antwort, man solle immer aufpassen, wo man seine Finger reinsteckt. Eigentlich hatte ich ja Recht, doch im Grunde wollte ich mir nicht zustimmen. Ischs Gebiss hatte mich so einladend angelächelt. Es hatte ausgesehen, als ob die dreibrüstige Hure aus Total Recall mir dahinter zuwinkte. Die wollte ich schon immer mal in die Finger bekommen. Ich zeigte mir einen Vogel...

‚Seit ihr schon mal selbst geflogen?‘, wollte da Isch von uns wissen.

Während ich fragte ‚Wozu denn?‘, nickte ich mit dem Kopf.

‚Das ist der ersten Schritt, um durch Wände zu gehen‘, kam die Antwort.

Wir kratzten uns an den Rüben, obwohl wir die bereits aufgegessen hatten. Wie hing das denn zusammen?

‚Ist doch logisch‘, begann Isch. ‚Wer durch Wände gehen kann, fällt auch durch den Boden. Oder? Man kann nur durch Wände fliegen, ansonsten landet man am Mittelpunkt der Erde. Und dort ist es bekanntlich sehr heiss.‘

‚Durch Wände kann man nicht gehen‘, entgegnete ich. Ich ergänzte: ‚Das widerspricht der Physik.‘

Doch Isch meinte nur, in Träumen gälten die Gesetze der Physik nicht. Wir könnten uns eigene Gesetze in der Traumwelt vorgeben. Alles wäre hier erlaubt. Mein Pendant kam da auf die Gegenfrage, warum es denn zu heiss am Mittelpunkt der Erde wäre. Wenn wir uns unsere eigenen Gesetze geben dürften, könnten wir uns doch auch hitzebeständig denken.

‚Guter Einfall! Wollte schon immer mal den Erdkern sehen‘, überlegte Isch. ‚Also worauf warten wir noch? Auf zum Mittelpunkt der Erde!‘

Im gleichen Moment versanken wir im Boden. Es wurde eine interessante Reise, Nur gut, dass wir - bis auf mich, weil ich zu spät gekommen war - gegessen hatten. Und sofort fiel uns auch wieder der Trick mit dem Fliegen im Traum ein. So ging es im langsamen Gleitflug dem Kern meines Traumes entgegen.

Anfänglich fielen wir durch festes Gestein, immer wieder abgelöst von kleineren oder grösseren Höhlen, hin und wieder auch mal von einer Wasserader. Doch langsam wurde das Gestein immer zähflüssiger bis wir auf einem Male in einen riesigen See mit dünnflüssiger Magma fielen. Es fühlte sich nicht wirklich heiss an, doch anfänglich wurden wir von einer starken Strömung mitgerissen, die uns etwas vom Kurs abbrachte. Also erhöhten wir unser Gewicht. Zu irgendetwas musste diese Gravitation doch nützlich sein. Doch als nächstes wurde die Umgebung wieder fester. Der Umgebungsdruck war inzwischen so hoch, dass er die einzelnen Atome zusammenpresste. Es wurde schwieriger für uns, diese feste Masse zu durchdringen. Ich fand einen neuen Trick dafür und Isch und ich machten es mir nach. Wir schwebten nun zwar langsamer aber kontinuierlich dem Erdmittelpunkt entgegen.

Dort angekommen staunten wir nicht schlecht. Genau auf ihm fanden wir eine blaue Polizeinotrufzelle, eine, wie sie in London früher rumstanden. Aus ihrer offenen Tür winkte uns ein etwas unsympathischer Herr mit einem Panama-Hut zu, wir sollten doch näher treten. Was wir auch taten.

‚Nun habt ihr mich doch gefunden?‘, fragte er uns ohne jede Begrüssung.

‚Wen gefunden?‘, erkundigte sich Isch.

‚Na mich, den Doktor!‘

‚Doktor wer?‘, wollte ich da wissen.

‚Einfach Der Doktor, nichts weiter‘, bekam ich zur Antwort.

‚Doktor wer? Sie müssen doch einen Namen haben‘, stocherte ich weiter.

‚Habe ich nicht... Kommen sie rein!‘

Erstaunlich! Das Innere der Telefonzelle sah so gar nicht nach einer aus. Vor allem, sie hatte von aussen einen viel kleineren Eindruck gemacht, als sie innen war. Noch einer, der die Gesetze der Physik ausser Kraft setzen konnte. Oder hatten wir dies in unsere bereits eingearbeitet und diese Zelle hatte eine normale Grösse? Zumindest war sie nicht mit Gummiwänden gepolstert. Sie sah deutlich freundlicher aus als ihr Bewohner...

‚Wie kommt es, dass sich ihre Zelle hier befinden kann, ohne Schaden zu nehmen?‘ Isch wollte unbedingt herausfinden, wie diese Zelle hier so ruhig in der Gegend rumstehen durfte.

‚Na ja! Sie ist ja keine gewöhnliche Notrufzelle. Sie sieht nur so aus. Unter anderem besitzt sie ein Schutzfeld gegenüber ihrer Umgebung. Zusätzlich gibt es hier unten stabile schwere Elemente, die unter einem normalen Umgebungsdruck nicht stabil sind. Diese würden ansonsten schnell wieder zerfallen. Und besonders dieses Whovian schützt diese Zelle zusätzlich.‘

Dem konnten wir nichts entgegensetzen. Und da gerade draussen ein Zug vorbei fuhr, verstanden wir eh nur Bahnhof. Wir beschlossen, es dabei bewenden zu lassen.

‚Kann es sein, dass ich sie schon mal getroffen habe‘, wollte ich wissen, um das Gespräch weiter am Fliessen zu halten.

‚Waren sie schon einmal in London?‘, kam die Gegenfrage vom Doktor.

‚Eigentlich nicht!‘

‚Oder sehen sie fern?‘

‚Klar!‘

‚Dann haben sie wohl mal gesehen, wie ich aus der Röhre schaue. Unsere Königin hatte Anfang der 60er die Idee, das britische Fernsehen jugendgerechter gestalten zu lassen. Da hat mich einer ihrer TV-Produzenten sozusagen erfunden. Und diese Fernseh-Autoren waren echt froh und schickten mich über 25 Jahre regelmässig auf die verrücktesten, und oft auch auf gefährliche, Missionen. Und die Zuschauer haben sich daran ergötzt. Nun habe ich die Schnauze voll und habe mich aus dem Staube gemacht. Ich will nicht mehr. Hier scheint das einzige Versteck zu liegen, wo sie mich noch nie hingeschickt haben. Da hoffe ich, sie werden mich hier ebenfalls nicht suchen ... Wenn sie mich nicht verraten...‘

Ich traute ihm in diesem Augenblick zu, dass er versuchen würde, uns dort unten festzuhalten. Isch gab mir mit einem Blick zu verstehen, er ebenfalls. Also flatterten wir durch die noch offenstehende Tür und machten uns auf den Weg zurück nach oben.

Eine Weile vergnügten wir uns in diesem Magma-Meer. Dabei fanden wir heraus, es gab da einige Magma-Flüsse, die weiter nach oben, in Richtung der Erdoberfläche, flossen. In einem dieser Abflüsse herrschte eine extreme Strömung. Wir liessen uns in ihr treiben.

Richtung Oberfläche wurde der Schlot immer enger und die Strömung immer schneller. Wir gaben jeden Widerstand auf und wurden am Ende weit in die Luft geschleudert. Dabei erkannte ich, dass wir offensichtlich auf Hawaii herausgekommen waren. Die Erde hatte uns durch den Kilauea entsorgt. Ehe wir reagieren und unsere Arme wieder zum Fluge entfalten konnten, landeten wir bereist im Ozean. Dort bot sich uns ein neues Spektakel.

Wir waren nicht weit vom Ufer gelandet und sahen, wie die Lava vom Land ins Meer floss. Nicht nur, dass sie dabei erstaunliche Formen annahm. Sie erkaltete äusserlich extrem schnell, brach von Neuem auf und frische Lava floss nach, bis auch diese erkaltete und wieder aufbrach und so weiter. Ohne Unterlass! Wir Drei schauten dem mit offenen Mündern zu. Und hörten es. Es klang wie ein lautes Kaminfeuer, und zischte obendrein. Selbst die Fische konnten sich nicht satt sehen. Sie winkten uns mit ihren Flossen zu und klatschten in diese, wenn eine besonders spektakuläre Form entstand. Nach einer Weile jedoch hatten wir genug. Diese Bilder würden wir eh nie vergessen. Wir beschlossen, wieder zu unserem Berg zu fliegen.

Kaum aus dem Wasser erhoben wir uns in die Lüfte und flogen zum ‚Weinkeller‘. Unterwegs kam uns das andere Ich abhanden. Doch ich machte mir keine grossen Sorgen. Ich war sicher, ich würde mir früher oder später wieder über den Weg laufen. Am dichtbewaldeten ‚Kahlen Hügel‘ stieg Graf Isch in sein Bio-Auto und ich ging auf dem schnellsten Weg nach Hause. Dort fand ich mich bereits tief schlafend im Bett.

Trotz tagschlafender Zeit klingelte es bei mir und ich wachte kurz auf, um mir ein ‚Du bist dran!‘ zuzumurmeln. Also ging ich zur Tür. Davor erwarteten mich zwei Herren in weissen Kitteln und eine dieser berühmten Jacken in der Hand. Ich erklärte ihnen kurz, dass der Doktor keine Lust mehr hätte, bevor ich ihnen die Tür wie ein Brett vor den Kopf nagelte. Anschliessend legte mich ins Bett und fiel in einen tiefen Schlaf...

 

 

Impressum

Texte: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Bildmaterialien: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2018

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