Das Meer, der Strand: Sehnsuchtsort? Fluchtpunkt? Menschengrillstation? Oder gar Mülleimer?
Wie verhielten sich die ersten Vormenschen, als sie auf das Meer stiessen? Was dachten sie? Freuten sie sich und liessen sich am Strand zu einem endlosen Urlaub nieder?
Im Gegenteil: Irgendwann überwanden sie diese Barriere und zogen weiter um die Welt, bis zum nächsten Meer. Auch dieses wurde überwunden und heute findet man ihre Nachfahren verteilt über die gesamte Erde. Meere stellten keine wirklichen Grenzen für seine Ausbreitung dar. So blieb es über Jahrtausende, bis in der Neuzeit ein Umdenken eintrat. Man schottete seinen Teil des Meeres immer mehr ab, das verbindende Wasser wurde mehr und mehr zu einer schwer zu überwindenden Mauer. Dabei wartet bereits das nächste Meer auf seine Eroberung: Das Sternenmeer! Doch selbst dort stecken alle bereits ihren Claim ab – trotz anders lautender internationaler Abmachungen...
In der Zwischenzeit verkommen unsere Meere zum grössten Müllschlucker der Menschheit, und – gleichzeitig liefern sie uns einen grossen Teil unserer Nahrung. Fisch ist ja soo gesund. Was macht es da, dass sie kiloweise Müll in ihren Leibern spazierenschwimmen, bis sie mit gefüllten Mägen verhungert aufgeben müssen? Wir essen sie trotzdem...
Wer es nicht weiss: Ich bin im Osten aufgewachsen. Meine erste Bekanntschaft mit dem Meer machte ich in Rostock auf einer Hafenrundfahrt. Ich war damals 14, und hörte wie die Erwachsenen über das ‚Paradies am anderen Ufer (der Ostsee) redeten, über das Land der unbegrenzten Freiheiten‘ und sich wünschten, dass der Kapitän sich entschliessen würde, einfach loszufahren in dieses ferne Land. Dieses Erlebnis hat mich mehr geprägt als jede Fernsehshow des sogenannten Westfernsehens (habe eh selten in die Röhre geschaut) oder irgendwas sonst. Von da an, jedes Mal, wenn ich auf ein neues Meer stiess, immer wieder die selbe Sehnsucht. In Varna am Schwarzen Meer, in Wladiwostok am japanischen Meer, in Kuba in der Karibik – überall diese Sehnsüchte nach den Paradiesen am gegenüberliegenden Ufer. Heute weiss ich es besser: Auch an den anderen Ufern sind die Schweine nicht fetter und die Wiesen nicht grüner, oft sind wir dort eher diejenige, die aus einem dieser Sehnsuchtsländer kommen...
Heute wundert es mich wenig, wenn ich in den Nachrichten zum Beispiel über die Fluchtbewegungen am Mittelmeer höre. Wir waren bis in die 80‘er Jahre in einer ähnlichen Lage, und wir wurden mit offenen Armen empfangen. In den Nachrichten feierte man damals oft und gerne jede erfolgreiche Flucht. Diese Zeit ist längst vorbei. Jetzt berichtet sie über aufgebrachte Flüchtlingsboote und welche Erfolge man dabei hat, diesen Leuten den Weg zu verleiden.
Okay, die weltpolitische Lage ist inzwischen eine völlig andere und diese Fluchtkorridore werden ebenfalls von Menschen genutzt, die keine Hilfe wollen, die uns bewusst schaden wollen. Doch irgendwo kommt mir dies etwas schizophren vor: Damals wurden wir von den Politikern zum Kommen aufgerufen, heute wünschen sich die gleichen Leute, dass man dort bleibt, wo man geboren wurde. Ich denke, diese Leute würde gerne zu Hause bleiben, wenn auch sie an den allgemeinen Fortschritten – an denen sie doch teilweise mitwirken (Rohstoffe, billige Produkte, exotische Lebensmittel...) – teilhaben dürften und einen adäquaten Lebensstandard zugestanden bekommen würden. Im Grunde genau das Gleiche, was wir uns im Osten gewünscht hatten und dieser Wunsch wurde uns ja damals auch zugestanden – doch als wir am Ende alle kamen, wollte davon niemand etwas wissen. Hätte eh keiner bezahlen können, wissen wir heute – man hatte Geister gerufen, die man nicht im Griff hatte bzw. die grösser als erwartet waren. Heute weiss man dies, und möchte es besser machen – nur wie? Guter Rat ist wie immer teuer, und die Meere als Sehnsuchtsorte können wir nicht abschaffen. Noch immer sind unsere Meere mehr trennend als verbindend. Schade!
Ich reise heute nicht mehr ans Meer. Bin viel zu blond, um an Stränden zu schmoren und viel zu kurzsichtig – ich würde nie an den Strand zurückfinden. Mich zieht es eher in die nordischen Wälder, dort kann ich so blond sein, wie ich möchte (ohne einen Sonnenbrand abzubekommen). Und von der Brille muss ich nicht ständig die Wassertropfen abwischen. Ich bin inzwischen in einem der grossen Häusermeere gestrandet und schwimme dort täglich in den Strömungen des Menschenmeeres mit. Selbst hier werden wir, wie die Fische, beständig in Versuchung geführt, unsere Mägen mit Junk zu füllen, bis wir irgendwann entkräftet aufgeben müssen. Glücklich diejenigen, die uns nicht essen müssen. Wir ziehen es dann vor, langsam unter einem Meer von Sand und Dreck zu vermodern...
Texte: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Cover: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Lektorat: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 16.04.2018
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