Cover

Prolog

Wie wäre mein Leben wohl verlaufen, wenn ich damals, vor fast einem Jahr, gleich beim ersten Weckerklingeln mein Bett verlassen hätte und nicht noch einmal eingeschlafen wäre. Oder ich mich nicht noch einmal hätte vor dem Haus bücken müssen, um einen losen Schnürsenkel neu zu binden, nachdem ich mein Frühstück in höchster Eile in den Jackentaschen verstaut habe. Mit ziemlicher Sicherheit wäre es anders verlaufen.

Aber da sind sie wieder, die vielen Konjunktive, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen, wenn Sekunden für den Fortgang eines Lebens entscheidend sein können.

So sitze ich nun hier seit bereits einer halben Stunde an der Kreuzung im Zentrum Londons in meinem Rollstuhl und beobachte das Treiben auf dem Fußgängerüberweg, der damals mein weiteres Leben in eine vollkommen neue Richtung lenken sollte. Ich würde gern diesen Übergang überqueren, denn deshalb bin ich eigentlich hier, aber ich schaffe es nicht. Ich bin eben kein Held, auch wenn es in meinem Umfeld Leute gibt, die mich gern so sehen.

Ein paar Sekunden damals langsamer oder schneller und ich müsste nicht hier sitzen, aber könnte auch nicht diese Geschichte erzählen.

Eins

Verdammt! Schon wieder verschlafen.

Ich springe aus dem Bett, während meine Frau sich weiter genüsslich in den Laken rekelt und meine Seite gleich mit in Beschlag nimmt.

Cathy, meine Frau seit neun Jahren, muss erst um acht Uhr in dem großen Schuhgeschäft in der Wilburry-Street erscheinen. Eine Strecke, die sie bequem zu Fuß zurücklegen kann, und ich die U-Bahn nehmen muss, denn mit dem Auto ist um diese Uhrzeit kein Durchkommen.

 

Unsere Ehe blieb bisher kinderlos, aus welchen Gründen auch immer, sehr zum Leidwesen meiner Mutter, aber vor allem meinen Schwiegereltern gegenüber. Mein Schwiegervater, Direktor einer großen Bank, hatte immer auf eine bessere Partie für seine Tochter gehofft. Stattdessen bekam sie einen kleinen Journalisten, der sich jede Woche ein wenig Klatsch und neue Kochrezepte aus den Fingern saugen muss. Das Schlimme aber daran ist, er vergisst, dass seine Tochter auch nur Schuhe verkauft.

 

Ich stecke mir noch schnell zwei Brötchen in die Jackentaschen, die ich dann in der U-Bahn in Ruhe essen kann. Noch ein Griff in die Wurstbüchse und meinen Aktenkoffer unter den Arm geklemmt und schon stehe ich vor dem Haus. Hier muss ich aber noch einmal einen Schuh neu binden. Hätte ich das doch in der U-Bahn getan. Vielleicht waren das die entscheidenden zehn Sekunden. Bis zur U-Bahn brauche ich nur ein paar Minuten, aber wenn ich schnell bin schaffe ich es in der halben Zeit. Ich bin an der Kreuzung angelangt, die Fußgängerampel springt auf Rot, aber ich sprinte noch über sie hinweg und bin auch schon fast auf der anderen Seite, da stoße ich mit einem anderen Mann zusammen, der mir sein gerade gekauftes Speiseeis auf die Jacke drückt.

„Shit!“, kommt es aus mir nur heraus. Auch der Mann schaut nicht begeistert, muss er doch jetzt auf seine Erfrischung verzichten. Ich rette mich auf die andere Seite und besehe mir das Malheur. Ein großer Fettfleck ziert mein Jackett. So kann ich auf keinen Fall in der morgendlichen Besprechung erscheinen. Ich entschließe mich, die U-Bahn sausen zu lassen und im nächsten Lokal auf der Toilette das Schlimmste zu bereinigen. Endlich habe ich ein Lokal gefunden, dass um diese Zeit auch schon offen ist. Am Waschbecken versuche ich mit warmen Wasser den Fleck so gut es geht zu entfernen, da höre ich aus einer Toilettenkabine leises Gewimmer. Ich schleiche mich vor die Toilettentür und frage vorsichtig. „Hallo, was ist mit Ihnen?“

Das Wimmern hört schlagartig auf. Die Tür ist von innen verriegelt. Ich schaue unter die Toilettentür und sehe zwei Füße. Aber das sind doch Frauenfüße, denke ich.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Keine Reaktion. Ich gehe in die nebenan liegende Toilette und ziehe mich an der Wand hoch, um in die Kabine blicken zu können, denn eine Frau wird sich nicht grundlos auf eine Herrentoilette verirrt haben.

Eine junge Frau von etwa Mitte Dreißig hockt auf der Toilette und schaut verängstigt und mit verweinten Augen zu mir hoch. Sie drückt einen kleinen schwarzen Aktenkoffer an sich. Da wird die Eingangstür zur Toilette aufgestoßen und mehrere Personen stürmen herein. Ich lasse mich schnell wieder hinunter und setzte mich mit angezogenen Beinen auf die Toilette. Die Tür verriegele ich nicht, um nicht den Anschein zu erwecken, dass außer dieser Frau sich noch jemand in dem Raum befindet. Der kleine Aktenkoffer kommt unter der Wand in meine Kabine gerutscht. Ich nehme ihn schnell hoch und wage kaum zu atmen. Nun kann ich nur noch hoffen, dass sie meine Tür nicht aufstoßen.

„Soll die tatsächlich auf die Männertoilette gerannt sein?“, höre ich einen Mann rufen.

„Wo denn sonst, auf dem Frauenklo ist sie nicht“, sagt ein zweiter und fügt gleich noch hinzu: „Du bleibst draußen.“ Ein paar Schritte entfernen sich wieder. Also zwei Männer und wahrscheinlich eine Frau, denke ich.

Zwei Toilettentüren werden aufgestoßen, an der dritten rüttelt einer der Männer. „Hier ist sie drin.“

Ich kann die Frau atmen hören, oder ich meine, sie atmen zu hören. Der Mann bückt sich und schaut unter der Tür durch. Der zweite geht in eine Toilette und drückt die Spülung, während sich der andere einmal kurz gegen die Tür wirft. Ein leiser Schrei ist nur zu hören, dann wird die Frau aus der Toilette gezerrt und es ist wieder Ruhe. Ich zittere am ganzen Leib und warte noch ein paar Minuten. Dann endlich wage ich mich hinaus. Den kleinen Aktenkoffer der Frau habe ich in meinen größeren Koffer gepackt. Vor der Tür sehe ich das Auto mit allen vier Personen. Wie ich schon annahm, zwei Männer und eine Frau. Die beiden Frauen sitzen hinten, während die eine Frau auf die junge Frau immer noch wild einredet. Ich laufe in die andere Richtung. Man hat mich scheinbar gar nicht wahrgenommen.

Zwei

Ellen Hunt wird von den beiden Männern in das bereitstehende Auto auf den Rücksitz gestoßen. Dort wird sie schon von Olga Schaporowa erwartet.

 

Olga hat vor zwanzig Jahren Russland in Richtung England verlassen, um in dieser Immobilienkanzlei anzuheuern. Dass die Kanzlei kaum mit Immobilien, dafür umso mehr mit Diamanten handelt, stört sie nicht, im Gegenteil. Mit Diamanten kann man das Vielfache verdienen.

Immer wenn es droht schmutzig zu werden, wird Olga eingesetzt. Sie ist dafür bekannt, keine Samthandschuhe anzuziehen.

 

Kaum ist Ellen neben Olga unsanft zum Sitzen gekommen, wird ihr Kopf auch schon mit einem Ruck nach unten gedrückt, während Olgas Knie nach oben fährt. Ein leises Knacken ist zu hören und dann ein Winseln von Ellen. Roger und Robert, haben inzwischen vorn Platz genommen und verziehen etwas angewidert ihr Gesicht. Olga reißt Ellens Kopf wieder an den Haaren nach oben und schreit sie an: „Wo sind die Diamanten?“

Ellen hält sich ihre blutende Nase und kann nur wimmern: „Ich habe sie nicht mehr. Sie sind noch auf der Toilette.“

Olga sieht sie mit großen Augen an und sieht nun auch mit Entsetzen den Blutfleck auf ihrer Hose. „Du hast mir meine Hose versaut“, schreit sie Ellen an und schlägt ihr noch mal ins Gesicht. Das wird Robert, der am Steuer sitzt, doch zu viel. „Lass das, Du versaust mir noch mein Auto“, ruft er erbost nach hinten.

„Roger, geh noch mal rein. Um diese Zeit sind noch keine Gäste da, die die Diamanten schon gefunden hätten.“

Roger Cullham steigt aus dem Wagen und geht noch einmal in das Lokal. Die Toiletten sind vor der Tür des Restaurants, so dass er nicht durch das Restaurant muss. Nach fünf Minuten ist er wieder im Wagen. „Nichts. Ich habe alles abgesucht.“

Olga schaut Ellen nur an.

„Ich habe sie wirklich auf der Toilette verloren, als die mich da raus gezerrt haben“, sagt Ellen, immer mit einem Taschentuch in der Hand an der Nase.

„Seit Ihr sicher, dass niemand weiter drin war, als Ihr sie raus geholt habt?“, fragt Olga.

„Ja, ganz sicher“, erwidert Robert genervt und fügt hinzu: „Keine Toilettentür war verriegelt.“

„Aber durchgesehen habt Ihr sie nicht.“

„Kein Mensch setzt sich auf die Toilette ohne zu verriegeln“, kommt es von Robert.

Olga ist unzufrieden.

„Fahr endlich los“, herrscht sie Robert an. Der Wagen setzt sich in Bewegung. Es sind etwa zwanzig Minuten bis zu ihrer Kanzlei.

„Was machen wir nun mit ihr?“, fragt Olga, mehr sich selbst, als ihre beiden Leute und gibt auch gleich selbst die Antwort: „Am besten, wir schmeißen sie gleich in die Themse.“

Ellen schaut Olga entsetzt an.

„Das wird der Chef entscheiden, was mit ihr passiert“, sagt Roger, dem es schon lange gegen den Strich geht, dass Olga sich ständig in den Vordergrund spielen will. Robert lenkt währenddessen den Wagen bis nahe an den Stadtrand von London. Ein flaches, altes Backsteingebäude wird sichtbar, an dem sofort die neuen schneeweißen Fenster und die Eingangstür auffallen. Ein großer holpriger Vorplatz bietet genügend Parkmöglichkeiten, auch für Lastwagen.

Robert hält direkt vor der Eingangstür. Beide Männer steigen aus und nehmen Ellen in ihre Mitte. Auch Olga steigt aus und folgt ihnen. Das Innere des Gebäudes ist hochmodern eingerichtet. Ein großes Büro, von dem man in zwei weitere, etwas kleinere Büros, gelangen kann. Alle Wände bestehen nur aus Glas, so dass man in sämtliche Büros blicken kann.

Peter Brown, der Chef, ein korpulenter Mittfünfziger, erwartet sie schon und führt Ellen in sein Büro. Nachdem er sie aufgefordert hat Platz zu nehmen, kommt er gleich zur Sache.

„Bist Du wirklich so dumm anzunehmen, wir bekommen den Diebstahl nicht mit?“, fragt Peter, nachdem auch er sich in einen Sessel hat fallen gelassen. „Wo sind die drei Diamanten?“

„Ich habe sie auf der Toilette verloren, als Roger und Robert mich gefunden haben“, flüstert Ellen kaum hörbar. „Roger ist etwas später noch mal rein, aber da waren sie schon weg.“

„Um diese Uhrzeit gibt es doch noch keine Gäste im Lokal“, stellt Peter fest und bemerkt nun auch Ellens blutende Nase. „Wer war das?“, fragt er und deutet auf ihre Nase.

„Olga“, sagt Ellen.

„Die hast Du Dir auch redlich verdient“, kann Peter darauf nur lakonisch antworten und wirft ihr ein sauberes Taschentuch zu.

„Die ist wahrscheinlich gebrochen. Ich muss zum Arzt“, wimmert Ellen.

„Du wirst nicht zum Arzt gehen. Die wächst von alleine wieder zusammen.“

Im anderen Büro versucht unterdessen Olga an einem Waschbecken den Blutfleck aus ihrer Hose zu reiben, immer mit einem bösen Blick durch die Glaswand auf Ellen gerichtet.

„Du wolltest also aussteigen und gleich noch etwas mitnehmen“, fährt Peter fort. „Du kannst nicht einfach aussteigen. Wir brauchen Dich im Immobilienhandel. Du wirst die Diamanten abarbeiten, wenn Du sie nicht wieder besorgen kannst.

Die waren geschliffen und bearbeitet und haben einen Marktwert von etwa 3.000 Pfund.“

„Ich will mit Diamantenhandel nichts zu tun haben. Ich weiß nicht, ob das alles legal ist.“

„Du bist für Immobilienhandel verantwortlich, nicht für Diamanten. Versuch das nicht noch einmal. Wir finden Dich überall. Mach Deine Nase sauber und mach Dich wieder an Deine Arbeit.“ Peter steht auf und fordert auch Ellen auf das Büro zu verlassen.

Ellen ist wieder in ihrem Büro, nachdem sie sich ihre Nase gründlich gereinigt hat. Ein wenig schmerzt sie noch. Sie hofft, dass sie nicht gebrochen ist und womöglich noch schief zusammen wächst. Aber im Moment hat sie andere Sorgen.

Ich bekomme für eine Weile keinen Lohn, denkt sie, wenn ich die Diamanten nicht wieder besorgen kann. Den Mann habe ich nur ganz kurz gesehen, als er über die Toilettenwand blickte. Ich kann nur hoffen, dass er irgendwie Verbindung mit mir aufnimmt, aber die Chancen dafür tendieren gegen Null. Der wird die Diamanten versetzen und die Papiere vernichten.

Im Moment weiß Ellen nicht, wie es weiter gehen soll und versucht sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

 

Drei

 Seit drei Tagen bin ich nun schon ohne Job. Mein Chef hat mir mitgeteilt, als ich nach dem Eis-Malheur endlich in der Redaktion eintraf, dass sie es mal ohne mich versuchen wollen. Ich konnte und wollte ihn auch nicht umstimmen. Nun gut, dann sollen sie es eben ohne mich versuchen. War sowieso nicht unbedingt das, was ich mir unter Journalismus vorgestellt habe.

 

Mein Bankkonto ist gut gefüllt, aber trotzdem werde ich aufs Amt gehen und Arbeitslosengeld beantragen, steht mir ja schließlich zu. Als nächstes werde ich meiner Mutter einen Besuch abstatten. Sie wird zwar nicht begeistert sein, dass ihr Sohn den Job verloren hat, aber sie freut sich bestimmt, wenn sie mich unterstützen kann. Sie kann das Geld gar nicht verbrauchen, dass sie durch die gute Pension meines leider viel zu früh verstorbenen Vaters bekommt. Das soll nun nicht heißen, dass ich auf diese Tour reisen will. Ein Job soll es schon irgendwann einmal wieder sein, aber zur Überbrückung werde ich Mutters Unterstützung nicht ablehnen. Cathy ist gestern zu ihren Eltern gezogen. Das hat sie mir in einer Nachricht mitgeteilt. Schöne neue Technik. Man muss es dem Partner nicht einmal mehr ins Gesicht sagen. Ihre Sachen will sie nach und nach abholen.

Der Papa wird zufrieden sein, ist doch nun endlich sein Töchterchen diesen Loser los. Die letzte Zeit lief es sowieso alles andere als rund mit uns beiden. Vielleicht ist es besser so.

 

Ich verspüre so etwas wie Hunger und schaue im Kühlschrank nach, aber angesichts dessen, was meine Augen da erblicken, entschließe ich mich ein Restaurant aufzusuchen.

Da fällt mir mein Koffer ein, den ich vor ein paar Tagen in die Ecke gestellt habe und seitdem noch nicht wieder anrührte. Ich hole den Koffer und lege ihn auf den Tisch. Der Koffer der jungen Frau enthält verschiedene Papiere, die ich mir später ansehen will. Jetzt hat erst einmal ein kleiner Lederbeutel mein Interesse geweckt. In dem Lederbeutel befinden sich drei Diamanten. Ich habe so gut wie keine Ahnung von Diamanten, aber dass es keine Rohdiamanten sondern schon geschliffene sind, erkenne selbst ich. Mein Restaurantbesuch wird wohl ausfallen müssen. Ein paar Ale müssen es heute Abend auch tun, denn der Inhalt des Koffers hat meine ganze Aufmerksamkeit bekommen.

Die Diamanten verstaue ich wieder im Lederbeutel und lege ihn in den Koffer. Mit einem Bier mache ich es mir auf der Couch bequem und nehme die Papiere aus dem Koffer. Es sind Kopien von Rechnungen über Ankäufe und Verkäufe. Die Rechnungen der Immobilien-Ankäufe und Verkäufe sind weniger interessant. Die Namen der Käufer und Verkäufer wurden, wahrscheinlich von der jungen Frau, geschwärzt. Die Papiere der Diamanten-Käufe und -verkäufe sind schon interessanter. Ein Ankauf einer 2,5 kg-Menge von einem Absender aus Berlin und 2 kg im Verkauf in Richtung Luanda, Angola. Das muss aber noch lange nicht heißen, dass das illegale Geschäfte sind, denke ich. Das Logo auf dem Briefkopf der Diamanten-Rechnungen sieht sehr interessant aus.

Ein auf der Spitze stehendes Dreieck.

Die untere Spitze ist aber nicht ganz geschlossen und von diesen beiden winzig auseinander stehenden Punkten, wovon sich der rechte Punkt extra noch in einem kleinen Kreis befindet, laufen noch einmal zwei senkrechte Linie nach unten, die sich dann am Ende in einem etwas dickeren Punkt treffen.

In dem Dreieck kann man die Zeichnung eines Diamanten erkennen. Das alles ist umrahmt von den drei verschnörkelten Buchstaben D, T und C. Wahrscheinlich die Anfangsbuchstaben von Diamonde Trade Company.

Ich entschließe mich, am nächsten Tag dieses Unternehmen aufzusuchen, schon allein um die junge Frau kennenzulernen. Ich bin mir sicher, dass Diamantenhandel und Immobilienhandel in ein und demselben Gebäude vorgenommen werden. Ich kann nur hoffen, dass ich auch die junge Frau treffe.

 

Am Vormittag des nächsten Tages fahre ich zu der Adresse am Stadtrand Londons. Nachdem ich das Gebäude betreten habe, kommt mir auch gleich eine doch schon etwas ältere Frau entgegen und fragt mich, ob sie mir behilflich sein kann.

„Ja“, sage ich. „Ich habe Interesse an einer Immobilie.“

„Das ist schön. Dann gehen Sie doch mal gleich durch dieses Büro. Da drüben sitzt Ms. Hunt, sie wird sich um Sie kümmern“, sagt sie und zeigt durch das Büro in ein weiteres Büro, in dem ich auch eine Frau, mit dem Rücken zu uns gekehrt, sitzen sehe.

Ich klopfe an und trete ein. Die Frau dreht sich nach mir um. Sie ist es tatsächlich, denke ich. Auch sie muss mich erkannt haben, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Ihre Nase sieht etwas geschwollen aus. Ich bin mir sicher, dass man ihr das im Auto zugefügt hat.

„Nehmen Sie doch bitte Platz, mein Herr.“

„John Whithead“, sage ich und reiche ihr auch gleich die Hand.

Nachdem ich Platz genommen habe schaut sie mich an und flüstert kaum hörbar: „Nicht hier.“

„Ich interessiere mich für eine Immobilie, aber etwas weiter in der Stadtmitte“, beginne ich.

„Da hätte ich ein paar interessante Sachen“, sagt sie und legt mir fünf oder sechs Prospekte auf den Tisch. Ich brauche mindestens zehn Minuten, bis ich das passendste für mich gefunden habe, obwohl ich ja eigentlich gar nicht an einer Immobilie interessiert bin. Meine Wohnung reicht mir vollkommen.

„Diese hier könnte mir gefallen“, sage ich und schiebe ihr das Prospekt zu.

Ein Appartement, etwa achtzig Quadratmeter, in der Nähe des Trafalgar Platzes.

„Ja, das ist sehr hübsch und sehr zentral gelegen. Wann hätten Sie denn Zeit, dass wir uns das gemeinsam einmal ansehen? Morgen Vormittag vielleicht schon?“, fragt sie, sehr interessiert daran, mit mir so schnell wie möglich ins Gespräch zu kommen.

„Ja, das würde passen“, antworte ich. Und nachdem noch ein paar Formalitäten geklärt wurden, verabschiede ich mich, um am nächsten Tag pünktlich am vereinbarten Treffpunkt zu erscheinen.

Geschlagene fünfzehn Minuten warte ich nun schon am vereinbarten Treffpunkt. Da sehe ich sie plötzlich die Straße entlang hasten. Als sie bei mir ist, kann sie nur atemlos eine Entschuldigung stammeln. „Entschuldigen Sie bitte, Mr. Whithead, aber ich musste in einem Parkhaus parken. Nirgendwo ein Parkplatz. Ich kann auch nicht zu zeitig meinen Arbeitsplatz verlassen, nur um einen Parkplatz zu suchen.“

„Aber das macht doch nichts“, versuche ich sie zu beruhigen. „Das wichtigste ist doch, dass wir uns ungestört einmal unterhalten können. Ich will Ihnen aber auch gleich klaren Wein einschenken. An einer Immobilie habe ich kein Interesse. Mir genügt meine Wohnung, die ich habe.“

„Das dachte ich mir schon, aber das ist kein Problem. In dieser Branche kommt es sowieso nur zu zehn Prozent zu einem Abschluss. Irgendetwas passt am Ende meistens nicht. Lage, Größe oder der Preis.“ Ellen lächelt mich an. Das gefällt mir schon einmal recht gut. Sie ist eine schlanke, hübsche Frau, aber wenigstens zehn Jahre jünger als ich. Ich ertappe mich bei diesen Gedanken und rufe mich selbst zur Ordnung. Keine neuen Experimente, John!

„Haben Sie den Koffer noch mit allem Inhalt?“, fragt sie mich und reißt mich endlich aus meinen Gedanken, während wir langsam in Richtung des Hauses laufen, in dem dieses Appartement liegt.

„Natürlich“, sage ich. „Ich habe mich ein wenig mit den Papieren beschäftigt. Die Diamanten sind auch noch da. Warum haben Sie das eigentlich alles gemacht? Sie bekommen doch mächtig Ärger“, frage ich.

Wir betreten ein großes Haus mit einem riesigen Hausflur. Die Wände mit herrlichen Wandmalereien ausgestattet und eine Wendeltreppe nach oben führend mit einem imposanten Treppengeländer aus Holz.

„Ja, ich weiß“, antwortet Ellen, während sie, im zweiten Stock angekommen, eine Wohnungstür aufschließt.

„Ich bin mir nicht sicher, ob bei dem Diamantenhandel alles mit rechten Dingen zugeht. Seit drei Monaten habe ich keine Verbindung mehr zu meiner Schwester Beatrice. Sie arbeitet in Berlin in der Firma von der wir die Diamanten-Sendungen bekommen. Eigentlich sind wir nur Halbschwestern. Ihr Vater ist Deutscher. Nachdem Beatrice auf die Welt kam, hat sich ihr Vater von meiner Mutter nach ein paar Jahren getrennt. Danach hat sie meinen Vater, einen Engländer, kennengelernt und ich kam vier Jahre nach Beatrice. Sie hat leider ein körperliches Handicap. Sie ist kleinwüchsig. Die Papiere sind nur Kopien. Davon weiß niemand etwas. Ich wollte irgendetwas in den Händen haben. Ich muss unbedingt meine Schwester wieder finden. Die Diamanten waren eine gute Gelegenheit. Das hätte ich wohl besser lassen sollen. Die werden mich nicht entlassen, weil sie mich im Immobilienhandel brauchen. Vielleicht haben sie auch Angst, dass ich etwas über den Diamantenhandel weiß, dabei weiß ich überhaupt nichts.“

„Wir werden Ihre Schwester finden“, sage ich und weiß selbst nicht, wie ich dazu komme, ihr solchen Mut einzureden.

„Eine phantastische Wohnung“, kommt es nun aus mir heraus und ich schaue mich um. Hohe helle Räume. Daraus könnte man etwas machen.

„Aber für mich als alleinstehende Person wohl doch zu groß und sicher auch zu teuer“, ist meine Meinung dazu.

„Sie leben allein?“

„Meine Frau hat es vor ein paar Tagen vorgezogen zu ihren

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 11.11.2017
ISBN: 978-3-7438-4086-7

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /