„Mutter, Mutter, schau doch mal wie es schneit.“
Dicke, große Flocken schweben ganz sacht zu Boden und haben die karge Landschaft schon mit einer dünnen Schneedecke überzogen.
Tom, 9 Jahre alt, wohnt mit seiner Mutter, Vater, seiner kleinen Schwester Lisa und dem eineinhalbjährigen Schäferhund Tasso in einem kleinen Haus am Stadtrand, welches schon bessere Tage gesehen hat. Es müsste so viel gemacht werden an dem Haus, aber der Vater arbeitet in der Stadt als Schmied und verdient nur einen kargen Lohn, der gerade so reicht, das sie über die Runden kommen. Tom und Lisa teilen sich eine kleine Kammer eine Treppe höher. Unten ist die Küche, die Gute Stube und ein kleiner Raum in dem Mutter und Vater schlafen. Das ganze Leben spielt sich in der Küche ab, die groß genug ist, das auch noch ein Tisch hineinpasst. Es sind Ferien und Tom und Lisa müssen nicht in die Schule. Lisa ist zwei Jahre jünger als Tom und gerade erst in die Schule gekommen.
Tom rennt in seine Kammer hinauf und nimmt gleich zwei Stufen auf einmal. Unter dem Fenster steht eine Wäschetruhe, die oben gepolstert ist und gleichzeitig als Sitzgelegenheit dient. Rechts am Fenster steht sein Bett, auf der anderen Seite das von Lisa. Tom liegt aber immer mit dem Gesicht zum Fenster. Bevor er einschläft kann er sich noch die hohen Gebäude des Nachbargrundstücks ansehen, die er bei hellen Nächten gut erkennen kann. Das Nachbargrundstück ist eine Schreinerei mit einem Schornstein. An dem Schornstein ist ein langer Metallstab als Blitzableiter montiert. Wenn die Sonne scheint, kann Tom die Sonnenstrahlen in dem Metall blinken sehen. Gleich an der Tür vor seinem Bett steht ein großer Schrank mit seinen und Lisas Sachen. Vor Lisas Bett hat noch ein kleiner Tisch mit einem Stuhl Platz, an dem sie ihre Schularbeiten machen können.
Tom hockt sich auf die Truhe und drückt die Nase fest an die Scheibe. Sein Atem hat schon ein kleines Loch in die Eisblumen geschafft. Geheizt kann diese kleine Kammer nicht werden. Sie liegt genau über der Küche und bekommt etwas Wärme von ihr ab. Wenn es zu kalt ist, müssen sie sich in der Küche aufhalten, dann dient die Kammer nur zum Schlafen. Einmal in der Woche ist Badetag. Da wird die große Zinkwanne aus dem Schuppen geholt. Und nacheinander steigen alle in das warme Wasser. Zuerst die Mutter, dann Vater und danach Tom und Lisa. Nur heißes Wasser wird ab und zu nachgegossen.
Tom erschrickt. Gerade schiebt sich ein Gesicht vor das Fenster. Gregor, der Nachbarsjunge ist auf das Schuppendach, das sich unmittelbar an das Haus anschließt, geklettert und schaut ins Zimmer rein und grinst. Tom ist beruhigt und grinst zurück. Gregor ist sein bester Freund und geht mit ihm in eine Klasse. Gregor hat noch einen Bruder, Paul, der ein Jahr älter ist. Paul ist ein kleiner Gernegroß, der den anderen immer zeigen will, dass er der Älteste ist.
„Tom, komm raus. Wir wollen einen Iglu bauen“, schreit Gregor durchs Fenster.
„Paul ist schon auf der Wiese.“
Die Wiese ist eine große Rasenfläche zwischen Toms und Gregors zu Hause. Jetzt im Winter ist es eine herrliche große Fläche zum Toben und Schneeballschlachten machen. Wenn es sehr kalt ist, kann man mit einigen Eimern Wasser eine schöne Rutschbahn herstellen.
„Mutter, darf ich auf die Wiese? Gregor und Paul sind auch schon draußen. Wir wollen einen Iglu bauen.“ Tom schaut die Mutter erwartungsvoll an.
„Jetzt wird erst gegessen.“ Damit ist für sie das Thema erst einmal erledigt.
„Aber nach dem Essen, ja?“, drängelt Tom weiter.
„Ja, ja, nach dem Essen. Jetzt iss aber erst einmal. Das ist doch Dein Leibgericht. Kartoffeln mit Hering.“
Hmm, denkt Tom. Das ist wirklich mein Leibgericht. Hoffentlich haben die das Iglu nicht fertig, bis ich draußen bin. In einem Iglu mit wohnen und keinen Handschlag dafür getan zu haben, das wäre für Tom das Schlimmste.
Lisa stellt schon die Teller auf den Tisch. Sie hat der Mutter mitgeholfen beim Kochen. Kleinere Arbeiten kann sie schon gut verrichten. Den großen Topf mit den Heringen aber nimmt Mutter. „Nicht alles aufessen, Vater will auch noch was.“ Der Satz ist mehr an Tom als an Lisa gerichtet und die Mutter schaut dabei auch nur auf Tom. Der Vater kommt abends erst nach Hause und hat den Tag über nur ein paar Wurststullen. Tom lässt es sich gut schmecken. Als er fertig ist, muss er noch warten, bis Mutter und Lisa auch fertig sind. Vorher aufstehen, lässt Mutter nicht zu. Ungeduldig tippelt Tom mit den Füßen auf dem Fußboden. Mutter hebt den Blick und schon stehen die Füße still. Als sie endlich fertig sind, springt Tom auf und rast die Treppe hoch. Beim Abräumen braucht Tom nicht mitzuhelfen.
„Das machen wir zwei Frauen allein“, sagt Mutter dann immer und Lisa ist darauf ganz besonders stolz.
„Darf ich auch mit raus beim Iglu bauen mit helfen?“, fragt Lisa.
„Ach Lisa, lass die Jungs ihr Iglu bauen. Das ist doch nichts für Mädchen. Schau, ich habe in der Guten Stube den Ofen angeheizt. Da setzen wir uns nach dem Abwasch rein und ich zeige Dir noch ein paar Kniffe beim Stricken.“ Über Lisas Gesicht huscht ein Lächeln.
„Oh ja. Das machen wir“, sagt sie.
Die Gute Stube wird nur selten beheizt. Da ist es schön warm drin, denkt Lisa. Und die großen Jungs bewerfen mich sowieso nur mit dem nassen Schnee.
Tom ist inzwischen in seiner Kammer angekommen. Er öffnet den Schrank und holt eine dicke Hose und eine Jacke heraus. Unten im Schrank stehen noch ein paar hohe Schuhe mit dickem Fell drin. Langsam werden sie Tom zu klein. Aber diesen Winter müssen sie noch passen, denkt Tom. Er zieht alles an und rennt die Treppe wieder runter.
„Setz Deine Mütze auf, denk an Deine Ohren“, ruft Mutter ihm zu.
Oh je, die Mütze, denkt Tom und schon ist er wieder oben. Oben im Schrank liegt eine dicke Pudelmütze, die Tom immer aufsetzt wenn es kalt ist, damit er keine Ohrenschmerzen bekommt. Die Mütze hatte er schon vor drei Jahren auf und wird ihm wohl in drei Jahren immer noch passen. Schnell die Mütze über den Kopf und raus.
Gregor und Paul wohnen im Nachbarhaus. Das Haus ist fast identisch mit dem von Tom. Oben in der
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 10.09.2017
ISBN: 978-3-7438-3206-0
Alle Rechte vorbehalten