Zwerg im Badezimmer
für mein Kind Franz
“Was kannst du?”, fragte der Giftgrüne. Bevor ich noch reagieren konnte, weil ich noch unter der Dusche stand oder mit dem Rasierer am Gesicht geschabt hatte, antwortete der Zwerg gleich selber auf seine Frage: “Nüscht!”
Wenn ich früh morgens noch ein bisschen duselig vom Schlafen war, konnte er mich immer wieder erschrecken, denn aus den Fliesen des Fußbodens in meinem Badezimmer wuchs ein schrumpeliger, giftgrüner Zwerg heraus. An diesem piep-kleinen Kerl war nur eins nicht giftgrün: seine blaue Kapuze.
Als ich den Zwerg das erste mal sehen und vor allem hören musste, war ich so erschrocken, dass mir der Rasierer aus der Hand fiel. Obwohl ich mich, wie auf der Verpackung zu lesen war, mit extra sicheren Sicherheitsrasierklingen rasierte, hatte ich mich geschnitten. Der giftgrüne Zwerg mit der blauen Kapuze war verschwunden. Leider, wie ich bemerken musste, nur für den Moment und nicht etwa für immer. Wochen später, ich hatte mich fast daran gewöhnt, dass er frühmorgens im Bad zwischen Dusche und Rasierspiegel herum spazierte und krächzte: “Was kannst du? Nüscht!”, wollte ich es eines Tages besonders schlau anstellen. Er war mit seinem: “Was kannst du? Nüscht!” noch nicht zu Ende, als ich ihm meine Fragen stellte. “Was ist das, das Nichts? Weißt du, verschimmelter Zweikäsehoch, was die Gelehrten sagen? Was arbeitet das Nichts?”. Aber wahrscheinlich konnte man mit so einem - einem giftgrünen Zwerg mit blauer Kapuze - kein wirkliches Gespräch anfangen. Der beantwortete schon wieder seine Frage selber. Noch schneller sprach der und tanzte dazu: “Was kannst du? Nüscht! Was kannst du? Nüscht! Nüscht!”
Das war das erste und wie ich mir vornahm, auch das letzte Mal, dass ich versuchen würde, mit dem Zwerg ein Gespräch anzufangen. Was mich betraf, so war ich auf seine Besuche nicht scharf. Ich musste nämlich arbeiten. Leider gab es Tage, an denen der unangenehme Zwerg genau genommen recht hatte. Ich bin Geschichtenschreiber. Wenn aber der Zwerg zu doll getanzt und gefragt hatte, oder wenn in meinem Kopf alles durch einander wirbelte, oder ich einfach ein bisschen müde war, dann schrieb ich nicht. Ich stellte mir selber die Frage des giftgrünen Zwergs mit der blauen Kapuze, und ich antworte mir bald wie er: “Nüscht!”
Ich saß an meinem Schreibtisch. Die dunkelblauen Gardinen ließ ich zugezogen. Meine Hand berührte die Tasten.
Vielleicht könnte ich für die Kinder eine Geschichte machen . . . Man sagte nicht machen, wusste ich, aber das war mir jetzt egal. Hauptsache, der blöde Zwerg kommt nicht noch. Aber heute morgen war sowieso alles anders.
Gestern hatte mich der kleine Franz besucht. Franz war eigentlich, wie er mir sagte, nicht mehr richtig klein, sondern schon groß und bald in der vierten Klasse. Der Zwerg hatte ihn nie genervt mit seinem: “Was kannst du? Nüscht.” Franz konnte lesen und schreiben. In seinem Alter zählte das bestimmt viel höher, so dass der Zwerg wenigstens ihm gegenüber das Maul hielt. Gestern fuhren Franz und ich mit unseren Mountainbikes durch das Heide-Wäldchen. Im Café am Waldrand tranken wir nicht wie sonst Cola, sondern Waldmeisterlimonade.
Die grüne, prickelnde Waldmeisterlimonade schmeckte noch besser, wenn man dazu richtig Quarkkuchen rein mampfen konnte.
Der Rückweg kam mir viel weiter vor als hin, zu Hause angekommen wollte ich Mittagsschlaf nachholen, aber da hatte der kleine, eigentlich große Franz mit mir ein wichtiges Gespräch geführt:
Er hatte Fragen, das heißt so eine Art Hausaufgaben für mich, die ich seiner Meinung nach möglichst schnell erfüllen sollte: “Gibst du mir deine Schere? Hast du Cola? Kann ich deinen Kleber haben? Brauchst du deine Stifte noch?” Da war mir endlich klar geworden, was ich für ein Raffke, Hamster und Ich-Mensch war. Zum Beispiel besaß ich zwei Scheren, obwohl ich nur mit einer schneide und niemals mit zweien gleichzeitig. Meinen Kleber, der bei mir, das musste ich einsehen, nur sinnlos vertrocknete, gab ich auch ab. Nur meine Filzstifte wollte Franz nicht, die waren schon ausgetrocknet.
Gestern, nach der Radtour hatten wir gemeinsam gebastelt. Heute sammelte ich allein die Papierschnipsel auf, die herunter gefallen waren, als wir den Hasen Hoppel aus dem Bastelbogen ausschnitten. Kichern musste ich doch, als ich unter mein Sofa guckte: Franz hatte meinem Kuscheltier, einem blauen Kater, einen Strumpf als Mütze aufgesetzt.
Wieso hat so ein großer, alter Kerl wie ich noch ein Kuscheltier?, fragt ihr. Es stimmte eben nicht, dass alle Erwachsenen so ganz ohne Spielzeug lebten. Mein Opa beispielsweise, der nahm trotz seiner 76 Jahre noch ein kleines Segelschiffchen mit in die Badewanne. Jedenfalls gehörte mir ein blauer Kater, dem ich nun seine Sockenmütze vom Köpfchen ziehen musste.
Armer blauer Kuscheltier-Kater! Ich roch, wie die Sockenmütze schon ganz schön meffte, muchelte, eben nach Schweißsocke roch. Als ich mich gerade bückte, um an meinem Kater zu riechen, ob der arme kleine Kerl etwa auch schon meffte und muchelte, sah ich noch etwas unterm Tisch: Nudeln! Es konnten nur die Runterhopser von den Nudeln mit roter Soße sein, die ich für Franz und mich gekocht hatte. Mit Lappen und Scheuerbürste musste ich rubbeln und schruppeln. Nachdem ich den Wischlappen ausgewrungen hatte, saß ich endlich - mit zweistündiger Verspätung - am Schreibtisch. Noch begann ich nicht mit meiner Arbeit als Geschichten-Schreiber. Ich schrieb auf einen Zettel:
Dringende Einkäufe:
Cola
Schere
Kleber
Filzstifte
Nudeln
Nun geht es aber los! Ab die Post!, wie mein Opa (Nicht der mit dem Segelboot, der andere) immer sagte. Wenn Franz so bummeln würde wie ich, stünde jetzt bestimmt ein Tadel im Hausaufgabenheft. Zuerst las ich, was ich gestern aufgeschrieben hatte, bevor Franz mich besuchte, wir mit dem Fahrrad fuhren, bastelten und Nudeln mit roter Sauce verspeisten - wobei, wie ihr wisst, einige unter den Tisch flatterten.
Dann begann ich mit meiner Geschichte, sie heißt:
Zwerg im Badezimmer
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
für mein Kind Franz