EINS
Langsam schlurfte ich mit meinen neuen Winterboots durch den Schnee.
Wirklich potthässliche Dinger.
Mein Vater hatte sie mir zu Weihnachten aus London geschickt. Eigentlich eine nette Geste, jedoch wäre es mir lieber gewesen, er hätte sich selbst mal wieder blicken lassen.
Ich konnte mich schon gar nicht mehr erinnern, wann ich ihn das letzte Mal überhaupt gesprochen hatte.
Seit September war er wie verschollen, rief ab und zu mal an und selbst wenn er sich dann mal dazu herab ließ, war er immer nur kurz angebunden und vertröstete mich und meinen Bruder Jean mit den gewohnten Ausreden.
Bla bla bla. Zu viel Arbeit. Bla bla. Geschäftsreise. Bla.
Endlich an unserem Haus angekommen, stolperte ich auch schon die Treppe zur Haustür hinauf. Genervt kramte ich in meiner Tasche nach dem Haustürschlüssel, der Erfolg blieb jedoch aus. Denn meine langen, braunen Haare, die vor meinem Gesicht herumschwirrten, machten es mir schier unmöglich, etwas zu sehen.
Fluchend hatte ich die letzte Treppenstufe hinter mich gebracht, fand auf magische Weise just in diesem Augenblick den Schlüssel und schon schlug die warme Kaminluft wie eine Welle über mir zusammen.
Erleichtert feuerte ich meine Tasche auf die Wendeltreppe und betrachtete mich einen Moment lang im verspiegelten Garderobenschrank daneben.
Ich war tatsächlich erleichtert, dass ich nach so einem stressigen Tag gar nicht so schlimm aussah, wie vermutet. Doch als mein Blick an den Boots hängen blieb, rümpfte ich automatisch die Nase.
Als ich mich endlich meiner Winterkluft entledigt hatte, ging ich in die Küche. Mein Weg führte natürlich direkt zum Kühlschrank, aus dem ich mir eine Flasche Orangensaft nahm. Geistesabwesend nippte ich an der Flasche und sah dabei durch unser Küchenfenster hinaus auf die schneebedeckte Straße.
Der Himmel über Sankt Arnual hatte sich schon vor Stunden komplett zugezogen, Autos und Busse mieden die Straßen schon den halben Tag, weswegen ich den ganzen Weg nach Hause laufen durfte.
Da entdeckte ich plötzlich die alte Dame Grefen, die sich durch das Unwetter kämpfte, voll beladen mit ihren Einkäufen in den Händen.
Wie üblich trug sie ein unförmiges Gewand, heute in mokkagelb.
Frau Grefen hatte feuerrotes Haar, welches sich bis zu ihrer Hüfte ergoss, wenn sie es offen trug, aber die meiste Zeit hatte sie es wild auf ihrem Kopf aufgetürmt und mit farbigen Bändern umschlungen.
Ihr Gesicht zierte heute eine riesige runde Brille, doch ich war mir sicher, dass sie an jedem Tag der Woche eine andere trug.
Alles in allem war sie eine merkwürdige alte Dame, über die man sich schon in meiner Kindheit fragwürdige Geschichten erzählt hatte. Während viele umliegende Nachbarn schon immer spekuliert und getuschelt hatten, eigentlich mehr gelästert, hatte sie schon früh meine Neugier geweckt.
Doch gerade im Augenblick, tat sie mir ziemlich leid, wie sie sich vollbeladen durch die Schneedecke schleppte.
Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, stürzte die Dame und ihre gesamten Einkäufe ergossen sich auf die Straße.
Das Blut wich mir aus dem Gesicht und ich stand wie angewurzelt da. Sie versuchte mehrmals sich aufzurappeln, rutschte jedoch jedes Mal kläglich aus.
Ich starrte einen weiteren Moment hinaus, in der Hoffnung sie würde einfach quicklebendig aufspringen, ihre sieben Sachen zusammen packen und leichtfüßig nach Hause schlendern.
Doch da rannte ich schon wie von der Tarantel gestochen in den Flur, schlüpfte in meine Eskimoboots , riss die Haustür auf und eilte der Dame zur Hilfe.
,,Frau Grefen, lassen sie mich Ihnen helfen!’’,versuchte ich sie auf mich aufmerksam zu machen.
Einen kurzen Augenblick durchbohrten mich ihre grünen Katzenaugen, doch dann nickte sie mir dankbar zu.
Irgendwie schaffte ich es tatsächlich, sie wieder auf die Beine zu hieven.
,,Vielen Dank! Es war so rutschig… und… meine Einkäufe!’’,rief sie außer Atem und mit leichter Stimme aus, als wir schon auf halbem Weg an ihrem Haus angekommen waren.
,,Zuerst bringe ich sie ins Warme, dann hole ich ihnen Ihre Einkäufe.’’,versicherte ich ihr und wir betraten auch schon ihr Grundstück.
Hier war einfach alles überdimensional groß, von dem Grundstück angefangen, bis hin zur Villa und so ziemlich allem anderen was man darauf ausmachen konnte.
Die Fassade ihres kleinen Schlosses bestand aus dunklem Stein, in welchen riesige Sprossenfenster eingelassen waren. Efeu rankte sich um das Gemäuer, bis hin zum dunkelroten Dach, aus welchem ein kleiner Turm emporwuchs.
Unwillkürlich fragte ich mich, wie sie das alles so allein in Schuss halten konnte.
An der riesigen Haustür angekommen, oder eher Pforte, starrte mir ein grimmiger Löwenkopf entgegen. Als wäre er ein Magnet und ohne dass ich es bewusst tat, landete meine Hand direkt auf seiner Stirn und zu meiner Überraschung schwang die Tür bereitwillig auf, als hätte es nicht mehr als meine Berührung dafür gebraucht.
Vielleicht sollte jemand die Dame darauf hinweisen, ihre Villa doch lieber abzuschließen. Denn ich konnte mir nur zu gut vorstellen, welche Schätze hinter diesem Gemäuer womöglich zu finden waren.
Ein schwerer Geruch nach alten Büchern und Katzenfutter lag in der Luft und kaum hatte ich wegen letzterem die Nase gerümpft, da stolperte ich auch schon fast über eine dicke, schwarze Katze die im Türrahmen zum Wohnzimmer hockte.
,,Platz da, Mister Moseby!’’,rief Frau Grefen dem Kater entgegen und machte dabei eine wedelnde Handbewegung.
Kaum hatte ich die Dame auf einem braunen, ledernen Ohrensessel abgesetzt, sprang Mister Moseby auch schon, zugegeben leichtfüßiger als erwartet, auf ihren Schoß und schmiegte schnurrend seinen Kopf an ihrem.
Das Zimmer machte einen pompösen Eindruck, bei den hohen Decken angefangen, bis hin zum antik aussehenden Mobiliar. Dunkelrote, verschnörkelte Tapete die zur Decke hin in noch verschnörkelterem Stuck endete. Ein länglicher, wunderschöner Holztisch mit fast unzählbar vielen Stühlen, stand vor dem riesigen Sprossenfenster. Darüber prangte ein Kronleuchter, dessen Kristalle in allen Farben um die Wette schimmerten. Und nicht zu vergessen, ein riesiger Kamin, vor dem eine kleine Ansammlung an Polstermöbeln und Beistelltischen stand.
Dort saß nun die Dame Grefen und starrte mich an, während ich mit offenem Mund eine kleine Ewigkeit den Kronleuchter anstarrte. Ein kleines stolzes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
,,Ich werd dann jetzt noch schnell ihre Einkäufe von der Straße aufsammeln.’’,informierte ich Frau Grefen und machte mich eilig auf den Weg.
Kaum dass ich vor die Haustür getreten war, erfasste mich die Kälte wieder schlagartig und ich zog mir die Kapuze meines schwarzen Pullis tief in die Stirn.
Seit Stunden hatte ich kein Auto mehr auf den Straßen gesehen und deswegen ärgerte es mich umso mehr, dass ein Teil der Einkäufe überfahren vor mir lag.
Eine Tüte Milch, ein verpacktes Kornbrot und ein Glas Marmelade hatten es überlebt, dafür waren aber die Dosen Nassfutter für Moseby aufgeplatzt und bildeten vermengt mit dem Schnee einen appetitlichen Matsch- und es roch mindestens genauso gut wie es aussah.
Zurück auf Frau Grefens Anwesen, stellte ich erleichtert fest, dass die Eingangstür nur angelehnt gewesen war.
Der Ohrensessel im Wohnzimmer war leer und einen Moment lang dachte ich darüber nach, die Einkäufe einfach hier abzustellen und mich auf den Weg nach Hause zu machen. Doch da kam die alte Dame auch schon mit einem kleinen Teewagen hinter mir her.
Alles wackelte und klapperte auf ihrem Wägelchen um die Wette und ich rechnete fast damit, dass die aufgetürmten Teetassen gleich das zeitliche segnen würden, doch alles blieb heil.
Eine kurze betretene Stille kehrte ein, doch ich war erleichtert als ich feststellen konnte, dass Frau Grefen schon viel rosiger aussah als eben.
,,Die Dosen Nassfutter haben es leider nicht überlebt.’’,fiel es mir dann wieder ein, sie zu informieren.
,,Oh, nicht schlimm. Dann eben Zwangsdiät für den pummeligen Moseby, tut ihm vielleicht mal ganz gut. Trotzdem vielen Dank, ich bring den Kram nur schnell in die Küche und setze heißes Wasser auf. Kann ich dir auch einen Tee anbieten, oder Kaffee?’’,sie wirkte ein bisschen nervös, da sie wahrscheinlich nicht oft Besuch hatte und so wie ihre grünen Augen gerade strahlten, konnte ich ihr Angebot nicht ausschlagen.
,, Sehr gerne! Ich würde einen..’’,wollte ich sagen, doch wurde von ihr unterbrochen.
,,Früchtetee ist immer eine tolle Idee!’’,rief sie aus, klatschte in ihre Hände und huschte auch schon aus dem Zimmer.
Perplex und mit offen stehendem Mund ließ sie mich zurück.
Da stand ich nun, mitten im Raum und wusste nichts mit mir anzufangen, ehe ich ein dutzend gerahmter Bilder auf dem Kaminsims an der Wand lehnen sah. Ohne darüber nachzudenken, stand ich Sekunden später schon davor und begutachtete jedes einzelne ausführlich. Mir war nicht bewusst gewesen, wie groß die Familie Grefen anscheinend war. Ausgesprochen hübsche Gesichter blickten mir entgegen und das ein oder andere kam mir sogar bekannt vor.
Als ich an einer schwarz-weiß Aufnahme angekommen war, erkannte ich Frau Grefen direkt.
Es wurde wohl an ihrem Hochzeitstag aufgenommen und es machte mich wirklich sprachlos, wie wunderschön diese Aufnahme war. Sie trug ein bodenlanges, bauschiges Kleid. Vermutlich weiß. Ihr Mann, der vermutlich schon verstorben war, trug einen schlichten dunklen Anzug. Beide waren perfekt frisiert und strahlten über beide Ohren. Er in die Kamera und sie zu ihm hinauf.
Da entdeckte ich einen Fleck auf dem silbernen Bilderrahmen, vermutlich Asche die von dem offenen Kamin aufgewirbelt worden war.
Also nahm ich das Bild von dem Kaminsims, zog mir meinen Pullover über meine Hand und versuchte den Fleck vorsichtig zu beseitigen.
Da knarzte plötzlich der Dielenboden hinter mir und dann ging alles ziemlich schnell-
erschrocken glitt mir das Bild just in diesem Augenblick aus der Hand, ich griff hastig danach, doch eine andere Hand war schneller. Mein Kopf stieß mit einem anderen schmerzlich zusammen und eine Duftwolke männlichen Aftershaves umhüllte mich.
,,Was zur ..?’’,entfuhr meinem Gegenüber nicht sehr erfreut, während meine Hand an meinen schmerzenden Kopf schnellte.
Ein junger Mann stand vor mir, vielleicht Mitte Zwanzig. Dunkles, zerzaustes Haar, kühle und grimmig drein blickende Augen, welche von seinen dunklen Augenbrauen nur noch mehr betont wurden.
,,Was hast du hier zu suchen?’’,wollte er barsch wissen, kam einen großen Schritt auf mich zu und bekam meinen Oberarm grob zu fassen.
,,Finger weg!’’,rief ich reflexartig, versuchte mich aus seinem Griff zu lösen und vergaß vor Schreck, auf seine Frage zu antworten.
,,Du sagst es, man sollte dringend die Finger von Dingen lassen, die einem nicht gehören!’’,knurrte er schon fast und dachte wohl nicht einmal daran, seinen Griff zu lockern.
Da wusste ich plötzlich, was er meinte.
,,Du hältst mich für eine Einbrecherin?!’’,fragte ich gerade heraus und musste mich wirklich zusammenreißen, doch ein leises Kichern entfuhr mir als ich seinem Blick begegnete.
Denn mir war gerade eingefallen, wer er war.
Tristan. Eines der Kinder, mit denen mein Bruder und ich damals draußen gespielt hatten. Vor meinem inneren Auge tauchten Bilder auf: von Wasserbombenschlachten in sämtlichen Gärten der Nachbarschaft, stundenlange Streifzüge mit den winzigsten und buntesten Fahrrädern der Welt, kreidebemalte Straßen, Bürgersteige und… Hauswände. Kurz gesagt, die schönste Zeit meines Lebens. Nur den kleinen grimmigen Jungen Tristan, den hatte ich fast vergessen. Soweit ich mich erinnern konnte, war er immer der kleinste, obwohl er ein paar Jahre älter war als ich. Das hatte sich nun aber geändert. Mindestens einen ganzen Kopf größer als ich, mit breiten Schultern und meinem Oberarm nach zu urteilen, ziemlich großen, starken Händen.
Mit meinem freien Arm zog ich mir die Kapuze vom Gesicht. Und prompt sah ich in seinen Augen, dass nun auch endlich bei ihm der Groschen gefallen war.
,,Nita?’’,nun blickte er mich mit zusammengekniffenen Augen an, als hätte er sich anstrengen müssen, mich mit der kleinen Anita von damals in Verbindung zu bringen.
Langsam ließ er meinen Arm los, welcher direkt zu kribbeln begann als die Blutzufuhr nicht länger gestört wurde. Geistesabwesend versuchte ich die gefühlten Tausende an Nadelstichen weg zu rubbeln, während Tristan sich an den Rücken der Chesterfield-Couch hinter sich lehnte.
Einen kurzen Augenblick später hörte ich ein leises zischen, und kaum zu glauben: Tristan steckte sich im schönsten Zimmer, dass ich je gesehen hatte, eine Kippe an.
Nach einer kurzen unbehaglichen Stille zwischen uns vernahm ich ein leises klappern, welches dann immer lauter wurde, bis die alte Dame Grefen schließlich mit zwei Teekannen bewaffnet, den Raum betrat.
,,Tristan, dein stinkender Glimmstängel hat dich direkt verraten. Schon bevor die Haustür hinter dir ins Schloss gefallen war, wusste ich, dass du da bist.’’,sagte sie direkt an ihren Enkel gerichtet, bevor sie ihn in eine lange Umarmung schloss.
,,Also hier drin wirkt mein Glimmstängel schon fast wie ein Lufterfrischer, bei dem Gestank nach Katzenfutter.’’,entgegnete er mit einem schiefen lächeln und fing sich prompt einen kleinen Klaps ein.
,,Oh Göttin, womit habe ich nur so einen frechen Enkel verdient? Setz dich auf deine vier Buchstaben und zeig dich ausnahmsweise mal von deiner Schokoladenseite, wir haben Besuch. Falls dir das hübsche Mädchen hier entgangen ist.’’,meinte sie und deutete auf mich, was mir äußerst unangenehm war.
Prompt verschwand das schiefe Lächeln aus Tristans Gesicht und eine Augenbraue in die Höhe gezogen, bedachte er mich mit einem mehr als misstrauischen Blick.
Was hatte ich denn verpasst, war ich ihm etwa als Kind mit dem Rad über den Fuß gefahren?
Ich brachte nur ein dünnes Lächeln zu Stande und hätte mich am liebsten aus dem Staub gemacht, doch die alte Dame bedeutete mir, mich auf dem Ohrensessel niederzulassen.
Als hätte sich mein Körper selbstständig gemacht, saß ich auch schon schneller als ich überhaupt darüber hätte nachdenken können. Und Frau Grefen hatte mir, kaum dass ich gesessen hatte, auch schon eine Tasse Tee in die die Hand gedrückt.
Tristan nahm mir gegenüber auf dem Chesterfield-Sofa platz und die alte Dame ließ sich neben mir auf einem edlen Schaukelstuhl nieder.
,,Ohne dieses reizende Mädchen wäre ich wohl schon längst auf der Straße fest gefroren! Vielen Dank noch mal, Liebes! Es ist zwar nur Tee.. aber darauf sollten wir anstoßen!’’,rief sie dann fröhlich aus und reckte ihre Tasse in unsere Mitte, um anzustoßen.
,,Das war doch selbstverständlich, Frau Grefen.’’,entgegnete ich, lächelte ihr zu und stieß mit ihr an.
Tristan tat es uns gleich, stieß jedoch nur mit der Dame Grefen an und ließ seine Tasse dann wieder sinken.
,,Das war nicht mal nötig. Ich wäre doch nur einen Augenblick später auf dem Weg hier her sowieso an dir vorbei gefahren, hätte dich auf der Sitzheizung meines Audi RS7 heim chauffiert und wir wären sogar bestimmt schon vor einer halben Ewigkeit daheim gewesen.’’,erklärte er selbstgefällig und zog an seiner Zigarette.
,,Ich bin untröstlich, dass ich mich immer noch für das Verhalten meines angeblich erwachsenen Enkels entschuldigen muss. Ich dachte, die Zeiten hätten wir hinter uns.’’,meinte die alte Dame dann knapp, beugte sich vor, pflückte ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel und warf sie in seinen Tee.
Tristan verdrehte lediglich die Augen und stellte seinen ohnehin umangerührten Tee auf dem Teewagen ab.
,,Wieso bist du überhaupt hier?’’,wollte sie nun wissen.
,,Ich dachte du bräuchtest vielleicht Hilfe, wegen dem Familienfest morgen.’’,antwortete er und machte wieder Anstalten, sich eine Zigarette anzustecken.
,,Lügen konntest du noch nie gut, Liebling. Aber wir werden ja gleich aufgeklärt.’’,ein kleines Lächeln umspielte ihre faltigen Mundwinkel.
Tristan öffnete den Mund, als hätte er was sagen wollen, schloss ihn aber wieder als die Haustür hörbar aufgeschlossen wurde und kurz darauf schwer ins Schloss fiel.
Den Geräuschen nach zu urteilen, machten sich dominante Stöckelschuhe in schnellen Schritten auf den Weg zu uns.
Einen Augenblick später betrat eine schöne Frau mittleren Alters den Raum.
Sie war wirklich ausgesprochen hübsch, rotes glattes Haar rahmte in einem stufigen Schnitt ihr herzförmiges Gesicht ein und passte wunderbar zu ihren braunen Augen.
Die Frau war gertenschlank und groß gewachsen, was ich unwillkürlich beneidete.
Ihr Blick wanderte kühl zu Tristan, der jedoch nur die Lippen aufeinander presste und ihr zur Begrüßung knapp zunickte.
Die alte Dame Grefen umarmte sie lange und dem Gespräch nach zu urteilen, musste sie wohl Tristans Mutter sein.
Nun wandte sich die schöne Frau an mich, lächelte mich herzlich an und schüttelte meine Hand.
,,Du bist wohl die Lebensretterin aus der Nachbarschaft! Ich bin Sonja. Freut mich, dich kennen zu lernen.’’,anscheinend hatte ihr die alte Dame Grefen schon von dem Vorfall berichtet.
Tristan schnaubte hörbar.
,,Ich bin Anita. Freut mich ebenfalls’’,entgegnete ich kurz aber freundlich.
,,Anita, du solltest am Samstag zu unserem Familienfest kommen! Als Dankeschön würde ich dich so gerne bekochen.’’,ergänzte Sonja eifrig und sie und Frau Grefen fingen aufgeregt an über die Menükarte zu reden.
Die Herzlichkeit machte mich einen Augenblick sprachlos.
,,Das Angebot kann ich wohl kaum ausschlagen.’’,antwortete ich endlich als einen Augenblick später alle Augenpaare auf mich gerichtet waren.
Während Frau Grefen und Marlene kurz in freudiges Geplapper verfielen, schien Tristans Unmut zu wachsen.
,,Was soll das? Es ist ein Familienfest. Gäste außerhalb der Verwandtschaft waren noch nie erwünscht!’’,rief er aus und stand zeitgleich auf, als wäre er fassungslos, dass außer ihm keiner das Offensichtliche wahrnahm.
,,Wir sind ihr zu tiefstem Dank verpflichtet, der Meinung solltest du auch sein. Und sie an einem Abend bewirten zu können, ist das mindeste.’’,sagte seine Mutter nun scharf und hielt den Blickkontakt mit ihrem Sohn.
Auch wenn ich nicht verstehen konnte, was um alles in der Welt Tristans Missmut geweckt hatte, hatte ich an diesem Abend wirklich besseres zu tun, als mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Geschweige denn, etwas daran zu ändern. Schließlich war ich, wie jeden Freitag Abend, mit Tulsa verabredet.
Nach mehreren unangenehmen Minuten des Schweigens ergriff ich endlich das Wort und verabschiedete mich, natürlich nicht ohne mindestens drei mal zu versprechen, dass ich auch morgen wirklich kommen würde.
Die alte Dame und Sonja umarmten mich herzlich an der Haustür, ehe sie die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließen.
Tristan hingegen, blieb sichtlich zerknirscht auf der Couch sitzen.
ZWEI
Mit einem flauen Gefühl im Magen stand ich ewig unter der Dusche und grübelte vor mich hin, was das nur für ein merkwürdiger Nachmittag gewesen war.
Die offensichtliche Ablehnung die Tristan mir gegenüber empfunden hatte, ließ mich an meinem Versprechen zweifeln.
Auch wenn mich die Herzlichkeit von Frau Grefen und Marlene schlichtweg sprachlos gemacht hatte und ich sehr gern die Einladung annehmen würde, hatte ich ehrlich gesagt keine Lust mir morgen Abend ständig Seitenhiebe von Tristan einfangen zu müssen.
Genervt verwarf ich die Gedanken daran und beschloss, die Entscheidung auf morgen zu verlegen.
Da bemerkte ich plötzlich, wie lange ich vor mich hin getrödelt hatte und stieg hastig aus der Dusche. In ein riesiges Handtuch gewickelt, begann ich meine langen Haare zu entwirren und zu trocknen.
Danach hatte ich etwas mehr Make-Up als sonst aufgelegt und war in ein dunkelblaues Kleid geschlüpft.
Kaum sah ich halbwegs passabel aus, hörte ich auch schon die Klingel läuten.
Tulsa stand top gestylt vor der Tür und strahlte mich über beide Ohren hinweg an.
,,Los gehts! Jordan fährt uns sogar.’’,sagte sie aufgekratzt und zeigte hinter sich auf den Dodge RAM ihres Bruders, welcher mir durch die Frontscheibe zuwinkte.
Ich winkte zurück und umarmte Tulsa dann erst mal für eine halbe Ewigkeit.
Vor dem Ovalon angekommen, entschied sich Jordan spontan, auf ein Bier mit hinein zu kommen.
Ganz der Gentleman der er war, nahm er uns unsere Winterkluft ab, brachte sie zur Garderobe und drückte uns, kaum dass er zurück war, jedem einen Cocktail in die Hand.
,,Übrigens höchstpersönlich von deinem Bruder zubereitet.’’,informierte mich Jordan direkt an meinem Ohr und selbst so hatte ich Schwierigkeiten ihn bei diesem Geräuschpegel zu verstehen.
Direkt stellte ich mich auf die Zehenspitzen und reckte meinen Kopf, um Jean hinter der Meute Durstiger ausfindig machen zu können.
Doch die Theke war so gut besucht und ich vermutlich so klein, dass ich weder meinen Bruder noch sonst irgendeinen Mitarbeiter ausmachen konnte.
,,Los geh schon!’’,rief mir Tulsa laut zu, nahm mir meinen Cocktail aus der Hand und deutete mit ihrem Kopf in Richtung Theke.
Ich hatte Jean schon seit Wochen nicht mehr gesehen und sie wusste nur zu gut, was für eine Verbindung ich zu meinem Bruder hatte.
Wir waren schon früh auf uns allein gestellt gewesen und er hatte sich wirklich immer vorbildlich um mich gekümmert als ich noch klein war, das hatte durchaus Spuren hinterlassen.
Also machte ich mich auf den Weg, schlängelte mich durch die dichte Menge und grüßte hier und da ein paar Leute, die ich flüchtig kannte. Endlich an der Theke angekommen, blickte ich ihm schon bald direkt ins Gesicht.
Ich war erleichtert, dass er sich nicht verändert hatte. Sein braunes dichtes Haar fiel ihm wie gewohnt in die Stirn und seine Hornbrille war auch noch an Ort und Stelle.
Direkt beseitigte er die Barriere aus Bierkästen zwischen uns und öffnete seine Arme für mich. Erleichtert überbrückte ich den letzten Abstand zwischen uns und umarmte ihn so fest wie noch nie.
,,Das war ja ne halbe Ewigkeit, was?’’,meinte er nur und drückte mir einen Kuss auf den Haaransatz.
Im Hintergrund hörte ich ein paar Durstige schimpfen, blendete das jedoch gekonnt aus.
,,Hat sich Paps in meiner Abwesenheit zufällig bei dir gemeldet, geschweige denn, sich mal blicken lassen?’’,wollte er nun wissen, jedoch konnte ich in seinen Augen sehen, dass er die Antwort bereits kannte.
Wir zuckten fast zeitgleich mit den Schultern- wie immer wenn es um dieses Thema ging.
,,Hat er dir zu Weihnachten auch so ein scheußliches Geschenk geschickt?’’,fragte ich und schon breitete sich ein Schmunzeln auf Jeans Gesicht aus.
,,So geschmacklos wie dieses Jahr, war es wirklich noch nie.’’,wir lachten halbherzig, da bemerkte ich, wie Jeans Blick an meinem Kopf vorbei schweifte und etwas hinter mir fixierte.
Einen kurzen Augenblick später, bereute ich, mich umgedreht und nachgesehen zu haben.
,,Kennst du ihn? Er scheint sich nicht einmal daran zu stören, beim starren ertappt worden zu sein.’’,Jean runzelte seine Stirn und einen Moment lang dachte ich, er könnte ihn erkannt haben.
,,Nein, noch nie gesehen.’’,log ich wie aus der Pistole geschossen und wusste nicht einmal, wieso.
Nach einer kurzen Stille zwischen uns entschuldigte sich mein Bruder dafür, jetzt leider wieder an die Arbeit zu müssen. Ich verabschiedete mich vorläufig von ihm und versuchte einen Weg zurück zu Tulsa und Jordan zu finden.
Und auch wenn ich es dringend zu ignorieren versuchte, konnte ich förmlich spüren, wie sich Tristans Blicke in meinen Rücken bohrten.
Ich hatte absolut keine Lust mich damit zu befassen, also nahm ich, bei den Beiden angekommen, dankend meinen Cocktail entgegen und stürzte ihn herunter.
,,Durstig?’’,fragte Jordan schmunzelnd, während Tulsa sprachlos daneben stand.
Denn normalerweise trank ich kaum, eigentlich gar nicht.
,,Wie noch nie.’’,entgegnete ich und ein stolzer Gesichtsausdruck breitete sich auf dem Gesicht meiner besten Freundin aus.
,,Dann kann’s ja los gehen!’’,umgehend schnappte sie sich meine Hand und zog mich wortlos hinter sich her, eine Etage tiefer auf die Tanzfläche.
Einen kurzen Augenblick konnte ich nicht fassen, was ich mit mir machen ließ. T bezeichnete mich eigentlich jeden Freitag pausenlos als Spaßbremse. Doch irgendwie hatte sich das mein Unterbewusstsein heute anders ausgemalt. Wobei der Cocktail eben bestimmt eine gute Hilfe gewesen war.
Ehe ich mich versah, wirbelte mich Tulsa im Raum umher. Sie bewegte sich wirklich perfekt zur Musik und wusste wirklich haargenau was sie tun musste.
,,Da du ja anscheinend endlich auf den Geschmack gekommen bist, bleiben wir erst einmal dabei.’’,wieder drückte mir Jordan einen Cocktail in die Hand, der dem vorherigen verdächtig ähnelte. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass er an der Bar gewesen war.
Aus einem Grund, den ich einfach nicht benennen konnte, waren meine Ängste in dieser Nacht wie weggewischt.
Noch letzte Woche hätte ich freundlich und bestimmt abgelehnt, hätte wie immer die ganze Nacht unter Kontrolle gehabt.
Doch nicht in dieser Nacht.
Ich nahm den Cocktail entgegen, stieß mit Jordan und T an und fing an, mich selbstständig im Takt der Musik zu bewegen.
Der Bass dröhnte so laut wie jedes mal als wir hier waren, jedoch ging er mir dieses Mal bis ins Mark.
Wir tanzten zu dritt, lachten und tranken die nächsten Stunden nahezu unaufhörlich und ich bereute es wirklich, immer die Spaßbremse gewesen zu sein. Plötzlich konnte ich gar nicht mehr nachvollziehen, was mich früher von dem ganzen Spaß abgehalten hatte.
Jordan und Tulsa waren sichtlich stolz auf mich.
Gegen zwei Uhr morgens entschieden wir uns, eine kleine Pause in der oberen Etage des Ovalon zu machen. Auf einer kleinen Empore neben der Theke befand sich der Lounge-Bereich, welcher mit samtenen roten Couches gesäumt war, auf denen wir uns niederließen.
Es hatte sich ein wenig geleert hier oben, vielleicht hatten sich auch einfach die Meisten auf die Tanzfläche getraut.
Zum ersten mal sah ich das Ovalon in seiner Pracht, ohne von Menschenmassen erdrückt zu werden.
Die schwarzen Wände glitzerten dezent und wurden in regelmäßigen Abständen von silbernen Wandleuchten erhellt.
Dunkelrote Polstermöbel bildeten einen fast leuchtenden Kontrast und waren zudem auch noch ausgesprochen bequem. Gläserne, kleine Kronleuchter hingen tief über allen Tischen und der Bar- welche übrigens oval war. Wie so ziemlich alles hier. Sogar ovale Bierdeckel hatte das O zu bieten.
Da trat mein Bruder Jean in mein Blickfeld und stellte ein Tablett vor uns ab- natürlich ein ovales Tablett.
,,Damit der Schädel morgen nur halb so schlimm dröhnt.’’,meinte er mit einem wissenden Grinsen und verschwand wieder an seinen Arbeitsplatz.
Jordan schenkte den Wassergläsern auf dem Tisch vor uns lediglich einen verächtlichen Blick, ehe er sich wieder auf den Weg zur Theke machte, um brauchbaren Nachschub zu holen. Also ergriff ich die Chance und erzählte Tulsa von dem Ereignis in der Grefen Villa, um mir eine Meinung bezüglich der Einladung einzuholen.
,,Krass, dass du in der sagenumwobenen Grefen-Villa warst!’’,kurz blickte sie mich mit großen, überraschten Augen an, ehe ihre Laune auch schon umschlug.
,,Ohne jemandem bescheid zu sagen? Und ohne dein Handy?’’,nun waren ihre Augen zu kleinen Schlitzen zusammen gekniffen und sie hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt. Dramatisch konnte sie.
Aber ich erinnerte mich nur zu gut, dass ihr das Gesamte Anwesen inklusive Familienmitglieder der Grefens, schon immer eine Heidenangst eingejagt hatte und sie schon seit unserer Kindheit einen großen Bogen darum gemacht hatte.
,,Frau Grefen ist bestimmt fast 80 Jahre alt. Was hätte sie schon tun können? Mich mit ihren Stricknadeln erstechen?’’,ich verdrehte die Augen und T tat es mir gleich.
,,Sei froh, dass sie dich nicht gemästet und anschließend in einen Ofen gesteckt hat!’’,nun gestikulierte sie wild und ich konnte nicht anders, als zu lachen.
,,Vergiss die Gruselgeschichten aus unserer Kindheit. Frau Grefen und ihre Tochter Sonja waren sehr nett. Ich denke auch wirklich drüber nach, die Einladung anzunehmen.’’,kaum hatte ich meinen Satz zu Ende gebracht, presste sie die Lippen streng aufeinander.
,,Hat sich Tristan wenigstens zu etwas brauchbarem entwickelt?’’,wollte sie wissen und lockerte sich wohl endlich ein wenig.
,,Nicht von schlechten Eltern würde ich behaupten. Aber die Tatsache, dass er mich für eine Einbrecherin gehalten hatte, war nicht sehr charmant. Und auch nach Aufklärung dieses Missverständnisses, empfand er mich wohl als ziemlich überflüssig und hatte auch kein Problem damit, mir das offen zu zeigen.’’,ersteres sagte ich wahrscheinlich nur, weil der ganze Alkohol mein Urteilsvermögen getrübt hatte. Oder einfach nur meine Zunge gelockert?
,,Willst du dir das dann wirklich antun? Dir während dem Essen den ganzen Abend blöde Sprüche anhören zu müssen?’’,sie nippte an ihrem Wasser und versuchte die Zitronenscheibe mit ihren mörderisch langen Nägeln aus dem Glas zu fischen.
,,Eigentlich habe ich Frau Grefen und Sonja mehrfach versprechen müssen, dass ich kommen werde. Die Herzlichkeit der Beidem hat mich wirklich sprachlos gemacht, so wohl habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.’’,kaum hatte ich die Worte ausgesprochen merkte ich, wie sonderbar sie klangen. Zumal die beiden fast Fremde für mich waren und ich kaum Zeit mit ihnen verbracht hatte.
Tulsa schaute mich einfach nur mit zusammen gezogenen Augenbrauen an.
,,Das hat sich wirklich komisch angehört.’’,meinte sie nur und warf die übrig gebliebene Zitronenschale in das Glas zurück.
,,Das ist mir auch gerade aufgefallen.’’,gab ich zurück und wir fingen beide an zu lachen.
,,Aber weißt du was, geh hin. Ich hab dich noch nie so mutig erlebt wie heute, also für deine Verhältnisse. Kaum sehen wir uns ein paar Tage nicht, besuchst du die gruseligste Familie der Stadt, trinkst einen Cocktail nach dem anderen und tanzt sogar!’’,sie tat gespielt schockiert und schien wirklich stolz zu sein.
,,Scheint ganz so, als hätte mich deine Abwesenheit von meinen Ängsten befreit.’’,sagte ich und machte Jordan auf der Couch platz, der mit vollen Händen zurückgekehrt war.
,,Einen Sex On The Beach für meine liebste Schwester und einen Witchcraft für Anita! Der ist übrigens von dem Kerl an der Theke, der dich gerne für eine Minute sprechen würde.’’,meinte Jordan an mich gerichtet und deutete mit seinem Daumen hinter sich auf besagten Kerl.
Tristan.
Fast hatte ich vergessen, dass er auch hier war.
T gab einen undefinierbaren Laut von sich und scheuchte mich ihm förmlich in die Arme. Als ich ihr zugewandt, für sonst niemanden sichtbar, den Namen Tristan still mit dem Mund formte, erstarrte sie kurz. Sie hatte sich jedoch schnell von dem kleinen Schock erholt und scheuchte mich wieder los. Ich verdrehte die Augen und hoffte einfach nur, dass er unserem Gespräch nicht gelauscht hatte.
Tristan lehnte ganz cool an der Theke und musterte mich von oben bis unten, auf meinem Weg dort hin.
,,Also, was gibts?’’,fragte ich knapp und war wirklich gespannt, was er wollte.
,,Ich wollte mich für mein Verhalten vorhin entschuldigen.’’,antwortete er und lächelte sogar ein Bisschen.
,,Dann tu das.’’,gab ich nur zurück und sah ihn herausfordernd an.
,,Hab ich doch gerade.’’,nun sah er verwirrt aus und ich musste mich wirklich zusammenreißen, nicht loszulachen. Aber ein bisschen veräppeln wollte ich ihn gerade unbedingt. Revanche sozusagen.
,,Nein, hast du nicht. Du hast lediglich angekündigt, dass du dich entschuldigen willst. Getan hast du es aber noch nicht.’’,ich nahm einen großen Schluck aus seinem spendierten Cocktail, der übrigens wahnsinnig lecker schmeckte und wartete ab.
Er kniff seine Augen ein wenig zusammen und schüttelte kaum merklich den Kopf, ehe er zu Worte kam.
,,Verzeih mir bitte, dass ich mich vorhin verhalten habe wie ein Vollidiot.’’,er sah tatsächlich ein kleines Bisschen schuldbewusst aus.
,,Na gut. Vergessen wir die Sache, wennnnn du mir noch einen davon ausgibst.’’,ich deutete auf das leere Glas in meiner Hand und war etwas erschrocken über mich selbst, wie dreist ich mich gerade verhielt.
Tristan schien das allerdings keineswegs zu stören und er orderte direkt zwei davon.
,,Können wir uns vielleicht einen Moment ungestört unterhalten? Ohne Publikum?’’,wollte er nun wissen und deutete auf die Glastür, die zum Raucherbereich führte.
In dem kleinen Raum angekommen, machten wir es uns auf Sesseln gegenüber voneinander bequem.
,,Hast du gewusst, dass ich aus Handflächen lesen kann?’’,fragte er, beugte sich über den kleinen Tisch zwischen uns und steckte seine Hand nach meiner aus.
Ich musste unwillkürlich lachen und stellte mein Glas ab.
,,Das ist also deine Masche?’’,auch wenn ich diese Behauptung mehr als bescheuert fand, war sie durchaus unterhaltsam und ich war direkt gespannt, was er sich ausdenken würde.
Noch bevor ich reagieren konnte, schnappte er sich einfach meine linke Hand und drehte meine Handfläche nach oben.
Sein Daumen begann meine Handfläche in kreisenden Bewegungen zu massieren und er sah mir bloß in die Augen.
,,Du wirst wahrscheinlich.. Lehramt studieren. In deinem Elternhaus wohnen bleiben und in den nächsten fünf Jahren heiraten.. vermutlich deine männliche Begleitung von heute Abend.’’,sein Daumen kreiste weiter und meine Fingerspitzen der linken Hand kribbelten wie verrückt, was ich nach meinem ganzen Konsum aber langsam auf den Alkohol schieben konnte.
Tatsächlich hatte ich nach dem Abi in Erwägung gezogen Lehrerin zu werden…
Aber Jordan heiraten? Ich musste lachen, das war so absurd. Aber durchaus unterhaltsam.
Tristan grübelte weiter.
,,Kinder gibt es aber erst in circa zwölf Jahren, du musst noch einige Länder bereisen. Aber danach, wirst du glücklich sein, gesund sein… und lange leben…’’,seine Stimme wurde gegen Ende immer leiser und nun sah er geradewegs in meine Handfläche hinein, als könnte er in dem schummrigen Licht tatsächlich etwas darin erkennen.
,,Wenn du..’’,fuhr er fort, um gleich darauf wieder inne zu halten.
,,Wenn ich was?’’,wollte ich ihm auf die Sprünge helfen, als sich unsere Blicke trafen.
Er räusperte sich und sein Griff um meine Hand verstärkte sich.
,,Wenn du dich von meiner Familie fern hältst.’’,Stille folgte seinen letzten Worten und urplötzlich war ich ganz und gar nicht mehr amüsiert.
Ich wollte ihm meine Hand entziehen, jedoch erfolglos.
,,Was soll der Scheiß, Tristan?’’,ich fauchte schon fast, was ihn mehr zu treffen schien als ich vermutet hatte.
Er sah zerknirscht in sein Glas, ehe er es leerte.
,,Wünsch dir von mir, was auch immer du willst. Ich erfülle dir jeden Herzenswunsch, wenn du mir versprichst, nicht zur Familienfeier zu kommen.’’,seine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern und mit jedem weiteren davon, kam ich mir bescheuerter vor.
Ich musste kurz über mich selbst lachen, dass ich auch nur gedacht hatte jemand wie Tristan würde seine Fehler innerhalb weniger Stunden einsehen, sich entschuldigen und sich dann auch noch wie ein Gentlemen benehmen?
In Gedanken schüttelte ich den Kopf, das war wohl nicht nur mein mutigste Tag, sondern auch mein naivster.
Ruckartig zog ich endlich meine Hand zurück, stand auf, leerte mein Glas und ging schnellen Schrittes zur Tür.
Ich blickte kurz zurück zu ihm, und entschied, ihm wenigstens eine dumme Antwort auf sein dummes Geschwätz da zu lassen.
,,Ach, Zehntausend Euro könnte ich ganz gut gebrauchen. Du Vollpfosten!’’,sauer verließ ich den Raucherbereich und stolperte geradewegs in Jordans Arme.
,,Ich wollte dich gerade einsammeln, Tulsa liegt ausgeknockt in der Lounge und ich denke, wir sollten langsam den Heimweg antreten.’’,er deutet in T’s Richtung und machte einen entschuldigenden Gesichtsausdruck, dem Tablett voller leerer Schnapsgläser vor ihr auf dem Tisch zu urteilen, war er nicht ganz unschuldig an ihrem Zustand.
Auch in seinen Augen konnte ich sehen, dass er einiges intus hatte.
Ich nickte nur und versuchte, meine gute Laune wieder zu finden.
,,Ich muss wohl mein Auto stehen lassen und werd uns schnell ein Taxi rufen.’’,mit diesen Worten verließ Jordan das O, um ungestört telefonieren zu können.
Ich war heilfroh als ich eine Dreiviertelstunde später in mein Bett fiel.
Ich konnte nicht aufhören, mich zu fragen, wieso um alles in der Welt ich mich so unbedingt von Tristans Familie fern halten sollte?
Zudem fand ich es völlig absurd, wie Tristan mich davon abhalten wollte.
Wenn ich wirklich so unerwünscht war, konnte er das gerne haben. Ich würde zu Hause bleiben und diese ganze Geschichte hoffentlich in ein paar Wochen vergessen haben.
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2015
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