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Die Beerdigung von Amelie Dahlon war auf einen frühen Freitagmorgen angesetzt. Es konnte sicherlich keinen passenderen Zeitpunkt für ihre Beisetzung geben. Heute war Freitag. Und genau heute vor zehn Jahren wurde ihr lieber Mann Camello beerdigt.
Ich kann mich noch gut an diesen Tag erinnern. Das halbe Dorf war auf dem Friedhof vertreten. Alle mochten Camello und alle nannten ihn nur Don. Genau wie Don Quijote. Auch Camello kämpfte unermüdlich. Allerdings kämpfte er nicht gegen Windmühlen, sondern immer nur für die Gerechtigkeit.
Dort wo Unrecht geschah und etwas getan werden musste, da war auch Camello.Er kämpfte für den Erhalt der alten Gärtnerei, den Aufbau eines neuen Kindergartens oder der Restaurierung des Glockenturmes unserer alten Kirche. Aber sein schwierigster und längster Kampf, war der um seine Amelie.
Ich kann mich gut erinnern, wie wir als Teenager immer auf seiner kleinen Veranda saßen und ihm lauschten, wenn er uns seine Liebesgeschichte erzählte.
Angefangen hatte alles in einem Urlaub während seiner Studienzeit.Er war mit seinen Eltern und seinen drei jüngeren Brüdern nach Holland ans Meer gefahren. Dort hatten sie sich ein kleines Haus direkt am Strand gemietet, für das seine Eltern lange hatten sparen müssen.Seinen Beitrag hatte er mit kleinen Gelegenheitsarbeiten nach der Schule erarbeitet und gerne zu den Unkosten beigesteuert.Seine Eltern hatten ihm nie Steine in den Weg gelegt, aber finanziell unterstützen, konnten sie ihn nicht.Trotzdem schaffte er es auf die Universität.Grosse Sprünge machen, wie seine Studiekollegen, konnte er nicht und Zeit und Geld für eine große Liebe fehlten ihm auch.Aber er war zufrieden.In diesem Winter würde er mit seinem Studium fertig sein und dann konnte er seine Eltern finanziell mehr unterstützen. Camello hatte gute Aussichten auf einen festen Arbeitsplatz.Sein Vater war sehr krank.Die Lunge. kein Arzt konnte etwas tun.Die Arbeit unter Tage hatte seine Gesundheit ruiniert.Mutter und er, hofften nun, hier am Meer, auf Linderung seiner Schmerzen.Sie richtete das kleine Haus am Meer sehr gemütlich her.Dafür hatte Camellos Mutter ein Händchen.Der Rest der Familie ging am Strand auf Entdeckungsreise.Hier würden sie sicherlich noch eine Menge für seine Mutter finden.Für Muscheln und Steine hatte sie immer Verwendung.Camello und seinen Brüdern fiel auf, das es ihrem Vater immer besser ging.Das Husten wurde weniger und das Atmen fiel ihm immer leichter.So musste Camello sich nicht mehr den ganzen Tag sorgen und konnte endlich das schöne alte Dorf in der Nähe erkunden.
Hier waren die Häuser recht klein und einfach gehalten, strahlten aber eine enorme Gemütlichkeit aus. Das würde seiner Mutter sicherlich gefallen.Camello nahm sich vor, sie bei einem seiner nächsten Spaziergänge, mitzunehmen.
Backstuben und Teeläden reihten sich an Bäckereien und Fischläden.Vor einem Fischladen standen die Kunden bis auf die Straße, aber niemand schien mürrisch oder genervt.Ganz im Gegenteil.Ein munteres Stimmengewirr hallte durch die kleine Gasse.Camello verstand kein Wort.
In einem kleinen Strassencafe setzte er sich an einen freien Tisch, der unter einem großen Lindenbaum stand.Dieser schütze ihn angenehm vor der heissen Sonne.
Ein junger Mann, der etwa in seinem Alter war, nahm die Bestellung seines Tees entgegen.Camello lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen.Nur einen Moment wollte er die friedliche Atmosphäre auf sich wirken lassen. Seine Teetasse wurde auf den Tisch gestellt und Camello öffnete die Augen.Ihm stockte der Atem. Noch nie in seinem Leben hatte er eine so atemberaubend schöne Frau gesehen. Augen wie die eines Rehes und Haare glänzend wie Seide. Zierliche Finger umfassten das Tablett.Als diese Schönheit ihn ansah, glaubte er auch in ihren Augen etwas blitzen zu sehen.Ihm kam es vor, als bliebe die Zeit stehen.Kein Geräusch, kein anderes Bild. Nur sie.Ihre Augen und der Duft ihrer Haare erfüllten seine Gedanken.Die Welt um ihn herum gab es nicht mehr.Eine laute, herrische Stimme riss sie aus ihrer Starre. Der Kellner, der seine Bestellung entgegen genommen hatte, rief zornig:>> Amelie, zult gij arbeiden en niet trödeln.Die het werk op zich niet.<<Amelie, so hieß also dieses zauberhafte Wesen.Amelie.Camello bemerkte, wie Amelie zusammenzuckte.Sie lächelte ihn kurz an und verschwand dann im Innenraum des Cafes.Laute Wortfetzen drangen zu den Gästen.Ein Gast am Nebentisch bemerkte Camellos fragendes Gesicht.>> Er ist ihr Bruder und hat ihr eben gesagt sie solle arbeiten und nicht trödeln, denn die Arbeit macht sich nicht von alleine.Er scheucht seine kleine Schwester immer so.Das sollte er lieber einmal mit seiner verwöhnten Verlobten tun.Aber nichts für ungut, junger Mann.<<
Camello legte die Gulden auf den Tisch und verliess das Cafe.Seine Mutter würde sicher schon auf ihn warten.Schon von weitem bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Niemand aus seiner Familie kam ihm entgegen, niemand empfing ihn mit einem lachen.Das war sehr ungewöhnlich für seine Familie.Irgendwie lag etwas bedrohliches in der Luft.Camello rannte los.Er rannte so schnell seine Beine ihn tragen konnten.Ausser Atem betrat er das Haus.Ihm bot sich ein trauriges Bild.Seine Brüder saßen wimmernd auf der Lieblingscouch seiner Mutter und schauten ihn mit aufgerissenen Augen an.Die Türe zum elterlichen Schlafzimmer stand offen und Camello sah seinen Vater neben einem fremden Mann, am Bett seiner Mutter stehen.Sie hatte die Augen geschlossen.Ein Lächeln umspielte ihren Mund und die zarten Händen lagen auf ihrem Brustkorb.So hatte er seine Mutter noch nie gesehen.Was war geschehen?Vater kam auf ihn zu und schloss ihn in seine Arme.So alt hatte er seinen Vater noch nie empfunden.Camello sah wie sein Vater nach Luft ring und Tränen über sein Gesicht liefen.Langsam befreite er sich aus der Umarmung seines Vaters und trat an das Bett, in dem seine Mutter zu schlafen schien.Camello begriff.Sie war tot.Seine geliebte Mutter konnte ihn nie wieder in ihre Arme schliessen.Warum? Seine Brüder waren doch noch viel zu klein.
Bilder rasten durch seinen Kopf.Bilder die seine Mutter in allen möglichen Lebenslagen zeigten.Der Fremde verabschiedete sich mit einem kurzen nicken und verschwand. Nun waren sie alleine.Alleine.Seine Mutter war einfach so gestorben.Das Herz hatte der Fremde gesagt.Er war Arzt hier im Dorf.Einfach so hatte das Herz aufgehört zu schlagen.Nie wieder würde sie das Lachen der Mutter hören.Nie wieder würde sie ihn ermahnen, wenn er seine Sachen überall herumliegen ließ.Nie wieder.Und Camello schwor sich eines.Nie wieder würde er dieses hässliche Wort<<nie wieder>> in den Mund nehmen.Nie wieder.
Seit jenem Tag veränderte sich in Camellos Leben alles.Er schmiss sein Studium und besorgte sich eine Stelle als Schreiner in seiner Heimatstadt.Er wollte seinen kranken Vater und seine kleinen Brüder, nicht ihrem schicksal überlassen.Jedes Jahr im Sommer fuhren sie wieder in das kleine Haus am Meer, um nah bei ihrer Mutter zu sein.Jedes Jahr im Sommer lebte ihr Vater dort wieder auf.Und jedes Jahr besuchte er das kleine Cafe um Amelie zu sehen.
Vier Jahre waren vergangen und in den vier Jahren hatte er sich nicht getraut, Amelie anzusprechen.
Doch er hatte sich fest vorgenommen, es diesen Sommer zu versuchen.
Seine Brüder waren mit dem Boot draussen und sein Vater malte.Es war jedes Jahr das gleiche Motiv.Seine geliebte Frau.Und im Hintergrund das kleine Haus am Meer.
Camello wusste, dass sein Vater sehnlichst auf seinen Tod wartete um seiner Frau endlich wieder nah zu sein.Mit allem hatte Camello versucht, seinen Vater aus dieser Stimmung zu befreien.Aber es gelang ihm nicht.Stand ihm das überhaupt zu?
Camello kam zu der Erkenntnis, dass sein Vater sich seine eigene kleine Welt erschaffen hatte, aus der er nicht ausbrechen wollte.Seinen Brüdern ging es soweit wieder gut.Sie konnten wieder ohne Tränen an ihre Mutter denken.Auch wenn es immernoch weh tat.Ab und zu hörte man sie sogar lachen.Dieses Lachen erfüllte Camellos Herz.
Nun saß er in diesem kleinen Cafe und wartete das Amelie ihm seinen Kaffee brachte.
Plötzlich,wie aus dem Nichts stand sie vor ihm und lächelte ihn an.Warm wurde es ihm.Sehr warm.
Ohne jede Aufforderung setzte sie sich zu ihm an den Tisch.>> Ich habe etwas Zeit und würde mich sehr gerne mit dir unterhalten<<.Camello sah sich nach ihrem Bruder um.Amelie sprach ingebrochenem Deutsch und das machte sie für Camello noch atemberaubender.Er sah tief in ihre Augen.Diese Augen.Sie raubten ihm den Verstand.
Es fing leicht zu regnen an,aber das störte Camello nicht.Die Regentropfen ließen den warmen Boden duften.Für ihn roch es nach Liebe und einem Blütenmeer.Plötzlich dachte er an seine Mutter.Er sah deutlich ihr Gesicht und vernahm den Duft ihrer Haare.Mandelblüten.
Amelie erzählte von der Hochzeit ihres Bruders und das er seit diesem Ereignis, wie umgewandelt sei.In einer Stunde habe sie frei.Camello würde warten.Und wenn es sein musste, weitere vier Jahre.Oder eine Ewigkeit.Was war schon eine Ewigkeit gegen diese Frau.
Aus einem ersten Abend wurde ein zweiter.Und es folgten viele Spaziergänge am Meer.
Camellos Urlaub neigte sich dem Ende.Beide wurden von Stunde zu Stunde trauriger.Auch sein Vater bemerkte seine Traurigkeit und suchte am Abend vor der Heimreise, mit seinem Sohn, das Gespräch:>>Du liebst diese Frau mit jeder Faser deines Herzens,aber deine Augen schreien vor Traurigkeit.<< Camellos Vater strich über seinen Arm.So nahe waren sie sich schon lange nicht mehr.Sein Vater sprach leise weiter.>> Weisst du, mein Junge, mir fällt es von Jahr zu Jahr schwerer dieses Haus zu verlassen.Hier war ich mit deiner Mutter mehr als glücklich.Deinen brüdern geht es gut und auch du hast die Liebe hier gefunden<<.Er machte eine Pause,sah seinem Sohn tief in die Augen>>Der Besitzer dieses kleinen Hauses hat mich gestern gefragt, ob wir es nicht erwerben wollen.Ich bin mir jetzt sicher das wir zusagen.Ich habe etwas gespart.Das sollte reichen.<<Camello wollte etwas erwiedern, aber sein Vater bat ihn, erst sprechen zudürfen.>>Es bleibt noch genug für den Umzug und den Aufbau einer kleinen Schreinerei im Nebenhaus.<<Einige zeit brauchte Camello um zu begreifen, welche Möglichkeit sein Vater ihm bot.Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf.Auch sein Vater strahlte wie lange nicht mehr.
Bis tief in die Nacht schmiedeten sie Pläne.Camello würde alleine zurück nach Deutschland fahren und den Umzug und alles Notwendige regeln.Vater und seine Brüder würden in ihrem neuen Heim eine Menge zu tun haben.
Der Umzug ging schnell und ohne Probleme von statten.Der Aufbau der kleinen Schreinerei sprach sich schnell rum und die Hochzeit mit seiner geliebten Amelie war ein rauschendes Fest.
Als Hochzeitsgeschenk machte Camello seiner Frau eine ganz besondere Überraschung.Neben seiner Werkstatt hatte er für Amelie eine kleine Galerie errichtet.Abend für Abend hatte er daran gearbeitet, ohne dass sie etwas bemerkte.
Amelies Galerie war ein voller Erfolg.Sie hatte eine besondere Gabe.Ihre Kunstgegenstände waren allesammt besonders.Sie waren von einer Schönheit, die man nicht beschreiben konnte.
Allerdings war der Erfolg nicht so,wie man es sich denkt.Sie verkaufte nicht ein Bild, nicht eine Skulptur. Am Eingang zur Galerie stand eine Messingschale.Auf dem Tisch lag ein unscheinbarer Zettel mit der Aufschrift>> Spenden willkkommen<<.
Und es klappte.Kein Besucher verlies die Galerie, ohne eine Spende zu hinterlassen.Und schon früh am Morgen und das jeden Tag, standen die Besucher Schlange vor Amelies Galerie.Camello konnte sich nicht erklären, warum viele der Besucher fast täglich wieder kamen.Er kannte Amelies Werke zum Teil und fand sie wunderschön. Aber musste man deshalb fast täglich hierher kommen?
Aber am meisten erstaunte ihn sein eigener Vater.Auch er kam fast täglich hierher.Und jedes Mal verließ er fast fröhlich die Galerie.
Heute stand Camello selbst in der Schlange der wartenden.
Schon wenige Minuten später glaubte er seinen Ohren nicht zu trauen.All diese Menschen sprachen von Toten und wie glücklich sie seien, Amelies Galerie besuchen zu dürfen. Camellos Gedanken überschlugen sich.Noch nie hatte er bemerkt,dass seine Frau über die Gabe verfügte, mit Toten in Kontakt zu treten.Schnell wischte er den Gedanken beiseite.Nein.Seine Amelie hatte lediglich die Gabe, ein guter Mensch zu sein.Und diese Gabe war eine sehr große.
Beim nächsten Schwung war Camello bei den Menschen, die in die Galerie eintreten durften. Amelie ließ nur wenige aufeinmal eintreten.Und komischer Weise hatte dafür jeder Verständnis.
Angenehmer Duft,ein behagliches Licht und eine von ihm nicht gekannte Wärme kam ihm entgegen.Amelie saß vor einem Bild an ihrer Staffelei und malte.Camello beobachtete die Menschen,die jeder für sich, vor einem Bild,einer Skulptur oder einem anderen Kunstwerk ausharrten und sich mit diesem leise unterhielten.Jedes einzelne Kunstwerk sprach scheinbar immer auf eine andere Art und Weise zu jedem Menschen.
Camello entdeckte eine wunderschöne Skulptur.Eine Glaskugel lag zwischen zwei Rosen auf einer Marmorplatte.Während er sich dieses Werk betrachtete, sah er seine geliebte Mutter in der Kugel.Ihr Gesicht war wunderschön und sie sah sehr zufrieden aus.Sie kämmte ihr langes Haar genau so wie sie es immer getan hatte.Ihre Lippen formten sich zu einem warmen lächeln.Sie sah ihn dankbar an und Camello roch ihr Haar.Mandelblüten.Auch er versank in ein langes, leises Gespräch.Und auch er würde am nächsten Tag wieder in der Schlange stehen.
Als Camello starb, schloss Amelie ihre kleine Galerie.Auch sie hatte versucht, in all ihren Werken ihren geliebten Camello zu sehen.Aber Camellos Bild blieb verschwommen.
Camellos Vater starb nur wenige Tage nach seinem Sohn.Seine Brüder gingen ihre eigenen Wege und Amelie lebte zurückgezogen in ihrem Haus am Meer.

Eine Skulptur noch brachte Amelie zu Ende.Zwei inneinander verschlungene Menschen.Amelie nannte diese Skulptur >> Liebe << .
Eine kleine goldene Tafel befand sich auf dem Sockel. Die Inschrift lautete schlicht>> Camello und Amelie <<

Heute steht die Skulptur in keiner Galerie sondern auf Camellos und Amelies Grab.

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Tag der Veröffentlichung: 14.08.2011

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