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Prolog



Schwarz, fusselig und mit einem komischen Gefühl verbunden, wenn ich es ansah oder berührte, lag es da in der kleinen mit rotem Samt ausgeschlagenen Dose, deren schillernder, mit Glassteinen besetzter Deckel mich immer wieder zum Staunen brachte.
Die Welt zog monoton an meinem Fenster vorbei, und dieser Reise fehlte das Gefühl der anderen, eigentlich fühlte ich nur einen bohrenden, ziehenden Schmerz, der mich zum Schreien überreden wollte. Doch ich gab nicht nach, obwohl ich allein im Abteil war. Hoffentlich würde er bald in eine starke Sehnsucht übergehen, sonst würde er mich wohl innerlich zerstören. Keine Seele erträgt dieses Leid auf Dauer.
Als der Zug stehen bleibt, in irgendeinem Kaff, und die Welt aufhört sich zu bewegen erscheint mir das fast ungewöhnlich. Zeilen für ein Lied schießen in meinen Kopf. Die Welt steht still, nur für uns zwei.

Der Schmerz scheint wie Lava aus den Ritzen meines Herzens hervorzuquellen, um mit meinem Körper zusammen zu erkalten und zu erstarren. Uns ist’s einerlei, unsre Liebe ist vorbei.

Du warst noch gestern bei mir, doch nun bist du fort. Wieso bin ich gerade hier, du aber bist dort?


Ich glaubte, dass ich das Ganze nur durch Verdrängung überstehen würde. Oder durch Erinnerung?
Etwas riss mich aus meinem Gedanken, wieso halten wir denn so lange? „Wir möchten sie darauf aufmerksam machen, dass wir an diesem Bahnhof einen Personalwechsel vollzogen haben! Ihr neues Team wünscht Ihnen eine gute Fahrt!


Personalwechsel? Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, und kurz darauf kam ein Mann in mein Abteil, der Schaffner.
„Servus“, sagte er in breitem Dialekt, „Fahrschein, bitte!“
Ich reichte ihm das Papier, das auf dem Sitz neben mir lag wortlos.
„Und Urlaub gemacht?“ Ich war nicht in der Stimmung Konversation zu machen und murmelte deshalb nur etwas unverständliche in Richtung einer positiven Antwort.
„Wo denn?“ Scheinbar hielt er meine Einsilbigkeit für Schüchternheit.
„Kinding“, nuschelte ich um ihn endlich loszuwerden, und tatsächlich, es funktionierte, er ging.
Doch ich, ich fiel in einen Strudel aus Erinnerungen, einen Sog, der mich immer tiefer hineinzog, nicht losließ, bis ich am Anfang dieser Sache angelangt war.
 


Kapitel 1



„Kinding! Mama, das beginnt doch schon mit Kind! Bestimmt nur für Babys! Und noch dazu Natur-Erlebnis-Lager. Ich habe in meinem Leben echt schon genug Natur erlebt. Mama, nein!“
Wenn irgendwer jetzt glaubt, ich hätte mit diesen Worten noch irgendwas an meine Lage ändern können, dann lag er falsch. Denn ich schrie sie, als ich schon dabei war für das Lager zu packen. Also zu spät.
Morgen um 7:30 Uhr würde mich meine Mutter in einen Zug ins Altmühltal verfrachten, sodass ich pünktlich um 9:00 Uhr im Lager wäre. Ein Lager, um der Natur näher zu kommen. Gottseidank nicht so nah, dass man in Zelten schlafen müsste, es gab Blockhütten.
Ich sträubte mich, schrie und schmollte.
Doch der nächste Tag kam.


Kapitel 2



Ich gebe zu, dass ich die Zeit, von zu Hause zum Bahnhof verschlief, und die im Zug im Halbschlaf verbrachte, wobei mir die ganze Zeit Gedanken durch den Kopf schossen wie Naturerlebnis, vegetarisches Essen, neue Freunde finden …
Das alles hatte auf der Website für das Lager gestanden! Das hatte meine Mutter wohl gleich überzeugt! Sie legt auch echt viel Wert drauf, dass wir ökologisch korrekt leben, aber bis jetzt hat sie mich damit noch nie wirklich belangt.
Am Bahnhof Kinding holte mich und alle anderen Teilnehmer ein Bus ab, zusammen gekommen waren wir durch ein hoch gehaltenes Schild auf dem in bunten Buchstaben „Natur-Erlebnis-Lager“ stand, neben welchen eine Betreuerin uns auf einer Liste abhakte. Nach einer halben Stunde Fahrt waren wir am Ziel. Ich saß dabei neben einem Mädchen mit krausen Locken, die mich erst prüfend von oben bis unten ansah, um mich dann für den Rest der Fahrt zu ignorieren. Das fängt ja schon gut an. Und dann …
Das Lager. Eine Wiese, nahe dem Wald, an der Seite die nicht am Wald war einige Hütten. Genauer gesagt vier. Ein Wasch bzw. Klohaus.
Man wurde aufgefordert sein Gepäck in den Flur eines der Häuschen zu stellen, und wir trafen uns zu einem „Gemeinschaftskreis“.
Also könnte ich zum ersten Mal die ganzen Leute inspizieren, die sich für so ein Ökocamp interessierten. Von der Hütte zum Kreis aus Bierbänken über die Wiese geschah mir etwas Doofes. Meine bequemen Ballerinas mit süßem, kleinen Absatz blieben an eben diesem in der feuchten Erde hängen und ich machte ein, zwei Schritte mit nacktem Fuß, um dann kurz leise aufzuschreien, und auf einem Bein zurückzuhüpfen. Als ich meinen Schuh wieder anhatte, bemerkte ich, dass mich ein Junge beobachtet hatte und immer noch leise lachte.
Ich ging auf ihn zu und zischte ihn böse an: „Und genug über das Unglück anderer Menschen gelacht?“ Das ging ja schon gut weiter. Außerdem sah der Junge, der vor mir stand, schon sehr nach Naturerlebnislager aus: knielange ausgefranste Jeans, ein T-Shirt mit einem seltsamen verwaschenen Schriftzug drauf und seine Haare … Fast schulterlange, schwarze wie heißen diese Bob Marley Haare noch mal? Dreadlocks? Er machte den Mund für eine Antwort auf doch ich ging an ihm vorbei, und ließ mich weit weg von allen anderen auf eine Holzbank nieder.
Langsam füllten sich die Bänke und neben mir setzte sich jemand hin.
„Hi!“ wurde ich angesprochen, „Ich bin Mara und du?“
Ich guckte sie ein wenig verwirrt an, antwortete dann jedoch: „Sarina“.
„Und freust du dich auch schon so? Ich hab das Camp zu Ostern bekommen!“, sie guckte mich total glücklich aus ihrem mit blonden Haaren umrahmten Gesicht an, und so war ich einfach nicht fähig zu antworten: Meine Mutter hat mich zu dem Scheiß gezwungen. Also murmelte ich: “Äh, ja“ und war froh, als sich eine braunhaarige, Anfang zwanzigjährige Frau in den Kreis stellte und sich als Dorothea, aber nennt mich doch Doro, vorstellte. Sie redete über die Ziele des Lagers und andere Dinge.
Ich schaltete auf Durchzug, bis ich hörte, was als nächste kommen würde: Kennenlernspiele. Oh, nein. Ich kannte sie alle. Zeitungsschlagen, Zipp-Zapp oder das Allerschlimmste, sich ein lustiges Wort überlegen das mit dem gleichen Buchstaben wie sein Name anfängt. Vielleicht könnte ich unauffällig aufs Klo gehen? Und dort bleiben? Für immer???
Doch es kam anders: Jeder bekam einen Zettel, auf dem ein Tiername stand, und sollte das passende Geräusch dazu machen. So sollte jeder einen Partner finden, über den ein paar Dinge auf einen Zettel schreiben, und diese würden wir dann in der Runde den Personen zuordnen. Ich öffnete, entnervt, meinen Zettel. Oh nein, ich hätte sterben können. Schwein. Muss das sein? Alle begannen mit ihren Geräuschen, doch ich stand stumm da. Schwein … Grunzen. Nein, danke. Ich würde einfach warten, und so meinen Partner suchen. Doch und irgendwie fanden mehr und mehr ihren Gefährten, und nur noch wenige bewegten sich im Kreis, die anderen hatten sich wieder gesetzt. Auch Mara suchte noch.
„Was bist du?“, zischte ich ihr zu, doch statt einer Antwort machte sie: „Muuuuh“. Blöde Kuh. Und nach ihrem Laut lief ein Mädchen auf sie zu, und sie setzten sich. Und schließlich passierte es, nur noch ich und der Junge von vorher, Bob Marley. Was der Zufall manchmal so will. Ich war ein bisschen entnervt, aber auch froh, dass dieses Spiel nun endlich zu Ende war und ging auf ihn zu. Er sah mich zwar an, bewegte sich aber keinen Zentimeter vom Fleck und so blieb ich zwei Schritte vor ihm stehen.
„Ähm, gehen wir?“, fragte ich ihn. Keine Antwort. Nur ein volles, lautes Grunzen.
„Ich denke, das Spiel ist zu Ende. Du kannst aufhören.“
„Ich weiß nicht, ob du mein Partnertier bist. Ich habe dich nicht grunzen gehört.“
„Ähm, hier“, murmelte ich verwirrt und zeigte ihm meinen Zettel.
„Keinen Zettel. Grunz!“
„Nein!“
„Tu's!“
„Spinnst du irgendwie?“
Ich merkte, dass uns der ganze Kreis eingehend beobachtete. Mir wurde heiß und bestimmt lieg ich rot an. Ich musste dieser Show ein Ende setzen.
„Lass den Scheiß, okay.“
„Grunz einfach, dann hat sich das.“
Während wir uns weiter anzankten, näherte sich „Doro“ unauffällig von der Seite.
„Was ist hier los, ihr beiden?“
„Sie boykottiert das Spiel.“
„Hm?“, machte Doro und sah mich an.
Bob antwortete für mich: „Sie macht kein Geräusch“.
Doro sah mich noch mal kurz an, dann wandte sie sich an Bob: „Ach, manche müssen sich halt erst eingewöhnen. Wir dürfen sie nicht unter Druck setzen. Und ihr anderen macht euch endlich an die Arbeit!“
Und so setzten wir und die anderen uns im Umkreis auf die Wiese. Ich saß diesem Typen gegenüber und überlegte auf meine Zettel einfach Idiot zu schreiben und mich für den Rest der Zeit in die Sonne zu legen.
Und das tat ich auch.
„Geh mir bitte aus der Sonne, Bob“, maulte ich ihn noch an.
„Bob?“, er schaute mich fragend an. „Scheinbar habe ich mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Theodor, Theo“, sagte er und streckte mir die Hand hin.
„Sarina“, antwortete ich gelangweilt und schloss demonstrativ meine Augen.
„Sarina?“, versicherte er sich und betonte dabei die erste Silbe über das ertragbare Maß hinaus.
„Sa-ri-na“, wiederholte ich mit gleicher Betonung auf allen drei Silben, „Nicht Saaarina!“.
„Wohl bei allen Dingen so empfindlich?“
Ich fragte mich echt, wie ich das verdient hatte. Ökocamp. Und dann noch dieser seltsame Typ. Theodor. Wer hieß denn bitte so? In welchem Jahrhundert lebten seine Eltern? Oh mein Gott, er war doch nicht etwa ein Vampir? Nein, Spaß beiseite. (Welcher Spaß auch? Hier?)
„Redest du nicht mehr mit mir?“, fragte er.
„Bist du nicht glücklicher, wenn ich nichts sage?“
„Wieso?“
„Keine Ahnung.“
Und ich schloss meine Augen und ignorierte ihn wieder.


Impressum

Texte: Waruwi
Bildmaterialien: Waruwi
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2013

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