Ich bin Teile der ersten 6 Jahre meines Lebens in Afrika aufgewachsen, genauer in einem zentralafrikanischen Staat. Ich verbinde damit u. a. tolle visuelle Erfahrungen an die dortige Tierwelt: Affen, die an und wann auf der Terrasse vorbeischauten, Chamäleons und Schlangen im Garten unsres Hauses nebst allerlei Insekten und Arachniden. Aber wie es nun mal allzuoft ist im Leben, kommt man selten rein mit dem Schönen davon. Leider wurde ich nämlich außerdem, seit einem ganz bestimmten tragischen Erlebnis mit Spinnen in genau jener Zeit, mit einer waschechten und handfesten Arachnophobie ausgestattet.
Ich weiß nicht ob es eine Vogelspinne war die da meine Spinnen-Phobiker-Karriere ins Rollen brachte, aber das Tier war auf jeden Fall verflucht groß(wobei ich ja auch entsprechend klein war)... auf jeden Fall war sie größer als alles Krabbelgetier, das ich in Europa bis heute zu Gesicht bekommen habe. Bin natürlich kein Fachmann, aber ich vermute, dass tropische afrikanische Spinnen schon eine beträchtliche Größe erreichen können. Seis drum. Das Erlebnis, dass mich so lange zeichnen sollte, ist die Geschichte eines einzelnen Abends. Es war bereits Nacht. Mein Vater hatte in seinem Haus einen kleinen Raum, indem Gerümpel bzw. Kisten und dergleichen gelagert wurde(n). Für mich besaß der Raum eine besondre Faszination, da in manchen der Kisten noch immer altes Spielzeug wie Bauklötze, Karten und Autos zu finden waren. Ich ging also in diesen Raum und durchsuchte eine Kiste oder etwas in der Art. Der Weg von Tür zu meinem „Sitzplatz“ war durch Kisten usw mehr oder minder versperrt, man musste jedenfalls über manches steigen oder einiges umlaufen. Noch bevor ich mich daran machte, die Kiste nach potentiellen Schätzen zu durchforsten, bemerkte ich eine echt große(wie gesagt für meine Kinderaugen) Spinne vielleicht einen halben m von mir entfernt, an der Wand sitzen. Geheuer war sie mir ob ihrer Größe nicht gerade, aber ich hatte auch zu wenig angst um deswegen das weite zu suchen. Sie saß da, und bewegte sich manchmal scheinbar ziellos in einem Radius von ca(natürlich eine reine aus den Erinnerungen gezogene Schätzung) 30cm, rauf runter links rechts. Zwischen den Bewegungen, verstrich immer einige Zeit. Ich kramte weiter aber wohl darauf bedacht, immer mal ein Auge auf das Tier zu haben um notfalls abziehen zu können. Und dann.. machte es *Klack * und alles licht verschwand.
Stromausfall! an sich nichts ungewöhnliches, vor allem nicht in einem infrastrukturtechnisch unterentwickelten Land. Die gefühlte Situation war es dafür umso mehr. Ich da sitzend, allein und ohne irgendetwas zu sehen, gar nichts, nicht ein mal einen Funken Licht. Aber wissend, dass die Spinne immer noch da war und jetzt wohl einen immensen Vorteil gegenüber mir besaß. Dann sind mir quasi die Sicherungen durchgebrannt und ich schrie, als ob man mich zu töten versuchte. Schrie und schrie bis dann nach einigen Minuten (wieder ca) mein Dad mit einer Kerze auftauchte und mich aus dem Raum holte..
Die Angst war ab da mein ständiger Begleiter. Was meiner Faszination für eben diese Tiere, zumindest der theoretischen, allerdings nicht wirklich geschadet hatte. Diese Angst vor dem Unbekannten, Unberechenbaren die Spinnen allein von Ihrem Wesen aus erzeugen (können) ,weckten in fast gleichem Maße auch mein Interesse. Kenne deinen Feind. Ich habe also als Kind vor und nach dem Erlebnis, allerlei Bücher über Spinnen verschlungen, natürlich keine hochtrabende Fachliteratur sondern eher Bücher im Stil von „Was ist was?“ und dergleichen.
Die Angst vor der Spinne an sich verließ mich dennoch nie und mich erfüllten noch immer immenser Ekel und blanke Panik, wenn ich sie in unmittelbarer Nähe zu mir sah. Vor wirklich kleinen, oder nicht allzu großen „grauen Hausspinnen“ (>die Dünnen) hatte ich keine allzugroße Angst. Aber immens vor den schwarzen dicken mit der dezent grünen Front. Amaurobius ferox, die gemeine Finster- oder auch Kellerspinne, hat mir als heranwachsender manch schlaflose Nacht und tränenreiche Kämpfe mit dem Staubsauger-Zweihänder beschert. Weniger wegen der Belastung Arachnophobie, als wegen Rückbesinnung auf meine kindliche Faszination und dem Umstand eines fehlenden Haustieres, kam mir der Gedanke in den Sinn, eine Hausspinne anzuschaffen. weniger um mich zu „heilen“ sondern eher um meine Faszination zu befriedigen und mehr über das Verhalten zu erfahren. Natürlich schloß das die Hoffnung, durch „Kennenlernen“ der Verhaltensweisen usw. von Spinnen, irgendwann ohne Phobie dazustehen, nicht aus. Ich belas mich also über Haltung, Pflege, Arten und Terrarienhaltung, wählte meinem Geschmack entsprechend, schaffte das Equipment an, bestellte das Tierchen und bezahlte in einem Spinnenshop.
Und dann kam sie... aconthoscurria geniculata oder brasilianische weißknie Vogelspinne. Körperlänge, d.h. ohne Zähne und Spinnwarzen, von 3cm - ein teenager aber mit einer Lebenserwartung von über 15 Jahren. Dem Rat eines Spinnenhalters folgend, war dies auch gleich eine Art, mit selbstbewusstem Temperament. Das Terrarium stattete ich übervorsichtig auch gleich noch mit einem zu verschließenden kleinen Kasten über dem Lüftungsgitter aus, so dass ich im Falle eines Falles selbst das Füttern ohne das Öffnen der Scheiben hinter mich bringen konnte.
Die Post brachte sie dann in einem Päckchen. Kurioserweise wird ein Großteil des Vogelspinnenhandels genauso abgewickelt. Täglich dürften hunderte Vogelspinnchen im Postpaket verschnürt auf dem Weg in ihre neue Heimat sein. Achtet man auf Klima, Versandtermin und Verpackung ist der Versand so unglaublich es klingt, der ideale Transportdienst für die Tiere. Schon alleine diese, sich als inneres Transportbehältnis herausstellende Filmdose, randvoll mit Küchenpapier(das soll ich da rausfriemeln während das Vieh da drin steckt??) machte mir Angst. Fast slapstickfilmreif, wie ich dann mit einem Draht durch das Lüftungsgitter des Terrariums an dem Küchenpapier herum nestelte um die Kleine langsam offenzulegen. Die erste Schicht war draußen und da war auch schon das Abdomen, also der Hinterleib, zu sehen. Schwarz mit längeren rötlichen Haaren.
Eindeutig Zeit vor die tür zu gehen und erstmal eine zu rauchen. Zurück am Terra versuchte ich weiter mittels des Drahtes, das restliche Papier herauszubekommen.. aber da war wegen mieser Technik nichts zu machen. Also musste ich wohl oder übel die Tür öffnen und mit der extralangen 45cm Pinzette hantieren.
Zusammengefasst: Ich brauchte ca 20min und mehrere Versuche das Papier herauszuschaffen. Die Spinne hatte sich bis dato nicht bewegt, ich ging sogar von einem toten Passagier aus. aber dann...
kam schleichend Beinchen für Beinchen tastend zum Vorschein. Majestätisch schritt sie aus ihrem Transportbehältnis, sah mich mit ihren Augen an (oder zumindest in meine Richtung) und verkroch sich direkt in den Unterschlupf in Form eines hohlen Baumstamms, den sie wunderbarerweise prompt als ihr neues Zuhause ansah. Es blieb nur noch zu hoffen, dass sie meine furcht nicht registrieren würde. Nicht, dass sie noch auf den Gedanken gekommen wäre, sie hielte sich einen Menschen in einem 25qm Terrarium.
Über die Tage Wochen Monate und Jahre lebten wir von da an nebeneinander. Ich zog sie von der Jungspinne zum ausgewachsenen Männchen von über 8 cm Körperlänge heran. Ich besorgte ihr Heimchen, Heuschrecken und opferte hunderte dieser possierlichen Tierchen auf dem spinnenaltar.
Auch mal eine Maus, aber das blieb beim einen mal. Ich durfte sie dafür beobachten, betrachten und dadurch lernen. Je länger unsre Partnerschaft andauerte, desdo mehr verringerte sich meine Angst. Ich begann Spinnen am Fenster nicht mehr als Invasoren zu betrachten, ein geschlechtsreifes Männchen einer Hausspinnenart nach Entdeckung nicht zu vernichten, sondern es zu fangen und auszusetzen - was übrigens zumindest bei der fenster methode oft nichts bringt: auf 30 meter kommen sie in der regel zurück!
Spinnen in den Ecken meiner Wohnung verkündete ich durch Understatement, das mein Haus das Ihre sei. Wobei ich diese Genossensahe dann doch wieder umstrukturieren musste, sie hatten mich offenkundig zu wörtlich genommen. Zwar funktionierte die Sache mit Mücken fangen nach Plan, aber wo es sich gut lebt da wird sich vermehrt, was auch für meine neuen Freunde galt. Irgendeine der dicken dünnen Spinnchen musste dann geworfen haben. Aus dem dadurch entstandenen Kokon brachen nach einiger zeit die neuen Generationen auf, die letzten Winkel meiner Behausung zu kolonisieren. Mal trippelte ein Spinnenbabykolonist neben dem Schreibtisch entlang, mal nistete einer im Papiermüll. Aber erst der Spinnenfreund der sich sein Netz über Nacht in
der Kloschüssel gesponnen hatte, kühlte meine neu erschaffne Liebe wieder auf ein akzeptables Maß ab. Stand heute kann ich sagen dass meine Phobie Geschichte ist. Zwar zucke ich noch hin und wieder sehe man eine unerwartet, aber das sind für mich eher Verhaltensreflexe, immerhin auch über Jahrzehnte eingeübt und erlernt.
Eine Spinne hatte mich von der Angst vor Spinnen befreit - ein ausbaufähiger Gedanke!
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2010
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