Cover

Autorenreihe (AR) 004:

Der

Hexenpakt

Carol East

»Edith will heiraten – doch die Hexe hat was dagegen!«

 

Edith steht allein vor dem Traualtar. Ihr Bräutigam kommt nicht. Die Hochzeit muss komplett abgeblasen werden. Was ist geschehen? Was oder wer hat ihn aufgehalten? Edith geht es danach sehr schlecht. Sie ist dem Tode näher als dem Leben. Ihre Freunde und vor allem ihre gute Tante tun alles, um Licht in das Dunkel zu bringen. Dabei begeben sie sich jedoch selbst in große Gefahr…

Impressum:

Urheberrecht by Autor

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de.

Diese Fassung:

© 2014 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: wah@HaryPro.de

 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

 Coverhintergrund: Anistasius

Titelbild: Thorsten Grewe

1

Immer, wenn Edith Berger daran denken musste, wie alles begann, kamen ihr unwillkürlich die Tränen. Allerdings waren es keineswegs Tränen der Trauer, sondern Tränen der Rührung, in die sich neuerdings jedoch ein ungewisses Gefühl der Unsicherheit mischen wollte. Dabei erinnerte sie sich gern an jenes kleine, verträumte Bergdorf, wo sie als junge, selbstbewusste Dame Urlaub vom Stadtleben gemacht hatte. Da war sie noch „unabhängig“ gewesen, wie sie es stets ausdrückte. Bis sie IHM und damit ihrem Schicksal begegnet war: Peter Berger!

Eine geheime Magie schien von diesem Mann auszugehen, eine Magie, die sie in seinen Bann zog und nicht mehr losließ - bis heute nicht.

Es waren die glücklichsten und auch noch aufregendsten Tage ihres Lebens geworden. Dabei hatte sie doch in diesem kleinen, verträumten Bergdorf Ruhe und Einsamkeit gesucht...

Peter hatte sie total verzaubert. Dieser gutaussehende, hochgewachsene Mann mit der männlichen Figur und dem jungenhaften Lachen... Sein Alter war unbestimmbar. Er hatte die Reife eines Älteren, aber manchmal den jungenhaften Übermut eines Studenten, der erst noch erwachsen werden musste. Dabei war Peter ganz und gar erwachsen: Mehrmals war Edith dabei gewesen, wenn er mit einem seiner Büros telefonierte. Peter war ein erfolgreicher Unternehmer mit einer guten Portion Macht und Einfluss auf das Wirtschaftsleben des ganzen Landes. Als kleiner Wirtschaftsberater hatte er angefangen, um sich im Laufe von nur wenigen Jahren eine ganze Kette von gutgehenden Beratungsbüros einzurichten. Zu ihm kamen Repräsentanten von Handel und Industrie, und Peter war um einen guten Rat niemals verlegen.

Nicht das war es allerdings, was Edith an ihm so faszinierte, nicht der sichtbare Erfolg, der sicherlich nicht nur auf seinem Können, sondern vor allem auf seiner unbeschreiblichen, fast magisch zu nennenden Ausstrahlung beruhte. Gewiss, diese Ausstrahlung hatte sie zunächst vollkommen in seinen Bann geschlagen. Vielen mochte es bei ihm so ergehen, aber Edith hatte sehr schnell den Menschen dahinter entdeckt und vor allem - den liebenswerten Mann.

Ja, es war die echte Liebe, die sie für ihn empfand. Dabei brauchte er nur in ihre Nähe zu kommen, um ihr Herz höher schlagen zu lassen.

Bei ihm wurde sie nervös und wurde aus der selbstbewussten, schönen und auf die meisten so unnahbar wirkenden jungen Dame ein liebevolles, zärtliches Mädchen, das sich nichts sehnlicher wünschte, als für alle Ewigkeit in seinen starken, beschützenden Armen zu liegen.

Außerdem hatte es bislang keinerlei Gründe gegeben, kein Vertrauen zu Peter zu haben, denn er blieb nur sehr kurz für Edith ein Fremder.

Sie war weder weltfremd, noch zu verträumt, um nicht sogleich Nachforschungen über jemanden anzustellen, mit dem sie soviel verband. Dabei hatte sie nur Positives in Erfahrung gebracht, einschließlich der Details seines kometenhaften Aufstiegs.

Als Peter sie dann nach dem Traumurlaub wiedergetroffen hatte, war der schönste Traum ihres Lebens sogar noch weitergegangen: Sie hatte schon befürchtet, ihn, den vielbeschäftigten Unternehmer, so schnell nicht wiederzusehen, und jetzt machte er ihr sogar einen Heiratsantrag! Worte, die sie nie mehr in ihrem Leben vergessen würde:

„Willst du meine liebe Frau werden, Edith? Ich liebe dich über alles und kann mir ein Leben ohne dich einfach nicht mehr vorstellen!“

„Aber... wann...?“ hatte sie gestottert, von dem Antrag total überrumpelt.

„So schnell wie möglich!“ war seine Antwort gewesen, „denn wie könnte ich länger ohne dich sein als es unbedingt nötig ist?“

Anschließend war einer seiner jungenhaften Scherze gefolgt: „Außerdem heißen wir beide mit Nachnamen Berger. Welch ein Zufall... Und dadurch wird sich für dich überhaupt nichts ändern!“

Lachend hatte sie eingewilligt. Sie hatten sich umarmt und geküsst.

Sie spürte immer noch seine zärtlichen Hände, wenn sie nur daran dachte, und wünschte sich, es würde nie mehr anders sein als in jenem Augenblick. Ein tiefempfundenes Glücksgefühl, das nicht mehr endete, während der ganzen Vorbereitungszeit für die Hochzeit nicht. Und heute würden sie endlich vor den Traualtar treten.

Eigentlich hätte Edith dessentwegen jubeln sollen, aber jetzt betrachtete sie sich im Spiegel und konnte es nicht fassen: Woher kamen bloß die plötzlichen Bedenken? Was hatte sie übersehen? Was hatte sie falsch gemacht? Oder bildete sie sich etwas ein, was gar nicht war und nur unnötig ihr Glück gefährdete?

Ja, sie verspürte in diesem Augenblick regelrecht Angst. Es war ihr unerklärlich und peinigte sie. Als würde ein enger Reif ihre Brust umschließen, um sie immer enger zusammenzudrücken, dass ihr das Atmen schwer fiel und ihr Herz schnell und nervös zu schlagen begann.


2

„Damals, als alles begann...“, sagte sie leise. „Dabei ist es erst wenige Wochen her, dass wir uns kennen und lieben lernten!“

Kopfschüttelnd wandte sie sich vom Spiegel ab. Sie zupfte an dem Hochzeitskleid herum, in das sie ohne Hilfe weder hinein, noch heraus konnte. Mit kleinen Schritten, wie es das noch unvollständig gesteckte Kleid gerade zuließ, ging sie zur Tür und öffnete sie.

Die beiden Helferinnen, die sie für ein paar Minuten hinausgeschickt hatte, um einmal mit sich und ihren schweren Gedanken allein zu sein, schauten ihr erwartungsvoll entgegen. Sie nickte ihnen lächelnd zu: „Meinetwegen kann es weitergehen!“

Sie erwiderten das Lächeln. Sogleich fingen sie wieder an zu schnattern und taten gerade so, als ginge es zu ihrer eigenen Traumhochzeit und nicht zu der von Edith.

Im großen Schlafzimmerspiegel betrachtete Edith das Kleid, während die beiden Frauen mit sachkundigen Griffen daran arbeiteten. Gemeinsam hatten sie dieses Kleid ausgesucht: Edith und Peter, und Edith hatte in ihrem ganzen Leben noch kein Kleid gesehen, das ihr auch nur annähernd so gut gefallen hätte. Dabei war es auch noch das teuerste, das sie sich vorstellen konnte.

„Nein, es hat keinen Zweck!“ Sie hörte ihre Worte noch so, als hätte sie es eben erst gesagt: „Ich bin schließlich keine teure Prinzessin, der ein solches Kleid als einziger zustünde.“

„Doch, das bist du - eine Prinzessin! Nicht nur für mich!“

Welche Frau hörte das nicht gern? Und sie hatte sich nicht mehr länger gesträubt und hatte nachgegeben. Sogar ihre altmodischen Bedenken, dass es stets Unglück brachte, wenn der Bräutigam das Hochzeitskleid vor der Hochzeit zu Gesicht bekam oder sogar selbst mit aussuchte, hatte sie verdrängt. Bei Licht besehen: Eigentlich hatte sie sogar recht wenig Mitspracherecht geltend gemacht. So war es in erster Linie Peters Kleid und nicht das ihre.

Jetzt habe ich es, dieses Kleid, das mich zur glücklichsten Braut der Welt machen müsste! dachte sie - über ihre eigenen Zweifel aufs tiefste bestürzt. Und wo kommen bloß diese dummen Gedanken her?

„Hat - mein Verlobter inzwischen einmal angerufen?“ fragte sie die beiden Frauen.

Sie verneinten.

Ist es das? grübelte sie weiter. Mache ich mir Sorgen, weil er sich nicht meldet, obwohl er längst hier sein wollte, um seine Traumbraut zu besichtigen, wie er es immer scherzhaft sagt?

Was kam dazwischen?

Sie schüttelte den Kopf. Jetzt schienen die beiden Frauen erst zu verstehen, dass sie sich sorgte.

„Er wird geschäftlich verhindert sein“, vermutete die eine.

Die andere fügte beruhigend hinzu: „Ein vielbeschäftigter Mann, das ist Herr Berger, und er meldet sich, sobald er kann.“

Also gut, nahm Edith sich fest vor, ich bin jetzt ganz ruhig und konzentriere mich auf die bevorstehende Hochzeit. Alles ist vorbereitet. Ich brauche mich um nichts mehr zu kümmern. Das verdanke ich Peter. Ich brauchte nur einen Wunsch zu äußern - und schon erfüllte er ihn mir. Wie der Prinz im Märchen. Dabei sieht er auch noch aus wie der sprichwörtliche Prinz.

Ein Lächeln erschien auf ihrem feingeschnittenen Gesicht - ein Lächeln, das ihre jugendliche Schönheit unterstrich.

Edith hatte sich nie etwas daraus gemacht, dass sie schön war. Sie hatte niemals daraus irgendwelche persönlichen Vorteile gezogen.

Alles, was sie in ihrer beruflichen Karriere erreicht hatte, war ein Produkt von Fleiß und Können. Deshalb erschien sie auch so vielen als unnahbar und kühl. Ein Ruf, den Edith in keiner Weise zu entkräften half. Sie war sogar ganz froh darum, denn dadurch wurde sie nicht so belästigt, wie sie es bei anderen Frauen schon erlebt hatte. Man ließ sie in Frieden ihre Arbeit tun. Es war das, was sie sich wünschte.

Mehr nicht. Dabei war Edith als blutjunge Personalchefin der Firma KopKa und Co. sehr beliebt, weil sie sich stets bemühte, gerecht zu handeln und sich für das Personal oft genug sogar gegen den Willen der Firmenleitung erfolgreich durchsetzte, falls erforderlich.

Edith schöpfte tief Atem.

„Vorsicht!“ rief eine der beiden Helferinnen erschrocken, „ich stecke gerade die Nadeln.“

Sinnend folgte Edith mit den Blicken den reichen Stickereien, die geschmackvoll-harmonisch zueinander passten und dem Prachtkleid die besondere Note gaben. Mit den aufwendigen Applikationen fügten sie sich zu einer vollendeten Komposition des Formenreichtums.

Wenn überhaupt, dachte Edith, dann hat dieses Kleid nur einen einzigen Nachteil: Es ist sehr schwer.

In diesem Augenblick läutete das Telefon draußen. Edith erschrak regelrecht.

Eine der Frauen sprang auf und eilte zur Tür. „Das ist gewiss Ihr Verlobter.“

Edith wagte es gar nicht mehr zu hoffen. Dennoch lauschte sie gespannt nach draußen.

Die Helferin meldete sich. Anschließend kam sie mit dem Apparat in der Linken und dem Hörer in der Rechten zurück. „Reicht das Kabel?“ fragte sie strahlend.

„Wer ist es?“

„Ihr Verlobter - wie schon vermutet.“

„Bringen Sie nur her. Das Kabel ist lang genug.“

Edith meldete sich mit einem Zittern in der Stimme, das sie nicht unterdrücken konnte.

„Hallo, Liebes, wie weit bist du?“

Seine Stimme klingt verändert! dachte Edith, aber die Freude über den Anruf verdrängte es sogleich.

„Fast fertig!“ antwortete sie fröhlich. „Es ist schon eine recht langwierige Prozedur, in dieses Kleid zu steigen. Aber ich nehme alle Marter auf mich, weil ich weiß, dass es sich lohnt.“

„Ja, Liebes, heute lohnt es sich ganz besonders.“

Jetzt konnte Edith doch nicht an sich halten zu fragen: „Was ist los, Peter? Warum bist du noch nicht gekommen?“

„Deswegen rufe ich an, Liebes: Ich bin aufgehalten und kann dich leider auch nicht abholen kommen. Sag, deine Tante kommt doch heute?“

„Ja, sie kommt direkt hierher und möchte dich eigentlich noch vor der Hochzeit endlich kennen lernen.“

Peter ging auf den unverhohlenen Vorwurf gar nicht ein: „Bestelle ihr schöne Grüße von mir und küsse sie in meinem Namen!“

„Oh, das lasse ich lieber bleiben“, lachte Edith. „Du weißt doch, was Tantchen von Männern hält: gar nichts!“

„Und du?“

Wieder dieser seltsame Unterton in seiner Stimme, den sich Edith beim besten Willen nicht erklären konnte.

„Ich halte nur von einem einzigen Mann etwas, wie du weißt“, scherzte sie: „Von dir!“

„Man möchte gar nicht glauben, dass die Tante dich ganz allein großzog.“

„Sie ist eine großartige Frau und gewährte mir auf all meinen Wegen die optimale Unterstützung. Ich verdanke ihr sehr viel, und heute bin ich auch froh, dass sie mich immer ganz massiv vor den Männern gewarnt hat. Dadurch blieben mir viele Enttäuschungen erspart.“

„Glaubst du?“

„Was soll das heißen?“ erkundigte sich Edith ernüchtert.

„Ich will alles tun, dass es niemals für dich eine Enttäuschung geben wird, Liebes, alles, was in meiner Macht steht. Ich liebe dich so sehr. Ich habe das Gefühl, es reißt mir das Herz aus der Brust, nur weil ich nicht bei dir sein kann, in diesen so wichtigen Stunden. Vielleicht ist dieser Tag sowieso der wichtigste Tag in unserem ganzen Leben?“

„Ja, das ist er ganz bestimmt!“ entgegnete sie warm. „Bitte, Liebling, beeile dich - was immer dich auch aufhält!“

„Das verspreche ich dir, Liebes: Ich verliere keine Sekunde unnötig!“

„Kommst du noch vor der Abfahrt oder...?“

„Deshalb erwähnte ich deine Tante: Ob es ihr wohl etwas ausmacht, wenn sie dich zur Kirche bringt - statt meiner?“

„Sicherlich nicht, Peter. Obwohl... Na ja, ich habe vollstes Verständnis, auch wenn dies ganz unser Tag sein sollte.“

„Gewiss, das sollte er - und wird er auch! Wir treffen uns vor der Kirche, Liebes. Ich warte sehnsüchtig auf die schönste Braut der Welt und - meines Lebens.“

Als er aufgehängt hatte, grübelte Edith über diesen Satz immer wieder nach: „Die schönste Braut der Welt und - meines Lebens!“

Klang es nicht eigenartig? Was bedeutete es? Gar nichts? War es einfach nur so dahingesagt, ohne besonderen Grund? Und alles andere, was er gesagt hatte? Einiges hatte irgendwie doppeldeutig geklungen.

Der Anruf hatte Ediths Zweifel keineswegs zerstreut, sondern sogar noch verstärkt. Es fiel ihr jetzt erst auf, dass sie überhaupt nicht gefragt hatte, wo Peter denn zu erreichen war, falls sich sein Kommen doch noch weiter verzögern sollte.


3

An einen dachte Edith in diesen Augenblicken überhaupt nicht: an Harald Eiken. Dafür ging Harald die zukünftige Frau Berger nicht mehr aus dem Sinn.

Sie waren Jugendfreunde. Wann immer Edith einen Begleiter gebraucht hatte, ob für das Theater oder für sonst einen Anlass, war Harald gern zur Stelle gewesen. Er liebte Edith insgeheim, obwohl es - für ihn bedauerlich - sehr einseitig geblieben war.

Zweimal hatte er Edith einen Heiratsantrag gemacht, und jedes mal hatte er dabei einen liebenswürdigen Korb bekommen. Dennoch war er Edith keinen Augenblick böse darum. Seine Zuneigung war ungebrochen geblieben.

Wenn auch kein Liebespaar, waren sie doch all die Jahre sehr gute Freunde geblieben, wie es bessere gar nicht geben konnte. Daher war Harald auch der erste gewesen, dem Edith nach ihrem Urlaub in den Bergen von ihrer großen Begegnung mit Peter erzählt hatte.

„Und stell dir vor, Harald“, hatte sie am Telefon ihre Erzählung beendet, „er hat sogar denselben Nachnamen wie ich. Also, wenn das kein gutes Omen ist!“

Eigentlich war ihm Edith nie zuvor abergläubisch erschienen, aber Harald hatte sich alles ganz ruhig angehört und... hatte sich dabei seine eigenen Gedanken gemacht. Vieles an der Sache gefiel ihm nicht, obwohl er sich hütete, es gegenüber Edith direkt anzusprechen. Ganz im Gegenteil hatte er Edith alles Gute der Welt gewünscht - und auch, dass all ihre Träume im Zusammenhang mit diesem Peter Berger wahr wurden.

Soeben war Harald dabei, sich für die Hochzeit schick zu machen. Zum ersten Mal würde er Peter Berger begegnen, und Harald war natürlich sehr neugierig auf den Auserwählten der Braut.

„Liebe ich Edith wirklich?“ fragte er sich laut und forschte in seinem Spiegelbild, als würde er dort die Antwort auf diese Frage finden. Das vertraute, männlich-markante Gesicht mit den ernst dreinblickenden Augen blieb die Antwort schuldig.

„Ich weiß es nicht!“ antwortete er sich selbst. „Edith ist mein bester Freund - ein so guter Freund, wie ich nie einen sonst hatte. Edith ist der Mensch, mit dem ich die berühmten Pferde stehlen könnte, und wir sind uns so nahe, wie es zwischen zwei Menschen nur geht - zwei Menschen, die kein Paar sein können. Aber liegt das wirklich nur an Edith, oder war ich bei den beiden Absagen nicht vielmehr heimlich froh gewesen, dass kein wirkliches Paar aus uns wurde?“

Eindeutig war eigentlich nur eines: Wenn beide - Edith und er - einst ihre Ehepartner gefunden hatten, war diese Frage ein für allemal geklärt. Vorher würde es immer noch Zweifel geben.

Harald ahnte nicht, dass auch Edith ihre Zweifel hatte - ausgerechnet heute, an ihrem Hochzeitstag. Allerdings dachte sie dabei nicht an ihren Jugendfreund Harald, sondern war einfach nur verwirrt ob ihrer Zweifel.

Harald rückte seine „Fliege“ zurecht und sagte trotzig: „Edith, werde glücklich, von heute an. Ich gönne es dir aus ganzem Herzen, und ich gebe dabei gern zu, dass ich Peter Berger das Glück keineswegs neide, dir zu gehören. Es wäre nicht recht von mir. Ich habe keinerlei Ansprüche auf dich - außer den Ansprüchen, die ein Freund einem Freund gegenüber haben könnte. Daher wünsche ich mir, dass durch die Ehe mit Peter unsere Freundschaft keinen Schaden erleidet.“

Er runzelte nachdenklich die Stirn. „Oder wird es unvermeidlich sein, dass die Freundschaft zerbricht?“

Nein, im Spiegel konnte er darauf nun wirklich keine Antwort finden. Nur die Zeit konnte es erweisen.

Harald schritt zur Tür. Er zögerte kurz, die Hand auf der Türklinke ruhen lassend, aber als er dann entschlossen öffnete, war es die Entschlossenheit eines Mannes, der einen neuen Abschnitt in seinem Leben beginnen wollte.

„Gut, sehe ich mir halt den Bräutigam einmal an. Aber eines wirst du mir zugestehen müssen, Edith: Wenn ich der Meinung bin, der ist nicht der Richtige für dich, werde ich alles tun, um es dir klarzumachen. Dabei denke ich nicht an mich, sondern ausschließlich an dich. Vertrau mir! Das ist, worum ich dich bitte, Edith. Denn du wirst niemals einen besseren Freund als mich finden. Dies ist mein heiliges Versprechen.“

Harald ging mit diesen Worten zu seinem Wagen. Er war zu allem bereit und spürte keinerlei Nervosität mehr, wenn er daran dachte, dass die Frau seines Lebens jetzt mit einem anderen vor den Traualtar treten würde.


4

Soeben drehte sich Edith noch einmal prüfend vor dem hohen Spiegel. Sie konnte mit ihrer Zustimmung wahrlich zufrieden sein: Das Hochzeitskleid war und blieb ein absoluter Traum. Und als sie die leuchtenden Augen der beiden Helferinnen sah, war das nur noch die letzte Bestätigung, die sie brauchte.

Da läutete es an der Wohnungstür.

Edith wollte schon hineilen, um zu öffnen, aber das Kleid behinderte sie zu sehr. Deshalb war eine der Helferinnen schneller.

Tante Martha stand vor der Tür. Sie machte ein todernstes Gesicht, als sei der Anlass des heutigen Tages ein eher trauriger.

„Na, na!“ tadelte Edith und drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger. „Was hast du mir versprochen, Tante Martha? Keine Hetze mehr gegen alle Bräutigame der Welt. Wenn ich allerdings deine Miene so sehe...“

Die Tante war eigentlich gar nicht so, wie sie den meisten Menschen erschien: knöchern, altbacken, gefühllos und vor allem - unnachsichtig. In Wirklichkeit war sie eher sehr gefühlvoll, und niemand konnte das besser beurteilen als Edith, die von ihrer Tante großgezogen worden war, nachdem die Eltern bei einem Autounfall beide ums Leben gekommen waren.

Tante Martha war mehr als nur ihre Tante: Sie war ihre Mutter, ihr Vater, ja ihre ganze Familie gewesen - für sehr schöne Jahre, in denen Edith an nichts gefehlt hatte - vor allem nicht an Herzenswärme. Obwohl Tantchen nach einer Reihe von Enttäuschungen in ihrer Jugendzeit und vor allem nach der „moralischen Verurteilung“ durch all ihre damaligen Bekannten und Verwandten, scheinbar zu einer regelrechten Männerhasserin geworden war.

Aber Edith wusste auch das besser: In Wahrheit hatte sich ihre Tante immer nach dem einzigen Mann gesehnt, leider jedoch niemals das Glück besessen, ihm zu begegnen.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 11.12.2023
ISBN: 978-3-7554-6358-0

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Die Autorenreihe beinhaltet speziell ausgewählte Romane von erfolgreichen Autoren in ganz unterschiedlichen Genres der Fantastik!

Nächste Seite
Seite 1 /