Cover

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band ist jederzeit nachbestellbar.

 

TEUFELSJÄGER 042

 

Dämon ohne Gesicht

W. A. Hary:

Er ist das personifizierte Grauen!“

 

May Harris blinzelte in die gleißende Helligkeit auf der Sonnenterrasse des Hotels. Sie wusste selbst nicht, was sie aufmerksam gemacht hatte, aber sie blickte zum Ausgang hinüber. Der Mann, der zu ihr herüber sah, wirkte wie ein Dämon. Eine Kreatur im Smoking, von kleinem Wuchs. Der Schädel war unproportional groß. Dieser dämonische Mann maß höchstens fünf Fuß, der Kopf hätte eher zu einem Riesen ge­passt: dichtes, gewelltes Haar, widerborstige, buschige Augenbrauen, der Blick eines Wahnsinnigen oder eines Genies, überbreiter, schmallippiger Mund, große, nach außen gebo­gene Nase und ein breites Kinn wie das eines Nussknackers...

 

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2015 by www.HARY-PRODUCTION.de

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

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eMail: wah@HaryPro.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Coverhintergrund: Anistasius

Lektorat: David Geiger

 

1


May Harris sprang von der Liege und rannte quer über die Terrasse auf dem Dach des großen Gebäudes. Es herrschte viel Betrieb, doch kaum jemand achtete auf May Harris. Der Dä­monische wandte sich ab und verschwand durch den Ausgang. Sie hatte ihn erkannt: Bruno de Fries! Als sie ihm das letzte Mal begegnet war, hatte das unter sehr schlimmen Vorzeichen statt­gefunden.

May hatte den Ausgang er­reicht. Mit einem wütenden Ruck riss sie die Tür auf und sprang in das Treppenhaus. Es dauerte Se­kundenbruchteile, bis ihre Augen sich an das hier herrschende Dämmerlicht gewöhnt hatten. Von Bruno de Fries fehlte jede Spur.

Ärgerlich wandte May sich an den Fahrstuhl. Die aparte, jugendlich wirkende Frau sah, dass der Lift sich nicht bewegte. Die Kabine stand einige Stock­werke tiefer. Und die Treppe? Kein Laut war zu hören.

Hinter May Harris entstand ein Zischen. Sie wirbelte herum. Mit­ten in der Luft rotierte ein Licht, wie durch einen technischen Trick verursacht, doch May Har­ris, die Weiße Hexe, spürte die Anwesenheit von Schwarzer Ma­gie! Die Tür zur Terrasse flog mit einem Knall ins Schloss, wie von Geisterhand bewegt. Aus dem Zischen wurde ein irres Kreischen, das sich rasch die Tonleiter hinauf schwang und dann abriss. Das rotierende Licht explodierte und drang mit bru­taler Macht in May Harris' Den­ken ein. Jedenfalls versuchte es das. May Harris wurde von den Beinen gefegt und krachte auf die Treppe. Haltlos kullerte ihr Kör­per abwärts. Sie krümmte sich geistesgegenwärtig zu­sammen. Gleichzeitig wehrte sie mit ihren weißmagischen Kräften den Angriff ab. Um sie herum schien sich die Hölle zu öffnen. Alles Licht wurde verschlungen. Sie spürte zwar die Treppe, sah aber nichts als Schwärze. May Harris war geübt im Kampf gegen die dämonischen Mächte. Ein sol­cher Angriff konnte sie nicht um­bringen. Außerdem hatte sie das Glück besessen, auf die Treppe zu fallen und sich dadurch zu entziehen. Jeder andere hätte sich sämtliche Knochen im Leib gebrochen. Nicht so May! Wunden regenerierten sich bei ihr in wahnsinnigem Tempo. Erst ein Stockwerk tiefer kam May Harris zum Liegen.

Sie rührte sich nicht und schaltete ihre Gedanken ab. Jetzt wirkte ihr Körper wie tot. Prompt spürte sie ein schmerzhaftes Tasten in ihrem Schädel. Die Schwarze Macht wollte wissen, ob der Angriff gelungen war. May Harris spielte die Tote oder zu­mindest die Bewusstlose, obwohl sie hellwach war. Ihr Körper schmerzte höllisch, doch May wagte es nicht, ihre weißma­gischen Kräfte zur Regenerierung gleich einzusetzen. Erst wollte sie die weitere Entwicklung abwarten.

Das forschende Tasten zog sich wieder zurück. May Harris hörte Schritte, die sich langsam nä­herten. Sie hätte jetzt gern die Augen geöffnet, doch das war zu riskant. Vorsichtig schickte sie ih­re magischen Fühler aus. Vor ihrem geistigen Auge entstand ein diffuses Bild: ein hoch ge­wachsener, schmaler Mann, ohne Kopfbedeckung. Wo andere ihr Gesicht hatten, war bei ihm nur ein schwarzer Fleck.

Bruno de Fries war nur ein Trugbild gewesen, um sie in die Falle zu locken!

Der Unheimliche näherte sich. Seine Hände steckten in schwarzen Handschuhen. Der Unheimliche beugte sich über May Harris. Sie musste ihre Füh­ler sofort einziehen, um sich nicht damit zu verraten. Mit einer bru­talen Bewegung warf der Unheim­liche May Harris herum. Wo die Berührung stattfand, brannte die Haut wie Feuer. May Harris kam auf den Rücken zu liegen. Sie schien nicht mehr zu atmen. Ihr Gehirn war leer und ohne Ge­danken. Die Augen waren ge­schlossen und die Lider zuckten nicht. May Harris wirkte tat­sächlich wie tot. Da tat der Un­heimliche etwas Entsetzliches. Sein dämonischer Geist bohrte sich in May Harris wie ein Flammenschwert. Im Nu fing ihr Leben Feuer, um ihr Dasein von innen heraus zu verbrennen und sie für immer zu vernichten.

Der Unheimliche lachte schrecklich, richtete sich auf und schritt davon, in dem Bewusst­sein, dass von May Harris noch nicht einmal ein Häufchen Staub übrig bleiben würde. Seine Macht reichte dazu aus.


*


Lord Frank Burgess, der lang­jährige Freund von Mark Tate, dem sagenumwobenen Londoner Privatdetektiv und seiner Lebens­gefährtin May Harris, lag im Bett. Erst vergangene Nacht hatten sie das furchtbare Erlebnis in der Villa des Polizeipräsidenten hinter sich gebracht. Sämtliche ge­ladenen Partygäste, Leute aus den höchsten Kreisen Brasiliens, sollten in dieser Nacht getötet und Doppelgänger sollten auf die Menschheit losgelassen werden. Die Schwarze Mafia hatte das so gewollt. Früher war die Schwarze Mafia nie offen in Erscheinung getreten. Erst vor kurzem hatten sie überhaupt entdeckt, dass es sie gab. Doch dann war die Schwarze Mafia sehr schnell aktiv geworden. Viel zu aktiv, wie Lord Frank Burgess fand. Sie hatten die furchtbare Gefahr abwenden können, denn zu den geladenen Gästen gehörte auch ein Mann mit Namen Dr. Toy Fong, ein Engländer von anscheinend großer Bedeutung, was den Kampf gegen das Böse in aller Welt betraf, denn er war nicht nur ein direkter Nachfahr von Mark Tate (eine Vererbungslinie, die in einem seiner früheren Leben entstanden war), sondern hatte das Schicksal, Mark Tate auf Erden so lange zu vertreten, bis Mark Tate aus der jenseitigen Sphäre mit Namen ORAN zurück­gekehrt war. Toy Fong war also erst seit relativ kurzer Zeit ein Kämpfer gegen das Böse und war deshalb von der Schwarzen Mafia bislang nicht als solcher erkannt gewesen und hielt sich bis zuletzt zurück. Er war im makabren Spiel der entscheidende Trumpf, der Lord Frank Burgess und May Harris zum Sieg verhalf. Sie hatten sich anschließend in dieses Hotel hier zurückgezogen, denn von allen Mafiosi war ihnen nur einer durch die Lappen ge­gangen: Bruno de Fries. Sie hatten keine Ahnung, welche Rolle dieser dämonische Mann wirklich in diesem Spiel gespielt hatte. War er Akteur oder selber Opfer? Jedenfalls hatten sie noch ein paar Tage in Rio de Janeiro bleiben wollen.

Es war später Nachmittag, die einzige Zeit, außer dem frühen Morgen, in der man sich unge­fährdet auf die Sonnen­terrasse legen konnte - zumindest als Engländer, der dieses heiße Klima Brasiliens nicht gewöhnt war. May hatte sich nach oben auf die Sonnenterrasse begeben. Der Lord war im Zimmer ge­blieben, lag auf dem Bett und schlief. Das bedeutete bei ihm, als Magier, dass er seine »innere Batterie« auflud, die in der vergangenen Nacht über Gebühr beansprucht worden war.

Plötzlich erwachte Lord Frank Burgess. Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte, doch die Unru­he trieb ihn aus dem Bett. Er stand da und lauschte in sich hinein. May! Er sandte einen vor­sichtigen geistigen Impuls nach ihr aus. Keine Resonanz! Und dann kam der tödliche Hieb des Unheimlichen, der May Harris hatte vernichten sollen. Lord Frank Burgess, der Weiße Magier aus England, spürte es, als wäre er selber beteiligt. Das war die Folge seines Kontaktversuchs: Ein Teil der schwarzmagischen Energie traf auch ihn - und das völlig unvorbereitet. Lord Frank Burgess krümmte sich schreiend vor Qual zusammen. Gleichzeitig spaltete sich sein Ich in zwei Persönlichkeiten, aus denen es einst entstanden war: In den Lord nämlich und in seine verstorbene Frau Lady Ann, mit deren Geist er sich nach ihrem Tode ver­bunden hatte. Die Spaltung er­folgte instinktiv. Dadurch kam der Geist von Lady Ann vorüber­gehend völlig frei und war unbe­einträchtigt von den schwarzmagischen Gewalten.

Der Lord verlor das Bewusst­sein. Er hatte, ohne es zu wollen, eine gehörige Dosis beim Angriff abbekommen und damit von May weggeleitet. Doch es war immer noch genug, um May Harris zu vernichten.

Lady Ann schlug zu. Sie als ehemalige Voodoohexe hatte ein gehöriges weißmagisches Potenti­al, das sie jetzt in die Waagschale warf. War ihr Ich mit dem ihres Mannes verbunden, addierten sich beider Fähigkeiten, doch das kam jetzt nicht zum Tragen, denn die Fähigkeiten des Lords waren größtenteils spezialisiert. In diesem speziellen Fall war Lady Ann ihm haushoch überlegen. Das war auch gut so. Das Energiepotential, das der Lord ab­bekommen hatte, hätte ausge­reicht, ihn ebenfalls zu töten. Eine solche Macht steckte da­hinter. Wäre Lady Ann nicht ge­wesen! Sie griff über die magische Brücke zu May Harris hinüber und ging mit aller ihr zur Verfü­gung stehenden Kraft gegen den schwarzmagischen Tötungs­impuls vor. Dabei spürte sie, dass sie keine Chance hatte, das ma­gische Feuer, das Mays Leben in Brand gesteckt hatte, zu löschen. Sie würde vollkommen aufgelöst werden. Lady Ann musste eine andere Möglichkeit finden. Sie musste das schwarzmagische Feuer ablenken! Das war leichter gesagt als getan. Lady Ann zog sich langsam zurück und lockte dabei das schwarzmagische Feuer auf sich. Gierig leckten die un­sichtbaren und doch so verhee­renden Flammen nach ihr. Die Entfernung spielte in diesem Fall keine Rolle. Es war, als würde eine unmittelbare Berührung zwischen Lady Ann und May Harris stattfinden. Das schwarze Feuer der Vernichtung wurde von May Harris abgezogen und stürmte auf Lady Ann ein. Doch Lady Ann war kein lebendiges Wesen und gegenwärtig nicht einmal mit einem solchen verbunden. Zwar war sie an den Körper von Frank gefesselt, doch das wurde nicht ersichtlich, da Lady Ann eine Trennmauer zwischen beiden Geistern errichtet hatte. Ehe das vernichtende Feuer der Schwarzen Magie zurückkehren konnte, lief es sich tot! Doch damit war May Harris lange nicht gerettet. Um den Lord machte Lady Ann sich keine Sorgen. Sobald sie sich wieder mit seinem Geist verband, erholte er sich rasch. Ihre ganze Sorge galt jetzt nur May Harris. Sie ließ die magische Brücke zu Mark Tates Freundin erneut entstehen. May lebte noch, falls man das überhaupt noch Leben nennen konnte! Ihr Inneres erschien wie ausgehöhlt. Ihr Körper war ein Wrack.

Im ersten Moment glaubte Lady Ann, dass May sich niemals wieder erholen würde. Vielleicht würde sie für immer schwach­sinnig bleiben? Falls sie nicht doch noch starb! Es war beson­ders schlimm für Lady Ann. Sie erfüllte May mit ihren Gedanken und mit ihrer weißmagischen Kraft, doch es nutzte nichts. May rührte sich nicht. Lady Ann wusste nicht einmal, was ihr widerfahren war. Wieso lag sie vor der Treppe? Sie hatte auch keine Gelegenheit, sich näher damit zu beschäftigen, denn etwas anderes lenkte sie ab. Beinahe wäre es ihr entgangen: Ein Geräusch an der Tür. Sie zog ihre Fühler halb zurück, ließ jedoch noch immer ihre weißmagischen Kräfte regenerierend auf May einwirken. Auch wenn es so aussah, als wäre es nutzlos. Der restliche Funken Leben in May, der noch nicht vom schwarzen Feuer aufgezehrt worden war, blieb damit noch am Glühen. Sie konzentrierte sich auf die Tür und schreckte im nächsten Moment zurück. Jemand oder etwas trat ein. Der Unheimliche hatte kein Gesicht. Er war hoch gewachsen, schlank und verbreitete eine Aura des absolut Bösen. Um die Tür zu öffnen, benötigte er keinen Schlüssel. Er brauchte es nur zu wollen. Schon schnappte das Schloss und ließ ihn herein. Schnurstracks lief er zum Lord, der in seltsam verkrümmter Haltung am Boden lag. Der Mund war halb geöffnet, wie zum Schrei, die Augen blickten gebrochen zur Decke.

Der Unheimliche forschte kurz im Gehirn des Lords. Allem An­schein nach war der Weiße Ma­gier nicht mehr am Leben. Der Unheimliche hatte sich umsonst her bemüht. Er hatte den Lord genauso töten wollen wie May, doch es war anscheinend nicht mehr notwendig.

Lady Ann wusste jetzt, was May widerfahren war und sie bangte darum, dass der Unheim­liche sein Werk wiederholte. Doch dann drang aus dem schwarzen Viereck, das anstelle des Gesich­tes zu sehen war, ein brüllendes, wahnsinniges Gelächter. Der Un­heimliche wandte sich ab und stolzierte hinaus. Er wollte seine schwarzmagischen Kräfte schonen und wollte sich nicht auch noch um den Lord kümmern. Sollte er doch hier als Leiche herumliegen. Es kümmerte ihn nicht mehr. Als er das Hotelzimmer verlassen hatte, waren May Harris und Lord Frank Burgess für ihn vergessen. Er hatte Wichtigeres zu tun, denn der vernichtende Schlag gegen diese beiden war lediglich der Anfang gewesen. Er hatte noch viel Schlimmeres im Sinn! Der Unheimliche freute sich darauf.

Die junge Dame, die in diesem Augenblick auf dem Gang vor­beilief, blickte zu ihm auf und sah ein markant geschnittenes Gesicht, das sie freundlich anlä­chelte. Von dem Unheimlichen spürte sie nichts. Sie war von der Freundlichkeit des Fremden im Gegenteil sehr angetan. Es ging etwas Weltmännisches, Beru­higendes von ihm aus. Das war ein Mann, nach dem sich jede Frau sehnte, der bestimmt erfolg­reich war und seine Geliebte verwöhnte, wo es nur ging. Je­denfalls sah er so aus. Die junge Dame konnte nicht ahnen, dass es nur eine Maske war, hinter der sich die Personifizierung des Teu­fels versteckte! Sie ging weiter und würde den Fremden niemals vergessen, obwohl es das, was sie mit ihren Augen gesehen hatte, überhaupt nicht gab!

Der Unheimliche ging mit großen Schritten davon. Seine Maske lächelte noch immer freundlich, während dahinter die schlimmsten Gedanken kreisten...


2


Zur selben Zeit war noch je­mand auf der Sonnenterrasse, der für den Unheimlichen wichtig war. Sofort begab sich der Dämonische wieder nach oben. CIA-Chef Crowlay lag auf seinem Liegestuhl und blinzelte zum Horizont. Eine Stunde würde es sich noch lohnen, hier zu bleiben. Dann hatte die Sonne ihre Kraft vollends verloren und ging in der in den Tropen üblichen Schnelligkeit unter. Er blickte zur Seite. David Crowlay war nicht allein, auch was seine Kollegen betraf. Die Sonnenterrasse war dicht bevölkert, aber einige darunter waren hoch bezahlte Agenten des amerikanischen Sicherheitsdienstes. Crowlay kannte alle! Er legte sich wieder auf den Rücken und schloss die Augen. Kurz rief er sich seine klar umrissene Aufgabe ins Gedäch­tnis: Seit etwa zwei Wochen waren er und seine Männer hier im Hotel. Es gab keine offiziellen Begegnungen zwischen ihnen, doch jeder kannte jeden - innerhalb einer Aktionsgruppe zumindest. Crowlay führte alle sechs Gruppen an. Nur die Gruppenführer und er selbst kannten sämtliche Agenten, die im »Top-Class«-Hotel tätig waren. Eine Menge Aufwand, der sich allerdings lohnte. Im Zeichen der politischen Krisen auf höchster Ebene und des heimlich neu begonnenen Kalten Krieges fand ausgerechnet in diesem Hotel ein Treffen auf höchster militärischer Ebene statt: General Gardinjow und General Eclair. Beide hatten höchste Ämter entweder im Kreml oder im Pentagon. Amerikaner und Russen auf neutralem Boden in Rio de Janeiro. Die Regierung dieses Landes war informiert - allerdings nur inoffiziell. Sie wür­de sich aus allem heraushalten. Es war Aufgabe des CIA und des russischen Geheimdienstes KGB, dass alles reibungslos über die Bühne ging. Nach außen hin waren beide Generäle rein zufällig in diesem Hotel und beide traten unter anderem Namen und natürlich mit einem anderen Beruf auf: Geschäftsleute aus West und Ost.

David Crowlay seufzte herz­erweichend und drehte sich auf die linke Seite. Er konnte es sich nicht erklären, aber er war höchst nervös. Lag es daran, dass er überhaupt nicht wusste, wie viele KGB-Leute im Hotel waren? Gern hätte er die Russen er­kannt, aber die waren zu ge­schickt. Als wären die Agenten vom amerikanischen CIA allein auf weiter Flur. Ein strategisches Spiel, das dem Frieden dienen sollte, denn zwei hoch dekorierte Militärs trafen sich nicht umsonst auf neutralem Boden. Die Ge­heimdienstler sollten dafür sorgen, dass alles reibungslos über die Bühne ging. Es sprach auch nichts dagegen.

Beinahe hätte David Crowlay zu der Meinung gelangen können, sein Job hier sei langweilig, weil in Wirklichkeit keine Störungen zu erwarten seien. Doch das Un­heimliche hatte bereits zuge­schlagen und noch blieb unsi­cher, was es vorhatte. Auf jeden Fall würde David Crowlay das nächste Opfer sein. Er wusste es nur noch nicht. Er öffnete nichts ahnend die Augen und blickte auf die Nachbarliege. Seine Augen weiteten sich überrascht. Nicht, weil ihn das, was er zu sehen be­kam, erschreckte. Ganz im Gegenteil. Seine Kehle wurde schlagartig trocken und ihm wurde sehr heiß - obwohl die Sonne gerade unterging. Man konnte David Crowlay alles vorwerfen, nur eines nicht: dass er nichts von Frauen verstand! Er wäre niemals hier in Rio CIA-Chef geworden, wäre er vielleicht unzuverlässig oder dumm, aber wenn es um Frauen ging, hatte David Crowlay seine Schwächen. Dann konnte er schon einmal wichtige Aufgaben vergessen. Bislang war es nicht zu schlimmen Ausfällen gekommen, weshalb seine höchsten Vor­gesetzten noch Nachsicht üben konnten. Diesmal allerdings sah David Crowlay eine Frau, für die sich seiner Meinung nach sämtliche Schandtaten der Welt lohnten. Dieses unbeschreibliche und Sinne berauschende Geschöpf befand sich ihm so nahe, dass er bequem danach hätte greifen können, doch das hätte er niemals gewagt. Er ertappte sich dabei, dass er mit seinen Blicken ungeniert die vollendeten Körperformen ab­tastete, kurz am schwellenden und von einem Fetzchen Stoff nur unzulänglich bedeckten Busen hängen blieb, weiterstreichelte bis zum – herrje auch! - unglaublich winzigen Tanga, den scheinbar endlos langen Beinen... Nein, das gehörte sich nicht! David Crowlay schloss die Augen, weil er auf einmal den Verdacht hatte, dass die Sonne um diese Zeit vielleicht doch nicht so ungefährlich war. Mit anderen Worten: Hatte sein Gehirn vielleicht Schaden ge­nommen und begann nun Trugbilder zu erzeugen? Er öffnete die Augen wieder. Das Bild blieb.

Gerade begann die Schöne, sich zu bewegen. Was man so be­wegen nannte. Da saß auch die klitzekleinste Geste, der winzigste Fingerzeig. David Crowlay wurde von fiebrigen Schauern gebeutelt. Irgendwelche Generäle und seine Arbeit beim CIA interessierten ihn im Moment herzlich wenig. Er war viel zu sehr damit be­schäftigt, zu schlucken, obwohl das absolut nicht gelingen wollte. Seine Kehle war so trocken, als hätte er frisch abgekochten Wüs­tensand hinunter geschlun­gen.

Die Schöne war sagenhaft blond und sah ihn soeben an. Es dauerte eine Weile, bis David Crowlay das begriff und dann auch nur, weil die Blondine ihre extravagante Sonnenbrille lupfte und ihn über den Brillenrand hinweg betrachtete. Automatisch schwollen Crowlays beachtliche Muskeln auf das Anderthalbfache ihrer normalen Größe an. Crow­lay hatte die Figur eines Modella­thleten, der gerade den letzten »Mister-Preis« gewonnen hatte und noch in Hochform war. Da war kein

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 01.11.2023
ISBN: 978-3-7554-5950-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Nähere Angaben zum Autor und Herausgeber Wilfried A. Hary siehe WIKIPEDIA!

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