Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li ) ist jederzeit nachbestellbar.
Robert Gruber
Diener des Satans
…und:
W. A. Hary
Die schwarze Macht
Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de
ISSN 1614-3329
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Titelbild: Michael Mittelbach
Coverhintergrund: Anistasius
Robert Gruber
Diener des Satans
Wie mehrfach schon erwähnt: In unserem mehrbändigen Zyklus kommen nach meiner Einleitung als W. A. Hary (siehe Band 68: Asmodis) ausnahmsweise einmal nur Gastautoren zu Wort. Bis einschließlich Band 73, also dem vorliegenden Band. Alle insgesamt sechs Bände lassen ausnahmsweise einmal May Harris berichten, anstelle von Mark Tate. Falls den Lesern diese Abwechslung gefällt, können wir das gern wiederholen.
Aber freut euch nun mit mir über den Beitrag von dem bekannten Bastei-Autor Robert Gruber, mit dem ich auch schon manch anderes gemeinsam geschrieben habe!
Und dann findet ihr wieder einen Roman, original von mir selber geschrieben: Band 74, wie versprochen!
Euer W. A. Hary
Une nuit tangereuse...
Quel image!
Tanger...
Die Römer hatten diese Stadt Tingis genannt. In mehr als einer Hinsicht war sie ein Schnittpunkt zwischen den Welten.
Asmodis lauerte hier auf uns.
Der Herr der Hölle hatte uns eine Falle gestellt, uns hier her gelockt.
In seinen Einflussbereich.
Nur mit knapper Not waren wir seinen Häschern entkommen und der Schavall, Marks magisches Amulett, hatte uns dabei sträflich im Stich gelassen.
*
Die Dämmerung hatte sich wie grauer Spinnweben über die Stadt gelegt. Es war angenehm kühl geworden. Nebel kam auf und zog vom Meer her in die Stadt.
Wir aßen etwas in einem der Lokale an der von haushohen Palmen gesäumten Strandpromenade. Dann gingen wir etwas spazieren.
»Wie machen wir jetzt weiter?« fragte Mark Tate irgendwann.
Der große Teufelsjäger mal ratlos?
Das kam nicht gerade häufig vor.
Ich zuckte die Achseln. »Wer auch immer uns umbringen wollte - er wird es sicher erneut versuchen...«
»Ich fürchte, da hast du recht.«
»Aber ob es ratsam ist, mit so einer Geschichte zur Polizei zu gehen?«
»Vermutlich nicht. Gegen diesen Dr. Devil - oder sollte ich gleich Asmodis sagen? - hat die wohl kaum die richtigen Mittel.« Er deutete auf den Schavall, jenes magische Amulett, das Mark Tate stets um seinen Hals trug. »Wir hingegen hoffentlich schon.«
»Ein wirksamer Schutz war der Schavall bis jetzt nicht!« monierte ich. »Aber ich will nicht meckern. Meine Hexenkraft war auch schon effektiver...«
»Du sagst es, May!«
Ich seufzte. »Wir müssen mehr über diese Abd el-Shaitan-Legende herausfinden«, meinte ich.
»Du glaubst, dass es in der Geschichte einen wahren Kern gibt?«
»Ja. Daran gibt es für mich keinen Zweifel - genau wie an der Tatsache, dass eine Verbindung zu Dr. Devil besteht. Worin sie besteht, kann ich natürlich nicht sagen. Aber nenn mir mal jemand anderen in Tanger, der ein Interesse daran haben könnte, uns umzubringen...«
»... uns regelrecht in eine Falle zu locken!« korrigierte Mark Tate.
Ich zuckte die Achseln.
»Wie auch immer.«
Mark nickte leicht.
Er wirkte nachdenklich, schien über meine Worte noch etwas nachzudenken.
»Da ist allerdings etwas dran! Es würde bedeuten, dass wir von unserer Ankunft an beobachtet wurden...«
Eine Vorstellung, die einen nur schaudern lassen konnte. Aber exakt so musste es gewesen sein.
»Den Mann mit den leuchtenden Augen hatte ich bereits zuvor einmal gesehen«, gestand ich dann.
Mark Tate sah mich erstaunt an und fragte dann: »Wo?«
»Ganz kurz während unserer Taxifahrt. Er kam aus einem Geschäft heraus und ich wunderte mich über seinen eigenartigen, marionettenhaften Gang. Das ganze dauerte kaum eine Sekunde, dann war er in der Menge verschwunden...«
Es war müßig, darüber nachzudenken, ob diese erste, flüchtige Begegnung nun zufällig gewesen war oder nicht. Fest stand, dass wir einen tödlichen Feind gegen uns hatten, dem offenbar erhebliche übernatürliche Kräfte zur Verfügung standen.
Ein Feind, der vor nichts zurückschreckte und seine überlegenen Mittel skrupellos anwandte.
Ich sah Mark an. Seine Augen wirkten warm, hatten aber noch immer einen Rest von Geheimnis an sich.
»Wir können von Glück sagen, dass wir noch am Leben sind«, flüsterte ich.
»Ich weiß...«
»Mir zittern die Knie, wenn ich nur daran denke.«
Ich spürte seinen Arm um meiner Schulter.
»Es ist vorbei«, sagte er.
»Ja«, sagte ich und fragte mich dabei: Für wie lange?
Ich kannte die Antwort darauf.
Und sie gefiel mir ganz und gar nicht...
*
An dem weißen Sandstrand war kaum etwas los. Ein paar einheimische Jungen spielten Fußball, während die Sonne zu einem orangefarbenen, verwaschen wirkenden Fleck wurde.
Mark legte mir seine Jacke um die Schultern, als er merkte, dass ich etwas fror.
»Ich habe immer gedacht, dass das Blödsinn ist...«, murmelte ich nachdenklich, als ich auf den Nebel sah.
Er sah mich erstaunt an.
»Was?«
»Na, die Szene aus Casablanca...«
»Du meinst den Film mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann?«
»Ja. Ich dachte immer, es müsste in Wahrheit viel zu warm dafür sein, dass Bogart seinen Trenchcoat trägt. Von der Nebelszene am Schluss mal ganz abgesehen! Man denkt immer: In Afrika ist es warm. Auch im äußersten Norden dieses Kontinents.«
»Ein Irrtum.«
»Du sagst es.«
»Casablanca wurde ausschließlich in Studios gedreht!« meinte Mark. »Ich glaube nicht, dass einer der Macher je hier in Marokko war...«
»Aber sie hatten recht!«
Er lachte.
»Eigentlich kann auch nur eine Britin derart eingebildet sein, dass sie ernsthaft glaubt, Nebel dürfe es nur in London geben!«
»Ha, ha! Sehr witzig!«
Arm in Arm gingen wir an der Palmenallee entlang.
Es war schön, zwischendurch ein wenig lachen zu können. Augenblicke des Glücks, von denen ich wusste, dass sie allzu schnell vorbeigehen würden.
Die Schatten, die im Hintergrund auf uns lauerten, waren bereits zu spüren.
Unter einer großen Palme blieben wir stehen.
Der Salzgeruch, der vom Meer her kam, wirkte erfrischend.
»Ich sehe dir in die Augen, Kleines«, lächelte er.
Ich hob die Augenbrauen.
Mit einem Schmunzeln erwiderte ich: »Ich bin enttäuscht!«
»Ach!«
»Bei einem Mann wie dir hätte ich erwartet, dass er sich seine Sprüche selbst ausdenkt!«
Er verstand den Spaß.
»Manchmal greift man eben auf Bewährtes zurück!« meinte Mark Tate. »Außerdem passt es hier her...«
»Casablanca liegt doch ein Stück weiter südlich, denke ich!« sagte ich und strich mir dabei eine verirrte Strähne aus den Augen. Etwas, wogegen einfach noch kein magisches Kraut gewachsen ist.
Mark zuckte die Achseln.
»Die paar Meilen!« Er deutete zum Meer und fragte dann: »Gehen wir noch zum Strand?«
Ich nickte.
»Gut.«
Wir küssten uns und wenig später stapften wir Hand in Hand durch den weißen, feinen Sand und blickten hinaus auf die dunstige Bucht von Tanger.
»Mark...«, flüsterte ich irgendwann und der Klang meiner Stimme vermischte sich mit dem Rauschen des Meeres.
Ein Ozean wie der Atlantik war niemals wirklich still.
»Ja?«
»Ich glaube...« Ich zögerte.
»Was?«
»Ach, nichts...«
»Wie ist Ihr Name?«
»George Patterson.«
»Amerikaner?«
»Ja. Ich bin bereit jeden Preis zu bezahlen, Monsieur Marquanteur...«
»Wirklich jeden Preis, Mr. Patterson?«
Die beiden Männer saßen in einem halbdunklen Raum, der mit kostbaren orientalischen Wandteppichen ausgestattet war. Der unscheinbare Mann in den Fünzigern, der sich Marquanteur nannte, saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem kunstvoll verzierten Diwan. In seinen Augen leuchtete so etwas wie ein stiller Triumph.
Seinem Gebaren nach war er der Gastgeber.
Sein Gegenüber war hoch gewachsen und hager. In Pattersons Gesicht war kaum Farbe. Seine Lippen waren nicht mehr als ein dünner Strich und wirkten so blutleer, wie seine ganze Erscheinung. Wässrig blaue Augen blickten müde auf den Mann auf der anderen Seite des niedrigen Tischs.
Patterson schluckte.
Er saß in einem zierlich wirkenden Sessel und fühlte sich sichtlich unwohl.
»Drüben in den Staaten gehört mir eine Ölgesellschaft und eine Warenhauskette. Im letzten Jahr bin ich außerdem Teilhaber eines Unternehmens geworden, dass eine große Nummer im Geschäft mit Fertiggerichten ist...«
Marquanteur verzog das Gesicht.
»Scheint, als hätten Sie das große Los gezogen, Mr. Patterson!«
»Nur geschäftlich...«
»Ich verstehe...«
»Ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen, Mr. Marquanteur. Aber zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich ein todkranker Mann bin. Mein Arzt gibt mir höchstens noch ein halbes Jahr - und das auch nur, wenn ich mich strikt an seine Anweisungen halte.« Patterson zuckte die Achseln. »Nichts mehr zu machen. Auch der medizinische Fortschritt trifft auf Grenzen, die er noch nicht zu überschreiten in der Lage ist...« Er atmete tief durch. »Durch die Vermittlung eines Freundes kam ich an Ihre Adresse... Angeblich hätten Sie eine Möglichkeit...«
»Um Unmögliches möglich zu machen?«
»Ja, so ähnlich. Nennt man Sie nicht auch Dr. Devil?«
»Es wird so viel geredet, Mr. Patterson.«
»Trotzdem.«
»Ich bin Arzt«, sagte Marquanteur. »Ich war lange Zeit als Chirurg tätig und habe mein Handwerk diesbezüglich von der Pieke auf gelernt. Aber Sie wären kaum hier, wenn Sie die Dienste eines gewöhnlichen Arztes bräuchten...«
»Das ist allerdings war!«
»... und das, was ich für Sie tun kann, hat mit gewöhnlicher Medizin auch nichts zu tun.«
»Davon gehe ich aus, Mr. Marquanteur!«
Auf dem Gesicht des unscheinbaren, etwas untersetzten Mannes erschien ein schwer zu deutendes Lächeln.
In seinen Augen blitzte es auf eine Weise, die einen aufmerksamen Beobachter misstrauisch gemacht hätte...
Patterson beugte sich etwas vor.
»Ich möchte am Leben bleiben! Verstehen Sie das? Es ist mir ganz egal, wie!«
»Was ich für Sie tun kann, geht weit in den Bereich dessen hinein, was man Okkultismus nennen könnte«, erklärte Marquanteur.
»Ich bin bereit, an alles zu glauben, was mir hilft!« erklärte Patterson. »Die Todesangst nagt schon zu lange an mir... Es ist zermürbend, zu wissen, dass alles bald zu Ende gehen wird... All das, was ich mir in den ganzen Jahren aufgebaut habe... Es wird mir unter den Fingern zerrinnen! Ich versuche, es festzuhalten und weiß doch, dass ich es nicht werde mitnehmen können...« Er schluckte.
Marquanteurs Lächeln war grausam.
»Sie glauben, dass man sich das Leben kaufen kann!«
»Ist es nicht so?«
»Sie sind bei mir durchaus an der richtigen Adresse...«
»Dann bin ich ja beruhigt!«
»Das freut mich für Sie! Meinen Preis habe ich Ihnen genannt. Ich will Bargeld!« Und vielleicht auch noch mehr! setzte Marquanteur in Gedanken hinzu. Vielleicht auch deine Seele oder das, was du armseliger Wicht dafür hältst.
Ein teuflisches Lächeln spielte um das Gesicht des Arztes.
Patterson sah es nicht.
Er wollte es möglicherweise auch nicht sehen.
Hoffnung glomm in seinen Augen.
So viel Hoffnung...
Gepaart mit Verzweiflung.
Marquanteur hingegen sah in seinem Gegenüber nur eins.
Beute.
Nichts weiter als leichte Beute, willenlos, gefügig durch die stärkste Macht, die unter Menschen wirksam sein konnte.
Die Furcht.
Patterson sagte: »Ich weiß. Unser gemeinsamer Freund sagte mir das bereits...«
Marquanteur nickte knapp.
»Um so besser...«
Patterson griff nach einem kleinen Köfferchen, das neben seinem Sessel auf dem Boden stand. Er beugte sich vor und legte das Köfferchen auf den Tisch und öffnete es. Wohlgeordnet lagen dort die Dollarnoten, jeweils zu Bündeln zusammengefasst...
Der Mann, der sich Marquanteur nannte, lächelte. Mit einer fast zärtlichen Geste fuhr er über eines der Bündel.
Dann erhob er sich und sagte: »Kommen Sie...«
»Wohin?«
»Folgen Sie mir einfach. Lassen Sie den Koffer hier...«
»Sie meinen, die Behandlung...«
»... kann sofort beginnen. Es ist alles vorbereitet!«
»Vorbereitet?«
Patterson zögerte einen Augenblick. Seine Augenbrauen zogen sich zu einer Schlangenlinie zusammen, was seinem Gesicht einen leicht skeptischen Gesichtsausdruck gab.
Er schluckte.
»Was ist?« lächelte Marquanteur und seine Stimme hatte auf einmal einen metallischen Klang. »Ist Ihr Wunsch zu leben doch nicht so groß, wie Sie behauptet haben?«
»Doch... Natürlich!«
»Noch können Sie es sich überlegen!«
»Es ist längst entschieden!« erwiderte Patterson auf eine Weise, die fest und entschlossen klingen sollte.
»So folgen Sie mir!«
Patterson gehorchte. Einen kurzen Blick noch wandte er dem Geldkoffer zu, dann folgte er Marquanteur durch eine Tür, die durch einen Vorhang verdeckt wurde. Dahinter ging es einen düsteren, kahlen Gang entlang.
Sie kamen an eine Treppe.
Steil ging es hinab in einen unzureichend beleuchteten Keller. Feucht und modrig roch es hier und Patterson schauderte. Unwillkürlich fühlte er sich an eine Totengruft erinnert.
Unten angekommen ging es abermals durch einen engen Gang, der schließlich an einer massiven Holztür endete.
Marquanteur wandte sich an Patterson. Die schlechte Beleuchtung sorgte dafür, dass der Großteil seines Gesichtes im Schatten lag.
»Gehen Sie in diesen Raum...«
»Und dann?«
»Warten Sie einfach ab, Mr. Patterson...«
»Aber...«
»Tun Sie, was ich sage!«
Marquanteurs Worte waren in einem Tonfall gehalten, der keinerlei Widerspruch erlaubte. In Pattersons Augen leuchtete Furcht. Furcht vor dem nahen Tod auf der einen Seite...
Aber auch Furcht vor dem, was hinter dieser Tür auf ihn wartete...
Beides schien sich in etwa die Waage zu halten.
»Gehen Sie!« forderte Marquanteur.
Seine Stimme hatte den Klang von klirrendem Eis.
Patterson nickte. Er berührte die Tür, die sich selbsttätig vor ihm öffnete.
Auf der anderen Seite herrschte beinahe völlige Dunkelheit.
Schaudernd betrat Patterson die Finsternis. Undeutlich glaubte er, ein paar Schatten erkennen zu können. Worauf habe ich mich nur eingelassen? durchschoss es ihn, während das blanke Grauen nach seiner Seele griff. Er versuchte das leichte Zittern zu unterdrücken, das ihn plötzlich überkommen hatte.
Und dann fiel die schwere Tür hinter ihm mit einem markerschütternden Knarren ins Schloss.
Patterson schluckte.
Er fühlte sich wie ein Gefangener.
Was mochte ihn hier erwarten?
Der Tod...
Der Gedanke amüsierte ihn fast. Der Tod würde ihn ohnehin holen. Das Urteil stand fest. Er hatte genug an ärztlichen Meinungen eingeholt, um keinerlei Zweifel mehr daran zu haben... Nein, schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Was habe ich also zu fürchten? ging es ihm durch den Kopf.
Plötzlich erschienen in einiger Entfernung zwei rot leuchtende Punkte, die beinahe wie glühende Kohlen wirkten. Ihr Licht war stark genug, um den gesamten Raum notdürftig zu erleuchten.
Patterson zuckte zusammen.
Augen! wurde es ihm klar.
Diese rot glühenden Augen gehörten zu einer Gestalt, die nur als schattenhafter Umriss erkennbar war. Der Kopf schien unter einer Kapuze verborgen zu sein und das Gewand reichte beinahe bis zum Boden...
»Hallo?« fragte Patterson unsicher.
Die Gestalt bewegte sich auf einen großen, steinernen Block zu, der im Zentrum des Raumes seinen Platz hatte. Auf diesem Steinblock stand ein Gegenstand, den Patterson erst erkannte, als die glühenden Augen seines Gegenübers dorthin leuchteten.
Ein Kelch...
»Sind Sie bereit?«
Die Stimme des Düsteren war leise und klang beinahe wispernd.
»Ja«, flüsterte Patterson.
»Wissen Sie, wer ich bin?« fragte die Stimme.
»Nein, ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass man mir versprochen hat, dass ich Leben werde...«
»Man nennt mich Abd el-Shaitan«, sagte die Stimme.
»Nie gehört. Sie sind Marokkaner?«
»Ich bin der Diener Satans...«
Der Düstere nahm den Kelch in die linke Hand und trat auf Patterson zu. Und dabei murmelte er Worte vor sich hin...
Arabische Worte, wie Patterson annahm. Die Stimme des Mannes, der sich Abd el-Shaitan nannte, hatte einen zischenden, kalten Klang, der an die Geräusche erinnerte, die eine Schlange verursachte...
Und dann schwieg er.
Plötzlich erfüllte ein seltsames Licht den Raum. Es wurde heller, obwohl die Quelle dieser Helligkeit nirgends erkennbar war...
Es wirkt beinahe wie Magie! ging es Patterson durch den Kopf. Aber hatte Marquanteur - und auch jener Freund, der ihm diesen Mann empfohlen hatte - nicht genau davon gesprochen?
Jetzt sah er, dass sein Gegenüber einen landesüblichen Jelaber trug. Er blickte angestrengt unter die Kapuze, um das Gesicht dieses geheimnisvollen Mannes sehen zu können...
Aber da schien nichts zu sein.
Buchstäblich nichts, außer purer Finsternis und zwei Augen, die wie glühende Kohlen aussahen...
Sie glühten wie eine Ahnung des Höllenfeuers.
Abd el-Shaitan reichte Patterson den Kelch.
»Trinken Sie!«
»Was?«
»Tun Sie es jetzt!«
Mit zitternder Hand ergriff Patterson den Kelch.
»Und Sie können mir versprechen, dass ich...«
»... dass Sie nicht sterben werden, ja. Niemals... Ihre Krankheit wird keine Macht mehr über Sie haben...«
Ich habe nichts zu verlieren! dachte Patterson. Und jetzt bin ich extra über den großen Teich geflogen... Dies bringe ich auch noch hinter mich!
Und so setzte er dann den Kelch an die Lippen.
Der Inhalt schmeckte bitter und verursachte ein Kratzen in seinem Hals. Beinahe hätte er würgen müssen.
»Trinken Sie alles aus!« forderte Abd el-Shaitan mit glasklarer Stimme.
Patterson gehorchte.
Dann setzte er den Kelch schließlich wieder ab und reichte ihm seinem finsteren Gegenüber zurück.
»Wann wird es wirken!«
»Es hat schon gewirkt!« erklärte jener Mann, der sich selbst als einen Diener Satans bezeichnete. »Sie werden es bald merken!«
»Gut...«
»Sie können jetzt gehen!«
Patterson nickte. Er bedachte Abd el-Shaitan mit einem etwas irritierten Blick.
Er selbst konnte das rote Leuchten nicht sehen, dass für einen kurzen Moment seine Augen völlig ausfüllte, ehe es wieder verlosch...
Wir kehrten zu unserem Hotel zurück. Den Seat parkten wir vor dem MASILIA. Es war schon fast dunkel und der Muezzin hatte gerade zum letzten Mal an diesem Tag zum Gebet gerufen.
An der Rezeption begrüßte uns Moustafa, der Sohn des Wirtes.
»Kann ich noch etwas für Sie tun?« fragte er. »Vielleicht möchten Sie noch einen Milchkaffee?«
»Nein, danke«, sagte Mark.
»Aber ich nehme gerne etwas!«
»Gut, dann kommen Sie!«
Moustafa führte uns in den Essraum und wir setzten uns an einen der einfachen Holztische. Der junge Mann machte sich derweil in der danebenliegenden kleinen Küche zu schaffen.
Als er mir schließlich den Milchkaffe an den Platz brachte, fragte ich ihn: »Kennen Sie die Legende von Abd el-Shaitan, Moustafa?«
»Wer würde sie nicht kennen?«
»Glauben Sie, dass Abd el-Shaitan noch hier irgendwo in den Mauern Tangers existiert?«
Er lachte kurz auf.
»Kleine Kinder glauben das! Und der verrückte Said!«
»Wer ist das?«
Moustafa machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das sagt man hier so... Der verrückte Said wohnt in der Altstadt. Er ist ein Gelehrter, der früher an einer Universität gelehrt hat. Später hat er sich mich mit absonderlichen Dingen befasst und man hat ihn mehr und mehr gemieden... Heute spricht man nur noch vom verrückten Said...«
»Ich möchte gerne mehr über die Abd el-Shaitan-Legende wissen. Könnte Said uns weiterhelfen?«
»Bestimmt. Vorausgesetzt, er ist bereit, mit Ihnen zu reden...« Moustafa grinste. »Für ein paar Dirhem führe ich Sie morgen zu seinem Haus!«
»In Ordnung...«
Mark sah mich etwas erstaunt an. »Hältst du das wirklich für viel versprechend?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. »Aber vielleicht finden wir einen Ansatzpunkt!«
»Ich wüsste schon einen!«
»Und der wäre?«
»Dieser Fremdenführer, der uns in das verfallene Haus lockte...«
»Walid?« fragte ich.
Mark nickte. »Ja. Man muss ihn doch irgendwie auftreiben können. Ich weiß nicht, ob er wirklich der Schwager jenes Wirtes ist, in dessen Kaffeehaus wir das Foto von Dr. Devil herumzeigten... Vermutlich nicht. Aber möglicherweise hält er sich öfter dort auf.« Er sah mich an und fuhr dann fort: »Während du morgen diesem verrückten Said einen Besuch abstattest, kann ich mich ja etwas auf die Lauer legen... Und wenn ich allein gehe, falle ich dort auch nicht so schrecklich auf...«
»Du meinst: Ohne eine Frau!« stellte ich fest.
Er nickte.
»So kann man es auch ausdrücken...«
Unsere Blicke trafen sich und da war eine Nuance in seinen grauen Augen, die ich nicht zu deuten wusste.
»Ich bin müde«, sagte ich.
»Kein Wunder!«
Ich trank meinen Milchkaffee aus und Moustafa wünschte uns eine gute Nacht.
Dann gingen wir die Treppe hinauf, die ins Obergeschoß führte.
Vor unserem Zimmer angekommen hielt er mich bei den Schultern und strich mir ein paar Haare aus dem Gesicht.
Sein Blick war sanft und zärtlich.
Seine Augen sahen mich auf seine unnachahmliche Weise an und die Schmetterlinge in meinem Bauch begannen wieder zu tanzen.
*
Als wir im Bett lagen, fragte ich mich, ob es wirklich vernünftig gewesen war, Moustafas Angebot anzunehmen. Vielleicht war der verrückte Said eine Sackgasse in diesem Fall...
Andererseits waren wir auf jeden Hinweis angewiesen und daher dachte ich, dass ich nach jedem noch so kleinen Strohhalm greifen musste.
Dr. Devil war ein Meister der Tarnung und der Verstellung. Er schien sich sein Versteck gut gewählt zu haben...
Ich schluckte.
Er ist hier! dachte ich plötzlich. Ich war mir schon beinahe sicher und diese Gewissheit hatte etwas fast Schmerzhaftes an sich. Ich wusste diesen Verbrecher ganz in meiner Nähe, in der selben Stadt, vielleicht nur wenige Straßen entfernt...
Und doch war er bislang unerreichbar für mich gewesen.
Und dann war da noch die Geschichte mit Abd el-Shaitan...
Der Zwischenfall in dem verfallenen Haus saß mir noch ziemlich in den Knochen.
Immer wieder standen die rot glühenden Augen des unheimlichen Verfolgers mir vor Augen, der uns in der Ruine erwartet hatte...
Augen, die buchstäblich dazu in der Lage waren zu töten...
Ich schlief nicht gut in dieser Nacht.
Immer wieder sah ich dieses glühende Augenpaar vor mir. Ich wälzte mich in den Kissen des breiten Bettes herum und wurde mehrmals kurz wach, bevor ich dann wieder in einen unruhigen Schlaf fiel.
Ein Schlaf, der mir keine wirkliche Erholung schenken würde...
Wieder und wieder plagten mich Alpträume, die ein wirres Gemisch aus schrecklichen Bildern waren... Eine groteske Collage dessen, was ich erlebt hatte...
Ich sah sich marionettenhaft bewegende Menschen einen Kreis bilden. Einen Kreis, in dessen Zentrum ich mich befand.
Sie kamen näher und näher.
Ihre Augen begannen zu glühen, während ihre Gliedmaßen sich bewegten, als ob sie von unsichtbaren Fäden auf und nieder gezogen wurden.
Das rote Leuchten ihrer kohlengleichen Augen begann zu pulsieren...
Schreiend fuhr ich aus dem Schlaf empor.
Einige Augenblicke brauchte ich, um zu begreifen, dass in Wirklichkeit nichts geschehen war. Der Puls schlug mir bis zum Hals und kalter Angstschweiß stand mir auf der Stirn. Ich versuchte, meinen Atem zu beruhigen.
»Was ist los?« fragte Mark, der von meinen Geschrei erwacht war.
Ich zitterte.
»Nichts.«
»Ein Traum?«
»Ja.«
Mein Blick schweifte zum Fenster, durch das ich den Mond sehen konnte. Er wirkte hinter den dahin ziehenden Wolken wie ein verwaschener Fleck. Ich schlug die Bettdecke zur Seite und stand auf. Barfuss ging ich über den kalten Steinboden, aber diese Empfindung war für mich eine weitere Versicherung, dass ich tatsächlich geträumt hatte. Und so war ich im Grunde beinahe dankbar dafür.
Mark machte ein ziemlich skeptisches Gesicht. Seine Augenbrauen bildeten eine Schlangelinie und in der Mitte der Stirn hatte sich eine tiefe Furche gebildet.
»Was ist los, May?«
»Nichts«, sagte ich abermals.
»Du hast geschrieen...«
»Ich habe nur schlecht geträumt! Von einem Diener Satans und seltsame Gestalten, die sich wie Marionetten bewegten...«
»Verstehe...«
Mark kam zu mir und nahm mich zärtlich in den Arm und für diesen wunderbaren Augenblick fühlte ich mich sicher und geborgen.
Es ist eine Illusion! wisperte eine schlangenhafte Stimme in mir, die ich geflissentlich zu überhören versuchte. Du bist in der Stadt Abd el-Shaitans und ihm ausgeliefert...
Wir sahen uns an.
In seinen grauen spiegelte sich das Mondlicht.
»Von der Nacht ist nicht mehr viel übrig«, stellte er fest.
Ich nickte.
Dann drehte ich den Kopf und mein Blick richtete sich zum Fenster hin. »Ich möchte nur noch die Vorhänge zuziehen...«
Ich ging zum Fenster.
Die Stadt bot im Mondlicht einen eigenartigen Anblick. Das Mondlicht spiegelte sich im Meer, während sich die Gebäude wie düstere Schatten emporreckten.
Von meinem Fenster aus sah ich unter mir in einen jener typischen von Mauern umgrenzten Hinterhöfe. Dahinter folgte eine Straße. Ich ergriff den Vorhang und wollte ihn gerade vor das
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 29.12.2017
ISBN: 978-3-7438-4802-3
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Widmung:
Nähere Angaben zum Herausgeber und Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary