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STAR GATE – das Original – 043-044

 

STAR GATE 43:

›Galaxis der Prupper‹

von Wilfried A. Hary:

Das Randall-Team in der verbotenen Zone des Todes

 

 

STAR GATE 44:

›Wie das Jüngste Gericht‹

von Wilfried A. Hary:

Das unaufhaltsame Ende des Randall-Teams?

 

 

Impressum


Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie STAR GATE - das Original:

Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary, Frank Rehfeld

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

Diese Fassung: © 2015 by HARY-PRODUCTION ISSN 1860-1855

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken * Telefon: 06332-481150 * www.HaryPro.de * eMail: wah@HaryPro.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

 Coverhintergrund: Anistasius * Logo und Titelbild: Gerhard Börnsen


STAR GATE 043:


Wilfried Hary

Galaxis der Prupper

Das Randall-Team in der verbotenen Zone des Todes


Am 15. September 2063, um 4:37 Uhr, wollte ein Team mittels STAR GATE von Phönix zur Erde zurückspringen. Genau im Moment seiner Materialisation im Erd-Star-Gate bei Mechanics Inc. wurde dieses von Saboteuren des Konkurrenten Flibo gesprengt. Das erzeugte eine schreckliche Katastrophe – nämlich die Transmitter-Katastrophe (siehe Band 11). Vierundzwanzig Menschen sind von der Katastrophe betroffen. Sie sind seitdem spurlos verschwunden. Was ist aus ihnen geworden?

Mit betroffen: Das Randall-Team. Zu siebt stranden sie auf dem Planeten Tustra. Am Ende betreten sie das illegale Star Gate einer der mächtigsten Personen auf Tustra: Martha! Sie schickt sie nicht nach Phönix, wie versprochen, sondern zur Dschungelwelt Vetusta, wo sie nicht nur Frieden schließen können mit dem Stationscomputer (siehe auch Band 5: »Wrack aus der Vergangenheit«), sondern endlich mehr erfahren über das Wrack (siehe Band 26: »Rückkehr der Verbannten«). Dort treffen sie am Ende wieder auf den geheimnisvollen Fremden mit Namen Xybrass (siehe auch Band 10: »Botschafter von den Sternen«), der ihnen diesmal sogar ein Raumschiff überlässt. Nicht, um damit zur Erde zurückzukehren, sondern um der Galaxis der Prupper einen Besuch abzustatten.

Wir schreiben den 17. Oktober 2063...


DIE HAUPTPERSONEN

Ken Randall, Tanya Genada, Dr. Janni van Velt, Dr. Dimitrij Wassilow, Dr. Yörg Maister, Mario Servantes und Juan de Costa – Das Team landete durch Verrat (siehe Band 22, 26 und 42) auf Vetusta

Die GÖTTERFÄHRE – Der Spitzname für ein Raumschiff, das noch keinen richtigen Namen bekommen hat

Die DAR-EL-SOM – ein Bergungsraumschiff der Prupper – und Ken Randalls letzte Hoffnung

Xybrass – Der geheimnisvolle Außerirdische outete sich als Dhuul – und verlangt Unmögliches: Was führt er wirklich im Schilde?


Bonus: Grafische Darstellung der »Götterfähre« von Gerhard Börnsen



1


Ken Randall sah sich kritisch in der Zentrale des ehemaligen Götter-Schiffes, wie sie es in gutmütigem Spott nur noch nannten (neben einer Art gänzlich inoffiziellem Spitznamen: GÖTTERFÄHRE), um. Sie hatten sich noch nicht auf einen richtigen Namen einigen können, und Xybrass hatte ihnen keinen genannt. Überhaupt war er sehr geizig gewesen, was Informationen betraf. Angeblich, um sie nicht in der falschen Weise zu beeinflussen. Sie sollten völlig unvoreingenommen ihre Aufgabe in Angriff nehmen – eine Aufgabe allerdings, von der sie nicht einmal im Entferntesten ahnten, wie sie diese bewältigen sollten. Immerhin ging es um nicht weniger als um die Eroberung einer ganzen Galaxis. Das hieß, nicht direkt Eroberung, sondern zumindest um das Anliegen, sich mit den Herren dieser Galaxis zu verbünden.

Nur deshalb waren sie hier und nur deshalb hatte ihnen Xybrass dieses seltsame Götterschiff überlassen.

»Die Technik wurde vor Jahrtausenden entwickelt. Ursprünglich sollte sie die Pyramidenraumer ablösen, deren interstellare Sprünge gewissen Beschränkungen unterworfen sind. Man muss mit ihnen bekanntlich die nächste Massenballung um einen Stern anpeilen, wo man nach der Entmaterialisierung zwangsläufig wieder aus der Nullebene in den Normalraum gezwungen wird. Transitionen innerhalb von Massenballungen sind unmöglich. Aber falls es zu einem Kampf kommen sollte...«

»Dann ist dies hier also eine Art Kriegsschiff?«, hatte Ken Randall prompt eingeworfen.

»Ja, eine Art Kriegsschiff, aber von äußerst geringer Kapazität, was den offenen Raumkampf betrifft. Gegenüber den damaligen Feinden, den Dhuuls, war es nicht viel mehr als eine zusätzlich mit Bordwaffen ausgestattete Forschungseinheit gewesen. Seine Erbauer hatten es nicht anders gewollt: Sie waren zu pazifistisch eingestellt, um wirklich waffenstrotzende Raumschiffe zu bauen. Das hat sich erst geändert, als der eigentlich unvermeidliche Große Krieg damals begann...«

»Ein Krieg zwischen den ... Göttern und den Dhuuls?«, hakte Janni van Velt sofort nach. Das Wort Götter ging ihr sehr schwer über die Lippen. Hatten diese sogenannten Götter denn nicht richtige Namen?

Xybrass verzog keine Miene. Er ging auf die Frage einfach nicht ein, wie er überhaupt immer nur in vagen Andeutungen redete, was dieses Thema betraf.

Am liebsten hätte jetzt Ken Randall darauf bestanden, dass er endlich auf ihre Fragen konkrete Antworten gab, aber er hielt sich zurück, weil er aus Erfahrung wusste, dass sie Xybrass zu nichts überreden konnten, was dieser nicht selbst wollte. Überhaupt hatte Ken das unangenehme Gefühl, Xybrass sei eher eine Art Puppenspieler, der sie wie Marionetten an seinen Fäden tanzen ließ, als ein wahrer Verbündeter...

Ungerührt fuhr Xybrass fort: »Daher ja auch dieser besondere Überlichtantrieb, der eine rechtzeitige Flucht vor einem übermächtigen Gegner erlaubte.«

»Und man hat nur wenige dieser Schiffe gebaut, um danach doch wieder zur bewährten Technik zurückzukehren?«, warf jetzt Ken Randall ein. »Wieso?«

»Dafür gab es einen einzigen, gravierenden Grund: Der Überlichtantrieb dieses Raumschifftyps, auf dem wir uns hier befinden, erzeugt eine Art Mini-Black-Hole, in das es sozusagen schlüpft, um an anderer Stelle, wie vorher genauestens vorausberechenbar, wieder aus einem solchen MBH in den Normalraum zurückzuschlüpfen. Wird diese Technik häufig benutzt, verursacht es eine nachhaltige Störung des Raumzeit-Kontinuums mit schrecklichen Folgen. Ihr müsst euch das so vorstellen, dass die Summe künstlicher MBHs irgendwann ausreicht, um das Raumzeit-Kontinuum regelrecht aufreißen zu lassen. Mit anderen Worten: Die Schwingungen, aus denen das Universum besteht, beginnen an irgendeiner Stelle zu entarten. Ich glaube, man benötigt keine allzu große Fantasie, um sich auszumalen, welch eine Katastrophe dadurch entsteht.«

»Und trotzdem überlässt du uns ein solches Schiff?«

»Ja, weil es den Pruppern, denen ihr begegnen werdet, signalisiert, dass ihr keine Dhuuls sein könnt. Sie kennen diese Antriebsart gar nicht – und die Dhuuls gelten für die Prupper als die Herren der Galaxis, die ja inzwischen nicht mehr von ihnen, sondern vielmehr von den Kyphorern beherrscht wird.«

»Dann ist diese Erkenntnis noch gar nicht bis in die Prupper-Galaxis vorgedrungen?«

»Nein, denn sie halten sich distanziert. Mehr noch: Sie haben ein ausgeklügeltes Ortungssystem installiert, das jegliche Transition mit einem Pyramidenschiff sofort meldet. Dann wird bei den Pruppern Alarm ausgelöst.«

»Die haben sich anscheinend total abgekapselt vom Bund von Dhuul-Kyphora«, meinte Tanya erschüttert.

»Nicht anscheinend, sondern zu hundert Prozent!«

»Und deshalb dieses Raumschiff ...« Ken schürzte nachdenklich die Lippen. »Wir haben trotzdem das Problem, ihnen zu erklären, dass wir in friedlicher Absicht kommen. Wenn sie so misstrauisch sind gegenüber allem und jedem, das von außerhalb ihrer Galaxis zu ihnen kommen will...«

»Das ist vollkommen richtig, Ken«, räumte Xybrass ein. Und er hatte auch prompt einen Plan.

Weswegen sie jetzt hier waren...

Ken erwachte wie aus einem kurzen Tagtraum und schüttelte unwillkürlich den Kopf, um all diese Gedanken endlich wieder loszuwerden.


*


Gerade war die Schichtübergabe erfolgt. Dementsprechend ging der Betrieb eher schleppend, aber Ken Randall ließ sich seine Skepsis nicht anmerken. Er wusste, dass er sich trotz alledem auf seine Gefährten verlassen durfte. Sie brauchten nur noch ein wenig Anlaufzeit, dann würde alles wieder zufriedenstellend ablaufen, auch ohne sein Einschreiten.

Zum Beispiel Mario Servantes und Dr. Janni van Velt: Anstatt sich voll auf ihre Kontrollen zu konzentrieren, turtelten sie lieber verhalten. Es war nur ein Spaß, den sie sich erlaubten. Es war kaum anzunehmen, dass sie ernsthaft etwas füreinander empfanden. Dafür kannte Ken sie viel zu gut.

Mario Servantes war ein glutäugiger Latino, wie bereits sein Name verriet. Er war schlank-muskulös und bewegte sich mit der Eleganz und Geschmeidigkeit eines geübten Tänzers. Ein Typ mithin, bei dessen Anblick sicher nicht nur das Herz einer van Velt höher schlug. Obwohl sie trotzdem völlig unnahbar blieb. Sonst hätte Mario keinen solchen Spaß mit ihr getrieben. Das Einzige, was sie wirklich liebte, waren ihre Kaugummis und noch viel mehr ihre grünen Kugelschreiber, die sie stets aus einem schier unendlich anmutenden Vorrat bezog und auf denen sie liebend gern herumkaute.

Es war im Grunde genommen für sie beide völlig unverfänglich, weil sie wussten, was sie voneinander zu halten hatten. Allerdings hatte auch Dr. Janni van Velt einiges zu bieten in Sachen Attraktivität. Zu Beginn der Reise – damals, als sie unversehens statt im Mond-Star-Gate auf dem fernen Planeten Phoenix herausgekommen waren – war sie kühl-distanziert erschienen, obwohl man trotz ihrer holländischen Herkunft ein mühsam gezügeltes, beinahe südländisches Temperament hin und wieder durchschimmern gesehen hatte. Aber kein Mann hatte bei ihr auch nur die geringste Chance. So jedenfalls war der erste Eindruck gewesen – und geändert hatte sich für den menschenkundigen Ken Randall das bis heute nicht. Obwohl die gegenwärtige Szene dort drüben das Gegenteil zu beweisen schien.

Im Grunde genommen ein ideales Paar, dachte er, über seine eigenen Gedanken überrascht. Denn auch Dr. Janni van Velt war der durchtrainierte Typ einer geübten Tänzerin. Würde man die beiden auf irgendeinem Planeten in einer Bar auf der Bühne sehen, vielleicht bei einer Tanzdarbietung, hätte kein Mensch vermutet, dass es sich in Wahrheit nicht um professionelle Tänzer, sondern um zwei hochbegabte Dim-Physiker handelte.

Immer vorausgesetzt, dass Janni überhaupt tanzen konnte, denn außer der Tatsache, dass sie für praktisches Handeln sozusagen zwei linke Hände besaß, hatte man noch nichts dergleichen von ihr gesehen...

Trotzdem hätte Survival-Spezialist Ken Randall einschreiten müssen, weil die beiden zur Zeit offensichtlich den Ernst ihrer Lage verkannten, aber er unterließ es. Er war der Meinung, es sei nicht gut, zu viel Druck auf die Gefährten auszuüben. Solange diese ihren Job machten, wie zu Beginn ihrer Mission verabredet, gab es auch keine zwingende Notwendigkeit. Aber er nahm sich vor, die beiden ganz besonders im Auge zu behalten. Nicht nur, weil er eine klare Vorstellung davon hatte, dass es sexuelle Beziehungen an Bord eines Raumschiffes auf besonderer Mission nicht geben durfte. Allein schon wegen der unberechenbaren Folgen, die dadurch entstehen konnten, wie zum Beispiel Eifersucht. Man hatte in der Vergangenheit immer wieder schlechte Erfahrungen mit solchen Beziehungskisten gemacht. Oder sah er das als Survival-Spezialist einfach zu eng? Waren er und Tanya Genada sich nicht auch irgendwie ... nähergekommen? Aber sie teilte mit ihm die Auffassung: Freundschaft ja, sexuelle Beziehung nein! Zumindest nicht solange sie gemeinsam in den Einsatz gingen...

Survival-Spezialist Ken Randall nahm sich außerdem vor, zumindest insofern einzuschreiten, dass er die beiden in getrennten Schichten unterbrachte. Zwar konnte er ihnen nicht schlüssig den Verstoß gegen irgendwelche Vorschriften beweisen, denen sie sich wahrscheinlich sowieso nicht verpflichtet fühlten, vor allem, solange es wirklich nur ein Spaß war, aber es würde sich schon ein fadenscheiniger Grund finden, sie voneinander zu trennen.

Er heftete seinen Blick auf den Hauptschirm. Seit der letzten Transition liefen die Scanner auf Hochtouren. Im Visier hatten sie eine noch namenlose rote Sonne. Die GÖTTERFÄHRE, wie das Schiff inzwischen höchst inoffiziell und mehr scherzhaft von allen genannt wurde – in Ermangelung eines echten Namens –, war im Rahmen ihrer Mission zunächst auf einer Art Forschungsfahrt. Von Xybrass wussten sie, dass die Zone vor ihnen für die Prupper dieser Galaxis, Millionen Lichtjahre von ihrer Heimatgalaxis entfernt, als Todeszone galt. Darum wurde an dieser Stelle auch nicht so genau überwacht, ob man von außerhalb ungebetenen Besuch bekam. Xybrass hatte darin eine Möglichkeit gesehen, dass sie sozusagen ungesehen in die Galaxis eindringen konnten.

Allerdings hatte er auch vor unbekannten Gefahren gewarnt, ehe er sie verlassen hatte. Denn diese Zone war schließlich nicht umsonst zur strikt verbotenen Todeszone erklärt worden. Wobei dieses Verbot immerhin einen Bereich betraf, der einen Radius von zweihundert Lichtjahren besaß.

Die rote Sonne befand sich genau im Zentrum der verbotenen Todeszone.

Wäre es nicht viel besser gewesen, einfach weiterzufliegen, ohne sich darum zu kümmern?

Survival-Spezialist Ken Randall konzentrierte sich auf seinen Tagebuchkommentar, denn auf dem Hauptschirm waren inzwischen die wichtigsten Grobdaten zu sehen. Es war seine selbstgestellte Aufgabe, diese nicht nur aufzeichnen zu lassen, sondern auch persönlich zu kommentieren, damit er sich nicht völlig unnötig vorkam:

»Survival-Spezialist Ken Randall, demokratisch gewählter Kommandant des Raumschiffs mit dem vorläufigen Namen GÖTTERFÄHRE. 17. Oktober 2063, 20:11 Uhr irdischer Zeit, gleichzeitig Bordzeit. Die namenlose rote Sonne hat nur fünf Planeten, davon befinden sich zwei zu nahe an der Sonne. Planetare Bedingungen vergleichbar mit Merkur beziehungsweise Venus. Die beiden äußeren Planeten sind reine Eiswelten. Zur eventuellen Besiedlung nach ersten Scanergebnissen wäre lediglich der dritte Planet geeignet. Dort könnte sich jedenfalls Leben entwickelt haben, das unseren Vorstellungen von Leben entspricht. Welch ein Zufall: Gerade der dritte Planet, ähnlich wie im heimatlichen Solsystem. In wenigen Minuten werden sämtliche Grunddaten über das System gesammelt sein. Ich darf jetzt schon sagen, dass wir uns danach voll und ganz um diesen dritten Planeten kümmern werden. Es handelt sich zwar um eine Welt, die überwiegend von Wasser bedeckt wird, aber gerade diese Tatsache spricht zusätzlich für eine Besiedelbarkeit, wie ich finde. Es stellt sich nur die Frage, wieso die Prupper diese Zone zur Todeszone erklärt haben, anstatt die Welt vor uns zu besiedeln? Oder wurde sie besiedelt, um danach wieder aufgegeben zu werden?«

Noch während er sprach, wusste er, dass es ihnen völlig unmöglich sein würde, einfach weiterzufliegen. Dafür waren sie viel zu neugierig. Außerdem: Was brachte es schon, wenn sie weiterflogen? Vielleicht wurde der andere Rand dieser Todeszone, derjenige also, der dem Zentrum der Galaxis zugewandt war, ganz besonders überwacht? Bestand nicht sogar die Möglichkeit, dass sie einem kosmischen Rätsel auf den Grund kamen und die Lösung dieses Rätsels sozusagen als Gastgeschenk mitbrachten?

Eine Möglichkeit zwar, die gar nicht vager hätte sein können, aber sie bestärkte Ken noch in seiner Neugierde.

»Kommandant!«, rief in diesem Moment jemand unkonventionell.

Survival-Spezialist Ken Randall schaute in die entsprechende Richtung: Mario Servantes!

Ausgerechnet!, dachte der Kommandant zunächst ein wenig abfällig. Aber dann kniff er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Der smarte Mario Servantes, der so getan hatte, als sei Dr. Janni van Velt seine heimliche Geliebte, erschien ziemlich aufgeregt. Eine Aufregung, die auch seine Kollegin erfasst hatte.

»Ortung!«, rief nun diese.

Im gleichen Augenblick erschien das Ergebnis direkt vor dem Kommandanten in der Holoprojektion: Ein Gesteinsbrocken mit zerklüftetem, annähernd eiförmigem, braungelbem Äußeren und den Maßen neunzig mal einhundertzwanzig Kilometern. Stabile Ellipsenbahn am Rand des Sonnensystems.

Für die Bezeichnung »Planet« war der Brocken viel zu klein; es passte eher die Bezeichnung »Asteroid«. Dass das Ding soeben erst entdeckt worden war, lag weniger an der mangelnden Aufmerksamkeit, sondern vielmehr daran, dass er sich exakt auf der gegenüberliegenden Seite der Sonne befunden hatte. Reiner Zufall.

Also gab es zumindest eine Besonderheit an dem Gesteinsbrocken: Er drehte seit Jahrtausenden oder vielleicht sogar seit Jahrmillionen seine Bahn nicht in der Ebene der diskusförmig angeordneten Planetenbahnen, sondern gewissermaßen dagegen verdreht. Sonst hätte er sich unmöglich auf der anderen Seite der Sonne befinden können, denn die GÖTTERFÄHRE hatte sich natürlich nicht auf der Diskusebene dem Sonnensystem genähert, sondern sozusagen »von oben«, sonst hätte es keine rasch auswertbaren Scanergebnisse geben können.

Aber der Asteroid hatte noch eine weitere Besonderheit:

»Aufgrund der Größe müsste er eine wesentlich geringere Umlaufgeschwindigkeit haben!«, kommentierte Dr. Janni van Velt die eigentliche Unmöglichkeit. »Ich meine, eigentlich müsste der Asteroid bei dieser relativ hohen Umlaufgeschwindigkeit längst seine Bahn verlassen haben und weiter hinausfliegen, um vielleicht wie ein Komet irgendwann in die Nähe der Sonne zurückzukehren. Allerdings fehlen die entsprechenden Mengen an gefrorenen Gasen, um das Ding dann tatsächlich wie einen Kometen aussehen zu lassen. Soll heißen, es gibt so gut wie keine gefrorenen Gase auf der kargen Oberfläche. Ein im wahrsten Sinne des Wortes toter Himmelskörper, der allerdings nicht so recht ins physikalische Bild passt.«

Es war schon ungewöhnlich, dass Dr. Janni van Velt – die anfangs so unnahbare und wortkarge van Velt – so weitschweifig die Entdeckung kommentierte. Sie schien sie sehr zu beschäftigen, nicht nur intellektuell, sondern auch emotional.

»Wie wäre sie deiner Meinung nach zu erklären, diese viel zu hohe Umlaufgeschwindigkeit bei einer dennoch gleichzeitig stabilen Bahn?«, erkundigte sich Ken Randall.

»Mit einer extrem erhöhten Schwerkraft. Mit anderen Worten: Der Gesteinsbrocken ist so schwer wie ein stark verdichteter Stern. Nicht wie ein Neutronenstern natürlich, aber in einem Maße verdichtet, dass es dafür keinerlei physikalische Erklärung gibt.«

»Eine physikalische Erklärung gibt es zwar nicht ...«, murmelte Mario Servantes in diesem Moment, und seine Stimme wirkte dabei seltsam brüchig, als würde er es kaum wagen, das Folgende auszusprechen: »Ich messe Energieimpulse! Sie sind diffus und somit nicht interpretierbar. Ich entdeckte sie sowieso nur, weil sie eine Abweichung zum Normalbild darstellen. Sie sind mithin kaum ausgeprägt, aber ...« Er brach ab.

»In Ordnung!«, sagte Ken Randall und hob seine Stimme: »Neuer Vorschlag: Wir steuern diesen Asteroiden an! Gegenstimmen? Nein? Also gut. Mario: Die Koordinaten einfüttern. Janni, Navigation: Kurztransition vorbereiten. Zielpunkt im Abstand von fünf Millionen Kilometern vom Objekt entfernt.«

Die genügen hoffentlich als Sicherheitsabstand!, fügte er in Gedanken hinzu und überwachte selbst sämtliche Maßnahmen.

Er betätigte einen Kontakt: »Alle in die Zentrale. Es gibt brandheiße Neuigkeiten.«

Alle kamen, obwohl sie keine Schicht hatten: Tanya Genada, Dr. Dimitrij Wassilow, Dr. Yörg Maister und Juan de Costa. Allerdings dauerte es eine kleine Weile, denn sie hatten wohl gerade alle geschlafen. Was hätten sie sonst auch tun sollen? So etwas wie Ablenkung gab es kaum an Bord. Also keine Videos oder dergleichen. Schließlich war dieses Schiff nicht von Menschen erbaut worden. Anscheinend hatten ihre Erbauer Dinge wie Unterhaltungsfilme nicht gekannt. Oder aber, sie waren in keiner Weise überliefert worden. Immerhin handelte es sich um ein Raumschiff, das nach Lage der Dinge mehrere Tausend Jahre alt war...

Sobald sie vollzählig waren, begann die Besprechung. Ken setzte sie sogleich ins Bild.

Und dann waren sie dort – sozusagen höchstpersönlich, am genau vorausberechneten Zielpunkt. Aus dieser Entfernung waren die Ortungsergebnisse natürlich wesentlich präziser.

Allerdings meldeten Mario Servantes und Dr. Janni van Velt wie aus einem Munde: »Keinerlei Abweichungen von den ersten Ergebnissen!«

Also blieb es dabei: Der Gesteinsbrocken war eine Unmöglichkeit. Da schien es eine Energiequelle im Innern zu geben, wie auch immer entstanden, und diese Energiequelle schaffte zumindest das eine: Sie stellte die geltende Gravitations-Mechanik in Frage!

»Könnte es sein, dass es sich um ein ... künstliches Objekt handelt?«, fragte Ken Randall ein wenig bang.

Mario Servantes sorgte für die Antwort: »Nein, Ken, dafür spricht nichts. Es ist ein Gesteinsbrocken, ganz offensichtlich natürlich entstanden, was seine Oberflächenstruktur beweist.«

»Und das Innere? Wäre es denn so unmöglich, dass eine fremde Intelligenz das Ding ausgehöhlt hat, um irgendwelche Anlagen darin unterzubringen?«

»Dagegen spricht die exakte Umlaufbahn. Warum sollte eine fremde Intelligenz dies getan haben, wenn nichts auf einen etwaigen Nutzen hinweist?«

Eine gute Frage, die Mario Servantes da stellte, allerdings hatte Survival-Spezialist Ken Randall ganz persönliche Erfahrungen, die von vornherein davor warnten, menschliche Logik mit ins Spiel zu bringen, wenn es um kosmische Rätsel ging.

Und hier hatten sie ganz offensichtlich ein kosmisches Rätsel vor sich!

»Beiboot klar machen!«, befahl Survival-Spezialist Ken Randall als Nächstes. »Freiwillige für die Erkundung des Asteroiden?«

»Ja, ich!«, meldete sich auch schon der erste: »Mario Servantes!«

»Und Dr. Janni van Velt!«, meldete sich gleich »der« nächste Freiwillige.

Ken als der gewählte Kommandant dachte daran, dass er sich eigentlich vorgenommen hatte, die beiden in getrennten Schichten unterzubringen. Außerdem hatten sie zur Zeit Dienst in der Zentrale. Dem gegenüber jedoch stand die Tatsache, dass die beiden den Asteroiden immerhin entdeckt hatten und somit am meisten von allen über ihn wussten. Ihre Neugierde war nur zu gut nachvollziehbar, und warum sollte man ihren persönlichen Wissensvorsprung nicht praktisch nutzen?

»Einverstanden!«, kommentierte der demokratisch von allen anderen sechs Teammitgliedern gewählte Kommandant knapp, dann nannte er zwei Namen aus der Freischicht, die mit sofortiger Wirkung die beiden in der Zentrale ersetzen sollten: Juan de Costa und Dr. Yörg Maister. Er tat dies nicht in einer Art und Weise, die keinerlei Widerspruch duldete, aber die beiden hatten sowieso nichts dagegen, wie es schien.

Blieben jetzt nur noch Survival-Spezialistin Tanya Genada und Dr. Dimitrij Wassilow.

Er schaute sie auffordernd an. Und sie meldeten sich prompt als die nächsten Freiwilligen. Ken war froh darum: Tanya Genada war eine hochqualifizierte Expertin im Überleben. Dem gegenüber Dr. Dimitrij Wassilow, 42 Jahre alt, geboren in Irkutsk, ehemaliges Russland, kahlköpfig als Modegag, Dim-Physiker, humorvoll bis zum Überdruss. Er brachte gern die Leute damit auf die Palme, dass seiner Behauptung nach jegliche Innovation »russische Erfindung« war. Ein wahrer Mann der Praxis und damit eigentlich die ideale Ergänzung zu Janni van Velt ... Aber auch gemeinsam mit Tanya würde er ein ideales Team bilden.

Zwar erschien es zur Zeit nicht sicher, dass es sich bei den diffusen Energieemissionen um solche künstlicher Art handelte, aber völlig auszuschließen war es schließlich ganz und gar nicht. Und wenn es jemand herauszufinden vermochte, dann sicherlich ein Experte in Dim-Physik. Also waren nicht nur er, sondern natürlich auch Mario und Janni bestens geeignet für den Job.

Vier Leute genügten nicht nur, sondern waren eher schon zu viel. Zwar hätten in dem Beiboot gut und gern zehn Leute Platz gefunden, aber für den Forschungsauftrag hätten vielleicht auch zwei oder höchstens drei völlig ausgereicht. Trotzdem rief plötzlich Juan de Costa, nachdem er blitzschnell sämtliche Scanergebnisse überprüft hatte: »Moment noch – bitte!«

Aller Augen wandten sich ihm zu.

Er räusperte sich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.10.2017
ISBN: 978-3-7438-3645-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Nähere Angaben zum Herausgeber und Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary

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