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AD ASTRA 003 Buchausgabe:

 

Das sterbende

Imperium II

 

Zweiteiler aus der Reihe

„Armee des Lichts“

von Michael Klein

 

AD ASTRA Buch 003

ISSN 1614-3280

Copyright 2009 by HARY-PRODUCTION

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Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung von

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Gestaltung des Hintergrundes: Anistasius

Titelbild: Anistasius

 

6. Kapitel

Das System der sieben Sonnen


Sie hatten ein klares Ziel vor Augen: Sie sollten jene sechste Person finden, die mit ihnen gegen die heraufziehende Dunkelheit kämpfen würde und mit der sie eine geheimnisvolle Nähe zum Netz zu verbinden schien. Auch der erste Schritt dieser Suche war vorgegeben – er führte sie in die unmittelbare Nachbarschaft des sternendichten galaktischen Zentrums, wo sich das System der sieben Sonnen befand. Hier vollführten sieben Himmelskörper einen gravitatorischen Tanz um ein imaginäres Zentrum, und hier sollten sie eine Spur zu dem Ziel ihrer Suche – der sechsten Person – entdecken.

Doch trotz dieser im Vergleich zu den übrigen Mitgliedern der neugegründeten Armee des Lichts recht präzisen Ausgangsinformation fühlte sich Sara von Terra, als hätte man sie gebeten, nur mit einem Spielzeughammer ein Gebirge abzutragen – und wenn sie ehrlich war: Auch ihre Begleiterin Zentaya, die Hohepriesterin des Galaktischen Imperiums, machte keinen souveräneren Eindruck.

Sie waren mit einem kleinen, aber schnellen Zwei-Mann-Raumschiff von Horizont aufgebrochen, und Zentaya hatte den Kurs in Richtung Galaxismitte programmiert. Nun saßen sie nebeneinander in dem schmalen Cockpit, in dem sie die ersten zehn Minuten des Fluges schweigend verbracht hatten. Die Stille, mit der sie sich belauerten, war beinahe greifbar, und mit jeder verstreichenden Minute erschien Sara ihre eigene Schüchternheit lächerlicher, doch mit jeder Minute vergingen auch Abermillionen an Chancen, mit der Hohepriesterin ins Gespräch zu kommen und diese peinliche Barriere zu überwinden.

Dabei war Sara eigentlich nie schüchtern gewesen – im Gegenteil, sie hatte immer ziemlich schnell mit neuen Menschen in ihrem Leben reden können. Sicherlich war sie niemals eine Person gewesen, die beim Betreten eines Raumes sofort auf sich aufmerksam machte und sich in den Mittelpunkt stellte, und eine souveräne, extrem selbstbewusste Persönlichkeit (wie beispielsweise Cya von Aternia, die Kaiserin) hatte ihr bis zu einem gewissen Grad sogar Angst gemacht, aber dass sie gar keinen Ton über die Lippen bekam, war ihr noch nie passiert ... oder es lag so lange zurück, dass sie sich schon nicht mehr daran erinnern konnte.

Es war wohl die Art der Hohepriesterin – vielleicht hatte Sara auf irgendeine Weise Angst, sie mit ihren Worten zu verletzen. Das junge Mädchen namens Zentaya wirkte, trotz ihres Amtes, ungeheuer zerbrechlich, zurückhaltend, leicht verwundbar. Oder aber – eine zweite Möglichkeit ging Sara durch den Kopf – es störte sie, dass sie als die im Grunde genommen Unerfahrene, als die Neue, hier plötzlich gezwungen war, die Rolle der Erfahrenen zu übernehmen, was einem Akt größenwahnsinniger Blasphemie gleichgekommen wäre.

Nichtsdestotrotz, und egal, weshalb und wieso – das hier war einfach nur lächerlich! Sara erwartete mehr von sich und auch von ihrer Begleiterin! Es war ja nicht einmal so, dass eine prä-erotische Spannung vorlag, die sie hemmte ... es war ja wohl nichts anderes als Schüchternheit.

Oder Arroganz? Hielt sich Zentaya vielleicht einfach nur für soviel besser und wichtiger als sie, dass sie ein Gespräch mit Sara als unter ihrer Würde betrachtete? Nein, das glaubte Sara nun überhaupt nicht, und wenngleich sie auch nicht Lex’ales Begabung der Telepathie besaß, vertraute sie doch wenigstens in diesem Punkt ihrer Menschenkenntnis.

Allmählich reichte es... unter den unzähligen Lichtern, Kontrollen und Monitoren im Cockpit war es Sara gelungen, eine Uhr ausfindig zu machen, und diese sagte ihr in diesem Augenblick, dass sie nun schon fast eine dreiviertel Stunde schwiegen, und das war eindeutig eine dreiviertel Stunde zu viel.

Aber was sollte sie sagen? Hallo, ich bin Sara, wie geht’s? Das war albern und gekünstelt!

Mein Gott, was war bloß los? Sie fühlte sich plötzlich wie ein pubertierender Früh-Teenie, der sich Gedanken über den Wortlaut des ersten Dates machte. Dabei musste sie doch nur ... ja, einfach nur irgendetwas sagen. Was, das würde sich schon ganz schnell ergeben! Sie machte den Mund auf, nahm tief Luft...

...und wurde von einem plötzlich hektisch blinkenden Licht, begleitet von einem durchdringenden Warnton, unterbrochen. Ehe Sara begriff, was los war, hatte Zentaya mit schnellen Bewegungen ein Bild der Kaiserin vor ihren Augen entstehen lassen.


*


„Ich wollte Euch nur sagen, dass A’eron und Lex’ jetzt mit der Schwert des Lichts aufbrechen!“ verkündete Cya von Aternia knapp. „Ihr werdet wohl noch ein bisschen brauchen bis zum Sieben-Sonnen-System!“

„Ja, etwa 2 Stunden!“ antwortete Zentaya, und das war das erste Mal, dass Sara ihre Stimme in dem kleinen Cockpit ihres Zwei-Personen-Raumschiffs hörte.

„Meldet Euch im Obelisken, wenn Ihr was entdeckt oder herausgefunden habt!“

„Verstanden und Ende!“

Sara wusste, dass jetzt die beste Gelegenheit war, das vorangegangene Schweigen zu durchbrechen, und es gab ohnehin eine Frage, die ihr auf der Zunge lag.

„He, hieß das Raumschiff nicht Schwert des Imperiums?“ fragte sie und war selbst erleichtert darüber, wie unschwer ihr die Worte über die Lippen gegangen waren.

„Ja, das dachte ich auch!“ erwiderte Zentaya, nicht weniger erleichert. „Aber ich denke, dass die Kaiserin das Schiff umbenannt hat, nach dem, was wir vom Orakel gehört haben!“

Für den Bruchteil eines Augenblicks befürchtete Sara, dass mit diesen Sätzen das Gespräch schon wieder beendet sein würde, aber glücklicherweise formierte sich in ihr schon die nächste Frage.

„Und das Orakel irrt sich nie?“ fragte sie.

„Nein, nie!“ antwortete Zentaya sofort und schickte ihrer Antwort einen kurzen Blick hinterher. „Das heißt, zumindest hat es sich noch nie geirrt, und ich wüsste ehrlich gesagt auch nicht, wie ein solcher Irrtum aussehen würde!“

„Weißt Du denn, wie es funktioniert? Ich meine ... woher weiß denn das Orakel, was passieren wird?“

„Das Orakel ist in der Lage, Strukturen und Strömungen im kosmischen Gefüge zu erkennen!“

„Aber wie?“

„Jedes Ereignis wird determiniert durch die Faktoren Raum und Zeit und manifestiert sich entweder in Energie oder in Masse!“ erklärte Zentaya, und es klang für Sara wie aus dem Lehrbuch abgeschrieben. „Doch bevor ein solches Ereignis für uns und unser Bewusstsein erkennbar wird, gehen bereits Veränderungen im kosmischen Gefüge voraus, und diese Fluktuationen wirken sich wieder auf andere Ereignisse aus! Das Orakel ist in der Lage, eine solche Ereigniskette zu erspüren und richtig auszuwerten!“

„Das klingt kompliziert!“ hörte sich Sara sagen, doch im Grunde genommen wollte sie damit mehr Zentaya und ihrem Orakel schmeicheln, denn das, was sie hörte, erschien ihr mit einem Mal so unspektakulär wie die Tatsache, dass auf der Erde ein Stein zu Boden fällt und Wasser von oben nach unten fließt. Im Grunde genommen war es mit dem Orakel wie mit Tieren, die ein Erdbeben voraussagen können – ihr natursensibles Bewusstsein nimmt einfach Dinge war, die der bewusst agierende und denkende Menschen einfach übersieht oder –hört.

Zentaya quittierte ihren Beitrag mit einem knappen Nicken, ließ die darauf folgende Pause jedoch zu Sara’s Überraschung sich nicht ausdehnen, sondern fragte ihrerseits: „Was für eine Funktion hast Du denn im Obelisken?“

Sara war sichtlich erstaunt über diese Frage, dann wurde ihr jedoch schnell klar, dass weder A’eron noch Elexi’ael im Eifer des Gefechts Zeit hatten, der Hohepriesterin zu erklären, was es mit Sara auf sich hatte, und selbstverständlich war auch die Kaiserin selbst zu beschäftigt gewesen, Zentaya diesbezüglich aufzuklären.

„Überhaupt keine Funktion!“ erklärte Sara deshalb. „Das ist eine lange Geschichte! A’eron hat mich sozusagen aus meinem Bett geholt!“

Der Kopf der Hohepriesterin ruckte herum, dass ihre langen, violetten Haare durch die Zentrale des kleinen Schiffes wehten, und in ihrem Blick lag so viel Verwunderung, dass Sara lachen musste.

„Wir haben ja Zeit!“ meinte sie grinsend und begann, Zentaya zu erzählen, wie es sie in den Obelisken verschlagen hatte.

Nach Beenden ihrer Geschichte kehrte wieder Schweigen ein, doch Sara war sich sicher, dass es diesmal keine Verlegenheit Zentaya’s war, sondern eher ein grüblerisches Nachdenken.

„Das ist nun auch schon ein paar Tage her, was?“ sagte die Hohepriesterin schließlich mit einem Hauch Melancholie in der Stimme.

Sara registrierte die Worte zunächst nicht, dann spürte sie, wie sie – zunächst unterschwellig, dann immer deutlicher werdend – innerlich erstarrte.

„Du hast Recht!“ würgte sie hervor, von plötzlicher Panik ergriffen. „Ein paar Tage ... aber ich ... also ... meine Eltern...!“

Sie brach ab, und auf einmal wurde ihr so schwindlig, dass sie glaubte, in Ohnmacht fallen zu müssen.

„Wenn Du Angst hast, dass Deine Eltern Dich vermissen und wie verrückt suchen, dann kann ich Dich beruhigen!“ beeilte sich Zentaya zu versichern, und zu Sara’s Erleichterung klangen ihre Worte derart überzeugend und beruhigend, dass sie das Gesagte ohne Zweifel verstand und glaubte. „Da kannst Du dich auf Elexi’ael verlassen, der hat mit Sicherheit schon während Deines Schlafens im Obelisk jemanden nach Terra geschickt, der auf telepathischem Wege dafür gesorgt hat, dass Du nicht vermisst wird!“

„Also... also erinnern sich meine Eltern gar nicht an mich!“ sagte Sara, doch trotz des Zitterns in ihrer Stimme fühlte sie sich deutlich erleichterter.

„Das wohl nicht!“ erwiderte Zentaya. „Ich denke eher, sie glauben, Du wärst bei Freunden oder Bekannten! Irgendso etwas hat sich Elexi’aels Mann ausgedacht, und ich kann Dir versichern, dass Elexi’ael in solchen Fällen seine besten Männer ausgewählt hat! Du kannst also ganz beruhigt sein!“

Sara horchte einen Moment lang auf ihre innere Stimme und erkannte, dass sie der Hohepriesterin tatsächlich glaubte – ihr bisheriger Eindruck von Elexi’ael bestätigte die Worte Zentayas. Insofern schien das Problem mit ihren Eltern – vorläufig wenigstens – geklärt zu sein, und wie sie nach Ende ihrer „Mission“ weitermachen würde, könnte sie immer noch entscheiden. Und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie bei aller Heimatverbundenheit und Liebe zu ihren Eltern in Bälde eine Entscheidung treffen müsste – denn das Heimweh und jenes Pflichtgefühl, dass sie jedesmal verspürte, wenn von kosmischen Bestimmungen, Plänen und dem Kämpfen für das Licht die Rede war, standen allem Anschein nach in völligem Widerspruch.

Es gelang ihr, sich selbst zu vertrösten – im Augenblick hatte sie einen Auftrag zu erfüllen, der vermutlich alles von ihr abverlangte, was sie aufbringen konnte. Deswegen waren Gedanken dieser Art im Augenblick nur störend.

„War es bei Dir ähnlich?“ wollte Sara, teils aus Neugierde, teils aus dem Wunsch nach Ablenkung heraus, von Zentaya wissen.

Die Hohepriesterin zögerte mit der Antwort, ehe sie erwiderte: „Nein, bei mir war es nicht nötig – zumindest nicht so wie bei Dir, weil ich von einem imperialen Planeten stamme!“

Sara wurde klar, dass Zentaya nicht alles sagte, sondern einen wesentlichen Bestandteil ihres Weges zur Hohepriesterin verschwieg, wollte aber nicht nachfragen – offensichtlich war es dem jungen Mädchen mit den violetten Haaren unangenehm, darüber zu sprechen. Umso überraschter war Sara, als Zentaya plötzlich von selbst fortfuhr: „Im Gegensatz zu Cya fühle ich mich keineswegs so sehr zu meinem Amt berufen!“

Sara’s weibliche Intuition schlug sofort Alarm, mit einem Mal wurde ihr klar, dass Zentaya jemanden brauchte, mit dem sie reden konnte – sie fühlte sich in ihrer Position als Hohepriesterin nicht wohl, das war ihr deutlich anzusehen. Das aber jemanden zu erzählen, der um die enorme Bedeutung und Würde ihres Amtes wusste, wäre einer Art Verrat gleichgekommen.

War das vielleicht der Grund, weswegen das Orakel ausgerechnet sie beide auf diese Mission geschickt hatte? Weil Sara – durch ihre Unbedarftheit, was Hierarchien und Strukturen im Imperium anging – der ideale Zuhörer für Zentaya’s Geschichte war?

„Cya ist aber, so wie ich das erzählt gekriegt habe, auch nicht bedingungslos zufrieden in ihrem Amt!“ wandte Sara ein und wartete auf die Antwort der Hohepriesterin.

Diese erfolgte prompt: „Aber wer sie sieht und mit ihr spricht, der weiß, dass sie diese Position einfach bekleiden muss – dass sie quasi dafür geboren wurde, Kaiserin zu sein!“

„Das Orakel bestimmt, wer diese Positionen einnimmt, richtig?“

Zentaya nickte ernst und meinte: „Ich weiß, was Du jetzt sagen willst! Das Orakel kann sich nicht irren, und wenn es mich für würdig befindet, wird es seine Gründe haben! Aber trotzdem – warum werde ich in ein Amt berufen, dem ich selbst nicht gewachsen zu sein mich fühle!“

Sara überlegte kurz – sie verstand, was Zentaya bedrückte.

„Weißt Du, ich glaube, dass wir mit dem Recht auf Leben auch eine Pflicht übernommen haben!“ sagte sie schließlich und erkannte, dass sie sich wie Elexi’ael anhörte. „Diese Pflicht besteht darin, sich weiterzuentwickeln und an sich zu arbeiten! Das Orakel hat sicherlich seine Gründe gehabt, Dich zur Hohepriesterin zu machen, und Du musst nun versuchen, an diesen Aufgaben zu wachsen!“

Zentaya antwortete nicht sofort, sondern schien mit ernster Miene über Sara’s Worte nachzudenken, und zwar so lange, dass die junge Frau von der Erde schon glaubte, sie beleidigt zu haben, doch dann murmelte die Hohepriesterin: „Darf ich Dir irgendwann einmal erzählen, wie es war, als man mich zur Hohepriesterin berufen hatte?“

„Klar, natürlich!“ antwortete Sara sofort und war ein wenig verblüfft. „Ich höre Dir gerne zu!“

Wieder folgte eine kurze Pause, ehe Zentaya sagte: „Ich würde mich sehr freuen, jemanden zu haben, mit dem ich nicht als höchste religiöse Instanz reden kann, sondern einfach nur ... als Freundin!“

Ohne es zu wollen, musste Sara lächeln.

„Wie gesagt – sehr gerne!“ erwiderte sie. „Ich bin ganz Ohr!“

„Jetzt ist kein guter Zeitpunkt dafür!“ widersprach Zentaya und erklärte sich sofort: „Wir haben das Sieben-Sonnen-System erreicht!“


*


Das Schauspiel, das sich Sara und Zentaya bot, stimmte nahezu perfekt mit dem Tanzen der Hologramme in der Kathedrale der Unendlichkeit überein – abgesehen von der Größe und dem geheimnisvollen Fehlen des siebten Planeten in der Mitte.

„Eigentlich müsste es ja Sechs-Sonnen-System heißen!“ meinte Sara.

„Der siebte Planet ist aber gravitatorisch gesehen messbar!“ wandte Zentaya ein. „Man kann ihn halt nur nicht sehen!“

„Kann man ihn denn fühlen? Also ... ich meine, ist es ... materiell?“

„Nein, ist er nicht! Man kann ihn in der Tat ausschließlich durch seine Gravitation erkennen! Ich bin kein Physiker oder Wissenschaftler, aber ich glaube, das liegt daran, dass die messbare Schwerkraft nur so etwas wie ein Schatten in unserem Universum ist!“

Sie wandte den Blick und lächelte Sara zaghaft an.

„Klingt kompliziert, was?“ fragte sie leise.

„Klingt nach A’eron!“ antwortete Sara und lächelte zurück.

Seit Zentaya begonnen hatte, sich ihr zu offenbaren, fühlte sie eine tiefe und wachsende Verbindung zu der jungen Frau, und da sie selbst wusste, wie wenig sie im Spiel kosmischer Kriege und Geheimnisse mit ihrem bisherigen Wissensstand beitragen konnte, hatte sie sich der Aufgabe verschrieben, wenigstens diesem Mädchen mit den violetten Haaren eine gute Freundin zu werden.

„Die Frage ist nun, wie wir hier beginnen!“ murmelte Zentaya. „Dummerweise sind wir halt beide keine Wissenschaftler!“

„Wir haben doch einen Bordcomputer!“ schlug Sara vor. „Vielleicht kann der uns helfen! Wir sollten die Gegend einfach mal ... analysieren!“

Zentaya nickte und gab dem Computer einige Anweisungen, der daraufhin mit der Sondierung des sie umgebenden Weltraums begann. Es dauerte nicht lange, bis der Rechner ein erstes Zwischenergebnis präsentierte.

„Im Zentrum des Sieben-Sonnen-Systems sind Abweichungen im Vergleich zu bisherigen Messungen aufgetreten!“ meldete der Computer.

„Was für Abweichungen?“ wollte Zentaya wissen und nahm damit Sara das Wort aus dem Mund.

„Zu den gravitatorischen Energien sind nun diverse chaotisch wirkende Energiewirbel anzumessen!“ erklärte der Computer. „Es kommt vermehrt zur Massebildung!“

„Interpretation?“

„Aus einem unbekannten Kontinuum einfließende Energie transmutiert und konstruiert eine größere Massenansammlung!“

Diesmal war Sara schneller, ihre Vermutung auszusprechen. „Da entsteht vor unseren Augen der siebte Planet!“

Zentaya nickte. „Ja, das denke ich auch!“ bestätigte sie. „Ich werde die Daten sofort zum Obelisken schicken, damit man dort auch Bescheid weiß!“

Sara beobachtete, wie Zentaya die entsprechenden Schaltungen ausführte, und als die Hohepriesterin augenscheinlich fertig war, sagte sie: „Es ist doch möglich, dass das der Hinweis ist, den wir gesucht haben, um diese sechste Person zu finden!“

„Dann wären wir zu früh dran!“ erwiderte Zentaya. „Es dauert sicherlich noch Wochen, bis hier ein Planet entstanden ist!“

„Wäre es denn für das Raumschiff gefährlich, hinzufliegen?“

„Der Computer würde uns warnen! Wir können es ja versuchen!“

Zentaya ließ das bisher auf seiner relativen Position verharrende Raumschiff beschleunigen und steuerte es auf das Sieben-Sonnen-System, insbesondere auf das wirbelnde Toben in der Mitte, zu. Mit steigender Spannung beobachtete Sara, wie die übrigen in verschiedenen Farben schillernden Himmelskörper immer näher kamen.

Sara zuckte zusammen, als mitten in die gespannte Stille plötzlich ein leiser Aufschrei von Zentaya zu hören war.

„Was ist los?“ entfuhr es Sara erschrocken.

„Wir werden abgestoßen! Die Energiewirbel stoßen uns ab! Das dürfte eigentlich nicht sein!“

„Weswegen?“

„Weil uns die Gravitation eigentlich anziehen müsste! Dennoch werden wir immer langsamer und treiben leicht nach links!“

„Versuch’ es noch einmal!“ schlug Sara vor, und Zentaya folgte ihrem Vorschlag – allerdings ergebnislos. Auch als sie mehr Energie auf den Vorwärtsantrieb legte, änderte sich an dem Ergebnis nichts: Sie wurden von dem geheimnisvollen Phänomen im Zentrum des Sieben-Sonnen-Systems abgestoßen.

„Das heißt wohl, wir haben uns geirrt!“ folgerte Zentaya und blickte Sara mit großen Augen an. „Das Phänomen hat doch nichts mit unserer Suche zu tun, wenigstens nicht direkt! Oder aber...“

„Ja?“

„...es ist eine Art Rätsel, das wir lösen müssen, indem wir einen Weg ins Innere dieser energetischen Turbulenzen finden!“

Sara überlegte. Beide Möglichkeiten erschienen ihr in gleichen Maßen plausibel, und schließlich sagte sie: „Da wir nicht wissen, wie wir weitermachen sollen, könnten wir uns doch einfach treiben lassen!“

„Wie meinst Du das?“ wollte Zentaya stirnrunzelnd wissen.

„Nun ja, Du hast doch selbst gesagt, dass wir von dem Zentrum nicht nur einfach abgebremst, sondern auch in eine bestimmte Richtung getrieben werden! Bist Du schon einmal auf einem Fluss mit einem Ruderboot gefahren?“

Die Hohepriesterin blickte Sara an, als habe sie gerade den Vorschlag gemacht, das Raumschiff zu demontieren und eine Skulptur daraus zu bauen, und die junge Frau von der Erde beeilte sich, ihren Vorschlag zu rechtfertigen.

„Wenn man auf einem Fluss mit einem Boot fährt und einen See erreicht, dann kann man sich aus dem See einfach heraustreiben lassen, indem man die Strömung arbeiten lässt, weil nämlich beim Herausfließen des Flusses aus dem Gewässer ein Sog entsteht! Und vielleicht gibt es hier auch einen Sog ins Innere dieses Phänomens!“

Zentaya überlegte einige Momente, schien aber dennoch Sara’s Vorschlag keinen allzu großen Erfolg zuzutrauen. Dennoch meinte sie: „Wir können es ja versuchen!“ Folglich steuerte sie wieder auf das mysteröse Zentrum des Sieben-Sonnen-Systems zu, und als der Abstoßungsprozess erneut einsetzte, deaktivierte sie sämtliche Antriebssysteme und ließ das kleine Zwei-Personen-Raumschiff von den unbekannten Energien treiben.

Das Schiff schien auf einer imaginären Kugeloberfläche nach links zu treiben, und zunächst schien es, als hätte Sara sich tatsächlich geirrt. Dann jedoch stellte Zentaya plötzlich fest, dass ihre Eigengeschwindigkeit minimal zunahm.

„Das kann nicht mehr nur die Abstoßung sein!“ verkündete sie, und mit einem Mal war ihre Stimme von Aufregung und einer Art Triumphgefühl erfüllt. „Irgendetwas zieht uns an!“

Sara gönnte sich das Eigenlob nicht, sondern fragte gleichsam aufgeregt und neugierig: „Wohin zieht es uns denn?“

Zentaya ließ ihren Blick über die Monitore streifen und runzelte plötzlich die Stirn: „Merkwürdig! Wir beschleunigen zwar, aber die Richtung ist eine völlig andere!“

„Nämlich?“

„Wir treiben schnurstracks auf einen der sechs Planeten um den siebten herum zu!“

Sara nahm diese Neuigkeit zur Kenntnis, wollte ihre Idee jedoch nicht sofort verwerfen. „Lass uns trotzdem noch ein wenig treiben! Vielleicht ist es ja auch so, dass wir mit Absicht zu eben diesem äußeren Planeten gezogen werden!“

Zentaya hielt sich weiter an Sara’s Plan, zumal ihnen auch in Ermangelung eines besseren Vorschlags nichts anderes übrig blieb, und schon nach einer kurzen Weile bestätigten sich Zentaya’s Prognosen: Das kleine Raumschiff wurde tatsächlich von einem unbekannten Energieband auf einen grau schimmernden Planeten gezogen, und als auch einige bewusst herbeigeführte Abweichungen vom Kurs an dem Sog nichts änderten, gab Zentaya wieder Energie auf den Hauptantrieb und steuerte den Zielplaneten an, um wenige Minuten später den direkten Landeanflug einzuleiten.


*


Der Planet – sofern man ihn überhaupt als solchen bezeichnen konnte – verfügte über keine atembare Atmosphäre; genauer gesagt besaß er überhaupt keine Gashülle. Stattdessen war er ausschließlich ein materieller Körper im Weltraum mit kugelförmiger Gestalt und von grauer Farbe. Umso erstaunlicher war es, dass der Himmel, der sich über die Planetenoberfläche wölbte, von rotglühender Farbe war, deren Entstehen sich weder Sara noch Zentaya erklären konnten.

Die Hohepriesterin hatte noch während des Landeanflugs mehrere Eigenheiten des Planeten feststellen können, die – hier waren sich Sara und Zentaya einig – stark auf einen künstlichen statt einen natürlichen Ursprung dieses Himmelskörpers hinwiesen: Die ganze Welt war von einem regelmäßigen Muster aus Gebirgsformationen überzogen, die gleichmäßige Wabenmuster bildeten, und im exakten Zentrum jeden Sechsecks erhob sich so etwas wie ein kleines Gebäude.

„Wieso hat das früher noch niemand festgestellt?“ wollte Sara wissen.

Statt zu antworten öffnete Zentaya die Datenbank des Computers und meinte nach einer kurzen Weile: „Das hat man bereits festgestellt, aber da man es sich nicht erklären konnte, ist man nicht weiter darauf eingegangen!“ Die Hohepriesterin warf Sara einen fast verzweifelten Blick zu. „Ich hätte mich wohl doch besser mit dem Sieben-Sonnen-System beschäftigen sollen, zumal es ohnehin eine besondere Affinität zur Kathedrale der Unendlichkeit zu haben scheint!“

Sara lächelte aufmunternd und erwiderte: „Ach was, wir werden auch so alles herausfinden, was von uns verlangt wird!“

Sie beschlossen, neben einem dieser Gebäude zu landen, und nachdem Zentaya die Systeme des Schiffes heruntergefahren und Sara in grundlegende Funktion und basale Bedienung eines Schutzanzugs eingewiesen hatte, verließen die beiden das Raumschiff.


*


Vor ihnen breitete sich eine karge Ödlandschaft aus. Grau war die vorherrschende Farbe, die sich in Form einer langen und breiten Sandebene bis zum fernen Horizont zog, wo einige hohe, spitze Berge in den unerklärlich rotglühenden Himmel ragten. In allen Himmelsrichtungen war ein solches Gebirge zu sehen, dennoch hielten sich die beiden jungen Frauen nicht länger als einen kurzen Blick lang auf, ehe sie ihre Aufmerksamkeit dem glänzenden, etwa zwanzig Meter hohen Kuppelgebäude zuwandten. Durch eine bei Berührung nach innen aufschwingende, doppelflüglige Tür, die von dem stilisierten Bild eines Kometen vor einer Spiralgalaxis – dem uralten Symbol des galaktischen Imperiums – verziert wurde, betraten Zentaya und Sara voller Aufregung das Innere des Bauwerks.

„Wunderschön!“ war das erste, was die Hohepriesterin des galaktischen Imperiums voller Ehrfurcht flüsterte, und auch Sara, die die Worte aus ihrem Helmlautsprecher vernommen hatte, hielt fasziniert den Atem an.

In der Mitte des Raumes hing, von unsichtbaren Quellen aus in ein majestätisch wirkendes Licht getaucht und aus einer Art Edelstein bestehend, ein Modell der sechs Planeten, die sich um den siebenten – einer riesigen Glaskugel – gruppiert hatten. Jeder der sechs Edelsteine leuchtete scheinbar in einer anderen Farbe, denn als die beiden Frauen sie sich näher betrachteten, stellten sie fest, dass jedes dieser Gebilde prinzipiell aus zwei verschieden farbigen Komponenten bestand, nämlich aus einem undurchsichtigen „Kern“, umgeben von einer halbdurchsichtigen „Hülle“. Es gab einen Edelstein mit einem dunkelblauen Zentrum und einer hellblauen Peripherie, einen mit einem roten Kern und einer grünen Hülle, einen blau-gelben, einen grau-roten, einen braun-orangenen und einen schwarz-violetten.

„Der gefällt mir!“ sagte Zentaya und deutete auf den Edelstein mit dem schwarzen Kern und der violetten Hülle.

„Ich finde ich den hier schöner!“ erwiderte Sara und betrachtete mit strahlenden Augen den grau-roten Stein.

Noch immer voller Faszination für die Schönheit des Gebildes umrundeten sie die Konstruktion, fanden jedoch auf den ersten Blick keine nennenswerten Hinweise auf das eigentliche Ziel ihrer Suche, nämlich jene sechste Person, auf die sie das Orakel aufmerksam gemacht hatte.

„Wir sollten versuchen, Schritt für Schritt dieses Modell zu interpretieren!“ meinte Zentaya schließlich. „Offensichtlich stellt es ja das Sieben-Sonnen-System dar, also könnten wir eventuell herausfinden, auf welchem Planeten wir uns im Augenblick befinden!“

Sara betrachtete einige Sekunden lang das Modell und ging im Kopf mehrere Kombinationen und Ideen durch, ehe sie plötzlich lachte, und als Zentaya sie mit einem verwunderten Blick bedachte, meinte sie, auf die große Glaskugel deutend und noch immer grinsend: „Also eines ist klar – auf diesem Planeten sind wir nicht!“

Auch Zentaya musste lachen und erwiderte: „Okay, einen haben wir also schon mal ausgeschlossen! Bleiben also noch sechs übrig!“

Schlagartig wurde Sara ernst, denn ihr fiel etwas auf, das sie, nachdem es ihr jetzt klar geworden war, eigentlich schon viel früher hätte erkennen müssen. „Ja, sechs Planeten bleiben übrig, denn sechs Planeten umkreisen dieses merkwürdige Zentrum! Und wenn wir das Ziel unserer Suche gefunden haben, sind wir ja auch sechs Personen in der Armee des Lichts!“

Auch Zentaya schien ein Licht aufzugehen, und sie ergänzte: „Das Orakel hat ja auch von sechs Kriegern gesprochen!“

„Das aber würde bedeuten, dass jeder dieser Planeten – außer dem siebenten – und auch jeder dieser Edelsteine eine Person von uns darstellt!“

Es war, als hätte Sara’s Geistesblitz eine wahre Lawine der Erkenntnis in Bewegung gesetzt, denn sofort nahm Zentaya den Faden auf und sagte: „Erinnere Dich, als wir hier eintraten, hat jede von uns sofort einen der Edelsteine als den schönsten bezeichnet! Ich glaube nicht, dass das Zufall war!“

Sara nickte kurz und meinte: „Ich habe sofort und unbewusst diesen da ausgewählt!“ Sie deutete auf den roten Edelstein mit dem grauen Kern. „Und Du fandest den violetten mit dem schwarzen Kern am schönsten!“

„Dazu passt noch etwas!“ fuhr Zentaya fort. „Wir haben doch eben überlegt, welcher Edelstein welchen Planeten symbolisiert...“

„...naheliegenderweise sind wir auf diesem mit dem grauen Kern und der roten Hülle, den ich so schön finde, da der Boden grau und der Himmel rot ist...“

„...was dafür spricht, dass wir gerade von diesem Planeten angezogen wurden! Im Grunde genommen wollte der Sog nicht unser Raumschiff, sondern Dich!“

Über diesen Gedankenschritt musste Sara einige Momente lang nachdenken, doch obwohl er ihr zunächst unglaublich weit hergeholt schien, kam sie nach einer Weile nicht umhin, ihn zumindest als in sich stimmig zu bezeichnen. Dann jedoch stolperte sie über einen kleinen Fehler.

„Und wieso hat der Sog ausgerechnet mich betroffen? Du bist doch auch ein Mitglied der Armee des Lichts!“

„Weil mein schwarz-violetter Planet weiter weg war von unserem Raumschiff!“ erklärte Zentaya sofort, und ihre Augen strahlten in einem begeisterten Feuer wie nie zuvor. „Ich bin mir sicher, dass wir genauso von diesem Himmelskörper angezogen werden, wenn wir nur nahe genug sind!“

Auch das schien in das vorangegangene Gedankengerüst zu passen, und als Sara sämtliche Bestandteile dieser mentalen Konstruktion durchging, fand sie keinen Widerspruch.

„Wir gehen mal davon aus, dass unsere Überlegungen richtig sind!“ sagte sie ernst. „Welche Farben gehören dann zu den anderen? Und wie kommen wir dann aber weiter?“

Zentaya dachte kurz nach und meinte dann: „Ich glaube, das können wir jetzt nicht erschließen!“

„Und wie soll es dann weitergehen?“

Die beiden jungen Frauen versanken erneut in ihren Gedanken; jede von ihnen versuchte mit steigender Verzweiflung, einen sinnvollen Ansatz zu finden, doch wollte weder bei Sara noch bei Zentaya ein erneuter Geistesblitz einschlagen. Unschlüssig umrundete Sara das Gebilde, verlor mit jedem Schritt mehr die Hoffnung, noch den entscheidenden Hinweis zu entdecken, und blieb doch immer wieder unter dem vermeintlich „ihrem“ Edelstein stehen.

Noch immer befand sich ein winziger Funken Ungläubigkeit in ihrem Bewusstsein, was den Sog anging, der sie angeblich auf diesen Planeten gerufen hatte. Als könne ihr das kleinere Modell diesen letzten Zweifel vertreiben, hob sie die umhüllte Hand und streckte sich, um mit den behandschuhten Fingerspitzen den Edelstein zu berühren – und im selben Augenblick schien ihre Umgebung zu explodieren. Ein greller Blitz zuckte durch die Halle, und aus den Augenwinkeln sah sie, wie Zentaya erschrocken den Kopf zu ihr herumriss.

Dem Blitz folgte ein helles Leuchten, und als sich ihre Augen an die neue Helligkeit bewöhnt hatten, erkannte sie, dass das Licht einerseits von dem kleinen Edelstein, den sie berührte, ausging, als auch von der Glaskugel in der Mitte des Modells, in der sich nun eine Projektion des strahlenden grau-roten Edelsteins drehte, während einige für Sara unverständliche Symbole über die Oberfläche der Kugel flirrten.

„Fantastisch!“ entfuhr es Zentaya. „Noch ein Beweis für unsere Theorie!“

Sara zog langsam und vorsichtig ihre Hand zurück, und ebenso zögernd erlosch das Leuchten in dem Raum; auch die große Glaskugel in der Mitte zeigte wieder nichts als Leere.

„Versuch’ Du es auch!“ forderte Sara ihre Begleiterin auf, und auch diese näherte sich nun dem Edelstein, von dem sie glaubte, er gehörte zu ihrer Person. Vorsichtig und zögerlich hob sie ihren zierlichen, vom Anzug verdeckten, Arm und berührte schließlich den violetten Stein mit dem schwarzen Kern.

Wieder ging ein Leuchten durch die Halle, doch war es eine deutlich schwächere Reaktion als bei Sara – nur das von ihr berührte Objekt strahlte dieses Mal, während sich in der mittleren Glaskugel nichts tat. Zentaya entfernte ihre Hand wieder, und das Licht verwehte.

„Es macht Sinn, dass Du eine stärkere Reaktion provozierst!“ interpretierte die Hohepriesterin das Erlebte. „Schließlich ist das hier sozusagen Deine Welt!“

Sara nickte und erwiderte: „Du meinst also, dass es auf dem schwarz-violetten Planeten genau andersrum wäre!“

„Ich bin dafür, dass wir es ausprobieren!“ schlug Zentaya vor, und Sara stimmte zu, hatte jedoch noch eine Frage.

„Hast Du die Symbole bemerkt, die bei meiner Berührung über die Glaskugel geflimmert sind?“ wollte sie wissen.

„Ja, habe ich!“ antwortete die Hohepriesterin des galaktischen Imperiums, in deren Verhalten nichts mehr von der Schüchternheit des Hinflugs zu bemerken war. „Ich lasse sie vom Computer an Bord unseres Schiffes auswerten!“

„Dann starten wir jetzt also und fliegen zu Deiner Welt!“


*


Zentaya’s Prophezeiung sollte sich bewahrheiten, denn als jener Punkt überrschritten war, hinter dem der schwarze Planet des Sieben-Sonnen-Systems näher an dem kleinen Raumschiff war als der graue, bestätigten die Sensoren des Schiffes, dass ein stärker werdender Sog auf den Zwei-Sitzer ausgeübt wurde, und zwar aus Richtung des vor ihnen liegenden Himmelskörpers. Die Hohepriesterin programmierte den Kurs und verfolgte derweil die Auswertung der auf der Glaskugel erschienenen Symbole durch den Computer.

„Es handelt sich um ein sehr altes, nur bruchstückhaft analysiertes Codierungsverfahren, das kosmohistorischen Daten zufolge im Alten Imperium genutzt wurde!“ erklärte der Computer.

„Das Alte Imperium bezeichnet ein noch ziemlich wenig erforschtes Konstrukt, von dem man inzwischen ausgeht, dass es vor etwa 900 Millionen Jahren die Milchstraße dominierte und aus ungeklärten Ursachen zu Grunde ging!“ erläuterte Zentaya, zu Sara gewandt, die kurz nickte.

„Kannst Du die Symbole entschlüsseln?“ wollte Zentaya anschließend vom Computer wissen.

„Die Entschlüsselungswahrscheinlichkeit liegt bei 73, 391%, dauert aber eine Weile!“ informierte die Stimme des Bordcomputers.

„Dann sehen wir uns erst mal den Planeten unter uns an!“

Die offensichtlich wie ihr Partner im Tanz um das noch immer von Energiewirbeln heimgesuchte Zentrum des Sieben-Sonnen-Systems künstliche Welt, die so schwarz war, dass man sie nur am Fehlen der dahinterliegenden Sterne erkannte, lag nun unmittelbar vor ihnen, und obwohl sie derart düster war, wirkte sie doch keineswegs bedrohlich auf Zentaya und Sara. Auch sie – das ergaben sensorische Vermessungen – war von jenem wabenförmigen Gebirgsmuster überzogen, und die Hohepriesterin landete das kleine Raumschiff wie schon zuvor auf dem grauen Himmelskörper direkt neben einem geometrischen Zentrum einer solchen Wabe. Was von Weltraum aus nicht zu sehen gewesen, nun aber deutlich erkennbar war, war der violette Schimmer, der über dem dunklen Boden lag.

Neben ihnen befand sich das bereits vertraute Gebäude, und als sie es betraten, fanden sie auch hier ein Modell der sieben Raumkörper vor.

„Eigentlich ist die Bezeichnung Sieben Sonnen völlig verkehrt!“ stellte Sara plötzlich fest, als sie das Gebilde betrachtete. „Es sind ja gar keine Sonnen!“

„Nein, und auch keine Planeten!“ bestätigte Zentaya. „Aber irgendjemand hat dem Phänomen einmal den Namen gegeben, und seitdem hält er sich beharrlich!“

Sie fanden in Form der Edelsteine mit dem Kerneinschluss erneut die beiden, von denen sie glaubten, dass sie ihre Person wiederspiegelten und zögerten nicht lange, ihre Vermutung zu testen: Zunächst legte Sara ihre Finger an die rot-graue Kugel und registrierte zufrieden, wie die Helligkeit in dem Raum zunahm, als der Edelstein zu strahlen begann.

„So, das entspricht zumindest unseren Vermutungen!“ meinte sie anschließend, nachdem sie ihre Hände zurückgezogen hatte und das Leuchten verschwunden war. „Nun bist Du an der Reihe!“

Sie hörte, wie Zentaya in ihrem Raumanzug tief Luft nahm und dann die Hände ausstreckte, um den schwarz-violetten Körper mit beiden Händen zu berühren.

Die Reaktion erfolgte augenblicklich, war jedoch nicht ganz so intensiv – was wohl aber daran lag, dass Sara sie bereits erwartet und sich darauf eingestellt hatte. Ein gleißendes Leuchten erfüllte das ganze Gebäude, und neben dem von Zentaya umfassten Edelstein strahlte nun auch die Glaskugel in der Mitte in einem hellen Licht. Ein kleines Abbild des schwarz-violetten Objekts wurde in ihr sichtbar, Symbolkolonnen flirrten über die Oberfläche der Kugel.

Zentaya ließ durch Loslassen das Phönomen abklingen und blickte Sara durch den transparenten Helm hindurch mit einer Mischung aus Zufriedenheit und Unsicherheit an.

„Unsere Theorie war richtig!“ sagte sie. „Aber wie geht es nun weiter?“

„Ich denke, dass der Schlüssel in der Symbolfolge liegt, die wir gesehen haben!“ antwortete Sara nach kurzem Überlegen. „Der Computer hat sie doch als Codierung für irgendwas beschrieben!“

„Das heißt also, dass wir hier nichts mehr tun können!“ folgerte Zentaya. „Wir müssen jetzt auf die Auswertungen dieser und der vorangegangen Symbolreihe warten!“

Die junge Frau von der Erde stimmte ihr zu, und so verließen sie bereits nach kurzer Zeit das Gebäude wieder und begaben sich in die Kommandozentrale ihres kleinen Raumschiffes. Dort überspielte Zentaya die gewonnenen Daten aus ihrem MiniCom in den Rechner und bat um Analyse.

„Beide Symbolreihen weisen eine Übereinstimmung von 100% auf!“ meldete der Computer.

„Wie weit bist Du mit Deiner Entschlüsselung?“ wollte Zentaya wissen.

„Eine zu 91% sichere Entschlüsselung liegt in vier Stunden und 11 Minuten vor!“ erklärte der Computer.

Zentaya wandte Sara den Kopf zu und sagte: „Dann sollten wir die Zeit sinnvoll nutzen!“

„Und wie?“

„Indem wir uns hinlegen und versuchen, zu schlafen!“

„Wie bitte? Schlafen?“ entfuhr es Sara, die bisher keinen Gedanken an Ausruhen verschwendet hatte, und auch als sie in sich hineinhorchte, traf sie auf ein wahres Toben verschiedenster Empfindungen, aber Müdigkeit oder Erschöpfung waren nicht dabei.

„Ich weiß, Du wirst Dich vermutlich nicht müde fühlen!“ fuhr Zentaya fort. „Aber das liegt an der Aufregung! Glaub’ mir, wir können Schlaf alle beide gut gebrauchen!“

„Aber ich werde jetzt nicht schlafen können!“ widersprach Sara und fühlte sich mit einem Male von ihrer neuen Freundin missverstanden.

„Doch, wirst Du!“ meinte diese lächelnd. „Schließe einfach die Augen!“

Sara folgte der Anweisung der Hohepriesterin, nicht zuletzt, um sie eines besseren zu belehren, doch kaum hatte sie Augen geschlossen, als eine leise Melodie in ihrem Ohr erklang, und ehe sie sich versah, verspürte sie eine tiefgehende Erschöpfung. So dauerte es nicht lange, bis Sara von Terra tatsächlich eingeschlafen war.

Genau vier Stunden und 10 Minuten später erwachte sie und war augenblicklich topfit.

„Was war denn das?“ fragte sie Zentaya, die neben ihr auf ihrem zurückgeklappten Sitz lag und offensichtlich auch im Moment erst erwacht war.

„Ein Tiefschlaf-Prozess!“ erkläre Zentaya. „Der Computer hat über akkustische Signale Dein Gehirn in einen Ruhezustand versetzt und Dich auf gleichem Wege aufwachen lassen! Dass er überhaupt dazu in der Lage war, zeigt, dass Du wirklich erschöpft warst! Das funktioniert nämlich nicht, wenn man nicht müde ist oder sich widersetzt!“

Noch bevor Sara etwas erwidern konnte, meldete sich der erwähnte Bordrechner und verkündete: „Ich konnte die Symbolfolge auswerten! Es handelt sich dabei um Raumkoordinaten, dargestellt durch einen Richtungsvektor mit dem Sieben-Sonnen-System als Nullpunkt!“

Zentaya und Sara warfen sich einen kurzen, vielsagen Blick zu.

„Hast Du die Koordinaten überprüft?“ wollte Zentaya vom Computer wissen.

„Es handelt sich um den dritten Mond des Planeten 1 – 15 – RZ – 12e, Eigenname: nicht vorhanden!“ präzisierte der Computer. „Das Objekt befindet sich in der imperialen Datenbank, wurde jedoch nur kartographiert und nicht weiter erforscht! Es handelt sich um einen sehr maritimen Trabanten mit einer Sauerstoff-Atmosphäre!“

Sara blickte die Hohepriesterin an und meinte: „Dann brechen wir wohl auf!“

Zentaya fuhr die Antriebsysteme des kleinen Raumschiffes hoch, und schon wenige Minuten später hatten sie nicht nur den schwarzen Himmelskörper, sondern das gesamte System der sieben Sonnen hinter sich gelassen und rasten vom galaktischen Zentrum aus dem Zielplaneten in der Randzone der Milchstraße entgegen – und während Sterne, Sonnensysteme und Planeten an ihnen vorbeizurasen schienen, lauschte Sara voller Neugierde der Erzählung Zentaya’s...


*


Der erste Sonnenstrahl eines Morgens.

Bewegung aus der Bewegungslosigkeit.

Flügelschlag.

Ein stilles, kaum wahrnehmbares Flattern.

Tautropfen stäuben davon – brechen das Licht millionenfach.

Dann ein Schrei – erst leise, dann anschwillend, dann volltönend.

Der Laut endete aprupt, und Zentaya Titavoli blickte mit leuchtenden Augen dem Lichtvogel nach, der mit schnellen Schlägen seiner transparenten Flügel davon und in den Himmel flog.

Das junge Mädchen, nicht älter als 89 Jahre, war früh am Morgen aus ihrem Zimmer getreten, um auf dem Balkon die aufgehende Sonne zu erwarten – und war zu ihrer Überraschung nicht allein gewesen, denn auf dem Geländer hatte sich am Vorabend unbemerkt ein Lichtvogel niedergelassen. Dieses auf dem Planeten Dosk heimische Tier besaß fast durchsichtige Flügel, in deren Innern winzigkleine, netzartige Photozellen das Sonnenlicht absorbierten und in die Energie umwandelten, auf die der Vogel angewiesen war. Nachts bei Sonnenuntergang lässt er sich irgendwo nieder und erstarrt mit dem Verschwinden der Sonne zu absoluter Bewegungslosigkeit, ehe er am nächsten Morgen vom ersten Sonnenstrahl aus seinem todähnlichen Schlaf geweckt wird und zu neuem Leben erwacht.

Es galt als Glückssymbol, wenn man ihn morgens irgendwo auf seinem Grundstück fand, und Zentaya – angefüllt mit dem idealistischen Aberglauben, der nur jungen Menschen dieses Alters eigen ist – fragte sich ohne zu zögern, worin wohl dieses Glück bestehen würde. Sie hatte mit glänzenden Augen dem Tier nachgesehen, wie es diamantartig leuchtend davongeflogen war und suchte ihn noch immer mit ihren violetten Augen, als es schon längst unmöglich war, ihn noch zu erkennen.

„Zentaya?“ sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr, und sie drehte sich herum, um ihre Mutter im Türrahmen stehen zu sehen.

„Mama!“ sagte sie lächelnd mit einem beinahe ehrfürchtigen Tonfall.

„Ein herrlicher Morgen, nicht wahr, mein Kind?“

„Ja, wunderschön!“

Zentesa Titavoli bedachte ihre jüngste Tochter mit dem gleichen liebevollen, zärtlichen Blick, mit dem das junge Mädchen sie anblickte, und nicht zum ersten Mal musste sie sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen.

Sie und ihr Mann Ekaim waren beide schon sehr alt, fast 665 Jahre, und das einstmals prachtvolle Haar mit dem satten Blauton, das sie ihrer Tochter vererbt hatte, war blass und schütter geworden. Ihr

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 10.06.2016
ISBN: 978-3-7396-5989-3

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Die Armee des Lichts finden Sie auch im Internet unter www.armeedeslichts.de

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