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AD ASTRA 001 Buchausgabe:

 

Das Geheimnis der

Pflanzenwelt

 

Ein neues Abenteuer aus der Serie TERRA FUTURA von W. Berner

 

AD ASTRA Buch 001

ISSN 1614-3280

Copyright 2009 by HARY-PRODUCTION

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HARY-PRODUCTION!

 

Einführung

 

Eine ereignisreiche Zeit lag hinter den Menschen der Erde. Der erste Kontakt mit einer fremden, raumfahrenden Zivilisation hätte fast in einer gigantischen Katastrophe geendet. Aufgrund von kulturellen Unterschieden, Fehlinterpretationen und Missverständnissen glaubten sich die Außerirdischen, die sich selbst als ‚Noraki’ bezeichneten, von der Menschheit bedroht. Es kam zu Entführungen von Bürgern des Terranischen Bundes, darunter auch Roy Anthony, funktechnischer Spezialist des TESECO- Einsatzkreuzers PRINCESS II.

Aus dem Nichts heraus erschien eine Flotte der Noraki im Sonnensystem, wo sie einen heftigen Angriff auf die Mondhauptstadt flogen, auf Luneville. Mit den vereinten Kräften der Unionsflotte, den TESECO-Einheiten und der Systemverteidigung konnte dieser Angriff unter nicht unerheblichen Verlusten abgewehrt werden. Doch dies war noch nicht der Höhepunkt der Auseinandersetzung. Im Zuge ihrer Abwehrmaßnahmen platzierten die Noraki einen Sonnenzünder in der Sonne Sadir. Topic, ein beliebter Ferienplanet, zog dort seine Bahn. Das Sadir-System lag quasi vor der Haustüre der Noraki.

Der Sonnenzünder leitete eine Entwicklung ein, die in der Explosion Sadirs gipfelte. Man hatte zwar noch versucht, alle Menschen aus dem Sadir-System zu evakuieren, doch die Zeit war zu kurz. Es gab tausende Todesopfer.

Umso überraschender kam dann die Wendung, indem die Regierung der Noraki Kontakt zur Erde aufnahm, um Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen den Völkern aufzunehmen. Ruhe kehrte in die Stellare Union ein.

Die Crew der PRINCESS II genoss ihren wohlverdienten Urlaub, denn sie waren bei den Geschehnissen im Sadir-System dem Tod nur um Haaresbreite entgangen.

In dieser Ruheperiode ging man daran, die neuen Außengrenzen des künftigen Territoriums des Stellaren Bundes abzusichern. Ortungs-Satelliten und Wachstationen wurden eingerichtet. Vermessungs- und Kartographenschiffe waren unterwegs, um jedes Lichtjahr des neuen Gebietes zu vermessen und auf die Raumkarten zu bringen. Eines dieser Schiffe war die ENIGMA, unter dem Kommando von Crewmaster Letitia Krim. Sie und ihre Crew machten eine Entdeckung, die den Einsatz von TESECO erforderlich machen sollte. Es ging darum, einem Geheimnis auf die Spur zu kommen, dem GEHEIMNIS DER PFLANZENWELT…

 

Die Hauptpersonen des Romans:

 

Letitia Krim - Die Kommandantin des Vermessungsschiffes ENIGMA macht eine folgenschwere Entdeckung

 

Tom Carna, Nomo Teniate, Glenn Stark, Roy Anthony, Harriet James, Hanne Arminos und Karin Schröder - Die Crew der PRINCESS II schließt eine seltsame Freundschaft

 

Gareth Hiiol - Ein Ersatzmann an Bord der PRINCESS II wird zum Risiko

 

Generalmanagerin Kate Reed - Die Chefin der TERRA SECURITY ORGANISATION wird erneut überrascht

 

1


„Noch zwei Minuten bis zum Orientierungsaustritt“, meldete Momoto Kochi, der schwarzhaarige Astronavigationsspezialist an Bord des Vermessungsschiffes ENIGMA.

Letitia Krim, ihres Zeichens Kommandantin der ENIGMA nickte kurz, als Zeichen, dass sie die Worte des eher zierlich gebauten Japaners aus SubTokio verstanden hatte. Außerdem erschien auf einem kleinen Display ihres Kommandopultes ein entsprechender Hinweis, in Kombination mit einer rückwärts laufender Zeitanzeige. Mit einer flüchtigen Handbewegung aktivierte sie die Bordkommunikation.

„Achtung Leute, hier spricht eure allseits geschätzte und ständig hochverehrte und angebetete Kommandantin“, sagte sie, mit einem Schmunzeln auf ihren sinnlichen, vollen Lippen, die sie zumindest von einem Mann an Bord angebetet wusste.

„Die Hyperraumruhe ist beendet“, gab sie weiter durch. „In…“ sie warf einen kurzen Blick auf den Countdown, „... genau einer Minute und dreißig Sekunden verlassen wir den Hyperraum. Alle Mann auf Position – und damit meine ich auch die Frauen der Crew!“

Den letzten Teil ihrer Anweisung gab sie speziell für die kanadische Kybernetikerin Paula Mantee von sich. Diese beschwerte sich nämlich ständig über das vorwiegend ‚männliche’ Vokabular ihn der Raumfahrt. Mit ihren Nörgeleien ging sie dabei nicht nur der Kommandantin auf die Nerven. Nichtsdestotrotz war sie eine hervorragende Fachkraft, weswegen Letitia Krim sie nicht an Bord der ENIGMA missen wollte. Wenige Sekunden nach der Durchsage öffnete sich die Lifttür des zentralen Bordaufzugs, der sich als eine zwei Meter durchmessende Röhre, die das Schiff vom Kommandodeck bis hinunter in die Bodenschleuse durchlief, präsentierte. Modernere Schiffe besaßen zwischenzeitlich einen geteilten Antigrav- Lift, bei dem gleichzeitig die Bewegung nach oben und unten möglich war. Die ENIGMA hatte schon ein paar Jährchen auf ihrem Buckel, doch bisher hatte sich das Schiff als durch und durch zuverlässig erwiesen.

Nacheinander betraten die restlichen Crewmitglieder die Zentrale, um sogleich ihre Arbeitsplätze hinter den Kontrollpulten einzunehmen. Ein Orientierungsaustritt war ein alltäglicher Vorgang, der von Zeit zu Zeit durchgeführt wurde, um etwaige Kursabweichungen korrigieren zu können. Bei kosmischen Entfernungen konnte schon eine geringe Abweichung dafür sorgen, dass ein Raumschiff sein Ziel um Lichttage, ja sogar Lichtmonate verfehlte. Im bisherigen Kerngebiet der Stellaren Union waren Abertausende von galaktonautischen Positionsbojen platziert. Diese kommunizierten automatisch mit den jeweiligen Bordrechnern, so dass Orientierungsaustritte praktisch unnötig waren. Doch hier, in dem neuen Gebiet, gab es diesen Luxus natürlich noch nicht.

Der Bordchronometer zeigte die letzten Sekunden an. Bei ‚Null’ ertönte ein melodischer Gong. Gleichzeitig wurde der SUPRAG deaktiviert, der über einen Konstantaufriss zum Hyperraum den MAWIB, dass Mawitzel’sche Hyperenergie- Wandlergerät, mit Hyperenergie versorgte. Damit stellte der MAWIB automatisch seinen Betrieb ein. Die SEHD- Projektoren bekamen dadurch keine Energie mehr, so dass das von Ihnen generierte SEHD- Feld schlagartig zusammenbrach. Das Raumschiff fiel praktisch übergangslos aus dem Hyperraum in den Normalraum zurück. Automatisch sprangen die ALPHARD- Energiekonverter an und der deGrelle’sche Schwerfeldantrieb nahm seinen Betrieb auf und trieb die ENIGMA im Unterlichtflug weiter durch das All. All das geschah innerhalb von Sekundenbruchteilen, mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerkes.

Zufrieden mit Schiff und Crew wandte sich die Aufmerksamkeit der Kommandantin dem zentralen Bildschirm ihres Kommandobereiches zu. Darauf war das trüb braun- violette Wallen des Hyperraums verschwunden und hatte dem gewohnten Anblick des prachtvollen Sternenfunkelns Platz gemacht. Routinemäßig scannte die Crew die nähere Umgebung des Raumschiffes ab. Anhand des bisher vorliegenden Daten- und Kartenmaterials sollte die ENIGMA an dieser Stelle im Raum nichts Besonderes erwarten. Umso erstaunter waren die Raumfahrer, als sich Momoto Kochi meldete, der an Bord für Astronavigation und Raumüberwachung zuständig war.

„Die Ortung spricht an“, informierte er seine Kollegen mit verblüfft klingender Stimme. „Ich erfasse eine Sonne, Spektraltyp G Null, Sol ähnlich, nur geringe Abweichungen im Spektralogramm. Entfernung sieben Lichtmonate.“

Letitia Krim zog erstaunt ihre Augenbrauen in die Höhe.

„Eine Sonne? Hier?“, hakte sie irritiert nach. „Irrst du dich auch nicht, Momoto?“

„Natürlich irre ich mich“, giftete der kleine Japaner zurück. „Ich habe meine Instrumente noch nie zuvor in meinem Leben gesehen!“

„Schon gut, schon gut!“, beschwichtigte die Kommandantin den Astronavigationsspezialisten. „Ich wollte dich nicht in deiner Berufsehre kränken.“

Rasch rief sie über ihren Touchscreen einige Daten ab.

„Da haben wir es!“, rief sie nach einem kurzen Moment aus.

„Das Vermessungsschiff SEARCHER XX hat diesen Sektor vor knapp sechs Monaten schon einmal durchflogen und kartographisiert. Und nach deren Datenmaterial dürfte sich von diesem Punkt aus gesehen im Umkreis von fünf Lichtjahren keine Sonne befinden.“

„Das ist in der Tat seltsam“, stimmte der schwarzhaarige Japaner überrascht zu. „Entweder haben die auf der SEARCHER kometenmäßig gepennt, oder hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu!“

„Das sehe ich auch so“, sagte Letitia Krim mit nachdenklicher Miene.

„Wie dem auch sei, wir werden der Sache auf den Grund gehen. Momoto, überprüfe bitte noch einmal deine Daten und schick sie dann Paula auf ihr Pult, damit sie einen Kurs bestimmen kann“, wies sie den Japaner an. „Und dann werden wir dort hin fliegen und nachsehen, was an dieser ominösen Sonne dran ist.“

Sie warf einen funkelnden Blick in die Runde.

„Ihr wisst, was es bedeutet, wenn sich unsere Messung als wahr erweisen und wir tatsächlich ein bisher unbekanntes System kartographisieren?“

Whitt Kilian, der stellvertretende Kommandant der ENIGMA, klatschte begeistert in seine Hände.

„Eine Top- Provision, das bedeutet es!“, rief er fröhlich aus. „jede Menge TECS für uns. Und die kann ich gerade wirklich gut brauchen!“

„Du kannst Geld doch immer gerade wirklich gut brauchen“, spöttelte Paula.

Doch Whitt ignorierte die Bemerkung der Kybernetikerin. Stattdessen studierte er das Ortungsbild der fernen Sonne.

„Hoffentlich hat das Ding da draußen auch noch ein paar Planeten. Das wären dann noch einmal ein paar TECS extra.“

Seine Augen bekamen bei dem Gedanken an das viele Geld einen glänzenden Schimmer.

Paula Mantee schüttelte ihren Kopf.

„Whitt, Whitt…“, seufzte sie, „Mit dir nimmt es noch einmal ein schlimmes Ende. Du denkst ständig nur ans Geld!“

„Aber überhaupt nicht!“, protestierte der Gescholtene mit einem frechen Grinsen. „Eigentlich denke ich ständig nur an Sex. Und das viele Geld erlaubt mir, ganz viel davon zu bekommen.“

„Du bist und bleibst ein Wüstling!“, beschwerte sich Paula.

„Man tut, was man kann“, erklärte der Subcommander lakonisch.

„Könnt ihr Euren tiefsinnigen Dialog für einen Moment unterbrechen?“, mischte sich Momoto in das Gespräch der beiden ein.

„Dann könnte ich meine weiteren Ortungsergebnisse mitteilen.“

„Schiess los, Weltraumlauscher“, forderte Whitt ihn auf.

Der Japaner räusperte sich kurz.

„Also…“, begann er, „…meine Messergebnisse sind natürlich völlig korrekt.“

„Wer hätte auch je etwas anderes denken können“, rief Kilian dazwischen, was ihm einen verärgerten Blick des kleinen Japaners einbrachte.

„In exakt sieben Lichtmonaten, dreizehn Lichtstunden und zwölf Lichtminuten befindet sich ein Sonnensystem mit einer gelben Sonne, vom Sol- Typ, die geringförmig größer ist, als unser Heimatstern.“

„Und? Planeten?“, wollte Kilian neugierig wissen.

„Wir sind noch zu weit weg, um genauere Ortungsergebnisse hereinzubekommen. Doch das Astrophysikalische Programm meines Arbeitsplatzes hat eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein von mindestens drei dunklen Begleitern errechnet.“

„Noch umständlicher hättest du das wohl nicht formulieren können“, meinte Kilian spöttisch. „Wahrscheinlich drei Planeten – das hätte genügt!“

Momoto Kochi öffnete schon seinen Mund, um mit einer geharnischten Antwort aufzuwarten, doch schnell klinkte sich die Kommandantin in die Unterhaltung ein, um das zu erwartende Streitgespräch zwischen Momoto und Whitt im Keim zu ersticken.

„Über Sinn und Unsinn diverser Formulierungen im Sprachgebrauch könnte ihr beide euch streiten, wenn ihr weit weg und außer Hörweite seid“, sagte sie und bedachte beide mit einem strengen, warnenden Blick.

Daraufhin schloss Momoto seinen Mund wieder und auch Whitt Kilian trat mit einem undeutlichen Genuschel den verbalen Rückzug an. Letitia Krim nahm es mit Befriedigung zur Kenntnis. Eines dieser nervenden Streitgespräche, die geradezu ausarten konnten, war das letzte, was sie sich jetzt anhören wollte. Nachdem die beiden notorischen Streithähne ausgebremst waren, wandte sich die Kommandantin an Paula Mantee. Diese hatte die Daten Momotos abgerufen, um damit einerseits die genaue Position des Systems zu bestimmen und andererseits sogleich einen Kurs für die ENIGMA dorthin auszuarbeiten.

„Wie sieht es aus, Paula?“, fragte sie die aus dem kanadischen Ontario stammende Kybernetik- und Raumkartographiespezialistin.

„Hast du die Koordinaten schon vorliegen?“

„Aber sicher doch“, bestätigte Paula. „Momoto hatte ja schon bereits gute Vorarbeit geleistet. Die Koordinaten der unbekannten Sonne lauten Negativ- Vektor OST, 6 zu 23 zu 15 zu 179. Die Entfernung zu uns hatte Momoto ja schon exakt geliefert.“

„Danke, Paula.“

Einen Moment lang war erwartungsvolle Ruhe in die Kommandokanzel der ENIGMA eingekehrt. Letitia Krim schaute in die die gespannten Gesichter ihrer Kollegen.

„Wenn ich mich so umschaue, dann kann ich mir die Frage, ob wir dorthin fliegen sollen, doch wohl völlig sparen, oder?“

Die Antwort bestand lediglich aus einem kollektiven Grinsen.

„Also gut, Leute!“, rief sie dann aus.

„Paula, transferiere die Kursdaten auf mein Pult. Wir werden uns erstmal bis auf 20 Lichtstunden dem System nähern. Alles bereit machen für eine kurze Hyperraum- Etappe. SUPRAG warm laufen lassen.

ALPHARD- Konverter hochfahren, wir gehen mit dem de Grelle auf 75 % Licht.“

Die ENIGMA beschleunigte, gezogen von den künstlichen, in Flugrichtung projizierten Schwerefeldern des deGrell'schen Schwerefeldantriebes, der von den ALPHARD- Konvertern mit modifizierter Hochenergie versorgt wurde. Beim Erreichen von 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit wurden die SUPRAGS ausgelöst. Diese erzeugten zunächst einen Aufrissimpuls, der eine Verbindung zum übergeordneten Kontinuum des Hyperraums schuf. War die Verbindung hergestellt, sorgten die SUPRAGS für einen Konstantaufriss. Durch diesen Konstantaufriss floss Hyperenergie in das Mawitzel’sche Hyperenergie- Wandelaggregat, auch kurz nur MAWIB genannt. Nachdem der MAWIB die ihm zufließende Energie modifiziert hatte, floss diese in die angeschlossenen SEHD- Projektoren. Von ihnen wurde ein Supraenergetisches Hyperdimensionales Energiefeld generiert und das Schiff schlüpfte dann geradezu in den Hyperraum hinein. Eigentlich ein Fremdkörper, schütze das SEHD Feld ein Raumschiff davor, einfach wieder in den Normalraum zurückgestoßen zu werden. Das Feld war allerdings so regulierbar, dass man Zonen in seiner Struktur schaffen konnte, die sich diesen Abstoßungseffekt des Hyperraums zunutze machten und auf diese Weise für eine enorme Beschleunigung sorgten, die Geschwindigkeiten über die Lichtgeschwindigkeit hinaus möglich machte. Schaltete man den MAWIB ab, so brach das SEHD- Feld in Sekundenbruchteilen zusammen und ein Schiff materialisierte umgehend wieder im Normalraum. Der Flug der ENIGMA, über eine Strecke von etwas mehr als sieben Lichtmonaten, nahm zirka 35 Minuten in Anspruch. Knapp zwanzig Lichtstunden von der gelben Sonne entfernt, erschien das Vermessungsschiff wieder im Normalraum. Und während die ENIGMA sich dem System mit halber Lichtgeschwindigkeit weiter näherte, liefen Ortung und Scanner auf Hochtouren. Etwa zwei Stunden später hatten die Raumfahrer schon ein wesentlich genaueres Bild des Sonnensystems vorliegen.

„Na, dass ist doch wirklich ein gutes Ortungsergebnis!“, fasste Momoto seine Arbeit in einem freudigen Satz zusammen. „Freunde, das Enigma- System könnte sich als sehr Gewinn bringend für uns erweisen.“

„Enigma- System?“

Letitia Krim, die Kommandantin, hatte fragend ihre rechte Augenbraue in die Höhe gezogen.

„Ich habe mir erlaubt, die Sonne nach unserem Schiff zu taufen“, erklärte der kleine Japaner. „Da das System bisher offensichtlich übersehen wurde, was mir, gelinde gesagt, ein großes Rätsel ist, fand ich den Namen ‚Enigma’ für diese Sonne mehr als passend.“

„Da bin ich ausnahmsweise mal deiner Meinung“, pflichtete im Whitt Kilian bei.

Momoto Kochi nahm diese Unterstützung mit großen Augen auf.

„Das ich das noch erleben durfte!“, sagte er mit gekünsteltem Schluchzen in der Stimme, während er theatralisch seine Arme in die Höhe warf. „Whitt ist tatsächlich mal einer Meinung mit mir! Jetzt kann ich beruhigt ins Land meiner Ahnen reisen…“

Ein allgemeiner Heiterkeitsausbruch war die Folge dieser pseudo- dramatischen Geste.

„Ich würde aber jetzt trotzdem gerne wissen, was dir deine Instrumente über das Enigma- System verraten haben“, forderte Whitt kurz darauf die noch fehlenden Informationen des Astronavigators ein.

„Aber gerne doch“, sagte Momoto und rief seine Messergebnisse auf einen seiner Datendisplays im Pult vor ihm.

„Enigma- System…drei Planeten. Nummer eins ist ein uninteressanter Glutball. Er ist knapp Mars groß und seine Oberflächentemperatur liegt bei gut 450°Celsius auf der Tagseite. Da er in nur sieben Stunden um seine eigene Achse rotiert, ist es auf der Nachtseite mit etwa 245 ° Celsius immer noch recht warm.“

„Warm?“, warf Paula feixend ein. „Das ist eine kleine Untertreibung!“

Momoto grinste sie an und las dann weiter seine Messergebnisse vor.

„Der zweite Planet ist da schon ein wenig interessanter. Mit einem Durchmesser von 12.376 Kilometer spielt er in der gleichen Liga, wie unsere gute, alte Erde. Allerdings ist der atmosphärische Druck um einiges geringer als auf Terra. Exakt um 72 Prozent. Die dünne Lufthülle besteht aus geringen Mengen Sauerstoff und Edelgasen, sowie aus Stickstoff und Kohlendioxid. Außerdem gibt es Wasserdampf in der Atmosphäre. Durchschnittstemperatur etwa zwanzig Grad Celsius. Tageslänge 28 Stunden, das Jahr hat 223 Tage.“

„Das hörst sich doch gar nicht schlecht an!“, meinte Whitt Kilian.

„Ein bisschen Terraforming und aus dem Planeten könnte etwas ganz annehmbares werden. Zumindest sollte es hier nicht schwer sein, Bodenschätze zu fördern, denn die Atmosphäre ist immerhin nicht extrem unwirtlich, sondern recht einfach zu handhaben.“

„Du hast durchaus recht“, sagte Momoto Kochi, „aber ich denke, zunächst wird sich die Aufmerksamkeit auf Planet Nummer drei richten.“

„Lass hören!“

„Klasse M- Planet, mit einem Durchmesser von 14.365 Kilometern. Also etwas größer als die Erde. Die Gravitation liegt bei 1.4 G, die atmosphärische Dichte bei 1.3 zur Terranorm. Keine großen Meere, wie bei uns, statt dessen ein einziger Superkontinent mit etlichen Binnenmeeren von der Größe des Schwarzen oder Kaspischen Meeres. Die Lufthülle besteht aus rund 25 Prozent Sauerstoff, etwa 60 Prozent Stickstoff, gut 10 Prozent Kohlendioxid, der Rest aus diversen Edelgasen. Es gibt Regionen hoher, tektonischer Aktivität und einen Gürtel mit etlichen, aktiven Vulkanen, der sich in etwa Äquatorhöhe um den Planeten zieht. Die durchschnittlichen Tagestemperaturen liegen bei 28 Grad Celsius, mit einer Luftfeuchtigkeit von über siebzig Prozent.“

„Über siebzig Prozent?“, staunte Paula Mantee. „Das scheint ja die reinste Waschküche zu sein!“

„Regenwald, meine Liebe, Regenwald!“, korrigierte Momoto die Computerspezialistin. „Die Bioanzeigen hier vor mir explodieren fast. Bis auf wenigen Ausnahmen ist der dritte Planet von der dichtesten Vegetation bedeckt, die mir je in meiner Laufbahn untergekommen ist. Doch wie dem auch sei: Nummer drei ist durchaus für eine Besiedlung geeignet!“

Kochis Kolleginnen und Kollegen hatten seiner Schilderung mit wachsender Begeisterung zugehört. Die vorgetragenen Daten ließen die Aussicht auf eine fette Provision für die Besatzung der ENIGMA in immer leuchtenderen Farben erstrahlen. Sogar die eher stille und sehr zurückhaltende Temia Bwemba aus Ghana, Kommunikationsspezialisten der ENIGMA, strahlen über ihr ganzes, schwarzes Gesicht.

„Ich weiß nicht, wie ihr das seht, Leute“, sagte Letitia Krim fröhlich, „Aber ich bin der Meinung: nichts wie ran an den Speck. Tun wir unsere Arbeit, nämlich vermessen und kartographisieren.“

„Wie wollen wir die drei neuen Planeten nennen?“, stellte Paula Mantee die Frage in den Raum.

„Wie wir es immer machen, Paula“, antwortete die Kommandantin.

„In der Namensdatei sind alle Bezeichnungen gespeichert, die uns in den letzten Wochen und Monaten eingefallen sind. Unser Bordrechner wird drei davon per Zufallsgenerator auswählen. Und ich bin schon gespannt, was dabei herauskommen wird!“

Nur wenige Minuten später wusste sie darüber Bescheid. Von innen nach außen gesehen, hatte der Computer die Namen Airon, Kleopatra und Greenwich dem vorhandenen Fundus entnommen und für die drei Planeten ausgewählt. Nachdem diese Frage geklärt war, wandte sich die Kommandantin mit einer Anweisung an die Kommunikationstechnikerin Temia Bwemba.

„Temia, programmiere eine GALNAV- Positionsboje mit den Daten und Namen des neu entdeckten Systems und setze sie hier aus“, wies sie die dunkelhäutige junge Frau an. „Und dann nimm mit dem Raumvermessungsamt Kontakt auf und melde unsere Entdeckung offiziell durch, damit uns niemand die fällige Leistungsprämie absprechen kann.“

Und zu allen Crewmitgliedern sagte sie dann: „Wenn die Boje draußen ist, nehmen wir Kurs auf den dritten Planeten, der von uns auf den Namen Greenwich getauft wurde. Wir werden ihn uns ein wenig genauer ansehen und auch ein paar Proben von Flora und Fauna einsammeln.“

Mit Eifer gingen die Raumfahrer der ENIGMA an ihre jeweiligen Arbeiten. Schon nach kurzer Zeit wurde eine fußballgroße Sonde ausgeschleust, die sich selbstständig in das galaktonautische Datennetz einklinken würde, um künftig als Informationsquelle und Positionsmarke genutzt werden zu können. Nachdem dies geschehen war, nahm das Vermessungsschiff Fahrt auf und steuerte auf direktem Weg den grünlich schimmernden Ball des Planeten Greenwich an. Die Crew an Bord konnte nicht ahnen, welche Entdeckungen ihnen dort bevorstehen würden. Vielleicht hätten sie sonst auf eine Landung auf Greenwich verzichtet.


2

„Eine herrliche Welt!“

Paula Mantee geriet beim Betrachten des Abbildes von Greenwich auf einem der Monitore ihres Arbeitsbereiches ins Schwärmen.

„Ich habe noch nie so viele Grün- Schattierungen in meinem Leben gesehen!“

Es war aber auch in der Tat ein Bild, wie es die Raumfahrer nicht alle Tage sahen. Bis auf wenige Wüstenflecken im Feuergürtel der äquatorialen Vulkane schien der komplette Planet mit einem einzigen, riesigen Urwald bewachsen zu sein. Kein Wunder, denn seine geringe Achsneigung, die von zwei kleinen, den Marsmonden Phobos und Deimos nicht unähnlichen Trabanten, stabilisiert wurde, erzeugte ein relativ ausgeglichenes Klima auf dem ganzen Globus. Das hieß, dass es auch keine Eiskappen an den beiden Polen gab. Allerdings wuchsen in den nördlich- und südlichsten Breiten eher Buschlandschaften, durch die die blauen Bänder ungebändigter Flüsse mäanderten, bevor sie in eines der blaugrün glitzernden Binnenmeere mündeten.

„So stelle ich mir das Paradies vor der Vertreibung vor“, seufzte Paula, immer noch ganz gefangen von dem Anblick des Planeten.

Doch die ausgebildete Galaktobiologin und Planetologin an Bord der ENIGMA, die Brasilianerin Astada Kaibo, holte Paula ganz schnell auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Wenn das Paradies ein brühwarmes Dampfbad war, dann verzichte ich auf diese ‚paradiesischen Umstände’“, meinte sie in ihrer bekannt trockenen Art. „Wir werden auf jeden Fall Atemfiltermasken tragen müssen“, führte sie weiter aus. „Die Luft dort unten wimmelt nur so von pflanzlichen Sporen und Keimen. Außerdem…“, sie deute auf die Monitore, auf denen laufend die neuesten Messergebnisse eingeblendet wurden, „…außerdem würde der hohe Sauerstoffanteil in der Atmosphäre bei uns recht schnell zu einem Oxygenrausch führen, da wir das nicht gewöhnt sind. Ich finde es nicht gerade paradiesisch, ohne einen Schluck Hochprozentiges zu sich genommen zu haben, wie ein Betrunkener herum zu torkeln. An den Sauerstoffgehalt muss man sich erst langsam gewöhnen.“

Die Kommandantin pflichtete der Fachfrau bei.

„Astada hat natürlich recht“, sagte sie mit ernster Stimme. „Wie bei jedem neu entdeckten Planeten, der von Menschen das erste Mal betreten wird, werden wir uns peinlich genau an die dafür vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen halten. Alles andere wäre tödlicher Leichtsinn!“

Ihre Finger huschten über die auf ihrem Pult eingeblendete Tastatur. Rasch schloss sie den Bericht für das Bordbuch ab, den sie gerade eingab. Dann erhob sie sich von ihrem Sessel und kam um das Kommandopult nach vorne gelaufen.

„Whitt, übernimm bitte“, wies sie ihren Stellvertreter an. „Ich werde hinunter ins Magazin gehen und die Ausrüstung für die Erkundung auf der Oberfläche von Greenwich überprüfen und zusammenstellen. Da kann ich mir wenigstens mal ein bisschen die Beine vertreten.“

Der Subcommander bestätigte kurz, dann nickte Letitia Krim ihren Kollegen zu und trat in den zentralen Bordlift, um sich hinunter auf das Ausrüstungsdeck tragen zu lassen. Währenddessen erledigten die in der Zentrale zurückgebliebenen Besatzungsmitglieder weiter ihre Aufgaben. Momoto Kochi schloss mit Hilfe von Paula Mantee die Vermessung des Planeten ab, während Temia Bwemba die energetische und funktechnische Abtastung der Oberfläche beendete. Alle waren mehr als eifrig bei der Arbeit. Der in verschiedenen Grüntönen schimmernde Ball des Planeten schien einen geradezu verlockenden Reiz auf alle auszuüben, eine faszinierende Anziehungskraft, der sich kaum einer an Bord widersetzen konnte.

Nach weniger als fünf Stunden waren alle Arbeiten beendet und die Crew hatte sich wieder vollständig in der Kommandozentrale versammelt.

„Leute, es ist soweit“, sagte Letitia Krim.

Die Kommandantin hatte wieder hinter ihren Kontrollen Platz genommen.

„Macht euch für die Landung fertig“, befahl sie dann. „Ich habe mich für einen Platz auf der nördlichen Hemisphäre entschieden. Und zwar dort, wo der dichte Waldbewuchs in die Gebiete mit den niedrigen Buschlandschaften und weiten Grasebenen übergeht. Dort erscheint mir eine Landung einfacher und sinnvoller, denn wir müssen uns nicht erst einen Landeplatz in die Vegetation brennen.“

Es kam kein Widerspruch aus den Reihen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Sie hätte auch keinen erwartet. Zum einen war die Wahl sinnvoll, zum anderen lag es in ihrer alleinigen Kompetenz, einen Landeplatz zu bestimmen. Rasch überzeugte sich die Kommandantin, dass alle ihre Positionen in der Kanzel eingenommen hatten. Dann aktivierte sie die Steuerkontrollen. Die ENIGMA bekam durch den de Grelle einen ‚Schubs’ verpasst, der sie den bis dahin stabilen Orbit um Greenwich verlassen ließ. In einem flachen Winkel strebte das Vermessungsschiff der Oberfläche des grünen Planeten entgegen. Gleichzeitig veränderte sich der Kurs des Schiffes so, dass es nun die nördliche Hemisphäre ansteuerte. Schon bald stieß die ENIGMA auf die ersten Ausläufer der Atmosphäre. Im Prallschirm, der das Schiff schützend umgab, begann es zu irrlichtern und zu lodern, als sich die Luftpartikel am schützenden Energiefeld zu reiben begannen. Bald war der große Flugkörper komplett von einer flammenden Aureole umgeben, die in einem großen Bogen der Planetenoberfläche entgegen zu stürzen schien. Im Gegensatz zu Körpern wie Meteoriten wurde die Fluggeschwindigkeit dabei langsamer. In einer Höhe von fünfzig Kilometern über Grund schaltete sich der de Grelle automatisch ab und das ANGRAV- Triebwerk übernahm. Allmählich wurde die Landekurve des Raumschiffes steiler. Letitia Krim steuerte die ENIGMA nun direkt auf den ausgewählten Landepunkt zu, zuletzt in einer Höhe von fünfhundert Metern über den höchsten Wipfeln des Urwaldes hinweg, parallel zur Planetenoberfläche. Dabei wurde der Flug immer langsamer. Exakt über dem berechneten Landepunkt ließ der ANGRAV das Schiff scheinbar regungslos mitten in der Luft stillstehen. Dann sank es langsam senkrecht nach unten, einer Gras bewachsenen Lichtung am Rande des Urwalds entgegen. Als nur noch fünf Meter zwischen dem untersten Punkt der Bodenschleuse und dem Boden übrig waren, kam der Schiffskörper auf seinen unsichtbaren Antigrav- Polstern zum Stillstand. Starke Traktorfelder verankerten das Vermessungsschiff energetisch mit seiner Umgebung. Andernfalls hätte schon ein kleiner Lufthauch das praktisch gewichtslose Schiff zur Seite abdriften lassen. Schließlich war es soweit: die ENIGMA befand sich am Ziel!


*


„Was sagen sie da?“

Josef Ziegler, seines Zeichens Leiter der AVEK, der Agentur für die Vermessung, Erschließung und Kolonisation extrasolarer Planeten, war rot vor Zorn.

„Ich sagte, die PLUTARCH meldet sich nicht“, wiederholte Wong Mae Dae, die Chefsekretärin Zieglers mit gleichmütiger Miene.

„Die PLUTARCH meldet sich nicht?“, bellte Ziegler wütend und bedachte die zierliche Frau aus Beijing mit zornigen Blicken.

Mae Dae nickte nur kurz.

„Warum meldet sich die verfluchte PLUTARCH nicht?“

Ziegler ließ krachend seine Faust auf den Schreibtisch Mae Dae’s krachen. Diese zuckte nicht einmal zusammen. Sie kannte schließlich die Marotten ihres Chefs. Daher wusste sie auch, dass die eben formulierte Frage rein rhetorisch war und keiner Antwort bedurfte.

„Ich will aber, dass die PLUTARCH antwortet!“, schimpfte der stämmige Wiener weiter. „Wofür bezahlen wir denn diese Schlappschwänze sonst?“

Natürlich kommentierte die Sekretärin auch diese Fragen nicht. Eine befriedigende Antwort hätte sie ihrem Chef schuldig bleiben müssen. Und bei dem bekannt cholerischen Temperament Zieglers war keine Antwort allemal besser als eine unbefriedigende.

Ziegler hatte seinen ungeduldigen Auf- und Abmarsch vor dem Schreibtisch im Vorzimmer zu seinem Büro eingestellt. Stattdessen kam er nun um das breite und elegant gestaltete Möbelstück herum. Mit grimmigem Gesichtsausdruck packte er den Bürostuhl an seiner Lehne und schob ihn mitsamt der Sekretärin darin einfach zur Seite.

„Weg da!“, fauchte er bei dieser Aktion. „Lassen Sie mich mal da ran!“

Wong Mae Dae quittierte die Aktion ihres Chefs mit einem Schulterzucken und innerlichem Seufzen. Die Wutausbrüche ihres Chefs kannte sie ja zur Genüge. Und sie wusste, dass er diese zum einen nicht gegen Sie persönlich richtete und zum anderen, dass diese Attacken nie so gemeint waren, wie sie manchmal auf Außenstehende wirken mochten.

Ziegler hatte sich zwischenzeitlich mit der Kommunikationszentrale der AVEK verbinden lassen, die ihm einen Rufkanal zum der überfälligen Pioniereinheit schaltete.

„PIONEER CONTROL an PLUTARCH!“, schrie er in einem Ton ins Mikrofonfeld, der in einem gegenseitigen Gespräch keinen Widerspruch geduldet hätte.

„PLUTARCH, melden Sie sich. Umgehend! Hier spricht Josef Ziegler. Sie haben sich auf der Stelle bei mir zu melden!“

Er wartete einige Sekunden lang ab, während sein geröteter Kopf einen immer tieferen Farbton annahm.

„Kometen und Sternennova!“, fluchte er dann unvermittelt los.

„Hört mich denn keiner? Sitzt ihr alle auf Euren Ohren?“

Doch die herbei befohlene Antwort blieb aus. Wong Mae Dae hatte es nicht anders erwartet. Schließlich gab ihr Chef seine erfolglosen Bemühungen auf. Wütend deaktivierte er die Kom- Verbindung.

„Das hätten Sie mir doch gleich sagen können, dass die PLUTARCH sich nicht meldet!“, fuhr er seine Sekretärin an.

Die stand daraufhin auf, stemmte die Hände in ihre zierlichen Hüften und funkelte ihren Chef aus zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen an.

„Ich glaube, jetzt reicht es, Mr. Ziegler!“, zischte sie ihn leise an.

Der große, massige Mann zuckte bei diesen Worten wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er hob seinen rechten Zeigefinger in einer ärgerlichen Geste empor und öffnete schon den Mund zu einer heftigen Erwiderung. Doch dann schien er sich eines anderen zu besinnen. Ziegler ließ den Arm wieder sinken und stapfte auf die geöffnete Tür zu seinem Büro zu. In der Türfassung drehte er sich noch einmal zu Mae Dae um.

„Na ja“, gab er grummelnd und brummelnd von sich. „Man macht sich halt so seine Sorgen!“

Sprach’s und verschwand dann endgültig in sein Büro. Leise zischend schloss sich die Tür hinter ihm.

Wong Mae Dae zuckte seufzend mit ihren schmalen Schultern und lächelte still vor sich hin.

„Chef, Chef…“, sagte sie seufzend, „zum Glück kenne ich Sie schon ein ganzes Weilchen.“

Die Sekretärin ließ sich wieder auf ihrem Sessel nieder. Kaum, dass sie saß, sprach auch schon die Sprechanlage aus Zieglers Arbeitszimmer an.

„Mae Dae“, meldete sich ihr Chef, nun wieder in ganz normalem, geschäftsmäßigem Ton, „machen Sie mir doch bitte eine Verbindung zu TESECEO, das Büro von Generalmanagerin Kate Reed. Ich hätte Sie gerne und dringend gesprochen.“

„Wird sofort erledigt, Mr. Ziegler“, bestätigte die schwarzhaarige Frau.

Noch einmal schüttelte sie mit mildem Lächeln den Kopf über ihren Chef, Josef Ziegler. Diese cholerischen Ausbrüche waren zwar manchmal schwer zu ertragen. Doch auf der anderen Seite freute sich Mae Dae jeden Monat über den herrlichen Blumenstrauß, mit dem Ziegler sich für sein Temperament zu entschuldigen pflegte. Dann räusperte sie sich kurz und kontaktierte Engin Ültay, den persönlichen Sekretär von Kate Reed, der TESECO- Chefin, um das gewünschte Gespräch für ihren Chef in die Wege zu leiten.


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Unwillig hob Kate Reed ihren Kopf. Die Generalmanagerin TESECOs brütete gerade über einem Riesenberg von wichtigen Unterlagen, als sie schon wieder vom leisen Summen der COM- Anlage gestört wurde.

Seufzend tippte sie auf ein orange blinkendes Sensorfeld. Sogleich öffnete sich in dem Wand großen Bildfeld gegenüber ihrem Schreibtisch ein weiteres Fenster, das das ausnehmend hübsche Gesicht ihres persönlichen Sekretärs Engin Ültay zeigte. Der knapp dreißigjährige, aus dem türkischen Antalya stammende junge Mann, war eine ausgesprochen attraktive Erscheinung. Schlank, sehr athletisch gebaut, mit perfekter, V-förmiger Silhouette mit Waschbrettbauch. Ein äußerst knackiger Po und lange, wohl proportionierte Beine rundeten den ersten Eindruck ab. In dem schmalen, stehts gepflegten, ebenmäßigen und sehr anziehenden Gesicht loderten dunkelbraune Augen in fast schon erotischem Feuer. Ültay hatte rabenschwarzes Haar und trug einen dichten, fein getrimmten Schnauzbart von gleicher Farbe.

Sein sinnlicher, voller Mund lächelte der Generalmanagerin entgegen.

Obwohl ihr Sekretär der Schwarm vielen Frauen und Männer im HQ-TESECO war, fühlte sich Kate Reed momentan nicht für die hübsche Erscheinung des Mannes empfänglich. Im Gegenteil, sie reagierte eher ungehalten über die wiederholte Störung an diesem Vormittag.

„Was ist denn nun schon wieder los, Engin?“, meldete sie sich unwillig und mit vorwurfsvoll klingender Stimme. „Sie wissen doch, dass ich einen Berg von Papieren durchzuarbeiten habe und nicht gestört werden will. So werde ich mit dem Kram doch nie fertig!“

Ihr Sekretär zuckte bedauernd mit seinen Schultern. Dazu versuchte er, ein möglichst unschuldiges Gesicht zu machen.

„Das ist mir durchaus bewusst, Generalmanagerin“, antwortete er mit seiner tiefen, männlichen und doch angenehm weich klingenden Stimme.

„Und trotzdem stören Sie mich nun schon zum vierten Mal“, meinte Kate Reed Stirn runzelnd. „Das muss dann aber schon ein verdammt guter Grund sein!“

„Wie man es nimmt, Chefin“, sagte Ültay und produzierte ein säuerliches Grinsen.

„Joseph Ziegler, der AVEK- Leiter, wünscht Sie umgehend und dringlichst zu sprechen. Und Sie kennen doch AVE- Joe – der lässt sich nicht so leicht abweisen.“

„Engin, Sie sollten doch wissen, dass ich es nicht schätze, wenn Leute in der Öffentlichkeit mit ihren Spitznamen tituliert werden!“, wies Kate Reed ihren Sekretär mit leichtem Tadel zurecht. Allerdings musste sie vor sich selbst zugeben, dass dies nur ein sehr

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 08.06.2016
ISBN: 978-3-7396-5959-6

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