Cover

STAR GATE – das Original:

 

Die 4.

Kompilation



Wilfried A. Hary (Hrsg.)


Impressum:

Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie STAR GATE - das Original: Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary, Frank Rehfeld.

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de.

ISSN 1860-1855



Diese Fassung basiert auf den Romanen 31 bis 40 der laufenden Serie!



© 2015 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: wah@HaryPro.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und

Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.



Titelbild: Karl-Heinz R. Friedhoff

Coverhintergrund: Anistasius

Achtung: „STAR GATE - das Original“ ist eine eigenständige Serie, die nachweislich Jahre vor Serien ähnlichen Namens begann, wie sie im Fernsehen laufen oder liefen oder im Kino zu sehen sind oder waren! Daher der Zusatz „das Original“!



Vorwort


Die Serie STAR GATE – das Original existiert nun schon seit 1986(!). Einige Autoren sind daran beteiligt. Viele Leser genießen das Heftformat, in dem die Serie in erster Linie erscheint, aber es gibt nicht wenige Leser, die immer wieder auch nach einem umfangreichen Buchformat verlangen, vergleichbar etwa mit den Silberbänden der Perry-Rhodan-Serie.

Für diese haben wir nun nach den ersten drei die 4. Kompilation geschaffen, basierend auf den Bänden 31 bis 40 der laufenden Serie!

Die Autoren dieser 4. Kompilation sind (in der Reihenfolge ihrer Verwendung):

Hermann Schladt

Wilfried A. Hary

W. Berner

Miguel de Torres


Die Kompilation beinhaltet die Romane:

31 »Das Erbe der Canorer« Hermann Schladt

32 »Kahlim-Salem« Wilfried A. Hary

33 »Im Auge des Feindes« Wilfried A. Hary

34 »Im Zeichen der Gewalt« Wilfried A. Hary

35 »Kawilas Mission« Wilfried A. Hary

36 »Die rechte Hand des Todes« Wilfried A. Hary

37 »Ausbruch aus der Hölle« Wilfried A. Hary

38 »Die Blockade« W. Berner

39 »Operation LOOKOUT« W. Berner

40 »Zwischenfall auf dem Mond« Miguel de Torres


Viel Freude beim Lesen dieser immerhin wieder ganze 10(!) Bände umfassenden Kompilation!

Euer Wilfried A. Hary (Hrsg.)


1


Aktivierung Stationskontrolle

Ursache: Außerplanmäßiger Transport unbekannter Herkunft.

Empfang: Sechs biologische Einheiten. Rasse unbekannt. Herkunft unbekannt. Entitäten tragen keine ID-Plaketten.

Sofortmaßnahme: Aktiviere Alarmstufe 1. Beinhaltet kurzfristige Betäubung zur Gefahrenvorbeugung.

Weitergehende Maßnahme: Ausgang verschließen. Meldung an planetare Computerkontrolle.

Stationskontrolle wartet!


PLANETARE COMPUTERKONTROLLE

Aktiviere Alarmprogramm.

Dringlichkeitsstufe eins.

Offensichtlicher Störfall bei Transit.

Nicht angekündigter und unautorisierter Empfang von sechs Entitäten. Die Transmitter-Reisenden dürfen nicht zu Schaden kommen. Absolute Sicherheit humanoiden Lebens geht über alles.

Nullzeitprogrammierung Erfolgsbestätigung.

Das ursprünglich angewählte unbekannte Star Gate ist offensichtlich nicht erreichbar. Die Reisenden wurden nach den Gesetzmäßigkeiten des Äthermorphs weitergeleitet und übernommen. Notfallprogramm geht in Wartephase.

Ermittlung Alpha:

Versuche Rasse, Herkunft und Gefährlichkeitspotential der Reisenden zu ermitteln. Erste Schnelluntersuchung ergab keine Übereinstimmung mit einer im Bund von Dhuul-Kyphora bekannten Rasse.

Ermittlung Beta:

Versuche aufgrund der Star-Gate-Norm herauszufinden, wo das Absende-Star-Gate lokalisiert ist

Ermittlung Gamma:

Versuche herauszufinden, aus welchem Grund das ursprünglich angewählte Star Gate nicht erreichbar ist. Erklärungsversuch: Blockade durch Aufständische auf dem Empfangsplaneten. Wiederaufleben des Großen Krieges? Da Absende-Star-Gate messtechnisch nicht ermittelbar, sind von der Stationskontrolle alle Gespräche der Reisenden aufzuzeichnen und nach erfolgter Spracherkennung daraufhin zu analysieren. Dazu müssen die Reisenden aus der Schocknarkose erwachen. Aus Sicherheitsgründen hat aber eine direkte Befragung der Reisenden zu unterbleiben! Beantwortung positiv-neutral-negativ dringend erforderlich. Im Positivfall ist der Bund von Dhuul-Kyphora unverzüglich zu informieren.

Zusammenfassende Anweisung an Stationskontrolle:

Jegliche Manipulation geblockt, bis befriedigende Resultate zu Ermittlungen Alpha bis einschließlich Gamma vorliegen. Die sechs Entitäten wurden zur Vorsicht kurzfristig betäubt. Sobald erkannt wird, dass von ihnen keine unmittelbare Gefahr für die Station ausgeht, ist die Betäubung aufzuheben. Danach Spracherkennung starten, alle Gespräche aufzeichnen und an Computerkontrolle weiterleiten.


PLANETARE COMPUTERKONTROLLE WARTET


Aktivierung Stationskontrolle

Aktion: Scanne sechs biologische Einheiten.

Ergebnis: Keine Bewaffnung erkennbar. Keine aggressiven Aktionen zu erwarten.

Meldung an planetare Computerkontrolle.

Stationskontrolle wartet.


PLANETARE COMPUTERKONTROLLE

Betäubung der sechs Entitäten aufheben: Jetzt. Versuche Rasse und Herkunft zu analysieren. Jegliche Manipulation des Star Gates und das Verlassen der Station sind zu verhindern. Kein Datenzugriff.


PLANETARE COMPUTERKONTROLLE WARTET


Aktivierung Stationskontrolle

Unterste Alarmstufe kann beibehalten werden.

Beobachtungsmodus: Dauer.

Spracherkennung und Sprachanalyse: Ein.

Jeglichen Datenzugriff und Manipulationen verweigern. Ausgang bleibt verschlossen.


Stationskontrolle wartet.


2


Wie aus einem tiefen Schlaf tauchte Allison Winter aus ihrer Bewusstlosigkeit empor. Noch für einige Augenblicke war sie völlig desorientiert, dann kehrten klares Denken und die Erinnerung zurück. Sie erinnerte sich an eine Art Schock, genau in dem Augenblick, als der Transfer stattgefunden hatte, dann waren bei ihr die Lichter ausgegangen. Was war geschehen? Zusammen mit fünf anderen Personen sollte sie via Star Gate von Phönix nach Shan geschickt werden...

Sie sah sich um. Irgendetwas stimmte hier nicht. Außer ihr lagen die anderen fünf offensichtlich noch bewusstlosen Personen in dem pyramidenförmigen Gitterkäfig, der den Transportraum des Star Gates bildete. Und der war noch verschlossen. Es war auszuschließen, dass die gesamte Besatzung einschließlich Begrüßungskomitee des Star Gates von Shan den Kontrollraum und den Raum, in dem sich der Pyramidenkäfig befand, verlassen hatte, ohne sich um die Angekommenen zu kümmern, zumal sie ja angekündigt waren. Hier war ganz offensichtlich etwas schiefgegangen. Dann erkannte sie mit letzter Klarheit, dass sie sich nicht auf Shan befinden konnten. Die Technik, die sie umgab, Kontrollleuchten, Schalter und Hebel, das war zwar die gleiche Technik wie auf Phönix – die Technik der Erbauer des Transmitternetzes eben, die Technik des Bundes von Dhuul-Kyphora, wie ihnen Xybrass, der Außerirdische, erklärt hatte... Aber auf Phönix hatte man zwischenzeitlich die Beschriftungen ausgetauscht, so dass jedermann sie lesen konnte. Auch auf Shan hatte man diese Beschriftungen gegen die dort üblichen Schriftzeichen ausgetauscht; das wusste sie von Ken Randall. Hier aber prangten deutlich sichtbar die kyphorischen Beschriftungen auf den Bedienelementen.

Aber Phönix war das hier auch nicht. Da war eben, vor wenigen Minuten – länger konnte sie nicht bewusstlos gewesen sein, was ihr ein Blick auf ihre Armbanduhr auch bestätigte –, die ganze Mannschaft anwesend gewesen. Wären sie noch auf Phönix, hätte sich längst jemand um sie gekümmert.

Ihr wurde klar, sie mussten auf einem fremden Planeten gestrandet sein. Das war in den letzten Wochen schon mehrfach passiert; offensichtlich hatten die Star-Gate-Wissenschaftler die Technik noch nicht im Griff. Aber wo waren sie gelandet?

Allison Winter erhob sich und sah nach den anderen, die sich noch mit ihr im Star Gate befanden. Direkte Gefahr schien im Moment nicht zu drohen, doch sie blieb wachsam. Ihre Ausbildung zur Survival-Spezialistin, die sie vor einigen Jahren begonnen, dann aber wieder abgebrochen hatte, kam ihr jetzt zugute. Die antrainierten Reflexe waren noch da und machten sich bemerkbar. Wahrscheinlich war sie deshalb auch vor den anderen aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht. Doch die begannen sich jetzt nach und nach zu regen.


*


Die ihr am nächsten liegende Person schien mit dem Erwachen schon am weitesten zu sein, zumindest bewegte sie sich schon recht lebhaft und stöhnte. Allison trat hinzu und erkannte Robert Boyd. Der Mittdreißiger war Linguist und stammte aus Australien. Mehr wusste sie nicht von ihm, denn in den Wochen ihres Zusammenseins auf Phönix hatte es wenig Berührungspunkte bei ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit gegeben. Und in der gemeinsam verbrachten Freizeit hatte sich Boyd als sehr schweigsam und in sich gekehrt gegeben. Gerade, als sich Allison über ihn beugte, öffnete er die Augen.

»Wo bin ich? Was ist geschehen?«

»Irgendetwas muss schiefgelaufen sein beim Sprung nach Shan. Wir sind irgendwo anders gelandet, ich weiß nicht, wo. Akut scheint aber keine Gefahr zu herrschen. Wenn Sie soweit sind und aufstehen können, helfen Sie mir bitte.«

Allison ging zum Nächsten. Als sie sah, wer es war, atmete sie erleichtert auf: Armand Frederic, Biologe wie sie, ein Kollege, mit dem sie die ganze Zeit eng zusammengearbeitet hatte, mit dem sie sich aber auch privat sehr gut verstand. Sie war froh, den sympathischen Franzosen hier zu wissen, jemanden, von dem sie wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte.

Sie tätschelte die Wangen des Franzosen. Seine Augenlieder zuckten; er blickte sie, noch halb weggetreten, an. »Oh Cherie!«, kam es flüsternd über seine Lippen. Dann klärte sich sein Blick und er wurde rot bis über die Ohren. »Oh, entschuldige bitte, Allison«, stotterte er, »ich war wohl noch nicht ganz da.«

»Keine Ursache, Armand.« Allison Winter lächelte, amüsiert über seine Verlegenheit.

»Was war mit mir los?«, fragte Armand Frederic. Er schaute sich um und sah die anderen. »Was war mit uns los?«, verbesserte er sich daraufhin. »Und wo sind wir hier?«

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Allison. »Als ich aufgewacht bin, gab es hier nur uns sechs. Ich habe keine Ahnung, wo die Stationsbesatzung geblieben ist. Und ich habe auch keine Ahnung, wo wir hier sind, also frag erst gar nicht danach. Ich glaube, wir werden noch einige Nüsse zu knacken haben, bis wir herausbekommen, was passiert ist und wo wir sind.«

»Und wie wir hier wieder wegkommen«, ergänzte Armand Frederic vorausschauend.

»Also lass uns erst einmal nach den anderen sehen.« Allison richtete sich auf. Robert Boyd war inzwischen zu einem weiteren der am Boden Liegenden getreten und half diesem gerade auf. Allison erkannte Sir Archibald Henton.

»Ausgerechnet der«, murmelte Allison leise vor sich hin. Sir Archibald war zweifelsohne ein fähiger Geologe und in Wissenschaftskreisen allseits anerkannt. Er war aber auch eine üble Landplage und ließ überall heraushängen, dass er als Adliger ja etwas Besseres sei und all die »Bürgerlichen« gefälligst nach seiner Pfeife zu tanzen hätten. Als ob adelige Herkunft in dieser Zeit, da fast alle Macht bei den Konzernen lag, noch irgendeine Bedeutung hätte. Da hatten die Bosse von Mechanics, Flibo und Co. das Sagen. Selbst die Bosse von MAFIA mit ihrer eher halbseidenen Herkunft zählten heute mehr als jeder Earl und Duke. Allison graute, als sie sich so richtig bewusst wurde, dass sie in dieser schwierigen Situation, wo sicher alle auf Gedeih und Verderb zusammenhalten mussten, ausgerechnet mit Sir Archibald zusammen war.

»So habe ich einen Star-Gate-Transport aber noch nie erlebt.« Ein weiteres Mitglied der Gruppe war erwacht und richtete sich auf.

»Hey, Speedy!«, sagte Armand Frederic. »Willkommen im Leben!«

Noch ein Problemfall, dachte Allison, die mehr und mehr begann, ihre Situation aus der Sicht einer Survival-Spezialistin zu sehen. Alonso Gonzales, Spitzname »Speedy«, war ein genialer Astrophysiker und Mathematiker. Seinen Spitznamen verdankte der Mexikaner nicht nur seinem Nachnamen, sondern mehr noch seiner Fähigkeit, mathematische Probleme blitzschnell lösen zu können. In Bezug auf seine körperlichen Fähigkeiten sprach der Name Speedy allerdings Hohn: Er war eher langsam, tapsig und sehr ungeschickt. Er pflegte im wahrsten Sinne des Wortes mit seinem Hinterteil umzuwerfen, was er gerade zuvor mit seinen Händen aufgerichtet hatte.

Auf den werden wir auch besonders aufpassen müssen.


*


Allison sah, dass Armand Frederic Speedy und Sir Archibald die Situation, in der sie sich befanden, zu erklären versuchte, so gut es im Moment eben ging. Also wandte sie sich der letzten Person zu, die noch nicht wieder zu sich gekommen war. Es war Karl Imanuel Speerbergen, der da vor ihr lag. Der Informatiker war nicht mehr der Jüngste, älter noch als Sir Archibald. Er musste wohl schon auf die sechzig zugehen. Und offensichtlich ging es ihm nicht gut. Er lag völlig regungslos da, totenblass sein Gesicht. Allison erschrak. War Speerbergen etwa tot? Als sie sich zu ihm hinunterbeugte, stellte sie fest, dass er atmete. Ganz flach zwar, aber er lebte. Sie hob ein Augenlid an. Von seinem Auge war nur das Weiße zu sehen.

»Leute«, sagte sie zu den anderen gewandt, »ich glaube, wir haben ein Problem. KI geht es nicht gut.«

Die anderen kamen herbei. Sir Archibald drängte Speedy und Boyd beiseite und kniete sich neben Allison.

»Sicher ein Schwächeanfall. Oder ein Herzinfarkt. Wir müssen sofort Von-Mund-zu-Mund-Beatmung anwenden. Lassen Sie mich mal zu ihm.«

»Sie nicht, Sir Archibald!«, fuhr Allison den Engländer an. »Als Geologe können Sie hier am wenigsten weiterhelfen. Ich glaube, Armand, du bist da als Biologe am geeignetsten. Einen Arzt haben wir ja nicht hier.«

Armand Frederic kam herbei und schob Sir Archibald, der offensichtlich nicht freiwillig weichen wollte, zur Seite. »Als Biologe verstehe ich auch nicht viel von Humanmedizin, aber ich habe immerhin ein wenig Ahnung von Erster Hilfe. Lass mal sehen.«

Er wies Boyd an, die Beine des Informatikers hochzunehmen. Dann fühlte er seinen Puls. »Schwach, aber gleichmäßig«, brummte er. »Ich glaube, das wird schon wieder.«

Und tatsächlich kehrte langsam etwas Farbe in Speerbergens Gesicht zurück. Dann begann er sich zu regen, seine Augenlider flatterten. Schließlich vertiefte sich sein Atem sichtbar, und er schlug die Augen auf und versuchte sich aufzurichten.

»Mein Herz«, stöhnte er. »Habe ich einen Herzanfall erlitten? Ich weiß, dass ich ein schwaches Herz habe. Hat wohl verrücktgespielt bei der Transition. Sind wir gut auf Shan angekommen? Habt ihr schon einen Arzt gerufen?« Erschöpft sank er wieder zurück.

»Es wird alles gut werden«, beruhigte Armand Frederic den älteren Mann. »Es war wohl nur ein Schwächeanfall, Ihnen geht es gleich wieder besser.« Dass sie nicht auf Phönix angekommen waren, verschwieg er dem Erschöpften wohlweislich.


*


Zwei Stunden später hatte sich Karl Imanuel Speerbergen so weit erholt, dass er aufstehen konnte. Allison bat Robert Boyd, sich weiter um den noch Geschwächten zu kümmern.

»Armand«, sagte sie zu dem Franzosen, »komm, wir schauen uns jetzt einmal hier um. Die anderen rühren sich erst aus dem Star-Gate-Käfig, wenn wir grünes Licht geben.«

Sir Archibald erhob Protest: »Was befähigt eigentlich Sie, liebe Allison, hier das Kommando zu übernehmen? Ich glaube, es steht doch viel eher mir zu, diese Gruppe anzuführen!«, meinte er hochnäsig.

»Was mich befähigt, Sir Archibald?«, antwortete die Angesprochene. »Nun, ich glaube, meine Ausbildung zur Survival-Spezialistin befähigt mich in dieser Situation vor jedem anderen zu sagen, wo es lang geht. Niemand von uns weiß, wo wir hier sind, welche Gefahren uns hier drohen oder wie wir hier wegkommen. Ich glaube, ihr alle könnt froh sein, dass ihr jemanden habt, der weiß, wie man mit solch einer Situation umgeht. Darüber hinaus stelle ich keine Führungsansprüche, das überlasse ich gern anderen, mein Lieber.«

»Sie sind Survival-Spezialistin? Bisher wusste ich aber nur, dass Sie Xenobiologin sind. Welch wundersame Verwandlung!«, höhnte der Earl of Wilksworth.

Armand Frederic schaltete sich ein: »Sie hat nie behauptet, Survival-Spezialistin zu sein. Sie hat lediglich gesagt, sie hätte eine Ausbildung zur Survival-Spezialistin. Und das kann ich bestätigen. Zufällig weiß ich, dass Allison nach ihrem Studium zwei Jahre lang eine solche Ausbildung absolviert hat. Erst danach hat sie angefangen, als Xenobiologin zu arbeiten. Und genau deshalb bin auch ich der Ansicht, dass sie uns am besten sagen kann, wie wir uns hier zu verhalten haben. Ich bin für Allison Winter!«

Die anderen nickten zustimmend, aber Sir Archibald gab sich noch nicht geschlagen. »Nun gut, ich gebe zu, dass sie wohl einige Fähigkeiten haben könnte, die uns hier nützlich sind. Ich werde auch gern auf ihre Ratschläge zurückgreifen, aber Entscheidungen werde ich fällen.«

»Wenn Sie auf diesem Standpunkt beharren, lieber Sir Archibald«, meldete sich da Karl Imanuel Speerbergen ganz leise, »werden Sie ein Herrscher ohne Volk sein. Ich glaube, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass wir uns nach Allison richten werden und nicht nach Ihnen. Sie haben nichts, was uns hier helfen könnte. Ihre Herkunft zählt hier nicht.«

»Niemand kann von mir erwarten, dass ich von dieser ... dieser Person Befehle entgegennehme!«, giftete der adelige Geologe zurück. »Bedenken Sie meine Herkunft. Ich kann mich doch nicht einer Bürgerlichen unterordnen!«

»Dann werden Sie hier sehr einsam sein«, warf Alonso Gonzales lakonisch ein. Alle wandten sich von Sir Archibald ab.

Damit war die Diskussion beendet.


*


Allison Winter verließ mit Armand Frederic den Gitterkäfig des Star Gates. »Welch eine bescheuerte Diskussion um den Führungsanspruch«, meinte sie. »Als wolle ich hier die Herrscherin spielen. Ich bin durchaus der Meinung, wir sollten alles, was möglich ist, demokratisch entscheiden. Nur wenn Gefahr droht, kann man nicht vorher abstimmen, dann muss einer schnell entscheiden, was zu tun ist.«

»Und dafür bist du von uns allen eben am besten geeignet, das wissen wir doch alle«, stimmte Frederic ihr bei. »Nur Sir Archibald nicht, aber der meint ja immer, als Earl of Wilksworth müsse er der Boss sein.«

»Ach, vergiss ihn. Momentan sehe ich sowieso nicht, wie er uns hier als Geologe nützlich sein könnte. Soll er sich doch in seinen Schmollwinkel setzen. Wenn´s hart auf hart kommt, wird er schon von selbst zur Vernunft kommen und mitziehen.« Allison wirkte nachdenklich. »Viel wichtiger ist, dass es KI wieder besser geht. Er ist viel wichtiger für uns.«

»Dieser Meinung bin ich auch«, pflichtete ihr der Franzose bei. »Wenn uns einer hier wieder wegbringen kann, dann KI, der ist doch mit Computern verheiratet! Nur er dürfte in der Lage sein, uns nach Shan oder zurück nach Phönix zu bringen.«

Sie sahen sich gründlich im Transmitterraum um. Die Anzeigetafeln und Konsolen lagen blitzsauber, aber tot, vor ihnen. Kein Bildschirm zeigte eine Anzeige, kein Licht glomm, nicht das leiseste Summen war zu hören, das darauf hindeutete, dass hier irgendein Gerät arbeitete – nichts.

Die Verbindungstür, die ins Innere der Station führte, ließ sich nicht öffnen. Momentan waren sie im Star-Gate-Raum gefangen.

»Wenn wir hier nicht rauskommen oder nicht bald eine Möglichkeit finden, das Star Gate zu aktivieren, werden wir verdursten«, sagte Armand Frederic mit gedämpfter Stimme.

»Nun gut«, erwiderte Allison so laut, dass auch die anderen Gestrandeten im Gitterkäfig sie hören konnten, »wir kommen hier nicht heraus. Ob etwas hier hereinkommen kann, wissen wir nicht. Wir müssen mit allem, was wir tun, sehr vorsichtig sein und dürfen in unserer Wachsamkeit keinen Augenblick nachlassen.«

Sie gingen zurück in den Gitterkäfig, wo Speerbergen, Gonzales und Boyd, die zusammensaßen, ihnen erwartungsvoll entgegenblickten. Sir Archibald hielt sich betont abseits.

»Können Sie uns hier herausbringen, KI?«, fragte Allison den Informatiker.

Der nickte bedächtig: »Wenn ich den Computer aktivieren kann, dürfte das kein Problem sein. Ich habe die Codes sowohl von Shan wie auch von Phönix im Kopf. Und mit der fremden Technologie habe ich mich auf Phönix auch schon ganz gut vertraut gemacht. So gut das mit so etwas Fremdem und Neuem überhaupt geht. Ich werde sofort anfangen. Gonzales, könnten Sie mir bitte behilflich sein?«

»Sind Sie denn schon wieder soweit?«, fragte Allison besorgt.

»Es geht mir wieder recht gut. Und je schneller wir von hier wegkommen, desto besser. Ich glaube, wenn wir auf Phönix sind, sollte ich einmal zum Arzt gehen.«

Die beiden Wissenschaftler verließen den Gitterkäfig und traten an die Computerkonsolen. Speerbergen sah eine Weile darauf. Dann begann er auf der Eingabetastatur herumzutippen.


*


Allison Winter, Armand Frederic, Robert Boyd und, etwas abseits von ihnen, Sir Archibald Henton saßen untätig und schweigsam im Gitterkäfig des unbekannten Star Gates. Ab und an warf einer einen Blick auf Speerbergen und Gonzales, die sich bisher ohne erkennbares Ergebnis am Terminal der Station zu schaffen machten. Meist aber blickten die vier Wissenschaftler ins Leere und hingen ihren mehr oder weniger trüben Gedanken nach. Robert Boyd brach als Erster das Schweigen.

»Sie werden es nicht hinkriegen«, murmelte er.

»Was nicht hinkriegen?« Allison sah auf.

»Den verdammten Computer. Wir werden hier nicht wieder wegkommen.«

»Warum sollten sie nicht mit dem Computer klarkommen?«, mischte sich Frederic ein. »Schließlich ist KI Spezialist für die Dinger; einer der Besten, die es auf der Erde gibt. Er hat sich auf Phönix ausführlich mit der Computertechnologie der Außerirdischen befasst. Und wenn einer sie verstanden hat, dann er. Ich glaube, dass KI unsere Rückfahrkarte nach Hause ist. Meinen sie nicht auch, Henton?«

Der Angesprochene fuhr auf: »Nennen Sie mich gefälligst nicht so! Für Sie bin ich immer noch Sir Archibald. Ich muss doch sehr bitten! Und was Ihre Frage betrifft: Woher soll ich das wissen? Ich kenne mich mit dem Computerkram nicht aus. Ich weiß nur, dass ich auf jeden Fall bald hier weg muss, sonst verpasse ich noch den jährlichen Ball im House of the Lords, das wäre eine Katastrophe.«

»Ihre Sorgen möchte ich haben«, brummte Boyd.

Diese Bemerkung war Wasser auf Sir Archibalds Mühlen. »Sie können doch gar nicht beurteilen, was das bedeutet! Noch nie hat ein Earl of Wilksworth bei einem solchen gesellschaftlichen Ereignis gefehlt! Unser Ansehen würde in der ganzen englischen, ja, europäischen Aristokratie beschädigt werden! Mein Vater – Gott hab in selig – hat sich todkrank aus der Klinik geschlichen, um an diesem Ball teilnehmen zu können!«

»Und was hat ihm das gebracht?«, wollte Armand wissen.

»Ihm nichts. Aber seither bin ich der Earl of Wilksworth«, meinte der Engländer ungerührt.

»Ach, hört doch auf zu streiten!«, meinte Boyd. »Das hat doch jetzt alles keinen Sinn! Wir müssen zusehen, wie wir hier wegkommen. Und es macht mich krank, dass wir dabei von einem Computer abhängig sind.«

»Sie scheinen wohl ein Problem mit Computern zu haben. Los, erzählen Sie mal«, grinste Allison.

»Kann durchaus sein«, bestätigte Boyd. »Aber darüber rede ich nicht.«

»Könnt ihr mal mit euerm Gequatsche aufhören?«, rief in diesem Moment Gonzales von draußen. »Wir haben hier ein Problem!«

»Sehen Sie, sehen Sie! Ich sage doch, scheiß Computer«, sah sich Boyd in seiner Meinung bestätigt.

Allison verließ den Gitterkäfig und trat zu Speerbergen. »Was ist los, KI?«, fragte sie.

»Nichts ist hier los, und genau das ist unser Problem. Der Computer ist aktiviert, das kann ich erkennen. Aber er verweigert mir jeden Zugriff, da kann ich machen, was ich will.«

»Was schlagen Sie vor?«

»Richten wir uns auf einen etwas längeren Aufenthalt ein. Während Gonzales und ich weiter versuchen, den Computer in Gang zu bekommen, sollten Sie mit den anderen in Erfahrung bringen, wo wir hier überhaupt gelandet sind, ob es hier Bewohner gibt, schlicht: ob wir hier gegebenenfalls einige Zeit leben und überleben können. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt keinesfalls sagen, wie lange unser Hiersein dauern wird.« Speerbergen wirkte bekümmert. »Ich kann noch nicht einmal sagen, ob wir hier je wieder wegkommen.«

Allison dachte kurz nach. »Also gut«, meinte sie dann energisch, »kommt beide mit, halten wir Kriegsrat.«


3


Aktivierung Stationskontrolle

Beobachtungsmodus: Ergebnis!

Unbekannte Individuen versuchen Aktivierung Star Gate.

Entschluss: Zugriffsverweigerung besteht fort, da Anweisung höherer Priorität vorliegt.

Spracherkennung und Sprachanalyse: Ergebnis!

Sprachmuster konnten analysiert werden. Wörterbuch wird angelegt. Grammatikregeln erkannt und gespeichert. Sprachverständigung in Kürze möglich.

Entschluss: Abwarten.


*


Die Mitteilung Allisons, dass sie hier für unbestimmte Zeit festsaßen, hatte Erregung und Aufruhr unter den anderen Mitgliedern des Teams hervorgerufen. Auch die – durchaus ernst gemeinte – Äußerung von Sir Archibald, »unter meiner Führung wäre das nicht passiert«, konnte niemanden erheitern und weckte eher zusätzlichen Unwillen. Dann waren alle sechs in ein dumpfes Brüten versunken.

Allison rüttelte sie auf: »Los Leute, es nützt nichts, Trübsal zu blasen! KI hat vorgeschlagen, dass er mit Gonzales weiter versuchen sollte, den Computer zum Arbeiten zu bewegen, während wir anderen auf Erkundungstour gehen. Alle einverstanden?«

Bis auf den Earl nickten alle zustimmend.

»Lasst uns erst einmal eine Bestandsaufnahme machen«, schlug Robert Boyd vor. »Jeder von uns hat doch Gepäck dabei. Wir sollten prüfen, was hier für uns nützlich sein könnte.«

»Robert hat recht«, stimmte Allison zu. »Also sieht jeder sein Gepäck durch, was Brauchbares dabei ist – Lebensmittel, Getränke, vor allem aber auch Waffen. Und alles, was wir bei der Erkundung eines fremden Planeten gebrauchen können.«

»Mein Gepäck geht niemanden etwas an«, meinte Sir Archibald patzig.

Allison platzte der Kragen »Entweder Sie sortieren jetzt ihr Gepäck wie alle anderen und tragen zusammen, was unserer Gruppe nützlich sein kann, oder ich schlage Sie nieder und wir sehen dann gemeinsam nach, was Sie bei sich tragen«, schrie sie den Engländer an, der sichtlich in sich zusammensackte und dann kleinlaut zu seinem Koffer schlich und diesen öffnete.

Eine ganze Weile war nichts zu hören außer dem Wühlen in den Gepäckstücken. Dann kamen sie nach und nach wieder in der Mitte des Gitterkäfigs zusammen, alle außer Sir Archibald einige Dinge in den Händen tragend.

Die Ausbeute ihrer Untersuchungen war nicht sehr vielversprechend. Vor allem mit Lebensmitteln sah es schlecht aus. Armand Frederic hatte ein paar kleine Spezialitäten aus Phönix dabei, Speerbergen eine Flasche Wasser im Gepäck, das war alles.

Auch ihre Bewaffnung stellte sich als nicht besonders schlagkräftig heraus. Allison trug einen Schocker bei sich und Robert Boyd überraschte mit einem Samuraischwert. Eine Übungswaffe, wie er erklärte, aber dafür war die Klinge erstaunlich scharf. Armand Frederic war noch im Besitz eines der legendären Schweizer Taschenmesser, wohl mehr als Multifunktionswerkzeug denn als Waffe brauchbar.

Das war alles. Jeder Einzelne hatte noch einige Dinge aus seinem Spezialgebiet dabei. Die konnten ihnen sicherlich bei einer Erkundung ihrer Umwelt noch von Nutzen sein; ihr kurzfristiges Überleben konnten sie damit aber nicht sichern.

Eines war klar geworden: Sie mussten hier heraus, denn andernfalls würden sie unweigerlich verdursten und verhungern.

»Jetzt wissen wir, woran wir sind«, meinte Allison. »Also, KI und Sie, Gonzales, gehen Sie ans Werk, Sehen Sie zu, ob sie den Computer nicht doch noch überreden können, uns hier wegzubringen.«

Sie steckte ihren Schocker in den Gürtel und nahm das Samuraischwert auf. »Können sie damit auch umgehen, Boyd?«, fragte sie. Der nickte. Sie hielt ihm die Waffe hin. »Dann kommen Sie, wir suchen einen Ausgang. Armand, sieh zu, dass du uns aus deinen Delikatessen einen kleinen Imbiss zauberst. Und gib dir Mühe; es könnte unser letzter sein.« Sir Archibald ignorierte sie.


*


Allison verließ zusammen mit Boyd den Gitterkäfig und sie begannen, einen Ausgang aus dem Star-Gate-Raum zu suchen. Eine Wand des quadratischen Raumes, in dessen Mitte die pyramidenförmige Gitterstruktur des eigentlichen Star Gates stand, wurde völlig von Konsolen und Anzeigen des Stationscomputers eingenommen. Hier befand sich mit Sicherheit keine Tür. Die anderen drei Wände schienen fugenlos, ganz anders, als sie das von Phönix kannten, wo der Ausgang aus dem dortigen Star Gate ohne Probleme erkennbar war. Akribisch begannen sie, diese Wände abzusuchen.

Es war Boyd, der nach einer Weile die hauchdünnen Fugen entdeckte, hinter denen sich eine Tür zu verbergen schien. Aber wie diese Tür öffnen? Sie zogen Speerbergen zurate. Der besah sich die Sache genau.

»Hier muss irgendwo ein Touchpad verborgen sein«, meinte er. »So etwas kenne ich von Phönix. Sie reagieren auf Körperwärme, werden erst sichtbar, wenn man mit der Hand darüberfährt. Hier etwa müsste es sein.«

Er ließ seine flache Hand ungefähr einen Zentimeter über der Wand schweben und fuhr auf der rechten Türseite in Kopfhöhe hin und her. Plötzlich erschien wie aus dem Nichts eine Schaltfläche auf der Wand.

»Sehen Sie, ich hatte recht! Und dies hier müsste der Knopf zum Öffnen sein.« Er zeigte auf einen kleinen blauen Kreis auf der Schaltfläche und legte seinen Zeigefinger darauf. Nichts geschah. Er versuchte es noch einmal.

»Zugriff gesperrt!«

Plötzlich war eine Stimme im Raum. Alle zuckten zusammen und sahen sich um, woher diese Stimme wohl kommen mochte. Allison und Boyd griffen nach ihren Waffen. Nur der Informatiker blieb gelassen.

»Wer spricht?«, fragte er.

»Stationskontrolle Canos.«

»Wer ist das, KI?«, fragte Allison.

»Der Stationscomputer«, antwortete Speerbergen. »Der Sprachmodus ist aktiviert worden.«

»Und wieso spricht der Englisch? Vor uns war doch wohl noch nie ein Mensch hier.«

»Spracherkennung und Sprachanalyse, darin sind die Kyphorer ganz groß. Wahrscheinlich meldet sich der Computer deshalb erst jetzt. Es braucht immer einige Zeit, bis das Translatorprogramm über genug Daten verfügt. Geht aber wesentlich schneller als bei unseren eigenen Translatoren.«

Speerbergen hob die Stimme und sprach wieder in den Raum: »Computer, warum wird der Zugriff verweigert?«

»Alle Manipulationen geblockt gemäß Anweisung höherer Priorität«, antwortete die körperlose Stimme.

»Von wem stammt diese Anweisung?«

»Anweisung zentrale Computerkontrolle.«

»Warum wurde diese Anweisung gegeben?«

»Ungeklärter unberechtigter Zugriff.«

»Wie kann diese Anweisung aufgehoben werden?«

»Resultate der Ermittlungen Alpha bis Gamma müssen vorliegen.«

»Was sind die Ermittlungen Alpha bis Gamma?«

»Auskunft gemäß Anweisung höherer Priorität verweigert.«

»Wann werden die Resultate der Ermittlungen Alpha bis Gamma vorliegen?«

»Keine Aussage möglich.«

»Was bedeutet dieses Kauderwelsch?«, fragte Sir Archibald, der hinzugetreten war.

»Nun, ich interpretiere das so«, antwortete der Informatiker. »Das kyphorische Computernetz, das wohl alle Star Gates verbindet, hat einen Konflikt festgestellt, ausgelöst durch unsere Transition. Wohl genau der Fehler, den wir uns auch nicht erklären können. Bis zur Klärung des Vorfalls ist diese Station für jeden Zugriff gesperrt.«

»Und wie lange kann diese Sperre dauern?«

»Schwer zu sagen. Der Computer weiß es offensichtlich auch nicht. Fakt ist, wir kamen von einem Star Gate, dessen Norm von Xybrass so manipuliert wurde, dass es von den Kyphorern nicht mehr erkannt werden kann. Und wir wollten zu einem Star Gate, das von den Kyphorern vor langer Zeit gesperrt wurde, falls sie ein Empfangs-Star-Gate überhaupt anmessen können. Eine schwere Nuss für die Computerkontrolle. Vielleicht wird es nie zu Resultaten kommen.«

»Das würde ja heißen ...«, setzte Gonzales an.

»Ja, genau das würde heißen – wir sind für immer hier gefangen!«, setzte Sir Archibald den angefangenen Satz fort.

»Nicht unbedingt«, meinte Speerbergen. »Sicherlich kann der Computer ein Star Gate nicht auf ewige Zeiten gesperrt halten, nur weil einige Probleme nicht zu lösen sind. Aber dauern kann das schon.«

»Lassen Sie mich mal versuchen«, sagte Sir Archibald und sprach dann den Computer an.

»Computer, hier spricht Sir Archibald Henton, Earl of Wilksworth. Ich befehle dir, alle Zugangssperren für uns aufzuheben.«

»Sie haben keine Berechtigung, Anweisungen höherer Priorität aufzuheben.«

»Was soll das heißen, keine Berechtigung? Ich sagte doch, ich bin der Earl of Wilksworth! Als solcher habe ich alle Berechtigungen!«

»Zugangscode Earl of Wilksworth unbekannt. Sie haben keine Berechtigung.«

»Ach, lassen Sie es doch, Sir Archibald. Mit ihrem Earl of Wilksworth können Sie den Computer nicht beeindrucken.« Boyd zog den Engländer zur Seite und wandte sich nun seinerseits an den Computer: »Computer, ich habe eine Frage.«

»Stellen Sie ihre Frage«, antwortete der Computer und klang dabei fast menschlich.

»Ist die Vernichtung unserer Existenz in der Anweisung, uns jeden Zugriff zu verbieten, enthalten?«

»Ich kann Ihre Frage nicht verstehen. Zusammenhang zwischen Zugriffsverweigerung und Existenzvernichtung ist nicht erkennbar.«

»Nun, der Zusammenhang ist doch ganz einfach: Durch die Zugriffsblockade werden wir in diesem Raum festgehalten. In diesem Raum gibt es aber keinerlei Nahrung für uns. Ohne die Möglichkeit der Nahrungsaufnahme, insbesondere ohne die Aufnahme von Flüssigkeit, wird unsere Existenz in absehbarer Zeit enden. Oder hast du die Möglichkeit, Essen und Trinken für uns zu beschaffen?«

»Möglichkeit Nahrungsbeschaffung negativ. Erkenne Problemstellung. Entscheidung muss durch übergeordnete Instanz überprüft werden. Bitte warten.«

Auf weitere Fragen reagierte der Stationscomputer nicht mehr.


4


Stationskontrolle an Planetare Computerkontrolle: Anweisungskonflikt!

Konfliktschilderung: Durch die Anweisung, alle Manipulationen durch empfangene unbekannte Entitäten zu blockieren, wird die Existenz dieser Entitäten gefährdet. Bei bestehendem Zustand wird die Existenz der sechs Entitäten in 48 – 55 Zeiteinheiten enden.

Frage: Ist Existenzvernichtung vorgesehen?


Planetare Computerkontrolle an Stationskontrolle:

Existenzvernichtung nicht vorgesehen und unbedingt zu vermeiden. Oberste Priorität: Die Transmitter-Reisenden dürfen nicht zu Schaden kommen. Aber ein Rücktransport muss auf jeden Fall unterbleiben. Erwarte Vorschläge zur Problemlösung.


Stationskontrolle an Planetare Computerkontrolle:

Lösung des Problems durch Entlassung der Entitäten in die Außenwelt möglich. Diese Station ist die einzige auf dem Planeten, ein Rücktransport also nur von hier aus möglich.


Planetare Computerkontrolle an Stationskontrolle:

Modifiziere Anweisung: Rücktransportmöglichkeit sowie jegliche Manipulation außer Türkontrolle geblockt, bis zufriedenstellende Resultate zu Ermittlungen Alpha bis einschließlich Gamma vorliegen.

Planetare Computerkontrolle Ende


*


Es dauerte nur wenige Minuten, in denen die sechs Wissenschaftler ratlos herumstanden, dann meldete sich der Stationscomputer wieder: »Türmechanismus freigegeben. Alle anderen Restriktionen bleiben bis zum Vorliegen der Resultate Alpha bis Gamma bestehen.«

Speerbergen eilte zur Tür und wollte den Sensor, der das Öffnen der Tür bewirkte, drücken.

»Halt!«, stoppte ihn Allison. »Wir wissen nicht, was dort draußen auf uns wartet.«

Sie zog ihre Waffe und bedeutete auch Boyd, sein Samuraischwert bereitzuhalten. Speerbergen sollte neben der Tür Stellung beziehen und die anderen wies sie an, sich möglichst weit von der Türöffnung zurückzuziehen. Dann nickte sie dem Informatiker zu. Der drückte den Sensor.

Lautlos glitt die Tür auf. Nichts geschah. Vorsichtig spähte Allison durch die Öffnung. Die Tür führte in einen weiteren, größeren Raum, der aber vollkommen leer war, wie eine kurze Untersuchung ergab.

»Hier wohnt wohl niemand mehr«, raunte Robert Boyd ihr zu. »Wenn diese Station eine Besatzung hätte, wäre die bestimmt längst aufgetaucht.«

»Dann brauchen Sie ja auch nicht mehr zu flüstern«, antwortete Allison in normaler Lautstärke und winkte Speerbergen, ihnen zu folgen. »Es ist wie auf Phönix, die Station ist verlassen und arbeitet automatisch. Aber was uns draußen erwartet, wissen wir nicht.« Sie sah sich um. »Wir müssen nur die nächste Tür finden.«

»Nicht nötig«, meinte Speerbergen und sagte dann laut und deutlich: »Computer, Türöffnungsmechanismus anzeigen!«

Sofort blinkte einige Meter entfernt ein Touchpad auf. Wieder nahmen die drei ihre Aufstellung ein, dann drückte der Informatiker den Sensor. Auch diese Tür glitt zur Seite.

»Bingo!«, sagte Allison. »Das war die Außentür.«

Leicht grünliches, gedämpftes Licht drang von draußen herein und eine feuchtigkeitsgeschwängerte, schwer riechende und doch ungemein frische und sauerstoffreiche Luft. Vielfältige Geräusche einer unbekannten Fauna, oder was immer sie erzeugen mochte, erfüllten den Raum.

Vorsichtig spähte Boyd nach draußen, während Allison ihn mit ihrem Schocker sicherte – so gut es mit einer solchen Waffe eben ging. »Dschungel«, sagte der Sprachforscher, »nichts als Dschungel.«


*


Nachdem sie sorgfältig nach allen Seiten gesichert hatten, gingen sie nach draußen. Keiner wollte im Star Gate bleiben, jetzt, da der Ausgang frei war. Allison hatte Mühe, die Gruppe zusammenzuhalten. Jeder wollte in seinem Forscherdrang gleich irgendwo hinlaufen, ungeachtet eventueller Gefahren, die hier lauern mochten. Um das pyramidenförmige Bauwerk herum – die Form setzte sich auch außerhalb des eigentlichen Star Gates fort – befand sich ein breiter Streifen kurzen grünen Grases, dann begann ein dichter, schier undurchdringlicher Dschungel. Am Himmel gleißte eine kleine, aber sehr helle Sonne. Die Temperaturen lagen im tropischen Bereich.

Allison zuckte zusammen und riss ihren Schocker hoch, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Aber es war nur ein kleiner Metallkasten, der mit leisem Surren langsam um eine der Ecken der Pyramide gerollt kam. Offensichtlich bestand keine Gefahr; es war ein Roboter, der das Gras um die Pyramide mähte. Unbeirrt von den sechs fremden Wesen zog er seine Bahn.

Allison rief die Gruppe zu einer erneuten Besprechung zusammen.

»Wir müssen die anstehenden Aufgaben verteilen«, sagte sie. » KI, Sie arbeiten weiter am Computer. Vielleicht können Sie ihn doch noch überreden, uns von hier wegzubringen. Gonzales als Mathematiker kann Ihnen am ehesten dabei von Nutzen sein.«

Die Angesprochenen nickten zustimmend. Alonso Gonzales schien sogar ganz erleichtert zu sein, nicht hinaus in die fremde Umwelt zu müssen.

»Du, Armand«, fuhr die junge Frau fort, »bist nicht nur Biologe. Ich weiß, dass du auch gerne kochst. Das prädestiniert dich, dich draußen nach Essbarem umzusehen. Und schau, ob du Wasser findest. Sir Archibald, Sie begleiten ihn.«

»Ich bin kein Biologe!«, tönte es zurück.

»Vielleicht können Sie bei diesen ersten Exkursionen ja schon ein paar Eindrücke über die geologischen Verhältnisse dieser Welt sammeln«, versuchte Allison einzulenken.

»Meine geologischen Studien kann ich viel besser allein durchführen, da stört jeder andere nur, der nichts davon versteht«, zeigte sich der Engländer uneinsichtig.

»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Keiner geht hier allein. Wir wissen nicht, welche Gefahren eventuell da draußen lauern. Immer nur in Gruppen, mindestens zu zweit. Und entfernt euch nicht zu weit von der Pyramide. Die Sonnenbewegung der letzten Minuten zeigt, dass es noch nicht Mittag ist. Achtet immer auf die Sonne; wir wissen nicht, wie lange hier die Tage sind, und ich möchte nicht, dass irgendjemand von uns dort draußen in die Dunkelheit gerät. Wir sollten alle noch bei Tageslicht zurück sein.«

Brummend gab Sir Archibald klein bei und gesellte sich zu Frederic.

»Ich gehe zusammen mit Boyd«, fuhr Allison fort. »Wir wollen mal schauen, ob wir was von den Tieren zu sehen bekommen, die wir die ganze Zeit schon hören, und ob wir herausbekommen können, ob uns da eine Gefahr droht. Bis wir das wissen, können wir nicht vorsichtig genug sein.« Sie sah sich nochmals um. »Unser Lager schlagen wir hier im Vorraum zum Star Gate auf. Da können wir nachts die Tür verschließen und uns verbarrikadieren, wenn Gefahr von außen droht. Wer nichts anderes zu tun hat, hält sich immer nahe am Eingang auf, damit wir uns schnell zurückziehen können. So, jetzt räumen wir erst einmal unsere Sachen nach vorn, damit KI und Speedy« – sie benutzte jetzt einfach den Spitznamen des Mathematikers – »ungestört im Star-Gate-Raum arbeiten können.«


*


Kaum hatten Allison und Boyd die Lichtung verlassen und waren unter die Bäume getreten, wurde das Licht diffus. Die Konturen von allem, was sie sahen, verschwammen. Stämme, Äste und das Blattwerk der Bäume waren nurmehr zu erahnen. Seltsame, nie gehörte Geräusche und Tierstimmen erfüllten den Wald. Die Stimmung war bedrückend und ließ Gefahr erahnen. Allison bemerkte, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufrichteten. Eine Gänsehaut überlief sie und sie fröstelte.

»Ich bin heilfroh, dass auch Sie einigermaßen mit Waffen umgehen können«, raunte sie Boyd zu und umklammerte krampfhaft ihren Schocker. »Wenn ich hier allein auf fünf unbedarfte Wissenschaftler aufpassen müsste ... Ich glaube nicht, dass ich das schaffen könnte.«

»Na ja, so ganz unbedarft sind ja nicht alle«, flüsterte Boyd zurück. »Mir scheint, außer mir kann auch Armand ganz gut auf sich selbst aufpassen. Aber in Bezug auf KI, Speedy und diesen blasierten Lord haben Sie schon recht, da werden wir Kindermädchen spielen müssen.«

»Nur gut, dass Sie als Linguist hier nicht viel zu tun haben. Da kann ich Sie als Kindermädchen, oder sagen wir besser als Bodyguard einsetzen, großer Samurai.«

»Was soll denn das heißen? Wollen Sie etwa sagen, ich tauge nichts als Linguist?«

»Keinesfalls. Ich kenne Ihren Ruf als einer der Besten ihres Fachs. Aber was sollte es hier für Sie zu tun geben? Schriftzeichen, die es zu analysieren und zu übersetzen gibt, haben wir nicht gefunden, nur die kyphorischen, und die sind ja schon entziffert. Und das gesprochene Wort ... Na, Sie haben ja gesehen, was der Stationscomputer da zu leisten imstande ist. Und dann haben wir ja auch noch unsere eigenen Translatoren., die sind ja auch nicht viel schlechter. Da sind Sie völlig überflüssig, mein Lieber.«

»Ja, ich weiß. Diese verfluchten Computer haben uns Linguisten so ziemlich arbeitslos gemacht. Früher war das noch ganz gut, da waren Computer auch für uns ein nützliches Hilfsmittel. Aber mit dem Aufkommen der Translatortechnologie wurden sie uns über. Verfluchte Blechkisten.« Boyd blickte finster. »Wussten Sie eigentlich, dass man jetzt schon an Computern arbeitet, die fremdsprachige Schriftzeichen erkennen, analysieren und auch übersetzen können? Wenn das gelingt, Allison, dann kann ich wirklich umsatteln und mir einen neuen Job suchen.« Mit verkniffenem Blick sah er auf die Waffe in seiner Hand. »Na ja, immerhin habe ich ja noch mein Samuraischwert.«

»Meinen Sie denn, Sie bekommen einen Job als Samurai?«, grinste Allison.

»Nein, nicht dafür brauche ich das Schwert«, knurrte der Sprachforscher. »Sondern für Harakiri, oder wie das heißt.«

Einige Zeit gingen die beiden schweigend weiter, jeder für sich in Gedanken versunken, nach außen aber trotzdem aufmerksam auf mögliche Gefahren achtend. Plötzlich legte Robert Boyd seiner Begleiterin die Hand auf den Arm.

»Hören Sie das?«, fragte er.

»Was soll ich hören?«

»Wasser, da plätschert doch Wasser!«

Allison lauschte. »Sie haben recht, jetzt höre ich es auch, da plätschert ein Bach.«

Sie lauschten gemeinsam. Schnell hatten sie die Richtung erkannt, aus der das leise Rauschen des Wassers kam. Sie brauchten nur wenige Meter zurückzulegen, da lichtete sich der Urwald und sie standen am Ufer eines Baches. Kaum mehr als zwei Schritte breit und flach plätscherte er murmelnd dahin, wobei seine Wasser munter über kopfgroße Steine sprangen, die sein Bett bildeten. Schmale Uferstreifen waren mit der Art Gras bewachsen, welches auch die Pyramide umgab. Die Äste der riesigen Bäume aber ragten über den Bach hinweg und bildeten ein grünes Dach, durch das hin und wieder ein Sonnenstrahl drang und glitzernde Reflexe auf dem Wasser verursachte.

»Schön«, entfuhr es Allison Winter.

»In der Tat, ein schönes Fleckchen«, bestätigte Boyd. »Ein idealer Platz für eine Rast. Ob das Wasser wohl trinkbar ist?«

»Wahrscheinlich schon. Klar und sauber ist es jedenfalls«, meinte die Biologin. »Aber wir sollten kein Risiko eingehen.« Sie löste eine leere Trinkflasche von ihrem Gürtel. »Die habe ich extra mitgenommen, um eine Probe abfüllen zu können, falls wir Wasser fänden.«

Sie beugte sich nieder, um die Flasche zu füllen. Genau in dem Augenblick, als sie die Flasche in das Wasser eintauchte, brach auf der anderen Seite ein blitzschneller Schatten aus dem Unterholz hervor, sprang mitten in das aufspritzende Wasser und wollte sich auf die Xenobiologin stürzen.

Mit einer blitzschnellen Reaktion riss Robert Boyd Allison zur Seite. Aufschreiend stürzte die Frau ins Wasser. Dort, wo sie eben noch gehockt hatte, kauerte jetzt eine Bestie. Der Wissenschaftler erkannte ein etwa wildschweingroßes Tier, das irgendwie zu viele Beine hatte. Sein weit aufgerissenes Maul schien nur aus langen, weiß blitzenden Zähnen zu bestehen. Fauchend sah sich die Bestie um. Sie erblickte die nicht weit von ihr vor Schreck wie gelähmt im Wasser liegende Frau. Ihre Muskeln spannten sich; gleich würde sie sich erneut auf ihr Opfer stürzen.

Erst jetzt reagierte Allison. Ihre in der Ausbildung zur Survival-Spezialistin antrainierten Reflexe begannen sich durchzusetzen. Sie versuchte, den Schocker aus dem Gürtel zu ziehen. Doch gleichzeitig erkannte sie, dass es zu spät war. Sie würde diesem Raubtier nicht mehr entkommen können. Da landete die Bestie auch schon neben ihr im aufspritzenden Wasser und fauchte ihr ihren stinkenden Atem ins Gesicht. Mit seltsamer Klarheit wusste Allison, dass sich schon im nächsten Augenblick die Krallen des Tieres in ihren Körper bohren und die langen Reißzähne ihre Kehle zerfetzen würden. Sie schloss die Augen.

Da durchdrang ein Sirren die Luft. Etwas fiel auf Allisons Brust und eine warme, klebrige Flüssigkeit nässte ihr Gesicht. Sie riss die Augen auf und fuhr gleich darauf mit einem Schrei zurück. Auf ihrer Brust lag der Kopf der Bestie, die entblößten dolchartigen Zähne nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht. Der kopflose Körper des Tieres aber sackte neben ihr zusammen, wobei er nochmals einen Strom von Blut über sie ergoss. Allison sah auf. Robert Boyd stand über ihr, das Samuraischwert, von dessen Klinge ebenfalls Blut tropfte, in den ausgestreckten Armen.

»Eines wissen wir jetzt«, bemerkte er trocken. »Die Fauna diese Planeten beruht auf den gleichen Prinzipien wie wir: Sie atmet, und ihr Blut ist rot.«

»Und sie ist gefährlich! Danke, Robert«, stammelte Allison Winter nur.

Eine ganze Weile hockte sie mitten im Bach und versuchte, ihren Schock zu verarbeiten. Robert Boyd reinigte derweil seine Waffe und schleppte den Kadaver des Raubtieres mitsamt dem abgetrennten Kopf ans Ufer, immer wachsam sichernd, ob nicht erneut eine Gefahr drohen könnte.

Schließlich rappelte sich auch Allison auf, zog sich nackt aus und reinigte ihren Körper vom Blut. Dann wusch sie auch ihre Kleider gründlich und breitete sie am Ufer zum Trocknen aus. Robert Boyd war sichtlich bemüht, in eine andere Richtung zu blicken.

»Na, noch nie eine nackte Frau gesehen?«, fragte Allison spöttisch. Der Wissenschaftler schluckte und wurde rot. Er gab keine Antwort. Steif stand er da, das Samuraischwert in Händen, und blickte angestrengt in das grüne Blättermeer des Urwalds.


*


Die Kleider waren noch feucht und klamm, als Allison Winter sich wieder anzog. »Sie können jetzt wieder hergucken«, meinte sie zu Robert Boyd.

Der entspannte sich sichtlich und kam herbei. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er.

»Das hätten Sie ruhig schon mal früher fragen können. Danke der Nachfrage, bei mir ist alles okay. Aber ich glaube, das langt jetzt fürs Erste. Lassen Sie uns zurückgehen. Die anderen werden sich auch schon Sorgen machen.«

Sie sah sich suchend um und entdeckte ihre Wasserflasche, die ihr vorhin entfallen war, ein kleines Stück abwärts zwischen zwei Steinen eingeklemmt. Sie holte sie, reinigte sie sorgfältig und füllte sie mit Wasser.

»Die Probe nehmen wir trotzdem mit«, meinte sie. »Und auch den Kadaver dort. Ich würde ihn gerne untersuchen. Vielleicht ist das Vieh ja auch essbar und gibt einen schmackhaften Braten ab.«

Boyd schulterte den schweren Raubtiertorso und Allison nahm den abgetrennten Kopf. Auf ihrer deutlich sichtbaren Spur von vorhin gingen sie zum Lager zurück.


*


Als Allison Winter und Robert Boyd wieder bei der Pyramide eintrafen, war die Sonne schon ein gutes Stück gesunken. Auch Armand Frederic und Sir Archibald waren schon wieder zurück und saßen mit Speedy Gonzales, der es wohl nicht mehr an der Konsole des Stationscomputers ausgehalten hatte, in ein Gespräch vertieft zusammen.

Als sie die beiden bemerkten, sprangen sie auf und eilten den Ankömmlingen entgegen. Frederic nahm dem völlig erschöpften Boyd den Raubtierkadaver ab und trug ihn zum Lagerplatz. »Was habt ihr denn da erlegt?«, fragte er.

»Frag lieber, was uns da beinahe erlegt hat«, gab Boyd zurück.

»Jetzt bitte keine großen Fragen«, meinte Allison. »Ich will mir dieses Tier erst ein wenig genauer ansehen. Dann treffen wir uns zu einer Besprechung, in der wir unsere Erlebnisse und Erkenntnisse austauschen können. Sagen wir: in einer Stunde. Hat jeder eine Uhr?«

Alle nickten.

»Gut! Gonzales, Sie gehen wieder zu KI und sagen ihm Bescheid. Übrigens, Armand, könnten Sie das hier mal untersuchen, ob es trinkbar ist?« Sie reichte ihm die Wasserflasche. »Ich hoffe, Sie haben die Mittel dazu.«

Armand Frederic nahm die Flasche und nickte.

»Ich habe auch noch zu tun«, murmelte Sir Archibald und widmete sich seiner Gerätschaften.


*


Als die Stunde vergangen war, trafen sie sich am Eingang zur Pyramide, wo sie ihr Lager eingerichtet hatten. Das hatte sich aus praktischen Gründen angeboten, denn so brauchten sie, wenn die Dunkelheit hereinbrach, nur ein paar Schritte in die Pyramide hineinzugehen und waren in Sicherheit. Das Gleiche galt natürlich auch, wenn eine Gefahr von draußen drohen sollte.

Allison fragte zunächst Speerbergen, ob er Fortschritte gemacht habe.

»Nicht die Spur«, antwortete der Informatiker. »Irgendetwas blockiert unsere Zugriffsmöglichkeit, wie uns ja auch der Stationscomputer mitgeteilt hat. Ich habe alles versucht, die Blockade zu umgehen. Aber das Ding ist so gut abgesichert, dass ich noch keinen Schritt weitergekommen bin. Sorry, wir sitzen hier fest.«

»Weil ich KI dabei kaum helfen konnte, habe ich mich ein wenig hier draußen umgesehen«, berichtete Alonso Gonzales. »Die Sonne, um die dieser Planet kreist, ist offensichtlich kleiner als unsere Sonne auf der Erde. Aber sie ist deutlich heißer und heller. Auch der Planet hier muss kleiner sein als die Erde. Ihr habt ja sicherlich selbst gespürt, dass die Schwerkraft etwas geringer ist als die irdische. Und der Horizont ist näher und stärker gekrümmt. Ich bin extra auf einen Baum geklettert, um das erkennen zu können. An der Sonnenbewegung habe ich erkannt, dass wir uns in der Nähe eines der Pole befinden müssen.« Theatralisch wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Stellt euch das einmal vor: Dschungel am Pol! Wie heiß muss es hier dann erst am Äquator sein!« Er setzte sich seufzend. »Mehr habe ich noch nicht herausfinden können. Vielleicht kann ich ja in der Nacht einmal einen Blick auf die Sterne werfen. Möglicherweise kommt mir da irgendetwas bekannt vor.«

Als Nächster war Sir Archibald mit seinem Bericht dran. »Wie ich vorhin schon erklärt habe«, meinte er in dem ihm eigenen blasierten Tonfall, »bin ich kein Biologe und konnte so Monsieur Frederic so gut wie nicht behilflich sein. Er mir natürlich auch nicht, wie sollte er sich in meinem Spezialgebiet auskennen. Also habe ich mich einfach in seiner Nähe aufgehalten – so wie unsere verehrte Kommandantin es angewiesen hat«, er nickte übertrieben in Allison Winters Richtung, »und versucht, so gut es eben ging, meine geologischen Untersuchungen durchzuführen.«

»Und was ist dabei herausgekommen?«, blaffte Allison ihn an. »Kommen Sie endlich zur Sache.«

Sir Archibald schrumpfte sichtlich zusammen, wagte jedoch keine weitere Spitze. »Nicht viel, eigentlich«, murmelte er. »Das Gelände hier ist flach, nur leicht wellig und mit einer dichten Humusschicht bedeckt. Auf Gestein bin ich nur an dem Bachlauf gestoßen, den wir gefunden haben. Aber da war auch nichts Besonderes. Stinknormales Urgestein, vom Wasser rund geschliffen.« Dann sprach er wieder lauter weiter: »Etwas ist mir aber doch aufgefallen: Die radioaktive Strahlung auf diesem Planeten ist zu hoch. Nicht gefährlich für uns, aber doch deutlich höher, als es aus natürlicher Gegebenheit zu erwarten wäre. Sie kommt auch nicht aus dem Weltall, das konnte ich ausmessen. Und im Süden, schätzungsweise sechzig Kilometer entfernt, habe ich noch eine stärkere Strahlungsquelle gefunden, die eigentlich auch keinen natürlichen Ursprung haben kann. Möchte wissen, was da passiert ist.«

»Sofern es keine Bedeutung für unser Fortkommen von hier hat, ist das ohne Belang«, unterbrach ihn Armand Frederic. »Wichtig an Ihrem Bericht ist momentan nur, dass wir Wasser gefunden haben.«

Es stellte sich heraus, dass sie auf einen Bach gestoßen waren, der nur knapp hundert Meter vom Dschungelrand entfernt an der Pyramide vorbeifloss. Offensichtlich handelte es sich um denselben Wasserlauf, auf den auch Allison und Boyd gestoßen waren, nur dass dieser in der Richtung, in der die beiden ihren Erkundungsgang unternommen hatten, viel weiter von der Station entfernt war.

»Und das Wasser ist ohne Probleme trinkbar«, fuhr Armand fort. »Verdursten werden wir hier also nicht. Auch zwei Sorten essbarer Früchte habe ich gefunden, die ringsum auch überall in Mengen wachsen. Wir können uns also weiter helfen.«

»Nur gut, dass Sie Geräte dabei haben, das zu untersuchen«, warf KI ein.

»Habe ich nicht«, versetzte der Biologe knapp.

»Und woher wissen Sie, dass das alles genießbar ist?«, fragte Allison überrascht.

»Nun, ganz einfach. Ich habe von dem Wasser getrunken und von den Früchten gegessen und mir ist nichts passiert, obwohl das schon Stunden her ist.«

»Sind Sie denn wahnsinnig?«, entfuhr es der Survival-Spezialistin.

»Keinesfalls. Wenn wir schon keine Möglichkeit haben, das, was der Planet uns anbietet, auf Verträglichkeit zu testen, muss es jemand probieren. Und ich als Biologe bin doch am ehesten in der Lage zu beurteilen, was man riskieren kann und was besser nicht. Ich werde also, so lange wir uns hier aufhalten, euer Vorkoster sein. Anders geht es nicht. Ich hoffe ja auch, dass mich höchstens mal eine Magenverstimmung erwischt.«

Bedrückt stimmten vier der Gruppe zu.

»Also gut!«, entschied sich schließlich auch Allison Winter. »Da wir alle auch hungrig und vor allem durstig sind, gehen Sie, Sir Archibald, Wasser holen. Robert wird Sie begleiten. Irgendwelche Behälter werden Sie ja auftreiben. Und Sie, Armand, gehen bitte mit Alonso zusammen Früchte holen. Wenn wir gegessen haben, setzten wir unsere Beratung fort.«

Es war alles andere als ein frugales Mahl, das sie da zu sich nahmen, bestehend aus klarem Wasser und zwei verschiedenen Sorten von Früchten, doch Allison meinte, kaum je zuvor etwas Köstlicheres gegessen zu haben.

Als sie ihren ersten Durst gelöscht und den Hunger gestillt hatten, setzten sie ihre Unterredung fort.

Armand war begierig darauf, mehr von Allisons und Boyds Begegnung mit der Bestie zu erfahren. Ausführlich berichtete die Survival-Spezialistin, was ihnen am Bachlauf widerfahren war. Sie vergaß dabei auch nicht, Boyds heldenhafte Rolle gebührend herauszustellen, was dieser sichtlich genoss.

»Ohne ihn wäre ich jetzt gewiss nicht mehr am Leben«, schloss sie ihren Bericht.

»Und was hat Ihre Untersuchung des Kadavers ergeben?«, verlangte Speerbergen zu wissen.

»Nun, zum einen, dass es sich um einen warmblütigen, räuberischen Fleischfresser handelt, aber das stand ja schon nach unserer ersten Begegnung zu vermuten. Es muss sich bei dieser Spezies um ein außerordentlich gefährliches Tier handeln. Offensichtlich ist es deutlich kräftiger, als es seine Größe vermuten lässt; die Bein- und vor allem die Nacken- und Schultermuskeln sind sehr ausgeprägt entwickelt. In Verbindung mit seinem fürchterlichen Gebiss ist es sicherlich in der Lage, auch ein viel größeres Beutetier in kürzester Zeit zu zerfleischen. Und noch etwas ist mir aufgefallen.« Allison machte eine Pause und schaute in die Runde. »Obwohl eindeutig ein Fleischfresser, hat sich diese Gattung vor entwicklungsgeschichtlich gar nicht allzu langer Zeit aus einem Pflanzenfresser entwickelt.«

»Wie wollen Sie das festgestellt haben?«, warf Sir Archibald ein. »Ich glaube kaum, dass Sie das nach einer so kurzen Untersuchung schon mit Sicherheit sagen können.«

»Doch«, erwiderte Allison ruhig. »Das ist ganz eindeutig. Das Tier besitzt noch ansatzweise mehrere Mägen, so wie unsere irdischen Wiederkäuer. Und hier wird die Sache erst interessant. Dabei bin ich nämlich darauf gestoßen, dass diese Tiere über ein sehr interessantes und von der irdischen Fauna völlig verschiedenes Fortpflanzungssystem verfügen.«

»Bei der Untersuchung des Magens sind Sie darauf gestoßen?« Armand schaute ungläubig.

Allison nickte. »Ja, bei der Untersuchung des Magens. Ich habe festgestellt, dass es sich bei dem Tier um ein Weibchen handelt. Direkt neben dem Magen befindet sich ein Organ, das man wohl als Uterus ansehen kann. Aber der mündet nicht nach außen, sondern in dieses Magensystem. Und das Tier war irgendwie trächtig.«

»Irgendwie trächtig? So wie ein bisschen schwanger? Das gibt’s doch wohl gar nicht«, warf Speedy Gonzales spöttisch ein.

»Nein, so meine ich das auch nicht.« Allison ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Was ich meine ist, dass sich das Junge nicht im Uterus befand, sondern in einem dieser umgebildeten Mägen.«

»Sie fressen ihre Jungen auf?«, wollte Armand wissen.

»Nein, natürlich nicht. Es ist vom Uterus aus da hineingelangt. Ich vermute, dass die Jungen den Uterus in einem sehr frühen Entwicklungsstadium verlassen, etwa so wie bei den irdischen Beuteltieren. Dann bleiben sie eine Zeit lang in einem der umgebildeten Mägen, bis sie reif genug sind. Dort sind sie geschützt. Und erst wenn es soweit ist, verlassen sie endgültig den Körper des Muttertieres.«

»Und wie?«, fragte Boyd nach.

»Na, entweder nach vorn oder von hinten.«

Gonzales lachte laut auf. »Ausgekotzt oder ausgeschissen, das kann doch nicht sein!«

»Warum nicht?«, entgegnete Allison trocken. »Auch bei den Säugetieren, zu denen wir Menschen ja schließlich auch gehören, mündet der Geburtskanal zusammen mit einem Ausscheidungsorgan. Und das hat auch seinen guten Grund. Je weniger Körperöffnungen, umso weniger Angriffsmöglichkeiten für Feinde von außen.« Sie räusperte sich und nahm einen Schluck Wasser. »Nein das ist es nicht, was ich an dieser Angelegenheit so bemerkenswert finde.«

»Was dann?« Armand wollte es jetzt genau wissen. »Was ist denn das Bemerkenswerte dabei?«

»Nun, der Uterus führt in den Magen; er hat keinen anderen Zugang. Ich frage mich, wie diese Jungen gezeugt werden?«

»Mich dagegen interessiert etwas anderes noch viel mehr«, warf Gonzales ein. »Ist es essbar?«

Allison zuckte mit den Schultern.

»Na, dann werde ich wohl wieder herhalten müssen«, knurrte Armand Frederic. »Aber roh probiere ich das nicht. Kommt, lasst uns ein Feuer machen.«

Schnell war am Waldrand trockenes Holz gesammelt und ein Feuer entzündet. Allison hatte währenddessen ein schönes Stück Fleisch aus der Schulter des Tieres gelöst und Armand aus zwei gegabelten Stöcken und einem geraden Aststück einen Bratspieß gebastelt. Schon nach kurzer Zeit brutzelte der Braten über dem Feuer.

Doch bald wurden die erwartungsvollen Gesichter der Umstehenden lang und länger. Es stank fürchterlich.

»Muss ich das wirklich probieren?«, fragte der Franzose skeptisch. Er schnitt einen Streifen Fleisch ab und führte ihn zögern zum Mund. Nachdem er ausgiebig gepustet hatte, um das heiße Stück abzukühlen, steckte er es zwischen die Zähne und begann vorsichtig zu kauen. Doch schon nach wenigen Augenblicken spie er den Brocken in hohem Bogen aus. Er schüttelte sich vor Ekel.

»Schmeckt ja fürchterlich«, prustete er. »Das fresse ich nicht einmal, wenn ich am Verhungern bin.«

Ausgiebig spülte er seinen Mund mit Wasser und spuckte immer wieder angewidert aus. Doch es dauerte eine Weile, bis er den ekelhaften Geschmack losgeworden war. Allen war klar geworden: Zumindest dieses Tier war nicht genießbar. Bis auf Weiteres musste die Gruppe auf einen saftigen Braten verzichten und mit pflanzlicher Kost vorlieb nehmen.


5


In der Zwischenzeit war es dämmrig geworden; der kurze Tag dieser Welt neigte sich seinem Ende zu.

»Von der Länge dieses Tages her gesehen und unserem Standort in Polnähe, müssen wir uns in einer der Übergangszeiten befinden, entweder im Frühling oder im Herbst«, meinte Gonzales, der Astrophysiker.

»Was denn nun?«, fragte Sir Archibald. »Frühling oder Herbst?«

»Das kann ich jetzt noch nicht feststellen«, entgegnete Speedy. »Dazu muss ich über mehrere Tage hinweg genauere Messungen vornehmen, damit ich feststellen kann, ob die Tage kürzer oder länger werden. Aber vielleicht kann uns Armand als Biologe anhand seiner Beobachtungen der Flora darüber etwas sagen.«

Doch auch der schüttelte den Kopf. »Viel zu wenige Daten. Es gibt Pflanzen, die blühen, es gibt solche, die Früchte tragen, und wieder andere, deren Früchte und Samen schon überreif und abgeworfen auf der Erde liegen. Laubabwurf konnte ich aber nirgends feststellen.« Er stand auf und begann zu dozieren. »Aber das ist bei einer solchen Dschungelvegetation nichts Ungewöhnliches. Ich glaube, dass es hier auch im Hochwinter nicht sonderlich kalt wird. Wir haben es also mit einer immergrünen Vegetation zu tun. Und die kann zu den unterschiedlichsten Zeiten blühen und fruchten. Und von den unterschiedlichen Tageslängen ist sie dabei nicht abhängig, da haben sich die verschiedenen Arten auf der Suche nach einer günstigen Überlebens- und Vermehrungsnische längst angepasst. Nein, aus dem Zustand der Flora kann ich unmöglich auf eine Jahreszeit schließen.«

»Ich habe jetzt aber mal ein ganz praktisches und aktuelles Problem«, meldete sich Gonzales zu Wort.

»Und das wäre?«, fragte Allison.

»Nun, mich drückt schon seit einiger Zeit ein sehr menschliches Bedürfnis.«

»Dann schlagen Sie sich doch einfach in die Büsche, wie wir anderen auch« entgegnete ihm Boyd.

»Ja, aber wir wissen nicht, wie lange wir uns hier noch aufhalten müssen. Was ich meine ist, wir sollten irgendeinen festen Platz für diese Geschäfte festlegen. Sonst treten wir doch schon in kurzer Zeit immer wieder in unsere eigenen Exkremente.«

»Da hat er nicht unrecht«, meinte Allison. Sie überlegte kurz. Dann traf sie eine Entscheidung. »Also gut. Die Männer dort hinten links in dem Gebüsch hinter dem großen Baum mit den rötlichen Blättern. Ich habe meinen Platz dort drüben«, sie wies in eine andere Richtung, »dort hinter der Dornenhecke.«

In der hereinbrechenden Dämmerung waren die bezeichneten Stellen gerade noch erkennbar.

»Halt! Und noch etwas«, hielt die Survival-Spezialistin den schon davoneilenden Gonzales zurück. »Keiner geht allein und ohne sich abzumelden. Wir haben gesehen, was hier für Gefahren drohen können. Immer geht ein anderer mit einer Waffe in der Hand mit und passt auf. Sir Archibald, bitte gehen sie diesmal mit Gonzales.«

»Das kann ja heiter werden«, knurrte der Angesprochene. »Ein Earl of Wilksworth soll aufpassen, wenn ein Bürgerlicher zu Stuhle geht. Armes England, wie tief sind wir gesunken.« Doch dann nahm er den Schocker und schloss sich widerwillig dem davon eilenden Astrophysiker an.

Als eine geraume Weile vergangen war, schallte plötzlich aufgeregtes Schreien aus dem Gebüsch herüber. Erregt sprangen alle auf. Robert Boyd griff nach seinem Samuraischwert und Armand Frederic klappte sein Schweizer Messer auf. Allison nahm in Ermangelung anderer Waffen einfach einen Knüppel aus dem Haufen Feuerholz, den sie zusammengetragen hatten. Speerbergen warf Holz in das heruntergebrannte Feuer, das daraufhin hell aufflammte.

Allison, Robert und Armand rannten auf den Ort zu, von dem immer noch die Rufe, die sie als die von Gonzales erkannt hatten, herüberschallten. Boyd hob das Samuraischwert, als etwas aus dem Gebüsch brach. Doch es waren nur Speedy und Sir Archibald. Sie schienen sehr aufgeregt, machten aber nicht den Eindruck, als sei ihnen etwas Gefährliches auf den Fersen. Der Engländer hatte den Schocker im Hosenbund stecken. Allison atmete auf.

»Was ist lost, Gonzales?«, fragte sie. »Warum machen Sie so ein Geschrei?«

»Da drüben im Gebüsch«, schnaufte der Astrophysiker. »Stellt euch vor, was ich da entdeckt habe!«

»Ein zweites Star Gate, mit dem wir hier wegkommen?«, fragte Robert Boyd ironisch.

»Quatsch, nein!«, antwortete Gonzales ernsthaft. »Kommt mit.«

Er führte sie in das Gebüsch hinter dem hohen Baum, auf einen verschlungenen Pfad, den er wohl eben selbst getreten hatte, immer tiefer hinein.

»Der scheint ja sehr schamhaft zu sein«, murmelte Armand. »So tief, wie der sich hier ins Gebüsch geschlagen hat.«

Plötzlich lichtete sich das Blättergewirr und der Pfad führte auf eine kleine Lichtung. Etwas, das auf den ersten Blick als Fahrzeug zu identifizieren war, wenn es auch keine Räder hatte, stand darauf. Es glich verblüffend einem irdischen Schweber. Motorhaube, Kofferraum und eine Fahrgastzelle mit den entsprechenden Scheiben waren zu erkennen. Aber diese Scheiben waren blind und ließen keinen Blick ins Innere zu. Auch war das Fahrzeug deutlich in den Boden eingesunken; es musste schon sehr lange hier stehen.

Vorsichtig umrundete Allison das Gefährt. Als sie die andere Seite erreichte, schrak sie zusammen. Zwei seltsame Skelette lehnten an der Seite des Fahrzeugs, so als wären sie dort eingeschlafen und ganz friedlich gestorben. Viel war nicht mehr zu erkennen, es war fast ganz finster geworden. Nur, dass die Schädel der zwei Geschöpfe von großen Geweihen geziert wurden. Andächtig starrten alle sechs Menschen auf die Szene.

»Mist, es ist schon zu dunkel, um noch etwas gut erkennen zu können«, murmelte Armand.

»Wir müssen das morgen, wenn es hell ist, genauer untersuchen«, meinte Allison. »Jetzt ist es zu dunkel, und hier draußen wird es viel zu gefährlich. Kommt, lasst uns zur Pyramide zurückgehen.«

Unbehelligt erreichten sie ihr Lager. Sorgfältig verschlossen sie die Eingangstür zur Pyramide und betteten sich zur Ruhe. Tiefen, festen Schlaf fand nach den spektakulären Ereignissen des vorangegangenen Tages aber keiner von ihnen.


*


Kaum schien sie eingeschlafen zu sein, da schreckte Allison Winter schon wieder aus ihrem flachen Schlummer hoch. Irgendjemand machte sich am Öffnungsmechanismus der nach draußen führenden Tür zu schaffen. Die Survival-Spezialistin fuhr auf. Dann erkannte sie Alonso Gonzales.

»Was machen Sie da?«, zischte sie.

»Ich konnte nicht schlafen«, flüsterte der Astrophysiker zurück, »und da dachte ich, ich gehe mal raus und schaue mir die Sterne an, wenn denn welche zu sehen sind.«

»Sie sind wohl ein kleiner Romantiker, Speedy«, grinste Allison, nur um dann sofort wieder ernst zu werden. »Aber um einen Blick auf einen schönen Sternenhimmel zu werfen, bringen Sie uns alle in Gefahr und öffnen die Außentür! Solchen Leichtsinn können wir uns nicht leisten.«

»Das hat nichts mit romantischen Gefühlen zu tun«, entgegnete Gonzales. »Ich will sehen, ob ich vielleicht die eine oder andere Sternenkonstellation erkennen kann, um festzustellen, wo in etwa und wie weit von der Erde wir hier gelandet sein könnten.«

»Das ergibt Sinn. Aber Sie hätten es trotzdem nicht allein machen dürfen. Warten Sie, ich hole den Schocker und komme mit.«

Jetzt betätigten sie den Öffnungsmechanismus und mit einem leisen, kaum hörbaren Zischen öffnete sich der Weg nach draußen. Die beiden traten hinaus. Über ihnen glänzte ein völlig klarer, unwahrscheinlich schöner Sternenhimmel.

»Wie auf Phoenix«, flüsterte Allison. »Aber viel, viel schöner als auf der Erde.«

»Auf der Erde wäre er ebenso schön, hätten wir dort etwas weniger Luftverschmutzung«, antwortete Gonzales, während er intensiv die Sternenkonstellationen musterte.

Die Luft hatte sich abgekühlt, und die Survival-Spezialistin fröstelte leicht. Sie rückte näher an Gonzales heran, bis sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Der schaute ein wenig irritiert und stellte den alten Abstand zwischen ihnen wieder her. Dann widmete er sich wieder der Beobachtung der Sterne. Weiter weg, irgendwo am Waldrand, ließ ein Tier einen seltsamen, aber wunderschönen Gesang ertönen. Allison hatte das Bild von einem Vogel in ihrem Kopf, obwohl sie gar nicht wusste, ob es auf dieser Welt Vögel gab. Kein Gedanke an eine möglicherweise drohende Gefahr kam der Survival-Spezialistin. Vielmehr spürte sie ein Kribbeln, das, ausgehend vom Steißbein, ihre Wirbelsäule hochlief, immer stärker wurde und schließlich durch ihren ganzen Körper strömte. Sie war irritiert.

Was ist los mit dir, Alte?, dachte sie. Da sind wir irgendwo im Universum gestrandet, wissen nicht, wo wir sind, haben keine Ahnung, wie wir hier wieder wegkommen und noch weniger, wie gefährlich es hier für uns ist, und du bekommst Frühlingsgefühle?

Doch so, wie ihr dieser Gedanke gekommen war, verwehte er auch wieder und ihr Verlangen gewann die Oberhand. Das, was Gonzales gerade sagte, drang nicht mehr zu ihr vor. Fast ohne eigenen Willen wanderte ihre Hand zu seiner Schulter und glitt sanft seinen Rücken herunter. Wieder rückte sie eng an ihn heran, doch diesmal nicht, um seine Wärme zu suchen.

Gonzales schien ihre Absichten gar nicht zu bemerken. Beiläufig wischte er ihre Hand beiseite und betrachtete weiter intensiv den Sternenhimmel. Er seufzte.

»Ich kann machen, was ich will«, sagte er schließlich. »Ich kenne keines dieser Sternbilder hier. Nein, ich kann nicht erkennen, wo in etwa wir sein könnten. Aber was sollte es uns auch nützen? So oder so, wir sitzen hier fest. Auch wenn Phönix oder die Erde sich im nächsten System befinden sollten, ohne Star Gate kommen wir hier nicht weg. Wir müssen das Ding zum Laufen bringen, das ist unsere einzige Chance.«

Zu Allison drangen seine Worte überhaupt nicht durch. Immer stärker wurde dieses verlangende Brennen in ihr, dem sie nicht mehr widerstehen konnte. Sie drängte sich an Gonzales und umschlang ihn mit beiden Armen. Mit einer Hand versuchte sie, ihm den Overall vom Körper zu reißen, während ihr Mund den seinen suchte, um seine Lippen mit einem heißen Kuss zu öffnen.

Doch der Wissenschaftler stieß sie heftig zurück. »Was soll das, Allison?«, keuchte er. »Sind Sie verrückt geworden?«

Doch die Survival-Spezialistin drang weiter auf ihn ein. »Komm, Speedy, komm! Ich will dich!«, fauchte sie.

»Lassen Sie das!« Gonzales wusste sich der ihm körperlich deutlich überlegenen Frau kaum zu erwehren. Schließlich schlug er ihr heftig ins Gesicht.

Allison schien wie aus einer Trance zu erwachen. »Was ... was war das?«, stammelte sie verwirrt. Beschämt schaute sie zu Boden. »Entschuldigen Sie, ich weiß gar nicht, was mit mir los war.«

»Vergessen Sie es«, antwortete Gonzales in versöhnlichem Tonfall. »Aber ich bin für solche Spielchen nicht zu haben.«

Energisch drehte er sich um und strebte dem Eingang der Pyramide zu. Mit hängendem Kopf und völlig verwirrt folgte ihm Allison. Der Gesang des Vogels – oder was immer es gewesen sein mochte – war verstummt.


*


Der nächste Morgen kam schnell, da die Tage auf dieser Welt deutlich kürzer waren, als es dem Rhythmus der Menschen entsprach. Allison, die seit dem Vorfall in der Nacht kein Auge zugetan hatte, erhob sich und ging nach draußen. Hier schien sich nichts verändert zu haben. Die Sonne stieg gerade über die Baumwipfel, doch schon jetzt brannte sie heiß. Kein Wölkchen zog über den blauen Himmel. Nach und nach kamen auch die anderen heraus. Allison und Gonzales vermieden jeglichen Blickkontakt und gingen sich aus dem Weg. Deutlich stand der peinliche Vorfall der vergangenen Nacht zwischen ihnen.

Gemeinsam bereiteten sie sich aus ihren kärglichen Vorräten ein Frühstück zu. Sie tranken Wasser aus dem nahe gelegenen Bach, das Armand Frederic und Robert Boyd geholt hatten. Zwar wussten sie immer noch nicht sicher, ob es für sie problemlos genießbar war, doch sie hatten keine Alternative. Allison starrte in düstere Gedanken versunken vor sich hin.

»Was ist mit Ihnen, Allison?«, sprach Karl-Imanuel Speerbergen sie schließlich an. »Grübeln hilft uns hier nicht weiter. Wir sollten uns langsam einig werden, wie wir weiter vorgehen wollen. Und Sie haben doch schließlich hier das Kommando übernommen.«

Die anderen nickten zustimmend, nur Sir Archibald Henton schüttelte missbilligend den Kopf.

Allison gab sich einen Ruck und stand auf. Nur gut, dass die anderen, Gonzales wohl ausgenommen, nicht wussten, worüber sie grübelte. »Sie haben vollkommen recht, KI «, sagte sie, »wenn ich mich auch hier nicht als Kommandantin verstehe. Wir sollten unsere Entscheidungen schon gemeinsam treffen.« Sie sah sich in der Gruppe um. »Sie , KI, und Gonzales versuchen weiter, den Stationscomputer zum Arbeiten zu bringen. Wir anderen beschäftigen uns näher mit dem Gleiter da draußen.« Zufrieden konstatierte sie, dass mit dieser Arbeitsaufteilung Speedy Gonzales möglichst weit weg und aus ihrem Blickfeld war. Gleich wurde ihr ein wenig leichter.

Allison, Boyd, Armand Frederic und der missmutig dreinsehende Sir Archibald Henton gingen, nachdem sie die wenigen vorhandenen Waffen an sich genommen hatten, zum Waldrand und zwängten sich durch den engen Pfad zu dem Gleiterwrack hin. Zunächst nahmen sie die beiden Skelette näher in Augenschein. Die beiden Wesen mussten etwas größer als ein irdischer Bernhardinerhund gewesen sein. Wie das Raubtier vom Vortag besaßen sie sechs Glieder, unterschieden sich aber sonst von diesem recht deutlich in ihrem Körperbau. Zwei Paar Gliedmaßen saßen an einem kompakten Rumpf. Es war schnell zu erkennen, dass sie hauptsächlich zur Fortbewegung gedient haben mussten. Das hintere Beinpaar war deutlich kürzer als das vordere. Im aufgerichteten Zustand mussten sie eine stark abfallende Rückenpartie gehabt haben. Auf diesem Rumpf saß ein im rechten Winkel abgeknickter Oberkörper, der demnach aufrecht getragen worden war. An ihm befand sich in einem deutlich ausgeprägten Schulterbereich das dritte Paar Gliedmaßen, an seinem Ende mit Händen ausgestattet, die eindeutig zum Greifen und Arbeiten geeignet waren, denn sie wiesen vier Finger und an jeder Seite zusätzlich je einen Daumen auf.

»Wie kleine Zentauren«, bemerkte Armand Frederic. Eingehend betrachte er dann die Schädel. Abgesehen von den Geweihen, die weit zur Seite hin abstanden, bei einem der beiden Exemplare deutlich ausgeprägter als bei dem andern, das überhaupt etwas zierlicher wirkte, sahen die Schädel wie eine seltsame Mischung aus Tier- und Menschenschädeln aus. Sie hatten einerseits eine deutlich vorgewölbte Schnauze, andererseits eine voluminöse runde Hirnschale, die ein sehr großes Gehirn beinhaltet haben musste. Intensiv beschäftigte sich der Biologe mit dem Bereich, an dem die Kehlen der Wesen gewesen sein musste. Dann blickte er auf.

»Eindeutig intelligent«, bemerkte er. »Sie hatten sowohl ein großes Gehirn, wie auch Greifhände mit gegenständigem Daumen. Und der knöcherne Aufbau im Bereich der Kehle deutet darauf hin, dass sie zur verbalen Kommunikation fähig gewesen sein müssen.«

»Mit Sicherheit intelligent«, grummelte Sir Archibald. »Glauben Sie etwa, wilde Tiere hätten diesen Gleiter geflogen?«

»Wer sagt denn, dass diese beiden hier den Gleiter geflogen haben? Sie können auch zufällig hier gestorben sein, nachdem der Gleiter längst verlassen war«, entgegnete Robert Boyd.

»Oder es waren Haustiere, die von ihren Besitzern hier zurückgelassen wurden, bevor sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden«, gab Allison zu bedenken.

»Es gibt sicherlich viele Möglichkeiten, und wir können keinesfalls sicher sein«, beendete Armand Frederic die Diskussion. »Aber so, wie es aussieht, wage ich doch zu behaupten, diese beiden Wesen waren intelligent, und sie waren es auch, die den Gleiter hier hergebracht haben – die Herren dieser Welt!«

»Wer mag das wohl gewesen sein?«, fragte Boyd.

»Die Frage, warum und wie sie hier gestorben sind, scheint mir viel interessanter«, entgegnete Allison.

»Und wo wir weitere von ihnen treffen. Hoffentlich sind sie friedlich«, warf der Engländer trocken ein.

»Lasst uns zuerst einmal den Gleiter ansehen«, meinte Allison. »Vielleicht finden wir dort weitere Hinweise. Frederic, Sie können sich ja allein weiter mit den Skeletten befassen.«

Der Biologe nickte und wandte sich wieder den knöchernen Überresten zu. Allison schritt mit den beiden anderen Wissenschaftlern vorsichtig um das Gleiterwrack herum. Durch die Scheiben war nichts mehr zu erkennen. Das Wrack musste schon sehr lange hier stehen, so dass das Material blind geworden war. Die Karosserie jedoch musste aus einem widerstandsfähigeren Material bestehen; sie wies kaum Spuren von Korrosion auf. Vergeblich suchten sie nach einem Griff, mit dem man die Türen des Fahrzeugs hätten öffnen können.

»Wie kriegen wir das Ding nur auf?«, murmelte Allison.

»Nichts einfacher als das«, erwiderte der Engländer, nahm einen dicken Ast, der auf dem Boden lag und schickte sich an, eine Scheibe des Fahrzeugs einzuschlagen.

»Halt!«, schrie Allison und riss ihn zurück. »Wir wissen doch nicht, ob es vielleicht eine Sicherung an dem Gleiter gibt, die noch funktioniert! Wer weiß, was passiert, wenn wir versuchen, gewaltsam einzudringen.«

»Nichts kann man hier richtig machen!« Murrend zog sich Sir Archibald zurück.

»Lassen Sie mich mal ran«, meinte Boyd. Eingehend untersuchte er das Fahrzeug, Zentimeter für Zentimeter. Er zog hier, drückte dort, fuhr mit den Fingerkuppen über jede Ritze. Die Zeit verrann. Vor allem Sir Archibald wurde zunehmend ungeduldig, stapfte auf und ab und murrte vor sich hin. Der Linguistiker ließ sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen und machte geduldig weiter. Als er den Holm zwischen den beiden Seitenfenstern abtastete, stutzte er plötzlich. Ganz vorsichtig fuhr er mit den Fingerkuppen die Strebe auf und ab. Dann drückte er auf eine bestimmte Stelle. Knackend sprang die Tür einen Spalt auf.

»So, das wäre geschafft«, bemerkte er zufrieden.

»Wie haben Sie denn das angestellt?«, fragte Allison verblüfft.

»Nun, eigentlich war es ganz einfach«, erwiderte der Linguistiker. »Es war ja kaum anzunehmen, dass die beiden Besitzer des Gleiters diesen abgeschlossen haben, bevor sie hier das Zeitliche segneten. Und irgendeinen Öffnungsmechanismus muss der ja haben, wenn es schon keinen Türgriff und auch kein Schlüsselloch gibt. Das kann dann nur ein Schlüssel auf Funk- oder Infrarotbasis sein, wie wir ihn auf der Erde benutzen, oder aber es gibt einen verborgenen Öffnungsmechanismus am Fahrzeug. Einen Schlüssel hätte der Besitzer wohl bei sich getragen, aber bei den Skeletten haben wir nichts gefunden. Also konnte wohl nur Möglichkeit zwei zutreffen. Der Rest war reine Geduldssache. Aber dann habe ich die feinen Rillen und die Vertiefung hier an der B-Säule gefunden. Man braucht bloß zu drücken.«

»Darauf muss man aber erst einmal kommen«, staunte Armand anerkennend.

Allison war zwischenzeitlich an den Gleiter herangetreten und öffnete vorsichtig die Tür. Muffiger Geruch schlug ihr entgegen. Boyd öffnete die Tür an der anderen Seite des Fahrzeugs. Jetzt, da er wusste, wo der Öffnungsmechanismus war, ging das sehr schnell. Die Inneneinrichtung, vor allem die gepolsterten Sitze, hatten der Zeit lange nicht so gut getrotzt wie die Karosserie des Gleiters. Die Bezüge waren vermodert und zerfallen, Füllmaterial quoll allenthalben hervor. Im hinteren Teil fanden sie Kisten und Kästen, offensichtlich Gepäckstücke der Passagiere. Auch sie befanden sich in unterschiedlichem Zustand des Zerfalls.

»Das müssen wir ganz vorsichtig untersuchen«, meinte Allison. »Vielleicht enthält es wichtige Hinweise auf die beiden Wesen oder ihre Zivilisation im Allgemeinen. Es wäre gut zu wissen, mit wem wir es hier zu tun haben, bevor wir eventuell auf lebende Vertreter dieser Art stoßen.«

»Sie glauben doch nicht, dass ich in diesem vermoderten, stinkenden Zeug herumstochere«, meckerte der Engländer, der sich jetzt auch in das Fahrzeug gebeugt hatte. »Das ist eines Earls of Wilksworth nicht würdig.« Angewidert wandte er sich ab. Dabei streifte seine Hand etwas Hartes, das im Polstermaterial eines Sitzes fast verborgen war.

»Was ist das?«, fragte er und zog einen würfelförmigen Gegenstand von etwa fünfzehn Zentimeter Kantenlänge hervor.

»Zeigen Sie mal her«, meinte Boyd und nahm dem Widerstrebenden den Gegenstand einfach aus der Hand. »Sieht aus wie ein elektronisches Gerät.«

»Vorsicht, es könnte gefährlich sein«, mahnte die Survival-Spezialistin.

»Glaube ich nicht, Allison«, erwiderte der Linguistiker. »Wie oft fahren Sie auf der Erde eine Bombe oder etwas Ähnliches in ihrem Gleiter spazieren? Das wird viel eher ein Gerät des täglichen Gebrauchs sein. Sehen sie her, dieses Gitter hier könnte ein Lautsprecher sein. Vielleicht ein Radio.«

Er betastete weiter das Gerät, während die anderen um ihn herumstanden. Plötzlich berührten seine Finger ein bewegliches Teil und eine Taste rastete hörbar ein. Es knisterte kurz, dann erklang eine Stimme.

»Ong herum ablas der ferul«, sagte die Stimme, die sonor und guttural klang.

Überrascht schauten alle zu Boyd.

»Was ist das?«, fragte Sir Archibald.

»Das dürften die Ureinwohner dieses Planeten sein«, meinte Boyd.

»Radio?«

»Weiß ich noch nicht:« Boyd probierte weiter an dem Gerät herum. »Lasst es mich weiter untersuchen, ich werde schon herausfinden, was das ist.«

»Los, lasst Boyd in Ruhe. Wir untersuchen weiter, was in dem Gleiter noch sein könnte«, wies Allison die anderen an.

»Ich habe schon gesagt, dass ich nicht in diesem stinkenden Müll herumstochern werde«, maulte Sir Archibald.

»Dann halten Sie eben Wache oder machen Sie sonst irgendwas, aber fallen Sie uns nicht mit Ihrem Aristokratengehabe auf die Nerven«, fuhr Allison ihn an.

Beleidigt stolzierte der Engländer davon.


*


Der weitere Inhalt des Gleiters gab nicht viel her. Dinge, die Kleidung gewesen sein mochten, Gegenstände, die der Körperpflege gedient haben mochten, etwas, das nach Messer und Gabel aussah. Keine Bilder, keine Aufzeichnungen. Enttäuscht gaben Allison und Armand auf. Nur Boyd blickte zufrieden.

»Ich weiß jetzt, was das hier ist«, erklärte er. »Es ist ein Tonaufzeichnungsgerät, ein Tonband oder wie immer man es nennen will. Und es ist ganz einfach zu bedienen. Die Taste hier startet die Wiedergabe, mit der hier kann man zurückspulen, mit dieser vor, und das hier ist sicherlich die Aufnahmetaste. Das habe ich aber noch nicht ausprobiert. Ich habe Angst, dass ich damit die vorhandene Aufzeichnung löschen oder überspielen könnte, und das will ich nicht riskieren.« Er sah in die Runde und fuhr fort: » Was immer auch da gesprochen wird, ich glaube sicher, dass ich diese Sprache entschlüsseln und übersetzten kann. Ich brauche nur ein wenig Zeit dafür.«

»Schön«, entgegnete Allison trocken. »Aber unsere Translatoren werden das sicherlich schneller erledigen.«.

»Ach ja, ich vergaß«, meinte Boyd mit saurer Miene, »die lieben Computer haben mich ja arbeitslos gemacht. Aber ich wage zu behaupten, dass solch ein Translator niemals einen guten Linguisten wie mich ersetzen kann. Niemals! Es gibt Feinheiten in jeder Sprache, kaum unterscheidbare Nuancen, Doppeldeutigkeiten, Gefühle. Das kann eine Maschine niemals erfassen.« Der Linguistiker redete sich sichtlich in Rage.

»Ja, ja, ich weiß.« Allison schlug einen versöhnlichen Tonfall an. »Wir werden Sie sicherlich bei der genauen Übersetzung noch gut gebrauchen können. Doch um erste Ergebnisse zu erzielen, geht es mit dem Translator einfach schneller.« Sie legte dem immer noch aufgebrachten Wissenschaftler die Hand auf die Schulter. »Und natürlich ist das Ihr Projekt, Boyd«, setzte sie hinzu. »Kommen Sie, unterrichten wir die anderen.«

Sie gingen zurück zur Pyramide, wo Sir Archibald missmutig in den Resten des Feuers herumstocherte, das sie am Morgen entzündet hatten.

»Bitte holen Sie Speerbergen und Gonzales«, wies die Survival-Spezialistin ihn an. »Wir machen ein Meeting.« Widerspruchslos kam der Engländer ihrer Bitte nach, obwohl seine Körpersprache deutlich Ablehnung und Protest ausdrückte.

Kurz darauf waren alle sechs vor der Station versammelt.

»Was gibt´s bei Ihnen, KI?«, fragte Allison.

»Nichts Neues«, antwortete der Wissenschaftler. »Wir kommen mit dem Computer einfach nicht weiter.«

»Das Scheißding verweigert jedwede Mitarbeit«, ergänzte Speedy Gonzales. »Alles, was der kann, ist ›Zugriff verweigert‹ und ›Keine Berechtigung vorhanden‹, da können wir machen, was wir wollen.«

»Na gut, oder vielmehr nicht gut«, meinte die Survival-Spezialistin. »Wir können es nur weiter versuchen.« Sie wandte sich dem Informatiker zu. »Zumindest wir haben aber etwas bessere Neuigkeiten.« Dabei zeigte sie auf Boyd. Dann berichtete sie von ihrem Fund und ihrem Vorhaben, mithilfe eines Translators die Sprache aus dem Aufzeichnungsgerät zu übersetzen.

»Das dürfte nicht schwierig sein«, meinte KI. Er ließ sich von Boyd das gefundene Gerät erklären.

»Es ist ein Wunder, dass das Gerät nach all der Zeit noch funktioniert«, murmelte er.

»Ja«, bestätigte Boyd, »Sie müssen sehr leistungsfähige und haltbare Batterien gehabt haben. Außerdem habe ich den Eindruck, dass die gesamte Oberfläche des Geräts wie eine Solarzelle funktioniert. Seit wir es ans Tageslicht geholt haben, ist seine Leistung auch deutlich stärker geworden.«

»Wie dem auch sei, gehen wir ans Werk.« Der Informatiker kramte einen Translator hervor und positionierte ihn vor dem Lautsprecher des Geräts. Dann schaltete er das Tonaufzeichnungsgerät ein. Wieder erklang die sonore Stimme. Am Translator zeigte ein rot blinkendes Lämpchen an, dass das Gerät arbeitete, aber zu einer Übersetzung noch nicht in der Lage war. Gebannt blickte die kleine Schar Menschen auf das Gerät.

KI schmunzelte: »Na, na, Leute, so schnell geht das nicht. Es wird wohl noch ein Weilchen vergehen, bis der Translator die Sprache analysiert hat und sie zu übersetzen versteht. Wir können ruhig noch etwas anderes machen; es genügt, wenn einer bei dem Gerät bleibt. Kommen Sie, Speedy, wir versuchen weiter, den Stationscomputer zu überreden, mit uns zu kooperieren.« Die beiden Wissenschaftler verschwanden in der Station.

»Ich bleibe hier«, verkündete Boyd. »Wenn ich schon nicht meine Arbeit machen darf, will ich wenigstens diesem Ding hier zusehen, wie es seine erledigt.«

»Und wenn es steckenbleibt, können Sie ihm ja helfen«, grinste Armand. »Kommen Sie, Allison, gehen wir etwas Essbares suchen.«

»Und ich?«, meldete sich Sir Archibald.

»Unsere Wasservorräte müssten aufgefüllt werden«, antwortete Allison. »Es wäre schön, wenn Sie sich darum kümmern könnten. Hier, nehmen Sie den Schocker. Und seien Sie vorsichtig.«

»Ein Earl als Wasserträger«, grollte der Engländer, machte sich dann aber ohne weiteren Widerspruch auf den Weg.

Allison und Armand bewaffneten sich mit Boyds Samuraischwert und dem Taschenmesser und stiefelten ebenfalls zum Waldrand hinüber.

Zurück blieb ein einsamer Linguistiker, der missmutig auf das rot blinkende Lämpchen starrte.


*


»Amaro rorg ino hagara.«

Robert Boyd lauschte den Worten, die aus dem Tonaufzeichnungsgerät drangen, versuchte eine Struktur und die Syntax zu erkennen. Es schien unmöglich; diese Sprache hatte keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeiner anderen Sprache, die der Linguistiker bisher gehört hatte.

Und dennoch, Worte wiederholten sich, Betonungen wiesen Ähnlichkeiten auf, Satzstrukturen kehrten wieder. Und Boyd war einer der Besten, wenn nicht gar der Beste seines Faches. Sein Sprachtalent war unerreicht. Aber er wusste genau, gegen die neumodischen Translatoren hatte er keine Chance. Bevor er auch nur einige Wörter erkannt hätte, würden sie die Sprache analysiert haben und übersetzen können. Es konnte sich nur um eine oder maximal zwei Stunden handeln. Mit einer Mischung aus Zorn und Resignation blickte er auf das blinkende Lämpchen und ließ die Sprache der Bewohner dieses Planeten auf sich wirken.

Irgendwann musste er dabei eingenickt sein. Er wurde von einer Computerstimme geweckt, die eindeutig englisch sprach: »... Weg zu der geheimnisvollen Pyramide im Norden dauerte länger, als ich erwartet hatte. Wir umgingen alle Oasenstädte und begnügten uns mit den wenigen Vorräten, die wir mitgenommen hatten ...« Erregt sprang Boyd auf und starrte den Translator an. Das rote Lämpchen hatte aufgehört zu blinken; an seiner Stelle war nun ein grünes Dauerlicht zu sehen.

»Es klappt!«, schrie der Linguistiker. »Wir haben die Sprache geknackt! Wir können die Aufzeichnung jetzt übersetzen!« Seinen Groll auf die Translatoren schien er vollkommen vergessen zu haben.

Von seinem Geschrei angelockt kamen die andren herbeigeeilt, die sich wohl in der Nähe aufgehalten hatten. Selbst in der Pyramide musste sein Rufen zu hören gewesen sein, denn auch Speerbergen und Gonzales kamen hinzu.

»Es klappt, es klappt!«, rief Boyd aufgeregt.

»Dann sollten wir mit der Übersetzung von Anfang an beginnen«, meinte KI und betätigte die Rückspultaste. »Setzt euch hin; es wird wohl eine Weile dauern, bis wir alles gehört haben.«

Im Kreis ließen sich die sechs Menschen um das Gerät nieder. Dann betätigte der Informatiker die Wiedergabetaste. Wieder quollen die Worte der fremden Sprache aus dem Lautsprecher, und mit einer kurzen Verzögerung ertönte es in Englisch aus dem Translator:


* * * *


Wer immer dieses hört und wann immer dies auch sein mag, soll hier von mir erfahren, welche Geschehnisse den Untergang meines Volkes, ja, möglicherweise die Zerstörung allen Lebens auf diesem Planeten herbeigeführt haben. Möge es dir, der du es hörst, zur Lehre dienen und dem Volk, dem du angehörst, vielleicht ein wenig auf dem Weg zur Weisheit behilflich sein. Zu der Weisheit, die mein Volk, das Volk der Canorer, nicht besaß und das deshalb dem Verderben und dem Untergang anheimfiel.

Ich bin Algor Z28, einer der besten Atomphysiker, die es auf Canos je gab, das kann ich mit aller Bescheidenheit behaupten. Zu spät habe ich erkannt, dass der Missbrauch meiner Forschungen den Planeten Canos in den Untergang führen würde. Alles, was ich tat, die große Katastrophe zu verhindern, kam zu spät. Jetzt bin ich wohl der Letzte meiner Art, und auch mein Leben wird bald zu Ende sein. Diese Worte sind alles, was ich hinterlassen kann. Also höre, was uns widerfuhr...


6


Canos, 107 irdische Jahre zuvor:

Während Algor damit beschäftigt war, im Labor des großen Wissenschaftlers Maron eine neue Versuchsanordnung aufzubauen, beobachtete er aus den Augenwinkeln heimlich Emeela, die Tochter seines Chefs. Er bewunderte die zahlreichen Verästelungen ihrer Stirnantennen, die feinen schmalen Atemschlitze, ihre sanft vorgewölbte und elegant geschwungene Schnauze mit den sinnlichen dicken Lefzen. Er bewunderte das Geschick ihrer fraulich zarten Rumpfarme, das Spiel der Greiforgane, mit denen sie am anderen Ende des Arbeitstisches hantierte. Der Schwung ihres abfallenden Rückens und die muskulösen Oberschenkel der Hinterbeine, die sich deutlich durch ihre Kleidung abzeichneten, erregten ihn. Algor hatte Mühe, seine Sexualgefühle unter Kontrolle zu halten.

Er war ganz und gar verliebt in sein schönes Gegenüber, und seit fast drei Umläufen wusste er, dass auch Emeela ihn liebte. Bald schon würde er sie fragen, ob sie gewillt war, eine gebundene Partnerschaft mit ihm einzugehen. Er war sicher, dass sie nicht ablehnen würde, aber Sorgen machte er sich, ob Maron, ihr Vater, der Verbindung zustimmen würde. Immerhin war dieser sein Chef und stand damit im beruflichen Rang weit über ihm. Aber von der Herkunft gesehen, stand Algor wiederum über Maron. Schließlich war Algor Z28 und damit ein Zweistelliger, während Maron als P447 nur zu den Dreistelligen gehörte, ebenso wie seine Tochter, die A224 war. Aber was hatte der Geburtsrang in der heutigen Zeit noch für eine Bedeutung, es sei denn, man war ein Einstelliger und hatte eines der höchsten politischen Ämter inne? Der Zustimmung seiner Eltern zu dieser Verbindung war sich Algor jedenfalls sicher.

Seine Nachdenklichkeit bezüglich der geplanten Bindung verschwand, als er zum Computer ging, um die Versuchssequenz auch dort vorzubereiten. Denn jetzt konnte er Emeela aus einem andern Blickwinkel beobachten, sah sie jetzt von vorn, die prächtig entwickelte Muskulatur ihres Oberkörpers, der ihren Kopf mit den stark entwickelten Stirnantennen mit Leichtigkeit trug. Unter der Oberkörperkleidung zeichnete sich in sanfter Rundung ihr Saugbeutel ab. Algor erschauerte, als er sich vorstellte, wie darin in der Zukunft ihrem gemeinsamen Nachwuchs Schutz und Nahrung geboten werden würden, nachdem dieser dem Ei entschlüpft war. Emeela bemerkte seine Blicke und lächelte ihn an. Verlegen sah Algor weg.

Gewaltsam riss er sich aus seinen verliebten Gedanken und konzentrierte sich auf seine Arbeit. Doch dies brachte ihm neue sorgenvolle Gedanken.

»Wenn wir so weitermachen, werden wir uns noch selbst vernichten«, meinte er und wandte sich Emeela zu.

»Wie meinst du das?«, fragte die Angesprochene zurück.

»Wir entwickeln immer neue Waffen, und die Schwarzen und Blauen tun dies auch. Waffen, die immer tödlicher sind, immer effektiver morden. Waffen, die Tausende, ja Millionen Canorer auf einmal vernichten können, Städte und ganze Landstriche in Augenblicken verwüsten. Und ich kann keinerlei Sinn darin erblicken.«

»Ist es nicht Sinn genug, mit diesen Waffen die anderen abzuhalten, ihre eigenen einzusetzen?« Emeela schien bekümmert. »Die entwickeln doch selbst auch ständig neu Waffen, genau wie wir.«

»Aber der Einsatz von Waffen, die wir jetzt entwickeln, ergibt doch für niemanden irgendeinen Sinn. Mit einem Schwert kann ich gezielt einen Schwarzen töten, mit einer Pistole einen Blauen erschießen. Aber die Nuklearwaffen, die wir hier entwickeln, machen keinen Unterschied zwischen Rot, Blau und Schwarz. Sie töten unterschiedslos die Angehörigen aller Farben, die doch in den Städten und Dörfern gemeinsam leben.« Algor schaute seine Geliebte sorgenvoll an. »Und ich fürchte, eines Tages wird irgendein Wahnsinniger, dem diese Tatsache ebenso egal ist wie das schreckliche Gleichgewicht unserer Aufrüstung, auf den Knopf drücken. Kein Canorer kann sagen, was dann aus unserer Welt wird.«

Bedrücktes Schweigen herrschte zwischen den beiden Liebenden, als sie weiterarbeiteten.


*


Wortlos hatten Algor und Emeela eine ganze Weile gearbeitet, als Maron, Chefwissenschaftler der Roten Canorer, das Labor betrat. Wie immer wirkte er mürrisch und unzufrieden.

»Wie geht es voran?«, fragte er und sah über Algors Schulter auf dem Bildschirm.

»Es gibt Fortschritte. Ich glaube, wir haben einen Durchbruch erzielt«, erwiderte dieser.

»Sind die Zielvorgaben erreicht?«

»Fast in allen Bereichen. Die neue Bombe ist viel sauberer als die bisherigen Nuklearwaffen. Wir dürften den radioaktiven Fallout um mehr als die Hälfte vermindert haben. Und der Wirkungsgrad lässt sich jetzt viel besser beschränken. Die Zerstörungen durch die Bombe dürften nur noch ungefähr zweitausend Körperlängen um den Explosionsort herum total sein. Und bereits nach fünftausend Körperlängen ist keine große Wirkung mehr spürbar. Sagen jedenfalls die Berechnungen. Echte Aufschlüsse kann aber nur ein Test in der Praxis geben.«

»Wann sind wir so weit?«

»Noch ein paar Berechnungen und Korrekturen, dann können wir die Bombe bauen. Ich schätze, in zwanzig Rotationen kann der Test laufen.«

»Gut, arbeitet so schnell wie möglich. Die Zeit drängt. Aus Geheimdienstkreisen wurde mir zugetragen, dass Culmur T223 bei den Schwarzen auch kurz vor einem Durchbruch steht, aber wir wissen nicht genau, was da in seiner Giftküche köchelt.«

»Wohl auch nichts Besseres als in unserer«, murmelte Algor und sah angestrengt auf seinen Bildschirm.

»Was soll das heißen?«, fuhr Maron auf.

»Nun, wir entwickeln hier Waffen, mit denen wir, so glaube ich, uns letztlich selbst vernichten werden«, erwiderte der junge Wissenschaftler und trug dann all seine Bedenken vor, die er vor Kurzem erst Emeela mitgeteilt hatte. Marons Gesichtsausdruck wurde zunehmend finsterer.

»Wie können Sie es wagen, solche Gedanken zu äußern? Das ist Verrat an uns Roten, Verrat an Ihrer angestammten Fraktion! Sie sollten sich schämen, Algor!«

»Nein, es ist kein Verrat! Es ist die Sorge um meine Fraktion, ebenso wie um alle Canorer! Das Zerstörungspotential, das wir jetzt schon in den Arsenalen der Fraktionen angesammelt haben, reicht aus, um ganz Canos mehrfach zu vernichten. Wenn es möglich wäre, eine Waffe zu entwickeln, die nur Schwarze oder Blau töten würde, ich würde es mit Freuden tun. Aber das, was wir hier machen, ist doch Wahnsinn; wir bereiten damit unseren Selbstmord vor!«

»Oh Algor, Sie können froh sein, dass ich Sie mag. Sonst müsste ich dem Geheimdienst von ihren defätistischen Äußerungen Meldung machen. Sehen Sie nur zu, dass Sie mit niemand anderem über Ihre Ansichten reden, das könnte gefährlich für Sie werden!«

»Gefährlicher als das, was wir hier tun?«

»Still jetzt! Ihre Gedanken sind einfach falsch! Wir entwickeln unsere Waffen doch nicht, um sie einzusetzen, sondern nur, um die Gegner in Schach zu halten, damit die es nicht wagen, die ihren gegen uns einzusetzen!«

»Und was ist, wenn irgendjemand doch seine Waffen einsetzt?«

»Das wird nicht geschehen! Ich habe jetzt keine Zeit, mit Ihnen über Sinnlosigkeiten zu diskutieren. Präsident Orega X1 erwartet meinen persönlichen Bericht; ich muss in den Palast.« Manor schüttelte unwillig seine mächtigen Stirnantennen und verließ den Raum.

Emeela sah bekümmert drein. »Das hättest du nicht machen dürfen, Algor«, sagte sie.

Der Angesprochene sah von seiner Arbeit auf. »Warum nicht? Es muss doch einmal gesagt werden! Irgendjemand muss doch einmal damit anfangen, diesen verbohrten Canorern die Augen zu öffnen!«

»Ausgerechnet du willst das schaffen? Nein, nein, das Einzige, was du geschafft hast, ist, dass mein Vater jetzt glaubt, du seiest ein Verräter an der roten Fraktion. Nie, niemals wird er jetzt noch unserer Partnerschaft zustimmen!«

Ihre Stirnantennen zitterten vor Erregung und ihre herabhängenden Lefzen signalisierten größte Traurigkeit.

Algor trat zu ihr und legte seine Hand in einer vertraulichen Geste auf ihren abfallenden Rist. »Ach Emeela«, sagte er bedrückt, »was nützen den unsere Pläne über eine Partnerschaft, wenn doch unsere Rasse schon bald unterzugehen droht?«

Langsam wanderte seine Hand den Rücken ihres Oberkörpers hoch und kraulte sie sanft zwischen ihren Stirnantennen. Nie zuvor hatte er eine so intime Annäherung gewagt. Doch Emeela duldete diese Vertraulichkeit und schmiegte sich an ihn.

»Glaubst du wirklich, dass es so weit kommen wird?«, fragte sie.

Algor zögerte. Dann sagte er mit fester Stimme: »Ich bin davon überzeugt!«


*


Zwölf canorische Rotationen später:

Die letzten Tage waren nicht leicht für Algor gewesen. Maron behandelte ihn eiskalt, verlangte aber immer neue Höchstleistungen von ihm. Sein Verhältnis zu Emeela war noch inniger geworden, doch war seine Geliebte seit jenem Tag von einer tiefen Schwermut erfasst worden. Sie schien alle Hoffnung aufgegeben zu haben, was ihre gemeinsame Zukunft anbetraf. Sie sahen sich meist nur während der Arbeit. Private Kontakte wusste Maron seit jenem Vorfall geschickt zu verhindern. Auch im Labor konnten sie nur zu den Zeiten miteinander reden, in denen Maron nicht anwesend war. So wie gerade in diesem Augenblick, wenn es auch zunächst noch um dienstliche Dinge ging.

»Eigentlich bin ich soweit«, sagte Algor. »Wir müssten jetzt nur noch die Komponenten zusammenbauen, dann könnte der Test laufen. Aber ich versuche, das noch etwas hinauszuzögern.«

»Warum denn noch verzögern?«, fragte Emeela. »Lass es uns doch hinter uns bringen. Ändern können wir sowieso nichts!«

»Vielleicht doch, aber ich brauche Zeit.«

Emeela sah überrascht auf: »Etwas ändern? Wie meinst du das?«

»Mein alter Lehrer, Kynor D11, hat mich draufgebracht. Es gibt doch die geheimnisvolle Pyramide hoch im Norden, manche nennen sie den Sitz der Götter.«

»Und wie soll uns diese Pyramide weiterhelfen?«

»Kynor hat sich jahrelang mit diesem geheimnisvollen Bauwerk beschäftigt. Niemand weiß, wer es gebaut hat, aber es muss uralt sein. Keinem Canorer ist es bisher gelungen, die Pyramide zu betreten. Kynor ist der Ansicht, dass es sich um ein Bauwerk einer aussercanorischen Macht handelt, vielleicht errichtet, uns zu beobachten. Er meint, seine Erbauer seien Hüter und Lenker der canorischen Zivilisation. Es ist nur eine vage Hoffnung, aber wenn es noch eine Hilfe für Canos gibt, dann dort. Die Canorer selbst werden wohl nicht mehr zur Vernunft kommen.«

»Aber wie soll diese Hilfe aussehen, und was hast du damit zu tun?«

»Kynor hat mich gebeten, zur Pyramide zu reisen. Er selbst ist zu alt dafür, und einem anderen vertraut er nicht. Gleich nachher werde ich Maron fragen, ob ich einige Zeit weg kann.«

»Du willst mich doch jetzt in dieser kritischen Situation nicht allein lassen?«, fuhr Emeela verzweifelt auf.

»Es ist nur für ein paar Rotationen.«

»Dann werde ich mitkommen, ob du willst oder nicht! Allein bleibe ich auf keinen Fall hier.« Mit gesenkten Stirnantennen lief die junge Canorerin aus dem Raum.

Kurze Zeit darauf betrat Maron grußlos das Labor. »Haben Sie endlich Ergebnisse für mich?«, fragte er mürrisch.

»Leider noch nicht. Es dauert noch ein paar Rotationen. Ich bin auch im Moment nicht sonderlich kreativ. Es ist wie eine Blockade. Ich brauche dringend ein paar Rotationen Urlaub, um den Kopf wieder freizubekommen.«

»Nichts da, nicht in der momentanen Situation! Erst muss das Projekt erledigt sein, dann können Sie freibekommen.«

»Aber es muss sein, es ist sehr wichtig für mich.«

»Ich habe nein gesagt! Und wenn wir gerade dabei sind: Schlagen Sie sich die Sache mit meiner Tochter aus dem Kopf! Glauben Sie etwa, ich hätte nicht gemerkt, was da zwischen ihnen und Emeela läuft? Aber daraus wird nichts, junger Mann! Sie werden nie meine Zustimmung zu einer Verbindung mit ihr bekommen. Nicht, solange sie eine solch niederträchtige Einstellung zu meiner Forschungsarbeit haben. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf!«

Algor stand wie vom Donner gerührt. Da unterbrach das Summen des Fernsprechgeräts ihren Disput. Algor hob ab und meldete sich. Dann reichte er den Hörer an Maron weiter. »Das Präsidialbüro für Sie«, sagte er.

Maron meldete sich. Eine ganze Weile lauschte er der Stimme im Hörer, sagte selbst kein Wort. Und mit zunehmender Gesprächsdauer wurde er immer nervöser. Seine Stirnantennen bebten und die Lefzen zuckten. Schließlich beendete er das Gespräch und wandte sich dem immer noch aufs Höchste erregten Algor zu.

»So, mein Lieber«, sagte er. »Jetzt ist sowieso Schluss mit den Sperenzchen, jetzt müssen wir ran.«

»Was ist geschehen?«, fragte Algor.

»Oregas Geheimdienst hat herausgefunden, woran Culmur und die Schwarzen arbeiten. Es ist genau das, was Sie sich vor ein paar Rotationen noch so sehr gewünscht haben: Eine Waffe, die selektiv arbeitet, die also gezielt nur Blaue, Gelbe oder Goldene vernichten kann, oder aber uns Rote. Und er soll kurz vor dem endgültigen Durchbruch stehen. Also werden wir so schnell wie möglich unsere Bombe bauen und sie auch einsetzen. Für einen Test ist es jetzt zu spät. Wir werden sie Orega und dem Schwarzen Oligarchen Numes direkt aufs Haupt setzen, das wird ihnen ein für alle Mal das Maul stopfen!«

»Das können wir nicht machen! Zehntausende unschuldiger Canorer, auch Tausende unserer Roten Mitbürger, werden sterben!«

»Das ist ein Opfer, das gebracht werden muss.«

»Aber die Roten werden sicherlich zurückschlagen, wenn wir sie angreifen! Sie haben doch jetzt schon Nuklearwaffen genug, um ganz Canos zu zerstören.«

»Dann werden auch wir wieder zurückschlagen – wieder und wieder.«

»Ganz Canos wird untergehen!«

»Was soll´s? Wenn wir Roten untergehen, kann auch ganz Canos untergehen. Los, geben Sie mir Ihre Unterlagen; ich will jetzt genau sehen, wie weit Sie sind!«

»Nein, ich werde auf keinen Fall zulassen, dass diese Bombe eingesetzt wird!«

»Sind Sie wahnsinnig geworden? Los, geben Sie he!.« Manor drang auf Algor ein und wollte ihm die Unterlagen entwinden. Dieser versuchte, die Akte hinter seinem Rücken in Sicherheit zu bringen, aber der Chefwissenschaftler, der trotz seines Alters deutlich kräftiger war als sein Assistent, errang bald ein Übergewicht. In letzter Not griff Algor um sich. Er erwischte einen schweren Briefbeschwerer aus Stein und schlug ohne nachzudenken zu.

Ungläubig starrte Manor ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Blut sickerte ihm aus einer Kopfwunde in die Stirn, und eine seiner Stirnantennen war gebrochen. Langsam brach der Ältere zusammen; sein letzter Blick enthielt einen stummen Vorwurf. Dann brachen seine Augen.

Starr stand Algor da. Nur langsam wurde ihm bewusst, was da gerade geschehen war. Er hatte getötet. Er hatte einen anderen Canorer getötet, etwas, was ihm bisher völlig undenkbar erschienen war. Und noch viel schlimmer, er hatte den Vater seiner Geliebten erschlagen!

»Emeela«, flüsterte er. »Oh, bei den Göttern, was habe ich getan!«

Dann erwachte er aus seiner Starre. Nein, Emeela durfte das nicht erfahren! Schnell verließ er das Büro und verschloss sorgfältig die Tür. Er musste seine Geliebte finden, bevor diese ins Labor zurückkehrte.


*


Gerade noch rechtzeitig hatte Algor das Labor verlassen, in dem der tote Maron lag. Schon auf dem Flur kam ihm Emeela entgegen.

»Komm mit«, sagte Algor in gedämpften Ton zu ihr, »wir fahren zur Pyramide.«

Emeela war verwirrt. »Jetzt sofort? Ich muss doch erst noch meinen Vater...«

»Dein Vater hat zugestimmt. Er ist auch mit unserer gebundenen Partnerschaft einverstanden«, log Algor, »aber du kannst jetzt nicht mit ihm reden; er musste in den Palast und wird wohl erst morgen zurückkommen. Und unsere Zeit drängt, wir müssen sofort los!«

Emeela folgte dem Davoneilenden, völlig verwirrt. Aber sie stellte keine Fragen mehr.

Sie packten nur einige Sachen, bestiegen Algors Gleiter und fuhren los. Einen öffentlichen Luftgleiter in den Norden wagte Algor nicht zu nehmen. Sicher würde man Marons Leiche bald finden, und bei der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels würden ihre Namen registriert und ihre Spur leicht verfolgbar. Er hielt nur noch einmal an einer Energiestation an, um die Zellen seines Gleiters aufzuladen und die Sonnenkollektoren zu überprüfen, dann fuhren sie in Richtung Stadtrand, der großen Wüste entgegen.


7


Allison schreckte hoch, als die Translatorstimme plötzlich verstummte. Speerbergen stand am Gerät, hatte es offensichtlich ausgeschaltet.

»Warum haben Sie abgeschaltet, KI? «, fragte Allison. »Lassen Sie uns die Geschichte doch weiter hören.« Es fiel ihr schwer, sich von dem eben Gehörten zu lösen und sich wieder in der Wirklichkeit zurechtzufinden. Auch die anderen sahen Speerbergen unwillig an.

»Es ist schon spät am Nachmittag; die Zeit ist wie im Fluge vergangen. Lasst uns die verbleibende Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit besser nutzen, um nochmals den Gleiter zu untersuchen. Auch sollten wir versuchen, ein paar Nahrungsmittelvorräte anzulegen, damit wir nicht für jede Mahlzeit in den Wald laufen müssen, um etwas zu besorgen.«

»Und die Arbeit am Stationscomputer?«

»Vergessen Sie es, das ist zwecklos. An den Computer kommen wir nicht ran. Wir sitzen hier fest, oder wir finden eine andere Lösung. Vielleicht wäre es sinnvoller, mit den Canorern in Kontakt zu kommen. Aber dazu müssen wir von dieser Station wegkommen; hierher kommt offensichtlich niemand, der Ort muss tabu sein.«

»Und wie sollen wir hier wegkommen, zu Fuß etwa?«, maulte Sir Archibald.

»Zur Not auch zu Fuß«, erwiderte Speerbergen. »Sie haben doch selbst in nicht allzu großer Entfernung eine Strahlenquelle angemessen. Könnte das nicht eine Stadt sein?« Er wandte sich Boyd und Gonzales zu. »Aber zunächst sollten wir uns doch noch einmal näher mit dem Gleiter beschäftigen. Wir drei haben doch von uns allen die größten Kenntnisse von Technik. Er scheint mir für die lange Zeit noch ganz gut in Schuss zu sein. Warum sollte uns nicht bei ihm gelingen, was auch mit dem Tonaufzeichner geklappt hat?«

»Na, dann los!« Armand Frederic erhob sich. »Wir anderen kümmern uns ums Futter.«


*


Speerbergen, Boyd und Gonzales zwängten sich durch den schmalen Pfad zum Gleiter hin. Schon nach wenigen Augenblicken waren sie Allisons Blicken entschwunden. Der Survival-Spezialistin gelang es kaum, ihre Gedanken von dem soeben Gehörten zu lösen. Der Bericht von Algor Z28 hatte sie innerlich sehr aufgewühlt. Immerhin waren sie in seinem kurzen Bericht Zeugen eines Mordes wie auch Zeugen einer großen Liebe geworden. Aber auch Zeugen der verhängnisvollen Entwicklung einer ganzen Spezies. So verschieden die Canorer auch im Aussehen von den Menschen sein mochten, so ähnlich waren sie ihnen doch in ihrem Inneren. Wie mochte die Geschichte wohl weitergegangen sein? Dass das Schicksal von Algor und Emeela tragisch geendet hatte, bewiesen die beiden Skelette beim Gleiter. Aber was war aus der Rasse der Canorer geworden? War es zum großen Krieg gekommen? Gab es ihre Zivilisation überhaupt noch?

In Gedanken versunken schritt Allison am Waldrand entlang und sammelte Früchte in einem alten Hemd, das sie als Tragetuch benutzte.

Sie schrak erst hoch, als Speerbergen ihren Namen rief. Völlig unbemerkt musste einige Zeit vergangen sein, denn die Sonne war ein gutes Stück weitergewandert und berührte bereits die Spitzen der Bäume. Ihr Tuch war prall gefüllt mit Früchten. Beschämt bemerkte die Survival-Spezialistin, dass sie, in ihren Gedanken versunken, ihre eigene Sicherheit völlig vernachlässigt hatte. In diesem Zustand wäre sie eine leichte Beute für eines der Raubtiere gewesen. Das durfte ihr nicht noch einmal passieren. Eilig lief sie mit ihrer Last zum Lagerplatz zurück. Was mochte dort passiert sein, dass Speerbergen nach ihr rief?

Die anderen waren schon vollzählig versammelt. Beunruhigt blickte sie sich um. Dann sah sie Speerbergens zufriedenen, fast heiteren Gesichtsausdruck, und ihre Spannung löste sich.

»Was ist passiert?«, fragte sie.

»Ausnahmsweise einmal gute Nachrichten«, erwiderte der Informatiker. »Erstens meint Boyd, es wäre kein großes Problem, den Gleiter wieder in Gang zu setzen. Auch Energie sei noch genug vorhanden, um hier wegzukommen. Und zweitens habe auch ich etwas gefunden.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Der Gleiter besitzt ein noch funktionierendes Navigationssystem. Damit kann ich die Route zu jedem Ort dieser Welt aufrufen.«

»Zumindest jener Welt, wie sie zur Zeit von Algor und Emeela existierte«, warf Gonzales ein.

»Das ist richtig«, bestätigte Speerbergen. »Aber zusätzlich ist auch noch ihre Fahrtroute abgespeichert. Wir könnten also auf ihrem Weg zurückfahren und kommen genau dort hin, wo die beiden einst aufgebrochen sind. Groß genug für uns sechs ist der Gleiter jedenfalls; wir müssen nur den Innenraum ein wenig umbauen.«

»Nun, das ist durchaus eine Möglichkeit«, meinte Allison nachdenklich. »Ob wir sie wahrnehmen werden oder besser hierbleiben, sollten wir entscheiden, wenn wir den Rest von Algors Bericht gehört haben. Es ist schon spät und es wird gleich dunkel werden. Lasst uns ein Feuer anzünden und etwas essen. Dann wollen wir hören, wie Algors Bericht weitergeht.«


*


Einige Zeit später zogen sie sich zur Nacht in die Pyramide zurück. Speerbergen platzierte das canorische Tonaufzeichnungsgerät und den Translator und schaltete die Geräte ein. Gleich darauf erklang wieder Algors Stimme.


8


Unser Weg zu der geheimnisvollen Pyramide im Norden dauerte länger, als ich erwartet hatte. Wir umgingen alle Oasenstädte und begnügten uns mit den wenigen Vorräten, die wir mitgenommen hatten. Zu unserem großen Glück begegneten wir keinem der gefährlichen Tiere, die hier inmitten von Sand und Trockenheit leben sollten. Ich hätte auch nicht gewusst, wie ich Emeela und mich vor ihnen hätte schützen können.

Als wir die Dschungelregion erreicht hatten, wurde unsere Versorgung etwas leichter, denn wir fanden genügend Wasser und reichlich essbare Früchte und Blätter. Der Weg wurde uns dafür aber umso

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.10.2015
ISBN: 978-3-7396-2068-8

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