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Vorschau

Star Gate – Das Original - Nummer 2

Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie

STAR GATE - das Original:

Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary,

Frank Rehfeld

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

  

ISSN 1860-1855

 

Diese Fassung:

© 2010 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: wah@HaryPro.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

 

Coverhintergrund: Anistasius

Titelbild: Martin Brendel

Logo: Gerhard Börnsen

Flucht von Phönix

von Frank Rehfeld

Im Jahre 2063 gelingt einem Team von Wissenschaftlern eine phantastische Erfindung: Der Transmitter - die Überbrückung von Räumen in Nullzeit! Als jedoch am 15. Juli dieses Jahres eine Gruppe von Spezialisten den Schritt durch das »Star Gate« macht, geschieht das Furchtbare: Sie treffen nicht auf der Transmitterstation des Mondes ein - wie es geplant war -, sondern finden sich auf einer völlig fremden Welt wieder! Während auf der Erde fieberhaft nach dem Fehler im Projekt gesucht wird, sehen die acht Personen auf »Phönix«, wie sie diese Welt getauft haben, keine reelle Chance, je zur Erde zurückzukehren. Da plötzlich werden sie von den Bewohnern des Planeten »Phönix« angegriffen und verschleppt...

DIE HAUPTPERSONEN

Ken Randall, Tanya Genada: Die Survival-Spezialisten in der Gewalt der Bulowas.

Pieto: Ein junger Bulowa.

Jerry Bernstein: Der Reporter wird gejagt.

Clint Fisher: Der Sicherheitschef von Mechanics Inc.

Haiko Chan: Ein Survival-Spezialist in Diensten von Mechanics Inc.

Boni:

Vorschau

Anhang 1: Steckbriefe

Anhang 2: STAR GATE - die Serie

Anhang 3: Physikalische Grundlagen

Nachwort

Printnachweis

Verbissen klammerte Pieto sich an dem schmalen Felsvorsprung fest. Trotzdem spürte er, wie seine Finger feucht wurden und von dem glatten Stein abzurutschen drohten. Seine Fingernägel brachen ab. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte, als ob glühende Nadeln in sein Fleisch gebohrt würden und mit jedem Atemzug glaubte Pieto, kochende Lava einzuatmen. Für einen Moment wurde der verlockende Gedanke, sich einfach fallen zu lassen, übermächtig in ihm. Der Fall würde nicht lange dauern und seine Schmerzen würden für immer verlöschen.

Er unterdrückte den selbstmörderischen Gedanken sofort wieder. Noch konnte er sich an dem Felssims festhalten und er würde bis zum letzten Atemzug um sein Leben kämpfen. Zugleich aber wusste er, dass es nur noch eine Frage von Sekunden war, bis seine Kräfte ihn endgültig verlassen würden, als seine tastenden Füße endlich einen Halt fanden.

Schwer atmend lehnte der junge Bulowa sich gegen die Felswand. Er zitterte am ganzen Körper, aber mit jedem Atemzug schien er neue Kraft in seinen geschundenen Körper zu pumpen.

Nach einigen Minuten fühlte er sich kräftig genug, um weiterzuklettern. Nicht viel mehr als eine Manneslänge lag bis zum Gipfel der Felswand noch vor ihm. Ohne sein Abrutschen hätte er es schon längst geschafft. So dauerte es noch einige qualvolle Minuten, bis er sich endlich mit letzter Kraft über die Kante ziehen konnte. Er hoffte inbrünstig, dass er leise genug gewesen war, eventuelles Jagdwild nicht verscheucht zu haben.

Lautlos rollte Pieto sich im Schutz des hohen Grases einmal um die eigene Achse, um von dem Abgrund wegzukommen. Erst dann hob er den Kopf, um sich umzuschauen.

Fast wäre ihm ein freudiger Aufschrei herausgerutscht. Seine Kletterei hatte sich gelohnt und das entschädigte ihn für alle Schmerzen.

Kaum hundert Meter von ihm entfernt wälzte sich ein gewaltiges Worpa im Schlamm eines Tümpels. Ein gigantischer Koloss, groß genug, das Dorf für mehr als einen Monat mit Fleisch zu versorgen.

Pieto kroch an den Abgrund zurück und gab seinen Begleitern das verabredete Zeichen. Er konnte sie nicht sehen, aber er wusste auch so, dass sie sich unter dem dichten Blätterdach nun den Hängen nähern würden, die von den anderen Himmelsrichtungen her zu dem Tümpel führten.

Er selbst hatte diesen Weg nicht nehmen können. Worpas besaßen ein so feines Gehör, dass sie seine Annäherung zwangsläufig bemerkt hätten. Trotz ihrer plumpen Gestalt konnten sie beim Laufen eine ungeheure Geschwindigkeit entwickeln. Es wäre unmöglich gewesen, ein Worpa dann noch einzuholen.

So aber konnten sie sich die natürliche Scheu und mangelnde Intelligenz der Tiere zunutze machen. Wenn die Jäger von allen Seiten zugleich kamen, würde das Worpa an Ort und Stelle verharren.

Ganz anders hätte es ausgesehen, wenn eine Croa oder ein anderes Tier am Tümpel gewesen wäre. In diesem Fall wären die Jäger anders vorgegangen und deshalb hatte Pieto die Kletterei auf sich nehmen müssen.

Eigentlich war er mit seinen neunzehn Jahren noch zu jung, um an der Jagd teilzunehmen, aber da er der geschickteste Kletterer des ganzen Stammes war, hatte man ihm dieses Sonderrecht eingeräumt. Er betrachtete diesen Vertrauensbeweis als eine hohe Ehre.

Es dauerte nicht lange, bis er seine Stammesbrüder sah. Ohne jede Tarnung näherten sie sich dem Tümpel.

Auch das Worpa hatte ihre Annäherung längst bemerkt. In dem sinnlosen Bemühen, sich vor ihnen zu verbergen, wühlte es den Schlamm noch mehr auf, aber natürlich war es für ein Tier seiner Größe unmöglich, sich auf diese Art im Boden einzugraben. Unruhig peitschte sein Schwanz das Wasser.

Als die ersten Jäger das Tier erreicht hatten, sprang auch Pieto auf und rannte darauf zu. Einer seiner Stammesbrüder reichte ihm sein Messer, das er zum Klettern hatte ablegen müssen.

In einer bei seiner Größe unmöglich erscheinenden Bewegung fuhr das Worpa herum. Sein gewaltiger Schwanz peitschte durch die Luft. Pieto hätte die Gefahr fast zu spät erkannt. Im letzten Moment ließ er sich zur Seite fallen. Kaum eine Armlänge neben ihm hämmerte der Schwanz auf den Boden und zermalmte Gras und kleinere Büsche unter sich.

Mit einem gewaltigen Satz brachte sich Pieto aus der unmittelbaren Gefahrenzone.

Einige seiner Stammesbrüder hatten bereits begonnen, an dem mit schier unzerstörbaren Schuppen bedeckten Körper des Tieres empor zu klettern. Die handlangen Dornen, die eigentlich zum Schutz des Worpas gedacht waren, dienten nun ihnen als Hilfe. Sie mussten den Hals des Tieres erreichen, die einzige Stelle, die nicht durch Schuppen geschützt war. Sobald einer der Bulowas dieses Ziel erreichte, konnte er den Koloss durch einen einzigen Messerstich erlegen.

Ein wütendes Schnauben entrang sich dem Maul des Worpas, während es den Kopf senkte, der auf einem geradezu lächerlich kurzen Hals saß. Einen Sekundenbruchteil lang hatte Pieto das Gefühl, als wären die proportional viel zu klein erscheinenden Augen der gigantischen Echse genau auf ihn gerichtet. Er wusste im nachhinein nicht mehr zu sagen, wie es kam, aber in diesem Sekundenbruchteil erlosch sein Jagdinstinkt zur Gänze und machte einem Gefühl des Mitleids für das Wild Platz. Es war ein durch nichts zu begründendes Gefühl, aber er sah das Worpa plötzlich nicht mehr als ein Tier an, das keinem anderen Zweck diente, als die hungrigen Mägen der Bulowas zu füllen, sondern als ein in die Enge gedrängtes Wesen, in dessen Augen Verzweiflung und eine Art stiller Hilferuf geschrieben standen. Trotz seiner Kraft und Größe besaß das Worpa schon jetzt keine Chance mehr. Es würde sterben.

Das Gefühl verflog so schnell, wie es gekommen war, aber ganz konnte Pieto die seltsame Beklemmung, die die Gedanken in ihm ausgelöst hatten, nicht abschütteln. Verwirrt strich er sich die struppigen schwarzen Haare aus der Stirn, bevor er sich wieder in den Kampf stürzte. Dies war wahrlich nicht der richtige Augenblick, sich in mitleidigen Gedanken über das hirnlose Tier zu ergehen.

Dicht vor sich sah er eines der Säulenbeine. Zwei Männer hätten es mit ihren Armen nicht umfassen können.

Pieto klemmte sich das Messer zwischen die Zähne und sprang darauf zu. Er klammerte sich an einem Dorn fest und kletterte in Windeseile höher. Für einen geübten Kletterer waren die Dornen fast wie eine natürlich gewachsene Treppe.

Ein Zittern durchlief den Körper des Worpas und warnte ihn. Sofort verharrte er und packte, so fest Pieto nur konnte, mit der einen Hand einen Dorn, mit der anderen die Kante einer Schuppe.

Sekunden später bäumte das gewaltige Tier sich auf. Einige Jäger, die sich keinen festen Halt hatten verschaffen können, wurden abgeschüttelt. Entsetzte Schreie gellten auf und mischten sich in das Brüllen der Bestie.

Kaum dass das Worpa wieder zur Ruhe gekommen war, kletterte Pieto höher. Schon bald hatte er den vordersten seiner Stammesbrüder überholt.

Es war wie ein Rausch. Die Umwelt verlor für Pieto ihre Gültigkeit. Für ihn existierte nur noch ein Ziel, der Hals des Worpas. Es war geradezu, als wäre er mit dem Tier verwachsen. Mit traumhafter Geschicklichkeit spürte er die Bewegungen und insbesondere jedes Aufbäumen der Bestie im voraus. Jedes mal gelang es ihm, sich rechtzeitig festzuklammern.

Dann hatte er den Hals erreicht!

Für einen Moment musste er auf jeden Halt verzichten. Er kniete sich auf den Rücken des gewaltigen Tieres und nahm das Messer in beide Hände. Mit aller Kraft führte er den entscheidenden Stoß.

Bis zum Heft bohrte sich die beidseitig geschliffene Klinge in das ungeschützte Fleisch des Worpas. Blut quoll aus der Wunde.

Ein von unsäglichem Schmerz erfülltes, beinahe menschlich klingendes Brüllen entrang sich der Bestie. In einer letzten Kraftanstrengung bäumte der Koloss sich auf.

Für Sekunden verlor Pieto jedes Gefühl für oben und unten. Alles drehte sich vor seinen Augen. Er wurde wild hin und her geschleudert. Einer der Dorne bohrte sich in seine Hüfte und riss eine schmerzhafte Fleischwunde, aber der junge Jäger hielt sich krampfhaft fest.

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis der Koloss endlich in die Knie brach, zur Seite kippte und nach einigen Zuckungen reglos liegen blieb.

Das Worpa war tot!

Mit zitternden Beinen kletterte Pieto von dem Kadaver herunter.

Seine Stammesbrüder umringten ihn und klopften ihm auf die Schultern. Begeisterungsrufe drangen an seine Ohren, aber die Geräusche klangen seltsam unecht und verzerrt, als drängen sie aus weiter Ferne. Der Jagdrausch war in Pieto erloschen, obwohl es sein erstes erlegtes Wild war. Es gelang ihm nicht, echten Stolz zu empfinden. Plötzlich sah er wieder die leid erfüllten Augen der Echse vor sich.

Er fühlte sich elend und innerlich leer. So schüttelte er die Hände ab, drängte sich an seinen Stammesbrüdern vorbei und lief fast fluchtartig einige Dutzend Meter von ihnen weg.

Nur langsam legte sich der Aufruhr in seinem Inneren. Trotzdem brachte er es nicht über sich, bei der Zerlegung des Worpas mitzuhelfen.

Auch als sie den Rückweg zum Dorf antraten, wo sie jubelnd begrüßt wurden, war Pieto noch wie in Trance. Was er getan hatte, war viel mehr gewesen, als nur das Erlegen eines Wildes.

Er hatte endgültig die Schwelle zwischen Jugend und Männlichkeit überschritten. Von nun an war er endgültig in die Volksgemeinschaft aufgenommen. Niemand würde mehr geringschätzig auf ihn herabsehen. Das war eine Erfahrung, die er erst einmal verdauen musste.

*

»Es sieht nicht gut aus«, stellte Tanya Genada zum wiederholten Male fest. »Allmählich müssen wir wirklich etwas unternehmen.«

»Niemand hindert dich daran«, entgegnete Ken Randall gereizt. Die Situation zehrte auch an seinen Nerven. »Schließlich hat Fisher dich genauso durch die Mangel gedreht wie mich. Warum solltest du also nicht ausnahmsweise mal die rettende Idee haben?«

Tanya versuchte, ein spöttisches Lächeln aufzusetzen. Es verunglückte kläglich, wie Randall mit Zufriedenheit registrierte. Die Situation war zwar in keiner Weise dazu angetan, an solche Nichtigkeiten auch nur einen Gedanken zu verschwenden, aber es bereitete ihm trotzdem eine grimmige Freude, zu sehen, wie die selbstsichere Fassade der Survival-Spezialistin abbröckelte.

Dabei wusste er genauso gut wie sie, dass sie unbedingt etwas unternehmen mussten, wenn sie nicht in zwei Tagen als Opfer für irgendwelche heidnischen Götter enden wollten.

Es war geradezu lächerlich. Sie, die hoch gezüchteten und in allen Kampfarten erprobten Survival-Spezialisten hatten sich von primitiven Barbaren überrumpeln lassen. Randall erinnerte sich, dass er von Anfang an wenig Vertrauen in die Technik des Star Gates gesetzt hatte. Mit diesem Gerät hatte der Konzern Mechanics Inc., für den sie beide arbeiteten, den alten Menschheitstraum vom Transmitter verwirklicht. Sie hätten in das Star Gate auf der Erde treten sollen und ohne Zeitverzögerung in der Gegenstation auf dem Mond herauskommen sollen.

Hätten...

Bis zur Stunde konnte Ken Randall sich noch nicht erklären, was eigentlich geschehen war. Drei Tage vor ihnen, am 12. Juli 2063, hatte ihr Kollege Haiko Chan den zeitlosen Sprung ohne Komplikationen durchgeführt. Mit ihnen beiden und fünf Wissenschaftlern hatte das Experiment wiederholt werden sollen.

Wohl waren sie planmäßig auf der Erde neutralisiert worden, sie waren auch in einer anderen Station materialisiert, aber dabei hatte es sich nicht um das Star Gate auf dem Mond gehandelt. Es war überhaupt kein von Menschenhand erbautes Star Gate gewesen, sondern eine Station, die auf einem ihnen unbekannten Planeten stand, der aller Wahrscheinlichkeit zufolge nicht einmal im solaren Sonnensystem lag. Kaum hatten sie die Station verlassen, waren sie von barbarischen Eingeborenen angegriffen und nach kurzem Kampf überwältigt worden.

Und nun befanden sie sich im Dorf dieser Barbaren und sollten geopfert werden, weil man sie für Dämonen hielt. Es war wirklich geradezu lächerlich.

»Ich möchte nur wissen, wie es Janni und den anderen geht«, drang Tanyas Stimme in seine Gedanken.

»Wie soll es ihnen schon gehen? Sie werden in einer anderen Hütte genauso gefangen gehalten wie wir.«

»Hoffentlich sind sie überhaupt noch am Leben. Zum Teufel, wir müssen hier raus. Wenn ich nur die Fesseln aufbekäme, würde ich es diesen behaarten Idioten schon zeigen.«

Unwillkürlich glitt Randalls Blick zu den drei Wächtern. Diese saßen neben der einzigen Tür des Raumes und verfolgten gelangweilt die Unterhaltung der beiden Menschen, von der sie kein Wort verstanden. Neben ihnen lagen armlange Schwerter.

Die Bulowas - wie die Eingeborenen sich selbst nannten - waren von dunkler Hautfarbe und stark behaart. Ein natürlicher Schutz vor der starken UV-Strahlung der Sonne. Die Barbaren waren kleiner als Menschen, sie reichten Randall nur knapp bis zum Kinn.

Durch die dünnen Wände drangen die Stimmen weiterer Wächter, die vor der Tür lauerten.

Aber die Wächter waren nicht ihr eigentliches Problem. Widerstrebend musste Ken Randall sich eingestehen, dass seine Begleiterin recht hatte. Noch einmal würden sie sich nicht so überrumpeln lassen. Obwohl sie nur zu zweit waren, waren sie den Bulowas selbst ohne Waffen bei weitem überlegen. Alles scheiterte nur an den Fesseln aus einem extrem harten, kunstvoll verknoteten Strick. Sie, die jede elektronische Handschelle, jedes irdische Sicherheitsschloss binnen Sekunden zu knacken vermocht hätten, mussten vor diesem Lederstrick kapitulieren.

Schon nach kurzer Zeit hatten die Survival-Spezialisten sich die Handgelenke wundgescheuert und erkennen müssen, dass sie die Fesseln weder zerreißen, noch den Knoten lösen konnten.

»Ich habe Angst«, bekannte Tanya Genada plötzlich.

Randall blieb die spöttische Bemerkung, die er eigentlich machen wollte, im Halse stecken.

Es war fast schon eine Art Ehrenkodex, dass ein Survival-Spezialist niemals von Angst sprach. Dass die junge Spanierin es dennoch tat, zeigte, wie sehr sie unter der Situation litt. Mit einem Mal erschien sie Randall nicht mehr annähernd so kühl und arrogant wie bisher. Sie hatte sich eine unglaubliche Blöße gegeben und zu ihrem Bekenntnis hatte mehr Mut gehört, als zu einer noch so coolen und heldenhaften Bemerkung.

In diesem Augenblick erschien sie ihm nur noch als ein letztlich schwacher und verletzlicher Mensch, der sich nicht scheute, seine Gefühle offen zuzugeben. Noch vor einer Minute hätte Randall sich eher die Zunge abgebissen, als darüber zu sprechen, wie er sich fühlte.

Idiotischer Ehrenkodex!, sagte er sich.

»Ich... ich habe ebenfalls... Angst«, brachte er stockend heraus. Jedes einzelne Wort fiel ihm unermesslich schwer. Dennoch fühlte er sich wie von einer schweren Last befreit, als er sie endlich ausgesprochen hatte.

Tanya Genada schenkte ihm ein Lächeln. Nichts von ihrer früheren Arroganz und Eitelkeit schwang darin mit. Es war offen und ehrlich; das erste Mal, dass Ken Randall an ihr ein derartiges Lächeln entdeckte.

»Man wird den Fehler auf der Erde bemerken und uns hier herausholen«, sagte er. Er glaubte selbst nicht an seine Worte und hatte sie nur ausgesprochen, um irgend etwas zu sagen, mit dem er seine Begleiterin trösten konnte.

In Wirklichkeit wusste er, dass die Chance dafür, dass man sie in der kurzen noch verbleibenden Zeit hier finden würde, mathematisch kaum noch zu berechnen war. Aber ebenso gut wusste er auch, dass sie erst dann wirklich verloren waren, wenn sie sich selbst aufgaben.

*

»Zur Hölle damit!«, rief Jerry Bernstein und schlug erbost mit der Faust auf den Tisch. So ein Fachchinesisch war ihm noch nie untergekommen. Er schleuderte das Lexikon von sich.

So kam er nicht weiter.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Fast drei Uhr morgens. Wenn er jetzt nicht schlafen ging, würde er den ganzen Tag über durchhängen. Er musste eine Entscheidung treffen.

Mit einem letzten bedauernden Blick auf den Bildschirm nahm er den Mikrochip aus dem Computer. Die halbe Nacht hatte er sich mit dem blöden Ding um die Ohren geschlagen und das Ergebnis war gleich Null.

Dennoch musste es etwas mit dem Chip auf sich haben. Bernstein war sich so gut wie sicher, dass Herbert Nelles nur wegen dieses Metallplättchens auf seiner Türschwelle erschossen worden war. Erst als die Sicherheitsleute von Mechanics Inc. wieder abgezogen waren, hatte er den Chip gefunden. Sterbend musste Nelles ihn in die Wohnung geschleudert haben.

Seither versuchte Bernstein, die darauf gespeicherten Informationen zu begreifen.

Es handelte sich überwiegend um wissenschaftliche Formeln, Daten und Berechnungen, aber das war ja auch nicht anders zu erwarten. Die wenigen Worte stellten ausschließlich Fachbegriffe dar. Fünfundneunzig von hundert hatte er in Fachbüchern nachschlagen müssen und ungefähr fünf davon hatte er tatsächlich erklärt bekommen.

Nelles war der Spion eines anderen Konzerns gewesen. Auf dem Chip hatte er die Daten über das geheime Projekt Star Gate gespeichert. Die Art, in der die Sicherheitsleute von Mechanics gegen ihn vorgegangen waren, zeigte, wie viel dem Konzern an den Daten gelegen sein musste.

Bernstein sah die ganz große Chance vor sich. Auch wenn er selbst für Mechanics arbeitete, war der Konzern ihm im Grunde genommen völlig egal. Er hatte die Stelle einzig und allein angetreten, um vor seinen zahlreichen Gläubigern geschützt zu sein. Deshalb war er auch auf den Zehnjahresvertrag eingegangen, den er seit nunmehr vier Jahren verfluchte.

Wenn er nur endlich herausfinden könnte, was die Daten auf dem Chip zu bedeuten hatten, könnte er sie vielleicht an Flibo oder einen anderen Konzern weiterverkaufen. Solange er aber nicht wusste, um was es sich eigentlich handelte, versprach das Geschäft wenig Aussicht auf einen großen Erfolg. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was geschehen würde, wenn er den Chip ohne Wissen um seinen Inhalt zu dem Konzern bringen würde. Flibo würde den Datenträger einkassieren und ihm ein Taschengeld zahlen, weil die Daten angeblich so gut wie nichts wert wären.

Nein, ein derartiges Vorgehen kam erst in Frage, wenn er wusste, was da in seine Hände geraten war. Vielleicht waren die Daten ja auch wirklich wertlos.

Bei seiner momentanen Vorgehensweise würde er den Inhalt des Chips wahrscheinlich erst in Jahren entschlüsseln können.

Er brauchte Hilfe, die wissenschaftliche Beratung durch einen Wissenschaftler. Es gab nur einen, der dafür in Frage kam.

Daniel Jansen arbeitete im wissenschaftlichen Team von Mechanics Inc. Seit vielen Jahren schon verband Bernstein eine lockere Freundschaft mit ihm und Jansen war ihm noch einen Gefallen schuldig.

Ohne lange zu zögern, traf der Reporter seine Entscheidung. Er trat an seinen Interkom und wählte die Nummer seiner Redaktion. Ungeduldig wartete er, bis sich das dreidimensionale Bild vor dem Bildschirm aufgebaut hatte. Das unverbindlich lächelnde Gesicht einer ihm unbekannten Sekretärin blickte ihm entgegen.

»Mein Name ist Bernstein«, erklärte er und bemühte sich, ein möglichst leidendes Gesicht aufzusetzen. »Es geht mir nicht gut und ich möchte mich für den heutigen Tag krank melden.«

»Einen Augenblick.«

Jerry konnte sehen, wie die Sekretärin seinen Namen in ihr Terminal eingab.

»In Ordnung«, bestätigte sie nach einigen Sekunden. »Ihre Krankmeldung ist gespeichert. Sie kennen die allgemeinen Verhaltensregeln im Krankheitsfall?«

»Ich kenne sie«, antwortete Bernstein und unterbrach die Verbindung. Dann wählte er Jansens Nummer.

Diesmal dauerte es länger, bis die Verbindung zustande kam: Endlich zeigte sich das verschlafene Gesicht des Wissenschaftlers.

Jansens Gesicht wirkte asketisch und hager wie immer. Seine Glatze glänzte im Licht der Neonlampe. Er gähnte ungeniert.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte er und strich sich mit der Hand über die Augen. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie spät es ist?«

»Habe ich«, verkündete Bernstein ungerührt. »Es tut mir leid, dass ich dich um diese Zeit stören muss, aber es ist wirklich dringend. Kann ich bei dir vorbeikommen?«

»Steht der Weltuntergang bevor, oder was ist los?«

Jerry Bernstein schüttelte den Kopf.

»Das nicht gerade. Aber wichtig ist es trotzdem. In einer Viertelstunde bei dir?«

Jansen gähnte noch einmal demonstrativ, aber in seinen dunklen Augen blitzte zugleich Neugierde auf. Das reichte Jerry als Antwort. Noch bevor der Wissenschaftler etwas sagen konnte, unterbrach er das Gespräch.

Er verstaute den Mikrochip sorgfältig in einer Schutzhülle, schnappte sich seine Jacke und verließ die Wohnung. Sein Gleiter befand sich momentan zur Reparatur, er musste auf ein öffentliches Fahrzeug ausweichen.

Bis zur nächsten Haltestelle waren es nur wenige Schritte. Bernstein drückte auf den Rufknopf und verkürzte sich die Wartezeit bis zum Eintreffen des Gleiters mit einer Zigarette. Wind war aufgekommen und zerzauste seine langen, dunkelblonden Haare, aber er beachtete es nicht.

Selbstzweifel quälten ihn, ob er wirklich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 27.12.2013
ISBN: 978-3-7309-7187-1

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