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Teil 2




Im Krankenhaus


Am frühen Morgen kamen wir in Schladming an. Marcel fuhr meinen Sattelschlepper auf den Parkplatz einer Tankstelle. Dort tranken wir Cafe und aßen eine Kleinigkeit. Anschließend schauten wir uns die Stadt an, gingen mittags essen und fuhren dann mit einem Taxi zum Krankenhaus.
Marcel klopfte an die Türe und ich betrat nach ihm das Krankenzimmer. Bevor ich Hans begrüßen konnte, erschrak ich zutiefst. Sein Gesicht war aschfahl und total eingefallen. Seine Beine waren auf Schienen fixiert und durch Gewichte leicht nach oben gelagert. Ich versuchte sofort mich zu fassen und mir nichts anmerken zu lassen. Ich reichte ihm meine Hand und begrüßte meinen Freund. Am liebsten hätte ich geweint, denn er tat mir so leid. Dann erzählte Hans uns den Unfallhergang. Es war schon dunkel und es hatte geschneit. Auf der abschüssigen Straße Richtung Schladming hatte sich ein Pkw gedreht und war in der Leitschiene quer zur Fahrbahn hängen geblieben. Hans kam mit seinem Sattelschlepper rechtzeitig zum Stehen und stieg aus, um dem Unfalllenker zu helfen, sein Fahrzeug auf die Seite zu schieben. Er stand bergwärts an der Beifahrerseite, als ein nachkommendes Fahrzeug nicht mehr zum Stehen kam, und Hans mit voller Fahrt gegen das Unfallfahrzeug schleuderte.
Dann fragte uns Hans, ob wir seine Beine einmal sehen wollten. Im gleichen Moment zog er seine Decke von sich und mir wurde schlagartig übel! Ich sah zwei total defor-mierte, unnatürlich krumme und doppelt so dicke Beine. Ich war nicht mehr imstande, noch irgend- ein Wort hervor zu bringen. Dann bemerkte ich ein Pfeifen in meinen Oh-ren, das immer lauter zu werden schien. Gleichzeitig fühlte ich eiskalten Schweiß im Nacken und auf meiner Stirn. Ich wußte, dass, wenn ich mich jetzt nicht gleich gesetzt hätte, ich einfach umgefallen wäre. Da ich mir aber vor Hans nichts anmerken lassen wollte, sagte ich zu den beiden, daß ich auf das WC mußte.
Mein Glück war, das ich nur den Gang zu überqueren brauchte, um ins WC zu gelan-gen. In mir war nur ein Gedanke. Nur nicht zusammenbrechen, denn ich wollte unter keinen Umständen auch hier im Krankenhaus liegen. Dann setzte ich mich auf die Mu-schel und um mich wurde es finster.
Ich mußte in Ohnmacht gefallen sein, denn ich kam auf dem Boden liegend wieder zu mir. Diese Kreislaufschwäche konnte nicht lange gedauert haben, denn sonst hätten sie mich sicher gesucht. Ich stand taumelnd auf, ging zum Waschbecken und hielt mir meinen Kopf unter das Wasser. Allmählich kehrten meine Lebensgeister wieder zurück und ich ging zurück in das Krankenzimmer. Als ich eintrat, fragte mich Marcel, was mit mir los sei. Denn mein Gesicht war immer noch kreidebleich. „ Ach ich bin nur etwas übermüdet“, gab ich zur Antwort und setzte mich zu Hans an das Bett auf einen Stuhl. Ich zitterte immer noch am ganzen Körper. Während Hans mit uns redete, entfernte sich seine Stimme wieder weiter weg und das Pfeifen in meinen Ohren wurde wieder stärker. In diesem Moment kam eine Krankenschwester in das Zimmer, schaute uns an und wußte sofort was mit mir los war. Sie ging zum Waschbecken, füllte ein Glas Was-ser und reichte mir dieses mit der Frage, ob sie einen Arzt rufen solle. Ich verneinte ih-re Frage und merkte daß es mir langsam wieder besser ging.
Auch die Stimmen waren wieder verständlich geworden. Somit konnte ich mich lang-sam an dem Gespräch von Hans und Marcel wieder beteiligen. Marcel erzählte Hans von den Problemen seiner letzten Fahrt und wo er überall war. Ich berichtete ihm von meinen drei Spanienfahrten und wie gut sie mir gefallen hatten. Desweiteren richtete ich Hans von einigen Bekannten Liebe Grüße und baldige Genesung aus.
Aber mit der baldigen Genesung würde es so schnell nichts werden, sagte Hans zu mir. Denn es stünden noch fünf Operationen an. Mindestens vier Wochen müsse er in Schladming bleiben, anschließend noch vier Monate in der Reha. Und wie es dann mit ihm weiter gehe, wisse er selber nicht. Denn die Ärzte konnten ihm zu diesem Zeit-punkt noch nicht sagen, ob er jemals wieder gehen konnte.
Nach ungefähr drei Stunden wünschten wir Hans alles nur erdenklich Gute und verab-schie-deten uns von ihm. Mit dem Taxi fuhren wir zurück zu unserem Lkw und brachen Richtung Heiligenkreuz im Burgenland auf.
Ich war so aufgewühlt von den ganzen Erlebnissen, dass ich wieder hellwach war. Da-her entschloß ich mich, diese Strecke selber zu fahren. Die Route führte über Liezen weiter nach Graz, die Südautobahn Richtung Wien und dann die Bundesstraße nach Fürstenfeld, weiter nach Heiligenkreuz. Mitten im Dorf lenkte ich meinen Sattelschlep-per an einen breiteren Straßenrand, stellte mein Fahrzeug ab und wir stiegen aus. Wir schauten uns um, ob jemand in der Nähe war, den wir hätten fragen können, wo jener Fahrer wohnte, der seinen Lkw im Niemandsland einfach im Stich gelassen hatte. Aber es war niemand zu sehen. Somit war Marcel gezwungen, an irgendeinem Haus zu klin-geln und nach dieser Adresse zu fragen. Wir hatten Glück, denn wir mußten nicht weit gehen um zu diesem Haus zu gelangen. Marcel klingelte und eine ältere kleine Frau trat vor die Türe. Wie sich heraus stellte, war sie die Mutter jenes Mannes den wir suchten. Marcel klärte die Frau auf, warum wir gekommen waren. Ihrer Reaktion nach, hatte ihr Sohn sie gewiß nicht aufgeklärt. Denn einen so verdutzten, überraschten und zugleich peinlichen Gesichtsausdruck kann man nicht spielen. Dafür, sah mir diese Frau zu ehrlich aus. Und ich sollte auch recht behalten!
Sie teilte uns mit, daß ihr Sohn vor einer Woche für einen Tag auf Besuch war, ihr er-zählte, er sei auf der Durchreise und fahre nach Teheran. Das dem nicht so war und wo sich ihr Sohn aufhielt, wußte sie nicht. Und was das Geld anbetraf, konnte sie uns auch nicht weiter helfen. Denn wie sie sagte, hatte sie selber nur eine kleine Pension. Ob und wann ihr Bubi wieder kam, konnte sie uns auch nicht sagen.
Wie war das mit den zweitausend Schilling? Emil, mein Chef versprach mir doch, daß ich mein Geld hier in Heiligkreuz zurück bekommen sollte. Wie diese Reise denn weiter gehen sollte, wenn ich nicht genug Geld dabei hatte, wußte ich zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht. Verdammt! Noch hätte ich umkehren können, aber mein Fernweh war stärker. Konnte denn auf dieser Fahrt nicht einmal etwas ohne Probleme von statten gehen? Marcel versuchte mich zu beruhigen, in dem er mich aufklärte, daß er ja auch noch Geld dabei hätte und wir auf dieser Fahrt sowieso zusammenhalten müßten. Endlich einmal etwas Positives dachte ich. Denn Marcel nervte mich zusehends mit seinen Seufzern, die er nach jedem zehnten Wort hervorbrachte! Da ich als zwanzig jähriger Bursche von diesem Gewerbe noch keine Ahnung hatte, mußte ich ihm so oder so vertrauen und ließ mich beruhigen. Wir verabschiedeten uns von dieser Frau und kehrten unverrichteter Dinge zu unserem Lkw zurück.


Der Eiserne Vorhang


Nach kurzer Fahrt erreichten wir das österreichische Zollamt Richtung Ungarn. Noch waren die Gebäude und die Uniformen vertraut. Marcel ging voran und reichte meine Papiere ein, die wir nach sehr kurzer Zeit zurückbekamen. Ein anderer Beamter kon-trollierte an meinem Lkw, ob die Zollplombe am Auflieger nicht beschädigt oder mani-puliert worden waren. Anschließend bekam ich den Laufzettel zurück und wir durften in Richtung ungarische Grenze weiterfahren. So um die fünfhundert Meter fuhren wir durch das Niemandsland, ehe wir im ungarischen Staatsgebiet, im Zollhof Rabafüzes ankamen. Links und rechts der Straße lagen Betonblöcke, die mit Stacheldraht verbun-den waren. Sechs ungarische Zollbeamte ließen uns keine Sekunde aus den Augen und jeder von ihnen hatte ein Maschinengewehr umgehängt. Während Marcel meine Pa-piere einreichte, mußte ich die Plane und die Bordwände meines Aufliegers öffnen. Dann kontrollierten sie meine Ladung und die Stückzahl.
Gleichzeitig krochen zwei Beamte unter den Lkw und hielten Ausschau nach blinden Passagieren und Schmuggelware. Da sie nichts finden konnten, nahmen sie die Fahrer-kabine unter die Lupe. Zwei dieser korrupten Zivilversager teilten sich diese Wahn-sinnsarbeit. Während sich die zwei Chaoten durch meine Fahrerkabine wühlten, durfte ich die Bordwände und die Plane am Auflieger wieder schließen. Ein anderer Beamter brachte eine neue Plombe am Auflieger an. Marcel kam mit den abgefertigten Papie-ren und als sie mit der Kontrolle meiner Fahrerkabine fertig waren, durften wir einsteigen. Um einzusteigen, öffnete ich die Fahrertüre und mir fielen schon die ersten Sachen entgegen. In meiner Kabine sah es aus, als ob fünf Hunde und zehn Welpen tagelang in ihr gehaust hätten! Die Schlafsäcke lagen über dem Armaturenbrett, das Bett war hochgeklappt. Alles was sich vorne in den Fächern befand, lag unter dem Bett. Der Reisetascheninhalt in der ganzen Kabine verstreut. Bevor ich weiter-fahren konnte, mußte ich erst den Fußraum freimachen. Am liebsten hätte ich den zwei arroganten Idioten in den Arsch getreten! Aber ihr Blick ließ mich wissen, daß es für mich besser war, stillschweigend loszufahren.
Nach hundert Meter gab ich den Laufzettel bei der Endkontrolle ab und war froh, diese Schikane hinter mir zu haben. Jetzt befand ich mich das erstemal in meinem Leben im sogenannten Ostblock. Seit langem hatte ich endlich wieder ein gutes Gefühl in mir und ich fühlte mich wie ein richtiger Trucker. Die Route führte nach Szombathely, Gy-or, Budapest, weiter nach Szeged zur Grenze in Nagilac Richtung Rumänien. Außer das mich Marcel mit seinen eigenartigen Seufzern immer mehr nervte, war die Fahrt durch Ungarn ereignislos. Wir kamen flott voran und wir redeten nicht viel miteinander. Ich hatte auch nicht die geringste Lust, mich mit diesem Nervzwerg zu unterhalten. Mir gefielen die flache Landschaft, die kleinen Häuschen und der fremdländische Charakter dieses Landes. Auch die Autos waren kleiner als bei uns und scheinbar alle schon sehr alt. Große und schöne Wagen sah man äußerst selten. Auch die inländischen Lkw waren schon eher Veteranen. Der Unterschied zu den ausländischen Lastwagen war echt enorm. Die ungarische Grenze war noch trostloser als die bei der Einreise. Die Zollbeamten noch steifer und wahrscheinlich auch korrupter. Jeder von ihnen schien ein Gott in Uniform für sich zu sein. Einer von ihnen mußte immer jemanden rumkommandieren. Die Ausreise aus Ungarn war an und für sich kein Problem, nur dass alles ein bißchen langsamer vonstatten ging.
Anschließend fuhren wir durch das Niemandsland Richtung Rumänien. Die Straße wur-de zunehmend schlechter. Teilweise fehlte der Asphalt und die Löcher in der Straße wurden immer größer. Ich konnte meinen Lkw nur langsam zur rumänischen Grenze fahren.
Mir kam bei der Ausreise die ungarische Grenze echt trostlos vor, aber als ich dann die rumänische Grenzstation sah, gewann das Wort trostlos für mich eine neue Dimension. Die Gebäude wirkten ärmlich, der Putz fehlte teilweise an den Wänden und das Inven-tar schien aus dem letzten Jahrhundert zu sein. Aber die Uniformen der Zollbeamten wirkten dagegen nagelneu. Wieder begann alles von vorne. Marcel ging mit meinen Papieren hinein zum Schalter, der aber nur aus einem kleinen Raum, einem Tisch mit einem windschiefen Regal an der Wand bestand. Dahinter saß ein Beamter der sich wiederum äußerst wichtig vorkam und dem man so schnell nichts recht machen konn-te. Ich hingegen mußte wieder die Plane und die Bordwände meines Aufliegers öffnen. Zu dritt stiegen sie hinauf und kontrollierten akribisch die Ladung. Diesmal mußte ich auch sämtliche Werkzeugkästen zur Kontrolle öffnen. Auch die Fahrerkabine wurde wieder durchsucht. Nur waren diese zwei Beamten ein bißchen ordentlicher. Gott sei Dank. Finden konnten sie ja sowieso nichts und so wartete ich geduldig die Kontrolle ab. Und während ich wartete, kam irgendwann Marcel zu mir und verlangte meinen


Reisepaß. Wir warteten schon zwei Stunden auf die Abfertigung, aber es ging nichts vorwärts. Marcel legte einen Geldschein in meinen Paß und verschwand wieder in dem Gebäude. Nach ungefähr zehn Minuten hatten wir unsere Papiere und wir durften weiterfahren.
So ungefähr alle vier bis fünf Stunden wechselten wir uns beim Fahren ab. Seit Tagen fuhren wir nur noch am Tag, denn in der Nacht war es einfach zu gefährlich. Es waren einige unbeleuchtete Heuwagen unterwegs denen wir gerade noch ausweichen konn-ten. Zudem waren die Straßen in einem so schlechten Zustand, daß man die Schlaglö-cher viel zu spät sah. Teilweise waren sie so groß, das man den Sattelschlepper bei sechzig bis siebzig Stundenkilometer locker hätte umwerfen können.
Baustellen waren überhaupt nicht abgesichert. In der Abenddämmerung stellten wir unser Fahrzeug ab, gingen wenn möglich etwas essen, bisher hatten wir noch die Mög-lichkeit dazu und legten uns anschließend schlafen. Marcel schlief in meiner Kabine im oberen Bett, ich als Kapitän meines Sattelschleppers wie immer im unteren Bett. Eine Zeitlang hoffte ich innigst, dass Marcel kein Bettnässer war, denn zwei bis dreimal in der Nacht fiel immer etwas herunter und meistens dann, wenn ich gerade eingeschla-fen wäre. Fiel einmal nichts herunter, fing er wieder an zu seufzen. Mit jeder weiteren Nacht, die Marcel in meiner Kabine verbrachte, nervte es mich zunehmend, denn er gab seine Seufzer in einem Ton von sich, die einem kleinen Reisewecker in nichts nach-standen!
In der Morgendämmerung nahmen wir das Frühstück zu uns und fuhren den ganzen Tag durch. Von jetzt an ging unsere Reise etwas langsamer voran, denn die meisten Straßen waren nicht asphaltiert und dem Anblick dieses Landes nach, war für den Straßenerhalt sicher kein Geld vorhanden. Die kleinen Dörfchen und Städtchen wirkten total verarmt. Fast um jedes kleine Haus das ich sah, türmte sich Gerümpel und Schrott in Form von ausrangierten Traktoren und Autos mit Baujahren, die mir fremd waren. Wir hatten uns ca. eine Fahrstunde von der Grenze entfernt, als Marcel zu mir sagte, daß wir in Fäget, einem kleinen Dörfchen, Bekannte von ihm besuchen würden. Dieser Vorschlag gefiel mir, denn ein bißchen Abwechslung tat mir gut, da ich bisher größten-teils nur die Möglichkeit hatte, mich mit einem Typen zu unterhalten, der mir von Tag zu Tag unsympathischer wurde. Marcel sprach kein rumänisch und somit konnte ich annehmen, daß seine Bekannten die deutsche Sprache beherrschten. In Ilia bog ich von der Hauptstraße rechts ab und nach ca. zwanzig Minuten erreichten wir das Dörfchen Fäget.
Der Anblick dieses Ortes machte mich von einer Sekunde auf die andere schwermütig. Auf sämtlichen Straßen befand sich knöcheltief Schlamm und die Wasserpfützen wett-eiferten sich in ihrer Größe. Die Grundstücke um die kleinen Häuschen waren leicht mit Schnee bedeckt und wiesen aufgewühlte braune oder schwarze Flecken auf. Viele der niedrigen einstöckigen Häuschen wirkten desolat und ungepflegt. Auch die flachen kleinen Hügel vermittelten einen schmutzigen Anblick. Richtung Süden erstreckte sich am Horizont das irgendwie bedrohlich wirkende Massiv der Transsilvanischen Alpen, die auch wir noch zu überqueren hatten. Marcel klingelte an der Türe und ein ca. fünf-zigjähriger Mann erschien. Die beiden begrüßten sich recht herzlich. Auf Anweisung dieses Mannes, schob ich meinen Sattelschlepper rückwärts neben das Haus auf sein Grundstück und stieg aus. Ich stellte mich diesem Mann und seiner Frau vor und wurde angewiesen, mich in der kleinen Küche am Tisch Platz zunehmen.
Die Küche war sehr spartanisch eingerichtet. Ein Holzofen mittlerer Größe, ein Tisch mit fünf Stühlen, wovon sich zwei von den übrigen dreien in ihrer Form unterschieden und ein Küchenschrank aus den fünfziger Jahren, an dem ein Tischler zwei Tage Arbeit gehabt hätte.
Die Temperatur im Freien betrug minus zwei Grad. Im Inneren des Gebäudes hatte es maximal zehn Grad. Auf Grund unseres Besuches, heizte der Mann den Ofen an und es dauerte eine ganze Weile, bis die Temperatur etwas angenehmer wurde. Während Marcel von sich erzählte, stellte die Frau Brot, etwas Käse und Wurst auf den Tisch. Der Mann brachte aus der Abstellkammer eine Flasche Wein und füllte die Gläser. Diese Leute mußten sehr arm sein und ich hatte den Eindruck, daß sie die Küche nur für uns eingeheizt hatten. Wein und Käse gab es sicher auch nicht oft. Was ihre Gastfreundschaft betraf, tischten sie sicher alles was ihnen möglich war auf. Ich hatte zwar einen Bärenhunger, aber auf Grund ihrer ärmlichen Verhältnisse hielt sich mein Appetit in Grenzen. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, ehe wir uns schlafen legten. Marcel und ich bekamen je einen Platz auf einer Couch. Gott sei dank in getrennten Räumen. Somit mußte ich mir seine nervigen Seufzer und sein Schnarchen wenigstens für eine Nacht nicht anhören. Es war zwar sehr kalt in diesem Raum, aber die Decke war recht warm. Einen Ofen gab es hier nicht. Mir gingen noch tausend Bilder durch den Kopf, ehe ich erschöpft einschlief.
Am nächsten Morgen standen wir um sieben Uhr auf, wuschen uns mit kaltem Wasser, warmes gab es keines und setzten uns wieder in die Küche. Dann gab es Kaffee, er schmeckte wie bei uns im Krankenhaus, etwas Käse und Wurst. Die Frau zog nach dem Frühstück einen alten, dicken Mantel an und verabschiedete sich von uns mit der Be-gründung, dass sie Brot einkaufen müsse. Als sie ging, war es ca. acht Uhr. Um elf Uhr dreißig kam sie mit einem Laib Brot in einem Leinensack und total durchgefroren zu-rück. Ihr Mann erklärte uns, daß es in diesem Land üblich sei, wegen einem Laib Brot beim Greisler zwei bis drei Stunden anzustehen! „Mein Gott“, dachte ich. Wie reich ich dagegen war. Wie schön ich es Zuhause doch hatte. Ich brauchte nur zum Kühlschrank zu gehen und mir die feinsten Sachen auszuwählen. Wie warm hatte ich es daheim im Gegensatz zu hier. Unsere Straßen waren alle asphaltiert und sauber. Und um einen Laib Brot einzukaufen, benötigte ich gerade einmal zehn Minuten.
Mit einem Schlag wurde mir bewußt, daß ich Zuhause überhaupt keinen Grund hatte, meiner Unzufriedenheit freien Lauf zulassen! Diese Leute hier in Bulgarien waren bit-ter- arm, aber sie klagten nicht und gaben ihr letztes Brot und verheizten wegen uns ihren kleinen Vorrat an Brennholz. Das gab mir wirklich zu denken.
Marcel und ich beschlossen, daß wir unsere Reise vor dem Mittagsessen fortsetzten. Denn wir wollten beide nicht, daß wir das Wenige das sie hatten, ihnen auch noch weg aßen. Somit bedankten wir uns von ganzem Herzen für ihre Gastfreundschaft und ver-abschiedeten uns von ihnen.
Dank der Standheizung im Lkw, die ich zuvor programmiert hatte, war es bei der Ab-fahrt in der Fahrerkabine angenehm warm. Unsere Reise führte uns nach Deva, Sibu, auf Deutsch Hermannstadt genannt nach Brasof, (Kronstadt) über die Transsilvani-schen Alpen. Die Fahrt über diesen Paß war recht mühsam, da reger Verkehr herrsch-te. Einheimische Lkw mit zuwenig PS unter der Haube hinderten uns daran, zügig voran zu kommen. Es blieb mir also nichts anderes übrig, mich in der langen Kolonne einzu-reihen und die ganze Strecke hinauf und hinab hinterher zu kriechen. Um irgendwo überholen zu können, war die Strecke viel zu steil und zu schmal.
Froh, den gefährlichen Paß hinter uns zuhaben, gelangten wir über Ploiesti nach Buka-rest. Wir fuhren in der großen Stadt zu einem Einkaufscenter und suchten uns einen geeigneten Parkplatz und gingen zur Abwechslung ein bißchen shoppen. Kaufen konnte man hier alles. Vorausgesetzt, man besaß Devisen und einen Reisepaß. Wer nur über die Landeswährung verfügte und keinen Reisepaß besaß, durfte nur die nötigsten und zum Leben wichtigsten Sachen kaufen. Auf Grund dieser Tatsache, sprach uns in einem Cafe die Bedienung an. Sie machte uns den Vorschlag, bei ihr Geld schwarz wechseln zu können. Wenn wir dann noch mit ihr in den Duty Free Shop gingen und wir ihr beim Einkaufen unsere Reisepässe zur Verfügung stellten, könnten wir dann bei ihr Zuhause übernachten und sie würde für uns beide ein Abendessen kochen. Das ganze klang für uns sehr verlockend, da wir seit ein paar Tagen kein richtiges Menü mehr zu uns nehmen konnten. Wir willigten nach kurzer Absprache ein und verabredeten uns mit ihr um neunzehn Uhr vor dem Shop. Sie beherrschte die deutsche Sprache perfekt, war sehr nett und hübsch zugleich.
Pünktlich, wie abgemacht, erschien sie vor dem Geschäft und da sie jetzt über Devisen verfügte, konnte sie es kaum erwarten, den Laden zu betreten um für sich einzukaufen. Ziel=
strebig lief sie zum Parfümregal, probierte allerlei Düfte, entschied sich dann für einen bestimmten, gönnte sich noch einen kleinen Silberring und kaufte wie wir eine Stange Zigaretten. Anschließend beglich sie die komplette Rechnung, auch die unserer Waren. Wir zeigten dem Kassier unsere Reisepässe und fuhren mit ihr nach Hause.
Sie wohnte auch in einem kleinen einstöckigen Häuschen. Aber es war alles wesentlich gepflegter und auch ein bißchen moderner eingerichtet. Wir durften es uns gemütlich machen und tranken, während sie für uns kochte, genüßlich ein Bier.
Sie servierte uns in gekonnter Manier ein Menü, das ich mir hier in Rumänien nicht er-wartet hatte. Anschließend plauderten wir noch eine Weile und da es kurz vor Mitter-nacht war, legten wir uns im Wohnzimmer auf der ausgezogenen Couch schlafen. Hundemüde schlief ich ziemlich bald ein. Durch Geräusche, die mir sehr wohl bekannt waren, wachte ich irgendwann in der Nacht auf. Marcel lag auf seinem Platz und schlief scheinbar. Dann war diese Frau doch nicht so leichtsinnig, sich alleine zwei wildfremde Männer mit nach Hause zunehmen. Es war also noch ein Mann in der Wohnung, aber er hatte sich den ganzen Abend lang zurückgehalten und nicht bemerkbar gemacht. Ob sie in ihrer Geilheit vergaßen, daß wir hinter der offenen Türe im Wohnzimmer schliefen, oder ob sie es extra taten, vermochte ich nicht zu beurteilen.
Jedenfalls begann das Quietschen des Bettes und das Stöhnen der Frau immer heftiger zu werden. Ich bemerkte, daß in meinem Kopf viel zu viele Eindrücke waren, die es galt zu verarbeiten und versuchte, ohne daß ich mich ablenken ließ, einzuschlafen. Und genau in jenem Moment, in dem ich ins Land der Träume gesegelt wäre, bemerkte ich im Dunkeln Marcel, der mein Bett zielstrebig ansteuerte, vorsichtig die Bettdecke anhob und mir zaghaft zwischen meine Beine griff.
Dieser schwule Volltrottel hatte sich wohl von den beiden im Schlafzimmer inspirieren lassen! Mir platzte das erstemal, seit ich mit dieser Tülle zusammen war, der Kragen! Da ich in dieser fremden Wohnung kein Aufsehen erregen wollte, fuhr ich wortlos mit meinem rechten Arm in die Höhe. Mit voller Wucht traf ich mitten in seine abartige Fresse. Kein Geräusch von sich gebend, verschwand er zweimal so schnell wie er ge-kommen war auf seinen Platz. Wohlwissend, für den Rest dieser Nacht meine Ruhe zuhaben, schlief ich schmunzelnd und tief befriedigt ein.
Am nächsten Morgen begrüßte uns diese Frau schon etwas kühler, brühte uns einen Cafe und ließ uns gekonnt merken, das sie uns nicht mehr brauchte. Marcel hingegen wußte bei meinem Erscheinen nicht wo er hinschauen sollte und brachte nur ein sehr unterdrücktes „Guten Morgen Walter“ über seine sichtbar geschwollene Oberlippe. Für mich fing dieser Tag echt amüsant an. Denn beide, Marcel und unsere Gastgeberin versuchten etwas zu verbergen und keiner wußte, was der andere mitbekommen hat-te. Ich hingegen konnte mich beruhigt an den Tisch setzten und mich über die zwei in-nerlich amüsieren.
Unsere „Ostblock Amazone“ fuhr uns anschließend mit ihrem Wagen zu ihrer Arbeits-stätte, auf dessen Parkplatz wir meinen Lkw abgestellt hatten und verabschiedeten uns von ihr.
Nach ca. einer Stunde Fahrzeit erreichten wir wortlos, was ich nur begrüßen konnte, die rumänische Grenzstation nach Bulgarien.


Marcel, der Reifenkiller


Ein kleiner Lkw Stau hinderte uns daran, in den Zollhof von Giurgiu einzufahren. Unge-fähr zwei Stunden benötigten wir, um den Parkplatz an der Grenze zu erreichen. Wie-der am Schalter anstehen, die Plane und die Bordwände öffnen. Die Ladung wurde abermals auf seine Vollständigkeit, die Fahrerkabine und die Werkzeugkästen auf Schmuggelware durchsucht. Marcel gab zwei kleine Geldscheine in die Reisepässe und das ganze ging fast so schnell wie Zuhause. Wir fuhren ca. vierhundert Meter durch das Niemandsland zwischen Rumänien und Bulgarien, als ich auf einmal einen Fernzug unserer Firma erblickte.
Seit zwei Tagen hatte ich mich schon gefreut, daß Marcel bald in seiner eigenen Fahrer kabine schlafen konnte und ich endlich in der Nacht meine selige Ruhe finden würde. Kein Stöhnen, keine Sachen, die ihm in der Nacht herunter fallen würden.
Herrlich mußte das sein. Ich blieb mit meinem Lkw auf gleicher Höhe stehen, sodaß Marcel seine Sachen bequem umladen konnte. Marcel startete seinen Lkw. Mich er-staunte, daß die Batterien nach zwei Monaten Stehzeit nicht leer waren. Denn in den Nächten war es eisigkalt. Da es mir nicht schell genug gehen konnte, dass er aus mei-ner Kabine auszog, half ich ihm beim Umräumen.
Ich öffnete die Beifahrertüre seines Lkw und wollte gerade einsteigen, als ich auf dem Boden Glasscherben entdeckte. Als mein Blick nach oben wanderte, entdeckte ich erst das Malheur. Irgendwer hatte sich an der Fahrerkabine zu schaffen gemacht, die Scheibe der Beifahrertüre eingeschlagen und das Autoradio entwendet. Also ich hätte so eine lange Reise, noch dazu über hohe Gebirgspässe, bei klirrender Kälte, ohne Sei-tenscheibe nicht antreten wollen. Denn die Heizung dieses Lkw, ein Steyr Motorwagen mit einem drei Achs Jumboanhänger, war nicht die beste. Überhaupt hätte ich für die-se lange Reise so eine Rumpel nicht gewollt.
Als Baustellenfahrzeuge waren diese Lkw nicht schlecht, denn sie waren nicht umzu-bringen. Aber im Internationalen Fernverkehr sind diese Fahrzeuge für den Fahrer fast schon eine Zumutung. In jenem Moment, wo ich seinen Schlafsack holen wollte, sagte Marcel zu mir: „ Walter, laß den Schlafsack in deinem Lkw, denn ohne Scheibe ist es viel zu kalt und windig. Ich muß in der Nacht bei dir schlafen“. Diese Meldung war für mich wie ein Keulenschlag in den Magen. In Gedanken fluchte ich diesem hirnver-brannten Verbrecher, der diese Scheibe einschlug das Kreuz ab, andererseits wäre ich am liebsten auf Marcel losgegangen! In diesem Moment hätte ich ihn ertränken, er-schießen und gleichzeitig aufhängen wollen! Konnte denn auf dieser Fahrt nach Bag-dad nicht einmal etwas so sein, wie es sich gehörte. Ich hatte mich schon so gefreut, daß ich Marcel in der Nacht los war. Er nervte mich am Tag schon zur Genüge. Es dau-erte eine ganze Weile, bis ich mich innerlich wieder etwas beruhigt hatte und tröstete mich dann damit, daß ich wenigstens am Tag meinen Frieden hatte, da er ja jetzt sel-ber einen Lkw hatte.
Also räumten wir einige Sachen wieder in meine Kabine und ich mußte mir auf die Zunge beißen, um meinem Ärger nicht freien Lauf zulassen! Marcel stellte zudem noch fest, daß sich kaum noch Diesel in seinem Tank befand. Aber auch ich sah, daß ich mit meinem Vorrat auch nicht mehr allzuweit gekommen wäre. Somit planten wir, gleich bei der ersten Möglichkeit nach der Grenze, in Bulgarien zu tanken.
Nachdem Marcel sich in seinem Lkw eingerichtet und ich bei mir in der Kabine wieder aufgeräumt hatte, fuhren wir langsam, denn die Straße war in einem sehr schlechten Zustand, in Richtung Ruse zur Bulgarischen Grenze. Im Zollhof angekommen, gingen wir mit unseren Papieren in das Zollgebäude zum Schalter. Mittlerweile hatte ich mich an den Anblick desolater und verarmter Gebäude gewohnt und trotzdem überraschten mich diese Zustände immer wieder. Je näher wir dem Orient kamen, desto trostloser wirkte die gesamte Infrastruktur.
Marcel hatte die größte Mühe, dem Beamten hinter dem Schalter zu erklären, warum der Stempel von der Ausreise aus Rumänien zwei Monate alt war. Mit Händen und Füssen, mit Schweizerdeutsch, ein paar kläglichen englischen Brocken und Hoch-deutsch versuchte Marcel sich zu verständigen, dass dieser LKW solange im Niemands-land gestanden hatte. Nach dreißig Minuten und ein paar Geldscheinen, bekam Marcel den Stempel für die Einreise nach Bulgarien. Ob dieser Beamte alles verstanden hatte, oder ob es ihm zu dumm wurde, konnte ich nicht beurteilen. Vermutlich lag es an den Geldscheinen. Wie auch immer, Marcel hatte erreicht was er wollte. Anscheinend wa-ren die Zöllner gut aufgelegt, denn meine Papiere bekam ich dieses Mal ohne Schmiergeldzahlung.
Beide mußten wir unsere Planen und Bordwände zur Kontrolle öffnen. Wie bei jedem Grenzübertritt kontrollierten sie die Sonnendächer auf ihre Stückzahl, die Kabine und Werkzeugkästen nach Schmuggelwaren. Anschießend bekam ich den Laufzettel für die Endkontrolle und ging zum Lkw von Marcel, um zu sehen, wie weit er mit seiner Ver-zollung war. Doch wie ich sah, dauerte es bei ihm noch etwas länger, denn die Beam-ten waren gerade dabei, sämtliche Kisten auf seinem Lkw aufzubrechen.
Als die Zöllner diese fünf Colli mit einem Gewicht von vierundzwanzig Tonnen geöffnet hatten, kamen ebenfalls Ersatzteile für Catarpillar zum Vorschein. Mit derselben Abladeadresse im Irak, wie meine Ware. So oft mich Marcel in der Vergangenheit nervte und ich ihn von Tag zu Tag weniger ausstehen konnte, war ich für diese Gewißheit, im Irak nicht alleine herum fahren zu müssen, wirklich dankbar. Denn die Ortsschilder waren schon jetzt spärlich verteilt, allerdings konnte ich sie noch entziffern. Im Irak war das bekanntlich nicht mehr der Fall. Und zudem erzählte mir Marcel, daß er im Irak schon einmal bei dieser Firma gewesen sei.
Für mich war das sehr beruhigend, denn ich hatte dadurch eine Sorge weniger. Nach-dem die Zollbeamten ihre Arbeit verrichtet hatten, bekam auch Marcel seinen Laufzet-tel und durfte die Plane und die Bordwände seines Lkw wieder schließen. Mit neuen Zollplomben an unseren Lkw`s, durften wir das Zollgelände Richtung Endkontrolle end-lich verlassen. Ich fuhr hinter Marcel zum letzten Kontrollpunkt, gab dem Beamten meinen Laufzettel und folgte meinem unsympathischen Leithammel zur nächsten Tankstelle unweit der Grenze.
Beim Tanken mußten wir immer sehr aufmerksam sein, denn die Tankwarte sahen in uns ausländischen Fernfahrern willkommene Opfer, die es galt über den Tisch zu zie-hen. Scheinbar war dies das Hobby eines jeden Tankwartes, denn jeder versuchte es. Aber auch ich lernte von Tag zu Tag dazu. Unsere Reise führte uns dann weiter über Pleven nach Sofia. Ich weiß nicht mehr, was in Marcel damals gefahren ist aber er fuhr immer schneller. Wenn es die Straße nur irgendwie zuließ, beschleunigte er seinen Fernzug auf bis zu einhundert Stundenkilometer. Ich selber hatte noch nicht viel Erfah-rung und doch wußte ich, daß ich mit einem vollbeladenen Lkw, der zwei Monate ge-standen ist, nicht sofort mit Vollgas losfahren durfte. Denn der Anhänger war mit „achthunderter“ Jumboreifen bestückt.
Dies bedeutete, daß sie sehr klein waren. Es waren zwar alle drei Achsen zwillingsbe-reift, aber durch das Gewicht der Ladung und der langen Standzeit, auch die Kälte trug dazu bei, waren diese nicht mehr rund. Somit kam was unweigerlich kommen mußte. Nach ungefähr fünfzig Kilometer platzte auf der Mittelachse des Anhängers der erste Reifen auf der linken Seite. Durch die platzsparende Größe dieser Reifen, war es mög-lich, zwei Ersatzreifen mit zuführen. Ihrer Größe und Gewicht wegen, verlief der Rei-fenwechsel ziemlich flott und wir konnten unsere Fahrt schnell wieder fortsetzen.
Cirka dreißig Kilometer weiter durften wir diese Arbeit wiederholen, denn der zweite Reifen hatte sich auf der Mittelachse verabschiedet. Mit der Gewißheit, seinen letzten Reservereifen montiert zu haben. Dieses mal auf der rechten Seite. Marcel war noch keine hundert Kilometer mit seinem Lkw unterwegs und war imstande, zwei Reifen zu demolieren. Da es mittlerweile dämmerte, entschieden wie uns, bei einem der spärlich verteilten Gasthäuser für diesen Tag Feierabend zu machen.
Das Restaurant war mit einfachen Tischen, zehn an der Zahl, verschiedenartigen Stüh-len und einer langen Theke eingerichtet. Zwei Tische weiter saß ein junges Pärchen, ungefähr in meinem Alter und am anderen Ende des Raumes drei einheimische Män-ner. Das Essen war nicht besonders gut, genauso wie das heimische Flaschenbier, das etwas an den Geruch von Gülle erinnerte.
Nachdem wir mit dem Essen fertig waren, kam, wie sich herausstellen sollte, der an-gebliche Freund des Mädchens zu uns an den Tisch und fragte uns in deutscher Spra-che, ob er sich kurz zu uns an den Tisch setzten dürfe. Er fragte uns mit leiser Stimme, ob wir Jeans oder Seidenstrumpfhosen zum Tauschen dabei hätten. Geld habe er kei-nes, ließ er uns wissen, aber wenn die Waren gut seien, könne sich derjenige gerne mit seiner Freundin vergnügen. Ein Blick zu ihr versicherte mir, daß es ihr peinlich war. Sie rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her und vermied jeglichen Augenkontakt mit uns. Meinte dieser Kerl das im Ernst, oder würde er, wenn er hatte was er wollte sich mit ihr aus dem Staub machen? Da ich nur meine eigenen Jeans und keine Strumpfho-se dabei hatte, verneinte ich von Anfang an. Marcel hingegen ließ ihn wissen, dass er Jeans zum Tauschen dabei habe. Ich mußte schmunzeln, denn wenn ich mir die Gar-tenzwergfigur von Marcel und die langen Beine dieses schlanken Fräuleins anschaute, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß sie so etwas anziehen würde, geschweige mit so einem Bonsai ins Bett zu verschwinden.
Schnellen Schrittes verschwanden die beiden Richtung Lkw, um Marcel`s, wie er mir später mitteilte, „gebrauchte“ Hosen feilzubieten. Unverrichteter Dinge kamen beide nach kurzer Zeit zurück und das Pärchen verschwand auf Nimmerwiedersehen. Dann war Marcel nicht ausgesprochen schwul, sondern er nahm sich alles was lebte und sich ihm anbietet, schoss es mir durch den Kopf. Der Anblick seines enttäuschten Gesichtes erheiterte mein Gemüt.
Die Nacht war wie alle Nächte zuvor, seit Marcel in meinem Lkw übernachtete. Nicht einschlafen können, ihn wecken wenn er schnarchte und mich ärgern über seine däm-lichen Seufzer, die immer mehr zu werden schienen. Immer noch rar waren die Näch-te, in denen nichts zu mir herunterfiel. Dazwischen aber, schlief ich meist tief und fest.
Nach dem Frühstück setzten wir unsere Fahrt Richtung Sofia fort. Zwischen den einzel-nen Dörfern gab es teilweise lange Strecken, die nicht besiedelt waren. Kurz nach der Ortschaft Pleven, hörte ich wieder einen lauten Knall und Marcel hielt seinen Fernzug an, um nach dem Grund zu sehen. Wir stellten fest, daß wieder ein Reifen auf der zweiten Achse geplatzt war. Jetzt hatten wir ein Rad zuwenig. Mit nur einem Rad auf der rechten Seite der zweiten Achse, mußte Marcel mit der entsprechenden Ge-schwindigkeit weiterfahren. Am Anfang schien alles gut zu gehen, denn Marcel fuhr mit angepaßter Geschwindigkeit. So kamen wir zwar etwas langsamer, aber dennoch, weiter. Ungefähr hundert Kilometer vor Sofia war dann endgültig Endstation, denn auch der zweite Reifen ließ uns im Stich.
Die Mittelachse lag am Boden und wir mußten sie mit Spanngurten hochzurren, um ir-gendwie die Straße wieder frei zumachen und an den Straßenrand zugelangen. Nach kurzer Beratung entschlossen wir uns, da in Bulgarien diese Reifendimension nur sehr schwer auf-zutreiben war, mit meiner Zugmaschine nach Sofia zufahren, ein Telefon zu suchen und unsere Firma zu kontaktieren. Wir ließen den Fernzug von Marcel und meinen Auflieger zurück, und fuhren in die Stadt.
Ich lenkte meine Zugmaschine auf den Parkplatz eines großen Hotels und wir gingen zur Rezeption um zu telefonieren. Doch es sollte einige Stunden dauern, bis wir eine Leitung zur Verfügung gestellt bekamen. Warten war jetzt angesagt. Nach ca. acht Stunden bekamen wir endlich eine Verbindung und Marcel erklärte unserem Chef sein Malheur. Emil, unser Chef, organisierte vier Jumboreifen auf Felgen montiert, die uns Helmut, der aus Portugal wieder zurück war und für Teheran geladen hatte, mitbrin-gen sollte. Nach vier Tagen mußten wir uns bei ihm, Emil, wieder melden.
Zimmer konnten wir uns in diesem Hotel keines nehmen, denn wir hatten noch eine sehr weite Reise vor uns und mußten uns das Geld gut einteilen. Den Abend dieses Ta-ges verbrachten wir in der Hotelbar. Am nächsten Tag besichtigten wir zu Fuß einen Teil der Stadt, doch es war ungemütlich kalt und windig. Somit verbrachten wir die nächsten dreieinhalb Tage meist in meiner Kabine und gingen einander auf die Nerven.
Am vierten Tag versuchte Marcel wieder zu telephonieren, aber wir mußten erneut stundenlang auf eine Verbindung warten.
Spät am Abend des vierten Tages klappte es mit der Leitung und Marcel erklärte Emil, wo Helmut uns finden würde. Die fünfte Nacht verbrachten wir nochmals auf dem Ho-telparkplatz und fuhren am nächsten Morgen nach dem Frühstück zurück zu meinem Auflieger und seinem Fernzug. Mich erstaunte, daß die Planen an unseren Fahrzeugen noch nicht aufgeschlitzt worden waren und nichts fehlte. Das Warten begann von Neuem, denn Helmut kam erst am Nachmittag des nächsten Tages. Dies bedeutete, daß wir nochmals einen Tag zu zweit in meiner Fahrerkabine verbringen mußten. Weit und breit war kein Restaurant zu sehen und bei jedem Fahrzeug das an uns vorbeifuhr, wackelte unsere Kabine. Am Tag war dies nicht so schlimm, aber in der Nacht hinderte es mich lange am Einschlafen. Müde war ich ja wirklich nicht mehr, denn die Tage da-vor konnte ich mehr schlafen als mir lieb war. Stundenlang schaute ich wortlos in den Rückspiegel meines Lkw`s, in der Hoffnung, endlich den Lastwagen von Helmut zu er-blicken. Die Musik im Autoradio ließ auch zu wünschen übrig und die Langeweile er-reichte eine Dimension, die unerträglich wurde. Wer in solch einer Situation keine Ge-duld aufweisen konnte, hatte hier die beste Möglichkeit, Geduld zu üben!

Fortsetzung in Teil 3


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Tag der Veröffentlichung: 21.01.2010

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