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Teil 1




Vorwort


Ich war so um die fünfzehn Jahre alt, als ich die Fernsehserie“ Auf Achse“ mit Manfred Krug zum ersten Mal sah. Diese Abenteuerserie faszinierte mich dermaßen, dass mit jeder neuen Folge die ich sah, in mir der Wunsch immer größer wurde, so etwas auch einmal in meinem Leben zu machen. Auch ich wollte ferne Länder sehen, fremde Leute kennenlernen, und vor allem auch einmal mit einem vierzig Tonnen schweren Lkw selber in den Orient fahren, und Abenteuer zu erleben. Das wollte ich!
Dies erzählte ich auch meinen Mitschülern und Kollegen. Manche lachten mich aus, andere wiederum schauten mich groß an und wollten so etwas natürlich auch einmal erleben.
Die Zeit ging dahin, ich absolvierte eine Lehre als Karosseriespengler. Nach der Lehre jobbte ich in einem Reptilienzoo eines Bekannten. Dabei lernte ich sehr viel über Gift-schlangen, Echsen und Krokodile kennen. Nach knapp einem Jahr meldete mein Chef den Konkurs an, und ich mußte mir eine neue Arbeit suchen.
Ich hatte Freunde und Kollegen. Einer davon hieß Hans und war zu dieser Zeit einer meiner besten Freunde. Er war vier Jahre älter als ich und arbeitete auf dem Bau. Ich weiß nicht mehr genau warum, aber für einige Zeit verloren wir uns aus den Augen. Jeder ging seine eigenen Wege, bis wir uns nach vielen Monaten zufällig wieder trafen, wodurch sich mein Leben schlagartig veränderte und ein großer Teil meiner Kindheitsträume in Erfüllung gehen sollte.


Mein größter Wunsch


März, 1981


Meine Lehre als Karosseriespengler hatte ich seit zwei Jahren hinter mir. Ich konnte mir nicht vorstellen, diese Arbeit bis zu meiner Pension aus zu üben. Tagaus, tagein dasselbe, Staub, Dreck, Lärm, kitten und schleifen und das alles, um das bißchen Geld.
Etwas erleben wollte ich, die Welt kennenlernen, das wäre es. Ich war zwanzig Jahre alt, hatte noch nicht viel erlebt, wohnte immer noch bei meinen Eltern und hatte von dieser Welt keinen blassen Schimmer. Es war Frühling und Samstagabend. Die Glocke klingelte bei mir zuhause. Ich wohnte noch bei meinen Eltern, und mein Freund Hans kam mich abholen, um auf Tour zugehen. Wir zogen von Lokal zu Lokal und irgend-wann in dieser langen, „feuchten“ Nacht erzählte mir Hans von seinem Vorhaben. Er fange nächste Woche in der Schweiz als Fernfahrer an. Tour Iran, Irak.
Wir gerieten ins Schwärmen und irgendwann in dieser Nacht sagte ich etwas zu ihm, von dem ich nicht im Traum daran dachte, das genau jenes eintreffen würde, von dem ich bis jetzt nur geträumt hatte.
Nämlich, einmal im Leben selber mit einem vierzig Tonnen schweren Sattelschlepper in den nahen Osten zu fahren. Wir saßen nicht alleine am Tisch, sondern es hatten sich noch ein paar Kumpel und Mädchen zu uns gesellt, die dieses Gespräch mit verfolgten und ich merkte, wie sie interessiert zuhörten. Hans meinte, diese Firma suche sicher noch einen Fahrer und er würde ein gutes Wort für mich einlegen. „Ohne Praxis“, forschte ich ihn an. „Meinst du wirklich, diese Firma stellt einen Fahrer der höchstens zehntausend Kilometer auf einem Kleintransporter von 7,5 Tonnen vorweisen kann und noch nie mit einem Anhängerzug geschweige denn mit einem Sattelschlepper selber gefahren ist? Du träumst. Vergiß es!“ Dann bestellte der Wahnsinnige noch eine Flasche Wodka. Langsam aber sicher war ich voll.
Wenn du fahren willst, dann sag jetzt, Ja oder Nein! „Prost Hans, klar fahre ich mit“! Ich fühlte mich gut und stark, was ich sicher dem Wodka zu verdanken hatte, und sah mich schon in fernen Ländern. Um mich herum all die bekannten Gesichter und laute Musik. Es hatte sich nicht viel verändert in den letzten zwei, drei, Monaten. Ich stellte jeden Tag mit einer vierzehnjährigen Rumpel, die sich auch noch Lkw schimpfte, für ei-ne Vorarlberger Spedition Waren zu, verdiente nach wie vor nichts und es war alles beim Alten. Nur Hans war nicht mehr da.
Wir verstanden uns eigentlich immer gut. Er hatte einen Wagen, den ich regelmäßig im Abstand von zwei, drei Monaten wieder so reparieren mußte, daß er äußerst selten neue Teile brauchte. Er war einfach ein kleiner Rallyefahrer, der seinen Wagen nur nicht immer in der Hand hatte. Hans konnte sich, was sein Auto betraf, immer auf mich verlassen und ich verdiente so nebenbei auch noch etwas. Konnte ich seinen Wagen nicht mehr reparieren, kaufte er einen anderen gebrauchten Pkw. Wir sprachen auch über unsere Probleme, konnten einfach über alles reden. Und auf einmal war er weg, und ich hatte keine Ahnung, wo er sich aufhielt und wie es ihm ging.
Mittlerweile war es Anfang Oktober. Montagabend, neunzehn Uhr. Ich lag im Bett und starrte an die Decke. Ich war mit allem unzufrieden und da mich alles ankotzte, habe ich mich dazu entschlossen, eine Woche lang krank zu machen. Diesen Abend, an dem ich Hans zum letzten Mal sah, hatte ich schon lange vergessen und wenn ich ehrlich bin, nie recht daran geglaubt. Mir war einfach zum Heulen zumute.
Es war genau 19 Uhr 10, als es an meiner Zimmertüre klopfte, die Türe ruckartig geöffnet wurde und Hans in meinem Zimmer stand. „Walter, pack deine Sachen wir fahren nach Bagdad“! Kein Servus, kein Grüß dich. Nein, nur, „Walter, pack deine Sachen, wir fahren nach Bagdad“! WANN? „Jetzt sofort, komm, pack alles nötige zusammen, wir fahren gleich los“!
Ich dachte nur, du große Scheiße, wie soll ich das jetzt nur machen? He, Hans, das geht jetzt nicht, ich bin im Krankenstand und mein Vater reißt mir den Kopf ab.
„Willst du mit, oder nicht“? wurde ich gefragt. „Ich habe nicht viel Zeit, und muß heute Nacht noch nach Luzern, in die Firma fahren“. Verdammt! Und ich wollte mitfahren. Mein Herz klopfte, als hätte ich in meinem Bett eben eine Giftschlange gefunden. In diesen Sekunden verspürte ich Angst, Verzweiflung und den starken Drang in die Ferne zu ziehen. Ich zitterte am ganzen Körper vor Aufregung. Wie sollte ich das meinem Chef und meinen Eltern erklären. Sodaß sie mich verstanden? Das Fernweh war stärker als alles andere, und so entschloß ich mich mitzugehen. Und nichts auf der Welt hätte mich jetzt noch zurückhalten können. Das war die Chance meines Lebens. Während ich mich anzog, erkundigte ich mich, was ich alles einpacken sollte. Seinen Rat befolgend, verstaute ich nur zweckmäßige Sachen in meinem Koffer. Diesen ließ ich vorsichtshalber in meinem Zimmer stehen und wir gingen beide zu meinen Eltern in den unteren Stock. Innerhalb von zehn Minuten erklärte ich Vater und Mutter mein Vorhaben und war schon mit dem Auto unterwegs zu meiner Firma, um auch das noch abzuklären. Mein Chef hatte komischerweise vollstes Verständnis und meinte nur. “Du kommst gerne wieder zurück und wenn du wieder hier bist, dann meldest du Dich wieder. Denn, junge Menschen sollte man nicht daran hindern, wenn sie etwas erleben und reisen möchten“. Ich bedankte und verabschiedete mich bei meinem Boß und ging zum Auto. Wir fuhren zurück, um den Reisepaß und den Koffer zu holen, Um 20 Uhr 15 waren wir schon auf der Walgauautobahn Richtung Luzern. – Meinen Eltern ließ ich keine Zeit zu reagieren.
Auf der gut zweistündigen Fahrt dorthin, gab mir mein Freund wichtige Tips und gute Ratschläge für die Fahrt in den Orient. Denn, es könnte durchaus sein, das ich diese Tour auch alleine machen müsse. Wieder so ein Moment, wo ich trocken schlucken mußte und auch insgeheim hoffte, dass dem wohl nicht so sein würde.
„Fahre niemals in der Nacht, hörst du. Nie, das ist viel zu gefährlich. Es sind unbeleuch-tete Pferdegespanne unterwegs, Schlaglöcher in der Größe einer Badewanne. Bis Is-tanbul kannst du mit deinem Laster übernachten wo immer du willst, aber fahre nicht in der Nacht. In Istanbul gibt es eine Möglichkeit zu übernachten, in einem Fernfahrer-camp, man nennt es Londracamp. Da bekommst Du alles, kannst deinen Laster wa-schen und reparieren lassen.
Und jetzt Walter, kommt das allerwichtigste. Wenn du die Bosporusbrücke überquert hast und du in Asien bist, halte dich unbedingt daran, auch am Tag nur im Konvoi fah-ren, schließ dich anderen an und fahre mit ihnen zusammen. Und übernachte nur in bewachten Camps. Das kostet zwar ein wenig, aber du kannst sicher sein, das man dir nichts klaut und du am Morgen noch lebst“. Mir kam vor das mein Freund ein wenig übertrieb und trotzdem mußte ich wieder trocken schlucken. „Diese Camps sind alle sechs-, bis siebenhundert Kilometer. Die mußt du in einem Tag einfach schaffen, bevor es dunkel wird. Bei uns wäre das kein Problem so eine Strecke zufahren, aber in der Türkei sieht alles anders aus“. Weiter meinte Hans zu mir. „Kauf dir ein paar Pornohef-te, mit denen kannst du zum Beispiel Zollbeamte oder einen Tankwart schmieren, wenn dieser dir kein Diesel geben will. Und kauf dir einen Wasserkanister, einen gro-ßen, und einen Gaskocher mit einigen Reservekartuschen. Lebensmittel für vier bis sechs Wochen. denn in dieser Region, in die du fahren mußt, wird es nicht mehr viel zu essen geben was dir schmecken wird“.
Während der Fahrt von Bludenz nach Luzern, gab mir Hans Tips und Erklärungen, von den Zollangelegenheiten angefangen, bis hin zur Rückkehr in die Schweiz. Mir brumm-te der Kopf, soviel sollte ich befolgen und mir merken. Es war Montagabend dreiund-zwanzig Uhr. Hans zeigte mir noch die Firma und die Lastwagen die in Reih und Glied auf dem Parkplatz standen. Anschließend gingen wir zum nahe gelegenen Gasthaus, bestellten uns jeder ein Bier und etwas zu Essen. Gleich nach dem Essen bezogen wir unser Quartier. Obwohl ich zuhause den ganzen Tag im Bett lag, war ich jetzt auf ein-mal todmüde. Dann legte ich mich in mein Bett und schlief auch sofort ein.
Irgendwann in der Nacht wachte ich total nervös auf. Wieder kamen mir alle mögli-chen und unmöglichen Gedanken in den Sinn. Was doch alles auf dieser Reise passie-ren könnte. Und dann fiel mir etwas ein, das mich nicht mehr einschlafen ließ.
Der Irak befand sich mit dem Iran im KRIEG!!!
Mann! Auf was hatte ich Idiot mich hier nur eingelassen? Warum war mir das nicht früher eingefallen? In Gedanken sah ich mich verwundet neben meinem ausgebrann-ten Lkw im Straßengraben liegen, oder als Gefangener in einer stinkenden Zelle dahin vegetieren.
Was wäre wenn die Iranischen Luftstreitkräfte unseren Konvoi bombardierten? Sie würden doch etwa nicht die Straßen vermint haben? Schweißgebadet wälzte ich mich im Bett hin und her.


Die neue Firma


„Walter, aufstehen, es ist sieben Uhr“. Wie gerne wäre ich noch liegen geblieben, aber ich stand auf, wusch mich an dem kleinen Brunnen im Zimmer, zog mich an und ging nach unten in die Gaststube, in der Hans auf mich wartete und für uns beide das Frühs-tück schon bestellt hatte. Während ich den letzten Rest meines Cafe Crem hinunter schlürfte, sagte Hans ganz trocken. „Wenn dich Emil, dein neuer Chef fragt, ob du schon einmal mit einem Sattelschlepper gefahren bist, dann sagst du“, „ Selbstver-ständlich, reichen zwei Jahre Praxis?“
„Dann ist alles in Ordnung“. Es war noch nicht mal acht Uhr morgens und ich mußte schon wieder trocken schlucken, denn ich hatte bis jetzt noch nicht die Gelegenheit das Lenkrad oder den Ganghebel mit sechzehn Gängen zu streicheln, geschweige denn zu bedienen. Von den sechzehn Metern die hinten dranhängen gar nicht zu reden.
Anschließend begaben wir uns in das Büro meiner zukünftigen Firma, in dem keine Menschenseele zu sehen war. Gut eine halbe Stunde später quälte sich schlaftrunken ein Mann ins Büro und meinte nur, „Grüezi“, und setzte sich auf seinen Stuhl. „So Han-si, bisch au scho munter, hä?“ „Ich hab’s nicht so schön wie du, das ich soviel Geld ha-be und am Morgen liegen bleiben kann”, erwiderte Hans. „Ha, Ha, Ha”. Hans stellte mich Emil, meinem neuen Chef vor. Der fragte mich, ob ich auch schon gefahren bin? Ich bejahte. Emil erklärte mir, wohin seine Lkw überall fahren. Portugal, Spanien, Benelux, Marokko, Iran, Irak und Saudi Arabien. Das waren alles Länder, die ich nur von der Landkarte in der Schule kannte. Emil meinte: „ Bis dein neuer Lastwagen ankommt, kann es schon Donnerstag werden. Hab ein bißchen Geduld. „Ich zahle Dir viertausend Franken“, und dann fragte er mich, ob ich einverstanden wäre? Und wie ich einverstanden war! Mit zwanzig Jahren bekam ich einen neuen Lkw, viertausend Franken und reiste in ferne Länder. Da fragte mich der im Ernst, ob mir alles paßt. Wow! Ich hätte aufspringen, und Emil, meinen neuen Chef umarmen können.
Die einzige Arbeit in diesen drei Tagen bestand darin, mit Hans ins Tessin zu fahren, um einen leeren Auflieger zu holen. In diesen drei Tagen wechselte meine Stimmung wie das Wetter im April. Hatte ich mich auch richtig entschieden, oder sollte ich besser wieder nach Hause? Aber wenn ich nach Hause gegangen wäre, was dann, hatte ich doch jedem gesagt, dass ich nach Bagdad fahre. Wie wäre ich dann vor meinen Be-kannten dagestanden? Es war zum Verzweifeln. Ich beschloß, alles auf mich zukommen zu lassen und wartete ab. Die übrige Zeit verbrachten wir entweder im Büro oder in der Gaststätte die keine hundert Meter von der Firma entfernt war. Mir war fad und langweilig. Mich überkamen immer wieder Zweifel, was wohl richtig gewesen wäre und was nicht. Aber Hans baute mich immer wieder auf, sodass ich doch blieb.
In der Zwischenzeit lernte ich Nick kennen. Er stammte aus Bern und arbeitete seit zwei Jahren in dieser Firma. Auf die von mir gestellte Frage, von wo er gerade komme, antwortete er mir: „Seit gestern bin ich aus Saudi Arabien zurück“. Er erzählte uns ein paar Erlebnisse von seiner Tour und ich ertappte mich, wie ich mit offenem Mund ge-spannt zuhörte. Immer wieder dachte ich, so wild, so gefährlich wird es schon nicht werden. Er wird, wie Hans, ein bißchen übertreiben, um das ganze interessanter zu machen. Aber es war äußerst spannend ihm zuzuhören. Nick war nicht groß, ein lusti-ger, sympathischer Kerl und hatte schulterlange Haare. Vier Jahre war er älter als ich und hatte von der Welt sicher schon viel gesehen. Unter anderem erfuhr ich auch noch, dass Helmut - er stammte ebenfalls aus Bludenz und ich kannte ihn- auch als Fahrer bei dieser Firma angestellt sei und sich momentan in Portugal aufhielt. Es freute mich und gab mir ein Gefühl der Sicherheit, das einige Personen aus meinem Bekanntenkreis irgendwie doch in der Nähe waren. So meinte ich, dass doch alles Hand und Fuß haben mußte. Denn sie waren alle älter als ich, und wenn diese Firma nichts taugte, hätten sie die Stelle sicher schon gewechselt.
Donnerstag zehn Uhr dreißig, und wir sitzen in der „Beitz“ bei einem Cafe, als Emil zur Tür hereinkam, sich einen Cafe Crem bestellte und meinte: „Die Lastwagen sind ange-kommen”. Wir tranken aus, bezahlten und begaben uns auf den Weg zu dem Parkplatz, auf dem die neuen Zugmaschinen standen. Sie waren beide weiß, glänzten in der Sonne und ich konnte es kaum erwarten, einmal damit zu fahren.
Zwei nagelneue Magirus Iveco 320 M 19. Zehnzylinder, luftgekühlt, dreihundertzwan-zig PS, und einer davon sollte für mich sein. Ich konnte es nicht glauben, und wagte auch nicht danach zu fragen. Den Rest des Tages verbrachten wir damit, Werkzeuge für unterwegs zu verstauen, das Autoradio einzubauen und die mitgebrachten Sachen für unterwegs in der Fahrerkabine zu versorgen. Am Freitagmorgen fuhren wir mit beiden Zugmaschinen in die nahe gelegene Iveco Werkstatt, um die Standheizungen einbauen zu lassen. Da diese Arbeit fast den ganzen Tag in Anspruch nahm, bummel-ten Hans und ich durch das nahegelegene Städtchen und ließen es uns gut gehen. Da die Sonne schien, war es an diesem Tag noch sehr warm und wir schlenderten zum Geuensee. Anschließend spazierten wir zu einem Restaurant und nahmen genüßlich unser Mittagessen zu uns. Während wir speisten, erzählte mir Hans wieder ein paar seiner Erlebnisse und gab mir dazwischen immer wieder Tips für unterwegs.
Ich merkte, wie ich innerlich immer unruhiger wurde. Meine Gedanken spielten ver-rückt und auf einmal machte ich mir Sorgen und hoffte, nicht alleine in den Orient fah-ren zu müssen. Und wenn doch, würde ich den Weg finden, wie erledigte ich als uner-fahrener Neuling die Zollangelegenheiten, denn ich konnte doch kein Rumänisch, Tür-kisch, oder gar Arabisch. Mann, auf was hatte ich mich da jetzt nur eingelassen. Heim-lich überlegte ich mir, ob es für mich nicht besser gewesen wäre, nach Hause zu fah-ren. Mir kam in den Sinn, dass im Orient doch alles auf Arabisch angeschrieben sein mußte. Wie las ich z. B. die Straßenschilder? Wonach konnte ich mich orientieren? Fragen nützte doch nichts, wenn man die Sprache nicht verstand. Ich wurde immer nervöser und unsicherer. Ich sah mich in Gedanken schon zweitausend Kilometer von Zuhause entfernt, alleine irgendwo in der Pampa, hilflos, nichts verstehend und die Zeit würde mir davon rennen. Was wäre, wenn ich mich verfahren würde, schaffte ich dann vor der Dunkelheit das nächste Camp noch? Was passierte, wenn nicht? War der Feind etwa schon im Irak? Meine Unsicherheit steigerte sich ins unermeßliche. Weit entfernt hörte ich Hans reden und bekam nicht mehr mit, was er gesagt hatte.
Scheiße. Ich wollte nach Hause. Und Zuhause? Was sollte ich meinem Chef, meinen El-tern, meinen Bekannten und Freunden sagen? Es war zum Verzweifeln, was sollte ich nur
machen? „Was ist los mit dir Walter“? Mit diesem Satz holte mich Hans geistig wieder ins Restaurant zurück. Er fragte mich, wo ich mich jetzt in Gedanken aufgehalten hatte, und ich erklärte ihm meine Bedenken. Nun lachte mich der Schuft auch noch aus. Das hatte ich gerade noch gebraucht, zu meiner Unsicherheit. Aber er klärte mich auf und redete mir gut zu. Es seien immer andere Fernfahrer unterwegs, denen ich mich sowieso anschließen müsse und die ich doch alles fragen könne.
„Immer im Konvoy fahren. Dann kann dir nichts passieren“. Wir tranken aus, bezahlten und gingen zurück in die Werkstatt zu unsern Lkw. Die Standheizungen waren bereits fertigmontiert und wir fuhren zurück in die Firma. Das Wochenende verbrachten wir noch einmal zuhause in Bludenz. Bis Sonntagabend hatten wir Zeit, dann mußten wir wieder in der Firma sein. Samstagabend gingen wir zusammen aus, und feierten bis in die frühen Morgenstunden.


Meine erste Fahrt


Sonntagabend. Mir war immer noch schlecht, vom zulange feiern und wir befanden uns auf der Fahrt zu unserer Firma. Auch Hans machte einen mitgenommenen Ein-druck, daher verlief die Fahrt, ohne viel zu reden. In Geuensee angekommen, nahmen wir uns ein Zimmer in dem Gasthaus neben der Firma, tranken noch zwei, drei kleine Bier und aßen eine Kleinigkeit. Wir begaben uns in unser Zimmer, und gingen schlafen.
Dem Geräusch nach, schlief Hans schon. Ich hingegen konnte nicht einschlafen, so sehr ich mich auch bemühte ruhig zu sein und keine blöden Gedanken aufkommen zu las-sen, es gelang mir einfach nicht.
Zu viele Szenarien spielten sich wieder in meinem Kopf ab. Alle möglichen und unmög-lichen Bilder tauchten auf und verschwanden wieder. Als mich Hans um sechs Uhr dreißig weckte, hatte ich das Gefühl, gerade mal eine Stunde geschlafen zu haben. To-tal gerädert und mit dem Gefühl von einem Schnellzug überfahren worden zu sein, stand ich auf. Auf allen Vieren schleppte ich mich zu dem kleinen Brunnen im Zimmer, um mir meinen Schädel unters Wasser zu halten. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich in meinem Kopf wieder alles geordnet hatte. Dann zog ich mich an und ging mit unsi-cheren Schritten in die Gaststube. Als ich eintrat, lachte Hans lauthals und meinte nur „ Was ist denn mit dir heute Nacht passiert?“
“Laß mich in Ruhe, ich will nach Hause.“ „Jetzt iß erst mal was, dann geht’s dir wieder besser und anschließend gehen wir in das Büro, um die Papiere für deine erste Fahrt zu holen“, sagte dieser. „Wohin geht es denn?” fragte ich Hans. Er sagte: „ Was mir bekannt ist, nach Spanien”. “Aus mir platzt es heraus: Wow, ins Land der Sonne, und nicht in den Orient?” „Das kommt schon noch, warte nur ab“, war seine Antwort. Wir bezahlten und gingen ins Büro in dem Emil schon auf uns wartete. Hans mussten nach Holland und ich nach Madrid. Ich sollte in Basel laden und in Madrid Coslada, in der Nähe des Flugplatzes, im Zollhof abladen. Ich bekam meine Papiere, den Lkw Schlüssel und los ging meine erste Fahrt mit einem Sattelschlepper. Meine Knie schlotterten schon beim wegfahren und dieses zittern hielt so ca. 50 km an, dann beruhigten sich meine Beine endlich und es ging relativ ruhig und gelassen, bis auf ein paar Verschalter dahin. Auf dieser Tour war ich eine Woche unterwegs. Als ich wieder in der Schweiz zurück war, mußte ich noch zweimal nach Madrid. Das war die schönste Zeit die ich bisher erlebt hatte.
Ich möchte von diesen Fahrten nach Spanien, so schön sie auch waren, nicht mehr er-zählen, da sie mit der Reise in den Orient nichts zu tun hatten. Auf der Heimreise mei-ner dritten Madrid-Fahrt fing das Dilemma an.
Nördlich von Madrid in einem kleinen Kaff, mußte ich fünfundzwanzig Tonnen Katzen-streu für die Schweiz laden. In dieser Firma, bekam ich einen Anruf von Emil. „Walter“, meinte er, „du mußt so schnell wie möglich nach Mullhouse kommen, und anstelle von Hans nach Bagdad fahren. Hans wollte einem verunfallten Pkw Lenker in Schladming OÖ helfen und wurde von einem nachkommenden Pkw niedergefahren und schwer verletzt“. Ich sollte am letzten Parkplatz vor der Grenze auf ihn warten, denn er kom-me auch dahin und fahre mit mir bis nach Walserberg, Sb. Mir wurde heiß und kalt zugleich und ich brauchte eine ganze Weile, bis ich mich von dem Schock erholt hatte. Als das flaue Gefühl im Magen gewichen war, fuhr ich auf der E 05 Richtung Burgos, weiter nach Donostia-San Sebastian zur französischen Grenze, über Toulouse, Lyon, Beaune weiter nach Besançon zur deutschen Grenze. Ohne Pause. Sechsunddreißig Stunden nonstop. Nur zum Pinkeln blieb ich stehen.
Dort angekommen, legte ich mich für drei Stunden nieder, denn ich war total fertig mit der Welt. Wie ein Belemmerter stand ich nach drei Stunden auf und keine zehn Minuten später war Emil mein Chef schon da. Auf diesem Parkplatz stand ein Auflieger unserer Firma. Ich mußte meinen Auflieger absatteln, und den für Bagdad bestimmten, aufsatteln. Auf diesem Jumboauflieger waren zwölf Tonnen Sonnendächer für Caterpillar Raupen geladen.
Es war elf Uhr abends und ich legte mich schlafen. Emil fuhr über die Grenze nach Deutschland, Karlsruhe, München Richtung Walserberg Grenze. Von der Fahrt Rich-tung Österreich hatte ich absolut nichts mitbekommen, nicht einmal geträumt hatte ich, nur sehr tief geschlafen. Am Walserberg angekommen, weckte mich Emil um die Zollformalitäten gemeinsam zu erledigen. Wir gingen zum Schalter, reichten die Papiere ein, bekamen sie nach kurzer Zeit zurück und weiter ging es zum Schalter für die Straßensteuer. Da ich einen Lkw mit Schweizer Kennzeichen fuhr, mußten wir für Deutschland Straßensteuer entrichten. Umgerechnet in Ats 2500,-. Und Emil, mein Big Boß“, hatte keinen Stutz dabei! “Walter, du mußt mir jetzt schnell aushelfen, be-kommst es zurück wenn du wieder in der Schweiz bist”. Im Nachhinein gesehen, war ich Idiot auch noch ein bischen Stolz, meinem Oberspediteur noch aushelfen zu dürfen. Kein bischen naiv, nein, nein. Blödheit gehört bestraft. Anschließend gingen wir in das Grenzcafe um uns zu stärken, und als Draufgabe durfte ich diese Zeche auch noch be-gleichen.
Ich hatte zwar meinen Lohn bekommen, aber nur einen gewissen Teil davon mit ge-nommen. Emil ging telefonieren, und ich machte mir so meine Gedanken. Wenn ich mich jetzt nicht blöd stellte, dann war ich mein ganzes Geld los, bevor die Reise richtig anfing. Und ich brauchte doch das Geld für die Straßensteuer sämtlicher Länder und für den Diesel usw. Ich fragte Ihn, womit ich denn den Diesel und die Straßensteuern bezahlen soll? Mit breitem Schweizerdeutsch bekomme ich die Antwort: Häsch amol din Lohn kriagt, odr! Das schon erwiderte ich, aber es kann doch nicht sein, das ich die-se Fahrt aus meiner eigenen Tasche bezahlen muß. Zudem bekäme er im Burgenland in einem Ort Namens Heiligenkreuz von einem Fahrer, der einen seiner Lkw`s im Nie-mandsland zwischen Rumänien und Bulgarien einfach abgestellt und verlassen habe, noch zweitausend Franken retour. Dann könne er mir die von mir bezahlte Straßen-steuer wieder zurückbezahlen.
Somit hatte er mich wenigstens ein bißchen beruhigt, denn ich begann wieder, an der ganzen Sache zu zweifeln. Doch die nächste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Anschließend gingen wir in das Grenzcafe, um unseren Durst zu stillen. Ich war immer noch hundemüde von der langen Fahrt. Hatte ich doch nur ein paar Stunden geschlafen. Meine Augen brannten und ich wollte nur noch schlafen. Emil saß mir ge-genüber und blickte ganz nervös auf seine Uhr. Dann erzählte er mir, daß wir auf Mar-cel warteten und er eigentlich schon längst hier sein sollte. Denn er fahre mit mir bis zur Grenze von Bulgarien. Dort, im Niemandsland, zwischen Rumänien und Bulgarien übernehme er dann diesen Lkw. Im selben Moment stand ein Mann an unserem Tisch, begrüßte uns und setzte sich zu uns. Emil stellte mich Marcel vor, dann unterhielten sich die beiden. Ich mußte auf das WC und verließ deswegen den Tisch. Länger als fünf Minuten war ich sicher nicht weg. Denn als ich wieder zurückkehrte, saß Marcel alleine am Tisch. Marcel erzählte mir, dass er schon über fünfzehn Jahre in den Orient fahre und er seit drei Jahren bei dieser Firma arbeite. Während ich Marcel ein bißchen über mich erzählte, sagte er auf einmal zu mir. „ Walter, trink aus, wir müssen los“. „Und wo ist Emil“? Fragte ich. „ Der ist schon unterwegs nach Hause“.
Wie ein Hammerschlag traf mich diese Antwort! Wieso hatte er sich von mir nicht ver-abschiedet? Er versprach mir doch, wenn wir in Heiligenkreuz sind, das ich von ihm die von mir bezahlte Straßensteuer zurückbekam. Und ich war der Meinung, dass ich mit Emil zusammen in den Orient fahren würde. Dieser Schuft von einem Chef hatte sich klammheimlich aus dem Staub gemacht, und ließ mich hier einfach zurück. Meine Stimmung sackte schlagartig in den Keller und wieder fragte ich mich, ob ich mich wohl richtig entschieden hatte.
Aber mein Grübeln wurde von Marcel unterbrochen, da er mich aufforderte auszutrin-ken. Wir gingen zu meinem Sattelschlepper, räumten die Sachen von ihm ein und fuh-ren los. Auf meine Frage, welche Route wir fahren sollten, machte mir Marcel den Vorschlag, die Tauern Autobahn bis Bischofshofen, dann Richtung Liezen zu fahren. Dann könnten wir Hans, der schwer verletzt im Krankenhaus lag, in Schladming besuchen. Ich freute mich, den armen Kerl endlich wieder einmal zu sehen.
Da ich immer noch nicht viel geschlafen hatte, ließ ich Marcel bis Schladming fahren, legte mich in mein Bett und schlief auch sofort ein. Aber ich wachte immer wieder auf, fing an zu grübeln, schlief wieder ein und wachte wiederum auf. Mein innerstes war einfach zu aufgewühlt um richtig schlafen zu können. Ich setzte mich auf den Beifah-rersitz und schaute total fertig in die Dunkelheit. Ohne daß ich Marcel aufforderte, be-gann er von sich zu erzählen. Er war so Mitte fünfzig, hatte graues, nach hinten ge-kämmtes Haar, und war ca. einen Meter siebzig groß und kam aus Basel. Seinem Re-den nach schloß ich, da er ein wenig stotterte und leise sprach, daß er wenig Selbstver-trauen haben mußte. Er zählte die Länder auf in denen er schon war, und das er keine Frau hätte. Was mich bei seinem Beruf auch nicht wunderte. Des Weiteren sagte er mir, daß er schwul war und meinte wohl, mir mitteilen zu müssen, daß er es auch schon mit Hühnern getrieben und daß er sich schon dreimal den Tripper eingefangen hätte.
Mein Lkw war gar nicht so breit, wie ich von diesem Saukerl weg sitzen wollte. Ich dachte nur noch, greif du mich bloß nie an! Ich war gerade einmal zwanzig Jahre alt und mein Chef ließ mich einfach mit einem über fünfzig jährigen kranken Typ, der es mit Tieren trieb und noch dazu schwul war alleine. Ich hätte kotzen können! Warum hatte ich mich nur entschieden diese Reise anzutreten? Wieder wollte ich nach Hause. Ich brachte kein Wort mehr heraus. Dann fragte mich dieser Sodomist noch, was mit mir los wäre. Ich bin einfach hundemüde und möchte schlafen, antwortete ich. Dann war auch er still. Gott sei Dank!
Schlafen konnte ich jetzt erst recht nicht mehr. Ich wußte überhaupt nicht mehr, wie ich diese ekligen Bilder aus meinem Kopf bringen sollte. Mir war richtig schlecht. Wie ich mit so einem kaputten Menschen vier Wochen zusammen verbringen sollte, war mir zu diesem Zeitpunkt wirklich noch ein Rätsel. Dann kam mir Hans wieder in den Sinn und ich kam dadurch auf andere Gedanken.

Fortsetzung folgt in Teil 2




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Tag der Veröffentlichung: 07.01.2010

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