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Vorworte

Whatever happend to all the fun in the world?

 

Frank Zappa, Sheik Yerbouti

1. Der Bär und ich – allein

Allein sein ist Scheiße. Jawohl. Das musste mal gesagt werden. Ganz unreflektiert und ohne doppelten Boden. Ohne Differenzierung, die ich so gut gelernt habe, zu beherrschen, und mit jeder Menge Maßlosigkeit. Jawohl, Maßlosigkeit. Es reicht mir, immer so elegant zu formulieren. Das klingt zwar besser, ändert aber am Gefühl nichts. Alleinsein ist Scheiße. Jawohl.


Der Bär ist auch allein. Der Bär jedenfalls, den ich mir jetzt vorstelle. Ja, ich darf mir jetzt einen braunen Bären vorstellen. Einen, der irgendwo in einem Wald lebt, vielleicht in Bayern, besser noch irgendwo zwischen Bayern, Österreich und Tschechien. So diese Art von Bär, die einen Scheißdreck draufgeben, wo grade mal wieder jemand eine Grenze hingesetzt hat. Grenzen sind für Menschen, dem Bären sind territoriale Begrenzungen scheißegal. Jawohl. Manchmal, so stelle ich mir vor, bereitet es dem Bären sogar ein diebisches Vergnügen, immer im Kreis zu laufen und dabei alle Grenzen zu überschreiten. Und zwar immer wieder. Jedenfalls sieht es von außen so aus. In Wirklichkeit, also in Bärenwirklichkeit, ich differenziere jetzt schon wieder, ach was soll´s, ist dem Bären das scheißegal. Bärenscheißegal. Jawohl.


Der Bär ist also auch allein, aber im Gegensatz zu mir ist ihm das scheißegal. Er macht einfach sein Ding. Sein Bärending. Er läuft so über Grenzen hinweg, bleibt mal stehen und mal wieder nicht. Hebt den Kopf und schnuppert und dann mal wieder nicht. Frisst was, trinkt was oder auch nicht. Und ab und zu erschreckt er Touristen. Aus dem jeweils anderen Land. Oder aus Afrika. Was ihn eigentlich verwundern könnte. Aber nein. Dem Bären ist auch der farbige Tourist richtig bärenscheißegal. Er macht einfach sein Ding und das zieht er durch. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahreszeit für Jahreszeit. Damit kommt er wegen der globalen Erwärmung in letzter Zeit zwar ein wenig durcheinander, aber das ist nur die Sicht von außen. So ein Bär ist nicht lange irritiert. Er sagt sich vielleicht so in sein Bärenfell hinein: »Hoppsa« oder »Nanu«, vielleicht auch ein bedächtiges »Tja«, aber in Wirklichkeit, ich meine in wirklicher Bärenwirklichkeit ist ihm auch das scheißegal. Er hat ja ein dickes Fell. Das bisschen Erwärmung, das bisschen Verdutzung der anderen Tiere in Flora und Fauna. Na und? Hallo, das ist ein Bär, der macht sein Ding. Ganz sinnig zieht er das durch. Und wenn er dann doch mal ne Bärin trifft. Na klar, dann macht er auch hier sein Ding. Sein großes Bärending. Das zieht er durch. Da kennt er nichts. Und dann wandert und streunt er wieder seiner Wege. Oder macht auch mal gar nichts und legt sich auf seine Bärenhaut.


Der Bär ist allein und ich bin allein. Ich find das Scheiße, dem Bären ist das scheißegal. Das liegt in Wirklichkeit alles daran, dass ich kein Bär bin. So ist das wohl. Tja.

2. Der alleinstehende Herr von nebenan

Der Herr, der neben mir im Mietshaus wohnte, war alleinstehend und sehr verdächtig. Das Merkmal »alleinstehend« macht ihn noch nicht verdächtig. Das sind ja heutzutage viele. Ich zum Beispiel auch. Schon seit Jahren. Auch dass er nicht grüßte, jedenfalls nicht so richtig, er nickte mehr wortlos, machte ihn noch nicht verdächtig. Auch dass er, anders als ich, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen schien, machte ihn noch nicht allein verdächtig. Und auch das beinahe klaglos und merkwürdig ordentliche Durchführen der von der Hausverwaltung geforderten Fege- und Wischarbeiten rief für sich noch keine Verdachtsmomente hervor. Ebenso wenig wie das Nichtvorhandensein jeglicher lauten Geräusche von nebenan. Selbst der Fernseher war kaum zu hören.


Dass der alleinstehende Herr von nebenan einen Fernseher besaß, wusste ich nur, weil ich einmal mit dem Horchrohr an seiner Tür im Treppenhaus gelauscht hatte. Etwas, was ich ansonsten nicht zu tun pflegte. Schließlich der fehlende Damenbesuch. Für sich genommen auch nicht unbedingt verdächtig. Ich hätte schon beinahe jedwede Verdachtsmomente ad acta gelegt, wenn nicht, ja, wenn nicht eines Tages - war es ein Mittwoch oder gar ein Freitag? Ich weiß es nicht mehr genau, denn meine Notizen sind hier sehr vage - wenn also nicht eines Tages diese Herren gekommen wären. Und sie kamen nicht nur einmal, nein, sie kamen immer wieder.


Diese Herren trugen alle Anzüge. Dunkle Anzüge, wie man sie in Filmen sieht. Keiner der Herren grüßte so richtig. Nur ein kaum merkliches Nicken, ähnlich dem meines alleinstehenden Nachbarn. Wie abgesprochen wirkte das, als ob hier eine verschworene Gemeinschaft zusammenkäme. Von innen vor meiner Haustür konnte ich das regelmäßige Erscheinen dieser Herren hören. Ein Klingeln. Ein Türöffnen unten. Ein Hochkommen. Ein Hereinlassen nebenan. Kaum weitere Geräusche.


Das wiederholte sich mehrere Male, genauer gesagt sechs Mal. Dann Stille. Zunächst. Dann hörte ich ein Murmeln, ein Raunen, ein durch den Raumgehen. Man hörte vermehrtes Klopfen und ein Rufen von Namen. Es klang beschwörend und flehend zugleich. Wie ein Ritual. »Was geht da vor sich in den Räumen meines alleinstehenden Nachbarn von nebenan«, fragte ich mich. Eine Vereinssitzung? Nein. Die Stimmung war eine andere. Das fühlte ich deutlich. Eine Glaubensgemeinschaft, die Templer, die Anonymen Alkoholiker? Schon eher. Doch trotz allen sektenhaften Gebarens, es war, so schien mir, doch etwas Anderes. Aber was?


Ich stand im dunklen Treppenhaus, vorsichtig angelehnt an die Türe meines Nachbarn und konzentrierte mich auf die Enthüllung des obskuren Geheimnisses. Plötzlich öffnete sich wie von Geisterhand die Tür des Nachbarn nach innen und ich fiel hinein. Und noch im Fallen realisierte ich, dass die Tür hinter mir geschlossen wurde und jemand das Licht im Raum dimmte. Ich saß in der Falle.


Ich schaute

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 31.01.2016
ISBN: 978-3-7396-3479-1

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