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Ruas de Salvador

Laut prasselt der Regen auf das Dach der Terrasse. Pedros Blick liegt auf dem schmalen Weg, der quer durch die Favela hinunter in die Stadt führt. Wasser sammelt sich in Rinnsalen und sucht sich einen Weg den Berg herunter. Es regnet seit gestern Abend ununterbrochen, alles ist nass und feucht, selbst die Luft ist es. Der Geruch von Regen und nasser Erde ist überall. Das Leben hat sich in die Häuser und Hütten zurückgezogen und man sieht kaum noch jemanden im Freien. Alle warten darauf, dass das Wetter wieder besser wird. In der Ferne hört Pedro eine Sirene, die immer näher kommt, es muss wieder irgend etwas im Viertel passiert sein. Sirenen, Schreie und hin und wieder einmal Schüsse, all das ist nichts Ungewöhnliches hier, und eigentlich hört er sie schon gar nicht mehr wirklich.

Gerade heute hat er nichts übrig für die Welt um ihn herum, sein Kopf ist so voll mit verwirrenden Gedanken, Gefühlen und Eindrücken. Er wartet auf eine Erkenntnis, und ist sich selbst nicht sicher auf welche. Vielleicht auf eine, die all seine Fragen beantwortet. Aber eines ist sicher, seit gestern ist alles anders als zuvor. Nur weiß er noch nicht, ob das gut oder schlecht ist. Schon solange er sich erinnern kann, lebt er hier mit seiner Mutter und seiner Oma, seinen Vater hat er nie kennengelernt.

Aber Diego kennt er schon immer. Seit er denken kann, waren sie Freunde und er immer an seiner Seite. Beste Freunde, aber nun ist es anders, oder doch nicht? Er weiß es selbst nicht mehr. Er weiß nicht einmal genau, was er gerade fühlt. Ärger auf Diego? Nein, das ist es nicht. Vielleicht Enttäuschung? Aber nein, das ist es auch nicht. Grübelnd sitzt er da, und geht den gestrigen Abend noch einmal Schritt für Schritt durch. Sie waren zum Sonnenuntergang am Praia Amaralina, mischten sich zwischen die Touristen, die den Abend am Strand verbrachten. Danach streiften sie ziellos durch die Straßen von Salvador, dort sind sie aufgewachsen. Hier kennen sie sich aus. Pedro hatte in seinem Rucksack eine Flasche Rum, die aber schon so gut wie leer war. Für jeden war noch ein großer Schluck darin. War es vielleicht der Alkohol? Aber nein, auch er war es nicht. Sie hatten zu wenig davon getrunken. Nein es war etwas anderes, etwas das schon lange im Dunkeln wartete und nun ans Licht gekommen ist. Ein Gefühl, ein Verlangen, oder beides. Sie waren in einem kleinen Park gewesen, nicht weit weg vom Strand. In einiger Entfernung kündigten helle leuchtende Blitze am Himmel ein herannahendes Gewitter an. Doch sie hatten es nicht eilig und saßen in dieser warmen Sommernacht lieber noch etwas im Gras und schauten ins Dunkel der Nacht. Ihre Gespräche drehten sich um Belangloses, und irgendwann lehnte sich Pedro wie so oft an Diegos Schulter. Es war völlig normal, dass sie die Nähe des anderen suchten, wenn sie alleine waren.

Nie kam ihm der Gedanke, dass das etwas Falsches ist. Doch an diesem Abend streichelte Diego mit seinen Fingern sanft über Pedros Gesicht, leicht wie ein Windhauch fühlte es sich auf seiner Haut an, er kam ihm langsam näher und küsste ihn. Ein unschuldiger Kuss, liebevoll und zärtlich. Pedro wehrte sich nicht, genoss nur die Liebkosung. Er sah im Licht des Mondes in die Augen, die er nur zu gut kannte. Schon seit längerem herrschte in ihm die Sehnsucht, immer in Diegos Nähe sein zu wollen.

Doch bis jetzt hatte er diese Gefühle stets auf ihre enge Freundschaft geschoben. Aber ihm wird mehr und mehr bewusst, dass er Diego nicht nur mag, sondern ihn auch immer hübscher findet. Er genoss es, wenn sie gemeinsam wichsten und er lieber zu Diego sah, statt auf das alte und zerfledderte Pornoheft, das sie vor langem an einem Kiosk in der Stadt geklaut hatten. Immer wieder trafen sich dabei ihre Blicke und hielten einander fest, tief sahen sie sich in die Augen, bis sie beide gekommen waren. Auch wenn er manchmal Abends alleine im Bett lag und ihn die Lust nicht schlafen ließ, legte er selbst Hand an sich und dachte dabei an das schöne Lächeln, den hübschen Körper von Diego. Wenn er dann fertig war, wünschte er sich nichts mehr, als bei ihm zu sein. Aber auch das tat er ab und wollte es nicht weiter beachten.

Doch jetzt ist es anders, Diego hatte ihn geküsst, von sich aus, einfach so geküsst! Ohne zu wissen, dass dieser Kuss bei Pedro versteckte Gefühle erwecken würde. Sie hatten nicht darüber geredet, der Abend ging einfach wieder seinen Gang. Aber in der Nacht, als Pedro alleine war, fingen die Gedanken an, sich immer weiter zu drehen, und auch am Morgen ist er mit ihnen kein Stück weiter gekommen. Nur eines war ihm klar, er musste unbedingt so schnell wie möglich mit Diego reden.

 

Pedro verdrängt mit einem Seufzen die Gedanken an den vergangenen Abend. Er sitzt da und wartet auf Diego. Aber es dauert noch eine ganze Weile, bis er endlich das ihm so bekannte Gesicht unter einem Regenschirm erblickt. Nur ihn wiederzusehen bringt sein Herz schon dazu, schneller zu schlagen. Doch mit jedem Schritt, den er näher kommt, steigt auch die Aufregung in ihm. Fragen, die er Diego gerade noch stellen wollte, verschwinden in den Wirren seines Kopfes. Aber als er das Lächeln sieht, stellt sich sofort ein wohlig warmes Gefühl in seinem Bauch ein. Es sind nur noch wenige Schritte, bis er bei ihm ist. „Olá Diego!“ ruft er ihm trotzdem schon zu. „Hi Pedro.“

Sie lächeln sich verlegen an und keiner von ihnen weiß, was er sagen soll, und so setzt sich Diego schweigend neben ihn. Es dauert eine Weile, bis Diego die Stille durchbricht „Ich will mit dir über gestern Abend reden.“ Seine Stimme ist brüchig und schwer. „Es gibt da etwas, was ich dir schon lange sagen will.“ Pedro lauscht den Worten und antwortet leise „Dann sag es... bitte, sag es.“ Diego rutscht mit dem Stuhl näher und nimmt die Hand von Pedro in seine und antwortet ihm: „Pedro, ich mag dich, ich mag dich so sehr. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr.“ Die Berührung und die Worte lösen bei ihm eine Gänsehaut aus. Jedes einzelne Wort findet den direkten Weg in sein Herz, und eine wohlige Wärme steigt in ihm auf. Er schaut in Diegos Augen und sieht darin eine Verzweiflung, die er so nicht von ihm kennt. Fest schließt er ihn in seine Arme und haucht leise in sein Ohr: „Eu também gosto de ti (Ich mag dich auch)“ Und beide beginnen zu weinen, aber nicht aus Trauer, nein aus Freude, sich zu haben. Aus Erleichterung, weil sie dieselben Gefühle für einander haben.

 

Sie sitzen immer noch dicht nebeneinander auf der kleinen Terrasse. Der Regen hat inzwischen aufgehört und erste Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die restlichen Wolken. Schon bald werden auch sie verschwunden sein. Die zwei sind tief in ihren Gedanken versunken, und Pedro ist der erste, der wieder etwas sagt. „Wenn es jemand hier erfährt, werden sie uns Mariques (Schwuchteln) nennen.“

Diegos Blick wandert bedrückt zu Boden. Sie wissen es beide, haben es schon oft hier gehört, wenn andere Jungs damit beschimpft wurden. Sie werden regelrecht verfolgt, werden beleidigt und geschlagen. Oder man tut ihnen noch schlimmeres an. Viele verschwinden einfach. Andere werden als Warnung tot liegen gelassen. Die Polizei kommt wegen so etwas nicht einmal ins Viertel, es sind ja nur Schwuchteln. Hier ist die Welt anders, hier herrschen eigene Gesetze und eines ist: Gib ihnen keinen Grund, dich zu hassen. Diego nimmt wieder seine Hand und hält sie ganz fest und schaut ihm dabei in die Augen. „Niemand hier darf es erfahren und irgendwann gehen wir weg von hier. Wir gehen zusammen weg, und suchen uns ein besseres Leben.“

Er sagt es mit so viel Überzeugung, dass Pedro sich sicher ist, dass er jedes Wort auch so meint, wie er es sagt. Jetzt, wo er in Diegos Augen diese Zuversicht sieht, will auch er daran glauben. Doch er sieht dort noch mehr, er sieht Liebe. Die Liebe, die Diego für ihn fühlt, und er hofft gleichzeitig, dass sein Freund auch die Liebe in seinen Augen erkennen kann. In diesem Moment glaubt er an so etwas wie Bestimmung. Vielleicht sind sie für einander bestimmt. Schon immer war Diego an seiner Seite, als Kinder haben sie eine tiefe Freundschaft gefunden, die jetzt zu Liebe geworden ist. Vorsichtig finden sich ihre Lippen, berühren sich nur leicht. Für beide ist das alles so neu und doch gleichzeitig so schön. All die Ängste und Zweifel, die in Pedro waren, sind von dem warmen Gefühl in ihm besiegt worden.

 

O amor venceu o temor dela

(Die Liebe hat ihre Furcht besiegt)

 

Die Stunden vergehen heute schneller als sonst, sie sind aufgebrochen, um durch die Straßen der Stadt zu ziehen. Nach außen sind sie immer noch nur Freunde, aber sie wissen, dass es mehr ist, und das alleine genügt ihnen. Der Abend kommt über die Stadt und sie sind noch immer unterwegs. Viele Leute begegnen ihnen, kaum hatte das Wetter sich geändert, hat das Leben auf den Straßen wieder begonnen. In den Bars wird laute Musik gespielt, die bis hinaus auf die Straße zu hören ist, und es liegt diese besondere Lebensfreude in der Luft, die wohl nur Brasilianer haben.

Sie ziehen weiter, bis sie irgendwann am Cidade Park ankommen. Auf einer kleinen Fläche mitten im Grün spielt eine Band, es ist ein altes Liebeslied. Sie setzen sich auf die Wiese und lauschen den Klängen. Hier, weit weg von ihrem Viertel, nimmt Pedro zum ersten Mal von sich aus die Hand von Diego. Hand in Hand sitzen sie im Gras, während der Sänger von einer großen Liebe singt.

Pedro spürt eine Leichtigkeit wie schon lange nicht mehr. Die Angst und Ungewissheit sind gerade ganz weit weg. Er fühlt sich auf einmal so erwachsen, so reif, so stark. Sein Blick liegt auf den Sternen, die heute besonders hell funkeln und sogar gegen das Licht der Stadt anleuchten. Leicht streichelt er über Diegos Hand, der daraufhin ganz dicht an seine Seite rutscht und den Kopf an seine Schulter legt. Pedro versinkt wieder in seinen Gedanken, fragt sich, ob sie beide es wirklich irgendwann einmal besser haben werden...

 

O que for que o futuro nos traga

(Was immer die Zukunft uns bringt...)

 

Ruas do Rio (1)

 Zum ersten Mal betritt er die kleine Wohnung im dritten Stock des alten Hauses. An vielen Stellen ist der Putz von den Wänden gefallen. Die Fliesen auf dem Boden haben unzählige Sprünge und Pedro versucht sich vorzustellen, was für ein schönes Haus dies einmal vor einer langer Zeit gewesen sein muss. Er erreicht die Haustür, über die er mit Diego gesprochen hatte. Unter einem Lappen, der vor der Tür liegt, findet er den Schlüssel so wie ausgemacht. Nur schwer lässt er sich in das Schloss stecken und herumdrehen. Mit einem tiefen Knarren öffnet sich die Tür schließlich und gibt ihm den Weg frei. In der Wohnung, die nur aus einem Zimmer besteht, sind nicht viele Möbel. In einer der Ecken liegt eine Matratze auf dem Boden. Neben ihr steht eine kleine Kommode. Eine der Türen wurde nur notdürftig mit einem Brett repariert. Ein kleiner Tisch mit zwei Plastikstühlen steht an einer der Wände. Es ist nicht viel und doch ist es mehr, als er sich je erhofft hätte. Er sieht sich weiter um. In einer Ecke ist die Küche, sie ist sehr einfach gehalten, aber es ist alles da, was man braucht. Eine Herdplatte, ein Kühlschrank und eine Plastikwanne zum Abspülen. Inmitten des Raumes bleibt er stehen, dreht sich mit einem Lächeln auf den Lippen um sich selbst. Das alles ist nun sein neues Zuhause, ein Zuhause zusammen mit Diego, nur für sie zwei.
Müde und erschöpft lässt er seine schwer bepackten Rucksäcke auf den Boden fallen. Es ist kein großes Gepäck, wenn man betrachtet, dass darin sein gesamtes bisheriges Leben steckt. Die Fahrt von Salvador nach Rio mit dem Bus hatte über einen Tag gedauert. Ein Flug wäre nicht bezahlbar gewesen. Doch das alles war er gerne bereit zu tun, nur um wieder mit Diego zusammen zu sein. Zu lange waren die Monate ohne ihn gewesen, obwohl er wusste, wofür Diego schon so lange vorher hierher gekommen ist. Er hatte über einen Freund seine Arbeit hier bekommen und doch hatte Pedro sich in Salvador sehr alleine gefühlt. Er geht zu einem der Fenster und blickt auf die Straße vor dem Haus. Leise sagt er zu sich selbst: „Rio, ich bin endlich hier.“ Und vor Freude sucht sich eine Träne ihren weg über sein Gesicht.

 

Noch immer ist er etwas traurig, dass Diego ihn nicht am Busbahnhof abgeholt hat und er sich auf eigene Faust hierher machen musste. Aber er hatte nicht frei bekommen und die Arbeit geht vor. Ist doch genau sie es, die ihnen das Leben hier ermöglicht. Und Pedro ist sich bewusst, dass auch er bald einen Job brauchen wird, vielleicht kommt er ja in derselben Fabrik wie Diego unter. Mit zwei Gehältern wird das Leben hier sicher leichter werden. Auf dem kleinen Tisch liegt ein Zettel, Pedro geht näher heran und liest, was darauf steht. Er lächelt, es ist eine Nachricht von Diego und er flüstert die Worte: „Bis heute Abend“.
Doch ist es noch nicht einmal Mittag und Pedro weiß nicht, was er bis zum Abend in der kleinen Wohnung machen soll. Er entschließt sich, sich etwas in der Umgebung umzusehen. Doch als er die letzten Stufen hinuntergeht und auf der Straße vor seinem neuen Zuhause steht, weiß er nicht, wohin er zuerst gehen soll. Die Viertel, für die Rio in der Welt bekannt sind, sind weit weg von hier. Es ist eine andere Welt, eine Welt für Leute mit Geld. Ipanema und Leblon sind Namen, die nach dem Zauber von Rio klingen, doch hier, wo sich kein Tourist verirrt, sieht es anders auch. Und dennoch ist er sicher, dass es auch hier vieles zu entdecken geben wird. Er findet einen kleinen Lebensmittelladen ganz in der Nähe der Wohnung. Einen Straßenmarkt, den er gleich durchstreift. Die angebotenen Waren sind in etwa dieselben wie in Salvador, zumindest kann er keinen großen Unterschied feststellen. Er sagt sich selbst immer wieder, dass jetzt alles besser wird. Zumindest wünscht er sich das ganz fest. Zu lange war die Zeit, bis sie alt genug waren, um zu gehen. Seine Mutter hatte geweint, doch er konnte keine Rücksicht mehr darauf nehmen. Er hat ihr auch nicht die wahren Gründe genannt, sie hätte sie eh nicht verstanden. Ob sie von ihm und Diego wusste, war er sich nicht sicher, seine Mutter war keine dumme Frau. Selbst wenn, hatte sie es nie erwähnt. Vielleicht schämte sie sich für ihn?
Vieles war schwer in den letzten drei Jahren, doch wusste er immer, dass er an die Seite von Diego gehört. Mit ihm würde irgendwann alles besser werden, und jetzt sind sie beide hier.

Auf seinem Weg durch den Stadtteil hat er alles gefunden, was man zum Leben braucht, und er ist zufrieden über Diegos Entscheidung, diese Wohnung zu nehmen. An einem kleinen Park legt er eine Pause ein. Von einer Bank aus beobachtet er die Menschen um sich. Sieht zu, wie ein Eisverkäufer mit einen kleinen Wagen durch den Park zieht. Wie zwei ältere Menschen ein Brettspiel spielen und dabei lauthals lachen. Er muss bei dem Gedanken schmunzeln, als er sich vorstellt, wie er und Diego in vielen Jahren auch in einem Park wie diesem sitzen und womöglich etwas spielen wie die zwei Alten. Ja, mit Diego alt werden, kann er sich gut vorstellen. Nach einer Weile meldet sich seine Blase und so begibt er sich auf die Suche nach einer Toilette. In einer Ecke des Parks findet er ein öffentliches WC. Neben der Tür steht ein Junge. Vielleicht etwas jünger als Pedro, aber von einer Schönheit, die er so noch nicht gesehen hat. Pedro ist nicht sehr religiös, aber so müssen wohl Engel aussehen. Der Fremde hat weiche Gesichtszüge, kurzes, leicht lockiges schwarzes Haar und Augen, die so tief und zugleich mysteriös wirken, dass man sich darin verlieren möchte. Er gefällt ihm, doch er beachtet ihn nicht weiter und geht in das kleine Häuschen hinein. Der Raum ist unbeleuchtet und nur durch ein kleines Fenster strömt etwas Tageslicht hinein. Eine Wolke üblen Geruches kommt ihm entgegen, kein Ort, an dem man länger als nötig verweilen möchte. Als er sich an das Pinkelbecken stellt, öffnet sich die Tür hinter ihm und über seine Schulter hinweg sieht er den hübschen Jungen hereinkommen. Obwohl es mehrere Pissoirs gibt, stellt der Fremde sich direkt neben Pedro.
Als er fertig mit Pinkeln ist, wagt er doch einen Blick in Richtung des Jungen. Dieser steht noch immer unverändert neben ihm. Doch ist er nicht am Pinkeln, wie Pedro es glaubte, sondern ist dabei sich selbst zu streicheln. Pedro ist einen kurzen Moment über die Dreistigkeit des Kleinen schockiert und doch können sich seine Augen nicht mehr von dem Anblick lösen. Er spürt, wie das, was er da sieht, ihn erregt und beginnt sich selbst anzufassen. Der Junge bekommt es mit und ihre Blicke treffen sich. Sie sehen sich gegenseitig zu, und als der Junge zu ihm herübergreift und mit festem Griff anfängt, auch ihn zu streicheln, lässt er es zu. Seine Vernunft und sein Verstand sind zu sehr abgelenkt von dem, was hier gerade passiert. Zu lange ist es her, dass jemand anders als er selbst ihn so berührt hat. Während sie noch immer Blickkontakt halten, bringt der Junge sie beide näher an ihren Höhepunkt heran. Kurz darauf kommt der hübsche Engel zuerst und gleich danach auch Pedro. Der Blickkontakt bricht ab und der Junge holt aus einer Hosentasche ein Taschentuch. Erst reinigt er sich selbst und gibt es danach Pedro. Während dieser sich auch sauber macht, geht der andere zum Waschbecken, wäscht sich die Hände und verlässt wortlos das WC. Auch Pedro macht sich fertig und verlässt diesen Ort. Er ist über sich selber etwas geschockt, so leicht und schnell hat er sich seinen Trieben hingegeben. Würde er den kurzen Spaß jetzt bereuen? Ja, vielleicht tut er das. Noch immer herrschen verschiedene Gefühle in ihm. Er ist so in Gedanken versunken, dass er nicht bemerkt, dass er fast in eine Gruppe von Männern gelaufen wäre, die neben dem Weg zum Klo stehen. Grimmig schauen sie ihn an, doch er entschuldigt sich und geht weiter. Seine Gedanken kreisen so sehr, dass er nicht bemerkt hat, dass er zu früh abgebogen ist und sich in dem Gewirr aus Straßen verlaufen hat. Er sucht nach jemanden, den er fragen kann, doch die Straße ist menschenleer. So versucht er selbst den richtigen Weg zu seinem neuen Zuhause wieder zu finden.
Als er Schritte hinter sich hört, die schnell näher kommen, überkommt ihn ein ungutes Gefühl. Doch noch bevor er sich umdrehen kann, reißt ihn ein gewaltiger Schmerz nieder und er stürzt zu Boden. Sein Kopf schmerzt und etwas Warmes läuft über sein Gesicht. Als er hinlangt, sieht er, dass es Blut ist. Eine Stimme schreit ihn an: „Maricas desgraçado! (Blöde Schwuchtel!)" Und ein weiterer Schlag trifft Pedro in die Seite. Wieder brüllt jemand: „Keine Angst, Schwuchtel, um deinen kleinen Freund aus dem Klo kümmern wir uns auch noch."

 

Dann schallt ein einzelner lauter Schuss durch die Straßen von Rio.

 

~*~

 

Diego kann es kaum erwarten nach der Arbeit nach Hause zu kommen. Heute, wo er seinen Liebsten nach so langer Zeit wiedersehen wird. Zu lange waren sie voneinander getrennt. Hastig rennt er die Treppen hoch, bis er die Haustür erreicht. Nervös schließt er die Tür auf und ruft in die Wohnung: „Mein Pedro, ich bin jetzt hier.“

 

Doch niemand antwortet ihm.

Impressum

Texte: Moritz Berg
Bildmaterialien: Cover Caro Soda - pixabay
Lektorat: Chris McKay
Tag der Veröffentlichung: 19.10.2014

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