Es war kalt und sie war sich nicht mehr sicher, ob sie wirklich das Richtige getan hatte. Sie zog ihren Pullover enger um ihren Körper und ging zügig weiter. Wohin wusste sie nicht. Sie wollte einfach weg. “Mist, warum hab' ich meine Jacke nicht eingepackt. Ich hätte das alles besser planen sollen. Wäre es nicht so eskaliert, dann hätte ich auch mehr Zeit gehabt.” Sie fror und zu allem Überfluss fing es auch noch an zu regnen. Elena kannte sich im Wald nicht aus, aber eine andere Möglichkeit gab es für sie nicht. In der Stadt würde man sie direkt erkennen und zurückbringen. Das war das Letzte was sie wollte. Sie seufzte und schlug das Grünzeug bei Seite, das ihr den Weg versperrte. Ihr Magen knurrte und einfach nichts war zufriedenstellend. “Irgendwie sollte das anders laufen”, dachte sie und gönnte sich eine Verschnaufpause auf einem abgebrochenen Baumstamm. Elena sah auf die Uhr und stellte fest, dass es inzwischen schon 23:30Uhr war. Der Regen wurde zusehends stärker und sie war frustriert. Sie stand wieder auf, streckte sich und sah sich in der Gegend um. Die alten, hohen Bäume schienen fast kein Ende zu nehmen. Für Elena wäre es unmöglich gewesen, sie zu erklimmen. Aber auch auf dem Boden war es nicht einfacher. Dichte Gräser, Büsche und andere Pflanzen wuchsen dort miteinander verschlungen und versperrten die meiste Zeit den Weg. Mit viel Mühe und Not kämpfte sie sich Meter für Meter weiter. Viele Male blieb sie schon mit dem Fuß an einer Wurzel hängen oder hatte sich in irgend einer, ihr unbekannten Pflanze, verfangen. Ihre Beine und Hände sahen geschunden aus, aber sie ließ sich nicht unterkriegen. Hätte sie doch nur gewusst, dass sie die Stadt meiden muss, dann hätte sie sich alles zweimal überlegt. Jetzt war es zu spät. Ein Zurück gab es nicht mehr. Es war dunkel, aber der Mond und die Sterne reichten aus, um das Nötigste zu sehen. Sie fühlte sich unwohl. Plötzlich hörte sie Schritte. Elena duckte sich ins dichte Grün und wartete ab. Die Schritte kamen näher, dann hörte sie auch Stimmen.
Eine tiefe dunkle Stimme sagte lachend: “Na, da waren wir ja wieder erfolgreich. Die Menschen sind aber auch wirklich dämlich. Fast schon komisch wie sie versuchen, sich zu wehren” Der Andere stimmte ins Lachen mit ein und erwiderte: “Ach Louis, aber du hast mal wieder übertrieben. Wieso reißt du denen immer die Arme aus? Das muss nun wirklich nicht sein. Das ganze Blut überall. Immer hinterlässt du eine Sauerei.” Es sollte tadelnd klingen, aber es war nicht zu überhören, dass er es lustig fand. Louis' Lachen schallte durch den Wald “Der Gesichtsausdruck ist aber immer wieder sehenswert”
Elena kauerte weiter im Gebüsch und ihr schoss nur ein Gedanke durch den Kopf: “Dämonen!” Ihr Puls schnellte in die Höhe und sie spürte die Angst in sich wachsen. Sie wusste, dass es Dämonen gab und dass sie immer wieder Menschen angriffen. In der Schule hatten sie das Thema viele, viele Male durchgenommen. Wie sie aussahen, wo sie herkamen, wie sie lebten und welche schrecklichen Monster sie seien. Ihre Eltern hatten aber immer dafür gesorgt, dass sie nie mit welchen in Kontakt kam. Wohl behütet wuchs sie in dem großen Herrenhaus auf. Es gab nur eine Erinnerung an Dämonen. Damals war sie 5 Jahre alt und mit ihrer Mutter auf dem Markt unterwegs. Viele Menschen hatten sich auf dem großen Platz versammelt und ein Mann stand in der Mitte des Gedränges und verkündete voller Stolz, was mit seinem “Fang” als Nächstes geschehen würde. Elena war damals neugierig. Sie riss sich von der Hand ihrer Mutter los und drückte sich durch die vielen Beine der Umherstehenden. Als sie vorne ankam war sie überrascht. Dort stand gefesselt eine, für sie, junge menschliche Frau. Auf den ersten Blick zumindest, doch der Schein trug. Bei genauerem Hinsehen sah Elena dünne, lederne Flügel, die aus ihrem Rücken wuchsen. Kleine spitze Hörner traten aus ihrer Stirn und ihre Augen schienen durch und durch böse. Die Dämonin erblickte sie, fletschte die Zähne und knurrte sie laut an. Es war ein tiefes Grollen und überhaupt nicht das, was man bei diesem zierlichen Körper erwartet hätte. Elena zuckte zusammen, suchte panisch nach ihrer Mutter und lief kreidebleich und weinend zu ihrer Mutter zurück. Hinter ihr hallte das laute, herzhafte Lachen der Dämonin, die den Anblick der Kleinen genossen hatte. Daraufhin plagten sie über mehrere Wochen Alpträume und ihre Eltern schworen sich, dass Elena so etwas nie wieder sehen musste.
Louis und Malik sprachen weiter und Elena konzentrierte sich darauf, möglichst ruhig zu atmen und nicht auzufallen. Louis und sein Begleiter kamen immer näher. Kurz vor Elenas Versteck blieben sie stehen. Louis rümpfte die Nase und schnupperte in die Luft: “Malik. Riechst du das?” Elenas Magen verkrampfte sich. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn diese Kreaturen sie entdeckten. Malik konzentrierte sich, schüttelte dann aber den Kopf: “Ich rieche nichts. Was meinst du denn?” Louis zuckte mit den Schultern: “Hast du Schnupfen? Hm, aber wahrscheinlich hab ich den Geruch von vorhin noch in der Nase. Ich dachte, ich hätte einen Menschen gerochen” Malik lachte: “Schau' dich doch mal um. Wir sind mitten im Wald. Hier wird sich wohl kein Mensch ‘rumtreiben. Los! Lass uns weiter gehen.” Elena hielt den Atem an und hoffte, dass die Beiden weiter ziehen würden ohne sie zu bemerken. Von ihrer Position aus, konnte sie die Beiden jetzt genau erkennen. Der, der sich Louis nannte, war ungefähr 2,10 Meter groß, trug die dunklen, fast schwarzen, Haare kinnlang und hatte die für Dämonen typischen mattschwarzen Augen. Er war stämmig und wirkte fast so breit, wie groß. Hinzu kam seine hässliche, viel zu große und krumme Nase, die sein Gesicht schmückte. Das Auffälligste an ihm waren jedoch die zwei dunklen, etwa 30cm langen Hörner, die in einer Welle nach hinten wuchsen. Sie sprossen aus seiner Stirn, kurz unter dem Haaransatz. Elena war sich sicher, diesem Dämon wäre sie lieber nicht begegnet und erst recht nicht nachts im Dunkeln. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie viele kleine Narben in seinem Gesicht und wenn Elena einen hässlichen Dämonen hätte beschreiben müssen, dann hätte sie ihn so beschrieben. Malik war um einiges unauffälliger. Er trug denselben Mantel und die schweren Stiefel, war aber nur geschätzte 1,80m groß. Haare hatte er keine. Er war ebenfalls so breit, wie groß. Doch bei ihm wirkte es noch lange nicht so muskulös. Eher gesetzter. Sonst hätte er, bis auf seine merkwürdige Hautfarbe, die Elena nicht zu definieren wusste, auch als dicker Mensch durchgehen können. Blasses Violett kam der Hautfarbe am nächsten. Zumindest sah es im dunklen Mondlicht danach aus. Elena musterte die Zwei weiter und betete, nicht gesehen zu werden. Malik setzte sich wieder in Bewegung und Louis, sich am Kopf kratzend und verwirrt blickend, folgte ihm. Eigentlich täuschte sein Geruchssinn ihn nie, aber er hatte niemanden gesehen und konnte sich auch nicht vorstellen, hier auf einen Menschen zu treffen. Beide verschwanden aus Elenas Sichtfeld, doch erst viel später traute sie sich wieder zu atmen. Erleichtert atmete sie aus und war dankbar, nicht gesehen worden zu sein. Sie beschloss, trotz des Regens und des Windes, dort sitzen zu bleiben. Zu groß war die Angst, wieder auf die beiden zu treffen. Erst jetzt bemerkte sie, wie müde sie inzwischen war. Sie versuchte, es sich in diesem ungemütlichen Stück Wald einigermaßen gemütlich zu machen. Als sie eine etwas angenehmere Position fand, schlief sie langsam ein. Zwei Stunden später uferte der Regen in ein tosendes Gewitter aus und Elena wurde unsanft von den Wassermassen geweckt. Sie sah sich um und hoffte, dass die Luft inzwischen rein war. Langsam stand sie auf und streckte die müden Knochen. “Ich muss einen Unterschlupf finden. Ich werde todkrank, wenn ich hier sitzen bleibe”
Ziellos stapfte sie in eine Richtung los. Den Rucksack über den Kopf haltend stolperte sie durch das Gebüsch. Den Rucksack als Regenschutz hätte sie sich aber sparen können. Ihre Kleidung klebte eng am Körper. Der Pullover störte mehr, als dass er ihr Wärme spendete und die nasse Hose erschwerte jeden Schritt. In der Ferne sah sie eine alte Ruine mitten im Wald stehen. Sie ging langsam drauf zu und sah sich um. Wahrscheinlich lebten hier auch viele wilde Tiere. Die Ruine schien einmal ein kleines Steinhaus gewesen zu sein. Das Dach war zur Hälfte abgedeckt und die Wände standen auch nicht mehr komplett. Viele verschiedene wilde Pflanzen wuchsen an dem losen Mauerwerk entlang und es hatte fast etwas Gemütliches. Im Sonnenlicht würden die vielen verschiedenfarbigen Blüten wahrscheinlich wunderschön aussehen. Jetzt, im Mondlicht, hatte das Ganze aber etwas geheimnisvolles. Es war das Beste, was sie in den letzten Tagen gesehen hatte, und vielleicht konnte man dort auch mehrere Tage verbringen. Sie wollte gerade aus dem schützenden Grün treten, als ein Gebrüll sie innehalten ließ. "Ich habe euch gesagt, ich möchte nichts mehr mit euch zu tun haben. Richtet meinem Vater aus er soll aufhören, seine Leute nach mir zu schicken!”, brüllte eine männliche, tiefe und sehr bedrohliche Stimme. Elena konnte nicht erkennen von wem es kam, aber sie war sich sicher, mit dieser Person war nicht zu spaßen. Eine dünne weibliche Stimme antwortete ängstlich: “Aber Herr. Euer Vater verlangt nach Euch. Überlegt es euch doch noch einmal” Es klang schon fast flehend. Elena war sich bewusst, dass sie eigentlich hätte fliehen müssen, doch die Neugier war zu groß. Sie wollte wissen wer da sprach. Nachdem sie leise durch das Unterholz schlich, konnte sie die Personen deutlich erkennen. In dem Moment wurde ihr klar: sie hätte flüchten sollen. Ein paar wenige Meter entfernt stand eine zierliche, kleine Frau, aber eindeutig dämonischer Herkunft. Die Angst war ihr ins Gesicht geschrieben. Ihr gegenüber stand ein junger Mann. Zumindest sah er jung aus, bei Dämonen musste das aber nichts heißen. Er war weder groß, noch klein. Sie schätzte ihn vielleicht auf 1,75m. Schwarze Haare, standen ihm wirr vom Kopf ab. Durch die zotteligen Haare schienen zwei kleine Hörner. Sie fielen kaum auf. Er war sehr wütend. Sein Gesicht war vor Zorn verzerrt doch schien es makellos zu sein. Er hatte dieselben dunklen Augen, aber Nase, Augen und Mund passten proportional zusammen. Sein schwarzer Mantel verhüllte seine Statur. Elena vermutete, dass er athletisch war. Sie erschrak, als ihr Blick auf seine großen schwarzen engelsgleichen Flügel fiel. Es war absurd sie als engelsgleich zu bezeichnen, schließlich stand dort eindeutig ein Dämon, aber dennoch fiel ihr kein anderer Vergleich ein. Zu schön waren diese dunklen, gleichmäßigen, weichen Federn. Er schrie die Frau an: “Was gibt es an einem Nein nicht zu verstehen?” Die Frau zitterte, aber scheinbar war die Angst, ohne in zurückzukommen, größer. So versuchte sie einen weiteren Versuch: “Herr, bitte. Ich flehe…” Sie konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, da hatte er sie an der Kehle gepackt und in die Luft gehoben. Ein tiefes Knurren kam aus seiner Kehle und er funkelte sie scharf an. Jetzt sprach er ganz ruhig und ohne jegliche Wut in seiner Stimme: “Ihr solltet besser lernen, wann es Zeit ist zu gehen. Da Ihr es aber scheinbar nicht wisst, werde ich Euch behilflich sein” Die Frau versuchte, sich frei zu strampeln, aber er hielt sie unerbittlich fest. Er warf sie mit Schwung gegen einen Baum, gegen den sie mit einem lauten Donnern knallte. Vereinzelte Blätter rieselten auf sie hinab und kamen neben ihr am Fuß des Baums zum Liegen. “Nein heißt Nein”, sagte er ruhig, ging einen Schritt auf sie zu und zog ein Messer. Er packte sie erneut an der Kehle und drückte sie gegen den Baum. Der Regen sorgte dafür, dass ihm die Haare inzwischen nass am Kopf klebten und vereinzelte Tropfen rannen ihm über das Gesicht. Die Dämonin hatte vor Schreck weit aufgerissene Augen. Dadurch schienen ihre Augen überproportional groß und passten nicht mehr in ihre zierliches, schmales Gesicht.. Das Messer hielt er drohend vor ihr: “Richtet meinem Vater aus, er solle endlich aufhören, nach mir zu schicken” Die Dämonin sah ihn an und versuchte zu nicken. Er ließ von ihr ab. Scheinbar froh, lebend davongekommen zu sein, rappelte sie sich auf und verschwand im dunklen, schützenden Wald.
Gebannt und geängstigt von der Situation war Elena in eine Schockstarre verfallen. Als sie der Dämonin nachsah, sammelte sie sich wieder. Angst stieg in ihr hoch. Sie wollte ebenfalls wegrennen. Langsam machte sie einen Schritt zurück, in der Hoffnung, unauffällig weglaufen zu können. Beim zweiten Schritt zurück stolperte sie über einen Ast und mit einem kurzen, erschrockenen Aufschrei fiel sie zu Boden. Sie landete auf weicher, matschiger Erde. Ihr Fuß schmerzte und ihr schoss nur ein Gedanke in den Kopf: “Er wird mich töten” Der Dämon drehte sich blitzartig zu ihr um. Das Messer noch in der Hand haltend, warf er ihr einen wütenden Blick zu.
Dann bewegte er sich auf sie zu.
Den Kopf in den Nacken gelegt starrte er in die Luft. Der Wind rauschte leise durch die Bäume und durch einige Lücken in den Baumkronen konnte er die Sterne sehen. Er liebte die Sterne. Sie wirkten beruhigend, immer gleichmäßig, sich nie verändernd. Froh, diesen Ort der Ruhe gefunden zu haben, schloss er die Augen und genoss die Stille. Immer wieder drifteten seine Gedanken zu diesem einen schrecklichen Tag ab. Es fühlte sich an als wäre es gestern gewesen. Er spürte, wie die Wut in ihm aufstieg und versuchte, sie wieder herunter zu schlucken.
An diesem Tag hatte er völlig die Beherrschung verloren. Seine ganze Trauer kanalisierte sich in unbändige Wut. Er zog durch die Stadt und erinnert sich nicht mehr daran, wie viele Menschen und Dämonen er in dieser Nacht tötete. Er streifte orientierungslos und ohne Ziel durch die Straßen. Er war blind vor Wut und es war ihm egal, wer ihm vor die Füße lief. Mann, Frau, Kind, Dämon, Dämonin. Jeder starb, ohne Erbarmen, einen schnellen Tod. Damian wusste auch nicht mehr, wie lange er so wütete. Irgendwann erfuhr sein Vater von seinem Treiben und schickte seine Wachen los, um seinen Sohn zu bändigen. Sie schleppten ihn ins Verlies des Schlosses und ließen ihn dort, bis er sich wieder beruhigte. Es war die schlimmste Zeit seines Lebens. Er brauchte lange, bis er sich wieder im Griff hatte. Zum Glück waren die Kerker spärlich eingerichtet, so war der Schaden, den er anrichtete, nicht allzu groß. Wie lang er dort war wusste er ebenfalls nicht. Diese unbändige Wut und die grenzenlose Trauer nahmen ihm jegliches Zeitgefühl. Irgendwann ließ sein Vater ihn wieder aus dem Kerker, doch verbat er ihm, das Schloss jemals wieder zu verlassen. Eine Weile störte es ihn nicht, aber irgendwann reichte es ihm. Alle gingen ihm aus dem Weg. Selbst die Wachen mieden ihn. Darüber war er eigentlich froh. Jeder, der ihm über den Weg lief, musste unter seiner schlechten Laune leiden. Bis heute hat er den Tod seiner Geliebten nicht überwunden. Claire war alles für ihn. Alles.
Er strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und richtete sich langsam auf. Die Luft war kühl und feucht. Es würde jeden Moment anfangen zu regnen. Müde streckte er Flügel und Glieder und sah über die kaputte Mauer hinweg in den Wald. Tiere spürten seine Anwesenheit und machten einen Bogen um das alte, verfallene Haus. Tiere hatten, wie Dämonen, einen Sinn für Übernatürliches. Menschen waren davon aber Meilen weit entfernt. Er schmunzelte. Der Gedanke, wie simpel Menschen gestrickt sind, amüsierte ihn. Langsam verließ er seine Unterkunft und ging in den Wald. Damian hielt sich jetzt schon eine Weile in den Wäldern auf und kannte sie inzwischen gut. Sein Weg führte ihn geradewegs an seinen Lieblingsplatz: eine kleine Lichtung. Die Lichtung umfasste zirka einen Durchmesser von acht Meter. Die Wiese war übersät mit tausenden von kleinen, zartblauen Blumen und die Bäume waren hier ein wenig kleiner und schienen von der Mitte der Lichtung weg zu wachsen. Als hätten sie gewollt, dass dieser schöne Ort hier entsteht. Nur ein großer, knorriger Ast von einem alten, großen Baum wuchs mitten in die Lichtung hinein. Der Ast war groß und massiv und Damian saß gerne darauf. Hier konnte er die Beine baumeln lassen und war dem Himmel ein Stück näher. Er trat durch die dichten Büsche auf den freien Platz und sah sich kurz um. Er sah zu dem Ast hinauf, entschied sich dann aber für das weiche Gras. Er ließ sich nieder, zupfte in Gedanken versunken einzelne Grashalme aus und drehte sie zwischen den Fingern. Er könnte Tage, Wochen, Jahre lang allein sein, ohne, dass ihm etwas fehlen würde. Es gab nichts mehr, was er sich wünschte. Er wäre den Umständen entsprechend zufrieden, wenn sein Vater nicht dauernd Boten nach ihm schicken würde. Wobei es ihn wunderte, dass sein Vater ihn zurückholen wollte und nicht direkt töten ließ. Sein Abgang war nun mal nicht der Feinste. Bei der Erinnerung lachte er leise. Auch an den Moment erinnerte er sich ziemlich genau, wobei dieser auch schon geschätzte 230 Jahre zurücklag.
Eines Tages hatte er wieder ein Stimmungstief. Eine Wache war seiner Meinung nach unverschämt und ohne große Vorwarnung streckte er diese nieder. Seinem Vater missfiel das und er ließ Damian in den großen Speisesaal rufen. Der Speisesaal war ein großer Raum mit einer Tafel, die übertriebener nicht sein konnte. Sie saßen meistens nur zu zweit dort, hatten aber Platz für dreißig weitere Gäste. Der Saal war aus Granit gemauert und an den Wänden hingen große, goldene, von Hand gewebte Teppiche. Zu dem war der Saal mit vielen Kerzen und Kronleuchtern ausgestattet. Egal in welchem Jahrhundert sie sich gerade befanden, sein Vater ging kein Stück mit der Zeit. Nur zwei Dinge sah er mit der Zeit ein. Er wechselte damals von seiner Lehmbehausung zu diesem sagenhaften Schloss aus Granit und die weit oben liegenden Öffnungen, die als Fenster dienten, ließ er, nach Erfindung der Glasfenster, verglasen. Es sah merkwürdig aus und brach den Stil, aber der Raum war seit dem wesentlich angenehmer. Es zog nicht mehr und es war im Gesamten wärmer. Damian wusste, worauf es hinaus laufen sollte, als er den Saal betrat und er hatte Recht. An der Tür waren Wachen postiert. Sie sollten zur täglichen Sicherheit dienen, aber Damian nahm sie mehr als Bedrohung war. Die zu Beginn harmlose Unterhaltung uferte schnell in eine Diskussion aus. Selbst der Wortlaut war ihm noch im Gedächtnis geblieben. “Damian! So kann es nicht weiter gehen. Deine Stimmung erträgt niemand hier”, sprach sein Vater streng, aber in gemäßigter Lautstärke. Damian zuckte nur mit den Schultern und antwortete desinteressiert: “Meine Stimmung kann euch allen egal sein”, dabei sah er sich im Saal um und blieb vor einer frisch polierten Rüstung stehen. Diese musterte er, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. Seinem Vater gefiel es nicht, wenn sein Sohn so mit ihm sprach. Er wurde wütend: “Reiß' dich zusammen. Du schlägst gegen deine eigene Rasse, deine Herkunft. Und alles wegen einer Menschenfrau, die nun seit vielen Jahren tot ist.” Damian wandte sich seinem Vater zu und funkelte ihn böse an. Er fand es widerwärtig, wie verächtlich er das Wort “Menschenfrau” ausspuckte. Für ihn war es nicht irgendeine Menschenfrau. Und wenn viele Jahre vergangen waren, war es für ihn nur eine kurze Zeit. Er ging auf seinen Vater zu, packte ihn am Kragen und starrte ihm bedrohlich in die Augen: “Wage es nie wieder, so verächtlich über sie zu reden. Das steht dir nicht zu.” König Kerogan erwiderte den starren Blick, schien sich aber scheinbar nicht beeindrucken zu lassen. Seinen Wachen im Hintergrund machte er deutlich, sich herauszuhalten. Er sprach jetzt wieder ruhig mit seinem Sohn: “Damian, vergiss nicht, mit wem du hier sprichst. Ich bin nicht nur dein Vater, ich bin der König. Besser lässt du mich jetzt los. Sonst vergesse ich ganz schnell, dass du mein Sohn bist.” Damian grinste verächtlich: “Steck' dir deinen König sonst wohin.” Er ließ ihn mit einem Stoß los, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Saal. Er ging nur kurz in seine Gemächer, packte seine wichtigsten Sachen und verließ das Schloss. Seitdem sandte sein Vater regelmäßig nach ihm. Jeden Boten hatte er getötet oder zurückgeschickt. Warum sein Vater nicht aufgab verstand er nicht. Es war ihm aber auch egal.
Eine Eule schrie im Wald und holte Damian ins Jetzt zurück. Der Mond schien hell und warf lange Schatten auf die Lichtung. In Gedanken versunken hatte er einige Grashalme ausgerissen, die jetzt zu einem kleinen Haufen getürmt neben ihm lagen. Er sah in den dunklen Wald und war erleichtert, nichts und niemanden zu sehen. Er überlegte, was er als Nächstes machen könnte und dabei wurde ihm bewusst, dass er einige Tage nichts mehr gegessen hatte. Er überlegte, ob er am nächsten Tag eine kleine Tour in Stadt machen sollte. Eigentlich mied er die Zivilisation, aber in größeren Abständen musste er etwas essen und die Menschen kochten gar nicht so schlecht. Leider kam er nie ohne Gewalt daran, aber er sah es als der Menschen Schuld. Er wäre bereit gewesen, wie jeder Andere, zu bezahlen. An Geld mangelte es ihm nicht, aber die Menschen ließen ihn gar nicht zu Wort kommen und griffen ihn direkt an. Seit einigen Jahren versuchte er es also gar nicht mehr. Einige Minuten verbrachte er damit, genauer über die Tour in die Stadt nachzudenken, als wie vorhergesehen die ersten Tropfen fielen. Damian stand gemächlich auf und machte sich auf den Weg zurück zu seiner Unterkunft. Er wusste nicht, wie sein Leben weitergehen sollte. Er machte sich einfach keine Gedanken. Es würde ihn schon irgendwohin verschlagen und wenn nicht, dann war das auch in Ordnung. Der leichte Regen ging in ein starkes Gewitter über, als er an seinem Haus ankam. Zum Glück hatte es noch ein Teil seines Daches, so gab es auch durchaus trockene Stellen. Er hatte Decken auf dem Boden ausgebreitet und machte es sich, soweit möglich, gemütlich. Die Kälte machte ihm nichts und auch der Regen störte ihn nicht, aber im Trocknen fand er es einfach angenehmer. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und überlegte kurz, ob er ein Feuer machen sollte. Den Gedanken verwarf er aber schnell wieder. Es wäre zu viel Aufwand, dafür, dass er es nicht bräuchte. Die Augen geschlossen lauschte er den fallenden Tropfen. Das gleichmäßige Prasseln hatte eine beruhigende Wirkung. Nach und nach bildeten sich kleine Pfützen in seiner Behausung, aber dort wo er saß blieb es trocken. Die Augen wieder geöffnet, sah er sich ein wenig um und malte sich aus, wie er die Hütte wieder in Schuss bringen könnte. Er hatte nicht vor, diesen Ort so schnell wieder zu verlassen, daher konnte er auch Zeit und Arbeit investieren um die Hütte wieder aufzubauen. Die Idee gefiel ihm. Er nahm es sich direkt für den nächsten Tag vor, sobald es wieder trocken war. In Gedanken versunken, wo er welches Material am besten herbekäme und verwenden könnte vernahm er plötzlich ein Geräusch, das nicht in den Wald gehörte. Er konzentrierte sich auf die Gerüche in der Umgebung. Die Luft veränderte sich. Es war so fein, dass nur Dämonen es wahrnehmen konnten. Menschen hätten keine Veränderung gespürt. Er wusste, was das hieß: er bekam Besuch.
Es nervte ihn, aber er stand auf und begab sich vor die Hütte. Es dauerte nicht lange, als eine Dämonin hinter einem Baum auftauchte. Er fixierte sie und sagte kein Wort. Er hörte sich an, was sie zu sagen hatte. Plötzlich nahm er noch etwas anderes wahr. Da war noch jemand. Er ließ sich aber nicht anmerken, dass er die andere Person bemerkte. Ihm war direkt bewusst, dass es kein Dämon war. Es wunderte ihn, dass sich ein Mensch hierhin verirrte. Den Menschen würde er sich aber später vorknöpfen, da von ihm wahrscheinlich keine Gefahr ausging. Er schenkte seine ganze Aufmerksamkeit der Dämonin. Er machte ihr klar, dass sie hier nie wieder auftauchen sollte. Zuerst überlegte er, ob er sie umbringen sollte, aber er fand es hilfreicher, wenn sie seinem Vater noch einmal deutlich machen würde, dass er nicht weiter gestört werden wollte. Das Messer immer noch in der Hand haltend, sah er ihr nach. Wäre er nicht so gereizt gewesen, fände er es schon fast lustig, wie die Dämonin Hals über Kopf davonrannte.
Kurz blieb er so stehen. Er wollte warten, wie sich der Mensch verhält. Als er einen Ast knacken hörte, wandte er sich ihm zu. Er war überrascht, ließ sich das jedoch nicht anmerken. Vor ihm lag eine junge Frau und es wunderte ihn, sie hier im Wald zu sehen. Sie war zierlich, von schlanker Natur, aber in einen dicken, mit Wasser voll gesogenen Pullover gewickelt. Er schien ihr viel zu groß, aber wenn er trocken war, war er sicher sehr gemütlich. Ihre nassen, kinnlangen, braunen Haare klebten ihr wild im Gesicht. Die blaue Jeans, die sie trug, war mit Schlamm bedeckt und einige Schlammspritzer klebten ihr im Gesicht. Ihre vor Schreck aufgerissenen, grünen Augen, sahen ihn panisch an. Im Gesamten sah sie aus, als würde sie nicht seit gestern durch den Wald irren. Er schätzte sie auf maximal 19 Jahre, konnte das aber nur schlecht sagen, da er sich nur wenig mit dem Alterungsprozess der Menschen befasst hatte. So, wie sie dort auf dem Boden kauerte und sich den Fuß hielt, konnte man ihr deutlich ansehen, dass sie Angst hatte. Was auch immer sie hierher trieb, sie konnte nirgends anders mehr hingehen. Hier hatte niemand etwas zu suchen. Nachdem Damian die Dämonin laufen ließ, war er gewillt, dafür jemand anderen zu töten. Da kam sie ihm gerade gelegen. Es war ihm egal, wie unschuldig sie wirkte. Er war wütend.
Mit dem Messer in der Hand ging er auf sie zu.
Er hatte es nicht eilig. Langsam bewegte er sich weiter auf sie zu. Das nasse Laub raschelte unter seinen Füßen und klang in Elenas Ohren sehr bedrohlich. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. Ihr Blick wanderte vom Messer zu seinen Augen und wieder zum Messer. Übelkeit stieg in ihr hoch. Sie versuchte aufzustehen, doch ein stechender Schmerz im Fuß hinderte sie daran. Ihr Herz pulsierte in dem Tempo, mit dem ein Kolibri die Flügel schlug. Zumindest fühlte es sich für sie so an. Elena wollte flehen, doch kein Ton kam aus ihrem Mund. Seine Augen verrieten ihr zudem, dass flehen ihn nicht besänftigen würde. Sie suchte verzweifelt nach etwas, das ihr helfen könnte. Sie tastete umher und fühlte einen großen, rauen, schweren Stein. Bei dem Versuch, diesen unauffällig aus dem schlammigen Boden zu ziehen, schürfte sie sich ihre Hände auf. Kurz versuchte sie, den Stein unauffällig auszugraben, aber auch das gab sie schnell wieder auf. Stattdessen versuchte sie davon zu kriechen. Damian betrachtete sie belustigt und grinste voller Hohn. Sein dunkles Haar fiel ihm ins Gesicht und er strich es lässig beiseite. Er hatte keine Sorge, dass sie davonrennen würde. Ihr Fuß würde sie daran hindern und krabbeln konnte sie auch nicht schnell genug. Für die junge Frau gab es, aus seiner Sicht, keine Rettung mehr. Das Messer steckte er weg, denn er war sich sicher, dass er das für sie nicht brauchen würde. Nach drei weiteren Schritten war er bei ihr angekommen. Ihr entsetzter Blick gefiel ihm. Er sah, dass sie wusste was passieren würde. Ein süffisantes Grinsen umspielte seine Lippen: “Wo soll es denn hingehen?” Entsetzt, dass er sie ansprach, gab sie ihren Fluchtversuch auf. Die Finger tief im Schlamm vergraben, sah sie zu ihm hoch und öffnete den Mund um zu antworten. Noch immer sprachlos vor Angst schloss sie ihn wieder. Er musterte sie und sagte kühl: “Hat es dir die Sprache verschlagen? War dir nicht bewusst, dass es für Menschen hier zu gefährlich ist?” Ihr ging so viel durch den Kopf. Sie wollte schreien, weinen, weglaufen. Er sah auf sie hinab. Die Angst war ihr ins Gesicht geschrieben. Der Regen hörte nicht auf und das Wasser tropfte in dicken Tropfen von den Blättern. In dem dunklen Wald, zwischen den dichten Bäumen, war der Regen nur als monotones Rauschen wahrzunehmen. Elenas Haare klebten ihr im Gesicht und durch den Sturz war ihre Kleidung mit Erde und nassem Laub besudelt. Die Feuchtigkeit drang durch ihre Jeans und das klamme Gefühl löste zusätzliches Unbehagen aus. Sie kam sich hilflos vor. Es musste ein erbärmliches Bild abgeben, wie sie dort mit geschundenem Körper, schmutziger Kleidung und triefnassen Haaren auf der Erde saß. Er beugte sich zu ihr hinunter. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Er sah die vielen Erdspritzer in ihrem Gesicht und ihren Haaren. Das Mädchen hatte schon lange keine Dusche, geschweige denn eine Badewanne gesehen. Dessen war er sich sehr sicher. Er grinste: “Ich höre dein Herz schlagen. Findest du nicht es schlägt ein wenig zu schnell?” Elena gab sich Mühe, seinem Blick standzuhalten. Sie wusste, dass sie keine Chance hatte, aber kampflos aufgeben wollte sie auch nicht. Er jagte ihr Angst ein, aber es ärgerte sie, dass er das auch noch lustig fand. Böse funkelte sie ihn an. “Na los! Beende es doch!”, fauchte sie. Jetzt lachte er: “Ah, eine kleine Kratzbürste also.” Er schien die Ruhe selbst zu sein. Elena fühlte sich unwohl und wurde wütend. Seine Überheblichkeit stachelte sie an. Er sollte doch einfach beenden, was er vorhatte. Sie nahm ihren Mut zusammen, egal welche Konsequenzen es haben würde und nutzte die kurze Distanz. Ohne weitere Vorwarnung spuckte sie ihm ins Gesicht. Mit Zorn im Blick starrte sie ihm weiter in die Augen. Ihr Speichel rann langsam über seine Wange und sie bereute es nicht. Schlagartig veränderte sich sein Blick. Er richtete sich auf und schrie sie an: “Du Miststück!”, dabei schlug er ihr heftig ins Gesicht. Ihr Kopf schlug zur Seite und die Wange wurde sofort feuerrot. Plötzlich durchzuckte ein stechender Schmerz seinen Schädel. Im Bruchteil einer Sekunde tauchte ein Bild vor seinen Augen auf. Er erschrak. Unter wahnsinnigen Schmerzen hielt er sich den Kopf und sah sie verwirrt an. Mehr zu sich selber, sagte er: “Wer bist du.” Dann zog er sich, stolpernd und leicht taumelnd zurück und verschwand in die Ruine.
Elena verstand die Welt nicht mehr. Sie war sich ganz sicher, dass er sie umbringen wollte. Wieso tat er es also nicht? Die schmerzende Wange reibend sah sie ihm verwirrt nach. Ihr ganzer Körper zitterte und sie begriff nicht, was gerade vorgefallen war. Sie war fest davon überzeugt, dass sie hier im Schlamm liegend auf brutale Weise sterben würde. Von der Kälte steif saß sie eine ganze Weile regungslos da und versuchte, das Geschehene zu verarbeiten. Sie brauchte lange, aber nach einiger Zeit sank ihr Adrenalinspiegel und ihr Herzschlag wurde wieder ruhiger. Sie sammelte sich und halbherzig versuchte sie, den Schmutz aus der Kleidung zu klopfen. Sie rief sich zur Vernunft, um überlegt vorzugehen. Elena wollte jetzt nicht leichtfertig handeln. Die nassen Haare strich sie mit einer fahrigen Handbewegung beiseite und schaute sich in der Gegend um. Sie versuchte, so pragmatisch wie möglich nachzudenken. Ausschau haltend nach einem trockenen Ort fand sie einen Baum, der schief wuchs und ihr etwas Schutz bieten konnte. Der breite Stamm würde sie vor dem Regen schützen und das umliegende Gebüsch könnte ihr Windschutz bieten. Ihr Fuß schmerzte und aufstehen konnte sie nicht. Langsam kroch sie zum Baum hinüber. Es forderte viel Kraft, aber dort angekommen merkte sie schnell, dass es sich gelohnt hatte. Der Wind pfiff ihr nicht mehr um die Ohren und die dicken Regentropfen fielen ein wenig Abseits zu Boden und verschonten sie. Die Erde war zwar ebenfalls nass, aber das störte sie inzwischen nicht mehr. Das Wasser von oben und dazu der kalte Wind hatten ihr mehr zu schaffen gemacht. Von ihrer neuen Position aus hatte sie die Ruine immer im Blick. Was ihr das bringen würde konnte sie zwar nicht sagen, aber sie würde wenigstens sehen, wenn er wiederkäme. Es missfiel ihr in der Nähe bleiben zu müssen, aber sie musste warten bis der Schmerz in ihrem Fuß nachließ. Vorsichtig zog sie Schuh und Strumpf aus und untersuchte ihren Fuß. “Mist. Der wird total dick. Das wird Tage dauern bis das abgeheilt ist.”, dachte sie. Das Gelenk war angeschwollen und bei der kleinsten Berührung durchzuckte sie ein heftiger Schmerz. Nach kurzem, sehr vorsichtigem Abtasten bemerkte sie, dass nichts gebrochen war. Verzweifelt und den Tränen nahe lehnte sie sich an den Baum und schloss die Augen. Wütend schlug sie mit der Faust auf den weichen Boden. “Ich könnte mich Ohrfeigen. Wieso kam ich auf diese bescheuerte Idee?” Der Schmerz war jetzt ein konstantes Gefühl und ohne Wind und Wasser wurde ihr bewusst, wie kalt es war. Sie zitterte am ganzen Körper und die Müdigkeit überwältigte sie. Elena gähnte herzhaft, rollte sich zusammen und versuchte, sich selber Wärme zu spenden. Es war schrecklich. Sie musste sich konzentrieren, um nicht zu weinen, doch diese Blöße wollte sie sich nicht geben.
Währenddessen lief Damian in seinem Haus auf und ab. “Was war denn das?” Er rieb sich die Schläfen und konnte sich einfach nicht erklären, was da vorhin passiert war. Er war fest entschlossen, sie umzubringen und dann spuckt ihm dieser widerliche, kleine Mensch auch noch ins Gesicht. Aber irgendetwas war komisch an ihr. Plötzlich konnte er sie nicht mehr umbringen. Es ärgerte ihn, dass es aussah, als sei er geflüchtet. Er flüchtet vor niemandem. Erst recht nicht vor einer jungen Frau. Einer, die nicht mal ein richtiger Gegner wäre. Der stechende Schmerz ließ langsam wieder nach. Übrig blieb ein dumpfes Drücken. Er ging langsam an eine Stelle in der Hütte, an der die Mauer eingestürzt war und nur noch hüfthoch stand. Die übrig gebliebenen Steine lagen locker aufeinander und es war nur eine Frage der Zeit bis der Rest der niedrigen Mauer einstürzen würde. Von dort konnte er in den Wald sehen. An die Stelle, an der sich die junge Frau eingerollt hatte. Er wusste nicht wie lange er dort stand und sie beobachtete. Ihm gingen viele Gedanken durch den Kopf, aber erklären konnte er es trotzdem nicht. Nach einiger Zeit riss er sich wieder los. Er ging zurück zu seinen Decken, die er auf den kalten Steinboden gelegt hatte. So einen Schmerz musste er bisher noch nie ertragen. Selbst nach seinen schlimmsten Kämpfen nicht. Dieser Schmerz war anders, als jede Verletzung, die er bisher hatte. Das Stechen kam tief aus dem Kopf. Ohne äußere Einflüsse. Es war ihm völlig fremd. Damian fragte sich, was den heftigen Kopfschmerz ausgelöst hatte: „War sie daran schuld? Oder hatte das was mit mir zu tun?“ Er legte sich auf den Boden. Er wollte die wenigen Stunden bis zum Sonnenaufgang, nutzen, um zu schlafen. Wie erwartet ließ ihn das Geschehene aber nicht los. Der Regen schien immer stärker zu werden und selbst das monotone Rauschen konnte ihn nicht beruhigen. Unruhig stand er nach einiger Zeit wieder auf. Über die kleine Mauer hinweg konnte er den Menschen immer noch dort liegen sehen. Er wusste nicht was ihn antrieb, aber er verließ die Hütte. Bedacht, nicht zu viele Geräusche zu machen, schlich er auf sie zu. Sie schlief und bemerkte nicht, dass er plötzlich neben ihr stand. Damian sah auf sie hinab und hatte irgendwie Mitleid mit ihr. Es war ein trauriges Bild wie sie durchnässt, mit geröteter Wange und dick geschwollenem Knöchel dort auf der Erde im nassen Laub lag. Vorsichtig hob er sie auf. Es war leicht für ihn, denn sie war nicht schwer, obwohl ihre nasse Kleidung sie schwerer wirken ließ. Damian spürte wie kalt und nass ihre Sachen sich anfühlten und konnte sich vorstellen, wie ungemütlich es sein musste. Er hoffte, dass sie nicht wach werden würde. Dieses Spektakel wollte er sich gar nicht erst vorstellen. Behutsam trug er sie auf den Armen in die Ruine.
Langsam wurde Elena wieder wach. Noch bevor sie die Augen öffnete, wusste sie, dass etwas anders war. Sie lag nicht mehr auf dem nassen, mit Laub übersäten Erdboden, es war trocken und ihr Fuß fühlte sich auch irgendwie anders an. Außerdem hat irgendjemand sie mit einer Decke zugedeckt und neben ihr knackte und knisterte ein kleines Feuer. Sie öffnete die Augen und sah, dass sie auf einer weiteren dünnen Decke lag. Unter ihr Asphalt und neben ihr ein alter Steinkamin, in dem das kleine Feuer brannte. Es war groß genug um eine angenehme Wärme auszustrahlen. Als sie realisierte wo sie war, sprang sie erschrocken auf. Die Decke rutschte beiseite und fiel zu Boden. Ein Schmerz durchzog ihren Fuß und sie sackte wieder zusammen. “Mach' langsam”, erklang es hinter ihr. Blitzartig fuhr sie herum und sah den Dämon. Damian saß entspannt mit dem Rücken an die Wand gelehnt, nur zirka einen Meter entfernt von ihr. “Was willst du von mir?”, fragte sie unsicher, “Warum bin ich hier?” Ihre Verwirrung war ihr ins Gesicht geschrieben. Er seufzte: “Ein Danke reicht.” Jetzt schaute sie ihn an, als hätte er sie nicht mehr alle. Wäre sie nicht zu erschrocken, hätte sie wahrscheinlich laut los gelacht. Stattdessen fragte sie trocken: “Danken? Wofür?” In Erinnerung rieb sie sich die Wange, die er rot geschlagen hatte. Sie wusste nicht wofür sie ihm danken sollte. Er sah ihr in die Augen und dann an ihr hinunter. “Dein Fuß.”, sagte er knapp. Sie folgte seinem Blick und jetzt wusste sie auch, was sich vorhin so komisch angefühlt hatte. Ihr Fuß war provisorisch gestützt und mit einem Streifen der Decke umwickelt. Das verwirrte sie vollends. Es fühlte sich besser an. Sie hatte das Gefühl, mehr Stabilität im Gelenk zu haben. Sie sah wieder zu ihm und ihre Blicke trafen sich. “Was ist das für ein schräger Typ? Will mich erst töten und jetzt hilft er mir?” “Ich brauche deine Hilfe nicht.”, blaffte sie ihn an. Skeptisch hob er eine Augenbraue und musterte sie: “Sicher? Dann hätte ich dich wohl im Schlamm liegen lassen sollen.” Elena wollte nicht mit ihm reden. Sie drehte sich von ihm weg und legte sich wieder hin. Sie konnte sowieso nicht weglaufen, also konnte sie die weiche Decke noch ein wenig genießen. Wenn er sie umbringen wollte, hätte sie ihm eh nichts entgegenzusetzen. Statt zu antworten zog sie sich die Decke bis zum Kinn und lauschte dem leise knisternden Feuer neben sich. Damian verstand ihr Handeln nicht. Er stand auf und sah kurz auf sie hinab. Elena hatte die Augen geschlossen und sah nicht was er tat. Daher spannte sie den ganzen Körper an und wartete auf einen Tritt oder Schlag seinerseits. Sie dachte, sie könnte ihn verärgert haben, stattdessen schüttelte er den Kopf und verließ die Hütte. Sie lauschte seinen Schritten als er das eingestürzte Haus verließ. Als er außer Hörweite war, setzte sie sich auf und sah sich um. Der Raum war in der Ecke, in der sie saß, mit Decken ausgelegt. Die Ruine bestand nur aus zwei Räumen. Einem Großen, in dem sie sich befand und einem Kleineren der an der gegenüberliegenden Wand angrenzte. In ihrer Ecke stand die Mauer noch komplett und das Dach war auch vorhanden. Es sorgte dafür, dass sie im Trockenen saß. Zum andern Raum hin war die Mauer eingestürzt und das Dach abgedeckt. Dort war die Mauer nur noch hüfthoch und sie konnte sitzend darüber hinweg sehen. Es sah aus, als hätte jemand das Geröll weggeräumt und versucht, ein wenig Ordnung zu machen. Der Dämon musste schon länger hier hausen. An der Wand links von ihr stand ein alter Steinkamin, in dem ein kleines, wärmendes Feuer knisterte. Sie wusste nicht, ob das Feuer immer brannte oder ob er es ihretwegen angezündet hatte. Die kleinen gelb-orangenen Flammen strahlten in dem kühlen Gemäuer eine angenehme Wärme aus. Ihr Fuß schmerzte und zog ihre volle Aufmerksamkeit auf sich. Sie betrachtete ihren Knöchel und war überrascht, wie sorgfältig er verbunden war. Sie tastete ihn ab, aber die leichteste Berührung erzeugte einen Schmerz, der in den Fuß und die Wade hoch zog. Es wunderte sie, dass sie nicht wach geworden war, als er ihren Fuß verband. Der Dämon musste sehr vorsichtig mit ihr umgegangen sein. Elena verstand das nicht, versuchte es aber auch nicht mehr. Sie legte sich eine Decke um, um sich zusätzlich zu wärmen. Ihre Kleidung war immer noch nass und sie fühlte sich unwohl, “Wie soll es jetzt weitergehen? Ich kann doch nicht hier bleiben. Der Dämon wird auch bald zurückkommen und ich möchte nicht warten, bis seine Stimmung wieder umschlägt.“ Unschlüssig, wie sie sich jetzt verhalten sollte, blieb sie vorerst dort sitzen und versuchte die vorläufig beste Unterkunft zu genießen. Der Wind pfiff um die alten Mauern, die knirschten, als würden sie jeden Moment nachgeben. Trotzdem fühlte sie sich wohl und sicher. Sie zog sich die Decke enger um die Schultern und hoffte, dass die Wärme sich langsam auf den ganzen Körper ausbreiten würde.
Damian ging planlos durch den Wald. Er wusste nicht genau, was er tun sollte und auch nicht, wieso er überhaupt tat, was er tat. Er seufzte. Er hatte sie einfach nicht weiter frierend im Schlamm liegen lassen können und als Dank wurde er auch noch angeblafft. Das musste er sich nicht gefallen lassen. Er schob Äste und Grünzeug beiseite. Obwohl er ohne Plan loszog landete er auf seiner Lichtung. Ins Gras wollte er sich diesmal nicht setzen und so ging er zu dem großen Ast, der in die Lichtung ragte. Davor stehend sprang er mit einem Satz und einem zusätzlichen Flügelschlag auf den Baum und nahm Platz. Seine Beine ließ er locker baumeln, den Kopf legte er in den Nacken und mit den Augen verfolgte er die aufgehende Sonne. Viel war durch den dichten Wolkenvorhang nicht zu sehen, aber der orange gefärbte Horizont verriet sie trotzdem. Der Regen ließ langsam nach und sein monotones Rauschen wurde leiser. Der Wald roch feucht und frisch. Es war ein angenehmer Geruch. Er fuhr sich mit der Hand durch seine Haare und strich sich die Strähnen aus den Augen. Damian sah eine Weile in den Himmel, verfolgte die Wolken und vergaß die Zeit. In Gedanken versunken nahm er nichts mehr um sich herum wahr. “Ob sie wohl noch da ist, wenn ich zurückkomme?” Er war sich nicht sicher, was ihm lieber gewesen wäre. Würde sie bleiben, dann würde sie ihn noch in Schwierigkeiten bringen. Das spürte er. Wäre sie weg, wenn er zurückkommt, würde ihn das aber auch nicht zufriedenstellen. Er war sich sicher, dass sie verletzt und alleine im Wald nicht zurecht käme. “Ach, das kann mir doch egal sein”, dachte er genervt, sprang mit Schwung vom Baum und kam fast lautlos im feuchten Gras auf. Er seufzte und trat einen Stein in den Wald. Die Situation gefiel ihm nicht. Sonst hatte er auch keine Probleme damit, jemanden umzubringen. Aber dieser stechende Schmerz hatte ihn innehalten lassen. Irgendetwas stimmte mit dem Mädchen nicht.
Elena saß, in die Decke gehüllt, an die Wand gelehnt. Den Kopf darüber zerbrechend, was sie jetzt tun solle, vernahm sie plötzlich Schritte: “Er kommt schon wieder zurück?” Der Gedanke ließ sie unruhig werden. Sie wusste ja auch nicht, was er davon halten würde, wenn sie immer noch da war und sie hatte sich noch nicht entschieden. Sie hielt den Atem an. Panik stieg in ihr hoch. Sie versuchte, sich Hoffnung zu machen, dass er ihr nichts tun würde. “Er verarztet mich doch nicht erst, um mich danach zu schlachten.” In der Schule hatte sie gelernt, dass Dämonen unberechenbar seien und das glaubte sie inzwischen auch zu hundert Prozent. Zu den Schritten kamen Stimmen, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen. Sie kannte die Stimmen und sie gehörten nicht dem Dämon.
“Hey Malik. Schau mal. Nette Hütte”, sagte die eine vertraute Stimme, die zu Louis dem Dämon gehörte. Der Gehörnte zeigte auf die Hütte und schaute seinen Kumpanen an. Malik folgte seinem Fingerzeig und nickte: “Schaut gut aus. Wenn's stimmt, dann werden wir ihn hier finden. König Kerogan gibt nicht auf. So ganz geheuer ist mir das nicht. Die letzten, die Damian zurückholen sollten, kamen nicht zurück oder total verschreckt.” Man hörte seine Sorge in der Stimme, aber der Andere nahm es nicht ernst und lachte: “Du wirst doch nicht etwa Angst vor dem Knaben haben? Schau ihn dir doch an, das Hemdchen. Wir sind zu zweit und alleine stärker”. Louis war scheinbar sehr optimistisch, Malik ließ sich aber nicht so leicht überzeugen. Louis stoppte und schnupperte wieder in die Luft. Er sah zu Malik und war überzeugt, diesmal wirklich etwas zu riechen. “Ich rieche den gleichen Geruch wie letzte Nacht. Hier muss ein Mensch sein.” “Was soll denn ein Mensch hier? Das hab ich dich gestern schon gefragt”, fragte Malik in die Luft riechend. Louis zuckte mit den Schultern: “Was weiß ich denn? Aber ich weiß doch, was ich rieche.” Malik konnte sich das nicht vorstellen, aber er musste gestehen, dass er dasselbe roch. Verwirrt sah er den anderen an: “Damian wird aber doch nicht mit einem Menschen hier leben. Der lässt seit Jahren niemanden mehr an sich heran. Egal ob Dämon, Mensch oder Tier. Das ist zumindest das, was alle behaupten. Er wird doch nicht denselben Fehler noch einmal begehen.” Gemeinsam gingen die beiden zu der verfallenen Hütte. Elena hörte, wie sie näher kamen. Ihre Schritte machten leise, quietschende Geräusche im nassen Gras. Sie versuchte, sich so klein wie möglich zu machen, aber sie glaubte nicht, dass sie von den Dämonen übersehen werden würde. Das Gespräch konnte sie mit anhören, daher wusste sie, dass die beiden wussten, dass sie da war. Sie drückte sich in die Ecke und tastete umher. “Es muss doch irgendwas geben, womit ich mich verteidigen kann.” Den Blick auf die Tür gerichtet, wartete sie. Malik und Louis betraten die Ruine. Schnell bemerkten sie, dass kein weiterer Dämon anwesend war. Elena jedoch, bemerkten sie sofort. Louis grinste: “Was haben wir denn da?” Malik hielt sich im Hintergrund. Er war überrascht, das Mädchen hier zu sehen. Er grinste ebenfalls. Louis ging auf sie zu: “Verlaufen?” Er sah sich um. Dann sah er Elena wieder an: “Herrlich. Hier wird dich niemand schreien hören.” Elena drückte sich weiter zurück. Sie konnte nicht aufstehen und spürte die kalte Wand im Rücken, welche sich ihr erbarmungslos entgegensetzte. Er blieb vor ihr stehen und sah auf sie herunter: “Wie unhöflich. Möchtest du nicht mal aufstehen und uns Willkommen heißen?” Im Hintergrund kicherte Malik leise. Elena konnte nicht verstehen, was daran lustig gewesen sein soll. Louis griff nach ihr, packte sie unsanft im Gesicht und zog sie hoch. Wieder zog sich ein stechender Schmerz durch ihren Fuß. Sie konnte sich nicht wehren und wurde grob auf die Beine gezogen. Sie versuchte, nur ihren unverletzten Fuß zu belasten. Starr sah sie ihn an, sagte aber kein Wort. Louis grinste weiter arrogant: “Ach wie unhöflich auch von uns. Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Louis. Sohn von Melvin Adelsstand der tausend Schatten. Dort drüben steht Malik. Und wer bist du, junge Dame?” Er sah sie wartend an. Elena machte aber keine Anstalten, ihm zu antworten. Sie konzentrierte sich darauf, ihr Gleichgewicht ordentlich zu verteilen und sich aus seinem Griff zu befreien, aber seine Hand hielt ihr Gesicht wie ein Schraubstock. Es gab kein Entkommen. Louis spürte ihren Widerstand. “Na na na, nicht so widerspenstig.”, schmunzelte er. Er lockerte seinen Griff und strich ihr, schon fast zärtlich, mit dem Daumen über die Wange. “So ein hübsches Mädchen.”, sagte er schon fast mehr zu sich selber. Er beugte sich zu ihr hinüber und roch an ihrem Hals. Seine Berührung widerte sie an und sein warmer Atem an ihren Hals erzeugte Übelkeit. Der Dämon stank. So etwas hatte Elena noch nicht gerochen. Den Geruch hätte sie auch nicht in Worte fassen können. Sie hörte wie er tief einatmete und ihren Geruch aufsog. Er richtete sich wieder auf, verstärkte den Griff wieder und sagte schon fast mitleidig: “Du siehst gut aus, riechst gut und wirst auch ausgiebig bluten. Das ist immer so eine Schweinerei. Schon fast schade.” Er warf Malik einen belustigten Blick zu und Malik grinste breit. Louis ließ sie wieder los, Elena konnte das Gleichgewicht nicht halten und sank augenblicklich zu Boden. Er wandte ihr den Rücken zu und schaute sich um: “Schön hast du’s hier. Sieht aus als wäre die Hütte schon länger bewohnt.” Er drehte sich ihr wieder zu “Lebst du schon länger hier?” Sie rieb sich das Gesicht und schüttelte auf seine Frage hin den Kopf. “Hmm, wer wohnt denn dann hier?”, fragte er sie neugierig. Sie zuckte mit den Schultern. Er warf ihr einen bösen Blick zu und sprach ruhig, aber ernst: “Verarsch' mich nicht! Sprich' mit mir, Mädchen! Wer lebt hier?” Sie sammelte sich kurz und versuchte dann mit möglichst fester Stimme zu antworten: “Ich weiß nicht. Hab's leer vorgefunden.” Louis machte einen Schritt auf sie zu und sah sie zornig an: “Lüg' doch nicht. Ich rieche den Dämonen doch noch!” Er wandte sich wieder um und sah in den Kamin. Sein Blick verfolgte die nach Sauerstoff gierenden Flammen und sagte: “Gut, du brauchst nicht reden. Wir werden hier warten. Ob du seine Rückkehr noch mitbekommst, kann ich allerdings nicht versprechen.” Elena nutzte die Gelegenheit, als er sie nicht beobachtete. Sie tastete weiter vorsichtig um sich und bekam etwas zu greifen. “Hier ist niemand außer mir!”, schrie sie ihn an und warf ihm mit aller Kraft einen Stein entgegen. Elena hatte einmal gehört, dass Dämonen ungeheuer schnelle Reflexe hätten, aber das hatte sie nicht erwartet. Louis wich dem Stein ohne weitere Schwierigkeiten aus. Er machte einen Satz auf sie zu und zog sie wieder auf die Füße. “Weißt du mit wem du dich anlegst? Sei vorsichtig!”, spie er ihr entgegen. Sie fauchte: “Ja! Mit einem stinkenden Dämon!” Woher sie den Mut oder auch Leichtsinn nahm, wusste sie nicht, aber sie konnte sich auch nicht einfach ihrem Schicksal hingeben. Louis wollte gerade etwas erwidern, als er einen harten Schlag am Kopf spürte. Kurz darauf hörte er jemanden brüllen: “Leg' dich mit jemandem in deiner Größe an!” Niemand von ihnen hat ihn kommen sehen. Weder den fliegenden Stein, noch den Dämon mit den schwarzen Engelsflügeln, der nun dort stand und Louis mit seinem Blick fixierte. Elena wusste nicht warum, aber sie war erleichtert ihn zu sehen. Kurz stieg in ihr die Hoffnung auf, dass Damian vielleicht kam, um sie zu retten. Louis drehte sich zu ihm und zog Elena dabei mit. Sie zog die Luft scharf ein, ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz und sie hoffte, dass er sie bald wieder loslassen würde. Malik war genauso überrascht, aber sprang direkt auf Damian zu. Er wollte ihm an die Kehle, aber Damian konterte seinen Angriff und Malik fiel zu Boden. Louis beobachtete das Ganze und sprach dann übertrieben freundlich und herzlich: “Damian. Mein alter Freund. Wir haben dich schon gesucht. Wir vermissen dich.” Damian schnaubte verächtlich: “Verschwindet. Richtet meinem Vater schöne Grüße aus.” Er breitete die Flügel aus, was ihn größer und bedrohlicher wirken ließ. Louis ließ sich aber nicht beeindrucken. Er hielt ihm Elena entgegen und fragte interessiert: “Gehört die zu dir? Seit wann gibst du dich denn wieder mit Menschen ab? Hat die Erfahrung dich nicht gelehrt, dass das nur verschwendete Zeit ist?” Damit traf er Damians wunden Punkt. Mit einem Satz kam er auf Louis zu gesprungen und riss ihn, inklusive Elena, zu Boden. Der gehörnte Dämon war überrascht und ließ sie los. Elena nutzte die Gelegenheit und krabbelte auf Abstand. Damian beugte über Louis und dieser hob abwehrend die Hände: “Hey hey. Es lässt sich doch über alles reden.” Es klang nicht verängstigt, sondern eher amüsiert. Elena sah sich um und beschloss, einen Fluchtversuch zu wagen. Möglichst unauffällig krabbelte sie, auf allen Vieren, Richtung Ausgang, wurde dann aber von Malik aufgehalten. Dieser stellte sich ihr in den Weg und grinste zu ihr hinunter: “Wohin des Weges?” Er zog sie am Arm hoch und hielt sie fest. Der feste Griff würde einen Bluterguss hinterlassen, das spürte sie sofort. Er fühlte sich scheinbar großartig, wenn er beweisen konnte, dass er stärker war als ein Mensch. Man merkte es seinem Grinsen und seiner Körperhaltung an, dass er sich für überlegener hielt und seine Unsicherheit Damian gegenüber war mit einem Mal verschwunden.
Damian kniete über Louis und sah ihn herausfordernd an: “Immer noch so ein loses Mundwerk. Das werde ich dir austreiben.” Er zog eines seiner Messer unter seinem Mantel hervor und hielt es ihm an die Kehle. Der andere Dämon schien unbeeindruckt. Die Hände immer noch erhoben, ballte er eine zur Faust und schlug Damian mit Schwung ins Gesicht. Mit der anderen versetzte er ihm einen Hieb in den Magen. Damian ächzte und sackte kurz in sich zusammen. Louis sah ihn triumphierend an, doch Damian erholte sich schnell wieder und drückte Louis die scharfe Messerklinge an die Kehle. “Ich dachte wir könnten das Ganze gemütlicher angehen, aber du scheinst es eilig zu haben.”, sagte Damian und zog ihm ohne weitere Vorwarnung das Messer den Hals entlang. Louis schrie kurz und dickes, rotes Blut sprudelte aus der großen Wunde. Nachdem das Leben aus seinem Körper gewichen war, löste dieser sich unter Damian auf. Damian stand auf und wandte sich Malik zu. Malik beobachtete die beiden. Er sah scheinbar ein, dass er allein keine Chance gegen Damian hätte. Entsetzt ließ er Elena los und lief aus der Ruine. Damians Atem ging schneller und er sah ihm nach. Das Adrenalin pumpte durch seine Venen und er war nicht bereit, den unförmigen, dicken Dämon davonkommen zu lassen. Dieser kam auch nicht weit. Damian griff nach einem seiner kleineren Messer und warf es nach ihm. Es flog so schnell, dass Elena es nicht sehen konnte. Malik bemerkte es, konnte jedoch nicht schnell genug ausweichen. Das Messer drang in seinen Hinterkopf ein und als es dort steckte, konnte auch Elena es sehen. Malik schrie entsetzt auf und ging zu Boden. Die wenigen Vögel in den naheliegenden Bäumen, flogen erschrocken in alle Himmelsrichtungen. Kurz nachdem er mit dumpfen Geräusch auf dem weichen, matschigen Waldboden aufschlug, löste sich auch sein Körper auf und das Messer blieb im Schlamm zurück. Damian ging zu der Stelle, hob es auf, verstaute es unter seinem Mantel und ging zurück in die Ruine. Elena sah ihn vom Boden aus an und flüsterte ein “Danke”. Er erwiderte ihren Blick und zuckte mit den Schultern: “Hatte eine Rechnung mit denen offen.” Damian musterte sie und begab sich dann zum Kamin. Er bückte sich und griff nach Holzscheiten, die er ordentlich, neben dem Kamin gestapelt hatte. Er legte zwei Scheite ins knisternde Feuer und überlegte kurz, dann fragte er: “Hast du Hunger?”
„Ob ich Hunger habe?“, dachte sie sich. Elena glaubte nicht richtig zu hören. Der Dämon schien völlig unzurechnungsfähig. Sie traute ihm nicht. Erst wollte er sie töten, sie hatte es ihm ganz deutlich angesehen und jetzt wollte er ihr etwas zu Essen besorgen? Und wie sie Hunger hatte, aber dafür war sie sich zu stolz. Wer weiß welche Gegenleistung er verlangen würde. Sie stand schon genug in seiner Schuld, dass wollte sie nicht übertreiben. Um ehrlich zu sein hatte sie seit Tagen nichts mehr Gescheites gegessen, aber sie wollte nicht auf diesen schrecklichen, aggressiven Typen angewiesen sein. Also sah sie ihn an und sagt kurz und knapp, aber höflich: “Nein, danke.” Er erwiderte ihren Blick und zuckte die Schultern. Dann drehte er sich um, machte mit der Hand eine wegwerfende Geste und sagte trocken: “Dann verrecke doch.” Er verließ das Gebäude und verschwand im Wald. Kaum außer Hörweite knurrte Elenas Magen wie ein ausgehungerter Bär und sie hoffte, sie würde ihre Antwort nicht bereuen.
Nachdem er die Hütte hinter sich gelassen hatte, legte er einen Zahn zu. Sein Ziel war die nächste Ortschaft. „Keinen Hunger also. Stures Weib.“, dachte er sich und schüttelte den Kopf. Er verstand sie nicht. Er sah ihr doch an das sie vor Hunger umkam. Und das Knurren ihres Magens, verriet sie erst recht. Ohne Anstrengung lief er durch die dicht stehenden Bäume, als würde er sein Ziel direkt vor sich sehen. Er dachte daran, wie Elena im Schlaf ausgesehen hatte. Sie schien schlecht geträumt zu haben, aber er wollte sie nicht wecken. Er hatte sie beobachtet wie sie da lag und sich unruhig hin und her warf. Es hatte ihn interessiert was sie wohl träumte. Damian dachte weiter über Elena nach und während er weiter in eine Richtung lief, kam ihm ein neuer Gedanke. Er blieb abrupt stehen und überlegte sich, wieso er sich das eigentlich antat. Er konnte sie vielleicht nicht umbringen, aber auf sie aufpassen musste er auch nicht. Er wog kurz ab, dann entschied er sich zurück zu gehen. Schneller als vorhin, lief er zurück. An der Ruine wieder angekommen sah er, dass Elena immer noch da war. Er ging zielstrebig auf sie zu. Sie wusste nicht was er vor hatte, aber sein Blick gefiel ihr nicht. Sie beobachtete seine Schritte und fragte unsicher: „Was hast du vor?“ Er verzog keine Miene: „Ich werde dich da hinbringen wo du hin gehörst.“ Das gefiel ihr erst recht nicht. Empört erwiderte sie: „Wo ich hingehöre? Woher willst du wissen wo ich hin gehöre?“ Noch ein Schritt und er war bei ihr. Sie drückte sich in die Ecke und schrie ihn an: „Pack mich nicht an! Lass mich in Ruhe!“ Damian blieb unbeeindruckt. Er beugte sich zu ihr runter, griff sie mit beiden Händen an der Hüfte und warf sie sich über die Schulter. „Du gehörst unter Menschen. Nicht in den Wald.“, sagte er entschlossen. Er hielt sie an den Beinen fest und nahm mit der anderen Hand ihre Tasche. Elena hing Kopfüber an seinem Rücken runter und die Position bereitete ihr unbehagen. „Lass mich runter!“, schrie Elena und versuchte zu treten, dabei erinnerte ihr Fuß sie aber daran, dass dies keine gute Idee ist. Erneut zog ein stechender Schmerz durch das Gelenk und sie zog scharf Luft ein. Sie biss die Zähne zusammen und versuchte das Ziehen wieder auszublenden. Stattdessen fokussierte sie all ihr Kraft in ihre Trommelschläge. Sie hämmerte ihm mit den Fäusten pausenlos auf den Rücken und schrie. Damian schien das nicht zu interessieren. Er schien entschlossen. Nicht laufend, aber auch nicht all zu langsam, streifte er mit ihr durch den Wald. Elena schrie ununterbrochen: „Lass mich runter! Lass mich gehen! Kann dir doch egal sein, was ich mache!“ Damian meinte, sie müsse doch ersticken, denn sie hatte während ihres Gebrülls, gar keine Zeit Luft zu holen. Unerlässlich schrie sie weiter: „Dämon!“ Es sollte wie ein übles Schimpfwort klingen, aber Damian schmunzelte nur. Schließlich war es eine Tatsache. Als sie irgendwann anfing laut nach Hilfe zu schreien wurde es ihm zu viel. Er sagte streng: „Kannst du jetzt auch mal die Klappe halten? Sonst kommen vielleicht noch mehr so nette Zeitgenossen wie Malik und Louis. Diesmal würde ich dich ihnen aber, dankend vor die Füße werfen.“ Er lief, mit ihr über die Schulter geschmissen, durch den Wald, als gäbe es keine störenden Pflanzen, Wurzeln und Büsche am Boden. So sicher und schnell hätte Elena sich nie durch die dicht stehenden Bäume bewegen können. Sie hatte das Gefühl, dass die Bäume ihm platz machten, aber das schob sie darauf, dass ihr inzwischen zu viel Blut in den Kopf stieg.
Elena sah es nicht kommen, aber Damian. Er drehte sich blitzartig um, ließ Elenas Tasche fallen und fing die kleine, silberne, Erbsengroße Bleikugel aus der Luft ab. Im selben Moment sah er zornig zu einem der Büsche und blaffte: „Komm raus!“. Elena konnte nicht sehen, was er sah und auch nicht mit wem er sprach. Sie versuchte sich so zu drehen, dass sie etwas sehen konnte, aber Damians Griff war zu fest. Das Einzige was sie wahrnahm war eine zarte, sehr jung klingende Stimme, die ihn aber Lauthals anschrie: „Lass sie runter!“ Damian konnte mehr sehen als Elena. Er hatte die andere Person auch schon viel früher bemerkt, ließ sich aber nichts anmerken. Jetzt stand er dort, mit Elena auf der Schulter, im Wald und fixierte das Gebüsch. Als ein kleines Mädchen aus dem dichten Grün trat, zog Damian skeptisch eine Augenbraue hoch. Auf ihr Aufforderung hin, fragte er neugierig: „Sonst passiert was?“ Elena nutzte die Situation und fing wieder an auf seinem Rücken herum zu trommeln und zu brüllen: „Genau! Lass mich endlich runter! Lass mich los!“ Das kleine Mädchen trat jetzt ganz aus dem Gebüsch und Damian musterte sie interessiert. Er war überrascht, ließ sich aber nichts anmerken. Die Furie war etwa 1,30 Meter klein und hatte ein hübsches, noch sehr kindlich wirkendes Gesicht. Sie war zierlich und ihre großen blauen Augen sahen ihn wütend an. Zwei Dinge stachen ihm direkt ins Auge. Zuerst fielen ihm ihre zwei blonden Zöpfe auf, welche ihr toupiert vom Kopf abstanden. Würde die Kleine nicht so wütend gucken, hätte er sie auf irgendeine Art fast niedlich finden können. Das Zweite was ihm auffiel, war um einiges präsenter. Ihren Rücken zierten zwei große, blaue Schmetterlingsflügel. Ihre Farbe harmonierten mit ihren Augen, aber Damian konnte sich nicht erklären, was für eine Wesen sie war. Sie roch nach Dämon, aber einen Dämonen mit solchen Flügeln hatte er noch nie gesehen. Das Schmetterlingsmädchen bemerkte seine Blicke und fragte spöttich: „Noch nie einen Halbdämon gesehen? Guck mich nicht so abschätzig an.“ Jetzt war Elena neugierig: „Ein Halbdämon?“ Sie konnte sich darunter überhaupt nichts vorstellen und bat Damian: „Lässt du mich jetzt bitte mal runter? Ich lauf schon nicht weg.“ Den Blick nicht von dem Mädchen nehmend, antwortete er erst Elena und dann der Kleinen: „Nein. Du bleibst wo du bist. Und zu dir.“ Er musterte sie weiter ganz offensichtlich: „Zugegebenermaßen: Nein. Ein Schmetterlingsdämon? Klingt nicht sonderlich Angst einflößend.“ Das schien sie zu kränken und sie antwortete ernst und verächtlich: „Na und? Wenn ich mit dir fertig bin siehst du auch nur aus wie ein gerupfter Vogel.“ Elena kicherte und auch Damian konnte sich ein schmunzeln nicht verkneifen: „Du bist ganz schön vorlaut. Nun gut. Wir können uns nicht weiter mit dir beschäftigen. Geh woanders spielen.“ Er drehte sich wieder um und ging weiter. Endlich konnte Elena die Dämonin sehen. Die Kleine spannte gerade ihre Steinschleuder und schoss eine weitere, kleine Bleikugel auf Damian ab. Die Kugel traf ihn im Nacken und er grummelte nur: „Kannst du das bitte sein lassen? Das stört.“ Elena kicherte. Sie fand das ganze amüsant. Sie sprach die Kleine an: „Hey Kleine. Wo kommst du denn her? Hast du dich verlaufen? Wie alt bist du denn? 9 Jahre?“ Damian seufzte. Auf einen Kaffeeklatsch hatte er jetzt gar keine Lust. Er ging zielstrebig weiter und ignorierte das Mädchen. Die kleine Dämonin folgte den Beiden und schoss immer wieder mit den Kugeln auf Damian. Traf ihn dabei im Nacken und am Hinterkopf, aber ihn schien das nicht zu stören. Irgendwann gab sie den Versuch auf und wandte sich Elena zu: „Wo schleppt der Kerl dich hin?“ Stolz fügte sie hinzu: „Nein ich bin 475 Jahre alt.“ Elena sah sie an und versuchte mit den Schultern zu zucken. Inzwischen hatte sie verstanden das es keinen Sinn hatte sich zu wehren, daher gab sie es auf. „Ich weiß nicht. Ich lass ihn laufen. Wow 475 Jahre, stattliches Alter. Und hast du auch einen Namen?“, unterhielt sie sich weiter mit dem Mädchen. Die Kleine ging weiter zügig hinter den beiden her und nickte: „Ich heiße Lisana. Und ihr?“ Lisana schien erfreut andere gefunden zu haben und versuchte an Damian dran zu bleiben. Elena schaute kurz zu ihm hoch und dann wieder zu Lisana: „Ich heiße Elena, aber wie der unfreundliche Rüpel hier heißt, kann ich dir nicht sagen.“ „Könnt ihr endlich mal die Klappe halten?“, warf der unfreundliche Rüpel ein und legte an Geschwindigkeit zu.
Elena beobachtete die Kleine und war erstaunt, als diese plötzlich anfing mit den Flügeln zu schlagen und vom Boden abzuheben. Scheinbar konnte sie so besser sein Tempo halten. Sie flog neben ihm her und sah ihn an: „Ich bleibe bei euch. Ich passe auf das du ihr nichts tust.“ Sie zuckte mit den Schultern: „Und mir war sowieso gerade langweilig:“ Damian verdrehte die Augen: „Super. Erst die unnütze Menschenfrau und jetzt noch ein kleines Kind. Womit hab ich das verdient. Alles was ich wollte, war meine Ruhe.“ Er erwiderte nichts, sondern lief einfach stumpf seinen Weg weiter. „Ich krieg Kopfschmerzen. Würdest du mich bitte mal runter lassen oder zumindest anders tragen?“, bat sie Damian, aber er antwortete nicht. Stattdessen drückte er Lisana Elenas Rucksack in die Hand: „Mach dich wenigstens nützlich.“ Dann hielt er an, lockerte den Griff an Elenas Beinen und nahm sie Mühelos von der Schulter. Er stellte sie kurz hin und sah sie an. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie die komplette Seite entlang kleine rote Striemen hatte. Während des Laufens, mussten viele Äste und Zweige an ihr vorbei gepeitscht sein. Er konnte aber keine schlimmeren Verletzungen feststellen, daher nahm er sie wieder hoch. Diesmal trug er sie jedoch auf den Händen und sie legte einen Arm um seinen Hals. Damian ging stumm weiter und Elena nutzte die Position um ihn genauer zu betrachten. Beim Anblick seiner kleinen Hörner musste Elena schmunzeln. Besonders bedrohlich sahen diese nämlich nicht aus. Ihr fiel auf, dass er die Augenbrauen angespannt zusammen zog. Kurz war sie versucht ihm auf die Stirn zu tippen und ihm zu sagen, dass das dauerhafte Falten hinterlässt, aber den Impuls unterdrückte sie. Stattdessen musterte sie ihn weiter. Elena gewann den Eindruck das Damian ein ernster, humorloser Dämon ist. Seine strengen Gesichtszüge ließen zumindest darauf schließen. Er trug sie Wortlos weiter. Lisana flog nebenher und erzählte Damian und Elena was sie die letzte Zeit so erlebt hatte, aber keiner der beiden hörte richtig zu.
Als Lisana plötzlich abrupt stoppte und den Mund hielt fiel es beiden auf. Damian schien im selben Moment das Gleiche wahrzunehmen, nur Elena wusste nicht was los war. Damian blieb ebenfalls stehen und wirkte noch angespannter als zuvor. „Hier stimmt etwas nicht.“, murmelte er und Elena sah ihn irritiert an. „Was ist los?“, wollte sie neugierig antworten, aber es schien als hätte er sie nicht gehört. Auch Lisana machte keine Anstalten ihr zu antworten. Damian setzte Elena ab und sah sie ernst an: „Du wartest hier. Ich komm dich gleich wieder holen.“ Bevor Elena was erwidern konnte war er auch schon wieder im dichten Grün verschwunden. Elena sah zu Lisana, aber das kleine Mädchen stand wie versteinert dar und die Angst war ihr ins Gesicht geschrieben. Elena bekam ein mulmiges Gefühl. Sie wollte wissen was los war. Mit viel Mühe humpelte sie, sich an Bäumen und Ästen abstützend, hinter Damian hinter her.
Sie brauchte eine ganze Weile, aber dann sah sie ihn. Er stand am Waldrand. Vor ihm musste der Ort liegen, zu dem er wollte. Jetzt nahm sie auch wahr, was er scheinbar schon viel früher bemerkt hatte. Die Luft wurde hier viel dicker und das Atmen fiel ihr schwerer. Elena trat neben ihn und was sie dort sah , verschlug ihr die Sprache. Vor Schreck belastete sie kurz den schmerzenden Fuß und verlor das Gleichgewicht. Blitzartig griff Damian ihr um die Hüfte und stützte sie. Sonst schenkte er ihr keine weitere Aufmerksamkeit. Scheinbar hatte selbst ihm es die Sprache verschlagen.
Vor den beiden lag ein kleines Dorf, welches bis zu den Grundmauern niedergebrannt war. Hier und da bildeten sich noch dichte Rauchschwaden und bei genauerem hinsehen, erkannte Elena verbrannte Menschen. Die Erde schien mit Leichen gepflastert und alle bis auf die Unkenntlichkeit verbrannt. Lisana schloss zu Elena und Damian auf und stellte sich rechts neben Elena. Ängstlich griff sie nach Elenas Hand. Links neben ihr regte sich Damian und zischte: „Das ist die Tat von Dämonen. Und ich rede nicht von zwei oder drei.“ Was das bedeutetet erzeugte bei Elena eine Gänsehaut. Eins ist ihr aus der Schulzeit im Thema Dämonologie sicher hängen geblieben: Dämonen jagen nie mit mehreren.
Hier musste etwas Größeres dahinter stecken.
Lektorat: C.K. Moroica
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2013
Alle Rechte vorbehalten