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Neuanfang

Lina

 

„Vielen Dank, dass ihr beim Umzug geholfen habt.“ Dankbar umarmte ich meine große Schwester, meine Eltern, Malis kleinen Bruder und ihre Eltern.

„Ohne euch hätten wir bestimmt Ewigkeiten gebraucht, um das alles hier hoch zu bekommen“, schloss sich meine beste Freundin Malika meinem Dank an. „Und ihr wollt wirklich keinen Kuchen mehr?“

Jan, Malis Bruder, machte den Mund auf, um zu Wort zu bringen, was seine Augen schon längst gesagt hatten, doch sein Vater war schneller. „Nein, danke. Wir haben noch einen weiten Heimweg und ihr zwei müsst schließlich noch auspacken.“

„Und ich muss morgen früh raus, weshalb wir jetzt auch fahren werden“, ergänzte Hannah und schob meine Eltern energisch aus der Wohnung. Grinsend beobachtete ich meine Schwester bei ihrer Aktion. Sie hatte wie ich Mamas blonde Haare und Papas energische Art geerbt. Aber da endete auch schon unsere Ähnlichkeit.

Hannah war eher kleinwüchsig wie Mama und grünäugig wie Papa, ich am mit meiner Größe eher nach Papa und mit den Augen nach Mama. Ein Meter siebzig groß, graue Augen.

Hannah hatte eine leichte Hakennase und eher weiche Gesichtszüge wie Mama, ich hatte eine grade Nase und eher markante Gesichtszüge wie Papa.

Und das, was wohl der größte Unterschied zwischen uns beiden war wohl, dass ich eine Gestaltwandlerin war und sie nicht. Die Familie meines Vaters hatte mir diese Gabe vererbt. Ich konnte mich in einen Seehund verwandeln. Und ich konnte die Bewusstsein anderer Menschen und Gestaltwandler spüren.

Es gab Tage, an denen behauptete Hannah, dass ich die perfekte Mischung aus Mama und Papa geworden war, aber ich finde, Hannah ist auch sehr hübsch. Egal, was sie selber sagt.

Und außerdem, wer von uns beiden ist denn Verlobt und will nächstes Jahr heiraten? Ich bestimmt nicht. Ich muss erst mal meine Ausbildung hinter mich bringen.

Außerdem wäre es wohl von Vorteil, einen Freund zu haben. Oder nicht mit dem Freund Schluss gemacht zu haben. Das war auch einer der Gründe, warum ich darum gebeten hatte, noch jetzt am Saison Ende auf der Seaside anfangen zu dürfen. Ich wollte weg von Darius.

„Okay, komm. Sie haben ja Recht. Lass uns mit auspacken anfangen“, riss mich Mali aus meinen Gedanken. Ihre Eltern waren inzwischen auch verschwunden. „Denn wie sagt man so schön: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“

Gut gelaunt verschwand die Zwanzigjährige in ihrem Zimmer, wo ich sie kurz darauf pfeifen hörte. In meinem Zimmer ließ ich meinen Gedanken wieder freien lauf. Während ich meine Sachen auspackte, dachte ich an Mali und mich.

Wir waren schon unser ganzes Leben befreundet. Früher waren wir Nachbarn gewesen, bis ihre Familie in die Stadt ziehen musste, weil das für ihren Vater mit der Arbeit besser war. Aber wir hatten uns trotzdem immer wieder getroffen. Außerdem waren wir im gleichen Kindergarten, der gleichen Grundschule und dem gleichen Gymnasium gewesen. Und bis zur zehnten Klasse waren wir auch immer in einer Gruppe bzw. einer Klasse.

Ab der elften hatten wir dann nur noch ein paar Kurse zusammen, weil Malis Schwerpunkt im Abi Musisch-Künstlerisch und meiner Sprachen gewesen war, aber nach dem Abi waren wir dann zusammen für ein FSJ ein Jahr ins Ausland gegangen.

Mali war auch der einzige Mensch, dem ich je erzählt hatte, dass ich eine Gestaltwandlerin war. Ansonsten wusste es nur meine Familie.

Tja, und jetzt machte Mali hier bei einem Fotografen eine Ausbildung und ich würde auf einem Segelboot arbeiten. Also, ich würde da eine Ausbildung zum Schiffsmaat Schrägstrich Fremdenführerin auf hoher See machen.

Mein Traum war endlich wahr geworden. Ab morgen würde ich auf einem Schiff arbeiten, dass Segeltörns für Gruppen anbot. Davon träumte ich schon, seit ich das in den Sommerferien zwischen der neunten und zehnten Klasse selber mal gemacht hatte.

Morgen sollte ich mich am späten Vormittag auf dem Schiff – der Seaside – melden, dann würden Herr Herrmann und sein Sohn mir alles zeigen und mir meine Aufgaben erklären. Am Sonntag, also übermorgen, würde dann schon mein erster Segeltörn starten. Himmel, ich war so aufgeregt, dass ich gar nicht einschlafen konnte.

Wie würde die Seaside sein? Wie waren Herr Herrmann und sein Sohn? Was für Aufgaben würde ich zu geteilt bekommen?

 

'Und am Ende des Piers liegt dann die Seaside. Du wirst sie schon erkennen', erklang Herrn Herrmanns letzte Beschreibung noch einmal in meinem Kopf.

Also folgte ich dem Pier zu seinem Ende und sah mich neugierig um. Überall lagen Segelschiffe. Aber auf kaum einem war etwas los. Samstag war meistens Ruhetag, da die Törns für gewöhnlich von Sonntag Nachmittag bis Freitag Mittag gingen.

Die Seaside war tatsächlich nicht zu übersehen. Sie war mit Abstand das schönste Schiff hier an dem Pier. Während man den anderen Schiffen ansah, dass sie schon ein paar mehr Jahre auf See hinter sich hatten, sah sie aus, als hätte sie grade erst ihre Jungfernfahrt hinter sich.

Was natürlich Humbug war. Die Seaside fuhr jetzt schon seit guten fünfzehn Jahren auf der Nordsee. Keine Ahnung, wie die Herrmanns es da geschafft hatten, sie so hübsch zu halten. Das war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Und doch hatten sie es geschafft.

„Tut mir Leid, das Schiff ist nicht zu verkaufen“, erklärte mir plötzlich eine männliche, reserviert freundlich klingende Stimme. Mit einem Lächeln drehte ich mich zu ihrem Besitzer um.

„Danke, aber so groß ist mein Interesse dann doch nicht“, erwiderte ich freundlich und musterte meinen Gegenüber neugierig. Er war groß, braungebrannt und seine blonden Haare waren von der Sonne und der salzigen Meerluft gebleicht. Seine Augen strahlten klar unter kräftigen Augenbrauen und zwischen langen geraden Wimpern hervor. Grünblau, wie die See.

„Aber Sie können mir nicht zufällig sagen, wo ich Herrn Herrmann finde?“ Meine Frage schien den jungen Mann auf Grund meiner vorherigen Aussage zu verwirren. Er war nicht viel älter also ich. Vielleicht zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig.

„Welchen suchen Sie denn?“ Nun musterte er mich und schien dabei herausfinden zu wollen, was ich wohl wollte.

„Na ja, ich sollte mich ungefähr um zehn oder elf bei Herrn Herrmann melden. Dem Vater“, fügte ich hinzu, als er die Augenbrauen hoch zog. Ich lächelte erneut freundlich.

„Darf ich fragen, wer Sie sind?“ Er hatte jetzt beide Augenbrauen hoch gezogen und sah mich skeptisch an.

„Natürlich, tut mir leid, dass ich so unhöflich war und vergessen habe, mich vorzustellen.“ Ich streckte ihm eine Hand hin. „Lina Flügge. Sehr erfreut Sie kennen zu lernen. Sie sind...?“

„Lucas Herrmann“, brummte er und musterte mich nun noch mal genauer. „Ob das eine erfreuliche Begegnung ist, weiß ich allerdings noch nicht.“ Meine Hand ignorierte er einfach, sondern steuerte auf das Schiff zu. Hmm. Eine gewisse Ähnlichkeit bestand zu seinem Vater. Beide groß, beide braungebrannt, beide blond. Allerdings war der Vater deutlich höflicher als der Sohn. Seufzend folgte ich ihm aufs Schiff.

Lucas zeigte mir alles und erklärte mir die wichtigsten Sachen – ich wusste das meiste schon. Sein Vater war grade einkaufen, aber er würde bald zurück sein. Na hoffentlich wurde Lucas noch etwas weniger...grummelig. Wenn er so weiter machte, hatte er graue Haare, bevor er dreißig war.

Zu meinem Glück tauchte Herr Herrmann genau in dem Moment auf, als Lucas die Führung über die Seaside für beendet erklärte. Er stellte die Einkäufe ab und kam mit einem strahlenden Lächeln auf mich zu.

„Ah, Lina.“ Er schüttelte mir zur Begrüßung die Hand. „Schön, dass Sie schon da sind. Hat Lucas Ihnen schon alles gezeigt?“

„Das wichtigste, ja. Und noch mal vielen Dank, dass ich hier arbeiten darf.“

„Ach, das ist doch kein Problem. Ich freue mich immer, wenn sich jemand findet, der unser Gewerbe aufrecht erhalten möchte. Okay, ich bringe kurz die Einkäufe rein, dann gehen wir mal durch, was für Aufgaben wir für Sie haben. Ich würde heute auch gerne einmal eine Probefahrt machen, ob alles so klappt, wie wir das geplant haben. Ist das in Ordnung?“

„Natürlich, das ist wunderbar“, erklärte ich und lächelte.

„Sehr gut. Ich bin gleich wieder da.“ Herr Herrmann verschwand mit seinen Tüten in dem Teil des Schiffes, der für die fest Besatzung vorgesehen war. Fünf Minuten später war er wieder da. Er hatte einen Zettel dabei, den er nun mir reichte. Ich studierte ihn. Es war eine Auflistung von verschiedenen Aufgaben hier auf dem Boot.

Gemeinsam gingen wir die Liste mit Lucas durch und Herr Herrmann wies mir die ein oder andere Aufgabe davon zu. Schließlich nickte er zufrieden und wir machten das Boot zum Auslaufen bereit.

Von den Problemen, die auf so einem großen Segelboot zu dritt vollkommen normal waren, verlief die Fahrt super und als wir am Ende die Segel wieder zusammen legten, lächelte ich. Die Seaside war ein wundervolles Schiff und Harald, wie ich Herrn Herrmann nennen sollte, war ein super Skipper. Er hatte darauf bestanden, dass wir uns alle duzen sollten, weil wir ja eine Mannschaft waren. Also gehörte ich jetzt irgendwie zur Familie.

Und ich war mir sicher, dass Lucas irgendwann auch noch auftauen und etwas redseliger werden würde. Ich hatte bei ihm immer das Gefühl, dass er meine ganzen Fragen, die nichts mit dem Schiff zu tun hatten, einfach ignoriert hätte, aber er antwortete trotzdem. So kurz wie möglich. Vermutlich redete er sonst nur das nötigste. Und dann arbeitete er auf einem Schiff, das für größere Gruppen gedacht war. Da hatte doch immer irgendwer eine Frage oder es musste etwas erklärt werden.

 

Am nächsten Tag tauchte ich kurz vor dem Mittagessen auf der Seaside auf, um meine Kajüte zu beziehen. „Meinen“ Teil des Schiffes erreichte ich über den Gemeinschaftsraum, während Lucas und Harald ihre Kajüten über eine Luke oben im Deck betreten konnten. Die Gruppe würde ungefähr um vier ankommen, aber wir wollten vorher noch mal die geplante Route durchgehen und die Aufgaben ein letztes Mal besprechen.

Harald hatte mir angeboten, dass ich mit ihm und Lucas zu Mittag essen könnte, damit ich nicht erst danach komme bzw. dafür noch mal nach hause fahren müsste.

Es war eine Schulklasse und der Bus, mit dem sie kamen, hatte eine halbe Stunde Verspätung. Stau, erklärte einer der zwei Lehrer, der die Klasse begleitete. Er stellte sich als Herrn Habighorst und seinen Kollegen als Herrn Müller vor. Die Schüler würden wir beim Abendessen vorgestellt bekommen. Und alle Namen würden wir sowieso nicht lernen können. Harald zeigte der Klasse ihre Zimmer und Lucas führte die Lehrer zu ihrem Raum.

Bis dann alle Taschen vom Anleger aufs Boot und von dort aus ins richtige Zimmer geräumt waren, war es auch schon sechs Uhr. Herr Müller und Harald einigten sich, dass es etwa in einer Stunde Essen geben sollte. Die Schüler, die nicht für das Essen zuständig waren, durften sich in der Stunde noch in der Stadt um sehen. Natürlich nutzten alle diese Gelegenheit und so waren kurz darauf nur noch die Kochgruppe, die Lehrer, die Herrmanns und ich auf dem Boot. Harald unterhielt sich mit den Lehrern und Lucas war spurlos verschwunden. Ich nahm an, dass er in seiner Kabine war.

Oder auch nicht. Sein Bewusstsein war am Bug, nicht am Heck. Ich entdeckte ihn an Deck, wo er auf dem Bugspriet saß und auf den Horizont starrte. Leise trat ich hinter ihn und lehnte mich an Reling. Die Wellen schlugen leise und sanft an an Boot und ließen es dadurch ganz leicht schaukeln. Am Horizont konnte man die Silhouetten einiger Schiffe beobachtete, wie sie ihre Wege auf dem Wasser zogen.

Lucas drehte sich nicht um, aber ich wusste, dass er mich bemerkt hatte. Wir standen lange schweigend da. Lucas sagte nichts, weil es vermutlich einfach nicht in seiner Natur lag, etwas zu sagen, wenn es nicht dringend notwendig war und ich sagte nichts, weil ich den Ausblick genoss.

Erst die Schüler, die aus der Stadt kamen, brachen das Schweigen. Jetzt drehte sich Lucas auch zu mir um und lächelte mich schon fast spöttisch an.

„Wow, ich hätte nicht gedacht, dass du auch mal schweigen kannst. Wo du doch sonst immer nur am Reden bist.“

Ich lächelte ebenfalls. Zuckersüß. „Tja, stell dir vor, ich weiß besondere Momente zu schätzen. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich glaube, es gibt gleich essen“, erklärte ich. Letzteres mit einem Blick auf die Uhr. Lucas warf ebenfalls einen Blick auf seine Armbanduhr und kletterte dann geschickt von seinem Platz vorne auf dem Bugspriet wieder aufs sichere Deck.

„Machst du so was öfter?“ Ich konnte mir die Frage einfach nicht verkneifen. Lucas' fast schon tötender Blick sagte mir, dass es mich nichts anging. Egal. Ich würde es vermutlich sowieso noch herausfinden.

Vergangene Zeiten

Lucas

 

Und damit war es wohl endgültig vorbei mit der Ruhe auf dem Boot. Gegen größere Gruppen hatte ich nichts. Die nervten sich wenigstens meistens nur gegenseitig. Aber Lina? Das musste doch nun wirklich nicht sein. Für meinen Geschmack redete sie viel zu viel. Und zu gerne. Und dann war sie auch noch so nervtötend neugierig.

Warum bloß, hatte Papa zugestimmt, dass sie auf unser Boot kam? Es gab doch noch genügend andere Schiffe hier im Hafen. Die nächsten paar würden die schlimmsten Jahre meines Lebens werden. Vielleicht hatte ich die schönste Zeit meines Lebens auch schon hinter mir und es wurde entschieden, dass die Seaside Lina nach ihrer „Ausbildung“ übernahm. Weil sie ja so super hier her passte.

Aber noch war ja nicht alle Hoffnung verloren. Sie hatte ja gestern erst angefangen. Vielleicht änderte sich ja ihre Meinung zu diesem Beruf oder es wurde ein anderes Boot gefunden, wo sie dringender gebraucht wurde.

Eins musste ich ihr allerdings lassen. Sie konnte super mit Booten umgehen. Und sie konnte mir vielleicht die nervigsten Kinder vom Hals halten. In dem Fall wäre sie dann wohl ein Glücksfall.

Die Namen der neuen Schüler versuchte ich erst gar nicht zu lernen. Die, der auffälligsten würde ich am Ende der Woche auf die Reihe bekommen und der Rest war halt einfach „du da“. Ich hatte schließlich besseres zu tun, als in meiner Kajüte zu hocken und Namen nach Bildern zu lernen.

Wir hatten schon Gruppen gehabt, die Namensschilder getragen hatten, aber die waren meistens auf dem Pulli und viele trugen da drüber noch eine Jacke, was die Namensschilder irgendwie sinnlos machte.

Die beiden Lehrer waren recht nett. Der eine hatte ein eigenes Segelboot, der andere war schon öfter von der Schule aus auf solche Segeltörns gefahren. Die beiden konnten also vielleicht auch noch ein bisschen behilflich sein.

Nachtruhe war auf unserm Schiff bei Schulklassen für gewöhnlich zehn Uhr, aber es dauerte noch fast bis elf, bis schließlich endlich Ruhe herrschte. Wirklich besser werden würde das frühstens ab Mitte der Woche, eher aber erst am Ende.

Manchmal fragte ich mich, warum ich überhaupt hier auf dem Boot arbeitete. Papa hatte mir unzählige male angeboten, dass ich irgendwas studieren könnte, aber ich hatte immer abgelehnt. Ich liebte dieses Boot, auf dem ich lebte, seit ich denken konnte, und ich liebte das Meer. Beides waren unersetzbare Stücke meines Lebens.

 

Am nächsten Morgen war ich gereizt und schlecht drauf. Aber vielleicht lag das auch daran, dass die Luft drückend Schwül war. Wenn das Gewitter nicht bald kam, würde ich noch durchdrehen.

Aber mein Gefühl sagte mir, dass wir mit der Erlösung irgendwann zwischen heute Abend und morgen früh rechnen durften. Dem Himmel sei dank.

Ein weiterer Grund für meine schlechte Laune war Lina. Wie konnte jemand bei so einem Wetter so gut drauf sein und schon morgens pfeifend durch die Gegend laufen? Ich konnte nur verständnislos den Kopf schütteln, als ich der junge Frau auf dem Weg ins Bad begegnete und sie mir fröhlich einen guten Morgen wünschte. Na, ob der wirklich so gut werden würde...

Papa schien meiner Meinung zu sein. Er schaute besorgt zum Himmel, wo sich irgendwo am Horizont eine Wolkenbank zusammen braute. Er seufzte tief, als ich zu ihm trat und sah mich dann fragend an.

„Was meinst du, Lucas?“ Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Schaffen wir es heute noch in den nächsten Hafen, oder erwischt uns das Gewitter irgendwann?“ Er wusste meinen Instinkt, was das Wetter anging zu schätzen, auch wenn er nicht ahnte, woher dieser kam. Allerdings wusste niemand so genau, wo der her kam. Ich runzelte die Stirn und starrte ebenfalls zu den Wolken hinüber.

„Momentan würde ich sagen, wir schaffen es. Wenn wir aufbrechen, sobald alles fertig ist, schaffen wir es auf jeden Fall.“ Ich lehnte mich an die Reling. „Es kommt wahrscheinlich heute Nacht.“

Papa nickte nachdenklich. „Hoffen wir mal, dass dein Gefühl dich nicht täuscht. Ich hab keine Lust, denen erklären zu müssen, dass ihr erster Tag gleich ins Wasser fällt.“

Ich lächelte müde. „Wird er nicht.“ Bis zum nächsten Tag reichte mein Instinkt nicht, aber das wusste Papa und er fragte auch nicht näher nach.

Meinen Instinkt hatte ich wahrscheinlich von Mama. Aber genau weiß ich das nicht. Ich kann mich nicht mehr an sie erinnern. Sie war gestorben, als ich klein gewesen war.

Es war bei einem Unfall auf See passiert. Sie war mit zwei Freunden segeln gewesen. Oma meinte, sie hätten einen ähnlichen Instinkt wie Mama gehabt. Das Boot ist in einen Sturm geraten. Ihre Leichen wurden nie gefunden. Aber auch kein Lebenszeichen.

Ich war grade mal fünf gewesen, als das passierte. Nach ihrem Tod hatte Papa angefangen, auf der Seaside zu arbeiten, weil zu der Zeit grade jemand gesucht wurde. Und als ich dann mit der Schule fertig war, war er zum Skipper auf gestiegen und ich war der erste Schiffsmaat geworden.

„Woran denkst du?“, riss mich Papa aus den Erinnerungen.

„An Mama.“ Ich lächelte traurig. Aber bevor Papa auch noch in eine melancholische Stimmung fiel, stieß ich mich von der Reling ab. „Komm, das Essen ist bestimmt schon fertig und sie warten nur noch auf uns.“

Papa lächelte jetzt auch leicht und nickte. Er wusste, dass ich nicht gerne über Mama sprach. Zumindest, wenn ein Haufen Kinder mit auf dem Schiff war. Da gab es einfach keine richtige Privatsphäre mehr.

„Essen ist fertig.“ Lina hatte ihren Kopf aus der Tür zum Essraum gesteckt und sah zu uns hinüber. Ich warf Papa nur einen bedeutenden Blick zu und trat dann an Lina vorbei in den Raum. Die Schüler saßen schon alle auf ihren Plätzen. Jeder hatte vor sich auf dem Teller ein Brötchen liegen und einige starrten es hungrig an. Mit einem leisen, kaum hörbaren Seufzer ließ ich mich auf meinen Platz sinken. Papa und Lina setzten sich zu mir und das Essen wurde für „Eröffnet“ erklärt.

Langsam schnitt ich mein Brötchen auf und sah mich auf dem Tisch um, was es an Aufstrich gab. Butter, Margarine, Salami, Käse, verschiedene Marmeladen und Gelees, Honig, Stips, Schokocreme. Hmm. Das war dann wohl das Angebot fürs Frühstück diese Woche.

Nach dem Frühstück wurden einige Ansagen gemacht. Erst von einem der Lehrer – die Schüler sollten bitte noch kurz sitzen bleiben –, dann von Papa – wir würden gerne so schnell wie möglich aufbrechen, weshalb es gut wäre, wenn niemand mehr das Schiff verlassen würde, damit wir niemanden vergaßen.

Erstaunlich schnell war dann das Geschirr abgewaschen. Wir konnten schon um viertel vor zehn den Hafen verlassen. Um acht hatte es Frühstück gegeben. Jetzt kam der nervige Teil für heute. Das Boot und die Aufgaben erklären. Immerhin hatte ich jetzt jemand neues, der das erklären konnte. Und dann auch noch eine Person, die gerne redete. Wenn das mal kein Geschenk des Himmels war.

Und Lina übernahm die Aufgabe gerne. Ich stand zwar daneben, um sie im Notfall zu korrigieren – sie war neu hier, ich wollte schließlich nicht riskieren, dass sie der Klasse irgendeinen Mist erzählte –, aber ich musste nicht ein Mal eingreifen. Ich hätte es nicht besser erklären können, als Lina es tat. Außer vielleicht, was die Anzahl der Wörter anging.

Ich würde es zwar nie offen vor Lina oder irgendwem zu geben, aber vielleicht war es doch nicht komplett schlecht, dass Lina hier auf unserem Boot war. Vielleicht gab es ja einen Lichtblick zwischen all den Wörtern, die pausenlos ihren Mund verließen. Denn dass sie auch schweigen konnte, hatte sie gestern Abend bewiesen.

 

Meine Vorhersage bezüglich des Wetters war richtig gewesen. Den ganzen Tag über blieb es trocken, aber drückend schwül. Irgendwann in der Nacht kam das Gewitter: Ein kurzer Platzregen, ein paar Blitze und entfernter Donner, dann war es vorbei. Nicht so ganz das, was ich mir erhofft hatte. Am nächsten Tag war es fast noch heißer als am Vortag. Und ich dachte, wir hätten September und da wäre es nicht mehr so warm. Im Juni, Juli oder August wäre so was ja noch normal und eventuell irgendwo verständlich gewesen, aber im September?

Die nächsten Tage über wollte es einfach nicht besser werden. Und es war noch nicht mal ein neues Gewitter in Aussicht. Die Schüler lernten schnell und schon nach zwei Tagen waren sie echt gut darin, die Segel zu setzen und Wenden durch zu führen.

Trotzdem hatte ich schlechte Laune. Ich hatte noch keine Möglichkeit gefunden, mich von der Gruppe los zu seilen und schwimmen zu gehen.. Das Wasser fehlte mir. Und dazu kam noch, dass Johannes sich nicht meldete. Er war zwar fast noch schlimmer als Lina, was die Redseligkeit anging, aber mit der Zeit hatte er es doch geschafft, mein Freund zu werden. Und es kam sogar vor, dass ich ihn irgendwie vermissen konnte, wenn er sich mal eine Weile nicht gemeldet hatte.

Er studierte in Cuxhaven Maschinenbau mit Spezialisierung auf Schiffsbau. Wir hatten uns in der siebten Klasse kennen gelernt. Er war damals mit seinen Eltern neu in die Stadt gezogen. Eine Ahnung, warum er beschlossen hatte grade mit mir befreundet zu sein, aber er hatte es getan.

Danach war er mir nicht mehr von der Seite gewichen. Ich war schon damals nicht so der Typ von vielen Worten gewesen, aber das hatte Jojo nie gestört. Er hatte kein Problem, endlose Monologe zu führen. Und eventuell sollte ich auch anmerken, dass er wohl der einzige war, der es schaffte, mir mehr als nur die nötigsten Worte zu entlocken.

Hoffentlich schaffte das Lina nicht auch irgendwann. Sie war schließlich noch begeisterter davon, von unserer Sprache Gebrauch zu machen.

Ich seufzte und lehnte mich an die Reling, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Die halbe Woche war schon vorbei und bald war Nachtruhe auf dem Schiff. Zumindest für die Kleinen. Ich blieb immer noch ein bisschen länger auf und ließ zumindest die Füße ins Wasser baumeln.

Ach verdammt, ich vermisste doch tatsächlich diesen idiotischen Verfechter der großen Worte, der sich meinen besten Freund schimpfte. Dabei hatten wir doch erst Freitag Abend telefoniert.

In diesem Moment vibrierte mein Handy. Mein einem erneuten Seufzer zog ich es aus der Tasche und warf einen Blick auf den Display. Langsam sollte ich mir echt Gedanken darüber machen, ob Jojo nicht irgendwelche mentalen Fähigkeiten hatte und immer genau spürte, wann ich doch mal wen zum reden brauchte oder so.

Mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht nahm ich den Anruf entgegen. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte. Wenn ich schon nicht schwimmen konnte, konnte ich wenigstens hoffen, dass das Gespräch mit Jojo bessere Laune brachte.

„Okay, erzähl schon, wie ist sie?“ Jojo hatte noch nie viel von Smalltalk gehalten und kam für gewöhnlich immer gleich auf den Punkt. Das ließ mich breiter lächeln.

„Schrecklich“, erklärte ich mit einem Blick über die Schulter, um sicher zu gehen, dass Lina nicht doch hier auf Deck irgendwo herum lief. „Sie redet noch mehr als du.“

„Geht gar nicht.“ Jojo lachte. „Und sonst so? Redet sie wenigstens was sinnvolles? Und kann sie gut mit Segelbooten umgehen, oder ist sie eine totale Anfängerin?“

„Es geht“, brummte ich und bezog mit damit auf beides.

„Na gut.“ Jojo wusste, wann er etwas aus mir rausbekam und wann nicht. „Ich komme vielleicht übers Wochenende nach hause. Meine Mutter hat sich beklagt, dass ich viel zu selten vorbei komme. Seit ihr im Hafen, oder seit ihr grade auf einem langen Segeltörn?“

„Sind da.“

„Sehr gut.“ Jojo klang richtig zufrieden. „Sorg dafür, dass euer Mannschaftszuwachs am Samstag da ist, dann nehme ich sie mal unter die Lupe. Deinem Urteil kann man ja doch nicht vertrauen.“ Ich konnte Johannes richtig vor mir sehen. Seine spöttisch blitzenden Augen, der Mund, der immer zu einem schiefen Lächeln verzogen schien. „Meinst du, das Bekommst du hin, oder soll ich noch mal Harald Bescheid sagen, damit er sich darum kümmert?“

„Geht schon.“ Einen kurzen Moment spielte ich mich dem Gedanken, es einfach nicht zu machen. Jojo würde Lina noch früh genug kennen lernen. Und da wollte ich nicht unbedingt dabei sein. Keine Ahnung, ob ich die zwei in Kombination ertragen konnte.

„Nun gut.“ Johannes' Stimme hörte sich schon wieder an, als würde er grinsen. „Dann würde ich mal sagen, sehen wir uns am Samstag. Freitag Abend schaffe ich nicht. Da wird Mama mich festhalten. Ach und Lucas?“

„Hmm?“

„Denk gar nicht erst dran. Wenn sie Samstag nicht da ist, werde ich dafür sorgen, dass sie noch mal auftaucht.“

„Sie wird da sein.“ Leider.

Meister der Worte

Lina

 

Die gesamte Woche verlief super. Die Schüler waren fleißig und lernten schnell, sodass ich mich zeitweise sogar entspannt zurück lehnen konnte. Am Freitag erreichten wir gegen Mittag wieder den Heimathafen. Kurz bevor das Gewitter los ging. Die Segel waren zum Glück schon eingeholt und sicher verpackt. Bis der Bus der Klasse kam, blieben sie noch auf dem Boot, aber gegen zwei war es dann wieder still.

Wir setzten uns noch mal in der Küche zusammen, um schon mal die Eindrücke dieser Woche zu sammeln. Wir besprachen, wer wie gut mit den einzelnen Aufgaben zurecht gekommen war und wie wir das beim nächsten Mal verbessern konnten.

Na gut, wir besprachen, wie ich mit meinen Aufgaben zurecht gekommen war und ob ich vielleicht irgendwo Probleme gehabt hatte. Um halb vier konnte ich dann gehen – es regnete immer noch – und gegen vier war ich zuhause. Klitschnass versteht sich.

Mali war nicht zu hause. Na gut, dann halt erstmal duschen und trockene Sachen anziehen. Ich ließ mir Zeit und verließ das Bad erst eine halbe Stunde später. Meine Haare hatte ich zu einem lockeren Knoten zusammen gebunden. Wenn ich Glück hatte und meine Haare nicht wieder verrückt spielten, hatte ich dann morgen leichte Locken.

Und Mali war immer noch nicht da. Na ja, sie musste ja auch arbeiten. Die Fotos machten sich schließlich nicht von selbst. Und entwickeln konnten sie auch schlecht ohne Hilfe. Ich kannte ihre Arbeitszeiten nicht genau, aber vermutlich musste sie bis sechs oder so da bleiben. Also noch etwas über eine Stunde.

 

„Lina!“ Malika riss meine Zimmertür auf und riss mich fast vom Stuhl, als sie versuchte, mich zu umarmen. „Wie war es? Sind die zwei immer noch so nett, wie Samstag Abend? Hast du viele Aufgaben übernommen? Was hast du überhaupt gemacht? Hat es Spaß gemacht? War die Gruppe anstrengend? Bist du sehr erschöpft?“

Mali überhäufte mich nur so mit Worten und ich schob sie lachend von mir. „Hi Mali, ich freue mich auch, dich zu sehen“, unterbrach ich sie schließlich. „Bei welcher Frage soll ich anfangen?“

„Egal. Hauptsache, du erzählst endlich.“ Ungeduldig sah meine beste Freundin mich an. „Also?“

Ich räusperte mich und holte tief Luft. Mali sah mich böse an. Sie wusste genau, dass ich es grade extra in die Länge zog, um sie zu ärgern. „Die Herrmanns sind nach wie vor nett. Auch wenn der Sohn etwas schweigsam ist, aber mit der Zeit findet man sich damit ab. Der Vater ist dafür um so netter, als wolle er die miese Laune, die sein Sohn ständig hat, wieder wett machen.“

„Wie sieht er denn aus?“, unterbrach mich Mali und ihre Augen funkelten vor Neugier.

Ich seufzte, fügte mich aber meinem Schicksal und beantwortete ihre Frage. „Er ist groß, blond und braun gebrannt.“

„Geht das vielleicht noch etwas genauer? Sieht er gut aus?“

„Er hat ein kantiges Gesicht, aber das steht ihm. Passt irgendwie zu dem Bild des furchtlosen Seemanns.“ Das entlockte Mali ein leises Lachen. „Ich weiß nur noch nicht wirklich, ob er richtig lächeln kann. Bis jetzt habe ich immer nur ganz leichte Andeutungen davon gesehen. Aber ein Lächeln würde ihm bestimmt gut stehen. Dann sähe er gleich viel freundlicher aus. Würde ihm garantiert gut tun.“ Ich grinste.

„Okay, ich will ihn kennen lernen.“ Auch Mali grinste. „Musst du morgen noch mal hin?“

„Ja, morgen wollen wir besprechen, wie wir die nächste Woche fahren. Ein paar der Häfen, wo wir jetzt waren, waren ziemlich überfüllt und wir wollen noch mal eine andere Route ausprobieren.“

„Sehr gut. Ich fahr dich zum Hafen. Dann hab ich wenigstens eine gute Ausrede. Aber jetzt weiter im Text. Wie war die Woche? War es sehr anstrengend? War die Gruppe nett?“

„Die Klasse war sehr fleißig. Sie haben schnell gelernt und haben ordentlich gearbeitet.“ Also erzählte ich Mali alles, was sie über die Gruppe wissen wollte. Ich brauchte fast eine Stunde, bis die junge Frau endlich zufrieden war.

„So, jetzt du. Wie ist dein Arbeitsplatz? Sind die Leute da nett?“

Mali seufzte. „Es ist super. Bis jetzt durfte ich selber noch keine Fotos machen, aber mein Boss ist echt nett. Er meinte, wenn ich weiter so fleißig arbeite, darf ich vielleicht bald schon wichtigere Aufgaben übernehmen, außer putzen und Motive aufbauen.“ Mali sprang vom Bett auf, wo sie sich nieder gelassen hatte und fiel mir erneut um den Hals. „Ach, Lina, es ist einfach wundervoll hier.“

 

Mali hielt ihr Wort. Samstag am frühen Nachmittag fuhr sie mich zum Hafen und begleitete mich noch bis zum Schiff. Am Pier vor der Seaside standen zwei Personen. In der einen erkannte ich Lucas, wer der andere junge Mann war, wusste ich nicht. Vielleicht ein Freund? Ich konnte auf jeden Fall mit Sicherheit sagen, dass er ein Gestaltwandler war. Sein Bewusstsein war deutlich stärker als das von Mali und Lucas.

„Ist der rechts Lucas?“ Mali sah mich nur kurz an, dann musterte sie wieder die beiden jungen Männer. Ich nickte nur stumm. Der andere war ungefähr in Lucas' Alter, war aber noch ein Stück größer und hatte braune Haare. Mali stieß mich in die Seite. „Der andere sieht süß aus, findest du nicht?“

„So ganz mein Typ ist er nicht, aber wenn du meinst.“ Ich musste grinsen. „Und jetzt benimm dich. Ich hab keine Lust, dass die mich für verrückt erklären, weil ich so eine überdrehte Freundin habe.“

Lucas' Gesicht verfinsterte sich kurz, als er uns entdeckte, aber es war nur für eine Sekunde. Ich war mir nicht mal ganz sicher, ob er wirklich das Gesicht verzogen hatte. Jetzt sah er uns mit neutralem Blick entgegen. Sein Gegenüber, redete mit großen Gesten auf ihn ein, aber Lucas schien ihm nicht richtig zu zu hören.

Gib es auf, dachte ich. Er hört dir sowieso nicht zu und wird dir höchstens eine kurz angebundene Antwort geben. Das schien der junge Mann jetzt auch zu bemerken, denn plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne und drehte sich um.

Erstaunen machte sich auf seinem Gesicht breit, wurde aber sofort von einem breiten Lächeln vertrieben. Na gut, vielleicht hatte er auch aufgehört zu reden, weil er uns jetzt bemerkt hatte. Er drehte sich wieder zu Lucas um.

„Lucas, du hast mir gar nicht gesagt, dass sie so hübsch und noch dazu eine hübsche Freundin hat.“ Wir waren in zwischen in Hörweite der zwei und ich konnte die Anklage in der Stimme des jungen Mannes hören.

Im gleichen Moment stupste er mein Bewusstsein an und erklärte mir umständlich in Gefühlen und Bildern, dass wir uns mal treffen mussten. Ich konnte mir das Lachen nur knapp verkneifen, stimmte aber sofort zu. Schwimmen mit einem anderen Gestaltwandler machte immer mehr Spaß als alleine.

„Das war wichtig?“ Lucas hörte sich schon fast unbeteiligt an, aber ich konnte auch eine Spur von übertriebenem Erstaunen heraus hören.

„Ja, natürlich ist es wichtig zu wissen, ob die Frau, mit der du arbeitest hübsch ist oder nicht.“ Der Fremde – offensichtlich ein Freund von Lucas – kam die letzten paar Schritte auf Mali und mich zu und streckte und lächelnd die Hand entgegen.

„Hi, ich bin Jojo.“ Kurz musterte sein Blick uns. „Und eine von euch beiden ist Lina, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Allerdings war Lucas' Beschreibung nicht sehr ausführlich. Ihr müsst mir also auf die Sprünge helfen, wer von euch beiden die Ehre hat, jetzt jede Woche von Lucas' Charme umgeben zu sein.“

„Das bin dann wohl ich.“ Ich schüttelte Jojos Hand. „Und das hier ist meine Freundin Malika. Sie arbeitet hier im Ort bei dem Fotografen.“

„Ich freue mich, euch kennen zu lernen.“ Jojo schüttelte auch Mali zur Begrüßung die Hand, dann wandte er sich wieder an mich. „Lina, bitte lass dich nicht von Lucas' verschwiegener Art abschrecken. Er ist eigentlich ein sehr netter Junge. Er braucht nur so seine Zeit, bis er anfängt mehr zu reden. Aber mit der Zeit kann er sehr gesprächig werden.“

„Harald wartet“, bemerkte Lucas jetzt und sah mich kurz scharf an, dann wanderte sein Blick weiter zu Jojo, den er eindringlich ansah und ihm irgendwas zu sagen schien. Der junge Mann grinste nur und wandte sich Mali zu. Leise seufzend folgte ich Lucas aufs Schiff. Jojo schien nett zu sein. Das genaue Gegenteil von Lucas. Vielleicht konnte man ja aus ihm ein bisschen was über diesen schweigsamen jungen Mann heraus finden?

Die Besprechung dauerte nicht lange. Eine halbe Stunde vielleicht. Als wir das Deck wieder betraten, entdeckte ich Mali und Jojo sofort. Sie hatten sich auf das Dach der Schlafräume gesetzt und unterhielten sich. Tja, es schien so, als hätte Mali jemanden gefunden, der genauso gerne redete, wie sie.

Lucas verzog das Gesicht, als er die beiden Plappermäuler sah und verzog sich wieder auf den Bugspriet. Ja, er ging da häufiger hin. Im Prinzip immer, wenn er seine Ruhe haben wollte. Ich setzte mich zu Mali und Jojo. Die zwei diskutierten grade über irgendwas wegen Fotografie. Keine Ahnung, worum genau es da ging.

„Lina, zeigst du mir das Schiff?“, wechselte Mali so plötzlich das Thema, dass ich einen Moment brauchte, um zu bemerken, dass sie mich gefragt hatte. „Bitte, ich muss doch schließlich wissen, wo meine beste Freundin ab jetzt ihre Freizeit verbringt.“

„Na, ob man das Freizeit nennen will...“, murmelte ich, erhob mich aber wieder. „Dann komm mal mit.“ Mali und ich gingen in die Mitte des Schiffes, um über die Leiter ins innere zu kommen, aber Jojo ging nach vorne zu Lucas. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er ebenfalls auf den Bugspriet kletterte, dann waren wir unter Deck.

„Also, hier rechts, Richtung Bug sind die Schlafräume. Wir haben ganz vorne zwei sechser Zimmer, die anderen vier sind jeweils vier Bettzimmer“, erklärte ich und zeigte Mali jeweils ein sechser und ein vierer Zimmer.

„Und hier, der Leiter gegenüber ist noch ein zweier Zimmer. Da schlafen meistens die Aufsichtspersonen drin. Hier links ist dann ein kleiner Aufenthaltsraum.“ Ich führte Mali hindurch.

Rechts ging es dann zwei Stufen hoch zu den Waschräumen. Es gab zwei Toiletten, zwei Duschen und zwei Waschbecken. Alles jeweils in einem eigenen kleinen Raum.

Wenn man dem Gang grade aus folgte, kam eine kleine, steile Treppe, dann stand man im Essraum.

„Sieht ja ganz nett aus“, erklärte Mali, als wir wieder draußen standen. „Und wo schläfst du?“ Richtig, mein Zimmer hatte ich ganz vergessen. Ich zeigte es ihr auch noch, dann verließen wir das Schiff. „Okay, hübsch. Ich mag die Seaside. Hast dir ein gutes Schiff ausgesucht.“ Mali grinste mich an. „Und jetzt hab ich Hunger. Lust auf ein Eis?“

Ich nickte zustimmend und wir machten uns langsam auf den Weg zum Auto. Plötzlich hörte ich hinter uns schnelle Schritte und drehte mich um. Erstaunt beobachtete ich Jojo. Er blieb erst stehen, als er uns erreicht hatte.

„Ihr könnt doch nicht so einfach abhauen, ohne euch zu verabschieden.“ Der junge Mann sah uns schon fast beleidigt an. „Müsst ihr denn schon wieder los?“

„Mali hat beschlossen, dass sie jetzt ein Eis braucht. Und wenn Mali das entscheidet, dann hat das so zu geschehen“, erklärte ich Jojo grinsend. „Willst du mitkommen?“

„Wenn ihr nichts dagegen habt, dass Lucas auch mitkommt, gerne.“

„Aber immer doch. Je mehr Leute, desto besser“, grinste Mali. Jojo grinste ebenfalls und drehte dann um, um Lucas zu holen. Mali sah mich verschwörerisch an. „Also ich muss ehrlich sagen, dieser Jojo ist wirklich süß. Wusstest du, dass er Maschinenbau studiert? Er will irgendwann mal in einer Werft arbeiten.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das habe ich nicht gewusst. Ich habe auch erst heute von seiner Existenz erfahren.

Denn weißt du, Lucas redet nicht so viel über sich selbst und seine Freunde. Es ist schon ein Wunder, wenn man aus ihm mehr, als das wichtigste herausbekommt. Wie soll ich da bitte von Jojo erfahren haben, geschweige denn, was er studiert oder später machen will?“ Mit hochgezogener Augenbraue sah ich meine beste Freundin an.

„Na gut, akzeptiert. Aber süß ist er trotzdem.“

„Danke für das Kompliment.“ Erschrocken drehte sich Mali um und wurde rot, als sie Jojo gegenüber stand. „Oder meintest du Lucas?“ Mali wurde noch eine Spur roter und sagte nichts. Ich beobachtete die Szenerie belustigt. Es gab also außer ihrem Bruder doch noch jemanden, der Mali zum schweigen bringen konnte. Das musste ich mir unbedingt merken. Konnte bestimmt noch mal nützlich sein.

Der restliche Nachmittag wurde sehr lustig. Mali, Jojo und ich lieferten uns mehrere spaßhafte Diskussionen über irgendwelche sinnlosen Sachen. Lucas saß stumm daneben und sah zeitweise so aus, als würde er am liebsten überall sein, nur nicht hier bei uns. Aber er verschwand nicht. Und einmal meinte ich sogar, ein Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. Aber es verschwand sofort wieder, als er bemerkte, dass ich ihn ansah.

Am Ende beschloss Jojo, dass wir uns unbedingt noch mal treffen mussten, weshalb er uns seine Handynummer gab. Für den Fall der Fälle und so.

Endlich

Lucas

 

Nein, ich mochte sie definitiv nicht. Schon aus Prinzip, weil sie so viel sinnloses Zeug redete. Dafür brauchte ich neben Jojo nicht noch eine Person. Ich meine, wie konnte man so viel reden, ohne auch nur einen Satz zu strande zu bringen, in dem es um etwas wichtiges ging?

Er reichte völlig aus. Aber wenn sie schon unbedingt bei uns arbeiten musste, würde ich mich wohl oder über damit abfinden müssen. Sie würde bestimmt nicht auf ein anderes Boot versetzt werden, nur weil ich keine Lust hatte, mir ihr ewiges Geplapper an zu hören. Außerdem mochte Papa sie und auf ihn würde der Chef eher hören als auf mich.

Und sie war ja schon eine echte Hilfe auf dem Schiff. Es war viel entspannter mit den Gruppen unterwegs zu sein, jetzt, wo wir noch eine dritte Ansprechperson hatten. Lina schien wirklich Spaß daran zu haben, den Leuten die Funktionen der verschiedenen Teile auf dem Boot zu erklären. Und die Geduld, die sie dabei an den Tag legte. Echt bewundernswert. Ich hasste es, irgendwelche Sachen doppelt und dreifach erklären zu müssen. Lina machte das offensichtlich nichts aus.

Himmel, ich musste mich endlich entscheiden, wie ich zu ihr stand. Es konnte doch nicht immer so weiter gehen, dass ich nicht genau weiß, ob ich sie nun mögen sollte oder nicht.

Das Schiff bewegte sich sanft mit den Wellen, aber da war auch noch ein anderer Faktor. Ganz leicht nur spürbar. Wenn man nicht grade alle Sinne geschärft hatte, bemerkte man es auch nicht.

Ich drehte mich nicht um. Wenn die Person etwas von mir wollte, sollte sie mich ansprechen, wenn nicht, würde sie hoffentlich die Klappe halten. Es gab auf den ersten Blick zwei Möglichkeiten, wer da hinter mir am Bug lehnte. Papa oder Lina. Aber Papa wusste eigentlich, dass ich hier meine Ruhe haben wollte und störte mich nicht. Demnach war es vermutlich Lina, die mal wieder die Schiffe am Horizont beobachten wollte und mich mit ihrer Anwesenheit nervte.

Okay, jetzt war es wirklich entschieden. Ich mochte sie nicht. Auch wenn sie noch so viel Geduld hatte und noch so gut mit den Schülern umgehen konnte. Ich mochte sie nicht. Sie tauchte viel zu oft im falschen Moment am falschen Ort auf. So wie jetzt. Aber immerhin war sie leise, das war schon mal ein großer Pluspunkt.

Und überhaupt, warum dachte ich eigentlich so viel über sie nach?

„Du wirst niemals von dir aus ein Gespräch anfangen, stimmt's?“ Jap, ich mochte sie nicht und nein, ich würde nie auf die Idee kommen ein Gespräch anzufangen. Wozu sinnlos reden, wenn es auch ruhig angenehm war?

„Das heißt dann wohl nein.“ Kluges Mädchen. „Warst du als Kind auch schon so schweigsam? Oder ist das erst mit den Jahren auf See gekommen?“ Wen interessierte das? Warum verschwand sie nicht einfach wieder und ließ mich hierin Ruhe?

„Jojo meinte, damals in der siebten Klasse, wärst du schon so still gewesen. Also nehme ich mal an, das war schon immer so. Deine Eltern müssen sich gefreut haben, so ein ruhiges Kind zu haben.“

Mein Vater hatte das gefreut, ja. Wäre meine Mutter noch hier, wäre ich vielleicht etwas lebhafter. Aber warum sollte ich ihr das sagen? Das war unnötiges Zeug, was Lina da fragte. Als ob ich da antworten würde.

Hinter mir seufzte Lina leise. Wann verschwand sie endlich, verdammt noch mal? Ich wollte den Abend, bevor die nächste Gruppe kam, genießen und mir nicht irgendwelche sinnlosen Fragen über meine Vergangenheit anhören. Und mal davon abgesehen, dass ich sie nicht hören wollte, wusste Lina doch eigentlich, dass ich für gewöhnlich auf solche Fragen nicht reagierte.

„Nur noch vier Fahrten, dann ist erstmal Winterpause.“ Linas Stimme hörte sich leicht traurig an. „Und erst ab März geht es wieder los. Was machst du in der Zeit?“

„Die Ruhe genießen“, murmelte ich leise.

Lina lachte. Ganz leise. Es ging fast in den Geräuschen der Brandung unter. „Harald meinte, wir können Anfang November und im Februar vielleicht die ein oder anderer Fahrt machen, damit die Seaside und wir nicht anfangen zu rosten.“

Ja, das machten wir immer so. Im Februar, damit wir sicher sein konnten, dass alles noch so funktionierte, wie es sein sollte und im November, damit am Ende auch wirklich alles gut verpackt war. Das war die offizielle Version. Die inoffizielle war, dass Papa einfach langweilig war, wenn er keinen Segeltörn leitete. Also fuhr er trotzdem raus, solange sich das Wetter hielt, um die Langeweile so gering wie möglich zu halten.

Aber der Winter hatte auch seine Vorteile. Zum Beispiel konnte ich dann öfter und ungestörter schwimmen gehen, weil nicht mehr so viele Boote auf dem Meer waren und an den Stränden weniger Leute rumliefen.

„Na gut, ich geh dann mal nach hause.“ Lina stieß sich von der Reling ab. „Wir sehen uns dann morgen.“ Halleluja. Sie machte eine kurze Pause, in der sie wohl hoffte, doch noch etwas von mir zu hören, dann fuhr sie fort: „Schlaf gut.“

„Du auch“, murmelte ich, aber ich glaube, Lina hatte es nicht gehört. Sie entfernte sich leise und als sie vom Boot auf den Pier sprang, schwankte das Schiff kurz etwas stärker, bevor es sich wieder den leichten, sanften Bewegungen der Wellen anpasste.

 

Die nächsten vier Wochen waren angenehm. Die Gruppen waren etwas kleiner, hauptsächlich irgendwelche Freizeitgruppen, die die Herbstferien nutzen wollten. Einige hatten sogar ein bisschen Erfahrung, was Segelboote betraf. Und dann war es soweit. Der letzte Segeltörn war für dieses Jahr beendet. Es war eine Gruppe von dreißig jungen Erwachsenen gewesen. Es war erstaunlich. Sonst schaffte man es um diese Jahreszeit selten, alle Betten auf dem Schiff zu füllen, weil es den meisten schon zu kalt war.

Und dann war endlich Ruhe. Vier Monate Ruhe. Entspannt legte ich mich bäuchlinks auf den Bugspriet und genoss die sanfte Bewegung des Bootes. Wunderbar. Und das die nächsten zwölf Wochen. Also, nein. Die nächsten fünf, dann vier Wochen Pause und dann wieder sieben Wochen. Weihnachten und Silvester waren wir ja immer bei Oma.

„Und wieder eine Saison vorbei.“ Papa lehnte sich seufzend an die Reling und schaute zum Horizont hinaus. „Weißt du, ich bin wirklich froh, dass Lina bei uns ist. Ich werde doch langsam alt und mit ihr kommt eine echte Entlastung für mich.“ Er lachte leise, als er sah, wie ich leicht das Gesicht verzog. „Weißt du Lucas, sie ist gar nicht so übel. Bei ihr ist es ähnlich wie mit Jojo. Glaub mir.“

Ich zog eine Augenbraue hoch und sah Papa schon fast ungläubig an. Nein, das konnte nicht sein. Mit Jojo war es etwas anderes. Er war anders. Jojo war ein Gestaltwandler. Das hatte er mir in der zehnten Klasse erzählt. Lina war ein Mensch. Man konnte die zwei einfach nicht vergleichen.

„Ich glaube, Mama hätte sie gemocht.“ Papa hatte leise gesprochen und fast hätte ich ihn nicht gehört. „Heute vor siebzehn Jahren war der Sturm, in dem ihr Boot geraten ist.“ Ich konnte die Trauer aus Papas Stimme heraus hören. Meinst du, sie würde noch leben, hätte die Unwetterwarnung sie früh genug erreicht?“

Ich schwieg. Papa hatte das schon unzählige Male gefragt. Er dachte, dass das der Grund war, warum sie da hinein geraten waren. Ich wusste, dass das nicht so war. Es war mindestens eine an Bord gewesen, die das Unwetter gespürt hatte. Irgendwann würde ich es Papa vielleicht sagen. Aber ich glaube, das würde er nicht ertragen. Wenn er erfuhr, dass Mama von dem Sturm gewusst hatte und trotzdem dort geblieben war...Nein, das würde ich ihm nicht an tun.

 

„Na, du alter Seemann, wie ist es, für lange Zeit erstmal festen Boden unter den Füßen zu haben?“ Jojo grinste mich an. „Aber ich hab gute Neuigkeiten für dich. Unser Boot kann endlich wieder fahren. Was hältst du davon, wenn wir morgen Nachmittag rausfahren und eine Runde schwimmen gehen?“ Mein Kumpel seufzte. „Ich war schon viel zu lange nicht mehr richtig im Wasser. Mein Haut fühlt sich schon ganz trocken an.“

Eine Woche schon. Papa war am Mittwoch noch mal mit uns rausgefahren, aber der Wind war ziemlich heftig gewesen, weshalb wir nicht lange auf See blieben. Und wie so oft, war Jojo genau im richtigen Moment aufgetaucht. Ein Samstag im Wasser konnte jetzt nicht schaden. Also nickte ich nur zu stimmend. Heute war mir noch weniger als sonst nach reden zu mute. Papa hatte wie immer in den Tagen nach Mamas Todestag seltsame extremen, was seine Stimmung an ging. In den Tagen war ich immer besonders schweigsam. Da übernahm Papa meistens auch noch meinen Anteil am Gespräch. Was natürlich nicht viel war.

„Lucas, ich muss es dir ja irgendwann mal sagen und ich mache es lieber jetzt, als irgendwann, wenn es zu spät ist.“ Jojo sah mich ernst an. „Du denkst viel zu viel nach.“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Was wollte er von mir? „Im Ernst. Du siehst immer total ernst und so aus. So wirst du nie eine Freundin finden.“

„Wer sagt denn, dass ich eine haben will? Das wäre dann doch sowieso nur eine Nervensäge mehr in meinem Leben“, murrte ich. Das brachte mir von Johannes einen bösen Blick ein.

„Genau das meine ich. Du bist viel zu pessimistisch, was deine Einstellung anderen Menschen gegenüber angeht. Du musst lernen, etwas offener zu sein. Lina wäre das perfekte Beispiel, um das mal zu üben.“

„Viel zu nervig“, warf ich schlecht gelaunt ein. Manchmal wusste Jojo halt doch nicht, wann man besser still war.

„Lucas, sie redet weniger als ich, so nervig kann sie also gar nicht sein.“ Er seufzte. Ich ebenfalls.

„Aber auch nur, weil du sie nicht zu Wort kommen lässt.“

„Mensch, Lucas, was ist denn mit dir los?“ Jojo sah mich ehrlich erstaunt an. „Du bist ja noch schlechter drauf, als sonst.“ Er schüttelte den Kopf. „Vergiss einfach, was ich grade gesagt habe. Du weißt doch, man darf nicht alles ernst nehmen, was ich von mir gebe.“

„Keine Angst, das werde ich.“ Missmutig kletterte ich an Jojo vorbei vom Bugspriet und in meine Kammer runter. Ich brauchte jetzt Ruhe. Papas wechselhafte Stimmung setzte mir jedes Jahr aufs neue zu. Dieses Jahr hatte ich sogar das Gefühl, dass sie noch extremer als sonst waren. Ob das wohl an Lina lag?

Bestimmt. Tja, und da war schon der nächste Grund, warum ich sie nicht mochte. Jetzt wurde auch noch Papa unerträglich.

„Lucas, es tut mir wirklich Leid.“ Jojo steckte seinen Kopf durch die Luke zu meinem Zimmer.

„Bitte Jojo“, seufzte ich. „Ich brauche jetzt einfach mal Ruhe. Ich rufe an, falls mir heute noch nach Gesellschaft sein sollte.“ Als ich seinen verletzten Blick sah, seufzte ich erneut. „Ist schon gut. Ich weiß ja, dass du es nur gut gemeint hast. Aber Papa ist mal wieder etwas schwierig. Und keine Angst, das mit morgen bleibt. Du hast recht, ich war auch viel zu lange nicht mehr richtig schwimmen.“ Ich lächelte zu meinem besten Freund hoch. Der nickte langsam und zog dann den Kopf aus der Luke.

„Okay, dann bis morgen.“ Er klang neutral und ich hatte das Gefühl, dass ich ihn mit meinen Worten verletzt hatte. Wundervoll, jetzt übertrug sich Papas Stimmung auch noch auf mich. Ich würde heute Abend noch mal mit Jojo sprechen. Er konnte schließlich nichts dafür, dass ich so schlecht drauf war. Das musste ich nicht an ihm auslassen. Das war nicht fair.

 

„Okay, wer als erstes bei dem Felsen da drüben ist.“ Jojo sah mich herausfordernd an. Ich zuckte mit den Schultern. Er würde sowieso gewinnen. Robbe gegen Mensch war einfach ein faires Rennen. „Und auf die Plätze.“ Jojos Augen funkelten vor Vergnügen. „Fertig.“ Wir gingen beide leicht in die Hocke, um besser abspringen zu können. „Los!“

Fast gleichzeitig stießen wir uns vom Boot ab und flogen dem Wasser entgegen. Noch im Flug verwandelte Jojo sich und als wir ins Wasser tauchten war er schon eine Robbe. Gemeinsam jagten wir auf die Felsen zu, die er als Ziel auserkoren hatte. Ich schwamm so schnell es ging, aber gegen Jojo hatte ich einfach keine Chance.

Die Robbe neben mir gewann mit mindestens einer Länge Vorsprung. Aber was sollte ich machen, er war nun mal der mit der kräftigen Schwanzflosse.

Wir kletterten auf die Felsen und ich drehte mich so, dass mir die Sonne auf den Bauch scheinen konnte. Zumindest das bisschen Novembersonne, dass sich zwischen den Wolken hindurch traute, wollte ich ausnutzen. Die Wolken am Himmel waren dunkel und schwer, aber mein Gefühl sagte mir, dass der Regen noch eine Weile auf sich warten lassen würde.

In der Ferne konnte ich ein Schiff erkennen. Ein Öltanker, glaube ich. Jojo neben mir seufzte zufrieden und ließ seinen Kopf vor sich auf die Felsen sinken. Aber plötzlich sprang er wie von der Tarantel gestochen wieder ins Wasser und tauchte kurz darauf vor mir auf.

Über unsere geistige „Verbindung“ zeigte er mir ein Bild von einer Unterwasserhöhle. Er hatte mir beigebracht, wie man die natürliche Schutzmauer fallen ließ, die jedes Bewusstsein umgab. Dadurch konnte er mit mir reden, wenn er eine Robbe war.

Mit einem Ächzen ließ ich mich zu ihm ins Wasser gleiten und folgte der Robbe nach unten. Er hatte Recht gehabt. Vielleicht drei Meter unter der Wasseroberfläche war eine Höhle im Fels. Und wie immer hatte ich die Ehre vor zu schwimmen und die Höhle zu erkunden, da ich der kleinere von uns beiden war.

Aber durch das Loche passte Jojo und der Gang war nicht sehr lang. Vielleicht zwei Meter oder so. Dann öffnete er sich zu einer riesigen Höhle. Ich signalisierte meinem besten Freund, dass er kommen konnte und schwamm dann nach oben um zu gucken, wie weit es hoch ging und ob da noch Luft war. Ewig konnten ich ja schließlich auch nicht unter Wasser bleiben. Egal, wie gut trainiert ich war.

Wider meiner Erwartung war tatsächlich eine Luftblase an der Decke der Höhle. Dabei hatten die Felsen doch nur ganz knapp über die Wasseroberfläche gereicht. Und sie waren flach gewesen. Jojo tauchte neben mir auf und sah mich mit funkelnden Augen an. Das hier war genau sein Ding. Und auch bei mir schlug langsam wieder die Frohnatur durch, die ich von eigentlich von Mama geerbt hatte.

Aber wenn ich in Jojos Gesellschaft war, ließ sie sich nicht mehr verbergen. Denn was Lina nicht wusste, war, dass ich früher sehr wohl ein lebhaftes Baby und Kleinkind gewesen war. Und dann war meine Mutter gestorben. Danach war ich irgendwie still geworden. So erzählte es zumindest Oma immer.

Exfreunde

Lina

 

„Und rum!“, schrie Harald von hinten. Sofort folgten Lucas und ich seinem Befehl und drehten die Segel, sodass das Boot eine links Kurve fuhr. Mit schnellen, sicheren und geübten Bewegungen befestigten wir alles wieder und Harald nickte zufrieden. Wir waren nur zu dritt und trotzdem klappte es echt gut.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht setzte ich mich auf das Dach der Schlafräume. Der Wind war frisch und kräftig, aber ich genoss es, dass er mir so forsch um die Nase wehte. Das hier war vielleicht letzte Bootstour für dieses Jahr. Es war jetzt Mitte November. In drei Wochen würde Harald und Lucas zu Haralds Schwiegermutter fahren, wo sie über Weihnachten und Silvester blieben. Und wer wusste schon, ob wie das Wetter die nächsten drei Wochen sein würde?

Nur noch sechs Wochen bis Weihnachten. Und ich hatte noch kein einziges Geschenk. Ich musste mich dringend darum kümmern. Vielleicht ließ sich das ja sogar heute noch einrichten. Obwohl, nein. Wir würden erst am späten Nachmittag wieder im Hafen sein. Dann noch loszufahren, würde nichts bringen. Aber morgen würde es bestimmt klappen. Mali arbeitete Samstags nur bis Mittag. Da blieb dann noch reichlich Zeit, um nach Geschenken zu suchen.

„Und die nächste Wende vorbereiten.“ Schnell sprang ich auf und lief zu meinem Posten. Ich hantierte an den Seilen herum und wartete auf Haralds Kommando. Und da war es auch schon. Ich ließ das Seil los und beobachtete, wie Lucas auf seiner Seite den Balken mit dem Segel hinüber zog und fest band. Jetzt machte ich auch meine Seile locker fest, damit sie nicht vom Wind herumgewirbelt wurden.

Ein heftiger Windstoß erfasste meine Kapuze, wehte sie mir vom Kopf und löste einige Strähnen aus meinem Zopf. Energisch strich ich sie hinters Ohr und schob die Kapuze wieder auf den Kopf. Aber der nächste Windstoß hob meine Kapuze wieder an und zerstörte noch mehr von meinem Zopf.

Ich seufzte entnervt. Ich hätte mir die Haare doch abschneiden lassen sollen. Dann hätte ich das Problem jetzt nicht. Lucas huschte ein Grinsen übers Gesicht, als er meine Bemühungen beobachtete, die wild gewordene Haarmähne zu bändigen.

„Das ist nicht witzig“, erklärte ich ihm missmutig, aber zu meinem Erstaunen brachte ihn das nur dazu, richtig zu lachen. Was war denn mit dem los? Sonst vermied er es, wo es nur ging, irgendwelche Emotionen zu zeigen und plötzlich lachte er mich aus, weil der Wind mit meinen Haaren spielte und mir so die Sicht nahm? Seltsam.

Auch Harald war erstaunlich gut drauf. Er lächelte die ganze Zeit und genoss es, hier draußen zu sein. Vielleicht lag das ja einfach daran, dass sie bald zu ihrer Familie fahren würden. Wobei es Lucas auch sein konnte, dass er sich einfach freut, mich bald vier Wochen lang nicht zu sehen. Zu trauen würde ich es ihm.

 

Es wurde sechs Uhr, bis wir den Hafen erreichten. Müde rief ich Mali an. Sie war sofort bereit, mich abzuholen. Aber es dauerte noch eine halbe Stunde, bis wir die Segel ordentlich zusammen gelegt hatten und ich endlich gehen kommen. Und als würde das nicht reichen, um mich für diesen Tag auszupowern, kam Mali auch noch in Begleitung zum Hafen.

Neben ihr lief ein junger Mann den Pier entlang und musterte jedes Schiff ganz genau. Er musste gar nicht in Sichtweite kommen, damit ich wusste, um wen es sich handelte. Sein Bewusstsein kannte ich fast so gut wie die meiner Familie und Malis.

Innerlich stöhnte ich auf. Nein. Bitte nicht heute. Nicht, wo ich eine anstrengende Segeltour hinter mir habe. Ich verzog das Gesicht, als der junge Mann mich entdeckte und mir fröhlich zu winkte. Aber brav winkte ich zurück. Ich konnte es ja doch nicht ändern.

„Wer ist das?“ Dieser Tag wurde immer seltsamer. Das war das erste Mal, dass Lucas von sich aus ein Gespräch anfing. Das sollte ich mir wohl nicht verscherzen.

„Ein alter Freund von mir“, erklärte ich. „Wobei man wohl eher sagen sollte, mein Exfreund.“ Ich seufzte abgrundtief und machte mich dann auf die Suche nach Harald, um mich von ihm zu verabschieden. Danach kehrte ich zu Lucas an die Reling zurück und blickte Mali und Darius mit gemischten Gefühlen entgegen.

Und dann waren sie am Boot angekommen und es gab kein Zurück mehr. Mali sah mich entschuldigend an. „Sorry, Lina. Er ist einfach aufgetaucht und hat sich geweigert zu gehen, bevor er mit dir geredet hat.“

Ich nickte. „Schon okay, Mali.“ Schnell drehte ich mich zu Lucas, um meinen Exfreund nicht ansehen zu müssen. „Also dann.“ Ich lächelte zaghaft. „Ich wünsche dir eine schöne Zeit bei deiner Familie und frohe Weihnachten, falls wir uns nicht mehr sehen.“

Lucas brummelte irgendwas – ich glaube, er sagte so was wie „gleichfalls“ – und ich sprang vom Schiff, um die Sache mit Darius schnell hinter mich zu bringen. Das würde ein Abenteuer werden.

Um das unvermeidliche noch etwas hinaus zu zögern, umarmte ich erst Mali zur Begrüßung, bevor ich Darius überhaupt ansah. Ein großer Fehler. Er hatte es wohl immer noch nicht akzeptiert. Ich seufzte.

„Was willst du hier, Darius?“

„Ich wollte dich sehen.“ Er klang, als wären wir immer noch zusammen, ich wäre nur weggezogen und er besuchte jetzt seine Freundin.

„Schön, du hast mich gesehen. Gehst du dann jetzt wieder?“ Mein Blick war kalt. Ich würde nicht zu lassen, dass er mich wieder aufwühlte.

„Lina, ich wollte mit dir reden.“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Über uns.“ Das ließ mich den Kopf schütteln.

„Da gibt es nichts mehr zu reden, Darius. Es ist aus.“

Jetzt schüttelte Darius den Kopf. „Aber warum? Es hat doch fünf Jahre lang super geklappt. Gib es doch zu. Du wusstest, dass ich dir einen Heiratsantrag machen wollte, hattest Schiss und hast deswegen Schluss gemacht.“ Er sah richtig verletzt aus. „Von mir aus, dann heiraten wir halt nicht. Aber bitte. Komm zurück.“ Sein Blick flehte mich grade zu an, zu sagen, dass alles wieder gut wäre und ich alles vergessen hatte.

„Ich soll zu dir zurück kommen, damit du mich mit der nächsten betrügen kannst?“ Meine Stimme war kalt wie das Eis, das sich schon bald nachts auf den Pfützen bilden würde. „Macht es dann mehr Spaß mit den anderen Mädchen? Wenn du weißt, dass es da jemanden gibt, den du grade betrügst?“

„Lina, bitte. Ich habe es dir doch schon erklärt. Es ist einfach so passiert. Ich war betrunken und habe erst gemerkt, was sie da mit mir macht, als es schon zu spät war.“

„Dafür, dass es angeblich das erste Mal war, kannte sie sich aber ziemlich gut bei dir in der Wohnung aus.“ Ich schüttelte wieder traurig den Kopf. „Vergiss es einfach, Darius. Ich werde nicht zurück kommen. Und jetzt geh bitte. Geh einfach, okay?“

Ich musste mich anstrengen, um nicht los zu heulen. Es war jetzt schon fast drei Monate her, dass ich das ganze heraus gefunden hatte und trotzdem schmerzte es noch immer. Sein Auftauchen hier brachte den Schmerz wieder hervor.

„Lina!“ Darius sah mich verzweifelt an. „Ich liebe dich. Heirate mich. Es wird nie wieder vorkommen.“

Jetzt musste ich freudlos auflachen. „Oh, jetzt soll ich dich also doch heiraten? Ich dachte, darauf könntest du verzichten. Denn weißt du, wenn du mich heiratest, bist du erst recht an mich gebunden. Oder ist es etwa noch besser, wenn man seine Ehefrau betrügt? Und außerdem: Es ist fast drei Monate her, dass ich mit dir Schluss gemacht habe und du tauchst erst jetzt hier auf? So wichtig scheine ich dir ja doch nicht zu sein. Also vergiss es einfach. Bitte.“ Ich drehte mich zu Mali um. „Ich bin hier fertig. Lass und gehen.“

Ohne mich noch mal zu Darius um zu drehen, verließ ich den Pier und steuerte Malis Auto an. Sie folgte mir schnell. Im Auto drückte sie mir mitfühlend den Arm, sagte aber nichts.

Schweigend fuhren wir zu unserer Wohnung. Und plötzlich schoss mir durch den Kopf, dass Lucas das alles mit angesehen hatte. Was er wohl jetzt von mir dachte?

Sobald wir dann zu hause waren, schloss Mali mich fest in die Arme. „Oh, Lina, es tut mir so Leid. Ich habe versucht ihn wegzuschicken, aber er hat sich geweigert. Und als ich dann los gefahren bin, um dich abzuholen, ist er mir gefolgt. Es tut mir so leid.“

„Ist okay, Mali. Irgendwann wäre er doch wieder gekommen.“ Ich musste schlucken, um die Tränen zu unterdrücken. „Ich hoffe nur, er hat es jetzt endlich kapiert.“

„Was hältst du von einem Filmeabend?“ Mali lächelte mir aufmunternd zu. „Ich habe Jan endlich dazu überredet, mir die Herr der Ringe und Narnia Filme zu geben. Heute ist der perfekte Abend, um Narnia zu gucken, meinst du nicht auch?“

„Okay.“ Ein etwas schief geratenes Lächeln huschte über mein Gesicht. „Narnia ist super.“

Tja, andere Frauen guckten Liebesfilme, wenn sie Liebeskummer hatten, ich sah mir lieber Fantasy-Filme an. Ich war halt etwas anders. Aber es hatte ja auch niemand behauptet, dass ich normal und durchschnittlich sein musste, oder?

Mali nickte energisch. „Sehr gut. Und während du jetzt kurz unter die Dusche springst, bereite ich alles für die Narnia-Nacht aller Zeiten vor.“ Sie grinste mich verschwörerisch an. „Was hältst du von Pizza zum Abendbrot und als Nachtisch Popcorn?“

Jetzt wurde mein Lächeln echt. „Perfekt. Ich nehme Thunfisch.“ Mali nickte wissend.

„Weiß ich doch, Schätzchen. Weiß ich doch.“

 

Nach dem Duschen zog ich mir meinen dicksten Pulli und eine Jogginghose an und kuschelte mich zu Mali auf ihr Bett. Sie hatte einen Computer mit großem Bildschirm, während ich, wenn ich mal einen PC brauchte, den alten Laptop meines Vaters benutzte. Ich war so selten hier in der Wohnung, dass es sich bis jetzt nicht gelohnt hatte, mir was neues zu kaufen.

„Morgen gehen wir übrigens shoppen“, erklärte mir Mali bestimmt, während sie den ersten Film startete. Tja, ganz abnormal waren wir halt auch nicht.

„Sehr gut. Ich wollte dich sowieso fragen, ob wir morgen einkaufen fahren können. Ich hab noch kein einziges Weihnachtsgeschenk.“

„Ich auch nicht.“ Mali grinste und sah mich schon fast entschuldigend an. „Der Job hat mich bis jetzt davon abgehalten.“

„Tja, ich wünschte, das könnte ich auch von mir behaupten. Aber ich saß die letzten zwei Wochen nur herum, habe gelesen und den ein oder anderen Bericht geschrieben, den mein Boss von mir haben wollte und der noch fehlte.“ Ich grinste schief. „Ich hatte also jede Menge Zeit, um mich nach Geschenken um zu sehen.“

Die Pizza kam, kurz nachdem wir den ersten Film angefangen hatten und am Ende des Films war sie alle. In der kurzen Pause, die wir zwischen den Filme einlegten, machte Mali dann das Popcorn fertig. Wir brauchten die Hälfte des zweiten Films, um sie aufzuessen.

Kurz um, der Abend war perfekt. Was gibt es besseres, um den Exfreund zu vergessen, als einen Filmeabend mit der besten Freundin zu veranstalten?

Richtig. Nichts. Außer vielleicht shoppen am nächsten Tag. Und das taten wir. Wir liefen den ganzen Nachmittag durch die Einkaufspassage der Stadt und suchten in dem Gewühl von Menschen nach den richtigen Geschenken. Die Geschenke für meine Eltern hatte ich schnell gefunden. Für Mama suchte ich einen Schal aus, von dem ich wusste, dass er ihr gefallen würde. Dazu konnte ich dann noch eine Tafel Schokolade legen oder so. Papa bekam von mir das neue Lucky Luke Comic und die nächste Staffel von Scrubs. Er liebte diese Fernsehserie.

Fehlten noch Mali, Hannah,Thorsten – ihr Verlobter – und meine Großeltern. Für letztere entdeckte ich in einem Buchladen einen Gedichtband. Die Eltern meines Vaters liebten Gedichte. Meine andere Oma hatte ich nie gekannt und der Vater meiner Mutter war vor vier Jahren gestorben.

Bei der Auswahl, was die letzten drei anging, fiel es mir schwerer und es dauerte lange, bis ich endlich doch etwas gefunden hatte. Hannah schenkte ich ein Fantasy-Buch, Thorsten bekam ein Zeichenbuch – er war Künstler – und Mali bekam eine Spiegelreflex-Kamera.

Der Tag verlief also echt erfolgreich. Ich hatte es geschafft für alle ein Geschenk zu besorgen. Und als wir schon fast wieder zu hause waren, sah Mali mich verzweifelt an.

„Lina, wir haben das Geburtstagsgeschenk für Jojo vergessen.“ Er hat in ein paar Tagen Geburtstag und hat uns zu der Feier eingeladen. Hab ich vergessen dir zu erzählen, sorry.“

Ich nickte nur stumm und Malika wendete bei der nächsten Gelegenheit und fuhr zurück in die Stadt. Da ich keine Ahnung hatte, was ich dem Studenten schenken könnte, beschloss ich, mich mit Mali zusammen zu tun. Sie brauchte nicht lange, um etwas zu finden. Ein Buch.

Zug, Wurf, Sieg

Lucas

 

 

Es hatte mich irgendwie erstaunt zu erfahren, dass Lina einen Exfreund hatte. Sie redete immer so viel über sich und ihre Freunde, da hatte ich irgendwie angenommen, dass sie noch nie einen Freund gehabt hatte, weil sie keinen erwähnt hatte.

Ich hatte dem Streit nicht so offensichtlich lauschen wollen, also war ich auf meinen Stammplatz, den Bugspriet, geklettert. Dort hatte ich nur noch ein paar Fetzen des Gesprächs gehört, aber ich hatte sie ignoriert. Es interessierte mich schließlich nicht, ob Lina einen Exfreund hatte und aus welchen Gründen die zwei sich getrennt hatten. Viel wichtiger war es, jetzt das richtige Geschenk für Jojo zu finden. Ich hatte nur noch weniger als eine Woche, um etwas zu finden.

Heute war Sonntag. Dienstag hatte Jojo Geburtstag und Freitag würde er feiern. Also hatte ich noch vier Tage, wenn Freitag weg ließ, um etwas passendes zu finden. Vielleicht fand ich ja irgendwo am Strand bei dem Treibgut irgendwas, was ihm gefallen könnte...

Ja, das könnte klappen. So spät im Jahr war nur sehr selten jemand am Strand anzutreffen, dann konnte ich vielleicht auch hin schwimmen. Papa würde morgen den ganzen Tag weg sein. Perfekt.

 

Bei dem Treibgut am Strand fand ich nichts. Da waren nur morsches Holz und unzählige Muscheln. Und auch auf dem Rückweg fand ich nichts brauchbares. Nur jede Menge Müll. Tja, dann würde ich wohl doch noch in die Stadt fahren und da nach etwas passendem suchen müssen. Vielleicht entdeckte ich ja ein gutes Buch oder so.

 

Die Woche verging in einem zähen Fluss der Langeweile. Wäre ich alleine, würde ich einfach jeden Tag schwimmen gehen, aber es würde etwas seltsam auf Papa wirken, wenn ich bei diesem Wetter schwimmen ging. Und eine Ausrede wollte mir auch nicht einfallen.

Also ging ich Montag Nachmittag noch in die Bücherei und holte mir ein paar Bücher, mit denen ich mich dann die nächsten Tage beschäftigte. Dienstag telefonierte ich eine ganze Weile mit Johannes, Mittwoch fuhr ich in die Stadt, um sein Geschenk zu besorgen. Donnerstag fuhren wir noch mal mit der Seaside raus, weil das Wetter so super war. Und dann war endlich der Freitag gekommen.

Johannes feierte hier bei seinen Eltern. Zum einen, damit überhaupt alle Gäste Platz fanden, zum anderen, weil es wir nur ins gesamt sechs Leute waren und drei davon hier wohnten. Für uns wäre es blöd gewesen, heute Nacht noch wieder nach hause fahren zu müssen und Jojos Freunde aus Cuxhaven würden hier übernachten.

Um viertel vor sieben hielt Malikas Auto am Hafen und ich stieg schnell ein. Malika und Lina hatten angeboten mich mit zu nehmen. Papa und ich hatten kein Auto. Die meiste zeit im Jahr waren wir auf dem Schiff. Zu meinen Großeltern fuhren wir mit dem Zug. Meine Alternative wäre der Bus gewesen. Und der fuhr nur bis elf wieder zurück zum Hafen.

Die beiden jungen Frauen schienen recht gut drauf zu sein, denn sie redeten und lachten die ganze Fahrt über über irgendwelches sinnloses Zeug. Zwischen durch versuchte Malika auch mich in das Gespräch mit ein zu binden, aber ich blockte ihre Versuche immer wieder ab, in dem ich nur etwas unverständliches brummelte. Zum Glück dauerte die Fahrt nicht lange. Um kurz vor sieben klingelten wir an der Tür der Seiferts. Und damit fing die Hölle an. Hatte ich mich wirklich auf diesen Abend gefreut?

Die beiden anderen Gäste, ebenfalls in unserem Alter, waren sehr nett, aber leider fast genauso gesprächig wie der Rest der Truppe. Eigentlich hatte das hier ein kleiner gemütlicher Abend zu viert werden. Mit seinen Freunden aus Cuxhaven wollte Johannes erst morgen feiern, aber die zwei hatten morgen Abend keine Zeit, weshalb Jojo ihnen angeboten hatte, heute schon mit zu feiern.

„Okay, der Plan sieht so aus“, fing Jojo an, als wir alle im Wohnzimmer saßen. „Das Essen ist gleich fertig. Es gibt Pizzabrötchen. Und wenn wir dann irgendwann hoffentlich alle satt sind, fangen wir mit dem Spielabend an. Irgendwelche Einwände?“ Johannes sah jeden einmal kurz an. „Gut, dann kommt an den Tisch und genießt die Spezialität des Hause Seifert.“

„Das war dann wohl die Aufforderung, sich zu Tisch zu begeben.“ Jannis, einer der beiden Cuxhavener erhob sich grinsend. „Wann wolltest du eigentlich deine Geschenke haben, Jojo?“

„Irgendwann. Stellt sie erstmal auf den Kamin, wenn ihr sie nicht mehr wollt.“ Das Essen war sehr lecker und gegen acht Uhr waren dann alle fertig, der Tisch abgeräumt und das erste Spiel aufgebaut. Risiko. Eins meiner Lieblingsspiele, da es ein Strategiespiel war, aber man auch ein bisschen Würfelglück brauchte, um Erfolg zu haben.

 

„Das ist doch nicht fair“, schimpfte Lina und zog einen weiteren ihrer Soldaten aus ihrem Land ab. Jetzt stand es sechs gegen einen für Malika. „Gib es doch zu, Mali, du hast die Würfel gezinkt, damit du gewinnst.“ Die junge Frau grinste ihre beste Freundin an. Wir spielten jetzt schon seit einer halben Stunde und ich hatte mir schon ein recht nettes Reich aufgebaut. Malika allerdings auch. Sie war eine wirklich ernst zu nehmende Gegnerin in diesem Spiel.

„Ich kann auch nichts dafür, wenn ich so ein Würfelglück habe. Das wurde mir in die Wiege gelegt.“ Die zwei würfelten erneut und Lina zog murrend auch ihren letzten Soldaten ab. Malika hielt sich nicht lange damit auf, ihren Sieg zu feiern, sondern steuerte schon das nächste Land an. Meins. „So Lucas, mach dich auf was gefasst.“

Ich zog nur eine Augenbraue hoch und brachte damit zur Geltung, dass ich nicht wirklich beeindruckt von ihrem Glück war. Keine Glückssträhne hielt ewig an und Malikas war schon ziemlich lang gewesen. In den letzten zwei Runden hatte sie jeden Kampf gewonnen. Es wurde Zeit, dass hier mal wieder andere Saiten aufgezogen wurden. Ich würde nicht einfach dabei zu sehen, wie Malika mein mühsam errichtetes Imperium wieder zerstörte. Und jetzt war es an der Zeit, den ersten Schritt zu tun.

„Dein Untergang steht kurz bevor“, erklärte die junge Fotografin mit verhängnisvoller Stimme und warf die Würfel.Neun. Nett, aber schlagbar. Ich nahm meine Würfel von Lina entgegen und würfelte. Zehn. Das war knapp.

„Ja, da naht sich eindeutig ein Untergang.“ Johannes grinste Malika an. „Aber bist du dir sicher, dass du von der richtigen Person gesprochen hast?“ Malika rümpfte die Nase.

„Ein Soldat ist doch noch lange nichts. Ich habe immer noch vier weitere. Und Lucas hat nur zwei.“ Wir würfelten erneut. Wieder gewann ich nur knapp.

„Drei, Mali. Jetzt ist deine Überzahl gar nicht mehr so groß.“ Auch Lina grinste. Zum dritten Mal würfelten wir. Gleich stand. Jeder zog einen Soldaten ab. Eins zu zwei. Das konnte knapp werden. Aber das Glück schien zu mir über gewechselt zu sein. Ich gewann das nächste Würfelduell und Malika trat mit ihrem letzten Soldaten den Rückzug an.

Als nächstes war Jannis an der Reihe. Danach kamen der zweite Cuxhavener und Johannes, dann war ich endlich an der Reihe. Seit Malikas Niederlage hatte niemand mehr versucht mich anzugreifen. Nordamerika war bis auf ein Land in meiner Gewalt. Das würde ich mir jetzt zurückholen und mich dann auf Südamerika stürzen.

Linas Territorium. Und dann würde ich mir Afrika vor nehmen. Drei Länder hatte ich da von Anfang an gehabt und bis jetzt bitter gegen Johannes verteidigt, der die ganze Zeit versuchte, sie in seine Gewalt zu bringen und damit ganz Afrika zu beherrschen.

Lina war nicht sehr begeistert, als sie merkte, dass ich gleich bei ihr einmarschieren würde. Sie warf mir einen wütenden Blick zu,während ich meine Soldaten postierte, sagte aber erstaunlicher Weise nichts. Vielleicht lernte sie ja endlich, dass Worte nicht immer alles waren. Das wäre ein Segen für mich und die Seaside.

„Ach, gebt es doch zu, ihr habt euch gegen mich verschworen.“ Lina betrachtete frustriert die paar Länder, die noch von ihren Soldaten besetzt waren. „Vielleicht sollte ich einfach aufgeben, dann hättet ihr bestimmt euren Spaß. Meine Mission werde ich sowieso nicht mehr erfüllen können.“

Sie zog die Nase kraus und postierte dann ihre Soldaten für einen kleinen Rückschlag gegen mich. Ein Land bekam sie sogar zurück, aber weiter reichten ihre Soldaten nicht mehr, da sie ja auch noch welche zur Grenzsicherung brauchte.

Malika attackierte gnadenlos die zwei Länder, die Lina in Asien hatte und gewann sie schließlich auch. Lina tat mir echt leid, aber was sollte ich machen, ich musste schließlich meine Mission erfüllen. Aber jetzt hatte sie erstmal eine Runde Ruhe, da ich mir Afrika vornehmen wollte. Ich wollte ihr wenigstens eine Chance geben, noch mal zurück ins Spiel zu kommen.

Ich musste drei Kontinente erobern, einer davon sollte Nordamerika sein. Lina musste also nicht unbedingt für mein Ziel weichen. Europa oder Asien waren genauso gute Ziele. Okay, wie sagt man so schön?

Auf sie mit Gebrüll.

Am Ende wurde es knapp. Malika hätten nur noch zwei Länder gefehlt, dann hätte sie ebenfalls ihre Mission erfüllt.

„So, und während Lucas und Lina was zu knabbern holen, bauen wir Siedler auf“, erklärte Johannes, als Risiko wieder sicher verpackt im Karton war. „Oder hat jemand einen besseren Vorschlag?“

Hatte natürlich niemand. Lina folgte mir in die Vorratskammer, wo wir eine Tüte Chips, eine Dose Cashewkernen und eine Tafel Schokolade holten. Die Chips füllte ich in der Küche noch in zwei Schalen um, dann brachten wir die Knabbersachen ins Wohnzimmer.

„Okay, ihr habt mich überzeugt“, erklärte Malika genau in dem Moment, als wir das Wohnzimmer wieder betraten. Sie hatte die Hände gehoben, als würde sie sich ergeben.

„Wovon haben sie dich überzeugt, Mali?“ Lina sah ihre beste Freundin und Mitbewohnerin verwundert an. Diese grinste nur und schüttelte den Kopf.

„Das darf ich dir leider nicht sagen.“ Sie lächelte nachsichtig. „Aber du wirst es verstehen. Eines Tages.“ Jojo räusperte sich bedeutungsvoll. „Okay, vielleicht auch schon heute Abend“, lenkte Malika ein, warf dem Gastgeber aber einen bösen Blick zu. Der grinste nur und warf mir einen Blick zu, den ich nicht richtig deuten konnte. Ich ließ die Sache lieber auf sich beruhen. Wenn Jojo das Thema wichtig fand, würde er es noch mal zur Sprache bringen, wenn nicht war es nicht der Rede wert.

„So, und jetzt macht euch bereit.“ Jannis beugte sich über den Tisch und sah jedem für einen Moment in die Augen. „Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Ist Lucas nur jemand, der einfach Würfelglück hat, oder ist er ein wirklicher Stratege?“

Jojo lachte. „Jannis, ich habe bis jetzt kein Siedlerspiel gegen ihn gewonnen. Also mach dich auf was gefasst, das könnte eine harte Partie werden.“

Der Cuxhavener nickte wissend. „Ja, das habe ich mir gedacht. Aber ich werde es dir wirklich schwer machen, Lucas. Bist du bereit für die härteste Siedlerpartie deines Lebens?“

Ich zog eine Augenbraue hoch und musterte Jannis skeptisch. Bei Risiko war er nicht schlecht gewesen, aber Malika hatte sich besser geschlagen. Ob sich das wohl bei Siedler ändern würde?

„Also, wenn ich ihn mir so angucke, würde ich sagen, er überlegt grade, ob du eine ernsthafte Bedrohung für ihn bist, Jannis.“ Jojo grinste. „Und ich wette, er wird sich dagegen entscheiden.“ Jojo setzte sich auf seinen Platz und ordnete seine Steine zu streng sortierten Reihen. „Irgendwie kann ich ihn sogar verstehen. Du warst bei Risiko schon deutlich besser.“

Hmm, sollte das jetzt heißen, für gewöhnlich war er ein guter Spieler, aber heute war nicht so sein Tag? Interessant. Aber Johannes hatte schon recht. Momentan konnte ich in ihm keinen wirklichen Gegner sehen. Da war ja Johannes fast noch eine größere Bedrohung.

„Wolltet ihr noch den ganzen Abend diskutieren, oder können wir endlich anfangen?“ Lina sah uns ungeduldig an. Mit einem leichten Lächeln, wegen der Ungeduld der sonst so ruhigen und geduldigen jungen Frau, setzte ich mich wieder auf meinen Platz und sortierte schnell meine Steine.

Die Partie dauerte zwei Stunden und es wurde tatsächlich wieder knapp, was den Ausgang anging. Diesmal gewann ich allerdings nicht. Aber auch nicht Jannis. Oder Malika. Lina überraschte uns alle und gewann die Runde haushoch. Wir waren alle erstaunt. Selbst Malika.

„Sorry, Leute.“ Lina grinste vor Freude. „Ich hätte es euch ja gesagt, aber dann hätte ich diese ganzen schönen Gesichter nicht sehen können.“ Sie legte einen Arm um Malikas Schulter. „Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen und werdet trotzdem das nächste mal noch mit mir spielen.“

„Machst du das mit Absicht?“ Malika sah Lina schief an. „Erst in Risiko abkratzen und dann in Siedler voll durchstarten? Und vor allem deiner besten Freundin jahrelang weiß machen, dass du kein Siedler spielen kannst?“

„Das habe ich nie behauptet, Mali. Wir haben noch nie zusammen gespielt, woher hast du also das Wissen genommen, ich könnte kein Siedler spielen?“

„Ähm...“ Malika sah Lina verdattert an. „Ich dachte, das hättest du mir irgendwann mal gesagt.“

Alltag

Lina

 

 

Weihnachten verbrachten Mali und ich zu hause. Sie hatte zwischen Weihnachten und Silvester Urlaub, weshalb wir in der Zeit bei unseren Eltern blieben. Die Geschenke, die ich bekommen hatte, waren alle in irgendeiner Weise von praktischer Art. Von meinen Patentanten bekam ich Geld. Meine Eltern schenkten mir ein Modellschiff, das ich selber zusammen bauen konnte, zwei CDs von Bands, die ich gerne mochte und auch Geld. Torsten, Hannah und Malika hatten sich bei meinem Weihnachtsgeschenk zusammen getan. Von ihnen bekam ich einen Laptop.

Mali feierte ihren Geburtstag an Neujahr wie immer nicht groß. Sie band es in die Silvesterfeier mit ein, veranstaltete aber keine nachträgliche Party.

Damit ich nicht die ganze Zeit zuhause rum saß und mich langweilte, hatte ich mich bei einem Restaurant als Kellnerin beworben und hatte den Job bekommen. Am zweiten Januar fing ich dort an. Bis Ende Februar arbeitete ich in der Mittagsschicht.

Im Februar fuhren wir an zwei Wochenenden mit der Seaside raus. Das Schiff war in einem super Zustand. Der Winter hatte bis auf ein bisschen Eis keine deutlichen Schäden an ihr hinterlassen. Harald schien ehrlich zufrieden. Auch Lucas war jetzt nach dem Winter viel Geselliger. Zwar kam es immer noch nicht vor, dass er von sich aus ein Gespräch anzufangen, aber wenn ich nach dem verpacken der Segel nicht gleich nachhause fuhr und mich noch ein bisschen mit Harald unterhielt, stellte er sich auch mal dazu und nahm mehr oder weniger an unserem Gespräch teil.

Zwischendurch traf ich mich auch mit Jojo, um mit ihm zusammen schwimmen zu gehen. Es war schön, mal mit einem anderen Gestaltwandler als mit denen aus meiner Familie zu reden. Und die Wettrennen mit Johannes waren auch immer interessant, weil ich die bessere Schwimmerin war, er aber die kräftigere Schwanzflosse hatte.

 

Als im März dann die erste Gruppe kam, merkte ich, wie sich Lucas wieder ein klein bisschen verschloss, aber er war immer noch besser drauf, als Ende der Saison letztes Jahr. Die erste Gruppe war eine Schulklasse. Achtundzwanzig Schüler, ein Lehrer und eine Lehrerin.

Eine neunte Klasse. Die Schüler waren extrem aufgedreht. Ich war echt froh, dass das nicht meine erste Fahrt war. Mit so einer aufgedrehten Truppe hätte ich womöglich noch einen Nervenzusammenbruch erlitten. Aber dadurch, dass ich letztes Jahr schon fast zwei Monate auf der Seaside gearbeitet hatte, hatte ich schon etwas Erfahrung sammeln können.

Diesmal zeigte ich den Schülern ihre Zimmer, die Badezimmer und den Essraum. Wie immer übernahm Lucas die Lehrer. Das Umräumen des Gepäcks dauerte mit dieser Gruppe länger. Wie vermutlich alles diese Woche. Aber wer weiß, vielleicht beruhigten sie sich ja ein bisschen, wenn sie erst durch die Arbeit hier ausgepowert wurden.

Wie immer auf unserem Schiff sollte es um sieben Essen geben. Die Schüler zerstreuten sich sofort in alle Winde und ich atmete erleichtert auf, als nur noch das leise Geklapper des Geschirrs aus dem Essraum nach draußen dran und es ansonsten ruhig war. Wie erwartet fand ich Lucas am Bug. Aber heute saß er nicht auf dem Bugspriet.

Ich lehnte mich neben ihn an die Reling und sah hinaus zum Horizont. Da es noch so früh im Jahr war, waren nur wenige Schiffe dort zu sehen.

„Na, verstehst du jetzt, warum ich manchmal so genervt von dir bin?“ Lucas sah mich von der Seite an. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

Ich nickte langsam. „Ja, ich kann es verstehen. Aber nur teilweise. Das hier sind fast dreißig Leute, die viel reden. Ich bin nur eine einzige Person.“

„Stimmt. Aber gefühlt bist du manchmal fast genauso nervig.“ Lucas wandte sich wieder dem Wasser zu und ich betrachtete sein Profil. Seine Nase war grade und wirkte fast ein wenig spitz. Das Kinn war scharf geschnitten. Der Übergang von Nase zur Stirn sah irgendwie interessant aus. Die Nase, ging nicht einfach grade in die Stirn über, sondern endete etwas unterhalb und es sah so aus, als wäre dort eine Einbuchtung, weil die Nase noch ein kleines Stück in den Schädel rein reichte.

„Bin ich so interessant?“ Erschrocken zuckte ich zusammen und spürte, wie ich leicht rot wurde. Lucas sah immer noch auf das Wasser, aber natürlich hatte er aus dem Augenwinkel gesehen, dass ich ihn ansah. Nun sah Lucas mich direkt an. „Wie meinst du, hättest du dich verhalten, wenn das hier deine erste Gruppe gewesen wäre?“

Ich zuckte mit den Achseln. Es war irgendwie ungewohnt, dass Lucas mich etwas fragte. Etwas persönliches. Nichts wegen dem Schiff.

„Keine Ahnung. Ich wäre bestimmt extrem nervös gewesen. Ich hätte wahrscheinlich Angst gehabt, sie würden mich nicht respektiert, weil ich hier neu bin.“ Ich lächelte. „Ich bin echt froh, dass ich schon letztes Jahr anfangen durfte. Die Klasse hier auf meiner ersten Fahrt zu haben, wäre nicht wirklich vorteilhaft für mein Selbstbewusstsein.“ Ich wandte meinen Blick von Lucas ab und beobachtete den Horizont. Es war schon eine leichte Rotfärbung zu erkennen. Es würde bald dunkel werden.

Lucas' Blick ruhte immer noch auf mir. Das spürte ich genau. „Bist du dir sicher? Du bist doch sonst immer so ruhig und geduldig und lässt dich durch nichts aus der ruhe bringen.“ Wieder wurde ich leicht rot. Hatte Lucas wirklich so eine hohe Meinung von mir? „Und so gut, wie du erklären kannst, hören die dir bestimmt gespannt zu und kommen gar nicht auf die Idee, dich zu unterbrechen oder zu ärgern.“

„Woher weißt du das so genau? Die Gruppen letztes Jahr waren alle viel ruhiger und schienen wirklich daran interessiert zu sein, etwas über das Schiff zu lernen. Die Klasse jetzt, ist unruhig und wirkt so uninteressiert. Bei denen werde ich bestimmt doppelt so lange brauchen, etwas zu erklären.“

Lucas schüttelte den Kopf. „Du hast auf jeden Fall viel mehr Geduld als ich. Dir scheint macht es nichts aus, eine Sache noch mal zu erklären, weil jemand es nicht verstanden hat. Und ganz ehrlich, dafür bewundere ich dich. Es ist viel angenehmer, nur daneben stehen zu müssen, oder irgendwas auf dem Schiff zu kontrollieren, als das alles erklären zu müssen.“

Ich lächelte leicht. „Ach wirklich? Bist du so ungeduldig? Ich meine, du schaffst es doch auch immer geduldig, jemanden zu ignorieren, der dich mit sinnlosem Zeug vollplappern will. Und dann hast du keine Geduld, etwas zu erklären, was dir so am Herzen liegt?“

„Ja, ich bin nun mal ein eher schweigsamer Mensch. Aber das weißt du ja schließlich selber schon zu genüge.“ Wieder huschte ein Lächeln über das Gesicht des sonst so ernsten jungen Mannes. Irgendwas musste in den Wochen bei seiner Familie passiert sein. Anders konnte ich mir die plötzliche Offenheit, mit der er mir begegnete, nicht erklären. Niemand ändert sich einfach so von heute auf morgen.

Bis die Schüler dann zum Essen zurück kamen, schwiegen wir. Aber es war ein angenehmes Schweigen. Es bestand nicht die Notwendigkeit, etwas zu sagen. Wir waren beide mit der Situation, wie sie jetzt war zufrieden.

Ich musste lächeln. Bevor ich hier her gekommen war, wäre so ein Schweigen mir unangenehm gewesen. Früher hatte ich es gehasst, wenn es irgendwo ruhig war. Und jetzt genoss ich die Stille, die hier herrschte, bevor die Schulklasse sie durchbrechen würde.

 

Am nächsten Morgen traf ich Lucas schon früh wieder an Deck. Ich hatte nicht mehr schlafen können, weshalb ich schon um kurz nach sechs aufstand. Nachdem ich kurz ins Bad ging, kletterte ich dann aufs Deck. Die Luft war noch kühl und obwohl wir hier im Hafen waren, zerzauste ein kräftiger Wind mir meinen grade erst gemachten Zopf. Genervt schob ich mir die Haare hinter die Ohren und sah mich um. Lucas stand am Heck an die Reling gelehnt.

Ich gesellte mich zu ihm, sagte aber nichts. Die ersten Schüler würde ein einer halben Stunde aufstehen und das Frühstück vorbereiten. Die anderen dann in einer dreiviertel Stunde.

„So ein ruhiger Morgen, bevor der Lärm der Gruppe losgeht ist das schönste an den Segeltörns.“ Ich lächelte, als Lucas gedankenverloren nickte.

„Heute Abend wird es regen geben.“ Erstaunt sah ich zum Himmel hoch. Es zogen nur ein paar vereinzelte Wolken vorbei,a ber mein Seehund in mir stimmte Lucas zu. „Wir segeln genau darauf zu.“ Woher wusste er das? Der Wetterbericht gestern Abend hatte nichts dergleichen gesagt. Und er war auch kein Gestaltwandler, der durch seine tierische Hälfte ein besseres Gespür für Wetter hatte.

Hinter uns hörte und spürte ich jemanden. Ich drehte mich um und entdeckte Harald, der auf uns zu kam. Lucas wiederholte, was er eben schon zu mir gesagt hatte. Sein Vater nickte nachdenklich.

„Wir werden heute noch nicht auslaufen. Sie ich habe eben noch mal Wetterbericht gehört. Es soll heute Windstärke acht werden. Das ist mir zu gefährlich.“ Jetzt nickten Lucas und ich. Das war verständlich. Aber es bedeutete auch, dass die Lehrer mit der Gruppe vielleicht irgendeinen Ausflug.

Dann würde es hier schön ruhig sein. Lucas schien den gleichen Gedanken gehabt zu haben, denn sein Blick wanderte automatisch zum Bugspriet.

Harald hatte den Lehrern den Tipp gegeben, dass es hier eine nette Wandertour zu einem Leuchtturm gab. Nach dem Frühstück, als alles wieder an seinem Platz war, brach die Klasse auch gleich auf, da niemand wusste, wie lange das Wetter sich noch hielt.

„Und? Was wirst du jetzt mit diesem plötzlichen freien Tag anfangen?“, fragte ich Lucas, als die Stille auf die Seaside zurückgekehrt war. Dieser zuckte mit den Achseln.

„Keine Ahnung. Die Stille genießen, mit Jojo reden. Mal gucken. Und du?“

„Vielleicht kommt Malika vorbei. Wenn das okay ist.“ Ich sah Lucas unsicher an, aber er zuckte nur zustimmend mit den Achseln. „Okay, also kommt Malika vielleicht nachher vorbei. Ansonsten hab ich nicht wirklich was vor, weil ich ja nicht wusste, dass ich heute frei hab.“

Lucas grinste. „Ja, so was weiß man nie, bevor es passiert.“

 

Malika hatte leider keine Zeit. Sie musste arbeiten. Also legte ich mich aufs Deck in die Sonne und las ein Buch, das ich mir von einer Freundin ausgeliehen hatte. Lucas hatte sich mit seinem MP3-Player auf den Bugspriet gelegt. Zum Mittagessen holten wir uns Brötchen vom Bäcker und aßen sie mit Käse und Wurst.

Die Klasse kam ungefähr um vier wieder. Schon von weitem hörte man sie rufen. Ich seufzte leise. Und da ging sie dahin, die Ruhe.

Langsam, da ich nicht wirklich Lust hatte, das Buch wieder wegzulegen, erhob ich mich und brachte meine Lektüre wieder weg. Dann wartete ich zusammen mit Lucas auf dem Deck darauf, dass die Schüler ankamen. Er hatte mir ein schiefes Lächeln zugeworfen, als er die Unmut in meinem Gesicht gesehen hatte. Ja, er konnte mich verstehen.

Der restliche Nachmittag wurde recht anstrengend, da es irgendwie immer irgendjemanden gab, der Mist baute und den man zu Recht weißen musste. Aber die Lehrer halfen uns, weshalb es noch einigermaßen auszuhalten war. Am schlimmsten wurde es, als es dann gegen halb sieben zu regnen anfing, genau, wie Lucas es am Morgen vorher gesagt hatte.

Am nächsten Tag konnten wir dann in See stechen. Der Wind war zwar nicht der beste, um mit einer großen Gruppe von Anfängern segeln zu gehen, aber es war besser als am Vortag. Jetzt war nur noch Windstärke sechs.

Meine Befürchtung wurde wahr. Ich brauchte zum Erklären, der Aufgaben doppelt so lange, wie sonst, weil immer wieder dazwischen geredet wurde. Die Gruppe raubte mir noch den letzten Nerv. Ich war richtig gehend resigniert, als ich zum dritten Mal erklären musste, wie welcher Mast und die zugehörigen Segel hießen. Bugspriet und Foksegel, Hauptmast und -segel, Besanmast und -segel. Das war doch nicht so schwer, oder?

Lucas schien meine wachsenden Ungeduld zu spüren, denn irgendwann schaltete er sich ein und brachte endlich eine anhaltende Ruhe in die Gruppe. So konnte ich zu Ende erklären, ohne dass mir alle paar Wörter dazwischen geredet wurde. Und so ging es die ganze Woche.

Wenn man der Klasse irgendwas erklären wollte, musste man sich erstmal Ruhe verschaffen und es irgendwie hinbekommen, dass die Schüler auch ruhig blieben. Mit der Zeit wurden Lucas und ich ein eingespieltes Team. Er sorgte für Ruhe, ich erklärte die Sachen.

Ich war trotzdem heilfroh, dass der Segeltörn zu Ende war und wir die Gruppe nicht noch eine Woche ertragen mussten. Harald lächelte uns milde an, als er Lucas‘ und meine Erschöpfung und Erleichterung am Ende der Woche bemerkte.

„Keine Angst, die nächste Gruppe wird Ruhiger. Das ist eine Gruppe Studenten, die in ihren Semesterferien Segeln gehen wollten“, erklärte er uns. Innerlich jubelte ich. Äußerlich brachte ich nur ein leichtes Lächeln zustande. Für mehr hatte ich keine Energie mehr. Und jetzt musste ich noch nach hause fahren.

Ich stöhnte leise auf, als ich daran dachte. Aber ich konnte bestimmt auch noch den Nachmittag über hier bleiben und mich heute Abend dann von Malika abholen lassen. Perfekt, so würde ich es machen. Dann hatte ich sogar noch Zeit, das Buch, das ich am Montag angefangen hatte, zu Ende zu lesen.

Schwierige Worte

Lucas

 

Das war die erste Gruppe seit Lina bei uns war, die mich an den Rand meiner Nerven getrieben hatte. Besser hätten sie den Segeltörn aber auch nicht legen können. Gleich als Auftakt der neuen Saison eine Gruppe, die nie zuhört. Das war der Traum eines jeden Skippers oder ersten Maats. Immerhin die nächste Gruppe schien nett zu sein. Die dreißig Studenten hatten so eine Ausstrahlung, dass man sie sofort gern hatte, als sie ankamen.

Sie waren alle ungefähr in meinem Alter. Harald meinte, die Gruppe wäre zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt, aber ich glaube, der größte Teil war Anfang zwanzig. Und trotzdem wirkten sie so, als würden sie uns zu hören, was wir ihnen erklären würden, obwohl sie älter waren. Das würde eine schöne Woche werden.

Ich sollte Recht behalten. Die Studenten waren wundervoll. Sie hörten uns aufmerksam zu, was wir ihnen erklärten und unterbrachen nur, wenn sie etwas nicht verstanden hatten. Was so gut wie nie vorkam.

Der März und der April verliefen ansonsten recht ruhig. Es kam keine so fast schon übertrieben unruhige Gruppe, wie in der ersten Woche, aber die Art der Gruppe in der zweiten Woche wiederholte sich auch nicht. Es war immer irgendwas zwischen diesem beiden Extremen.

Mitte Mai, an einem Freitag, als die Gruppe schon weg war und ich mich grade von den Strapazen des Segeltörn erholte, trat Lina wie so oft hier mir an die Reling. Es war schon fast zu einem Ritual zwischen uns beiden geworden. Nach fast jedem Segeltörn trafen wir uns am Bugspriet, unterhielten uns über die letzte Gruppe, wie wohl die nächste sein würde und freuten uns, wieder einen Törn wohlbehalten überstanden zu haben.

„Hey, Lucas.“ Ich konnte das Lächeln in Linas Stimme hören, ohne mich umzudrehen. „Ich weiß ja nicht, ob du es schon wusstest, aber ich habe nächste Woche Geburtstag und wollte in dem Zug auch gleich feiern. Und ob du es glaubst, oder nicht. Du bist auch eingeladen.“

Interessiert setzte ich mich auf und drehte mich zu der jungen Frau um. Sie lächelte noch breiter, als sie bemerkte, dass ich deutlich interessiert war, mehr zu hören. Sie tat mir den Gefallen. Es sollte eine kleine, gemütliche Runde werden. Malika, Johannes und wir zwei.

Im Prinzip so was ähnliches, wie bei Jojos Geburtstag. Zu meinem hatte ich keinen Vergleich. Ich hatte ihn wie immer geschickt unter den Tisch fallen lassen. Jojo hatte zwar an dem Tag angerufen und war am darauffolgenden Wochenende vorbei gekommen, aber ich hatte nicht groß gefeiert. Und Lina hatte auch nichts mitbekommen, weil ich im Januar Geburtstag hatte. In dem Monat hatten wir uns nicht gesehen.

Nachdem ich Lina dann für ihre Feier zu gesagt hatte, unterhielten wir uns noch so eine Weile. Ich merkte, wie ich die Gespräche mit ihr immer mehr genoss. Wir redeten nie über irgendetwas unnötiges, wie zum Beispiel ein Fußball Spiel, oder irgendeine Fernsehserie, die ich sowieso nicht kannte.

Nein, wir fanden immer irgendein interessantes Gesprächsthema. Am Anfang hatten wir hauptsächlich über unsere Erfahrungen auf und mit Segelschiffen gesprochen. Irgendwann waren unsere Gesprächsthemen dann über das Meer selber und seine Geschöpfe zurück zu uns gewandert.

Wie wir überhaupt zum Segeln gekommen waren. Und was uns auf die Seaside verschlagen hatte. Okay, bei mir nicht grade die große Story. Papa war zum Skipper aufgestiegen und ich hatte seinen Platz als ersten Maat übernommen.

Bei Lina sah das ganze anders aus. Sie hatte schon immer eine Faible für Schiffe gehabt. Als sie dann von ihrer Schule aus einmal einen Segeltörn gemacht hatten, hatte für Lina festgestanden, dass sie selber später auf einem solchen Schiff arbeiten wollte. Sie hatte einen Segelschein und das Abi gemacht. Danach war sie für ein Jahr mit Malika ins Ausland geflogen. Schließlich hatte sie sich bei der Reisegesellschaft, bei der wir arbeiteten, beworben und war hier auf der Seaside gelandet.

Lina verabschiedete sich heute allerdings zeitig, weshalb wir nicht all zu lange redeten. Sie meinte, sie wollte schon mal die ersten Planungen für nächste Woche machen und so. Verständlich. Sie hatte heute, morgen und nächste Woche Freitag, um die Feier auf die Beine zustellen. Andererseits waren wir doch nur vier Leute, da gab es doch nicht groß etwas zu organisieren, oder?

 

Johannes konnte wirklich unheimlich sein. Wieder einmal bewies er mir, seine überirdischen Fähigkeiten. Er rief am Freitag Abend an, um mit mir für Linas Feier und ihr Geschenk zu reden. Wobei ich es mir heute ja wenigstens noch einigermaßen erklären konnte. Lina hatte mich heute eingeladen. Bestimmt hatte sie Jojo heute Nachmittag angerufen, um ihn zu fragen. Das war zumindest die logischste Antwort.

Wir unterhielten uns fast eine halbe Stunde drüber, was wir ihr schenken könnten. Ich hatte beschlossen, auf Tauchstation zu gehen und nach einigen hübschen Muscheln oder so zu suchen. Lina würde das bestimmt gefallen. Oder sollte ich ihr vielleicht doch lieber nur eine Karte mit Geld oder ein Buch schenken?

Ich entschied mich schließlich für einen Roman, den ich zufällig entdeckte, als ich kurz in der Stadt war. Das war genau eine Woche vor ihrem Geburtstag.

 

Die nächste Gruppe verhielt sich wie eine gewöhnliche neunte Klasse. Es gab einige Nervensägen und Obermacker, aber es gab auch einige ruhige Schüler, die uns genau zu hörten und fleißig mitarbeiteten.

Und dann war der „große“ Tag gekommen. Lina ging am Freitag schon früh nach hause. Das war das erste Mal seit Anfang der Saison, dass wir uns nach der Tour nicht mehr unterhielten. Ich mag seltsam und egoistisch klingen, aber ich wünschte, sie würde noch hier bleiben. Der Freitag würde langweilig werden.

 

Die Feier fing um achtzehn Uhr an. Gemeinsam stellten wir uns den Belag für unsere Pizza zusammen und schoben sie dann in den Ofen. Bis sie fertig war, spielten wir eine Runde Kniffel. Nach dem Essen spielten wir dann Carcassonne.

Malika beschwerte sich die ganze Zeit, wir hätten ihr absichtlich alle schlechten Karten untergemischt. Trotzdem schaffte sie es am ende auf dem zweiten Platz zu landen. Ich glaube, ich hatte noch weniger Glück mit meinen Karten, ohne es zu wissen. Auf jeden Fall gewann Lina die Partie und ich kam auf den dritten Platz. Jojo hat einfach kein Talent für Strategiespiele. Trotzdem liebt er sie.

Nach Carcassonne unterhielten wir uns eine ganze Weile einfach nur. Es war eine entspannte Runde, die sogar mich zum Reden brachte. Wir redeten über alles Mögliche. Jojo erzählte aus seinem Studium. Von den Professoren und den anderen Studenten. Malika erzählte von ihrer Ausbildung. Ihrem Chef und den Kunden. Tja, und Lina und ich erzählten von unseren Segeltörns. Wie nervig manche Leute doch sein konnten. Aber auch, wie schön es war, jede Woche, bzw. fast jeden Tag auf See zu sein. Ich konnte Jojo zwischendurch ansehen, dass er gerne mit mir getauscht hätte.

Irgendwann schlug Lina vor, dass wir noch eine Runde Rage spielen könnten. Als wir damit dann fertig waren, war es schon nach zwölf und Jojo und ich verabschiedeten uns. Mein bester Freund brachte mich nach hause und steuerte das Auto dann zu sich nach hause.

 

Ein erleichterter Seufzer entfuhr mir, als die Gruppe sich verabschiedete und im Bus verschwand. Ich kann euch sagen, schlaft in der Nacht vor einem Segeltörn niemals weniger als acht Stunden. Das bekommt weder euch, noch der Crew oder den Teilnehmern gut. Noch schlimmer ist es, wenn zwei Mitglieder der Crew unausgeschlafen sind. So wie Lina und ich bei diesem Törn.

„Ich hätte auf Mali hören und am Freitag Abend feiern sollen“, erklärte Lina mir erschöpfte und hockte sich auf die Reling. „Aber da wären wir grade erst von einem Törn wieder gekommen. Und irgendwie habe ich verpennt, dass wir ja Sonntag wieder früh raus müssen.“

„Tja, jetzt ist es zu spät.“ Ich unterdrückte ein Gähnen. „Außerdem ging es doch. Wir konnten von Sonntag auf Montag etwas länger schlafen.“ Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. „Ich muss sagen, ich hab gar nicht so viel weniger geschlafen als sonst. Vielleicht ein oder zwei Stunden von Samstag auf Sonntag, aber den Rest der Woche ging es.“

„Ich wünschte, das könnte ich auch von mir behaupten, aber irgendwie konnte ich diese Woche nicht richtig schlafen.“ Ich konnte hören, wie Lina gähnte. „Keine Ahnung, woran das lag.“ Langsam drehte ich mich auf dem Bugspriet um und musterte Lina nachdenklich. Sie sah tat sächlich müde aus. Unter ihren Augen konnte ich dunkle Ringe erkennen.

„Wäre ich zu hause, hätte ich mir ja einen Tee gemacht. Das hat Mama früher immer gesagt, wenn ich nicht einschlafen konnte. Tee ist das beste Mittel gegen Schlaflosigkeit. Wobei heiße Milch mit Honig eigentlich noch besser ist. Aber auf dem Schiff konnte ich mir ja schlecht mitten in der Nacht Wasser heiß machen.“

„Wie ist es, eine Mutter zu haben?“ Die Frage war mir einfach raus gerutscht. Jojo hatte ich so etwas nie gefragt. Warum also jetzt plötzlich Lina? Die junge Frau sah mich überrascht an. Sie wusste nicht, dass meine Mutter tot ist. Ich hatte es ihr nie erzählt.

„Na ja, meine Mutter hat sich immer um mich gekümmert und war für mich da. Sie hat mir immer geduldig alle Fragen beantwortet, sofern sie es wusste. Wenn nicht, hat sie oft Opa gefragt. Er war bei der Marine. Die meisten Fragen, die Mama nicht beantworten konnte, hatten nämlich was mit Schiffen zu tun.“ Lina lächelte bei der Erinnerung. Ich spürte plötzlich einen Stich in der Brust. „Was ist eigentlich mit deiner Mutter passiert? Haben sich deine Eltern scheiden lassen, weil dein Vater nie an Land ist?“

„Nein.“ Ich schüttelte den Kopf und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Ich hatte lange nicht mehr über meine Mutter gesprochen. „Sie ist bei einem Sturm auf See gestorben.“ Ich schluckte, um die Kloß los zu werden. „Ich war fünf Jahre alt.“

„Das tut mir Leid.“ Lina sah mich betroffen an. „Tut mir Leid, ich hätte nicht fragen sollen.“ Sie wollte auf stehen und gehen, aber ich schüttelte den Kopf.

„Schon okay. Irgendwann hätte ich es dir ja erzählt. Es war nur eine Frage der Zeit.“ Ich lächelte, um Lina davon zu überzeugen, dass es mir gut ging. Sie erwiderte das Lächeln und kam auf ihren Platz auf der Reling zurück. Plötzlich klingelte ihr Handy. Lina holte es aus der Tasche, warf einen Blick auf das Display und drückte den Anruf weg.

„Wer war das?“, fragte ich mir hoch gezogener Augenbraue. Lina schüttelte den Kopf.

„Erinnerst du dich noch an den Mann, der im Oktober hier war und mich sprechen wollte?“

„Dieser Dennis?“ Lina nickte düster.

„Das war er grade.“ Ihre Stimme hatte einen eisigen Ton angenommen. Erstaunt sah ich sie an. Sie schien wirklich nicht sehr gut auf ihn zu sprechen sein. Immer noch.

„Er...Wir...“, fing sie an, brach aber wieder ab. Schließlich holte sie tief Luft und sah mich fest an. „Wir waren zusammen. Fünf Jahre.“ Sie lachte freudlos auf. „Wir sind in der neunten Klasse zusammen gekommen. Unsere Beziehung hatte ihre Höhen und Tiefen. Sie hat sogar meinen Auslandsaufenthalt überlebt. Dachte ich zumindest. Als ich ihn dann mal Besuchen war, als ich wieder im Land war, war da eine sehr nette junge Dame in seiner Wohnung. Sie machte keinen Hehl daraus, dass die zwei anscheinend zusammen waren.“

Lina schnaubte abfällig. „Und ich Idiotin hatte wirklich gedacht, dass Dennis ein Jahr ohne die direkte Beziehung zu einer Frau überstehen würde. Es war doch eigentlich vollkommen klar und vorhersehbar gewesen, dass er sich eine neue suchen würde. Nach allem, was ich mit ihm erlebt habe, war es doch vollkommen klar gewesen.“

„Lina...Du musst mir das nicht erzählen.“

„Doch.“ Lina hatte, während sie erzählt hatte, auf die See hinaus gesehen. Jetzt wandte sie sich wieder zu mir um. „Es tut gut, darüber zu reden. Ich habe es Mali erzählt. Meinen Eltern habe ich nur gesagt, dass ich mit Dennis Schluss gemacht hätte. Jetzt, wo das ganze ein dreiviertel Jahr her ist, tut es gut, mal darüber zu reden.“ Sie lächelte mich an. „Es hilft irgendwie, es jemandem zu erzählen.“

Sie sah wieder zum Horizont. „Weißt du, jeder erleidet Verluste.“ Ihr grauen Augen kamen zu mir zurück. „Das ist vollkommen natürlich. Die einen früher, die anderen später. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es oft hilft, darüber zu reden. Mit einer unbeteiligten Person.“ Sie lächelte und ihre Augen fingen wieder an zu funkeln. „Es hilft gegen den Schmerz.“

Lange sagte dann keiner ein Wort. Wir genossen einfach die Gesellschaft des anderen.

Sandbank

Lina

 

 

Der Sonntagmorgen war angenehm kühl. Der Himmel zeigte sich in seiner ganzen klaren, blauen Schönheit. Es würde ein warmer, sonniger Tag werden. Fast schien es, als würden die Wellen mir etwas zu flüstern. Am liebsten wäre ich ja schwimmen gegangen. Ich hatte das Gefühl, sie würden mir genau das zu flüstern.

Aber wir waren nicht in unserem Heimathafen. Dieser Segeltörn würde zwei Wochen dauern und die Gruppe hatte angefragt, ob wir vielleicht hier starten könnten, da sie vorher schon eine Woche Freizeit hinter sich hatten. Und zwar hier in der Nähe. Zu diesem Hafen kamen sie dann besser hin.

Schwimmen ging also nicht. In diesem Hafen gab es keine Seehunde, die mich decken könnten. Und als Mensch im Hafen schwimmen zu gehen, ist dann doch etwas seltsam.

Unruhig lief ich am Bug auf und ab. Ich hatte noch nie so eine Unruhe verspürt. Es fühlte sich an, als würde jemand um Hilfe rufen, aber ich konnte ihm nicht helfen. Als würde ich seinen Hilferuf hören. Aber da waren nur die Wellen, die gleichmäßig an die Bug schlugen. Ich seufzte leise. Nein, da war etwas.

Es machte mich fast wahnsinnig, nicht zu wissen, was da los war und ich war schon kurz davor doch ins Wasser zu springen und dem Ruf zu folgen, als ich eine Tür klappern hörte. Ich konzentrierte mich kurz auf meine Umgebung und spürte Lucas auf mich zu kommen. Als er neben mir stand, sah er mich besorgt an.

„Alles okay bei dir?“

Ich nickte leicht. „Ja, alles bestens. Ich hab nur schlecht geschlafen.“ Lucas sah mich zweifelnd an und ich lächelte leicht. Er kannte mich in zwischen ziemlich gut. Er kaufte mir meine Antwort nicht ab. Ich hätte mir vermutlich auch nicht geglaubt.

Aber Lucas fragte nicht weiter nach. Wie hätte ich ihm diese Unruhe auch beschreiben sollen? Das hatte etwas mit meiner Art zu tun. Mit meiner Gestaltwandlerhälfte. Das konnte ich ihr gar nicht erklären. Und trotzdem verspürte ich kurz den Wunsch, es wenigstens zu versuchen.

Nein, das konnte ich nicht machen. er würde mich für verrückt halten. Und wer weiß, wie er mich dann behandeln würde. Ich würde einfach in den nächsten Tagen ein bisschen die Augen offen halten, was sich grade auf dem Meer tat. Das musste reichen.

 

Da die Gruppe später als erwartet eintraf, verzögerte sich alles. Sie hatten sich für den späten Vormittag angekündigt, tauchten aber erst Nachmittags auf. Daher beschloss Harald, dass wir uns erst morgen auf den Weg machen würden. So hatten wir noch den ganzen Nachmittag Zeit.

Ich sagte Harald Bescheid und machte einen kleinen Spaziergang. Die Rufe aus dem Meer hatten sich den Tag über nicht gelegt. Noch immer verspürte ich dieses grundlose Verlangen, aufs Meer raus zu schwimmen.

Mit einem leisen, erleichterten Seufzer betrat ich den Strand und ließ mich in den Sand fallen und schloss die Augen. Hier, wo kein Motorenlärm irgendwelcher Schiffe das Rauschen störte und kein Mensch in Sicht war, vernahm ich den lautlosen Ruf noch viel stärker.

Beunruhigt schlug ich die Augen wieder auf. Ich musste mit irgendjemandem darüber reden. Und zwar so schnell wie möglich. Es hatte zwar erst heute morgen angefangen, aber es machte mich jetzt schon verrückt. Nervös suchte ich in meinen Taschen nach meinem Handy. Dieses Gefühl bereitete mir langsam wirklich Angst.

Nach einer halben Ewigkeit, wie es mir schien, hatte ich das Handy herausgeholt und Jojos Nummer gewählt. Ungeduldig trommelte ich mit den Fingern auf meinem Bein herum.

„Komm schon Jojo, geh ran“, beschwor ich ihn mit leiser Stimme. „Jetzt geh schon ran, ich brauch deine Hilfe.“ Der junge Mann nahm erst ab, als ich ihn schon drei oder vier mal angerufen und schon fast aufgegeben hatte.

„Alles okay, Lina?“, fragte Jojo statt einer Begrüßung. Seine Stimme klang besorgt. „Du veranstaltest doch sonst nicht so ein Sturmklingeln, wenn ich nicht gleich ran gehe.“

„Tut mir Leid, Jojo. Aber ich bin grade etwas durch den Wind.“ Und dann erzählte ich ihm von diesem seltsamen Drängen in mir, das mich ganz konfus machte. Jojo hörte zu ohne mich zu unterbrechen und schwieg auch danach noch eine ganze Weile. Ich dachte schon fast, er hätte einfach aufgelegt.

„Und dieses Gefühl hat heute morgen angefangen?“ Erklang schließlich wieder seinen Stimme.

„Ja. Davor war gar nichts.“

„Hmm.“ Wieder schwieg Jojo. „Hast du schon mal mit deinem Vater darüber geredet?“

Ich runzelte die Stirn. „Nein. Du bist der erste, mit dem ich darüber spreche. Aber vielleicht hast du Recht. Papa weiß bestimmt, was es damit auf sich hat.“

Jojo gab ein zu stimmendes Geräusch von sich und verabschiedete sich. Ich legte ebenfalls auf und wählte sofort Papas Nummer. Er hob nach dem zweiten Klingeln ab. Auch ihm erzählte ich von diesem komischen Gefühl, das ich seit dem Morgen verspürte.

„Und das hat angefangen, als ihr im Hafen wart?“ Papa klang besorgt.

„Na ja, nicht direkt. Wir sind gestern spät abends angekommen. Aber da bin ich praktisch sofort ins Bett gegangen. Heute bin ich dann mit diesem Gefühl aufgewacht, mich würde jemand um Hilfe rufen“, erklärte ich ihm. Obwohl ich Papa nicht sah, konnte ich mir vorstellen, dass er grade nachdenklich nickte, wie immer, wenn er versuchte den Grund für etwas zu finden.

„Okay, hör zu, Lina“, begann er schließlich. „Halt in den nächsten Tagen die Augen offen. Vielleicht entdeckst du ja irgendetwas ungewöhnliches auf diesem Törn. Und ich werde mich mal bei den anderen umhören, ob die etwas gehört haben. Ich nehme an, bei dem Hafen gibt es keine Seehunde?“

„Nein, keine Seehunde in Sicht“, bestätigte ich.

„Ja, das habe ich mir gedacht.“ Wieder konnte ich mir vorstellen, dass Papa langsam nickte. „Also gut, ich werde mich ein bisschen um hören, was die anderen dazu sagen und dir Bescheid geben, wenn ich etwas erfahre.“

„Okay. Danke, Papa.“ Ich lächelte schwach. „Dieses Gefühl macht mich noch wahnsinnig, wenn das so weiter geht.“

„Vielleicht kannst du dich ja im nächsten Hafen raus schleichen.“ Ich konnte Papas Lächeln in seiner Stimme hören.

 

Den ganzen Montag hielt ich die Augen offen und beobachtete während der Fahrt das Meer ganz genau. Das seltsame Gefühl wurde immer stärker, je näher wir dem nächsten Hafen kamen, aber ich entdeckte nichts ungewöhnliches. Papa rief nicht an, was aber auch daran liegen konnte, dass wir auf dem Meer oft schlechten Empfang hatten.

Kurz vor dem Hafen, vielleicht eine halbe Stunde oder Stunde Fahrt noch, bemerkte ich plötzlich ganz schwach den Geruch von Angst im Wind. Er kam aus Süden, also vom Land. Als ich in die Richtung blickte, konnte ich etwa eine viertel Meile entfernt schwach eine Sandbank erkennen, auf der sich eine Gruppe von Seehunden tummelte. Von ihnen musste der Angstgeruch kommen.

Kaum hatten wir den Hafen erreicht, klingelte mein Handy. Papa. Ich nahm den Anruf entgegen und sagte ihm, dass ich zurückrufen würde, wenn hier auf dem Schiff alles vertäut wäre. Eine halbe Stunde später sagte ich Harald, dass ich noch mal an Land wollte und suchte mir eine ruhige Ecke im Hafen. Dann erst rief ich Papa zurück.

Er berichtete mir, dass hier in der Gegend wohl Jagd auf Heuler gemacht wurde. Nachdenklich beobachtete ich die Wellen im Hafenbecken und sagte eine Weile gar nichts.

„Ich habe heute eine Gruppe Seehunde gesehen. Sie waren eine viertel Meile entfernt, aber aus ihrer Richtung wehte der Wind. Und der brachte einen Angstgeruch mit sich. Ich werde heute Nacht mal raus schwimmen und sehen, was da los ist. Allerdings hab ich keine Ahnung, ob sie noch da sind“, berichtete ich schließlich.

Als ich mich von Papa verabschiedet hatte, rief ich noch Jojo an, um ihm zu berichten, was Papa mir erzählt hatte. Danach kehrte ich zum Schiff zurück. Ich war insgesamt vielleicht eine halbe Stunde weg gewesen.

Nach dem Abendessen entschuldigte ich mich bald und zog mich in meine Kajüte zurück. Auf Deck liefen mir zu viele Leute rum, als dass ich da meine Ruhe haben könnte.

Die Gruppe ging erst spät ins Bett. Um halb zwölf waren endlich die letzten in ihren Kajüten verschwunden. Um zwölf schlich ich mich vom Schiff und ging am Rand des Hafens ins Wasser. Ich schwamm so schnell ich konnte und erreichte die Sandbank etwa um zwei. Die Seehunde waren teilweise noch da.

Vorsichtig sah ich mich um. Es waren größtenteils erwachsene Tiere. Kaum ein Heuler war zu sehen. Und die, die ich sah, waren schon relativ alt. Sie hatten zu großen Teilen schon ihr Babyfell abgelegt. Aber wo waren die anderen? Über die Hälfte der hier anwesenden Tiere waren Weibchen. Dafür waren definitiv zu wenig Heuler da. Und der Angstgeruch lag selbst jetzt noch stechend in der Luft.

Innerlich seufzte ich leise. Hier mussten tatsächlich Jäger gewütet haben. Leise ließ ich mich wieder ins Wasser gleiten und schwamm zurück zum Hafen. Gegen kurz vor halb fünf ließ ich mich schließlich erschöpft, verwirrt und traurig in mein Bett sinken. Viel Schlaf würde ich diese Nacht nicht mehr bekommen.

 

Am nächsten Morgen telefonierte ich sofort mit Papa und Johannes. Ungeduldig wartete ich nun das Ende der Woche ab. Ich hatte Harald gebeten für eine Woche aussetzen zu dürfen. Die Gruppe war sehr angenehm. Harald und Lucas würden auch allein zurecht kommen. Als Ausrede sagte ich, dass mein Vater eine Woche frei bekommen hatte und meine Schwester grade zu hause war.

Harald fragte nicht weiter nach, sondern meinte, ich könnte gehen. Erleichtert und dankbar, dass Harald keine Fragen gestellt hatte, verließ ich also am Samstag Abend die Seaside, um von dem Ort aus mit dem Zug zu Johannes zu fahren. Ich übernachtete bei ihm und fuhr dann weiter zu dem Ort, wo ich die verschreckte Gruppe Seehunde angetroffen hatte. Ich glaubte nicht, dass ich sie noch dort antreffen würde, aber das war mein einziger Anhaltspunkt, was die Jäger anging.

Mein Plan war es, die Jäger ausfindig zu machen und der Polizei zu melden. Zwei Tage schwamm ich ziellos die Küste entlang. Montag Abend kam dieses Gefühl zurück, das mich überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte. Diesmal folgte ich dem Ruf, ließ mich von der Strömung treiben.

Dienstag Morgen fand ich mich ein einer Buch wieder. Es war niemand zu sehen, aber ich hörte schwach die Schreie von Heulern, die ihre Mutter riefen. Instinktiv folgte ich ihnen. Was würde mich dort erwarten?

Aber bevor ich noch näher heran kam, hörte ich plötzlich, dass sich ein Boot näherte. Schnell tauchte ich unter und suchte am Rand der Buch Schutz bei den Felsen. Angespannt beobachtete ich, wie das Boot über mir vorbei fuhr und Kurs auf die Wand nahm, an der ich mich versteckte. Vielleicht zehn oder zwanzig Meter weiter ins Landesinnere hinein, fuhren sie in eine Höhle. Vorsichtig folgte ich ihnen.

Das Boot hatte am Rand des Wasserbeckens angelegt. Es lag still im Wasser. Die Menschen mussten schon ausgestiegen sein. Vorsichtig schwamm ich wieder nach oben und tauchte im Schutz des Bootes auf. Ich konnte die Stimmen der Leute hören, aber sie waren nicht mehr im Boot. Auch die Heuler hörte ich wieder. Diesmal deutlich lauter.

„...nicht mehr hier bleiben“, erklärte grade einer der Männer. Zustimmendes Gemurmel war zu hören. Und jemand erwiderte etwas. Es waren vier Männer. Alles Menschen. Was sollte ich tun? Weg schwimmen und die Polizei auf gut Glück hier her bitten? Da bleiben und versuchen die Heuler so zu befreien?

Die Entscheidung wurde mir abgenommen, als das Boot plötzlich anfing zu schwanken. Die Stimmen waren plötzlich erschreckend nah.

„...abends mehr Glück.“ Wollten die etwa wieder auf Jagd gehen? Alarmiert ging ich auf Tauschstation, als ich einen der Menschen entdeckte. Er beugte sich über das Wasser, sah mich aber anscheinend nicht. Keine Minute später legte das Boot wieder ab. Vielleicht hatte ich ja jetzt Glück und konnte mich ein bisschen umsehen.

Angespannt suchte ich die Umgebung nach jemandem ab, der vielleicht zurückgeblieben war, aber so weit ich das beurteilen konnte, war die Höhle leer. Also tauchte ich langsam auf und kletterte an Land. Dort sah ich mich um. Die Gestalt zu wechseln traute ich mich nicht. Wenn die Menschen zurückkamen, wollte ich ihnen nicht unbedingt erklären müssen, wie ich hier ohne Boot hergekommen war.

In der Höhle war nur noch der Strand zu sehen. Aber rechts bemerkte ich einen Tunnel. Aus ihm drangen die Schreie der Heuler. So schnell es ging, robbte ich in den Tunnel und folgte ihm. Er war nicht lang. Vielleicht zehn Meter, dann öffnete er sich zu einer neuen Höhle. In ihr war ein riesiges Wasserbecken. Und in diesem Becken sah ich die Heuler. Es waren vielleicht zwanzig oder dreißig.

Die Jungen sahen erbärmlich aus. Eigentlich war das viel zu wenig Platz für sie, aber raus konnten sie auch nicht, da der Wasserspiegel etwa einen Meter unter dem Boden lag. Verzweifelt suchte ich nach einer Möglichkeit, die Seehunde zu befreien, aber es gab keine. Und Beweise hatte ich auch keine, um es der Polizei zu melden. Ich musste hier weg und später mit einer Kamera oder so wieder kommen.

Ich hatte etwa die Hälfte des Tunnels geschafft, als ich die Bewusstsein von vier Menschen rasch näher kommen spürte. Sofort drehte ich um und versuchte so schnell es ging zurück zu kommen. Nach draußen würde ich nicht mehr kommen. Dann musste ich wohl bei den Heulern bleiben. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Die Menschen betraten grade den Tunnel, als ich ins Wasser sprang. Jetzt war ich verloren. Niemand wusste, wo genau ich war. Nicht mal Jojo hatte ich irgendetwas sagen können. Wenn ich Glück hatte, würden die Männer bemerken, dass ich schon zu alt für ihre Sammlung war und mich wieder frei lassen.

Das war allerdings eher unwahrscheinlich.

Wahrheit

Lucas

 

Glücklich, aber total erschöpft, ließ ich mich Samstag Nachmittag auf dem Bugspriet nieder. Der zweiwöchige Segeltörn war anstrengend gewesen. Und obwohl die Gruppe echt nett gewesen war, war ich doch froh, jetzt wieder Ruhe zu haben.

Den ganzen restlichen Nachmittag döste ich am Bug vor mich hin. Als ich dann abends in meine Kajüte runter kletterte war ich immer noch tot müde. Dementsprechend fiel ich auch einfach in mein Bett und war kurz darauf eingeschlafen.

Erst mein Wecker am nächsten Morgen holte mich in die Wirklichkeit zurück. Mit einem Stöhnen stellte ich ihn ab und vergrub mein Gesicht in den Kissen. Ich wollte heute nicht schon wieder auf Segeltörn gehen. Eine Woche Pause wäre jetzt perfekt.

Aber natürlich musste Papa meinen Traum vom ausschlafen verübeln. Er musste meinen Wecker gehört haben, denn jetzt steckte er den Kopf in meine Kajüte und grinste mich an.

„Na, auch schon wieder unter den Lebenden angekommen?“ ich stöhnte nur und hörte Papa daraufhin lachen. „Komm, Frühstück ist fertig.“

Umständlich schälte ich mich aus meiner Decke und erhob mich aus meinem warmen Bett. In der Küche frühstückten wir schnell und überprüften dann, ob mit den Segeln auch wirklich alles in Ordnung war. Am späten Vormittag bekam Papa dann einen Anruf von der Reisegesellschaft. Die Gruppe für diese Woche hatte spontan abgesagt.

„Ich würde gerne meine Eltern besuchen“, erklärte Papa nach dem Telefonat. „So ein außerplanmäßiger Besuch wäre doch schön. Willst du mitkommen?“

„Ehrlich gesagt, war ich jetzt am überlegen, zu Jojo zu fahren.“

„Okay.“ Papa nickte. Ich versuche dann mal Mama zu erreichen. Sagst du in zwischen Lina Bescheid, dass sie noch eine Woche frei hat?“

Ich nickte und zog mein Handy aus der Tasche. Lina ging nicht ran. Schnell schrieb ich ihr eine SMS in der Hoffnung, dass sie sie bekommen würde. Dann rief ich Jojo an und fragte, ob ich die Woche über vorbei kommen könnte, weil der Segeltörn ausfiel.

Als Papa dann wieder an Deck kam, hatte er für sich schon eine Zugverbindung rausgesucht. Ich erklärte ihm, dass Lina nicht ans Handy gegangen wäre, ich ihr aber eine SMS geschrieben hätte. Ich würde aber trotzdem erst heute Abend zu Jojo fahren, falls sie die SMS nicht bekommen hatte.

Papa nickte erleichtert und packte dann seine Sachen für die Woche. Kurz darauf machte er sich auf den Weg. Ich schnappte mir ein Buch und machte es mir an Deck bequem. Lina tauchte nicht mehr auf und um halb sechs verließ ich dann ebenfalls die Seaside. Um sieben kam ich bei Jojo an.

 

Ich würde die Woche über Vormittags mit zur Uni gehen. Den einen Nachmittag wollten wir dann ins Kino gehen. Ansonsten würden wir uns einfach mit ein paar von Jojos Freunden treffen oder so.

Am Mittwoch morgen wachte ich etwas früher als sonst auf, weshalb ich mich schon mal ums Frühstück kümmerte. Als Jojo dann die Küche betrat, begrüßte ich ihn für meine Verhältnisse gut gelaunt.

„Morgen“, grüßte Jojo mich. Sofort war meine Fröhlichkeit verflogen. Jojo wirkte unruhig. „Hör mal, ich muss dir was sagen. Es ist wegen Lina.“ Und dann erklärte er mir, dass Lina gar nicht zu ihren Eltern gefahren war. Sie hatte den Sonntag vor einer Woche bei ihm geschlafen hätte und war dann wieder gefahren. Sie hatte wohl Seehund-Jäger gesehen oder so und wollte nun heraus finden, was da los war.

„Eigentlich wollte sie Samstag Abend zurück sein. Als du dann Sonntag angerufen hast, um zu sagen, dass er noch eine Woche frei hat, war sie immer noch nicht da. Sie ist jetzt schon seit eineinhalb Wochen da draußen. Langsam mache ich mir echt Sorgen“, schloss Johannes seinen Bericht.

„Und was hast du jetzt vor?“

„Ich will sie suchen gehen. Aber ich will nicht auch alleine gehen und niemandem sagen, wo ich bin. Lina konnte mir nämlich nicht sagen, wo er hin wollte. Würdest du mitkommen?“

Ich schwieg lange. „Okay. Ich komme mit.“

Johannes atmete hörbar auf. „Hättest du was dagegen, wenn Mali auch mit kommt?“

„Warum?“ Ich sah Jojo verwundert an.

„Na ja, zu einen werden wir einen Grund brauchen, die Küste rauf und runter zu tuckern. Ich hatte da ein eine Studentenzeitung oder so gedacht. Und der andere Grund, warum ich Mali gerne dabei hätte ist der, dass sie Linas beste Freundin ist. Vielleicht hat sie ja eine Idee, wo sie stecken könnte.“

Ich schwieg eine Weile. Schließlich nickte ich. Johannes entspannte sich sofort etwas und bedankte sich bei mir. Dann rief er Malika an, um ihr die ganze Geschichte zu erklären.

 

Mittags trafen wir dann alle im Bahnhof ein. Schnell gingen wir noch mal unseren Plan mit der Studentenzeitung durch. Auf der Zugfahrt hatten wir uns ein paar Fragen überlegt, die wir stellen konnten, falls uns jemand misstrauisch wurde.

Wir nahmen den Bus zum Hafen und bepackten schnell unser Boot. Am frühen Nachmittag verließen wir dann den Hafen und fuhren Richtung Osten die Küste rauf. Abends übernachteten wir in einem Hafen. Donnerstag Mittag erreichten wir den Hafen, von dem aus Lina gestartet war.

„Und wo wollen wir anfangen zu suchen? Ich meine, wir haben keinen Anhaltspunkt.“ Malika sah Jojo und mich fragend an. „Und das Meer ist groß. Das wird wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Oder habt ihr vielleicht eine Idee?“

Ich schüttelte den Kopf und Jojo seufzte nur resigniert. „Nein, eigentlich habe ich keine Idee, wie wir jetzt vorgehen sollen. Aber ich glaube, sie meinte irgendwas von Schleswig-Holstein. Ich würde jetzt einfach vorschlagen, wir fahren in die Richtung. Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, dass wir richtig liegen.“

„Also dann.“ Ich lächelte schief. „Käpt'n, Kurs auf Cuxhaven und weiter nach Holstein.“

Die beiden anderen nickten. „Woher wollen wir eigentlich wissen, dass wir sie gefunden haben?“, fragte Malika plötzlich in die Stille hinein. „Ich meine, sie wird da ja wohl nicht einfach mitten im Meer auf einem Boot rum lungern und eine Bucht oder so was beobachten.“

„Nein, das wird sie wohl nicht.“ Um Jojos Mund spielte ein belustigter Zug. „Ich nehme an, sie wird sich irgendwo an Land versteckt haben und das Meer beobachten. Wenn wir Glück haben sieht sie uns und gibt uns ein Zeichen.“

„Und wenn wir Pech haben sieht sie uns entweder nicht, oder...“ Ich ließ den Satz unausgesprochen, weil ich mir nicht vorstellen wollte, was wäre, wenn Lina nicht irgendwo an Land lag und das Meer beobachtete.

 

Den ganzen Nachmittag fuhren wir die Küste entlang, ohne etwas zu bemerken. Frustriert suchte ich die Küste nach irgendeinem Hinweis auf Linas Aufenthaltsort ab, aber ich fand nichts.

„Nur der Himmel weiß jetzt noch, wo Lina sein könnte“, erklärte Malika schließlich traurig und frustriert gegen Abend. Keine Ahnung wieso, aber mit dieser Aussage schaffte sie es, Johannes zum Lächeln zu bringen.

„Nein. Nicht der Himmel weiß wo er ist“, widersprach er ihr. „Das Meer weiß es. Es wird dir sagen, wo er sich aufhält.“ Das war mir dann doch etwas suspekt. Das mit dem Himmel hatte ich als Redewendung gemeint, aber Jojo hatte es offensichtlich ernst genommen und war der festen Überzeugung, dass das Meer Linas Versteck kannte.

„Na gut, wenn das Meer so weise ist und sogar weiß, wo Lina ist, warum lässt es uns dann nicht an seiner Weisheit teilhaben und sagt uns, wo sie sich aufhält?“ Ich hatte nur gefragt, um etwas zu tun zu haben. Und vielleicht, weil ich hoffte, dass Jojo etwas wusste. Dass Jojo wusste, wo Lina tatsächlich war. Er war doch ein Gestaltwandler, hatte er da nicht irgendeine besondere Verbindung zum Meer oder so?

„Weil du nicht richtig zu hörst.“ Jojo deutete auf die Wellen. „Sie sind das Geheimnis. Sie sind die Sprache des Meeres. In ihnen ist alle Weisheit geborgen. Und wenn du nur lange genug am und im Meer gelebt hast, wirst du lernen, er zu verstehen.“

Als es dann schon anfing zu dämmern, drosselte Jojo die Geschwindigkeit und stellte den Motor schließlich ab. Fragend sahen Mali und ich ihn an. Er bedeutete uns, leise zu sein. Das Boot schaukelte sanft in den Wellen und es war vom Wind und den Wellen abgesehen ganz ruhig. Ich konnte keine einzige Möwe kreischen hören.

„Ich glaube, da in der Bucht ist was“, erklärte Jojo schließlich und deutete auf die nahe gelegene Bucht. Er startete das Boot wieder und steuerte es zur Küste. Als wir in die Bucht einfuhren, entdeckte ich links eine Höhle. Woher hatte Jojo gewusst, dass diese Höhle dort war?

Langsam tuckerten wir auf die Öffnung in den Klippen zu. Wir alle hielten gespannt den Atem an. Was würde uns dort erwarten?

„Entschuldigung, diese Bucht ist privat Besitz.“ Die Stimme kam von schräg unten. Erstaunt sah ich aufs Wasser. Dort war ein einzelner Taucher zu sehen. Jojo stellte den Motor ab.

„Tut mir Leid, das wussten wir nicht“, entschuldigte sich Malika sofort. „Wir sind von der Universität für Meeresbiologie in Cuxhaven und unter suchen die Küste hier in diesem Gebiet. Uns hatte diese Höhle dort interessiert. Ob wir wohl mal einen Blick hinein werfen dürften?“

„Ich sagte doch schon, diese Bucht ist privat Besitz. Wenn Sie nun so freundlich wären, zu gehen?“ Der Mann wirkte ungeduldig und theoretisch hätten wir einfach weiter fahren können. Was konnte ein Taucher schon gegen uns ausrichten?

Aber Jojo nickte nur, entschuldigte sich ebenfalls noch mal bei dem Mann und wendete dann. Als wir die Bucht verlassen hatten, hielt er das Boot nahe der Küste und hielt hinter der nächsten Landzunge an.

„Ich werde zurück tauchen, wenn es dunkel ist“, erklärte er uns schließlich. „Ich will mir diese Höhle mal genauer angucken. Ich hab da nämlich irgendwas seltsames gehört.“

„Ich komme mit.“ Entschlossen sah Malika ihn an. „Alleine tauchen ist gefährlich. Vor allem im Dunkeln. Du brauchst einen Tauchpartner.“

Mein Kumpel sah sie eine Weile prüfend an, schließlich stieß er die Luft aus und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich brauche keinen Tauchpartner.“ Die junge Frau öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Jojo sprach schnell weiter: „Weil ich nämlich nicht wie gewöhnliche Menschen tauchen werde.“ Nun sah sie ihn verwirrt an.

„Ich...“ Er zögerte. „Ich bin kein normaler Mensch. Ich bin nicht der, für den du und Lina mich gehalten habt.“ Himmel, das klang wie in diesen Fantasy-Filmen, wo der Protagonist im nächsten Moment erklärt, dass er der verschollene Königssohn ist. Es schien fast, als hätte Jojo meine Gedanken gelesen, denn er lächelte mich leicht an, als ob ich einen mittelmäßigen Witz gerissen hätte.

Andererseits hatte ich ihm das mit dem Fantasy-Film damals, als er es mir erklärt hatte, auch gesagt. Vielleicht hatte er einfach daran denken müssen.

„Ich kann die Bewusstsein anderer Menschen spüren. Und ich habe vorhin in der Bucht Linas Bewusstsein gespürt.“ Er lächelte erneut. „Um genau zu sein, spüre ich sie immer noch.“

„Und was genau bist du jetzt?“ Malika sah Jojo mit einer Mischung aus Verwirrung und Belustigung an. Irgendwie schien sie ihm nicht so recht glauben schenken zu können.

„Ich bin ein Gestaltwandler.“ Einen Moment war es still. Malika war zu verdutzt, um sprechen zu können, Jojo wartete ihre Reaktion ab und ich... Tja, ich kannte das alles ja schon.

„Du glaubt mir nicht, stimmt's?“ Malika rührte sich nicht. „Okay, ich beweise es dir.“ Johannes stellte sich an den Rand des Bootes holte und sprang dann mit einer fließenden Bewegung ins Wasser. Noch im Sprung sah ich, wie eine Welle seinen Körper durchlief. Und mit dieser Welle kam die Wandlung. Als erstes veränderte sich sein Kopf.

Er wurde allgemein größer und nahm eine rundliche Form an. Aus Kinn, Mund und Nase bildete sich eine Schnauze. Die Schultern rundeten ab, die Arme wurden kürzer, flacher und sahen dann aus wie Flossen. Die Beine schienen zusammen zu wachsen und hinten bildete sich die Schwanzflosse. Und statt Kleidung trug er jetzt ein braunes Fell.

Ich kannte das schon. Ich hatte es etliche Male gesehen, aber ich fand es immer noch faszinierend. Mali hatte sich nicht einen Zentimeter bewegt.

„Okay, Jojo. Du hast mich überzeugt“, erklärte Malika schließlich, als sie ihre Sprache wieder gefunden hatte. „Aber du gehst nur unter einer Bedingung alleine.“ Ich schwöre, in diesem Moment hat die Robbe vor uns im Wasser eine Augenbraue hochgezogen. „Du nimmst eine Kamera mit.“

Sie kramte in ihrer Tasche und holte schließlich eine kleine, wasserfeste Kamera hervor. Die Robbe, oder Jojo, oder wie auch immer, nahm die Kamera vorsichtig ins Maul, winkte noch mal mit der Seitenflosse und verschwand dann unter Wasser.

Verzweiflung

Lina

 

Keine Ahnung, wie lange ich schon hier war. Vielleicht vier Tage, vielleicht aber auch eine Woche. Die Männer kamen und gingen. Und manchmal nahmen sie ein oder zwei der Heuler mit. Es kamen keine neuen mehr dazu.

Ich hatte mich schon an ihre Ausstrahlung gewöhnt. Inzwischen konnte ich sie schon spüren, lange bevor sie die Bucht erreichten. Also eine Woche musste ich doch schon hier sein. Denn eine gewisse Zeit brauchte man immer. Auch wenn die Bewusstsein die einzigen waren, die ich spüren konnte.

Sie waren zu dritt. Drei Männer. Schätzungsweise Mitte bis Ende dreißig. Der Anführer war der älteste von ihnen. Ich konnte nie viel von dem hören, was sie besprachen, da ich mich, wenn sie da waren, immer hinten und halb unter Wasser aufhielt, damit sie mich nicht bemerkten. Denn wer wusste schon, was sie dann mit mir machen würden.

Heute war nur einer da. Er war der Jüngste. Zumindest sah er so aus. Er warf uns Fisch ins Becken und wie immer begann sofort eine wilde Schlacht darum, die meisten Fische zu bekommen. Ich hielt mich zurück. Einige Fische landeten immer hier hinten, das musste reichen. Gruppenkuscheln war nicht grade mein Favorit, um an Essen zu kommen.

Aber lange konnte ich das nicht mehr so machen. Ich merkte schon jetzt, dass vielleicht fünf Fische am Tag zu wenig waren.

Ich bin bis heute der festen Überzeugung, dass die verringerten Essensrationen Schuld daran sind, dass ich Jojo, Lucas und Malika nicht früher gespürt habe. Erst, als sie schon in der Bucht waren, tauchten sie plötzlich auch für mich auf.

Verzweifelt versuchte ich Jojo zu erreichen und ihm zu sagen, dass er nicht herkommen sollte. Ich wollte nicht, dass er auch noch hier landete. Ein gefangener Gestaltwandler reichte vollkommen aus.

Aber meine Körper war schwacher, als ich gedacht hatte. Ich hatte nicht die Kraft, Jojo zu erreichen. Oder er blockte mich absichtlich, weil er wusste, was ich ihm mitteilen wollte. Den einen Grund hatte ich ja schon genannt. Der andere Grund war, dass Lucas bei ihm war. Wusste er von der Gestaltwandler Geschichte? Und wusste Jojo, dass Mali Bescheid wusste?

Doch natürlich ließ der junge Mann sich nicht davon abbringen, mir zu Hilfe zu eilen. Und ich denke, das ist auch etwas, was ich in dem dreiviertel Jahr, das wir uns jetzt kannten, an ihm so zu schätzen gelernt hatte. Er hatte seinen eigenen Dickkopf und den setzte er für gewöhnlich auch gut durch.

Ich weiß nicht genau, wie viel Uhr es war, als die drei auftauchten. Aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Jäger die Höhle und die Bucht wieder verließ. Als der Mann weg war, wartete Jojo noch fünf Minuten und kam dann vorsichtig heran.

An seinem Bewusstsein konnte ich spüren, wie angespannt er war. In der Höhle verwandelte er sich wieder in einen Menschen. Aufmerksam folgte ich jeder seiner Schritte, blieb aber gleichzeitig wachsam, ob einer der Jäger auftauchte.

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich Jojo endlich im Gang auftauchen sah. Schnell drängte ich mich nach vorne durch und versuchte verzweifelt aus dem Becken zu springen, doch wie auch bei den Versuchen zuvor, war der Boden einfach zu weit weg.

Also beobachtete ich gespannt Jojo. Der wiederum sah sich alles ganz genau an und machte von unserem Becken einige Fotos. Aber mich betrachtete er nicht einmal.

Verzweifelt stieß ich sein Bewusstsein an. In dem Moment sah er auf und betrachtete die Tiere im Becken genauer. Und dann endlich hatte er mich gefunden.

„Hey, Lina, was machst du bloß wieder für Mist?“ Er beugte sich zu mir herunter und streichelte mich traurig. Wäre ich ein Mensch, hätte ihm diese Geste mindestens einen bösen Kommentar inklusive tödlichem Blick eingebracht, aber jetzt als Seehund war ich einfach froh, ihn wieder zu sehen und zu wissen, dass es ihn noch gab.

Glücklich, endlich wieder wenigstens auf eine Weise mit jemandem kommunizieren zu können, versuchte ich ihm meine Suche nach den Jägern in Bilder und Gefühlen – der Sprache der Wandler – zu beschreiben.

Johannes lachte, als er meinen Gefühlsausbruch zu 'hören' bekam.

„Erzähl mir alles, wenn du wieder da raus bist, okay? Dann haben wir alle Zeit der Welt und du musst es den anderen nicht noch mal erklären.“

So gut es mit der etwas vereinfachten Sprache ging, widersprach ich Jojo, dass ich Lucas ja schlecht das ganze mit dem komischen Gefühl und so erklären konnte.

„Keine Angst, das kannst du. Ich habe ihm schon vor langer Zeit von den Gestaltwandlern erzählt.“ Jojo lächelte beruhigend. „Und Mali hast du es anscheinend auch schon erzählt. Sie werden dir also glauben, wenn du es ihnen erzählst. So wie ich dir geglaubt habe.“

Wäre ich ein Mensch, würde ich jetzt vor Erleichterung lächeln. Und in meinem Kopf tat ich das auch. Denn so musste ich niemandem irgendeine erfundene Geschichte auftischen. Alle, die von meiner Abwesenheit wussten, wussten auch, dass ich ein Gestaltwandler war, also konnte ich ihnen die Wahrheit erzählen. Und dem Rest sagte ich einfach, dass ich in der Zeit bei meinen Eltern gewesen war. Papa würde mich decken.

Jojo stand jetzt wieder auf, um sich wieder auf den Weg zu machen. Er war schon am Anfang des Gangs, als ich ihm traurig hinterher rief.

Der junge Mann drehte sich um und lächelte mich traurig an.

„Ich komme wieder, Lina. Das verspreche ich dir.“ Nun wurde sein Lächeln etwas fröhlicher. „Und du weißt doch, ich halte meine Versprechen.“

Mit diesen Worten drehte er sich wieder zum Gang um und verschwand in der Dunkelheit. Es war wie das Ende eines Films.

Der Protagonist ist irgendein Spion oder Agent oder sonst irgendwas und muss wieder aus der Stadt. Und in der Schlussszene verspricht er dann, wieder zu kommen.

Aber das hier war kein Film. Weder ein guter, noch ein schlechter. Das hier war das richtige Leben. Hier gab es nur bedingt Happy Ends. Es gab immer irgendwo eine Tragödie. Nichts war ein perfektes Happy End wie es im Buche stand.

Nachdenklich zog ich mich an meinen Platz im hinteren Bereich des Beckens zurück, wo es auch einen Bereich gab, wo wir an Land gehen konnten. Kein Seehund konnte ewig schwimmen.

Währenddessen begleitete ich Jojo im Kopf aus der Höhle und zu den anderen beiden zurück. Und noch immer war keiner der Jäger wieder da. Sonst waren sie immer in einem regelmäßigen Rhythmus gekommen. Aber vielleicht war ja noch nicht so viel Zeit vergangen, wie ich dachte.

Als sie dann schließlich wieder auftauchten waren Mali und die Jungs schon wieder weg. Es gab wieder fressen und zwei Heuler wurden wieder raus geholt.

Last Minute

Lucas

 

Die Zeit, in der wir auf Jojo warteten, fühlte sich an wie eine kleine Ewigkeit. Ich beobachtete die ganze Zeit den Eingang zur Bucht. Malika hantierte hinter mir mit irgendwas herum. Wie lange war Jojo wohl schon weg? Halbe Stunde? Stunde?

Nein. Er war grade mal eine viertel Stunde weg, als er schon wieder auftauchte.

Er verwandelte sich noch im Wasser und zog sich dann ins Boot rauf. Mali nahm ihre Kamera entgegen und ich reichte meinem Kumpel ein Handtuch. Dankbar nahm er es entgegen und trocknete sich so gut es ging ab. Dann zog er sich schnell ein trockenes T-Shirt an.

„Ich schlage vor, wir verschwinden erstmal von hier“, meinte er schließlich. „Ich hab keinen Bock, den Jägern über den Weg zu laufen.“ Wir nickten zustimmend. Jojo steuerte den nächsten Hafen an. Dort besprachen wir, was wir als nächsten machen sollten.

„Wir müssen zur Polizei gehen“, erklärte Mali entschieden.

„Ja, und wie sollen wir ihnen erklären, dass wir in eine private Bucht eingedrungen sind, um das herauszufinden?“, entgegnete Jojo zynisch. „Da werden wir schon eher wegen Hausfriedensbruch angezeigt, als dass die Jäger geschnappt werden.“

„Oh nein, das werden wir nicht“, meinte Malika mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. „Während du in der Höhle warst und Lucas die ganze Zeit nur zur Bucht starren konnte, habe ich versucht herauszufinden, welche Bucht das überhaupt ist. Und ratet mal, was ich dabei entdeckt habe.“

Sie grinste uns nun verschwörerisch an. ich zucke mit den Schultern und auch Jojo hatte keine Idee.

„Die Bucht ist gar kein privat Besitz. Das hat der Typ nur gesagt.“

„Und woher willst du das wissen?“

Sie lächelte geheimnisvoll. „Meine Mutter hat mal bei der Küstenwache gearbeitet. Und durch ihre Bekanntschaften von damals hat sie das herausgefunden.“

„Und es hat sie nicht irgendwie verwundert, dass du das wissen wolltest?“ Ich war nicht wirklich überzeugt.

„Nein. Ich habe ihr erklärt, dass ich das für meine Ausbildung brauche.

„Okay, ich bin offiziell beeindruckt von dir.“ Jojo grinste. „Auf die Idee wäre ich nun gar nicht gekommen. Na gut, das heißt dann wohl, dass wir zur Polizei gehen können?“

Ich zögerte. „Ich weiß nicht. Wollen wir nicht vielleicht noch ein oder zwei Fotos machen, wie sie die Heuler da rein oder raus bringen?“

„Könnte man, aber wir haben keine Zeit.“ Jojo warf einen Blick auf die Uhr und seufzte. „Lasst uns jetzt schlafen gehen und morgen früh gehen wir dann zur Polizei.“ Sein Blick wurde düster. „Hoffen wir mal, dass sie uns glauben.“

Noch immer war ich nicht überzeugt, dass unser Bildmaterial der Polizei reichen würde, aber ich stimmt Jojo zumindest in einem Punkt zu. Wir mussten dringend schlafen, sonst würden wir hier noch vor Müdigkeit umkippen.

 

Am nächsten Morgen war ich der erste, der aufwachte. Vorsichtig schälte ich mich aus meinem Schlafsack, um die anderen zwei nicht zu wecken. Vor allem Jojo hatte gestern Abend ziemlich fertig ausgesehen. Er konnte den Schlaf gebrauchen.

Ein Blick auf die Uhr ließ mich allerdings leise, entsetzt aufstöhnen. Es war grade mal halb sieben. Verdammt, ich hatte vielleicht sechs oder sieben Stunden geschlafen. Länger hätte bestimmt auch nicht geschadet, aber jetzt war ich wach, also konnte ich auch genauso gut aufstehen.

Draußen kramte ich Malis Kamera hervor und sah mir die Bilder an. Erstaunt stellte ich fest, dass Mali sogar einige Fotos von der Bucht gemacht hatte. Um genau zu sein, hatte sie jede Bucht fotografiert, an der wir vorbei gekommen waren.

Als ich dann schließlich bei den Fotos von dem Höhleninneren angekommen war, hätte ich am liebsten ausgeschaltet. Es waren vielleicht fünfzehn Seehunde in dem Becken. Und der Platz sah viel zu eng aus. Im hinteren Teil gab es eine kleine Stelle, wo die Tiere an Land gehen konnten, aber wirklich gut war das nicht. Der raue Stein würde ihnen doch den Bauch auf kratzen.

Und einige der Tiere waren schon ziemlich abgemagert. Sie konnten einem wirklich Leid tun.

„Schrecklich, oder?“ Erschrocken drehte ich mich um. Johannes stand hinter mich und lächelte mich traurig an. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mich hingesetzt hatte. „Du siehst also, das Bildmaterial wird locker reichen, um die Polizei zu überzeugen.“

Langsam nickte ich. Ja, da hatte er wohl recht.

„Wer von denen ist Lina?“, fragte ich schließlich, nachdem wir beide lange geschwiegen hatten.

Jojo nahm mir den Apparat aus der Hand, sah einige Bilder durch und zeigte mir dann schließlich einen Seehund, der tatsächlich schon deutlich älter war als die anderen. Er hatte nicht mehr wie die anderen Heuler den weichen Fellflaum. Und es schien fast, als wäre er der abgemargerteste von den anwesenden Tieren.

 

Mali kam etwa um acht Uhr raus. Sie sah uns vorwurfsvoll an und meinte, wir hätten sie wecken sollen, aber Jojo schüttelte nur lachend den Kopf.

„Du siehst so süß aus, wenn du schläfst, das konnte ich nicht über mich bringen.“

„Ach, aber Lucas konntest du wecken?“ Mali stemmte wütend die Hände in die Hüften, aber ich konnte auch sehen, dass sie ein bisschen rot wurde.

„Also erstens, ist Lucas mein bester Freund. Und da ich nichts davon mitbekommen habe, dass ich schwul bin oder so, ist es also völlig normal, dass ich ihn nicht süß finde.“ Johannes lächelte noch immer und nahm Mali in den Arm. „Und zweitens war Lucas schon aufgestanden, als ich wach wurde.“ Mali schien noch immer nicht ganz überzeugt, ließ sich aber von Jojo umarmen und erwiderte die Umarmung sogar.

„Was hältst du von einem Brötchen zum Frühstück?“, fragte der junge Mann schließlich.

„Viel“, erklärte Mali und löste sich aus der Umarmung. „Wissen wir denn inzwischen, was wir der Polizei erzählen wollen?“

„Das können wir dann besprechen. Komm, hier im Hafen gibt es ein Kaffee, die auch Frühstück anbieten. Und ich hab einen Mordshunger.“

Das Kaffee war nicht weit von unserer Anlegestelle. Als wir dort ankamen, war es schon recht gut gefüllt. Hauptsächlich schienen es die Besitzer der anderen Boote zu sein, die nur über Nacht hier im Hafen angelegt hatten.

Als wir dann jeder etwas zu essen vor uns stehen hatten, überlegten wir, was wir sagen konnten. Denn wir konnten ihnen ja wohl schlecht die Sache mit den Gestaltwandlern erzählen. Das wäre dann doch etwas zu abgefahren gewesen.

„Und was, wenn wir denen das gleiche erzählen, wie meiner Mutter?“, fragte Malika irgendwann. „Dass wir Fotomotive gesucht haben und uns die Höhle gefallen hat? Und da die Bucht als öffentlich gezeichnet war, aber wir wurden weggeschickt. Aus der Höhle haben wir allerdings seltsame Geräusche gehört, weshalb wir uns das Ganze angeguckt haben, als die Männer weg waren.“

Jojo nickte langsam. „Ja, das könnte funktionieren.“ Er lächelte leicht. „Das ist zumindest der einzige Plan, den wir bis jetzt haben. Und ich bezweifle, dass wir noch was besseres finden.“

Auch ich nickte und so konnte man es wohl als beschlossene Sache erklären. Nach dem Frühstück gingen wir zum Boot zurück, holten die Kamera und machten uns schließlich auf den Weg zum Polizeirevier. Den ganzen Weg über sprach einer von uns ein Wort.

Vor dem Revier blieb Malika stehen. Auch Jojo und ich hatten angehalten. Unsicher sah sie uns an.

„Meint ihr, das klappt? Meint ihr, die hören uns überhaupt zu? Und sind wir damit überhaupt bei der Polizei richtig? Hier gibt es doch bestimmt auch irgendwo eine Seehund-Auffang-Station. Wäre es nicht sinnvoller, dahin zu gehen?“

„Keine Ahnung.“ Johannes seufzte leicht resigniert. „Das bin ich auch schon die ganze Zeit am überlegen. Aber wir werden es nicht herausfinden, wenn wir hier draußen Wurzeln schlagen. Lasst es uns einfach versuchen. Die werden es schon sagen, wenn wir damit bei ihnen falsch sind.“

„Jetzt komm schon, lass uns einfach rein gehen“, murmelte ich missmutig und öffnete die Tür. Jojo nickte zustimmend. Nur Malika schien noch immer nicht überzeugt. Aber bevor sie doch noch einen Rückzieher machen konnte, schob Jojo sie durch die offene Tür.

Schnell folgte ich ihnen. Im Eingangsbereich herrschte eine dämmrige Atmosphäre. Die Fenster ließen nicht so viel Licht durch, da sie aus Milchglas waren und niemand hatte das Licht eingeschaltet.

Links und rechts waren Sitzgruppen aufgebaut, grade aus war eine Theke, hinter der zwei Polizisten zu sehen waren. Der eine beschäftigte sich mit einer etwas älteren Dame die mit großen Gesten auf ihn einredete. Er wirkte nicht wirklich glücklich in seiner Haut.

Jojo steuerte auf den anderen Beamten zu, der irgendwas an seinem Computer machte. Als der Polizist merkte, dass wir auf ihn zu steuerten, erhob er sich und sah uns mit einem halben Lächeln entgegen.

„Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?“, begrüßte er uns freundlich.

„Hallo, Johannes Seifert“, stellte Jojo sich vor. „Meine Freunde und ich haben Seehund-Jäger entdeckt und wollten sie melden.“

Der Polizist – auf seinem Schild stand „L. Mayer“ - nahm sich Zettel und Stift und führte und zu einer der Sitzgruppen. Dann sollten wir ihm die ganze Geschichte erzählen.

Als wir fertig waren erklärte er uns, dass er das Ganze der Auffangstation melden würde und die sich dann darum kümmern würden. Wir bedankten uns bei ihm und verließen das Revier. Jojo und Malika fingen sofort an über irgendwas, das mit Fotografie zu tun hatte, zu diskutieren, aber ich hatte keine Ahnung, worum es da genau ging.

Meine Gedanken schweiften ab. Erst jetzt, wo wir wieder draußen waren und der Polizist uns versichert hatte, dass die Sache geklärt werden würde, merkte ich, wie eine Anspannung von mir abfiel. Ich hatte es nicht bemerkt, aber mit jedem Schritt auf das Revier hatte ich mich immer mehr angespannt.

Jetzt sah ich plötzlich Lina vor mir. Wie sie fröhlich lachend der Pier entlang ging, Malika an ihrer Seite. Ich hatte diese Szene im letzten dreiviertel Jahr fast jeden Freitag und Sonntag in der Saison gesehen. Malika brachte Lina fast immer zum Hafen und begleitete sie für gewöhnlich auch noch zum Schiff.

Wenn ich dieses Bild mit dem Seehund verglich, den Jojo mir auf der Kamera gezeigt hatte, konnte ich keine Ähnlichkeit feststellen.

Lina war durch trainiert und energiegeladen, der Seehund hatte abgemagert und erschöpft gewirkt. Das konnte unmöglich die gleiche Person sein. Ich meine, ich hatte Jojo als Robbe gesehen. Ich glaubte ja, dass sie eine Gestaltwandlerin war, aber als Jojo das erklärt hatte, hatte ich irgendwie gedacht, sie wäre mehr oder weniger genauso wie sonst auch. Nur halt als Seehund.

„Hallo, Erde an Lucas.“ Johannes wedelte mit einer Hand vor meine Gesicht herum und verwirrt sah ich ihn an. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er mir irgendwas versucht zu sagen. Und zwar schon zwei oder drei mal.

„Sorry, ich war mit meinen Gedanken wo anders“, erklärte ich schnell. „Was ist los?“

„Ich wollte dich nur fragen, ob du auch was Essen willst. Es ist schon Mittag.“ Erstaunt warf ich einen Blick auf die Uhr. Eins. Wir waren länger auf dem Revier gewesen als ich gedacht hatte.

„Ähm, nein danke, ich hab keinen Hunger“, riss ich mich selber aus den Gedanken. „Meint ihr, sie kommen wieder frei?“

„Ich hoffe es.“ Malika lächelte traurig. „Wir haben es der Polizei gemeldet. Mehr können wir nicht tun. Die müssen sich jetzt darum kümmern.“

„Wir haben denen unsern Legeplatz genannt. Sie werden sich melden, wenn es etwas neues gibt.“ Jojo fing plötzlich an zu grinsen. „Sag mal, läuft da eigentlich irgendwas zwischen Lina und dir?“

Verwirrt sah ich ihn an. „Nein, wir sind nur Freunde und Kollegen.“ Wie kam er jetzt da drauf?!

„Ach?“ Malika zog die Augenbrauen hoch. „Da hat Lina mir aber was anderes erzählt.“ Noch immer verwirrt sah ich von einem zum anderen. „Und bevor du fragst. Ja, ich bin mir sicher, dass ich mich nicht verhört habe. Sie hat definitiv von dir geredet.“ Sie sah mich mit schief gelegtem Kopf an. „Wusstest du übrigens, dass sie ihrem Ex nie erzählt hat, dass sie eine Gestaltwandlerin ist?“

„Nein. Wie kommst du jetzt da drauf? Meine Mutter hat es meinem Vater auch nie erzählt.“

„Was hat sie ihm nie erzählt?!“ Johannes sah mich fassungslos an.

„Dass sie eine Gestaltwandlerin war. Sie hat es mir nie gesagt, aber du kennst ja meine Oma...Sie fing damit eines Tages an und erklärte mir lang und breit, was es mit den Gestaltwandlern auf sich hat.“ Ich lächelte schief. „Blöd nur, dass du es mir damals schon erzählt hattest.“

 

Am nächsten Morgen hielt ein Streifenwagen am Hafen. Zwei Beamte stiegen aus und steuerten auf unser Boot zu. Es waren die beiden von gestern. Sie begrüßten uns und erklärten dann, dass sie die Jäger in Gewahrsam genommen hätten und die Heuler wieder frei wären.

„Die Tiere hatten wirklich Glück, dass Sie dort waren. Ansonsten wären einige von ihnen wohl in den nächsten Tagen verhungert“, erklärte der, der auf dem Revier mit uns gesprochen hatte. „Trotzdem hätten Sie da nicht so einfach rein spazieren dürfen. Wer weiß, was die Männer gemacht hätten, wenn sie Sie dort angetroffen hätten.“

„Was passiert jetzt mit den Seehunden?“, fragte ich schließlich.

„Die Heuler haben wir in die Auffangstation gebracht, dort wird man sich um sie kümmern. Wir haben allerdings auch eine ausgewachsene Seehündin gefunden. Keine Ahnung, wie die da rein gekommen ist. Wir wollten sie von einem Tierarzt untersuchen lassen, aber sie ist uns entwischt. Keine Ahnung, wo sie hin ist oder ob sie überleben wird.“

Home, sweet Home

Lina

Als die Männer kamen, lag ich grade auf dem Stückchen Land, das uns hier geblieben war. Es waren sechs Menschen. Keiner davon war einer der Jäger. Sie durchforsteten die Höhle. Nicht lange, dann hatten sie unser Becken erreicht.

Es waren drei Polizisten und drei in Zivil. Fünf Männer, eine Frau. Die Polizisten machten schnell einige Fotos, dann traten die drei Zivilisten in Aktion. Sie gingen noch mal zu ihrem Boot zurück und kamen kurz darauf zurück.

Sie bauten irgendein Gerüst auf. Im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, was sie damit bezwecken wollten, doch dann sah ich, wie sie mit dem Gerüst die Seehunde aus dem Becken holten. Es dauerte einige Zeit, alle Heuler raus zu bekommen, da viele verschreckt und misstrauisch waren, aber irgendwann hatten sie es geschafft. Ich war eine der letzten, die gerettet wurden.

Kaum war ich auf festem Boden, versuchte ich sofort zum Wasser zu kommen. Die Heuler waren alle in der Bucht, aber am Ausgang war ein Netz gespannt, damit sie nicht entkommen konnten. Demnach wollten sie sie wohl zu einer Auffangstation bringen.

Aber ich wollte nicht in die Auffangstation. Ich wollte nur noch nach hause. So schnell ich konnte, schwamm ich auf das Netz zu. Es endete knapp über der Wasseroberfläche. Vielleicht konnte ich ja drüber springen. Hinter mir hörte ich die erschrockenen Ausrufe der Polizisten und Zivilisten. Aber was sollte ich denn machen? Hier gehörte ich nicht hin.

 

Keine Ahnung, wie weit ich geschwommen bin. Ich weiß nur, dass ich irgendwann nicht mehr weiter konnte. Meine Muskeln rebellierten gegen jede Bewegung. Mit letzter Kraft suchte ich mir eine einigermaßen geschützte Stelle. Kaum war ich aus dem Wasser, schlief ich auch schon ein. Erst eine vertraute Stimme weckte mich.

„Jojo, meinst du, es geht ihr gut?“ Ich konnte die Besorgnis in der Stimme hören, aber im ersten Moment konnte ich sie nicht zu ordnen. Sie klang männlich und ich kannte sie auf jeden Fall. Aber wer war das?

„Papa“, wollte ich schließlich murmeln, aber es kam nur ein unverständliches Stöhnen hervor.

„Jojo, sie ist wach!“, rief die Stimme jetzt aufgeregt.

„Ja, ich merke es.“ Stimme zwei war ebenfalls männlich. Jojo?

„Wie geht es ihr? Verängstigt, weiblich.

„Mama?“ Wieder nur ein unverständliches Stöhnen. Wer war das? Vorsichtig versuchte ich die Augen auf zu machen. Über mich gebeugt standen drei Menschen. Zwei junge Männer und eine junge Frau. Sie kamen mir alle drei unglaublich bekannt vor, aber mein Gehirn fand ihre Namen und die Beziehung zu mir nicht.

Jetzt versuchte ich, mich auf meinen Ellenbogen zu stützen. Aber da war keiner. Meine Arme waren Flossen. Meine Beine waren zusammen gewachsen, die Füße bildeten die Hinterflosse. Erschrocken keuchte ich.

„Hey, alles ist gut.“ Sanft sprach das Mädchen auf mich ein. Und dann registrierte ich so etwas wie eine Welle, aber sie war nur in meinem Kopf. Die Welle war sanft, beruhigend. Fast schon einschläfernd.

„Okay. Lina, kannst du mich hören?“ Einer der jungen Männer sprach jetzt. Warum konnte ich mich immer noch nicht an ihre Namen erinnern?! „Lina, wenn du mich hörst, dann nick jetzt bitte.“ Langsam bewegte ich den Kopf auf und ab. Auf den drei Gesichtern über mir, machte sie Erleichterung breit.

Und dann tauchte plötzlich noch etwas anderes in meinem Kopf auf. Da waren noch drei andere. Ich konnte sie nicht sehen, nur fühlen. Nein, es waren die drei vor mir. Jetzt endlich fielen mir auch ihre Namen wieder ein. Jojo oder auch Johannes, Mali oder auch Malika und Lucas.

„Okay, Lina“, sprach Jojo mich erneut an. „Meinst du, du kannst du zurück verwandeln?“ Konnte ich das? Vorhin war ich zu schwach gewesen, aber jetzt hatte ich mich eine ganze Weile ausgeruht. Vielleicht klappte es ja.

Also konzentrierte ich mich. Eigentlich ist eine Verwandlung nicht schwer. Die stärkste Emotion ist ein wichtiger Faktor dabei. Wenn man sich auf dieses eine Gefühl konzentriert, wird die Wandlung eingeleitet. In meinem Fall war es die Erleichterung, dass ich wieder frei war. Als ich merkte, dass es funktionierte, wurde meine Erleichterung noch größer.

In Menschengestalt setzte ich mich dann vorsichtig auf und lächelte meine drei Freunde zaghaft an. Alle drei lächelten zurück. Und in allen drei Gesichtern sah ich die übergroße Erleichterung, dass ich wieder da war.

„Ich schätze, ich muss euch danken.“ Ich grinste schief. „Das alles ein bisschen nach hinten los gegangen.“

„Die Hauptsache ist doch, dass du das ganze überlebt hast.“ Mali sah aus, als würde sie gleich los heulen vor Freude. „Kannst du aufstehen?“ Vorsichtig versuchte ich es. Lucas und Jojo stützen mich dabei.

„Komm, wir haben was zu essen.“ Wie aufs Stichwort fing jetzt mein Magen an zu knurren. „Du musst doch vollkommen verhungert sein. Denn ich nehme mal an, ihr habt nicht genug zu fressen bekommen?“

„Oh, ich hätte bestimmt genug bekommen, hätte ich mich in die hungrige Meute gestürzt. Aber erstens wollte ich nicht, dass die Jäger mich entdecken und dann sonst was mit mir machen, weil ich zu alt war und zweitens bin ich kein großer Fan von Gruppenkuscheln.“

„Nicht?“ Lucas sah mich erstaunt an. „Du bist doch sonst immer so Menschen bezogen.“

„Und das ist der springende Punkt. Ich bin Menschen bezogen. Wir Seehunde sind eher Einzelgänger. Wir mögen den Kontakt mit Artgenossen nicht besonders.“

 

Nach dem Essen kehrten wir zum Boot zurück und Johannes steuerte uns nach hause. Am späten Abend liefen wir unseren Heimathafen an. Ich war so erschöpft, dass ich auf der Fahrt eingeschlafen war. Morgen würde ich gar nichts machen. Einfach nur ausruhen.

Kaum hatte ich unsere Wohnung betreten, steuerte ich mein Zimmer an und ließ mich dort aufs Bett fallen. Keine zwei Sekunden später war ich eingeschlafen.

Den Wecker am nächsten Morgen überhörte ich. Mali hatte erbarmen mit mir und weckte mich nicht. Erst gegen Mittag erwachte ich aus meinem Reich der Träume. Mein erste Aktion war, die Küche zu plündern. Ich war unglaublich hungrig.

Viel machte ich den Nachmittag über nicht mehr. Jojo hatte meine Tasche mitgebracht, die ich von zwei Wochen bei ihm abgestellt hatte. Ich stellte die Waschmaschine mit einem Schwung Wäsche an und kuschelte mich dann mit einem Buch in meinen Sessel.

Abends kamen Jojo und Lucas vorbei und wir schoben uns Pizza in den Ofen. Wir versammelten uns in meinem Zimmer – Mali und Jojo saßen auf dem Bett, Lucas hatte darauf bestanden, dass ich den Sessel bekam, er hatte sich meinen Schreibtischstuhl heran gezogen.

Und dann musste ich ihnen erzählen, was passiert war. Und ich erzählte. Ich beschrieb das Gefühl, das die ganze Geschichte ins Rollen gebracht hatte, ich erzählte von meinen Nachforschungen. Ich beschrieb meine Suche, wie ich die Höhle gefunden und mich daran umgesehen hatte. Und wie dann plötzlich die Männer wieder aufgetaucht waren.

Als Jojo mir offenbart hatte, dass ich etwas über eine Woche dort in der Höhle gewesen war, war ich ehrlich erstaunt gewesen. Mein Zeitgefühl war mir zwar abhanden gekommen, aber dass ich über eine Woche dort gewesen war, hätte ich dann doch nicht gedacht.

Insgesamt brauchte ich für meinen Bericht fast eine halbe Stunde. Zwischendurch hatte Jojo die Pizza geholt, aber ich war nicht dazu gekommen, sie zu essen, da ich die ganze Zeit geredet hatte. Jetzt war sie kalt. Für mich schmeckte sie trotzdem himmlisch. Eine Woche nur Fisch ist halt nicht wirklich das Wahre.

Auch wenn man ein halber Seehund war. Die andere Hälfte würde immer Mensch bleiben. Und als Mensch hatte man Fisch nach einer Woche eben bis zum Hals stehen.

 

Den Sonntag ließ ich auch sehr gemütlich angehen. Ich stand eine Stunde später als sonst auf und ließ mir fürs Frühstück Zeit. Gegen Mittag brachte Mali mich dann zur Seaside. Sie wollte dann noch weiter zu Jojo.

Grinsend sah ich ihrem Wagen hinterher. Mali und Jojo waren kurz davor zusammen zu kommen und ich freute mich für die zwei. Sie passten gut zusammen.

Die Seaside lag verlassen am Dock. Kein Bewusstsein weit und breit. Verwundert betrat ich das Schiff und ging zur Tür, die in den Essraum führte. Es war abgeschlossen. Mit meinem Schlüssel verschaffte ich mir Zutritt und sah mich um. Auf einem der Tische lag ein Zettel.

Papa kommt erst heute Abend wieder, ich bin noch kurz bei Jojo.

Komme gegen zwei wieder

Die Schulklasse kommt um vier.

Auch gut, dann hatte ich halt noch ein bisschen frei. Schnell brachte ich meine Tasche in meine Kajüte, schnappte mir dann ein Buch und betrat dann wieder das Deck. Mein Blick fiel auf den Bugspriet, der verlassen da lag und ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Lucas würde erst in einer halben Stunde wiederkommen.

In einem Anfall von guter Laune und vermutlich auch etwas Übermut kletterte ich auf den Bugspriet. Nach anfänglichen Schwierigkeiten einen bequemen Platz zu finden, legte ich mich schließlich hin, schloss die Augen und genoss die Geräusche im Hafen.

Hier tuckerte ein Boot vorbei, da kreischte eine Möwe. Die Wellen schlugen sanft gegen die Begrenzung des Hafenbeckens und die Boote. Die Seaside schaukelte leicht in den Ausläufern des Bugwassers eines Bootes.

„Verstehst du jetzt, warum ich diesen Platz so liebe?“

Erschrocken fuhr ich hoch. Und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren.

Wütend drehte ich mich zu Lucas um und verlor dabei erneut fast den Halt. Der junge Mann konnte sich das Lachen nicht verkneifen und schließlich stimmte ich mit ein. Ich konnte ihn schon irgendwie verstehen. Dem Drang, ihn zu erschrecken, wenn er hier geschlafen hätte, hätte ich auch nicht widerstehen können.

Jetzt kletterte ich vorsichtig vom Bugspriet runter, da ich keine Lust hatte, doch noch Bekanntschaft mit dem Wasser zu machen. Dazu war ich heute irgendwie nicht in der Stimmung.

Um von der Reling aufs Deck zu kommen, sprang ich das letzte Stück. Ungeschickt landete ich und stolperte vorwärts, um nicht das Deck küssen zu müssen. Letztendlich retteten mich zwei starke Arme vor dem Sturz. Dankbar sah ich zu Lucas hoch. Seine Augen funkelten belustigt und plötzlich machte sich ein warmes Gefühl in meinem Innern breit.

„Nanana, nicht so hastig“, murmelte Lucas mit einem leichten Grinsen auf dem Gesicht. Aber er ließ seine Arme, wo sie waren. Vorsichtig lächelte ich ihn an.

„Weißt du eigentlich, dass ich mir schreckliche Sorgen um dich gemacht habe, als Jojo mir erzählt hast, wo du hin bist?“, flüsterte er jetzt neben meinem Ohr. Sein Atem streifte meinen Hals und jagte mir einen Schauer über den Rücken. „Du kannst doch nicht einfach so, ohne was zu sagen, abhauen. Ich wäre fast gestorben vor Angst.“

Mein Lächeln wurde ein Stück breiter, aber auch etwas schuldbewusst. Lucas Augen lagen mit einem warmen Schimmer in ihnen auf meinem Gesicht und musterten mich. Er schien jedes Detail in sich aufnehmen zu wollen.

„Ich werde dich nie wieder gehen lassen“, erklärte er mir jetzt leise und sah mich liebevoll an. „In meinem ganzen Leben nicht.“

Und dann drehte er den Kopf und legte seine Lippen vorsichtig auf meine. Ein unglaublich intensives Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus, als würde dort ein Schwarm Schmetterlinge hausen, der jetzt in wilder Aufruhr war.

Meine Hände lagen auf seiner Brust und waren zwischen unseren Körpern eingeklemmt, seine eine Hand lag an meiner Taille, die andere an meiner Hüfte. Jetzt zog er mich noch etwas fester zu sich. Langsam öffnete ich meine Lippen und Lucas tat es mir gleich.

Scheinbar eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis ich etwas Abstand zwischen uns brachte und Lucas an lächelte. Er schien leicht benebelt, lächelte aber zurück.

„Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.“ Lucas sprach so leise, dass ich ihn fast nicht hörte. Aber als die Worte bei mir ankamen, jagte erneut ein Schauer über meinen Rücken und die Schmetterlinge spielten verrückt.

„Ich glaube, ich habe mich auch in dich verliebt“, antwortete ich ebenso leise und küsste Lucas erneut. „Sagen wir es Harald sofort, oder verschonen wir ihn noch eine Weile?“, fragte ich schließlich, als wir uns wieder von einander gelöst hatten.

„Ich befürchte, wirklich geheim halten können wir es nicht vor ihm, also sagen wir es ihm lieber, nicht dass er uns dann darauf anspricht und es irgendwie peinlich wird.“

Ich nickte langsam. Lucas hatte recht. Hier auf der Seaside konnten wir es nicht verbergen. Außerdem wollte ich es auch gar nicht.

Das Kribbeln in meinem Bauch war um so vieles intensiver als damals bei Darius. Und Lucas wusste über meine „geheime“ Seite Bescheid. Er verachtete mich deswegen nicht oder so. Außerdem war ich mir bei ihm hundertprozentig sicher, dass er mich nie betrügen würde.

Bei Darius hatte ich tatsächlich Angst gehabt, dass unsere Beziehung das Jahr Trennung nicht überleben würde. Und meine Befürchtungen waren wahr gewesen. Er hatte mich betrogen.

Happy End?!

Lucas

„Wann lerne ich eigentlich deine Großeltern kennen? Ich meine, du hast mir jetzt schon so viel von ihnen erzählt, da finde ich, sollte ich sie auch mal persönlich kennen lernen.“ Mit einem schon fast hinterhältigen, aber doch unschuldigen Lächeln sah Lina mich an. „Und im Übrigen sind wir jetzt seit zwei Wochen zusammen, da ist es doch nur mein gutes Recht, auf das ich mich hier berufe.“

Ich seufzte leise. Lina lag mir jetzt schon die halbe Woche damit in den Ohren. Und das schlimmste daran: Sie hatte erstens Recht und zweitens wollte Oma sie auch kennen lernen.

„Ich werde mal mit Oma reden, ob und oder wann sie Zeit hätten, dass wir sie besuchen können.“ Ich sah Lina leicht streng an, als sie vor Freude in die Luft springen wollte. „Dir ist aber auch klar, dass das dann auf irgendein Wochenende fällt und du zwischen zwei Segeltörn nicht nach hause fahren kannst?“

„Ach Lucas, und dir sollte doch eigentlich klar sein, dass die Seaside zu meinem zweiten zuhause geworden ist. Und wenn du auf das Problem mit zu wenig Schlaf anspielen wolltest, kann ich dich beruhigen. Wir werden bei deiner Großmutter garantiert mehr schlafen, als wenn wir einen zweiwöchigen Segeltörn hätten, also immer noch mehr als genug.“ Sie lächelte.

„Außerdem müssen wir ja nichts überstürzten.“ Innerlich atmete ich schon auf. Wollte sie vielleicht noch bis zum Saisonende warten? „Es reicht vollkommen, wenn wir in zwei oder der Wochen fahren.“

Bei den Worten sackte ich wieder zusammen. Meine grade entstandene Hoffnung, zerplatzte wie ein Luftballon, den jemand mit einer Nadel gestochen hatte.

„Okay, ich rufe Oma heute Abend an“, erklärte ich schließlich, um endlich Ruhe zu haben. Hätte ich das mal bloß nicht gemacht. Denn das war definitiv der Anfang vom Ende gewesen.

 

Oma war natürlich hellauf begeistert von Linas Idee. Sie bestand darauf, dass wir schon nächste Woche vorbei kommen mussten. Opa reagierte weniger euphorisch, aber ich merkte, dass auch er sich darauf freute, meine Freundin kennen zu lernen.

„Pass bloß auf, was du dir da an Land ziehst“, hatte er noch gebrummt. „Ein falscher Schachzug und du hast sie dein ganzes Leben am Hals.“

Dann hatte er einfach aufgelegt. Aber so war Opa nun mal. Das hatte er schon oft getan und irgendwie mochte ich seine mürrische Art. Vielleicht lag das ja daran, dass ich manchmal ähnlich drauf war.

Linas Freude, als sie erfuhr, dass wir nächste Woche zu Oma und Opa fahren würden, war fast noch größer, als Omas Freude, dass wir kommen würden. Halleluja, ich hatte zwei überdrehte Frauen zusammen geführt. Naja, immerhin würden sie sich wunderbar ergänzen.

 

Der Segeltörn verlief sehr entspannt. Die Gruppe war aufmerksam und lernte schnell. Außerdem war das Wetter perfekt zum Segeln, weshalb wir auch zwischendurch nicht in einem Hafen bleiben mussten oder gar nicht erst am Montag gleich starten konnten.

Freitag Mittag, kurz nachdem die Gruppe das Schiff verlassen hatte, steuerten Lina und ich die Bushaltestelle und damit indirekt den Bahnhof an. Opa konnte uns nicht abholen, weshalb wir mit dem Zug fahren würden.

Gegen halb vier trafen wir dann bei meinen Großeltern ein. Ich wollte grade klingeln, als die Tür aufgerissen wurde und Oma uns fröhlich anstrahlte.

„Da seid ihr ja, ich hab mir schon Sorgen gemacht, dass ihr doch nicht kommt.“ Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und wandte sich dann an Lina. „Endlich darf ich dich kennen lernen. Lucas hat mir ja praktisch nichts über dich erzählt.“ Bei ihren Worten musste Lina grinsen und ich die Stirn runzeln. „Aber jetzt kommt doch erstmal rein. Oh, ich hoffe es ist in Ordnung, wenn ich dich duze. Ich bin übrigens Hannah.“ Eilig zog sie uns ins Haus und schloss hinter uns die Tür.

„Richard, dein Enkel ist zu Besuch! Hättest du wohl die Güte, dich auf die Terrasse zu begeben?“, rief sie die Treppe hoch und schob uns im gleichen Moment schon wieder durch die Terrassentür aus dem Haus. Unsere Taschen hatten wir noch immer in der Hand.

„Jetzt lass die armen doch erstmal richtig ankommen“, brummte nun Opa hinter uns. Mit einem erleichterten Lächeln auf dem Gesicht drehte ich mich um und begrüßte meinen Großvater. Linas Augen funkelten amüsiert, als sie nun der kurzen Diskussion zwischen meinen Großeltern lauschte.

Am Ende gewann Oma. Wir würden jetzt Kuchen essen. Danach konnten wir immer noch unsere Zimmer beziehen. Also holten Opa und ich den Kuchen und das Geschirr. Ich hörte noch, wie Oma Lina schon wieder in ein Gespräch verwickelte.

„Du musst mir alles erzählen. Von Lucas erfährt man so was ja nicht“, erklärte Oma grade. Leider hörte ich Linas Antwort nicht mehr, weil Opa die Tür wieder hinter uns schloss.

„Und du bist dir sicher, dass sie die richtige ist?“ Opa sah mich skeptisch an. „Sie erinnert mich sehr an deine Mutter in dem Alter. Pass bloß auf, was du tust.“

Den restlichen Freitag Nachmittag wurde Lina von Oma praktisch in Beschlag genommen, weshalb ich mich schließlich mit Opa zusammen setzte und über Segelboote fachsimpelte – eins unserer Lieblingsthemen, wenn ich zu Besuch war.

Samstag beschlossen Oma und Lina spontan, dass wir an den Strand sollten. Also fuhren wir an den Strand. Oma bestand natürlich darauf, dass wir Schwimmsachen mitnahmen, was ich auch machte, weil ich keine Lust auf irgendwelche seltsamen Diskussionen mit Oma hatte.

Der Strand lag nur fünf Minuten von dem Haus entfernt. Es war ein kleiner privat Strand – er gehörte unserer Familie, aber fragt mich nicht, wieso meine Großeltern einen eigenen Strand hatten. Soweit ich wusste, gingen sie nicht so oft schwimmen.

Die erste halbe Stunde oder Stunde saßen wir einfach nur am Strand. Lina und Oma redeten über irgendein Thema, von dem ich keine Ahnung hatte, Opa und ich widmeten uns wie immer unseren heißgeliebten Segelbooten.

Irgendwann sah ich aus dem Augenwinkel, wie die beiden Freuen sich verschwörerisch angrinsten. Besorgt, was sie denn jetzt schon wieder vor hatten, drehte ich mich zu ihnen. Die zwei waren aufgestanden und stellten sich jetzt vor uns Männer.

„Wir gehen jetzt schwimmen“, erklärte Lina denn dann auch. Ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch, gab aber keinen Kommentar ab, da ich wusste, dass mit Lina nicht zu diskutieren war. Also zog ich Hose und T-Shirt aus und folgte den anderen drei zum Wasser.

In der Brandung stürzten sich meine Großeltern und Lina fast synchron in eine Welle und noch im Sprung sah ich bei allen drei eine Verwandlung vorgehen. Alle drei durchlief eine Welle mit der sie zum Seehund bzw. zur Robbe wurden.

Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen und starrte sprachlos auf die Wellen. Dort tauchten jetzt drei braune Köpfe auf. Von Lina hatte ich ja gewusst, dass sie eine Gestaltwandlerin war, aber Oma und Opa?!

Wenn Oma und Opa beide Gestaltwandler waren, dann musste Mama doch auch eine Gestaltwandlerin gewesen sein. Und wenn Mama eine Gestaltwandlerin gewesen ist, war ich dann nicht auch zur Hälfte Gestaltwandler? Hatte Oma das damals gemeint, als sie sagte, dass ich den Wetterinstinkt von Mama geerbt hatte?

 

Später, am Abend, saßen wir im Wohnzimmer und redeten mal wieder. Oma erklärte mir, was damals wirklich passiert war.

Mama war mit Freunden segeln gewesen, das stimmte. Es waren eigentlich gute Freunde von ihr gewesen, denen sie von ihrer Gabe erzählt hatte. Keinen von ihnen hat Oma je wieder gesehen. Den Sturm hatte es wirklich gegeben, aber Mama war zu der Zeit nicht dort gewesen. Omas Vermutung war, dass sie von ihren Freunden entführt und in ein Labor gebracht worden. Zumindest meinte sie, dass mindestens eine von ihren Freundinnen eine Wissenschaftlerin – Biologin, um genau zu sein – gewesen war.

„Aber haben die Familien der Freundinnen keine Vermisstenanzeigen aufgegeben?“, fragte ich schließlich ratlos.

„Doch, das haben sie, aber es wurde niemand gefunden. Zumindest offiziell“, erklärte Oma. „Ich vermute, dass die drei sich irgendwie mit ihren Familien in Verbindung gesetzt und sie zum Umziehen animiert haben. Ich meine mich jedenfalls daran zu erinnern, dass alle drei Familien im Laufe des nächsten Jahres weggezogen sind.“

„Also könnte es sein, dass Mama in irgendeinem Labor gelandet ist, weil sie den falschen Leuten vertraut hat?“ Fassungslos sah ich Oma an. Wie schrecklich diese Welt doch war. Und wie wissbegierig. Kaum tauchte etwas neues auf, musste das sofort aufs kleinste Detail untersucht werden.

„Also ich muss sagen, solche Freunde wünscht sich doch jeder“, erklärte Lina trocken, als Oma mit ihrem Bericht fertig war. Ich nickte langsam. Hatte ich es wirklich Mamas Freundinnen zu verdanken, dass ich ohne Mutter auf gewachsen war? Sanft legte Lina ihre Hand auf meinen Arm.

„Hey, alles in Ordnung?“

Wieder nickte ich langsam, sagt jedoch nichts. Noch immer versuchte ich richtig zu verstehen, was Oma mir grade und am Strand erklärt hatte. Oma und Opa waren Gestaltwandler. Mama war eine Gestaltwandlerin gewesen. In mir floss Gestaltwandlerblut.

„Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Gestaltwandler wird, wenn ein Elternteil einer ist?“, fragte ich schließlich leise. Fast unhörbar seufzte Oma.

„Das kommt drauf an. In deinem Fall, weil deine Mutter eine reinblütige Gestaltwandlerin ist, und dein Vater ein reinblütiger Mensch, ungefähr fünfzig, fünfzig. Im Prinzip ist es wie mit jedem anderen Gen auch.“ Oma hörte sich traurig an.

„In solchen Fällen ist das von Kind zu Kind unterschiedlich“, erklärte nun Lina. „Ich habe eine Schwester, bei der das Wandlergen nicht durch geschlagen hat.“

„Heißt das, sollte ich jemals heiraten, könnte es passieren, dass meine Kinder sich in Robben verwandeln können?“ Ich grinste schief. „Ich muss sagen, das sind unglaubliche Neuigkeiten.“

„Sieh es doch so, ihr könnt immer frischen Fisch essen.“ Linas Argument ließ mich richtig grinsen.

„Das ist das Argument schlecht hin, warum ich hoffen sollte, dass meine Kinder Gestaltwandler werden“, lachte ich. „Aber wer weiß, vielleicht werden sie ja auch alle Menschen.“

„Ach, das wäre doch langweilig, wo bleibt denn da der Spaß?“ Linas Augen funkelten belustigt.

 

Zwei Wochen war der Besuch bei Oma und Opa jetzt her. Zwei Wochen war es jetzt her, dass Oma mir alles erklärt hatte. Zwei Wochen, in denen ich viel darüber nachdachte, was das alles bedeutete. Zwei Wochen...

Ein paar Stunden hatte es gebraucht, mein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen. Zwei Wochen brauchte es, damit ich es langsam wirklich verstand und akzeptierte. Zwei Wochen dauerte es, bis ich diese Sachen nicht mehr verdrängte.

Zwei Wochen, in denen Lina einfach unglaublich war. Wenn ich irgendeine Frage hatte – wie abwegig sie auch sein mochte – Lina beantwortete sie ausführlich. Aber sie drängte mich nie zu irgendetwas oder tat eine Frage als unsinnig und belanglos ab.

Inzwischen war es Mitte August. In zweieinhalb Monaten war die Segelsaison für dieses Jahr schon wieder beendet. Unglaublich. Es fühlte sich an, als wären Jahre vergangen. Lina war jetzt fast genau ein Jahr hier auf der Seaside. Ein Jahr, in dem so unglaublich viel passiert war.

Lina hatte mich aus meiner Schweigsamkeit gerissen, wir waren Freunde und schließlich sogar ein Paar geworden. Wir hatten Seehund-Jäger überführt und ich hatte erfahren, was höchstwahrscheinlich wirklich mit Mama passiert war. Papa hatte ich es nicht erzählt. Ich hatte keine Ahnung, wie er darauf reagieren würde. Und außerdem war es ein angenehmerer Gedanke, Mama wäre auf See gestorben, als mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit zu wissen, dass sie auf einem Labortisch gelandet war.

„Hey, worüber denkst du nach?“ Lina trat hinter mir an die Reling und Umarmte mich so.

„Über alles und nichts.“ Ich lächelte leicht, als ich aus dem Augenwinkel sah, dass Lina leicht die Nase kraus zog. „Keine Angst, ich denke, ich hab es jetzt soweit verarbeitet. Ich habe nur grade darüber nachgedacht, was Papa dazu wohl sagen würde.“

„Ich denke, das werden wir nie erfahren.“ Lina seufzte leise. „Es ist besser für ihn, so wie es jetzt ist.“

„Ich weiß.“ Langsam drehte ich mich um und erwiderte Linas Umarmung. „Aber lass uns über was anderes reden, ja?“ Lina nickte lächelnd. „Hast du schon Pläne für den Winter?“

„Über Weihnachten bin ich auf jeden Fall zuhause, ansonsten habe ich noch nichts geplant. Vielleicht besuche ich eine alte Schulfreundin in Hannover.“

„Oder du kommst zu uns.“ Ich ließ es fast wie eine Frage klingen und sah Lina mit einem leicht fragenden Blick an. Als ich sie so sah, wie sie über das Angebot nachdachte, fing mein Herz an, einen flotten Chachacha zu tanzen. In ihren grauen Augen lag ein verträumter Schleier, ihr Blick war auf den Horizont gerichtet.

„Ja, ich komme mit“, meinte sie schließlich lächelnd. Ihr Blick klarte auf und kehrte zu mir zurück. Dann beugte sie sich vor und legte ihre Lippen auf meine. Glücklich erwiderte ich den Kuss. Das würde der schönste Winter seit langem werden.

 

Ende

Anmerkung der Autorin

Jetzt ist es wohl an der Zeit, sich bei all den Leuten zu bedanken, ohne die das Buch nicht so geworden wäre. An aller erster Stelle stehen da meine Eltern, die sich in unserem Urlaub lange Monologe über meine Charaktere und die Story anhören und mich zwischen durch vor dem Aufgeben bewahren mussten. Außerdem haben sie geduldig jede Frage beantwortet, auch wenn es vielleicht das zweite oder dritte Mal war, dass ich diese Frage gestellt hatte.

Dann wären da noch meine Geschwister. Auch sie haben sich nie beschwert, wenn ich mal wieder anfing von meiner Geschichte zu reden und verzweifelt war, weil ich nicht mehr weiter kam. Oft haben sie sogar geholfen, dass ich doch weiter schreiben konnte.

Würde ich hier jetzt alle Freunde namentlich aufzählen, denen ich mal von meiner Idee erzählt habe und denen ich vielleicht auch mal in den Ohren hing, weil ich nicht weiter wusste, würde das viel zu lange dauern. Ich will nur so viel sagen: Die, die Geschichte gelesen haben, oder zumindest Ausschnitte davon, waren immer begeistert und haben mich gedrängt weiter zu schreiben.

 

Eigentlich war dieses Buch ja als zweiter Band einer Trilogie über Gestaltwandler gedacht. Der erste Band ist auch theoretisch schon fertig, praktisch hat es aber keine richtig gute Story, weshalb ich das ganze noch mal überarbeiten und größtenteils neu schreiben werde.

Und weil ich, als ich das Buch dann fertig hatte, keine Lust hatte, das gleich zu überarbeiten, habe ich erstmal das hier geschrieben. Mal gucken, ob ich jetzt erst den eigentlichen dritten Band schreibe, oder mich noch mal hinter den ersten Band klemme.

Impressum

Texte: Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für die "Manna" Das Boot, das mich eine Woche lang über das Ijsselmeer getragen hat.

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