Kapitel 1 - Alte Bande
Kapitel 2 - Aufbruch
Kapitel 3 - Wanderung
Kapitel 4 - Erkenntnisse
Kapitel 5 - Berührungen
Kapitel 6 - Gute Aussichten
Kapitel 7 - Zivilisation
Kapitel 8 – Vergangenheit
Kapitel 9 – Herzenswünsche
Kapitel 10 – Geständnisse
Kapitel 11 – Die Wahrheit
Kapitel 12 – Gespräche
Kapitel 13 – Erklärungen
Kapitel 14 – Die Jagd
Kapitel 15 – Leichtsinn
Kapitel 16 – Angriff
Kapitel 17 – Verletzungen
Kapitel 18 – Überraschung
Kapitel 19 – Wiedersehen
Kapitel 20 – Familienzwist
Kapitel 21 – Balsam
Kapitel 22 – Leere
Kapitel 23 – Versöhnung
Kapitel 24 – Schach Matt
Kapitel 25 – Verschwörung
Kapitel 26 – Revierverhalten
Kapitel 27 – Entschuldigung
Kapitel 28 – Hochzeit
Kapitel 29 – Geheimnisse
Kapitel 30 – Hüllenlos
Kapitel 31 – Planänderung
Kapitel 32 – Abschied
Kapitel 33 – Erinnerungen
Wie Regentropfen auf einem Spinnennetz im Glanz der Sonne, lagen die Straßen Tokios unter mir. Ein Farbenspiel aus Rot, Gold und Silber. Unzählige Fahrzeuge schoben sich durch den anbrechenden Abend. Die Werbetafeln spendeten flackernde Werbebotschaften, die das Dunkel der Nacht niemals zur Gänze hereinbrechen lassen würden.
Ich stand am Fenster meines Apartments weit über den Dächern der Stadt und sog die Luft in meine Lungen. Der Smog, der wie eine dichte Kuppel über den Häusern lag, ließ in dieser Höhe deutlich nach. Dennoch kniff der beißende Gestank aus Autoabgasen, Industriedämpfen und Millionen von Menschen unangenehm in meine Nase.
Tokio würde niemals meine Lieblingsstadt werden. Doch ihre Vorteile lagen zu offensichtlich auf der Hand. Die Stadt schlief nie. Jederzeit fanden sich Menschen auf den Straßen und es war nicht schwer, sich seine Anonymität zu bewahren.
Ich schloss die Fenster in der Hoffnung, damit auch den beißenden Geruch auszusperren und wandte mich dem Inneren meiner kleinen Wohnung zu. Außer einem schmalen Bett und einer kleinen Waschgelegenheit, zeugte nichts von dem horrenden Mietpreis, den ich zu zahlen hatte. Ich aß nie daheim, sondern hielt mich die meiste Zeit in den Straßen der Stadt auf.
Es vermittelte mir eine trügerische Sicherheit mich stets in Massen von Menschen zu bewegen. Ihre Anwesenheit hinderte mich zwar daran, meine Fähigkeiten zu nutzen, doch zur gleichen Zeit würde sie dies auch meinen Verfolgern schwerer machen.
Und ich hoffte stets, dass ich aufmerksam genug sein würde, einen nahenden Angreifer früh genug zu erkennen und ihm auch ohne meine Stärken entfliehen zu können. Allerdings, so musste ich mir eingestehen, waren solche Verfolgungsjagden schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen und allmählich begann ich mich zu fragen, ob Caius wohl aufgegeben hatte, mich töten zu wollen. Vielleicht hatten die Jahrzehnte es endlich geschafft seinen Hass auf mich zu schmälern und er steckte seine Energie nun wieder in andere Angelegenheiten.
Doch ich war nicht so naiv, mich diesem Wunschdenken hinzugeben. Ein unachtsamer Moment, könnte mein letzter sein und solange ich mir nicht sicher sein konnte, nicht mehr verfolgt zu werden, würde ich weiterhin dieses kleine Versteckspiel spielen, dass mich seit Jahren daran hinderte ein normales Leben zu führen.
Ich hatte mich schon sehr daran gewöhnt, ständig meinen Namen und mein Aussehen zu ändern, keinen festen Wohnsitz zu haben und spätestens nach 3 Jahren den Kontinent zu verlassen, dass mir mein altes Leben streckenweise wie ein verblassender Traum vorkam.
Es schien als wäre schon bei meiner Geburt klar gewesen, dass ich eines Tages nur noch auf der Flucht leben würde, denn die Fähigkeiten die ich erlangt hatte, erwiesen mir immer wieder gute Dienste.
Bald würde es wieder soweit sein, ich würde meine Zelte in Asien abbrechen und eine neue Identität aufnehmen. Mein Aussehen würde sich ein weiteres Mal ändern müssen und ich würde alle Bande hinter mir lassen. Letzteres fiel mir nicht schwer.
Ich unterhielt keine sozialen Kontakte, der Portier des Apartmenthauses war der Einzige der meinen Namen und mein Gesicht kannte und für ihn würde ich bald nur noch eine entfernte Erinnerung sein. Das Gesicht, das er kannte würde ihm ohnehin nie wieder begegnen.
Ich würde es ablegen wie einen alten löchrigen Pullover und mir ein Neues zulegen. Eine meiner Fähigkeiten. Vielleicht sogar die nützlichste, neben der ungemeinen Stärke, der Schnelligkeit und der anderen körperlichen Vorzüge.
Ich war in der Lage mein Aussehen zu ändern, meinen Geruch, meine Stimme, sogar die Temperatur meiner Haut unterlag keinen festen Bahnen, ich konnte sein wer ich immer ich sein wollte. Nur nicht ich selbst. Ich wusste nicht mehr, wann ich zuletzt mein eigenes Gesicht im Spiegel gesehen hatte. Wenn ich eine neue Identität angenommen hatte, legte ich sie nicht mehr ab, bis ich das Land verließ. Nicht einmal, wenn ich allein war.
Zu groß war die Angst, doch beobachtet und erkannt zu werden. Ein letzter Blick fiel auf das steril anmutende Zimmer, bevor ich meine Tasche griff und das Flugticket heraus nahm. Argentinien. Vor 50 Jahren war ich dort bereits einmal gewesen und ich fand es an der Zeit, es erneut zu besuchen.
Das Klingeln meines Mobiltelefons riss mich aus meinen Gedanken und mein Herz blieb für einen Moment stehen. Es gab nur wenige Leute, die meine Nummer kannten und keiner würde mir eine banale Nachricht schreiben, ohne einen wichtigen Grund dahinter. Ich nahm das Handy heraus und öffnete die eingegangene Nachricht. Als ich den Absender las, entspannte und versteifte ich mich zugleich: Edward Cullen.
Ich freute mich immer von den Cullens zu hören, waren sie doch so etwas wie meine Insel. Ein immerwährender Quell an Freundlichkeit und Sicherheit in einem unsteten, sturmumtosten Leben. Doch wenn sich Edward bei mir meldete und nicht Carlisle, der sonst den Kontakt mit mir hielt und mir auf mannigfache Weise half, meistens dadurch, dass er mir die Börsenkurse, die Alice hervorgesehen hatte mitteilte, musste etwas geschehen sein. Mir fiel ein, dass Alice mir eine Einladung geschickt hatte. Eine Hochzeitseinladung. Wie es schien hatte Edward seine Seelenverwandte gefunden und wollte sie in den Hafen der Ehe führen. Ich hatte lange mit mir gehadert, ob ich der Einladung Folge leisten sollte, mich schlussendlich jedoch dagegen entschieden. Das Risiko auf einer Vampir-Hochzeit aufzutauchen und dabei entdeckt zu werden, war mir einfach zu groß gewesen. Aber ich wusste, dass Edward es mir nicht übel nehmen würde. Er wusste um die Umstände meiner Existenz und er würde mir nicht zürnen. So hatte ich zumindest gehofft. Vielleicht war seine Nachricht ein Versuch, mich doch noch zu überreden. Anstatt mir eine Menge Gedanken zu machen, entschloss ich die Nachricht erst einmal zu lesen. Danach konnte ich mich immer noch fragen, was sie zu bedeuten hatte.
Liebe Alexis,
ich hoffe es geht dir gut. Verzeih mir, dass ich dich womöglich störe, aber ich habe eine Bitte an dich. Ich brauche deine Hilfe. Wenn du kannst, würde ich mich sehr freuen, wenn du nach Forks, Washington kommen könntest. Wenn Alice deine Entscheidung sieht, werde ich dich am Flughafen in Empfang nehmen. Ich freue mich dich zu sehen.
Alles Liebe
Edward
Wie immer, wenn ich meinen echten Namen las, irritierte es mich für einen Moment. Ich war es seit Jahren nicht mehr gewöhnt ihn zu lesen oder gar zu hören und manchmal fühlte ich mich als, ob sich mein wahres Ich irgendwann in Luft auflösen würde. Die Tatsache, dass sich noch Jemand daran erinnerte, wer ich war und wie ich wirklich hieß, war schön, wenn auch gefährlich. Er brauchte also meine Hilfe. Ich seufzte.
Der Gedanke, die Cullens wiederzusehen war verlockend wie der Duft eines frisch zubereiteten Mahls für einen Verhungernden. Ich hungerte nach Gesellschaft und freundlichen Gesichtern und die Cullens wären ein 5-Gänge-Menü.
Ich kannte Carlisle aus seiner Zeit bei den Volturi und uns verband eine tiefgehende Freundschaft. Vor Jahren hatten er und seine Familie mir Unterschlupf geboten und ich schuldete ihnen etwas.
Es schien, als wolle Edward diese Schuld nun einfordern und selbst wenn der Wunsch in mir sie alle wiederzusehen, nicht so groß gewesen wäre, brauchte es keine zweite Überlegung.
Kurz überlegte ich ihm eine SMS zurückzuschreiben, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. Alice würde bereits wissen, wie ich mich entschieden hatte und somit wusste es auch Edward. Ich verließ mein Apartment, gab meine Schlüssel beim Portier ab und rief ein Taxi, dass mich zum Flughafen bringen sollte.
Während der gesamten Fahrt, überlegte ich welchen Gefallen ich ihm wohl tun konnte. Doch egal wie ich es drehte und wandte, mir fiel nichts ein. Nichts, was ich in der Lage war zu tun, würde der Cullen-Clan nicht auch allein hinbekommen. Sie verfügten alle über solch fantastische Fähigkeiten, dass meine daneben wie die Tricks eines Straßengauklers aussehen mussten.
Gedankenverloren betrat ich schließlich den vollkommen überfüllten Flughafen und tauschte mein Argentinien-Ticket gegen eines nach Washington um. Ich würde noch die halbe Nacht hier verbringen müssen, bis mein Flieger ging, doch ich hatte Zeit. Nichts hatte ich mehr als Zeit.
Ich schlenderte durch die vielen kleinen Geschäfte, trank eine Cola-Light und aß ein großes Sandwich. Ich blätterte durch diverse Zeitschriften und Bücher, bis in den frühen Morgenstunden, endlich mein Flug aufgerufen wurde. Ich begab mich zum Check-in und ignorierte den wundernden Blick der Dame hinter dem Schalter, dass ich keinerlei Gepäck bei mir hatte, bis auf meine Handtasche.
Kaum, dass ich auf meinem Fensterplatz saß und mein Blick hinaus in den klammen Morgen ging, nahm Anspannung Besitz von mir. Ich hatte so lange nicht mehr amerikanischen Boden betreten und trotz des absoluten, unerschütterlichen Vertrauen, das ich den Cullens gegenüber empfand, schwang doch so etwas wie Furcht durch meinen Körper. Eine kleine Stimme in meinem Kopf, sagte mir stets, dass es eine Falle sein konnte und ich leichtfertig handelte, einfach so den nächsten Flieger zu besteigen, aufgrund einer kleinen Sms.
Doch ich konnte nicht aus meiner Haut. Die Cullens würden immer auf mich zählen können, insbesondere, wenn sie meine Hilfe brauchten. Und nun hatte ich fast 9 Stunden vor mir, in denen ich zitternd und freudig erregt darauf warten konnte, was mich wohl erwartete.
Über dem Smog und den dichten Wolken brach ein frischer Tag heran und das Licht der Sonne war klar und grell, doch angenehm.
Die weiße Wolkendecke wirkte wie ein frisch bezogenes Federbett, in das ich mich am liebsten sofort gekuschelt hätte. Im Bordkino lief ein belangloser Streifen, der wohl eine Komödie darstellen sollte, mich jedoch kein einziges Mal zum Lachen bringen konnte. Aufgrund des Sandwichs, dass ich am Flughafen gegessen hatte, sparte ich mir die eher widerwärtigen Speisen im Flugzeug und blieb bei einem Kaffee, der es jedoch ebenso wenig schaffte mir die Zeit zu vertreiben, wie der langweilige Film.
Nach einer gefühlten Ewigkeit von 9 Stunden, durchbrach die Maschine die Wolkendecke, um zur Landung anzusetzen und hatte ich mich auf einen schönen Tag gefreut, so wurde ich nun enttäuscht. In Washington war es bereits Nachmittag und anstatt einer freundlichen Sonne, verdunkelte das Wetter das Innere des Flugzeugs. Dichter Regen nahm mir fast die Sicht und es hätte mir klar sein müssen, dass die Cullens nicht an einem Ort leben würden, an dem sich die Sonne oft blicken ließ.
Meine Ansprüche, was das Wetter anging, hatten sich in den letzten Jahren jedoch soweit herunter geschraubt, dass es mich nicht weiter störte. Ich war schießlich nicht hier her gekommen, um einen Badeurlaub zu verbringen, sondern um einem meiner engsten Freunde einen Gefallen zu tun. Ein bisschen Wind und Regen würde mich davon kaum abhalten können.
Ich fühlte dieses kurze Luftloch in meinem Magen, als die Maschine aufsetzte und rieb mir über die Augen. Die Angst in mir war gewichen und einzig Freude über das anstehende Wiedersehen mit meinen Lieblingsvampiren war zurück geblieben.
Ich stand bereits, während das Anschnallzeichen noch nicht erloschen war und die Maschine noch über das Rollfeld glitt und der Blick der Stewardess war mahnend. Doch sie bat mich nicht wieder Platz zu nehmen. Kaum dass das Flugzeug angeschlossen war, huschte ich durch die Gänge zum Gate hinüber.
Doch bevor ich Edward gegenübertreten konnte, hatte ich noch etwas zu erledigen. Kaum, dass die Passkontrolle vorüber war - insgeheim war ich meinem Fälscher wieder einmal dankbar für die wirklich erstklassig erstellten Papiere - eilte ich zu den Toilettenräumen.
Edward würde mich kaum erkennen und ich war zumindest bemüht, mir mein Aussehen wiederzugeben, dass ich gehabt hatte, als wir uns das letzte Mal begegnet waren. Ich brauchte einen Moment, um mich daran zu erinnern. Ich hatte einfach schon zuviele Gesichter getragen und sich an eines davon in all seinem Detailreichtum zu erinnern, fiel mir schwer. Nichtsdestotrotz war ich schlußendlich mit meiner Erscheinung zufrieden. Es war nicht perfekt, doch die dunklen Haare, die grünen Augen und die Gesichtszüge durften ausreichen, damit er mich erkannte. Er würde wahrscheinlich ohnehin meine Gedanken lesen und somit genau wissen, wer ich war.
Da ich keinerlei Gepäck mit mir führte, konnte ich ohne weiteres die Ankunftshalle verlassen und als ich in den öffentlichen Bereich des Flughafens getreten war, konnte ich seinen süßen Duft vernehmen. Mein Blick flog förmlich über die wenigen Gesichter, bis er sich auf Edwards maskuline Züge legte. Selbst wenn der Flughafen voller Menschen gewesen wäre, es war einfach unmöglich Edward zu übersehen. Er war zu perfekt, zu fantastisch, um in einer Menge unterzugehen. Er grinste sichtlich als er meine Gedanken las und ich beeilte mich zu ihm zu kommen. Er öffnete seine steinernen, kalten Arme und doch fühlte ich bei seiner Umarmung nur Wärme.
Ich rieb meine Nase gegen den samtenen Stoff seines Hemdes und sein Geruch hatte eine unglaublich beruhigende Wirkung auf mich. Ich hielt mich regelrecht an ihm fest, meine Hände an seinem Rücken griffen leicht in sein Sakko und es dauerte einen Moment, bis ich mich soweit wieder im Griff hatte, ihn loszulassen. Er lächelte immer noch warm, genau wissend, dass seine Nähe mir unheimlich viel bedeutete. Es war einfach zu selten, ein vertrautes, freundliches Gesicht zu sehen und ja, auch die körperliche Nähe zu einem anderen Wesen fehlte mir mit jedem Tag mehr.
Er ließ mich gewähren, gab mir wonach ich mich sehnte. Freundschaftliche Aufmerksamkeit.
Schließlich löste ich mich gänzlich von ihm und trat einen Schritt zurück um ihn von oben bis unten genauer anzusehen. Er war immer eine Augenweide gewesen, aber jetzt da ich ihn so gründlich musterte, fiel mir auf, wie entspannt er wirkte. Die Schwermütigkeit, die ihn stets umfangen gehalten hatte, war gewichen und nun sah er einfach nur...glücklich aus.
„Gut schaust du aus, Edward.“ brachte ich schließlich freundlich hervor und er grinste sein schiefes Grinsen.
„Mir geht es auch gut, Lexi. Es ist so schön, dich zu sehen.“ Erneut zog er mich in eine Umarmung und ich wehrte mich nicht im Geringsten dagegen. Als er nun mich nun seinerseits wieder losließ, begann seine Musterung mir gegenüber.
„Du siehst anders aus...aber immer noch gut.“
„Tut mir leid, wenn ich das Bild in deinem Kopf nicht wirklich ganz getroffen habe, es ist schließlich lange her.“ entschuldigte ich mich sofort, aber es überging dies lachend.
„Es sind nur Kleinigkeiten, beim letzten Mal warst du größer und ich glaube, dir fehlt da ein Muttermal.“ sein kalter Finger tippte leicht auf meine Wange.
„Kleinkrämer!“ schalt ich ihn schmunzelnd und blickte mich um.
„Wo hast du die anderen gelassen? Ich habe mich so auf Carlisle gefreut. Ich hoffe, du fährst mich auf schnellstem Wege zu ihnen? Oder...“ plötzlich erfasste mich erneut die Angst, doch diesesmal war es nicht die Angst um meine eigene Unversehrtheit, sondern die Furcht, einem der Cullens könnte etwas passiert sein.
„Ihnen geht es allen gut. Alice vielleicht zu gut, seit Bella ihr erlaubt hat, die Hochzeit zu planen.“ beruhigte er mich sofort und ich atmete erleichtert auf.
„Immer noch die gute, alte Alice, hm? Froh, wenn sie ein Fest organisieren darf. Vielen Dank im Übrigen für die Einladung, ich wäre wirklich gerne gekommen, aber ich hoffe du verstehst, dass es einfach zu gefährlich für mich ist, oder?“
Er nickte.
„Ja, ich hatte mir so etwas schon gedacht, deswegen bin ich so erleichtert, dass du trotzdem gekommen bist, nur weil ich darum gebeten habe.“
„Dich zu sehen ist nicht halb so gefährlich, wie inmitten von hunderten von Vampirgästen herumzulaufen.“ neckte ich ihn. „Das bringt mich jedoch zu dem Kern des Ganzen. Du hast gesagt du brauchst meine Hilfe?“
„Ja...aber das sollten wir nicht hier besprechen. Ich habe mir gedacht, du bist bestimmt hungrig, also was hältst du davon, wenn ich dich ins Diner einlade und dir nebenbei meine Bitte vortrage?“
„Klingt verlockend. Aber bevor wir aufbrechen, könntest du mich beruhigen, indem du mir sagst, dass es nichts Schlimmes ist.“ Ich blickte ihn fast flehend an, aber er wich meinem Blick aus.
„Na, klasse“ murmelte ich leise und folgte Edward hinaus in den strömenden Regen.
Er hielt mir die Tür seines Volvos auf und ich nahm dankbar im trockenen Innenraum Platz. Gewissenhaft schnallte ich mich an und blickte neugierig zu ihm herüber.
„Okay, ich sehe ein, dass ich warten muss, bis du genügend Mut gesammelt hast, mich zu fragen, was auch immer du mich fragen willst. Aber bis dahin könntest du mir ja ein wenig von Bella erzählen? Am Ende der Welt, bekomme ich leider nicht halb so viel mit, wie ich es gerne würde.“
Seine Gesichtszüge entspannten sich und auch wenn sie immer noch aus hartem Marmor waren, sahen sie weich aus.
„Ich erzähl dir alles, was du wissen möchtest.“
Er log nicht.
Während der gesamten Autofahrt, erzählte er mir von Bella, wie sie eines Tages einfach in seiner Biologieklasse aufgetaucht war und wie er es nicht hatte verhindern können, sich unsterblich in sie zu verlieben. Ich hing an seinen Lippen, als er von ihrer Trennung berichtete, seinem Vorhaben sich von den Volturi töten zu lassen und mir stockte der Atem, als er von Viktoria erzählte und ihrem Versuch, mit einer gesamten Armee Bellas Leben auszulöschen. Obwohl seine Erklärungen umfangreich waren und er immer noch redete, während wir bereits in dem kleinen Diner saßen und ich meine Würstchen und den Nachtisch schon gegessen hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass er etwas ausließ.
Ich hatte während seiner Geschichte, nur hin und wieder ein verstehendes „Ah“ eingeworfen, ihn ansonsten in seinem Redefluss jedoch nicht unterbrochen. Jetzt, da er mit der bevorstehenden Hochzeit und einem Glänzen in seinen goldenen Augen zum Ende kam, lächelte ich ihn erfreut an.
„Das ist toll, ich mein dass ihr nach all dem immer wieder zueinander gefunden habt. Aber irgendetwas scheint bei dieser Geschichte zu fehlen.“
Er nickte und ich nahm einen Schluck von meinem Wasser.
„Hat es etwas mit deiner Bitte zu tun?“
Wieder nickte er.
„Edward, lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen. Ich kann, wie du weißt deine Gedanken nicht lesen, du musst mir schon sagen, worum es geht.“
Er seufzte und lehnte sich etwas vor. Die ganze Zeit hatte er mehr als leise gesprochen, damit die anderen Gäste im Diner nichts von unserer Unterhaltung mitbekamen. Ich hatte ebenso gute Ohren wie er und jedes Wort verstanden, egal wie leise er flüsterte.
Er hob den Blick. Das Diner war mittlerweile bis zum letzten Platz gefüllt, es ging gegen Abend und so strömten die Gäste fürs Abendessen hinein. Er seufzte, rieb die Lippen aneinander und ich nickte nur kurz.
Ich legte ein paar Dollarscheine auf den Tisch, auch wenn ich sah dass es Edward nicht gefiel, schließlich hatte er mich eingeladen, aber ich kümmerte mich nicht darum. Stumm verließen wie die Gaststätte. Der dichte Regen war zu einem leichten Nieseln geworden und allmählich legte sich graues Dämmerlicht über die Umgebung. Anstatt wieder in den Wagen zu steigen, schüttelte ich leicht den Kopf und wortlos folgte er mir in das angrenzende Waldstück. Hier war die Luft frisch, erden und hölzern. Nach meiner Zeit im Smog von Japan freute ich mich über das klare Gefühl in meinen Lungen. Eine Weile gingen wir einfach schweigend nebeneinander her. Ich merkte wie sehr ich mit sich kämpfte seine Bitte schlußendlich vorzutragen.
Als wir an einer kleinen runden Lichtung vorbeikamen, in deren Mitte ein alter, stämmiger Baumstamm lag, steuerte ich diesen an und setzte mich darauf.
Ich lächelte Edward aufmunternd zu, wollte ihm zeigen, dass nichts worum er mich bitten konnte, mich schockieren, oder mich schlecht von ihm denken lassen würde.
Er wusste es ohnehin, ich brauchte es ihm nicht zu sagen.
Er blieb leicht unschlüssig vor mir stehen und steckte die Hände in die Hosentasche.
„Weißt du, Alex...“ fing er dann leise an und seine Augen sahen mich nicht an. Er kämpfte mit den Worten und ich ließ ihm Zeit.
„Es gab eine Bedingung, damit Bella mich heiratet. Sobald sie meine Frau ist, will sie dass ich sie verwandle.“
Er sah nun doch zu mir auf und ich sah den Schmerz in seinen Augen.
„Ich habe alles versucht, sie von dieser Idee abzubringen. Ich habe sie gebeten, gefleht aber...“ und nun lächelte er leicht. „...sie ist so ein Sturkopf.“
Ich stimmte in sein Lächeln mit ein.
„Willst du es nicht tun? Ich meine, dann hättet ihr die Ewigkeit...“
Wieder verzog sich sein Marmorgesicht und ich spürte seinen Zorn.
„Wie könnte ich das wollen? Wie könnte ich verantworten, sie zu dem zu machen, was ich bin? Sie dem Schmerz aussetzen, dem körperlichen, wie dem seelischen? Wie könnte ich verantworten, sie ins Verderben zu stürzen?“
„Edward“ versuchte ich ihn zu beschwichtigen, doch er ließ sich nicht von mir beruhigen.
„Ihr die Seele zu nehmen, nur damit ich mich niemals von ihr trennen muss....Könnte ich selbstsüchtiger sein, als das?“
Ich wusste, dass Edward nicht daran glaubte, dass es für ihn einen Himmel geben würde und dass er sich sicher war, bis in alle Ewigkeiten verdammt zu sein.
Ich war anderer Meinung, doch das würde ihn jetzt kaum kümmern. Ich verstand seine Lage, verstand warum es ihn quälte, ihren Wunsch zu erfüllen.
Ich seufzte tief und lang, presste alle Luft aus meinen Lungen, auf der Suche nach den passenden Worten, doch ich wusste nicht was ich sagen sollte.
„Ich habe ihr versprochen es zu tun...aber ich wünschte, sie würde mir einfach mehr Zeit geben. Zeit, in der ich sie vielleicht doch noch umstimmen kann. Zeit, in der sie selbst merkt, dass sie keine meiner Art werden muss, um ein langes und glückliches Leben mit mir zu haben.“
Ich nickte.
„Wenn ich dir helfen kann, dann tu ich das. Aber Edward, sie kennt mich nicht einmal. Ich kann ihr Nichts sagen, das sie umstimmen wird.“
Nun blickten seine goldenen Augen direkt in die meinen.
„Nein, aber du kannst denjenigen finden, der es kann.
Langsam begann ich zu verstehen, aber es würde noch einiger Erklärungen bedürfen, bevor sich die Erkenntnis vollständig einstellte.
Er griff in die hintere Tasche seiner Hose und holte einen verknitterten Zettel hervor, den er mir wortlos überreichte.
Ich nahm ihn entgegen und faltete ihn auseinander. Es war ein polizeiliches Suchblatt:
Jugendlicher aus La Push verschwunden.
Der 17-jährige Jacob Black verschwand am 6. Juli spurlos aus dem Quileute-Reservat. Er trägt abgeschnittene, beige Shorts, ein schwarzes Tank-Shirt und einfache schwarze Turnschuhe. Auffällig ist das Tattoo auf seinem rechten Oberarm. Wenn sie Hinweise haben oder den momentanen Aufenthaltsort von Jacob kennen, melden sie dies bitte bei der nächsten Polizeidienststele.
Aufmerksam studierte ich das Bild, das darunter abgedruckt war. Es zeigte einen jungen Mann mit freiem Oberkörper und einem strahlenden Lächeln. Er wirkte sympathisch auf mich, aber doch wesentlich älter als 17 Jahre.
„Wer ist das?“ fragte ich neugierig und Edward zog eine Grimasse.
„Das ist Jacob Black.“ sagt er schlicht und ich verdrehte die Augen.
„Danke, Edward, das hab ich schon selbst lesen können.“
„Er ist einer der Quileute. Und unglücklicherweise Bellas bester Freund.“
„Du scheinst nicht viel von ihm zu halten.“ ich blickte von dem Zettel zu meinem Vampirfreund hinüber.
„Wenn es nicht für Bella wäre, ich hätte ihn wahrscheinlich schon längst....“ er fletschte die Zähne.
„Oh, ihr steht euch also sehr nahe. Verstehe. Aber warum willst du dann, dass ich ihn finde? Im Übrigen möchte ich kurz anmerken, dass es doch eher etwas übertrieben ist, mich nach einem 17-jährigen auszusenden. Warum hast du nicht Jasper oder Emmet geschickt? Ich meine Alice könnte doch mit Leichtigkeit herausfinden, wo er ist, oder?“
„Jacob ist Teil des Rudels...“
Ich erinnerte mich daran, dass Edward das Wolfsrudel am Rande seiner Erzählungen erwähnt hatte, jetzt befürchtete ich zu wissen, warum er nur so wenig über es gesprochen hatte.
„...das heißt, dass Alice ihn nicht sehen kann und sobald er einen Vampir riecht, wäre er auf und davon. Ich wäre zudem der Letzte, der ihn dazu bewegen könnte, zurückzukehren. Aber er ist meine letzte Chance, Bella dazu zu überreden, noch eine Weile mit der Verwandlung zu warten. Die beiden haben ein, sagen wir, ziemlich enges Band.“
Ich nickte, verstand allerdings immer noch nicht alles.
„Du klingst nicht so, als würdest du wirklich wollen, dass er zurückkehrt.“
„Das tue ich auch nicht. Je weiter Jacob Black von Bella entfernt ist, desto besser finde ich es. Aber die beiden teilen ein so enges Band miteinander und ich hege den Funken Hoffnung, dass er mir noch etwas Zeit verschaffen kann.“
Ich studierte erneut das Bild auf dem lädierten Flugblatt.
„Warum ist er denn überhaupt verschwunden?“
„Er ist abgehauen. Er...er ist in Bella verliebt und als er mitbekam, dass sie mich heiratet, sind ihm wohl ein paar Sicherungen durchgebrannt. Ich muss ihm wohl für vieles dankbar sein, aber ich halte ihn dennoch für einen hitzköpfigen, unkontrollierbaren Freak. Er stellt in meinen Augen eine Gefahr für Bella dar, aber sie will und wird nicht auf ihn verzichten. Ich hab dir ja erzählt, dass sie dickköpfig ist. Also muss ich sehen, dass ich ihn für mich nutzen kann. Denn in einer Sache sind wir uns ziemlich einig. Wir wollen beide nicht, dass Bella ein Vampir wird.“
Jetzt wurde mir seine Abneigung um einiges klarer.
„Was ist mit dem Rest des Rudels? Warum hast du nicht mit ihnen gesprochen und sie gebeten, ihn zurückzuholen. Nach dem Kampf mit Victoria schien es mir, würdet ihr besser miteinander auskommen?“
„Weil sie bereits versuchen ,ihn zurückzuholen. Aber wenn sie in ihrer Wolfsform sind, können sie die Gedanken der anderen hören und da er nicht mit ihnen sprechen will, würde er ihr Kommen augenblicklich mitbekommen und sich aus dem Staub machen. Lexi...ich brauche jemanden, den er nicht kennt. Der sich an ihn heranschleichen kann, vor dem er nicht fliehen kann und du bist der beste Tracker, den ich kenne. Du bist sogar um Längen besser als Dimetri.“ er grinste mich an und ich schnaubte leise.
„Das muss ich ja auch sein, sonst würde ich es wohl kaum schaffen, seit 150 Jahren vor ihm davonzulaufen.“ wieder legte sich mein Blick auf Jacobs Bild.
„Du denkst er ist gefährlich?“
„Nicht für dich, Lexi. Für Bella, aber du weißt, dich zu verteidigen und außerdem, bist du nicht so zerbrechlich, wie du aussiehst. In einem Kampf zwischen Euch, würde ich mein gesamtes Hab und Gut auf dich setzen. Er ist stark, aber er lässt sich zu sehr von seinen Emotionen leiten.“
„Er ist 17, Edward. Was erwartest du? Du und ich haben gelernt uns unter Kontrolle zu halten, aber wir hatten auch jede Menge Zeit, uns darin zu trainieren.“
Nun verdrehte er die Augen.
„Du brauchst ihn nicht zu verteidigen, das kann er ganz gut allein.“
„Und die anderen Wölfe? Wären sie einverstanden damit, dass ich ihn zurückbringe, auch wenn ich noch nicht weiß, wie du dir das vorstellst? Ich habe genug Feinde, Edward, ich bin nicht scharf darauf, noch mehr zu bekommen.“
„Ich glaube nicht, dass sie etwas dagegen hätten, solange du ihn am leben lässt. Ich weiß, dass du kein einfaches Leben hast, Lexi und ich verfluche mich dafür, dich darum zu bitten, aber du bist meine letzte Chance. Ich würde mich zu Tode grämen, würdest du verletzt werden.“
„Ich bin unsterblich, schon vergessen?“ ich lachte und hüpfte von dem Baumstamm herunter. Das nasse Holz hatte meine Hose mittlerweile vollkommen durchtränkt.
„Das heißt nicht, dass man dich nicht töten kann...“
„Ja, aber das wird verdammt schwer.“ ich grinste und er erwiderte mein Lächeln.
„Also,“ fuhr ich fort.
„Ich nehme an, du hast einen Plan?“
„Ja, den habe ich.“
Ich wischte unauffällig meinen nassen Po ab und entschloss mich dann dazu, da er nun eh schon dreckig war, mich wieder auf den Stamm zu setzen.
„Lass hören.“
„Es gibt vermutlich nur einen einzigen Menschen, der ihn dazu überreden könnte, wieder zurück zu kommen...Bella.“
Mir war übel. Es war eine alles durchdringende Übelkeit, die nichts mit dem flauen Gefühl im Magen zu tun hatte, nachdem man etwas Falsches gegessen hatte.
Sie drang durch jede meiner Zellen und ließ sich einfach nicht vertreiben. Ich fühlte, dass das was ich im Begriff war zu tun, nicht richtig sein konnte.
Die ganze Nacht über hatte ich mit Edward über dem Plan gebrütet, der seinen Anfang in Edwards Kopf gehabt hatte, doch mit jedem seiner Worte greifbarer wurde.
Er hatte alles bis ins kleinste Detail geplant, Vorbereitungen getroffen, als hätte er nie einen Zweifel gehabt, dass ich mitmachte.
Er hatte mir alles über Jacob erzählt, das er wusste und er hatte dabei nicht an sarkastischen Seitenhieben gespart, bis ich schließlich genervt verlangt hatte, er solle sich wieder aufs Wesentliche konzentrieren. Ich wurde über alles unterrichtet, was Jacob mit Bella verband, bekam ihre gesamte Geschichte erzählt. Angefangen bei den Sandkastenspielen, bis hin zu ihrem Kuss und der daraus resultierenden Flucht des Wolfes.
Als es daran ging, mir Bella und ihre Eigenheiten zu erklären, wurde Edward einfach nicht müde, von ihr zu schwärmen. Ich wusste nun genau, wie sie ihre Stirn runzelte, wenn ihr etwas missfiel, kannte den Blick ihrer Augen, wenn sie lachte und dennoch fühlte ich mich nur unzureichend vorbereitet.
Ich hätte gerne in meiner neuen Rolle geübt. Irgendjemandem gegenüber gestanden, der nicht wusste, dass hinter der Fassade jemand anderes als Bella steckte.
Edward jedoch war mit mir zufrieden gewesen. Er hatte mich mit Kleidungsstücken versorgt, die Bellas Geruch trugen und sogar eines, an dem Jacobs Duft hing. Während er seine Nase gerümpft hatte, empfand ich diese Mischung aus feuchter Erde, Moos und Zedernholz eigentlich sehr angenehm.
Schlußendlich spielte er mir sogar ein kurzes Telefonat mit ihr vor, dass er vor einigen Tagen aufgenommen hatte, damit ich auch in der Lage war, ihre Stimme zu imitieren.
Bisher hatte ich, wenn ich ein anderes Äußeres annahm, immer Personen gewählt, die nicht existierten.
Die Zeit, in der ich andere imitiert hatte, haftete mit einem zu bitteren Geschmack an mir und eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nie wieder das Gesicht einer anderen Person anzunehmen. Doch wie hätte ich Edward abweisen können? Nach allem, was er und seine Familie für mich getan hatten, war ich es ihm schuldig und ein Teil von mir wollte ihm helfen.
Dass meine Hilfe darin bestehen würde, einem verliebten Teenager etwas vorzumachen, schmeckte mir nicht und war wohl auch der Grund für meine Übelkeit.
Zudem war ich mir nicht sicher, ob ich diese Maskerade würde aufrecht erhalten können. Als es noch meine Aufgabe gewesen war, die Identität existenter Personen anzunehmen, hatte ich oftmals Wochen damit verbracht, sie intensiv zu studieren, jede Kleinigkeit ihrer Gestik in mich aufzunehmen. Und jetzt spielte ich jemanden, dem ich noch nicht einmal wirklich gegenüber gestanden hatte.
Edward hatte mich darüber informiert, dass Jacob in Richtung Kanada unterwegs war, wahrscheinlich sogar schon die Grenze überquert hatte und nun war ich in Edwards Volvo auf der Jagd nach ihm.
Mit jedem Kilometer, den ich hinter mich brachte, wurde es kälter und je näher ich der kanadischen Grenze kam, desto düsterer wurde das Wetter.
Ich hielt nicht an, ich konnte Hunger und Schlafbedürfnis gut unter Kontrolle halten und ich wollte es einfach nur hinter mich bringen. Es gefiel mir nicht zu lügen. Ich war gut darin, geübt, denn meine Flucht verlangte immer wieder von mir, die Wahrheit zu verbiegen und sie größtenteils sogar hinterrücks zu erstechen. Aber was ich nun im Begriff zu tun war, würde mit Vorsatz geschehen.
Ich lenkte den Wagen in eine kleine Parkbucht am Waldrand und stellte den Motor aus. Ich fuhr mir durch die Haare und warf einen Blick in den Rückspiegel.
Bella war hübsch, ihr Gesicht erzeugte mir kein Unbehagen, ebenso wenig wie ihr Duft.
Und auch ihre Stimme verursachte kein Klingeln in meinen Ohren.
Trotzdem konnte ich mich nicht mit dem Gesicht anfreunden, dass mir aus dem Spiegel entgegen sah. Ich seufzte leise und stieg aus. Kalter Wind griff augenblicklich nach meinen Haaren, drang unter den Parka und zerrte ungestüm an meiner gesamten Gestalt.
Wärme war mir eindeutig lieber. Ich drückte den kleinen Knopf auf dem Schlüssel, um den Wagen zu verriegeln und tat dann, was ich ungefähr alle 30 Kilometer tat.
Ich drang in den Wald ein und suchte nach einer Spur Jacobs. Ich hatte seine Fährte in La Push aufgenommen und mich dann an seiner Spur orientiert. Er machte es mir ziemlich einfach. Sein Geruch, auch wenn er dem des Waldes nicht unähnlich war, hatte sich so in mir eingeprägt, dass ich ihn nicht mehr verlor.
Und auch jetzt brauchte es nicht lange, bis ich wusste, dass Jacob hier vorbei gekommen war. Es konnte noch nicht allzu lange her sein Seine Duftmarke wurde immer intensiver und ich wusste, dass ich ihn wahrscheinlich am frühen Morgen eingeholt haben würde.
Ich folgte dem Pfad seines Duftes noch eine Weile, um sichergehen zu können, welche Richtung er eingeschlagen hatte und begab mich dann wieder zum Auto, um der gewundenen Straße weiter zu folgen. Ich wäre am liebsten gelaufen, ich wäre schneller gewesen und näher an seiner Spur. Im Wagen ging ich das Risiko ein, ihn zu verlieren. Wäre ich gelaufen, hätte ich einfach nur seiner Fährte folgen müssen. Aber Edward hatte Recht, als er gesagt hatte, dass ich ihm nicht würde erklären können, wie Bella, die keinerlei übermenschlichen Fähigkeiten hatte, es geschafft hatte, ihm zu Fuß zu folgen.
Und so hatte ich eingestimmt, seinen Wagen zu nehmen. Bellas hätte ich nicht nehmen können, denn Edward wollte nicht, dass sie etwas von unserem Plan mitbekam. Auch der Grund, warum er sie mir nicht einfach vorgestellt hatte.
Der Tacho schnellte in die Höhe, als ich das Gaspedal durchdrückte und mit über 100 km/h über die Landstraße bretterte.
Obwohl ich durchaus in der Lage war, mich auf viele Dinge gleichzeitig zu konzentrieren, schwirrten so viele Dinge gleichzeitig durch meinen Kopf, dass es mir Kopfschmerzen bereitete.
Ich hatte immer noch Angst, dass Jacobs Rudel nicht begeistert sein würde, dass ich versuchte eines seiner Mitglieder aufs Kreuz zu legen, auch wenn Edward mir versprochen hatte, mit ihnen zu reden. Und was, wenn Edwards Plan fehlschlug? Ich fühlte mich nur halb so gut vorbereitet, wie es hätte sein können und müssen.
Was, wenn Jakob erkannte, dass ich nicht die war, für die ich mich ausgab? Ich hatte Edward versprochen, Jacob unter allen Umständen zurückzubringen und wenn meine Maskerade aufflog, würde ich vielleicht gezwungen sein, Gewalt anzuwenden. Würde Edward dann seine Wette halten können, dass ich stärker und erfahrener war als Jacob? Oder lief ich Gefahr, dass er mich verletzte oder gar tötete, wenn ich nicht die Zeit hatte ihm alles zu erklären? Und würde ich es ihm überhaupt erklären können? Dass ich im Auftrag Edwards kam, würde meinen Hals in einer solchen Situation wohl kaum retten. Ich war kurz davor, den Wagen einfach umzudrehen und zurück zu fahren. Ich würde Edward einfach erklären, dass ich nicht tun konnte, was er sich von mir erhoffte.
Aber ich riss mich zusammen, sagte mir immer wieder, dass ich es ihm schuldig war und dass, wenn ich behutsam vorging, weder mir noch Jacob etwas passieren würde.
Ich öffnete das Fenster. Erstens, um mit der kühlen, frischen Luft mein Gemüt ein wenig zu beruhigen und zweitens, um feststellen zu können, wenn Jacobs Duft stärker wurde.
Am Horizont zeichnete sich ein lichter, silberner Streifen ab, während die restliche Umgebung immer noch in tiefer Schwärze lag. Je näher ich meinem Ziel kam, desto drängender wurde der Wunsch in mir, mich zu übergeben. Ich verstand selbst nicht genau, warum mich auf einmal solche Skrupel quälten. Es hatte eine Zeit in meinem Leben gegeben, da ich wesentlich schlimmere Dinge getan hatte. Aber an diese Zeit wollte ich mich nicht erinneren, ich bereute sie und doch hoffte ich insgeheim, es würde noch einen Teil in mir geben, der ohne Schuldgefühle in der Lage war, präzise wie ein Uhrwerk, seine Aufgabe angehen konnte.
Jacobs Duft wurde immer intensiver und ich reckte die Nase in Richtung des schmalen Spalts des Fensters. Ich schloss die Augen und versuchte mich vollkommen auf seine Spur zu konzentrieren. Übermenschliche Reflexe hin oder her, ich hätte es nicht tun soll, denn der Volvo hatte die Reaktionszeit eines normalen Automobils. Abgelenkt wie ich war, verriss ich leicht das Lenkrad und kam gefährlich nah an den angrenzenden Wald. Es holperte lautstark und ich merkte, wie der Wagen deutlich einen Baum gestreift hatte. Ich fluchte, bremste und lehnte meinen Kopf gegen das Lenkrad.
Ich stieg aus und ging um das Gefährt herum. Ich zog die Luft ein, als ich die Seite sah. Die hintere Tür war vollkommen zerbeult und der hintere Reifen geplatzt.
„Scheiße!“ ich trat gegen das lädierte Gummi und ballte die Fäuste.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße“ wiederholte ich immer wieder und hätte vor Wut am liebsten laut geschrien. Das war mal wieder so typisch. Sowas musste ja passieren, wenn man nicht gut vorbereitet war.
Ich lehnte mich gegen die Motorhaube und fuhr mir über die müden Augen. Ob das ein Zeichen war? Ein Zeichen, das mich dazu anhielt, nicht weiter zu machen? Aber was sollte ich denn sonst tun? Ich war inmitten des Niemandsland. Seit Stunden hatte ich kein anderes Auto mehr auf der Straße gesehen und ich war Jacob so nahe, dass ich jetzt nicht einfach aufgeben konnte.
Ich umrundete den Wagen erneut, öffnete den Kofferraum.
Ich nahm den Rucksack heraus, den Edward mir gepackt hatte. Er beinhaltete ein paar Lebensmittel, zwei Flaschen Wasser und einen Winterpulli Bellas. Es hätte zu komisch ausgesehen, wenn Bella ohne Proviant durch die kanadischen Wälder gelaufen wäre, denn es war klar, dass ich das letzte Stück zu Fuß würde zurücklegen müssen.
Dass die Strecke jetzt unweigerlich länger geworden war, störte mich nicht. Ein kleiner „Spaziergang“ würde mir gut tun und hatte ich mich nicht noch vor einer halben Stunde darüber beschwert, dass ich lieber laufen wollte?
Auf was hatte ich mich hier nur eingelassen`?
Leise vor mich hin fluchend, stapfte ich durch die leichte Schneedecke, die es durch die dichten Kronen der Bäume geschafft hatte und nun einen weißen Teppich auf dem Waldboden bildete.
Ich verfluchte die Kälte, den Schnee, dann Edward, bevor Jacob und schlussendlich auch ich selbst mein Fett wegbekamen.
Kurz überlegte ich einfach meine Fähigkeiten zu nutzen und loszusprinten. Je eher ich Jacob fand, desto besser für uns alle. Doch ich war zu nah an ihm dran, ich musste nun meine Rolle spielen, um nicht Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden, bevor es überhaupt angefangen hatte.
Kleine weiße Wölkchen tanzten bei jedem Atemzug vor meiner Nase und ich zitterte. Aber es war nicht die Kälte, die meinen Körper schüttelte. Es war die Anspannung in mir, die jeden Nerv fest in ihrem Griff hatte. Leichtes Sonnenlicht begann sich durch das dichte Blätterwerk der Bäume zu stehlen und ich seufzte leise. Wenigstens war es nun nicht mehr Nacht und Jacobs Duft hing so deutlich in der Luft, dass ich sicher war ihn bald gefunden zu haben. Mein Magen knurrte leise und schimpfte mit ihm, sich gefälligst an den Plan zu halten, nicht weiter aufzufallen. In der Stille des Waldes hatte es wie ein einstürzendes Haus geklungen. Ich war so darauf fixiert, mich stets so zu verhalten, nicht entdeckt zu werden, dass ich vollkommen vergessen hatte, dass ich dieses Mal ja gefunden werden wollte.
Als Jacobs Duft so intensiv war, dass ich dachte er würde neben mir stehen,setzte ich den Rucksack ab, stellte ihn gegen einen Baum und versuchte mich zu beruhigen.
Ich sehnte mich nach einem Spiegel. Ich wollte noch einmal mein Äußeres kontrollieren, jetzt da es darauf ankam. Aber ich musste mich einfach darauf verlassen, dass Edwards Augen ausgereicht hatten, um auch Jacob zu täuschen.
Ich drehte mich einmal im Kreis und suchte nach Spuren im Schnee. Aber Außer denen eines Streifenhörnchens fand ich keine. Dennoch wollte ich es versuchen.
Ich atmete tief durch und biss mir auf die Unterlippe. Ich musste das Zittern aus meiner Stimme vertreiben, wenn ich rufen wollte. Es reichte nicht, so auszusehen und so zu klingen wie Bella, ich musste mich auch wie sie verhalten und sie würde wohl kaum voller Angst sein, wenn sie nach ihrem besten Freund rief.
Leise zählte ich bis drei und schloss die Augen.
„Jacob!“
Das hatte nicht richtig geklungen. Zu leise, zu zurückhaltend. Selbst wenn er es gehört haben sollte, glaubte ich kaum, dass es ihn dazu bringen würde, hier her zu kommen.
Also auf ein Neues.
„JACOB!“
Besser. Viel besser. Laut und deutlich und ich hatte genau den Ton ihrer Stimme getroffen. Ich wartete einen Moment und lauschte. Der Wald lag immerhin noch in absoluter Stille und ich knirschte mit den Zähnen. Wölfe, pah. Von wegen gutes Gehör. Nachdem, was mir Edward erzählt hatte, hätte ich geschworen, dass Jacob sobald er auch nur den leichtesten Anflug ihrer Anwesenheit verspürte, augenblicklich zu ihr kommen würde.
So konnte man sich irren.
Also nahm ich wieder meinen Rucksack, schnallte ihn mir um und wollte grade weiter durch den Schnee stapfen, als ich ungefähr 50 Meter vor mir sah, wie sich das Dickicht bewegte.
Ich hielt in meiner Bewegung inne und schluckte hart.
Jetzt war es also soweit, nun würde sich zeigen, ob ich meine Fähigkeiten immer noch genau so einsetzen konnte, wie ich es einst gelernt hatte. Um andere zu täuschen.
Mein Herzschlag setzte aus und meine Augen fixierten den Punkt der Bewegung.
Da stand er. Groß, breit und seine Haut glänzte in der hellen Sonne wie pures Kupfer.
Sein schwarzes, dichtes Haar stand in alle Richtungen und sein Gesicht war mit Schmutzflecken übersät. Seine breite, nackte Brust schien sich nicht unter einem einzigen Atemzug zu heben und seine nackten Füße bewegten sich nicht. Mein Blick ging hinauf in seine Augen, dunkel wie Kastanien und ich sah, wie er mit sich kämpfte. Skepsis lag in seinem Blick, ebenso wie ungläubige Freude, mich zu sehen...Bella zu sehen. Ich verharrte ebenso bewegungslos wie er und wir sahen einander einen unendlichen Moment einfach nur stumm an.
Aus einem Impuls heraus und um ihn dazu zu bringen, nicht einfach davonzulaufen, flüsterte ich seinen Namen.
„Jacob....“ ich versuchte es flehend und doch erleichtert klingen zu lassen und sein Gesicht zuckte unter meiner Stimme zusammen.
Dann wich alle Anspannung aus seinem Körper und mit schnellen Schritten lief er auf mich zu.
„Bella...“ Seine kräftigen Armen zogen mich an sich, drängten mich gegen seinen angenehm warmen Körper und ich handelte instinktiv. Ich presste meine Wange an seine Haut und meine Arme schlossen sich um seine Mitte. Er roch wundervoll und seine Haut war weich, warm und ich konnte seinen schnellen Herzschlag spüren.
Er hielt mich fest, ebenso wie ich ihn hielt. Stumm, ineinander versunken und ich wusste, dass zumindest für den Moment, meine Täuschung perfekt war. Ich genoss den Augenblick, bevor er sich lösen würde und ich den wirklichen Test würde bestehen müssen. Ich würde ihm all seine Fragen beantworten müssen.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, in der ich mich in seinen Armen wiegte, mich nicht losließ und immer wieder seinen Griff um mich verstärkte, als habe er Angst ich könne mich einfach in Luft auflösen. Ich spürte seine Erleichterung, als es nicht geschah und ich immer noch vor ihm stand, nachdem er mich spürbar widerwillig wieder losgelassen hatte.
„Was machst du hier Bella?“ fragte er sanft und seine raue Stimme bescherte mir eine Gänsehaut.
„Ich hab dich gesucht“ ich versuchte ein Lächeln und senkte den Blick gen Boden.
Er machte ein verständnisloses Gesicht.
„Warum?“
„Weil...alle machen sich große Sorgen um dich. Wir wussten nicht, ob es dir gut geht.“
„Ist er auch hier?“ Nun machte er einen großen Schritt von mir zurück und schnupperte, um zu erkennen ob ich allein war.
„Nein.“ beschwichtigte ich ihn schnell.
„Ich bin ganz alleine hier.“
„Er hat dich alleine in die kanadischen Wälder gelassen? Mein Gott Bella, dir hätte etwas passieren können.“
Beruhigt durch die Tatsache, dass Edward nicht mit mir gekommen war, zog er mich ein weiteres Mal in seine Arme und ich ergab mich seiner Berührung.
„Er war nicht begeistert davon, aber du kennst mich, ich hab einen ziemlichen Dickkopf.“ wieder versuchte ich ein schüchternes Lächeln und ich schien es gut hinbekommen zu haben.
Er ließ mich wieder los und ich rieb die Lippen aneinander.
„Du siehst mitgenommen aus.“ Meine Hand hob sich und strich über den Schmutz in seinem Gesicht.
„Ach, halb so schlimm. Es gibt halt wenig Möglichkeiten hier draußen, sich zu waschen. Und in die Flüsse spring ich nur, wenn es nicht anders geht. Das Eiswasser hier hat mir gezeigt, dass auch ich frieren kann.“
Ich konnte nicht verstehen, warum Edward Jacob nicht möchte, und umso mehr warum Bella ihn als ihren besten Freund betrachtete. Jacob Black war unheimlich anziehend.
Er griff nach meiner Hand, die immer noch versuchte, den Dreck aus seinem Gesicht zu reiben und er blickte hinab auf meine Finger.
„Du trägst den Ring nicht....heißt das, die Hochzeit ist...?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Ich wollte ihn nicht verlieren.“
Jacob nickte und blickte zu Boden.
„War ja klar...“
Als er wieder aufsah, sah ich zorniges Funkeln in seinen Augen.
„Warum bist du wirklich hier, Bella? Ich weiß, dass Seth dich auf dem Laufenden hält, wo ich bin, ich kann mich nicht halb so gut verstecken, wie ich es gerne würde. Also warum kommst du her?“
„Ich hab dich vermisst.“ brachte ich fast lautlos hervor und wusste, dass es nicht einfach werden würde, ihn davon zu überzeugen, mit mir nach Forks zu gehen.
Er schnaubte leise.
„Und das bringt dich dazu, den weiten Weg ganz allein zurückzulegen und dich in Gefahr zu bringen, nur um mich zu sehen?“
Ich nickte und nahm meine Hand aus der seinen.
„Du bist mein bester Freund, Jake. Was hast du gedacht, was ich tue? Einfach abwarten, bis dir was Schlimmes passiert?“
„Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen.“ verteidigte er sich.
„Ich weiß, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, ohne dich zu heiraten. Du bist mir wichtig Jake und wie kann ich feiern, wenn ich nicht weiß, wie es dir geht?“
„Du weißt wie es mir geht, Bells. Und du weißt auch, dass ich nicht einfach daneben stehen kann, wenn du diesen dreckigen Blutsauger heiratest“
Jetzt erkannte ich, dass die Abneigung zwischen Edward und Jacob auf beiden Seiten bestand und sah ihn tadelnd an. Dasselbe hätte Bella wahrscheinlich auch getan.
„Jake, bitte. Die Dinge sind, wie sie sind. Das heißt aber doch nicht, dass ich mir keine Sorgen um dich mache oder du mir egal bist. Du bedeutest mir eine Menge und ich will dich in Sicherheit wissen.“
„Mir geht es gut. Ich fühl mich hier draußen wirklich wohl. Ich habe alles, was ich brauche...“
Schmerz lag in seinen Augen, ich wusste dass er eines nicht hatte, das was er am dringendsten wollte. Bella.
Ich lehnte meine Stirn gegen seine Brust und versuchte durch die Berührung sein Gemüt ein bisschen zu beruhigen.
„Bitte Jake, komm nach Hause“ ich flüsterte die Worte nur, darauf wartend, dass er mich wegstoßen würde. Doch er tat es nicht.
„Ich kann nicht Bells. Ich bin noch nicht soweit, mich damit abzufinden, dich verloren zu haben. Ich will nicht sehen, wie du ihn heiratest und dann...“
Sein Körper spannte sich an und er biss die Zähne zusammen.
„Es wird geschehen Jake, mit oder ohne Dich. Aber ich bitte dich bei mir zu sein. Hörst du? Ich bitte dich darum.“
Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, als wolle er sich auch körperlich gegen meine Bitte wehren. Ich wusste, er konnte Bella keinen Wunsch abschlagen und auch wenn es er jetzt mehr als versuchte, hatte ich gute Chancen zu gewinnen.
„Tu das nicht, Bella. Ich kann das nicht.“
„Doch du kannst und du musst...ich habe Edwards Wagen zu Schrott gefahren und du willst mich doch nicht allein und zu Fuß bis nach Hause laufen lassen oder?“
Ich spielte meinen letzten Trumpf aus und er wirkte.
Jacob sah mich mit großen Augen an.
„Was ist passiert? Bist du verletzt?“ Er suchte meinen Körper nach möglichen Verletzungen ab, doch ich lachte nur leise.
„Nichts ist passiert. Aber der Volvo wird mich erstmal nirgendwo mehr hinbringen. Also wirst du wieder einmal mein Leben retten und mich nach Hause bringen?“ Ich zog neckend die Augenbrauen in die Höhe, wissend dass ich gewonnen hatte.
Wir kamen nur langsam voran. Nachdem Jacob zähneknirschend und mit einem Geräusch, wie ein Knurren tief aus seiner Brust, zugestimmt hatte, mich bis zur nächsten Stadt zu begleiten, schleppten sich die Stunden.
Ich wäre gern schneller gegangen, aber gefangen im Körper eines Menschen, musste ich mich daran halten, nur im Schritttempo voranzukommen. Ich überließ Jacob die Führung, auch wenn ich mir sicher war, dass ich den Weg ebenso gut gefunden hätte. Aber und das war der springende Punkt, ich hätte ihn gefunden, Bella nicht.
Der Vormittag war mit Schweigen an uns vorbei gezogen. Es erleichterte und beunruhigte mich zugleich, denn all die ungesagten Dinge, die in der Luft hingen würden früher oder später über mich hereinbrechen.
Für den Moment jedoch schien Jacob seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Sobald ich in seine Richtung sah, setzte er eine verstimmte Miene auf. Als Ausdruck über seinen Ärger, dass ich ihn einfach ausgespielt hatte. Er hatte mich nicht allein gehen lassen können und das hatte ich ausgenutzt. Doch wenn er glaubte, ich hätte ihn nicht im Blick, dann sah er zufrieden aus, hoffnungsvoll und ich wusste, dass er in seinem Kopf die Möglichkeiten auslotete, die ihm mein Auftauchen beschert hatte.
Gegen Mittag knurrte mein Magen erneut laut und fordernd und ich konnte nicht verhindern, dass Jacob es mitbekam. Er blieb stehen und sah mich lächelnd an.
„Ich hoffe, du hast was zu Essen mitgenommen? Ich glaube kaum, dass dir die Kost schmeckt, die ich dir anbieten könnte.“
„Noch nicht...“ murmelte ich leise und biss mir auf die Lippe, als ich sah, wie seine Züge wieder versteinerten.
„Tut mir leid, Ja ich habe was zu essen dabei. Wenn du auch Hunger hast...?“
Ich nahm den Rucksack vom Rücken und kramte eine Weile darin herum, bis meine Finger auf ein in Alufolie gewickeltes Päckchen stießen. Ich zog es heraus, wickelte die Folie ab und reichte eines der darin enthaltenen Sandwichs, mit einem entschuldigenden Lächeln, an Jacob weiter.
Er inhalierte es sprichwörtlich und noch bevor ich einen Bissen getan hatte, war von seinem kein Krümel mehr übrig. Er grinste und ich reichte ihm auch noch das meine, bevor ich einen Apfel aus dem Rucksack fischte.
Sein Blick lag stumm auf mir, während ich in den Apfel biss und mich gegen einen Baum lehnte.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Wir konnten doch nicht unseren gesamten Weg in Schweigen, unterbrochen von kurzen Spitzen, miteinander verbringen. Es kostete mich Überwindung, denn jedes Wort, das ich sagte, barg die Gefahr mich zu verraten. Doch wie schon bei Edward, spürte ich das Bedürfnis nach Nähe, Gesellschaft und Unterhaltung und Jake war Bella so nah, sie würde sicher nichts dagegen haben, wenn ich mir etwas dieser Nähe stahl.
„Was denkst du,“ wagte ich mich hervor, nachdem ich den letzten Bissen Apfel herunter geschluckt hatte.
„wie lange werden wir bis zu gewohntem Gebiet brauchen?“
„Ich weiß nicht, zwei Tage. Vielleicht drei. Es würde schneller gehen, wenn ich mich verwandle und dich trage.“
Schnell schüttelte ich den Kopf. Edward hatte mir eingebläut, Jacob unter allen Umständen von einer Verwandlung abzuhalten. Die Gefahr, dass die anderen des Rudels ihm nicht vorenthalten konnten, was vor sich ging, wäre zu groß.
„Nein, bitte. Wenn du es tust, dann...dann wissen die anderen, dass ich bei dir bin und es würde nicht lange dauern, bis auch Edward es weiß.“ Ich überlegte fieberhaft, wie ich ihn von dieser Idee abbringen konnte.
„Er kann ruhig noch etwas in Unwissenheit schmoren.“ schloß ich und wusste, dass ich damit einen wunden Punkt getroffen hatte. Alles, was Edward in irgendeiner Weise quälte oder verstimmte, würde Jacob nicht beenden. Zufrieden grinsend nickte er mir zu.
„Du hast dich ziemlich mit ihm angelegt, hm? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er begeistert war, als du ihm gesagt hast, du würdest mich suchen.“
„Ja er war ziemlich ungehalten und wollte unbedingt mitkommen.“ log ich. „ Aber ich wusste, dass du nicht zu mir kommen würdest, wenn er dabei ist. Er hält dich immer noch für eine Gefahr für mich, aber ich weiß es besser.“
Ich sah, wie Jacobs Gesicht sich immer weiter aufhellte. Es gefiel ihm, dass ich mich seinetwegen anscheinend mit Edward angelegt hatte. Sein Lächeln brachte auch mich unweigerlich dazu, zu grinsen. Seine weißen Zähne glitzerten in der Sonne und sein ganzes Gesicht wirkte soviel jünger, weicher. Es war angenehm ihn anzusehen.
Ich hatte ihn wohl einen Moment zu lange angesehen, denn jetzt legte er den Kopf schief und rieb die Lippen aneinander.
„Ich habe wirklich keine Chance, oder?“ fragte er sanft und seufzte.
Ich wollte nicht Bellas Kämpfe für sie ausfechten und war nun doch dazu gezwungen. Was sollte ich ihm sagen? Ich wusste nicht, wie Bella fühlte, ich kannte sie nicht einmal. Und ich kannte Jacob nicht.
Alles, was ich von Edward gehört hatte, war recht negativ ausgefallen. Ich wusste, dass seine Erzählungen nur eine Seite der Geschichte bedienten und das war die seine.
Aber als ich Jacob ansah, die Qual in seinen Augen, einer Antwort harrend, die er kannte, da wusste ich, dass er nicht so schlimm sein konnte, wie Edward es mich hatte glauben machen wollen.
Ich senkte den Blick und schüttelte kaum merklich den Kopf.
Obwohl ich sein Gesicht nicht sah, spürte ich förmlich den Schmerz, den diese kleine Geste in ihm auslöste. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass es anders war, dass Bella sich für ihn entscheiden würde und wusste doch, dass dies nie geschehen würde. Für Jacob gab es in dieser Beziehung keine Hoffnung mehr. Und ich wollte keine Neue in ihm säen.
„Wir sollten weiter.“ sagte er mit brüchiger Stimme und wieder konnte ich mich nicht zu mehr als einem Nicken durchringen. Ich fühlte mich schmutzig, Fehl am Platz und unwiederbringlich dabei, mich in etwas hineinzubegeben, das ich eigentlich vermeiden sollte.
In dem Moment, da ich den Rucksack wieder verschloss, nahm Jacob ihn aus meinen Händen und schulterte ihn.
„Ganz schön schwer das Ding“ sagte er erstaunt „Was ist denn alles da drin?“
„Essen...“
Er nickte und wortlos zogen wir weiter. Ich blieb immer ein paar Schritte hinter ihm, folgte blind seiner Spur, während meine Augen förmlich ein Loch in seinen Rücken brannten.
Ich prägte mir seine Bewegungen ein, obwohl ich nicht wusste, wozu das gut sein sollte. Aber er bewegte sich so geschmeidig und agil, dass es eine gute Ablenkung war, mich darauf zu konzentrieren. Anstatt über alles nachzudenken, was passieren konnte.
Unser Weg wurde immer abschüssiger und schließlich blieb Jacob so abrupt stehen, dass ich beinahe in ihn hinein gelaufen werde.
„Was ist?“ fragte ich angespannt und er deutete auf einen kleinen, jedoch steilen Abhang.
„Ich denke, da müssen wir runter. Also...“ er streckte seine Arme aus, als wolle er mich hochheben.
Ich sah ihn verwirrt an und er wurde ungeduldig.
„Na komm schon, Bells. Wenn ich dich alleine gehen lasse, brichst du dir bei deinen Fähigkeiten noch das Genick. Und ich bin echt nicht scharf auf die Tirade, die ich mir dann von Edward anhören darf.“ Er zwinkerte mir zu, aber ich machte keine Anstalten, näher zu kommen.
„Ich kann das auch alleine.“ behauptete ich steif und fest und Jacob lachte grunzend.
„Ja, klar.“
Bevor ich mich hatte wehren können oder es auch nur erahnte, hatte er mich an sich gezogen und mit Leichtigkeit auf seine Arme gehoben.
„Gut festhalten, Schönheit, es geht abwärts.“
Zu überrascht um Widerspruch einzulegen, schlossen sich meine Arme um seinen Hals und ich drängte mich eng an seine Brust.
Er grinste leicht und begann dann zielstrebig mit dem Abstieg.
Es wäre eine Leichtigkeit für mich gewesen, einfach zu springen, aber mit jeder Sekunde, die ich in Jacobs Armen lag, gefiel mir diese Art der Fortbewegung besser. Ich mochte es, seinen Duft so nah und unverfälscht riechen zu können und seine warme Haut an meiner zu spüren.
Ich verlor mich dermaßen in seiner Nähe, die mir die Sinne vernebelte, dass ich nicht mitbekam, wie er mich einfach weitertrug, selbst als der steile Abgrund bereits hinter uns lag.
Ich hatte die Augen geschlossen und merkte, wie allmählich die Müdigkeit durch meine Glieder floß. Ich hätte sie sicherlich noch eine Weile aufhalten können, doch sah ich keinen Grund darin. Hier in Jacobs Armen war es warm, gemütlich und sicher.
Lange hatte ich keinen so sicheren Ort mehr für meinen Schlaf gehabt. Und da er nicht gewillt schien, mich so schnell wieder runter zu lassen und er diese Nähe ebenso genoss wie ich, hatte auch ich kein gesteigertes Interesse daran selbst zu laufen.
Wie Wellen, die an den Strand rollen, rollte auch der Schlaf über mich, begrub mich unter sich und ich hatte keine Möglichkeit mehr mich dagegen zu wehren, nachdem ich erst zugelassen hatte, dass er über mich kam.
In den letzten 150 Jahren hatte ich kaum Schlaf gehabt. Es waren immer nur wenige Stunden, wenn überhaupt, nach Tagen oder Wochen, ohne die Augen geschlossen zu haben.
Die Angst in mir erlaubte es mir nicht, mich fallen zu lassen und so verwundbar zu sein, wie im Schlaf. Doch das Wissen, dass ich, solange ich Bella war und Jake in meiner Nähe, nicht sicherer sein konnte, trug mich auf sanften Schwingen davon.
Ich erwachte von meinem eigenen Zittern. Aber es war nicht die Kälte, sondern die fehlende Wärme, die mich mit Jacobs Körper verlassen hatte, die mich frieren ließ. Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Ich lag unter einer dichten Baumkrone, die es geschafft hatte den Schnee soweit aufzuhalten, dass unter ihr keine weiße Decke lag.
Im Umkreis von 3 Metern vielleicht, war die Erde braun und feucht, bevor sich langsam wieder der weiße Teppich ausdehnte.
Ich rieb mir die Augen und stellte fest, dass mein Kopf weich auf dem Rucksack gebettet gewesen war und der alte Winterpullover nun über meinem Oberkörper ausgebreitet lag. Augenblicklich suchten meine Augen nach Jacob.
Innerhalb von Sekunden war ich auf den Beinen, drehte mich im Kreis und suchte nach einem Anzeichen von ihm.
„Jake? JAKE!“ grade als sich die Panik in mir dazu bereit machte, mich vollkommen in Besitz zu nehmen, sah ich ihn. Die Augenbrauen in Überraschung gehoben und einem Bündel Stöcke auf dem Arm.
„Ich bin hier, Bells. Keine Panik.“ mit schnellen Schritten kam er auf mich zu und ließ die Äste achtlos zu Boden fallen. Ich atmete tief durch und versuchte meinen Herzschlag wieder zu beruhigen. Für einen Moment lang hatte ich befürchtet, dass es ein Fehler gewesen war, mich dem Schlaf hinzugeben und dass ihm etwas passiert sein könnte.
„Ich...“ begann ich zu stammeln, doch Jacob wollte keine Erklärung. Wortlos zog er mich in seine Arme und streichelte beruhigend über meinen Rücken.
„Schon okay, ich lauf nicht wieder davon. Ich hab versprochen dich zur nächsten Stadt zu bringen und daran werde ich mich halten.“
Er hatte keine Ahnung, warum mir das Herz in die Hose gerutscht war und ich unternahm nichts es ihm zu erklären. Zu glauben, meine Reaktion beruhe auf der Tatsache, ich habe Angst er würde wieder verschwinden, war glaubhafter.
„Wo warst du?“ fragte ich unnötigerweise, schießlich hatte ich gesehen, dass er Holz gesucht hatte.
Daher deutete er auch nur auf die am Boden verstreut liegenden Äste.
„Es ist spät geworden und ich befürchte, wir müssen die Nacht hier verbringen. Für mich wird das kein Problem sein, aber die Nächte hier sind unglaublich kalt. Du wirst dir wünschen, du wärst wieder im Zelt.“
Er beugte sich hinab und sammelte die Stöcke wieder zusammen, um sie in der Mitte des kleinen schneefreien Platzes aufzuschichten.
„Naja, zumindest kann ich sichergehen, nicht zu erfrieren, so wie du darum bemüht bist, dass ich es warm habe“ neckte ich ihn und begann den Inhalt des Rucksacks genauer unter die Lupe zu nehmen. Mir war vorher nicht aufgefallen, dass er recht schwer und vollgepackt war. Bella wäre unter dem Gewicht wahrscheinlich zusammengebrochen. Aber ich hatte bereits mitbekommen, dass die Kleine tougher war, als man ihr im ersten Moment zutraute.
Ich angelte eine Dose Bohnen und Würstchen heraus und ließ mich wieder in die kleine Kuhle plumpsen, in der ich geschlafen hatte. Die Nacht senkte sich langsam über den Wald. Hier inmitten der dicht stehenden Bäume verschwand das Tageslicht schneller und bald würden wir in vollkommener Dunkelheit sein.
Jacob versuchte nun seit einer gefühlten halben Stunde ein Feuer in Gang zu bringen, blieb jedoch erfolglos.
„Na großer Häuptling? Nicht in der Lage ein einfaches Feuer zu machen?“ ich grinste breit und gesellte mich zu ihm, um mir seine Versuche genauer anzusehen.
Er grunzte nur leise und versuchte erneut ein paar Späne zur Glut zu bringen.
„Ich dachte ihr Quileute bekommt das Wissen, wie man ein Feuer macht, mit der Muttermilch?“
Ich pustete leicht gegen die qualmenden Späne und Jacob schubste mich lachend, so dass ich auf den Hintern fiel.
„Misch dich da nicht, du Küken. Ich weiß schon wie das geht. Allerdings ist bei dem Wetter alles feucht und somit schwerer anzuzünden.“
Ich boxte spielerisch gegen seine Schulter und er geriet ins Wanken.
„Wow, Bells, hast du trainiert?“
Für einen kurzen Moment entglitten mir meine Gesichtszüge, bevor ich meinen Bizeps anspannte.
„Jap, hab ich, eisenhartes Werwolftraining. Ich will mir schließlich nicht noch einmal die Hand verstauchen, wenn du eine Abreibung verdient hast.“ Ich streckte ihm frech die Zunge raus und er sah mich warnend an.
„Jage nichts, was du nicht töten kannst, Kleine“ er grinste breit und das leichte Glühen der Holzspäne erlosch vollkommen, weil er ihnen keine Aufmerksamkeit mehr schenkte.
„Ich sag dir, du kannst den Göttern dankbar sein, dass es Handys gibt. Wenn du dich mit Rauchzeichen verständigen müsstest, wärst du ganz schön am Arsch.“ ich lachte und es tat unheimlich gut.
„Du bist ganz schön frech!“ stellte Jacob fest und sprang auf, um mich zu verfolgen. Ich quiekte und sah zu, mich aus dem Staub zu machen. Doch ich hatte keine Chance. Ohne meine Fähigkeiten konnte ich kein Gegner für seine Schnelligkeit sein. Noch bevor ich den ersten Baum erreicht hatte, legten sich seine Hände an meine Seiten und er begann gnadenlos mich durchzukitzeln. Unser Lachen schallte so laut durch den Wald, dass ein ganzer Schwarm Krähen über unseren Köpfen in die Nacht entfloh.
Ich spürte meine Wangen rot werden, meinen schnellen Herzschlag und den Schmerz in meinen Muskeln, die so lange schon nicht mehr in dieser Art beansprucht worden waren. Bellas Lachen klang fremd in meinem Ohren. Aber wäre es meine Stimme gewesen, sie wäre mir wahrscheinlich eben so fremd vorgekommen. Wenn Jacob lachte, war es schwer für mich es ihm nicht gleichzutun. Es war wie eine warme Melodie, die einen einfach dazu anhielt mitzusingen. Schließlich hatte ich keine Luft mehr in den Lungen und hob abwehrend die Hände.
„Friede. Bitte, Friede. Ich ergebe mich und verspreche, heute Abend nicht mehr frech zu dir zu sein.“
Sein Blick war voller Skepsis, aber er ließ mich los und ich stützte mich keuchend gegen einen Baumstamm.
„Eine Sache wäre da aber noch...“ sagte ich atemlos und hielt mir die Seite, die unangenehm schmerzte und griff in meine Hosentasche, um ein Feuerzeug hervor zu holen und es Jacob vor die Nase zu halten.
„Versuchs doch mal hiermit“ kicherte ich und sah zu, wie sein Gesicht auseinanderfiel.
„Du lässt mich seit einer halben Stunde ohne Erfolg dämliche Späne reiben, obwohl du das hier in der Tasche hast?“
Ich nickte, schnappte nach Luft und mobilisierte neue Kräfte, um ein zweites Mal vor ihm davon zu hechten. Jacob war mir dicht auf den Fersen und ich gebe zu, ich schummelte. Sobald ich hinter einem Baum verschwunden war, sprang ich zum nächsten, ohne dass er mich sah. Hin und wieder schaute ich hinter einem Stamm hervor, damit die Jagd auch spannend blieb. Letztendlich geschah was geschehen musste. Jacob fing mich lachend ein, schmiss mich über seine Schulter und versohlte mir spielerisch den Hintern.
Ich schmollte und versuchte ihn zu kitzeln. Doch er widerstand meinen könnerischen Fingern.
Er trug mich zurück zu unserem kleinen Platz und lud mich, immer noch grinsend, in meiner Mulde ab. Dann streckte er fordernd die Hand aus.
„Gibst du mir das Feuerzeug freiwillig, oder muss ich dich erneut übers Knie legen?“ Auch er war leicht außer Atem und seine kupfernen Wangen glühten.
Ich zog eine Schnute, gab ihm jedoch widerstandslos das kleine Feuerzeug.
„Danke.“
Während er nun mit den richtigen Utensilien bewaffnet, erneut versuchte ein Feuer in Gang zu bringen, lehnte ich mich an einen umgefallenen Baumstamm und beobachtete ihn still.
Irgendetwas an ihm, machte mich sorgenfreier. In den letzten Stunden hatte ich keine Zeit daran verschwendet, was sonst Hauptbestandteil meiner Gedanken war.
Bei ihm fühlte ich mich sicher und es schmerzte mich schon jetzt, dass unsere gemeinsame Zeit schnell enden würde.
Und wenn er erst einmal wusste, welches Spiel ich mit ihm gespielt hatte, würde diese Unbeschwertheit nie wieder kommen. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte den Gedanken daran zu verdrängen. Ich wollte und musste Edward helfen und Jacob war stark. Körperlich ebenso wie geistig. Er würde damit klarkommen, mich jedoch wahrscheinlich nicht mehr in seine Nähe lassen.
Endlich brannte das Feuer und Jacob blickte nicht ohne Stolz auf sein Werk. Doch das Holz war zu nass gewesen und nun qualmte es stark und verbreitete einen beißenden Gestank. Ich hielt mir die Hand vor Mund und Nase und blickte tadelnd zu Jake herüber.
„Tut mir leid“ entschuldigte er sich schnell und sah leicht betreten aus. „es ist einfach zu feucht, wir werden warten müssen, bis das ganze Wasser verdampft ist“
„Zur Not grillen wir die Würstchen auf deinem Bauch.“ scherzte ich und rutschte ein wenig von dem rauchenden Feuer weg.
Eine knappe Dreiviertelstunde später, hatte der Rauch nachgelassen und wir konnten unser kärgliches Mahl zubereiten. Es schmeckte grauenvoll. Die Dose mit den Bohnen war unter dem Druck der Hitze explodiert und die Würstchen an manchen Stellen verbrannt, an anderen immer noch kalt. Aber ich war froh überhaupt etwas gegessen zu haben.
Das Feuer spendete eine wohlige Wärme und nun lag ich auf dem Rücken, den Pulli unter mir und den Kopf auf Jacobs Bauch.
Ich lauschte dem Grummeln seines Magens, der dabei war die schlabbrigen Würstchen zu verdauen und Jacob spielte gedankenverloren mit einer meiner Haarsträhnen.
Eine entspannte Ruhe lag über uns, doch zu schnell unterbrach der Wolf sie wieder.
„Vermisst du Edward?“ sprach er in das Knacken des Feuers und es klang keineswegs vorwurfsvoll, sondern so, als ob es ihn wirklich interessieren würde.
„Nein.“ antworte ich ebenso ruhig und es war das erste Mal an diesem Tag die volle Wahrheit.
„Nicht? Warum?“ er zwirbelte meine Haare zwischen Daumen und Zeigefinger und ich rutschte ein wenig auf ihm herum, bis ich eine bequemere Position gefunden hatte.
„Weil du bei mir bist.“ Auch das war die Wahrheit.
„Hmhm“
Dann schwiegen wir wieder für eine Weile.
„Warum ist er besser als ich?“ wieder war seine Stimme nur ein leises Flüstern und ich drehte den Kopf, um ihn wenigstens halbwegs ansehen zu können.
„Er ist nicht besser Jake, er ist anders. Du bist nicht weniger wert oder gut als er.“
„Und warum hast du dich dann für ihn entschieden? Warum wählst du Kälte über Wärme?“
Ich seufzte, richtete mich auf und sah ihn eindringlich an.
„Ich hab mir das nicht ausgesucht, Jake. Wir können nicht beeinflussen, wen wir lieben, ebenso wenig, wie wir uns aussuchen können, jemanden nicht zu lieben. Es passiert und...es lässt sich nicht ändern.“
Auch er richtete sich auf und stützte seine Unterarme auf den angewinkelten Knien ab.
„Aber zwischen uns ist doch etwas. Unser Kuss...“
„...war wunderschön. Und ich liebe dich, aber ich liebe Edward mehr und du kannst nichts tun, um das zu ändern. Du hast alles getan und es gab eine Zeit, in der ich mir gewünscht habe, es wäre alles anders gekommen.“ ich wusste nicht, ob es stimmte, aber ich wollte Jacob nicht mehr verletzen, als unbedingt notwendig.
„Wir drehen uns im Kreis, Jacob. Ich will dich in meiner Nähe haben, du bist mein bester Freund und letztendlich musst du wissen, ob und wie du damit umgehst.“
„Du lässt mich ja nicht. Ich konnte damit nicht umgehen, deswegen bin ich abgehauen. Aber kaum einen Monat später tauchst du hier auf und sagst mir, dass du mich brauchst. Wie soll ich damit abschließen, wenn du mir folgst?“ Seine Stirn legte sich in tiefe Falten und ich kniete mich vor ihn. Meine Hand legte sich auf seine und ich schenkte ihm einen tiefen Blick.
„Weil ich nicht ohne dich sein kann.“
„Warum musst du mich mit meiner Sehnsucht quälen?“ seine Augen brannten durch die meinen hindurch und ich musste hart schlucken.
„Weil ich egoistisch bin.“ flüsterte ich und es war genau was ich dachte. Bella mochte ein tolles Mädchen sein, aber es würde Jake besser gehen, wenn sie ihn losließ, wozu sie anscheinend nicht in der Lage war.
„Du siehst mir dabei zu, wie ich verbrenne und schüttest ständig Öl ins Feuer. Ich will nicht ohne dich sein, aber ich kann auch nicht mit dir sein und es zerreißt mich.“ er legte den Kopf in den Nacken und blickte hinauf in den schwarzen Nachthimmel.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wie schon so oft an diesem Tag. In der Theorie hatte Edwards Plan simpel geklungen, aber Bella zu sein, war alles andere als simpel.
Wenn ich Jacobs Blick sah, erschien es mir, als sei dies die schwerste Rolle, die ich je spielen musste.
„Jake, ich...“ ich war wie blockiert.
„Du musst nichts sagen, ich weiß wie es ist und ich weiß, dass ich dich nicht dazu zwingen kann, dich in mich zu verlieben, mehr als du es in Edward bist. Aber irgendwie stirbt die Hoffnung in mir nicht. Jedesmal, wenn ich denke, dass ich es nun verstanden habe, tust du etwas, dass mich glauben macht, wir hätten noch eine Chance. Wenn du mir wenigstens versprechen würdest, keine von ihnen zu werden.“ seine Stimme klang flehend und ich hatte nichts, dass ich dieser Bitte entgegen setzen konnte.
„Du weißt, dass ich dir das nicht versprechen kann. Ich habe mich entschieden und du wirst mit dieser Entscheidung leben müssen, ebenso wie ich.“
„Du liebst mich also nicht einmal genug, um mir noch ein paar Jahre erhalten zu bleiben?“
Ich begann zu verstehen, warum Edward so auf Jacob zählte. Ich war kurz davor ihm alles zu versprechen, nur damit er mich nicht mehr ansah, wie ein Hund, den man einmal zu oft getreten hatte. Und ich kannte ihn gerade einmal einen Tag. Wenn er Bella so ansehen würde, da war ich mir sicher, würde sie nicht anders können, als ihm zu sagen, dass sie warten würde.
Ich sah von ihm weg, konnte den Blick seiner braunen Augen nicht länger ertragen und auch er nahm seinen Blick von mir.
„Kannst du nicht einfach die Zeit, die wir noch zusammen haben einfach genießen? Wenn du mich bald hassen wirst, vielleicht sogar den Wunsch verspürst mich zu töten, warum können wir nicht ein letztes Mal einfach nur Jacob und Bella sein?“ Ich sah ihn nun ebenso flehend an. Ich würde es nicht schaffen, ihn die nächsten Tage so leiden zu sehen. Der lachende, fröhliche Jacob war mir um Längen lieber. Zudem war es einfach nicht meine Aufgabe, ihm die Dinge zu sagen, die ich ihm bereits gesagt hatte.
„Jacob und Bella?“ fragte er leise und ich nickte.
Wir hatten uns früh schlafen gelegt. Das Feuer knackte leise in meine Gedanken hinein und ich starrte in die verzehrende Glut, bis rote und gelbe Punkte vor meinen Augen tanzten. Jacob lag einen halben Meter von mir entfernt und sein leises Schnarchen zeigte mir, dass er keine Probleme damit gehabt hatte, Schlaf zu finden.
Ich für meinen Teil wusste jedoch, dass ich keinen Schlaf finden und dieser ebenso wenig freiwillig zu mir kommen würde. Die wenigen Stunden, die ich in Jakes Armen geschlafen hatte, waren mehr gewesen, als mir zustand und ich würde nun nicht so leichtfertig zulassen, dass ich mich erneut ausruhte, wenn es soviel gab, dass meiner Aufmerksamkeit bedurfte.
Mein Blick legte sich auf den schlafenden Jake und ich drehte mich auf meine andere Seite. Meine Hände betteten meinen Kopf und das Feuer wärmte meinen Rücken. Er sah im Schlaf viel jünger aus, unbedarft und schutzlos. Etwas in mir wollte unbedingt verhindern, dass ihm Leid getan wurde. Aber ich wusste, dass ich die nächsten Tage, diejenige sein würde, die seinen Schmerz heraufbeschwor.
Mit jeder Abfuhr, mit jedem Wort über die Endgültigkeit Bellas Entscheidung, fügte ich ihm Schmerz zu und ich hatte keine andere Wahl, als es geschehen zu lassen. Ich ermahnte mich an Edward zu denken und daran, dass ich im Endeffekt beiden Seiten helfen würde. Doch allmählich begann es in mir zu dämmern, dass ich kein Recht hatte, mich auf eine Seite zu stellen, wenn ich keine Kenntnis über die dritte Sicht der Dinge hatte.
Ich wusste nicht, wie Bella zu dem Ganzen stand. In Edwards Erzählungen hatte sie mehr als eigenständig geklungen und ich schätze sie keineswegs so naiv ein, dass sie nicht wusste, worauf sie sich einließ und ebenfalls teilte ich ihre Meinung, dass es unmöglich sei, dass Edward seine Seele verloren hatte.
Vielleicht wusste sie selbst was am Besten für sie war, als es Edward oder Jacob wussten und doch schien keiner von beiden zu versuchen ihre Seite zu verstehen.
Ich seufzte leise. In all den Jahren, die ich bereits lebte, war ich noch nie in einer so komplizierten Lage gewesen. Einer Lage, die all mein schauspielerisches Können und all meine Beherrschung erforderte. Jacobs Brustkorb hob und senkte sich leise und meine eigene Atmung passte sich der seinen an.
Jacob war schön.
Nicht wie Edward es war, nicht so perfekt, keineswegs zu anmutig oder voller Faszination, aber gerade seine Unvollkommenheit, seine Menschlichkeit machte seinen Reiz aus. Der Ton seiner Haut, die im Licht der kleinen Flammen wie flüssiges Kupfer schimmerte und so weich und glatt aussah, dass ich versucht war, sie unter meinen Fingern zu spüren.
Das dichte, dunkle Haar, das in alle Richtungen abstand und durch das man einfach seine Hände fahren lassen wollte. Und seine dunklen Augen, die mich ein wenig an frische Kastanien erinnerten und das Blitzen in ihnen, wenn er lächelte.
Sein Körper, voller Stärke und Kraft, jeder Muskel ausgebildet und makellos unter der straff gespannten Haut, der so gar nicht zu seinem sanften Gesicht passen wollte und sein Erscheinungsbild doch erst vervollständigte. Ich beneidete Bella still und fast erschrak ich über diese Erkenntnis. Nicht weil ich Jacob attraktiv fand, sondern ich beneidete sie um den Blick, den er ihr schenkte. Voller Hingabe, Loyalität und tief empfundener Liebe. Vor langer Zeit einmal hatte ich gedacht zu wissen, was Liebe bedeutete, hatte gedacht ich würde lieben und war felsenfest davon überzeugt ebenso geliebt zu werden. Doch der Blick in Jakes Augen, wenn er Bella ansah, lehrte mich, dass ich nichts von Liebe wusste. Nichts von den Gefühlen, die Bella von zwei Männern geschenkt bekam. Sie musste wahrlich außergewöhnlich sein und ich wünschte mir, ihr eines Tages begegnen zu können....als Mensch.
Das Feuer zischte leise und ich wand den Blick herum. Das letzte Stück Ast war kokelnd zu Grunde gegangen und leise stand ich auf, um nach etwas trockener Rinde zu suchen.
Und kaum, dass das Feuer wieder brannte, nahm ich meinen Platz wieder ein, die Augen auf den schlafenden Jacob gerichtet, als könne jede Sekunde, in der ich ihn nicht im Blick hielt, etwas furchtbares geschehen. Abgesehen davon, dass Jacob sicherlich ein ernstzunehmender Gegner war, war der Beschützerinstinkt in mir größer. Ich hatte ihn noch nicht als Wolf gesehen, aber ich war mir sicher, dass seine Erscheinung imposant sein würde. Er hatte so schnell erwachsen werden müssen, schoss es mir durch den Kopf.
Ich war in dieses Leben hineingeboren worden, hatte nie etwas anderes gekannt. Aber Jake hatte in einer Welt, die nichts auf Mythen und Sagen gab, lernen müssen, dass so manche Legende durchaus einen wahren Kern hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen welche Belastung auf ihm lag, keine Wahl zu haben und in einen ewigen Kreislauf eingebunden zu werden, der ihm keine Möglichkeit ließ, es zu ändern.
Er war gezwungen für die Sicherheit eines ganzen Stammes zu sorgen und trug so unheimlich viel Verantwortung. Wenn ich es mir recht überlegte, war er nicht weniger verdammt, als wir anderen. Verdammt zu einem Leben außerhalb aller Konventionen.
Für immer vom Rest der Welt getrennt und dazu verpflichtet in den ewig gleichen Bahnen zu schwimmen.
Er schmatzte leise und ich lächelte.
Trotz der kurzen Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, es war schließlich nicht mehr als ein Tag, wusste ich, dass ich seine Anwesenheit vermissen würde. Und nicht nur, weil er die erste Person seit langem war, mit der ich meine Zeit verbrachte sondern weil er, er war.
In den Jahren meiner Flucht, hatte die Einsamkeit mir so manches Mal beinahe den Verstand geraubt, mich an den Rand der Aufgabe gebracht und es gab nur eine einzige Sache, die mich davon abgehalten hatte. Ich gönnte Caius den Triumph nicht.
Ich hatte meine eigenen Vorstellungen davon, wie mein leben einst enden würde und wenn dies bedeutete, ein Leben in Isolation zu führen, dann war ich bereit dazu. Auch wenn die Frage, warum und wofür ich es tat, mir so manches Mal durch den Kopf spukte. Vielleicht gab es da draußen jemanden, dem es egal war, der sich trotz allem an mich würde binden wollen, doch an meiner Seite gab es keinen Platz.
Selbst wenn derjenige bereit dazu wäre, das Risiko einzugehen, ich wäre es nicht. Allein mich zu kennen, konnte den Tod bedeuten und ich würde niemanden in eine Sache hineinziehen, die nur zwischen mir und Caius bestand.
Wieder schnarchte Jake etwas lauter und er wachte von seinem eigenen Geräusch auf. Er sah mich entgeistert an, ob der Tatsache, dass ich nicht schlief.
„Kannst du nicht schlafen? Ist dir kalt?“ er wollte sich schlaftrunken aufrichten, doch ich strich ihm sanft über die Wange.
„Alles in Ordnung, Jake. Schlaf weiter. Wir haben morgen noch einen weiten Weg vor uns.“
Er schnaubte leise.
„Den werd ich ohne Schlaf wohl besser wegstecken als du. Also, was ist los?“ er schüttelte den Kopf, als wolle er den Schlaf abschütteln und richtete sich nun doch auf.
„Es ist wirklich nichts. Das Feuer ist fast ausgegangen, da hab ich es noch einmal ein wenig geschürt.“
„Denkst du an Edward?“ fragte er leise und ich seufzte.
„Ich dachte, wir wollten das Thema lassen? Und nein, ich habe nicht an Edward gedacht. Ich habe an dich gedacht.“ stellte ich richtig.
„An mich? Und was hast du da so gedacht?“ ich hörte die Neugier in seiner Stimme.
„Das behalte ich für mich.“ grinste ich
„Das ist unfair. War es wenigstens etwas Gutes?“
Ich nickte nur kurz.
„Als könnte ich jemals etwas Schlechtes von dir denken, Jake“
„Du könntest und du konntest.“ seufzte er und fuhr sich durch das strubbelige Haar.
„Tut mir leid.“ entschuldigte ich mich und presste die Lippen zusammen.
„Mir tut vieles leid.“
„Was?“ er setzte sich im Schneidersitz vor mich und blickte zum Feuer.
„Das mit dir, tut mir leid.“
Er lachte trocken.
„Dass du mich kennst? Ein bisschen spät für diese Reue.“
„Nein, ich könnte niemals bereuen, dich zu kennen. Es tut mir leid, dass ich dir nicht das geben kann, was du verdienst. Es tut mir leid, für alles was du durchmachen musst. Eigentlich solltest du mich hassen und nicht lieben.“
„Glaub mir, es gibt Zeiten, in denen ich dich hasse. Für die vielen Male, in denen du mich verletzt hast. Aber am meisten hasse ich es, zu wissen, dass ich am Ende trotzdem immer für dich da sein werde. Ich liebe dich Bella und auch wenn ich es nicht will, tue ich es und nichts kann das ändern.“
Seine Worte waren schmerzhaft und ich konnte nur annähernd begreifen, wie schlimm diese Tortur für ihn sein musste. Aber ich kostete ein wenig von dem bittersüßen Schmerz, den Bella durchlebte.
Nicht annähernd so intensiv, denn ich liebte Jacob nicht, war ihm nicht auf dieselbe Weise verbunden, wie sie es war, aber doch genug um nachzuempfinden, was es bedeutete zwischen ihm und Edward zu stehen.
„Ich wünschte, ich könnte dir etwas von deinem Schmerz nehmen.“ sagte ich aufrichtig und ich meinte es so.
Was würde mich noch ein wenig mehr Schmerz kümmern? Ich war erprobt darin, Schmerzen zu ertragen, besser als es Jake konnte und wenn ich ihn nur ein wenig mehr zum Lachen bringen könnte, bevor seine Seele unter der Last zersprang, dann war ich zufrieden.
„Dann gib mir Hoffnung, Bella. Ein kleines bisschen davon, mehr will ich nicht. Nicht für uns, aber für dich. Sag mir, dass du keine von Ihnen sein wirst. Ich will dich nicht verlieren.“
Er sah mich an, mit hängenden Schultern und diesem Ausdruck in den Augen, der einfach nicht zu ihnen passte. Sie sollten strahlen, funkeln, einfach nur lachen und nicht aussehen, als würde ihr Besitzer unter Todesqualen gefoltert.
„Wir sollten schlafen, Jake.“ murmelte ich leise und wand mich unter seinem alles durchdringenden Blick.
Er seufzte lang und anhaltend. Er hatte verstanden, dass ich ihm weder Hoffnung für ihn und Bella, noch für Bella allein geben konnte.
„Ja, vielleicht sollten wir das.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er mir den Rücken zu und legte sich wieder nieder. Für einem Moment allein mit meiner Ratlosigkeit, starrte ich auf seinen Rücken, bevor ich mich hinter ihn legte. Ich schlang meine Arme um seinen Körper und in dieser Nacht wollte ich ihn wärmen.
Ich spürte, wie er sich unter meiner Berührung zunächst anspannte, doch bald war sein Atem ruhig und regelmäßig. Gedankenverloren strich ich über seinen Unterarm und meine Lippen hauchten einen sanften Kuss auf seinen Nacken.
Ich schlief in dieser Nacht wirklich nicht und als der Morgen langsam aber mit steter Verlässlichkeit über uns hereinbrach, hielt ich ihn immer noch im Arm.
Er schnorchelte leise vor sich hin und ich beschloss, ihn noch eine Weile länger schlafen zu lassen.
Vorsichtig um ihn nicht zu wecken, stahl ich mich aus seiner Nähe.
Ich durchforstete den Rucksack nach einem halbwegs annehmbaren Frühstück, aber ich wollte nicht noch einmal in den Genuß von explodierten Bohnen kommen. Also nahm ich zwei Äpfel heraus, wischte sie eher leidlich an meinem Pulli ab und kniete mich neben Jake. Ich strich ihm weich über seine Wange.
„Guten Morgen, Sonnenschein. Zeit aufzustehen.“
Er blinzelte leicht, dann schlug er die Augen ganz auf und rappelte sich schwerfällig in eine sitzende Position. Ich hielt ihm lächelnd einen der Äpfel hin und ohne ihn sich genau anzusehen, griff Jacob danach.
„Hast du gut geschlafen? Oder warum diese gute Laune am frühen Morgen?“ er schien ein wenig mürrisch zu sein und ich versuchte seine schlechte Laune einfach wegzulächeln.
„Ein ganzer Tag allein mit meinem besten Freund liegt vor mir. Ich finde, das ist ein großartiger Grund um gut gelaunt zu sein.“ Ich stand auf und griff nach seiner freien Hand, um ihn auf die Beine zu ziehen.
„Na komm schon, Großer. Oder willst du hier Wurzeln schlagen?“ Ich begab mich zum Feuer und ließ ein paar Hände Schnee darauf fallen, um die Glut zu löschen.
„Deine gute Laune ist ja fast widerwärtig.“ beschwerte er sich und ich baute mich vor ihm auf, einen tadelnden Blick in den Augen.
„Ich weiß ja nicht wie du das siehst, aber ich habe vor, die kommende Zeit, die ich mit dir habe zu genießen. Der Tag, an dem du mich hassen wirst, wird früh genug kommen und ich will nicht schon jetzt damit anfangen, deswegen Trübsal zu blasen. Hier gibt es nur uns beide, ich möchte soviele schöne Erinnerungen an dich mit mir nehmen, wie ich kann und du würdest mir sehr dabei helfen, wenn du diese Morgenmuffelei lassen könntest. Wäre das machbar? Ja? Danke.“
Er sah mich verdattert an, dann lachte er jedoch.
„Stimmt, hab ich ganz vergessen. Jacob und Bella. Ist okay, ich werde mich daran halten.“
Ich nickte zufrieden.
„Danke.“
Er streckte sich ausgiebig und gähnte laut, bevor er den Rucksack schulterte und kraftvoll in den Apfel biss.
„Wir müssen da lang...glaub ich“ schmatzte er und ich stieß ihm in die Rippen.
„Man spricht nicht mit vollem Mund.“
Er grinste. „Tschuldigung.“
Ich schaute in die Richtung, in die er gezeigt hatte und zog die Augenbrauen zusammen, ohne dass er es merkte. Wenn mich mein eigener Orientierungssinn nicht täuschte, und das hatte er bisher nie getan, dann würde uns diese Richtung einen Umweg von mindestens einem Tag bescheren. Einen Moment überlegte ich, ob ich ihn darauf hinweisen sollte, doch ich wusste nur zu gut, warum er es vermeiden wollte, zu schnell an einer Stadt anzukommen. Er wollte Zeit gewinnen. Zeit, die er mit mir verbringen konnte, Zeit, in der ich fern von Edward war und Zeit, die ihm dienen konnte, mich weiter von seinen Ansichten zu überzeugen.
Ich zuckte innerlich mit den Schultern. Ein Tag mehr oder weniger, würde Edward bestimmt nicht stören und mir, da war ich überzeugt, würde Jacobs Anwesenheit gut tun. Hier, inmitten eines kanadischen Nationalparks, abgeschnitten von allem, konnte ich entspannt sein.
Hier würde mich niemand verfolgen und ich würde mich nach endlos langer Zeit wenigstens für ein paar Tage normal fühlen können. Mich an Gesprächen erfreuen, auch wenn es nicht die meinen waren.
Und dann stiefelten wir los. Wieder ging ich einige Schritte hinter Jacob
Meine Laune war unnatürlich gut, ich kannte mich selbst kaum wieder. In meinem Kopf spielte eine angenehm beschwingte Melodie und ich hatte keine Eile voranzukommen. Immer wieder hüpfte ich aufgedreht über Wurzeln und kleine Baumstämme, summte schließlich sogar die Melodie in meinem Kopf laut mit.
Ausgelassen tollte ich um Jacob herum, der mir mit zusammengezogenen Augenbrauen zusah und nicht ganz verstand, was mich so unbeschwert gemacht hatte.
Doch schließlich ließ er sich von mir mitziehen, ließ sich von meiner guten Laune anstecken.
Wir jagten uns lachend durch die dicht beieinander stehenden Bäume, versteckten uns im Dickicht des Waldes und immer wieder verlor ich haushoch gegen Jacob, wenn ich mit Suchen dran war. Wären wir auf dem richtigen Weg gewesen, hätten wir wahrscheinlich so oder so einen Tag verloren. Das Ziel war unwichtig geworden und nur noch das Beisammensein schien von Bedeutung zu sein. Jake benahm sich wie ein Junge in seinem Alter sich benehmen sollte. Unbeschwert und frei. Ein bisschen albern vielleicht, aber stets mit einer warmen Lache und blitzenden Augen.
Ich überlegte mir, wieviel Spass es erst machen würde, wenn ich meine Kräfte würde nutzen können. Wenn wir noch um einiges schneller durch den Wald jagen könnten. Wir beide ebenbürtige Spieler wären. Ich wusste, dass Jake sich meinetwegen zurücknahm und langsamer lief, als er es eigentlich gekonnt hätte, nur damit ich nicht den Anschluss verlor. Ich wäre gerne ein richtiges Wettrennen mit ihm gelaufen, ohne darauf zu achten, mich an die menschlichen Geschwindigkeiten zu halten. Regelrechter Muskelkater hatte mittlerweile von meinen Bauchmuskeln Besitz genommen und auch meine Wangen fühlten sich bereits leicht lädiert. Soviel wie in den letzten beiden Tagen, hatte ich seit Jahrzehnten nicht mehr gelacht und ich war froh, dass mein Körper überhaupt noch wusste, wie es funktionierte.
Jake brachte mich zum Lachen, egal was er tat, ich fand es urkomisch. Wenn wir außer Atem gerieten, drosselten wir unser Tempo für ein paar Minuten und er erzählte mir Geschichten vom Rudel, die Bella anscheinend noch nicht kannte.
Er war witzig, traf stets die richtige Pointe, und obwohl ich die Leute nicht kannte, von denen er erzählte, konnte ich mir ein recht gutes Bild von ihnen machen. Ich hörte ihm gespannt zu und war froh, dass er sich so in Fahrt redete, dass ich gar nicht in die Bedrängnis kam, selbst etwas zu sagen. Nur hin und wieder streute ich einen neckenden Kommentar ein und schon ging unsere Jagd von neuem los.
Erst gegen Nachmittag machten wir eine Pause. Jake hatte Hunger und es tat mir leid, dass ich ihm verwehrt hatte zu jagen und er sich stattdessen mit kalten Würstchen und Dosengemüse abgeben musste. Er sah das ähnlich und verzog angewidert das Gesicht, als ich einige Würstchen auf einen Stock spießte und über das soeben entfachte Feuer hielt.
„Nicht gegen deine Kochkünste, Bells, aber das sind keine Künste, das ist ein Verbrechen.“
„Tut mir leid, Jake, aber meine Möglichkeiten sind ziemlich begrenzt. Ich würde dir gerne ein Steak mit Kartoffeln servieren, aber ich hab kein Rind gefunden, dass in den Rucksack passte.“ sagte ich entschuldigend und Jake schloss seufzend die Augen.
„Steak...“ murmelte er „bring mich nicht auf solche Gedanken.“
„Wenn du mit mir zurück nach La Push gehen würdest, könntest du jeden Tag essen was du willst.“ wagte ich mich vorsichtig hervor.
„Das ist zwar verlockend, aber ich glaube nicht, dass es reicht, um mich umzustimmen.“
ich nickte verstehend und drehte die Würstchen leicht, damit sie nicht wieder verkohlten, wie am gestrigen Abend.
„Willst du gar nicht mehr wiederkommen? Ich meine nie, nie wieder? Was ist mit Billy? Und den anderen? Vermisst du sie nicht?“ fragte ich und Jake setzte sich neben mich auf den matschigen Boden.
„Irgendwann komm ich bestimmt wieder. Aber im Moment noch nicht. Ich weiß, dass du mich bei deiner Hochzeit dabei haben willst. Aber wie soll ich dem beiwohnen, wo ich doch weiß, dass du einen Fehler machst.“
„Weil du es für mich tust. Hast du schon einmal daran gedacht, dass eine Hand, die andere wäscht? Wenn ich glauben müsste, dich verloren zu haben, was sollte mich dann noch davon abhalten, meine Entscheidung durchzuziehen?“
„Das ist Erpressung, Bella. Darauf werde ich mich nicht einlassen.“ seine Stimme klang hart und ich ruderte leicht zurück.
„Ich würde das nicht Erpressung nennen, Jake.“ sagte ich sanft. „Eher eine Möglichkeit, etwas Hoffnung, wie du es formuliert hast. Ich weiß, dass es in deinen Ohren ungerecht klingen mag, aber das ist alles, was ich dir anbieten kann.“
„Ich werds mir überlegen. Wenn du dir auch etwas überlegt.“ sagte er fordernd und ich warte den Kopf um ihn anzusehen.
„Und was soll ich mir überlegen?“
„Du solltest dir überlegen, dass ich die bessere Wahl für dich bin.“
Ich rollte entnervt mit den Augen.
„Du gibst nie auf, oder? Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, mich inmitten von „Und ewig grüßt das Murmeltier“ zu befinden.“
„Überleg doch bitte einmal. Selbst Edward weiß, dass ich die logische, die bessere Wahl für dich bin.“
„Jake. Liebe ist nicht logisch. Würdest du mir auch sagen, Edward sei die logischere Wahl, wenn er kein Vampir und ich mit dir zusammen wäre? Wäre es dann besser mit ihm zusammen zu sein, weil er kein Werwolf sondern ein normaler Mensch wäre? Überlege doch DU bitte einmal, was du sagst. Im Übrigen war der Tag so schön, dass ich jetzt nicht schon wieder mit dir streiten will.“
„Ich würde dir niemals sagen, Edward sei die bessere Wahl. Diese Worte würdest du nicht einmal in einem Paralleluniversum von mir hören.“ schnaubte er und ich schüttelte den Kopf. Er wollte einfach nicht hören. Und wer nicht hören konnte, musste eben fühlen. Und das tat Jake mehr als ihm gut tat.
Ich reichte ihm wortlos den Stock mit den Würstchen und verzichtete selbst darauf etwas zu essen. Mir war der Appetit leidlich vergangen.
Es war, als wären in Jake zwei unterschiedliche Seiten vereint, wie Sonne und Mond. Wenn das eine Gestirn am Himmel auftauchte, verschwand das andere und ward nicht mehr gesehen.
Wenn er sich so wie jetzt, in dem erneuten Wahn befand, mich überzeugen zu müssen, dann wusste ich würde eine losgelöste Konversation nicht möglich sein. Er würde vor sich hin grummeln und seinen eigenen Gedanken Raum geben.
Seufzend erhob ich mich und steuerte den Weg tiefer in den Wald hinein an.
Er hob den Blick und sah mich fragend an.
„Wo willst du hin? Ich hab´s nicht so gemeint, Bella, tut mir leid. Ich bin manchmal halt einfach ein tierischer Hornochse.“
„Ja, das bist du, Jacob Black. Aber keine Angst, ich hab nicht vor mich allein durch die Wildnis zu schlagen. Ich muss lediglich kurz austreten.“
Er nickte.
„Geh nicht zu weit weg, ja? Ich will nicht, dass dir etwas passiert und hier laufen eine Menge wilder Tiere rum.“
„Hast du es noch nicht gemerkt? Ich bin nicht so schnell klein zu kriegen, wie ihr alle immer denkt. Ich lauf mit Vampiren und Werwölfen herum, da wird ein Grizzly oder ein Puma doch ein Klacks für mich sein.“
„Ich werd dich daran erinnern, wenn dich ein Puma überrascht und du verzweifelt um meine Hilfe bittest.“
„Diese Worte, mein Lieber, würdest du nicht einmal in einem Paralleluniversum von mir hören.“
sagte ich schnippisch und schlug mich ins Unterholz.
Ich erledigte, was ich zu erledigen hatte und insgeheim wünschte ich mir beinahe, mir würde ein Grizzly begegnen. Ich hatte unwahrscheinlichen Hunger und ein Grizzly war eine sehr verlockende Mahlzeit. Ich war zwar in der Lage normales Essen zu mir zu nehmen und oft vergingen Wochen in denen ich mich von nichts anderem ernährte, aber ewig würde ich das nicht durchhalten können. Sobald ich Jake bei Edward abgeliefert hatte, so beschloß ich, würde ich in Argentinien erst einmal zu einer großen Jagd aufbrechen. Doch bis dahin musste ich mich mit Obst und verkohlten Würstchen begnügen.
Als ich wieder zurück kam, knabberte Jake mit spitzen Lippen an den verbrannten Würstchen und ich lachte über den Umstand, dass er so pikiert über das Essen war, wenn er als Wolf noch viel Schlimmeres fraß.
Er sah auf und legte den Spieß zur Seite.
„Ich glaube nicht, dass wir heute noch weiter gehen sollten. Es wird bald dunkel und damit steigt die Gefahr, dass du ohne Licht über eine Baumwurzel fällst.“ er grinste und ich schnitt ihm eine Grimasse.
„Ganz wie der große Häuptling, es für richtig hält.“ Ich kramte wieder den alten Pulli hervor, um ihn nahe eines Baumstammes beim Feuer auszubreiten und legte mich darauf.
Jake rollte sich neben mir zusammen und trotz der Entfernung zwischen uns, spürte ich die Wärme seines Körpers intensiver, als die des Feuers.
Am nächsten Morgen erwachte ich allein. Zusammengerollt wie ein Fötus im Mutterleib, mit den Armen um die angezogenen Beine geschlungen.
Das Feuer war zu einer schwelenden Glut verkommen und das bläuliche Grau um mich herum,
Jake hatte Körperkontakt gesucht, als wolle er trotz allem sicher gehen, dass ich nicht fror. Aber ich hatte seine Nähe nicht ertragen können. Ich fühlte mich bei den ganzen Lügen elend und ich wusste, dass dies nichts mit mir zu tun hatte, sondern mit ihm.
Irgendetwas an ihm bereitete mir bei jeder weiteren Lügen reißende Gewissensbisse. Ich griff nach einem Stück Rinde, das nicht halb so klamm war, wie die Äste, die er am Abend gesammelt hatte und warf es auf die Glut.
Ich musste die Kälte in meinen Knochen vertreiben, obwohl ich genau wusste, dass sie nicht vom Wetter um mich herum rührte, sondern tiefer ging.
Ich blinzelte durch den tiefhängenden Nebel und versuchte Jacob auszumachen. Sein Platz neben mir und dem Feuer war leer, aber diesesmal befürchtete ich nicht, dass etwas passiert war. Er würde schon wieder auftauchen.
Und das tat er einige Minuten später auch. Sein Haar war noch verstrubbelter als sonst und über seine Brust verlief ein breiter Streifen Blut. Der Geruch brachte mich dazu unwillkürlich Hunger zu verspüren. Ich wusste, dass es nicht sein Blut war, es roch zu sehr nach Tier.
„Guten Morgen“ murmelte er in meine Richtung und ich nickte ihm zu.
„Ich war jagen. Tut mir leid, aber das Essen gestern konnte mich nicht wirklich befriedigen.“
Ich erschrak.
„Ich dachte, du würdest dich nicht verwandeln? Wir wollten doch beide verhindern, dass Edward...“
„Keine Sorge, Bells.“ Er setzte sich wieder neben mich und fuhr sich durch das abstehende Haar. „Um diese Zeit schlafen die anderen wahrscheinlich noch und keiner wird als Wolf durch die Gegend rennen. Ich habe zumindest niemanden gehört und ich habe vermieden an dich zu denken. Auch wenn es mir schwer gefallen ist.“ gab er zu und der Geruch des Blutes, das an ihm klebte, wurde fast unerträglich.
„Du stinkst, Jake.“ sagte ich schnell und versuchte meinen Gesicht einen missfallenden Ausdruck zu verleihen, auch wenn dieser Geruch alles andere als widerwärtig war. Er war mehr als verlockend.
„Tut mir leid. Ich habe wohl ein wenig gekleckert beim Essen.“ er grinste entschuldigend und ich verdrehte die Augen.
„Du hast wirklich ein Bad nötig, Großer. Ich will nicht wissen, wann du dich das letzte Mal richtig gewaschen hast. Dein ganzes Gesicht steht förmlich vor Dreck.“ Ich fuhr mit dem Finger über seine Wange und zeigte ihm dann meine schmutzige Fingerkuppe, um meine Aussage zu unterstreichen.
Er zuckte jedoch lediglich mit den Schultern.
„Ich bin seit Wochen allein hier draußen und die meiste Zeit bin ich als Wolf unterwegs. Da steht Hygiene nicht unbedingt auf Platz 1 der wichtigen Dinge.“
„Ja aber jetzt läufst du als Mensch herum und du bist nicht mehr allein. Vielleicht ist es also jetzt an der Zeit deine Prioritäten zu überdenken? Zumal ich mich über etwas kaltes Wasser auch freuen würde. Die Nacht steckt mir noch ziemlich in den Knochen.“
„War dir sehr kalt?“ fragte er sofort besorgt, aber ich schüttelte den Kopf.
„Es ließ sich aushalten. Ich war froh, dass es nicht gestürmt hat.“
„Froh, weil du dich deswegen nicht an mich kuscheln musstest um nicht zu erfrieren?“
„Nein, wäre mir kalt gewesen, hätte ich das durchaus getan. Und jetzt lenk nicht vom Thema ab.“ schallt ich ihn grinsend und schubste ihn leicht, was ihn auch dazu brachte zu lachen.
„Hier in der Gegend wird es doch irgendwo einen Fluss oder kleinen See geben, zu dem wir gehen können, oder?“
Jacob seufzte.
„Ich bin nicht wirklich scharf drauf, jetzt in die eiskalten Fluten zu springen. Vor allem wenn ich es nicht als Wolf tun kann.“
„Tja.“ sagte ich und stand auf um das Feuer, das ich eigentlich gerade eben erst geschürt hatte, zu löschen und nach dem Rucksack zu greifen.
„Und ich bin nicht scharf drauf, mit einem stinkenden, dreckigen Jake durch die Gegend zu laufen. Also, keine Müdigkeit vorschützen. Ich trockne dich nachher auch ab.“
„Versprochen?“
„Versprochen!“
Er nahm mir den Rucksack wieder ab und ich wollte, wie schon am gestrigen Abend, seinen Schritten folgen. Doch unvermittelt und als geschehe es ganz unbewusst, legte sich seine Hand um meine. Ich musste lächeln, entzog mich ihm nicht, sondern genoss es neben und nicht hinter ihm gehen zu können. Es erinnerte mich an die vielen unbeholfenen Versuche junger Männer, im Kino bei einem vorgetäuschten Gähnen, die Herzensdame zu umarmen.
Ebenso unbeholfen hatte seine Geste gewirkt. Er hatte absichtlich nicht in meine Richtung geschaut, und getan als wäre es vollkommen selbstverständlich meine Hand zu halten.
Jacob Black war unheimlich niedlich.
Die Tatsache, dass ich, dass Bella ihm erlaubte ihre Hand zu halten, sorgte augenblicklich dafür, dass seine Laune sich hob. Er ging langsamer, als es nötig gewesen wäre und warf mit immer wieder verstohlene Blicke zu und wenn ich ihn dabei erwischte grinste er nur, wie ein Knabe im Kirchenchor, der so eben in die Kollekte gegriffen hatte. Ich konnte nicht anders, als dann ebenfalls zu lachen.
Und unweigerlich hob sich auch meine Laune. Wir brauchten nicht reden um einander zu verstehen.
Es würde ein schöner Tag werden. Der Schneefall hatte nachgelassen und eine helle Sonne schmolz hier und da die dichte Decke auf dem Boden.
Bald wateten wir mehr, als wir gingen durch den schlammigen Waldboden. Als ich mit einem Mal bis zum Knöchel absackte und mich erschrocken an Jakes Oberarm festklammerte, um nicht vollkommen ins Straucheln zu geraten, zog er mich eng an sich.
„Ich habe echt vergessen, mit wem ich hier unterwegs bin.“ grinste er und schon befand ich mich wieder auf seinen muskulösen Armen.
„Ach sei doch ehrlich, du bist doch froh einen Grund zu haben, mich zu tragen“ scherzte ich und kuschelte mich an ihn.
Er lachte und hielt es nicht für nötig, irgendetwas zu erwidern.
Wie schon am gestrigen Tag genoss ich es von ihm getragen zu werden. Ich fühlte mich so beschützt und geborgen und konnte einfach nicht genug von diesem Gefühl bekommen.
Viel zu schnell für meinen Geschmack, erreichten wir bald einen kleinen See, dessen Oberfläche glatt wie ein Spiegel vor uns lag.
Das Wasser war ruhig und klar und der Anblick machte einem sofort klar, dass es eiskalt sein musste. Am Ufer, das steil herab fiel, setzte Jacob mich wieder ab und ich nahm ihm den Rucksack von den Schultern. Etwas unschlüssig stand er nun da und schien über irgendetwas nachzudenken.
Ich sah ihn fragend an und verstand erst als seine Hände sich an den Bund seiner Shorts legten.
„Stört es dich, wenn ich...naja, du weißt schon.“
Ich meinte, einen rötlichen Schimmer auf seinen Wangen erkennen zu können und schüttelte dann den Kopf.
„Schon okay, ich schau nicht hin.“ Demonstrativ drehte ich ihm meinen Rücken zu und machte einige Schritte auf eine kleine Landzunge zu, die sich in den See hinein schlängelte.
Ich kniete mich hin und tauchte mit den Händen durch die glitzernde Oberfläche des Wasser und wusch mir das Gesicht, als ein leise platschendes Geräusch ertönte. Jake war also im Wasser.
Ich hob den Blick und drehte den Kopf, doch ich konnte ihn nirgendwo ausmachen. Leichte Wellen kräuselten sich von dem Punkt aus, wo er in den See gesprungen war und einige Sekunden später tauchte er genau vor mir auf. Eine leichte Gänsehaut zog sich über seine Schultern und seine Lippen bebten.
„Komm her.“ flüsterte ich leise und zog an dem Ärmel meines Pullis, tauchte ihn in das kalte Wasser und Jake kam mir ganz nah.
Vorsichtig begann ich den Schmutz von seinen Wangen zu waschen. Seine dunklen Augen waren fest in meine gerichtet und mein Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt.
Ich konnte nicht anders, als ihn anzusehen, seinen Blick zu erwidern und ich spürte das Kribbeln in meinem Bauch. Die Stille um uns war greifbar.
Ich spürte seinen Herzschlag und ungewollt passte sich der meine, dem seinen an. Sanft fuhr ich mit dem Ärmel über seine Stirn, die Schläfen und sein Kinn, als er plötzlich mein Handgelenk umfasste und mich mit einem sachten Ruck näher zu sich zog. Ich atmete erschrocken ein und konnte mich seiner Nähe nicht erwehren. Instinktiv näherten sich seine Lippen.
Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut und das Kribbeln wurde unerträglich. Alles in mir schrie danach, wegzulaufen und doch konnte ich mich nicht rühren.
Kurz bevor unsere Lippen sich berühren konnten, rutschte meine zweite Hand, auf die ich mich gestützt hatte, auf dem schlammigen Untergrund aus und ich schlug kopfüber durch den glänzenden Spiegel des Wassers.
Die eiskalten Wellen schlugen über mir zusammen und die Kälte presste alle Luft aus meinen Lungen. Wie tausend Nadeln stach es in meine Haut und automatisch versuchte ich mich wieder zurück an die Oberfläche zu kämpfen. Doch meine Glieder reagierten nicht auf mein Flehen.
Dann spürte ich Jacobs Hand, die sich um meinen Oberarm schloss und mich nach oben zog.
Obwohl es nur wenige Sekunden unter Wasser gewesen waren und ich ohne Probleme ein paar Minuten auf Luft verzichten konnte, rang ich nach Atem und klammerte mich an Jacob fest, als könne ich nicht schwimmen.
„Ich sollte endlich damit aufhören, dich küssen zu wollen.“ sagte er trocken und obwohl das Wasser nicht so tief war, dass ich nicht hätte stehen können, hielt ich mich weiter an ihm fest.
„Wäre ´ne prima Idee.“ zischte ich und ließ ihn nun doch los, um mich am glitschigen Ufer wieder aus dem Wasser zu ziehen.
Kaum, dass ich wieder an Land war, frischte der Wind auf und ich schlang die Arme um meinen Oberkörper, weil ich es sonst vor lauter Zittern wahrscheinlich nicht geschafft hätte, stehen zu bleiben.
Wütend stapfte ich in Richtung Wald zurück, nahm den Rucksack an mich und kramte nach dem alten Pullover. Ohne auf Jake zu achten, bibberte ich mich aus meinen nassen Sachen und schlüpfte in den Pulli, der nicht wirklich viel wärmer war. Er beeilte sich hinter mir her zu kommen und hüpfte auf einem Bein, um in seine Hosen zu kommen.
„Bella...warte! Es tut mir leid.“
„Halt den Rand.“ ich streckte meine Handfläche in seine Richtung. Ich wollte nichts hören.
Ich war nicht unbedingt wütend auf ihn. Aber ich war definitiv wütend auf mich, weil ich es beinahe hatte geschehen lassen, dass er mich küsste. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle gehabt und meine Rolle vergessen.
Ich schob es auf die Tatsache, dass mein letzter Kuss 150 Jahre her war. Die Lippen, die ihn mir gegeben hatten, waren kalt wie Eis gewesen.
Meine Hände fuhren in reibenden Bewegungen über meine Oberarme und meine Augen suchten gehetzt nach einem Weg, meiner Wut Ausdruck zu verleihen.
„Bella...du kannst nicht in den nassen Hosen bleiben. Ich weiß, du willst es nicht, aber ich muss dich aufwärmen, sonst wirst du dir noch eine Erkältung holen.“
„Ich scheiß auf ´ne verdammte Erkältung, Jake. Wage es dich jetzt bloß nicht, mich anzufassen!“
„Jetzt sei doch vernünftig. Wir haben kaum 10 Grad und das Wasser ist flüssiges Eis. Du bist vollkommen durchnässt.“ er machte einen unbeholfenen Schritt auf mich zu, doch ich wich vor ihm zurück.
„Du beginnst mich zu nerven. Ich werde schon nicht von ein wenig Kälte sterben.“ sagte ich kühl und Jake schnaubte. Ich spürte, wie die Wut auch in ihm keimte.
„Nein, du wirst wegen eines ganzes Mannes Kälte sterben.“ seine Stimme war ungezügelt und wollte mich mit Absicht reizen.
„Herrgott, Jake!“ Ich fuhr herum und starrte ihn zornig an.
„Kennst du keine andere Platte? Ich dachte, wir wären uns einig gewesen, wie wir unsere Zeit miteinander verbringen wollen. Erinnerst du dich noch? Jake und Bella?“
Er baute sich vor mir auf und seine Augen zogen sich zu Schlitzen.
„Das ist ein Witz! Wenn es wirklich nur uns beide gäbe, dann wären wir nicht hier und du würdest jeden meiner Küsse mit Hingabe erwidern. Dann wäre ICH dein Freund und du würdest MICH heiraten und nicht diesen dreckigen, kleinen....“
Ich unterbrach ihn harsch.
„Ich hab´s kapiert, okay? Ihr hasst Euch, schon verstanden. Aber du machst es nicht besser, wenn du dich aufführst, wie ein unmündiges Kind, dem ein anderer sein Förmchen geklaut hat. WENN es Edward nicht geben würde, ja vielleicht wäre ich dann mit dir zusammen. Aber diese Frage stellt sich nicht, denn Edward ist da und ich gehöre zu ihm.“ spie ich ihm förmlich entgegen.
„Großartig!“ er warf die Hände in die Luft und ich sah, wie sich sein Brustkorb heftig hob und senkte, während jeder seiner Muskeln bis zum Zerreissen gespannt war. Edward hatte mich dazu angehalten, dass egal was passierte, ich Jake unter keinen Umständen reizen sollte. Aber ich hatte mich so in Fahrt geschrien, dass es mir egal war, ob er sich verwandelte und ich dadurch verletzt würde. Oder schlimmer noch, der Plan dadurch scheiterte.
„Toll!“ antworte ich immer noch vollkommen in Rage und Jake machte einen Schritt von mir weg.
„Hör auf, Bella!“ ein weiterer Schritt folgte, den ich sofort mit einem eigenen wieder wett machte.
„Nein, lass uns das jetzt klären, ein für alle Male. Was willst du von mir hören? Was soll ich dir sagen? Dass ich Edward verlasse, um mit dir zusammen zu sein? Selbst wenn ich das wollte, würde das nicht klappen. Du würdest immer nur einen Teil von mir haben. Der Größere wäre immer bei ihm. Meinst du, es macht mir Spaß, dir das zu sagen? Glaubst du, ich ergötze mich an dem Leid, dass ich dir zufüge? Nein! Aber du zwingst mich immer wieder dazu, weil du mich bedrängst, obwohl du die Wahrheit kennst. Du bist absolut lernresistent!“
Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er machte einen weiteren Schritt von mir weg.
„Ich bin verliebt, verdammt nochmal. Willst du mir das zum Vorwurf machen? Und solange ich noch kämpfen kann, werde ich kämpfen.“
Ich rollte mit den Augen. So ein Sturkopf.
„Du wirst verlieren, Jake. Du hast bereits verloren. Warum gibst du nicht endlich auf?“
„Weil ich nicht aufgeben kann, was ein Teil von mir ist.“ An seiner Haltung und den zusammengebissenen Zähne, merkte ich wie er am Rand seiner Kontrolle stand und nur noch ein keiner Schubs fehlte, ihn darüber zu tragen.
„Nicht jede Kapitulation ist eine Niederlage, Jake. Du gehst daran kaputt und am ende wird nichts mehr von dir übrig sein. Werd erwachsen und stell dich den Tatsachen.“
„Ich kann nicht! Ich kann es nicht, Bella. Wann wirst du das verstehen? Ich kann die Wahrheit nicht aufgeben. Ich kann dich nicht aufgeben. Ich weiß, dass du mich liebst und...“
mit einem Mal sah ich das Glitzern in seinen Augen und seine Stimme, die mitten in seinen Worten brach. Als hätte jemand die Luft aus einem Ballon gelassen, verschwand meine Wut auf ihn und ich sah trotz der körperlichen Stärke, einen vollkommen verwirrten und verletzten Menschen vor mir.
Er biss sich auf die Unterlippe, in dem verzweifelten Versuch, die Tränen zurückzuhalten. Er wand den Blick. Er wollte nicht, dass ich sah, wie nah er am Zusammenbruch stand.
Mit einem Mal war alles egal. Es war egal, wie sehr er mich nervte. Es war egal, ob ich Bellas Rolle spielte oder nicht. Und es war egal, ob ich mich verriet.
Ich verstand sein Leid, fühlte es mit enervierender Kraft in meinen eigenen Adern pulsieren. Ich wusste, dass sein Herz nicht Mehr war, als ein einziger Scherbenhaufen. Genau wie meines.
Ich hob die Hand und machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. Er zuckte zurück, als hätte er Angst ich wolle ihm körperlich schaden. Doch ich ignorierte es und umarmte ihn.
Es schien ihm unangenehm. Er wollte mir gegenüber nicht schwach erscheinen und für einen Moment, wehrte er sich gegen meine Nähe. Doch ich hielt ihn fest. Fest an mich gedrängt, ungeachtet dessen, dass es meiner übernatürlichen Kräfte bedurfte, ihn zu halten. Er wurde es sicher nicht bemerken. Nicht in dem Zustand, den er gerade durchlitt.
Als ich endlich spürte, wie er sich in meinen Armen entspannte, seufzte ich erleichtert auf und streichelte sanft über seinen Rücken.
„Alles wird wieder gut.“ flüsterte ich weich an seinem Ohr und mit einem Mal, schlangen sich seine Arme um meine Mitte und er klammerte sich an mich, wie ein Sterbender ans Leben.
„Warum tust du das?“ flüsterte er leise in mein nasses Haar und seine raue Stimme schaffte es ein weiteres Mal, mir eine Gänsehaut zu bescheren.
„Was tue ich?“ fragte ich ebenso leise zurück.
„Jedes Mal, wenn ich kurz davor bin, zu ertrinken und aufzugeben, belebst du mich wieder.“
„Vielleicht...“ murmelte ich „kann ich dich ebenso wenig aufgeben, wie du mich.“
Ich streichelte seinen Nacken und verbarg mein Gesicht in seiner Halsbeuge.
Wir standen eine Weile still und in den Armen des Anderen am Ufer und verziehen uns stumm jedes vorangegangene Wort.
Erst nach einer langen Weile, zog sich Jake sanft von mir zurück und versuchte ein eher missglücktes Lächeln.
„Wow...das war ein echter Tattoomoment.“
Ich sah ihn nur fragend an.
„Tattoomoment?“
„Ja, der ging unter die Haut.“ jetzt grinste er und das Leuchten kehrte zurück in seine Augen.
Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
„Du bist wirklich verrückt, Jacob Black.“
Er nickte.
„Ich hab sogar einen Attest vom Arzt. Hab ich nur leider gerade nicht dabei.“
Ich schlug ihm leicht gegen die Brust.
„Lass die Scherze. Das nimmt einem ja völlig die depressive Stimmung.“ scherzte ich und er nahm meine Hand.
„Du bist immer noch eiskalt, Bella. So hältst du die Nacht hier draußen nicht durch. Ich sollte dich schnellstens in eine Stadt bringen. Du brauchst eine heiße Dusche, trockene Sachen und ein warmes Bett.“
Ich schloss verträumt die Augen. Eine heiße Dusche, wäre jetzt wirklich nicht das Unangenehmste, was ich mir vorstellen konnte.
„Das wäre zu verlockend. Aber ich glaube kaum, dass wir es heute noch schaffen, eine Stadt zu erreichen.“ sagte ich mutlos, aber Jake lachte nur.
„Ich kenn da eine kleine Abkürzung. Vertrau mir.“
Er streckte seine Hand nach mir aus und ich vertraute ihm.
Jakes Abkürzung bestand im Wesentlichen erst einmal darin, gefühlte 10 Kilometer in die falsche Richtung zu laufen. Zumindest meiner Meinung nach.
Er hatte während des gesamten Weges seinen Arm um meine Schulter gelegt und ich lief eng an ihn gedrängt neben ihm her. Die Wärme seines Körpers tat gut, doch meine Hosen und vor allem die Schuhe hatten immer noch eine gewisse Nässe in sich.
Meine Schuhe glucksten immer noch bei jedem Schritt, da sich die Sohlen wie ein Schwamm mit dem Wasser vollgesogen hatten und der Gedanke, dass Jakes Abkürzung vielleicht doch eher ein Umweg war, tröstete mich nicht sonderlich.
Jake ging unheimlich liebevoll mit mir um. Alle tausend Meter blieb er stehen, um mir mit seinen großen, warmen Händen über den Rücken zu reiben. Er sorgte dafür, dass ich ausreichend trank und ein bisschen fühlte ich mich bemuttert.
Vor allem deswegen, weil mich die nasse Kleidung nicht wirklich störte. Sie war bei Weitem nicht angenehm, konnte mir letztlich jedoch nichts anhaben. Ich hütete mich jedoch irgendetwas davon zu sagen, denn insgeheim freute ich mich auf eine kleine Stadt und ein kuscheliges Bett.
Zudem war ich mir fast sicher, Jake zum Bleiben überreden zu können.
Ich glaubte nicht, dass er mich in einem Hotel absetzen würde, um dann wieder in den Wäldern zu verschwinden.
Ich redete mir ein, dass ich gute Chancen hatte ihn nach Forks zurückzubringen, wenn wir erst die Stadt erreichen würde. Und meinen Berechnungen nach, würde das wahrscheinlich erst in drei Wochen passieren.
Plötzlich blieb Jacob wieder stehen und wartete schon darauf, dass er mir erneut den Rücken rubbeln würde, aber nichts geschah. Fast ein wenig enttäuscht schaute ich ihn fragend an.
„Was?“
„Die Abkürzung.“ sein Finger zeigte nach vorn und ich blickte angestrengt durch die noch vor uns stehenden Bäume. Ich befreite mich von seinem Arm und machte einige Schritte nach vorn, um erkennen zu können, was er meinte.
Und dann sah ich es. Ich hätte einfach nur nach oben schauen müssen. Vor uns tat sich ein Felsmassiv auf, das fast senkrecht nach oben führte.
„Du hast nicht wirklich vor...“ ich schüttelte den Kopf. Nein, das war keine gute Idee. Wenn er alleine wäre....wenn ich alleine wäre. Aber zusammen, mit dem Umstand einen Menschen spielen zu müssen und einem überbeschützenden Wolf an meiner Seite, würden wir das niemals schaffen, ohne das der Plan oder sein Leben in Gefahr geriet.
„Direkt dahinter liegt Quesnel. Es gibt einen kleinen Pfad und wenn ich dich trage, dann...“
„Auf gar keinen Fall!“ ich schüttelte heftig den Kopf, den Blick immer noch auf den Felsen gerichtet.
„Warum nicht?“ Jacob trat neben mich und seine Augenbrauen hatten sich fragend zusammen gezogen.
„Wenn du mich trägst, Jake, kannst du dich nie im Leben auf deine eigenen Schritten konzentrieren und wir werden beide den freien Fall üben.“ ich musste ihn unbedingt von dieser Idee abbringen. Sämtliche Alarmglocken in mir schrillten und ich wollte keineswegs Schuld daran sein, dass ihm etwas passierte. Nicht, weil ich Edward versprochen hatte, Jacob heil zurück zu bringen, sondern weil der Gedanke, Jake könne etwas geschehen, unerträglich für mich war.
„Du unterschätzt mich immer noch, Bella. Ich bin geschickter, als mein Körperbau es dich vielleicht denken lässt. Ich dachte, du hättest das mittlerweile verstanden.“ verteidigte er seine Idee.
„Es geht nicht darum, dass ich es dir nicht zutraue. Ich weiß, wie agil und fähig du bist. Aber mit meinem zusätzlichen Gewicht, bist du eingeschränkt. Du könntest deine Arme nicht benutzen und deine Sicht wäre auch eingeschränkt.“
„Das schaff ich schon. Du bist ein Federgewicht und ich kenne den Pfad. Und wenn wir jetzt nicht noch drei Stunden diskutieren, dann haben wir den Aufstieg geschafft, bevor es beginnt zu dämmern.“
„Nein.“ sagte ich stur und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du wirst mich nicht dazu bringen, dein Leben aufs Spiel zu setzen.“
„Mein Leben? Selbst wenn ich fallen sollte, Bella, ich bin nicht so leicht kaputt zu kriegen. Willst du etwa alleine da rauf kraxeln? Bei deinem Drang, dich in Schwierigkeiten zu bringen, kann ich das nicht zulassen. Du wirst MICH nicht dazu bringen, DEIN Leben aufs Spiel zu setzen.“
Na, das konnte ja heiter werden.
„Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag. Du zeigst mir wo der Pfad beginnt und ich werde voran gehen. Sollte ich stolpern, bist du immer noch hinter mir und kannst das Schlimmste verhindern. Aber ich weigere mich, mich von dir tragen zu lassen.“ schlug ich ihm vor und Jake überlegte einen Moment, ob mein Vorschlag für ihn annehmbar war.
Er haderte mit sich, das sah ich deutlich in seinem Gesicht. Auf der einen Seite war sein Drang mich schnellstmöglich in die Zivilisation zu bringen, auf der anderen der Wunsch mich nicht in Gefahr zu bringen. Schließlich jedoch siegte der Drang.
„Okay, aber ich bin direkt hinter dir und du wirst auf mich hören, wenn ich es doch anders sehe. Ich will nicht, dass du dich leichtfertig an den Weg machst. Kann ich mich darauf verlassen?“
Ich nickte.
„Ja, das kannst du. Ich verspreche dir, dass ich vorsichtig sein werde, wenn du es auch bist.“
„Versprochen.“
Gut, dann konnte es also losgehen. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich mich dem Felsmassiv näherte und aufmerksam nach einem Pfad suchte. Jacob folgte mir, schnallte den Rucksack auf seinem Rücken noch etwas fester und deutete leicht nach links hinter einen kleinen Busch.
„Da geht’s rauf.“ Ich folgte seinem Fingerzeig und drückte den Busch leicht zur Seite. Aber was Jacob als Pfad bezeichnete, war nicht mehr, als ein von vielen Regenfällen ausgewaschener Rinnsal. Kaum breit genug, dass ich meine Füße neben einander hätte stellen können.
Vorsichtig setzte ich den ersten Fuß auf den den schmalen Grat nach oben und meine Hände griffen nach oben, auf der Suche nach Halt.
Glücklicherweise wuchsen links und rechts diverse Gräser, an denen ich mich hochziehen konnte und als ich den ersten Schritt erst einmal gemacht hatte, begradigte sich der Weg ein wenig und ich konnte auf dem ersten Absatz auf Jake warten.
Neidisch sah ich zu, wie er behände vom Boden absprang, seine Hand hervor schnellte und nach der Kante des Absatzes griff, auf dem ich stand. Ohne Mühe zog er sich nach oben und grinste mich verschmitzt an, als er neben mir zu stehen kam.
„Angeber.“ murrte ich leise und er grinste breit.
„Reines Können.“
„Ach halt den Schnabel, Jake.“ lachte ich leise und drehte mich wieder der Wand zu, um den nächsten Aufstieg zu begehen. Die zweite Felskante war für mich nicht zu erreichen.
Ich war als Bella einfach zu klein und selbst als ich kurz hochsprang, schaffte ich es nicht, mich an der Kante festzuhalten. Jake kicherte bei meinen erfolglosen Versuchen und erbarmte sich schließlich.
Er stellte sich ganz eng hinter mich. Seine Hände legten sich mit festem,warmen Griff um meine Taille und diese Berührung verursachte mir ein angenehmes Schaudern. Ohne Probleme hob er mich an und ich konnte mit beiden Händen auf den Sims fassen und mit seiner Hilfe zog ich mich nach oben. Dann kniete ich mich hin und wollte ihm mit ausgestrecktem Arm, Hilfe anbieten aber das schien ihn zu beleidigen.
Ebenso gekonnt, wie beim ersten Mal, brachte er seinen Körper neben mich und ich seufzte.
Zu gerne hätte ich das Grinsen aus seinem Gesicht verbannt, indem ich ihm zeigte, wozu ich wirklich in der Lage war. Aber ich durfte nicht, was mich ein klein wenig grämte.
Schnell gewannen wir an Höhe.
Während Jacob jede weitere Stufe mit Bravour und Leichtigkeit nahm, tat ich mich stellenweise schwer.
Gefesselt an Bellas Körper, musste ich mich den Grenzen ihrer Menschlichkeit leben und ich konnte wieder einmal verstehen, warum Bella so sehr an der Verwandlung festhielt. Abgesehen davon, dass es ihr sicher auch darum ging, die Ewigkeit an Edwards Seite zu verbringen, war ich überzeugt, dass es sie ziemlich nerven musste, als Mensch zwischen all dem Übermenschlichen zu bestehen. Es musste zum Kotzen sein, immer zurückzustehen und stets das schwächste Glied in der Kette zu sein. Wir waren nun nur noch knappe 20 Meter vom höchsten Punkt des Massivs entfernt und hinter uns versank langsam die Sonne in orangefarbenen Tönen am Horizont.
Den Abstieg würden wir also im Dunkeln machen müssen. Ich bereute bereits jetzt, dass ich mich von Jacob hierzu hatte überreden lassen. Meine Hosen waren mittlerweile wieder trocken, wenn auch eiskalt, aber das würde ich wahrscheinlich besser überstehen, als diese Kletterei.
Je weiter wir nach oben kamen, desto steiler wurde der Fels. Vegetation fehlte völlig und die Felskanten, an denen wir uns hochzogen, wurden immer schmaler.
Ich hatte mich mittlerweile auf den vorletzten Vorsprung gerettet und Jake zog sich soeben neben mich. Skeptisch blickte er nach oben.
„Ich glaube, hier sollte ich vorgehen. Ich kann dich dann raufziehen. Alleine schaffst du es glaub ich nicht. Deine Arme müssen ja schon vollkommen ausgeleiert sein.“
Ich fühlte mich nicht ausgeleiert. Aber aus seiner Sicht machte es bestimmt Sinn und ich wollte nun auch nicht lange mit ihm diskutieren. Also nickte ich und drückte mich eng an die Felswand, damit er genug Platz hatte, den letzten großen Akt hinter sich zu bringen.
Selbst Jake, der einen guten Kopf größer war als ich, konnte mit ausgestreckten Fingerspitzen den Sims nicht erreichen.
Also ging er in die Knie, um in die Höhe zu springen, wie er es weiter unten bereits schon einmal getan hatte. Doch als seine Finger sich nun auf die Kante legten, brach diese unter dem Gewicht Jakes einfach ab, als sei sie nicht aus Stein, sondern aus losem Sand.
Kleine Steinchen regneten auf mich herab.
Jake verlor das Gleichgewicht und seine Füße verpassten bei der Landung den sicheren Untergrund nur um Zentimeter.
Ich sah ihn fallen, als würde alles in Zeitlupe geschehen. Für einen Moment war ich zu Eis erstarrt, nicht fähig auch nur einen Muskel zu bewegen. Doch dann erwachte ich aus meiner Starre, hechtete vorwärts und konnte grade noch seine Hand erreichen, an der ich ihn eisern festhielt.
Ich hatte nicht überlegt, ob es mich verraten würde.
Hatte nicht darauf geachtet, ob die Schnelligkeit die ich an den Tag legte, ihm zeigte, dass ich nicht war, für wen ich mich ausgab.
Doch darum ging es jetzt nicht. Bella hätte es niemals geschafft so schnell zu sein und wahrscheinlich hätte sie auch nicht die Kraft, Jake zu halten. Ich schon, also was sollte das Ganze?
Ich lag bäuchlings auf dem kleinen Plateau und hatte beide Hände fest um Jacobs Handgelenk gelegt.
„Jake? Geht’s dir gut?“ Ich lugte vorsichtig über den Abgrund und sah Jake in der Luft baumeln. Sein Gesicht war aschfahl, doch er versuchte bereits mit der zweiten Hand wieder Halt zu bekommen.
„Ja, es geht schon. Lass mich nicht los, hörst du?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, ich lass dich nicht los.“
Nach einigen erfolglosen Versuchen schaffte Jake es endlich, sich zu mir hochzuziehen und ich ließ zitternd sein Handgelenk los, rutschte eng an die Felswand zurück und versuchte meinen Atem zu beruhigen. Jake stand mit ausdruckslosem Gesicht vor mir und wusste selbst anscheinend nicht, was ihm gerade passiert war. Ich senkte den Blick, schlang die Arme um die angezogenen Knie und wartete darauf, dass er erkennen würde, dass das was soeben passiert war, Bella niemals möglich gewesen wäre.
Doch er sagte nichts, bewegte sich nicht und ich wurde immer nervöser.
Schließlich hob er den Blick und fixierte mich damit, so dass ich das Gefühl nicht los wurde, er würde direkt hinter meine Fassade blicken.
„Danke.“ sagte er leise „Ich glaub, du hast mir grade das Leben gerettet.“als könne er es immer noch nicht fassen, dass ihm passiert war, was er eigentlich mir vorhergesagt hatte, kniete er sich neben mich und zog mich in eine lange Umarmung.
Ich war vollkommen perplex. Ich war mir so sicher gewesen, dass nun alles vorbei war. Doch wenn Jake Zweifel hatte, so zeigte er sie nicht. Er ließ sich nichts anmerken, vielleicht saß der Schock noch zu tief und es würde Zeit brauchen, bis er begriff, was wirklich passiert war. Und damit meinte ich nicht seinen Sturz.
Bevor wir erneut anfingen zu klettern, machten wir eine kleine Pause. Jake setzte sich neben mich und wir schauten der Sonne zu, wie sie gleißend hinter den Wäldern versank. Der Ausblick war fantastisch, aber ich war mit anderen Dingen beschäftigt, als die Schönheit der Natur wahrzunehmen.
Plötzlich spürte ich seine Hand, die sich um die meine schloss und ich lächelte weich, als sein Daumen begann, meinen Handrücken zu streicheln.
Jake schien die Zeit zu benötigen, um sich wieder zu beruhigen und seine Sinne zu sammeln. Vielleicht war das der Grund, warum er sich nicht damit befasste, was ihm eigentlich ins Auge hätte springen sollen.
„Scheint, als ob deine Tollpatschigkeit auf mich abfärbt.“ sagte er schließlich leise und ich konnte den Anflug eines Lächelns auf seinen Zügen vernehmen.
Ich verzog mein Gesicht zu einem entschuldigenden Ausdruck.
„Tut mir leid.“
„Das muss es nicht, ohne dich wäre ich ganz schön tief abgestürzt. Vielleicht wäre ich nicht gestorben, aber ich bin mir sicher, dass es verdammt weh getan hätte.“
„Dann kannst du ja froh sein, dass mir soviel an dir liegt.“ scherzte ich nervös.
„Wie hast du das eigentlich gemacht?“
Da war sie. Die Frage, die jetzt alles kaputt machen konnte. Ich gab mir Mühe mein Gesicht so aussehen zu lassen, als habe ich nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach.
„Was meinst du?“
„Du musst unheimlich schnell gewesen sein und wow, du hast mich bestimmt ´ne ganze Minute gehalten. Das hätte ich dir niemals zugetraut.“
„Tja.“ sagte ich und stand auf, klopfte mir den Staub von der Hose und widmete mich wieder der Felswand.
„Da kannst du mal sehen, was so alles in mir steckt. Ich werde von dir und Edward so betüddelt, dass ich ja nie die Chance habe, zu zeigen was ich alles kann.“ bemühte ich mich zitternd glaubhaft zu versichern.
„Ach ja?“ Jacob sah mich eindringlich an und ich spürte, wie ich unter seinem Blick ganz klein wurde.
„Ja. Vielleicht habe ja nicht ich auf dich abgefärbt, sondern du auf mich. Zudem,...“ setzte ich fort. „...sollte ich etwa zusehen, wie du abstürzt? Das hat mir einen solchen Schrecken eingejagt, dass das Adrenalin in meinem Körper einfach den Rest erledigt hat.“
„Dann ein Hoch auf das Adrenalin.“ Jake schüttelte grinsend den Kopf, schien jedoch zunächst von meiner Erklärung überzeugt zu sein und trat hinter mich um mich erneut fest zu umfassen und in die Höhe zu heben.
Doch auch ich schaffte es nicht mich zum Gipfel hinaufzuziehen, da ich es einfach nicht schaffte, den Vorsprung zu erreichen. Jacob ließ mich wieder runter, nahm jedoch nicht die Hände von meiner Mitte.
Die Stellen, die er berührte, begannen angenehm zu kribbeln und sein Atem in meinem Nacken, verursachte mir Gänsehaut. Ich löste mich von ihm, denn jetzt brauchte ich alle meine Sinne. Ich wollte keinen weiteren Absturz provozieren.
Es fiel mir nicht leicht.
Mit jeder Berührung, die er mir zuteil werden ließ, wurde es schwerer für mich, wieder darauf zu verzichten.
„So kommen wir nicht weiter.“ stellte ich resigniert fest und Jake nickte zustimmend, bevor er seine Hände faltete um mir eine Räuberleiter zu machen.
„Ob das funktioniert?“ sagte ich skeptisch, stellte meinen Fuß jedoch trotzdem auf seine Handflächen und legte meine Hände auf seine Schultern.
„Bereit, wenn du es bist.“
Dann liftete er mich hoch und ich streckte mich, so lang ich konnte und schließlich fand ich Halt und erklomm als erste den Gipfel.
Schnell kniete ich mich hin und streckte meinen Arm erneut nach Jacob aus, um ihm zu helfen. Doch schon wie beim ersten Mal, hielt er offensichtlich nicht viel davon und sein zweiter Versuch begann ebenso wie der Erste.
Jake sprang hoch, bekam dieses Mal sicheren Halt zu fassen und kaum eine Sekunde später standen wir beide gemeinsam hoch oben, über den Wäldern des kanadischen Nationalparks. Ein kalter, klarer Wind empfing uns, doch der Ausblick, für den ich jetzt endlich die Zeit fand, war atemberaubend und lenkte sofort von der Kälte ab.
„Wenn ich das hier so sehe, kann ich beinahe verstehen, dass du nicht unbedingt zurück nach La Push willst.“ sagte ich leise und lenkte meinen Blick gen Himmel, an dem die ersten Sterne aufleuchteten.
Jake stellte sich neben mich und folgte meinem Blick nach oben.
„Naja, der Himmel ist wohl überall der gleiche oder?“
Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter und seufzte leise.
„Das ist er...ja. Willst du nicht doch wieder mit mir zurück kommen?“
„Schauen wir, Bella. Lass uns erstmal Quesnel erreichen und dann haben wir immer noch Zeit zu entscheiden, okay? Ich werde dich schon nicht allein im Regen stehen lassen. Ich werde sicher gehen, dass du heil nach Hause kommst. Und jetzt sollten wir weiter.“
Ich drehte mich um und sah mir den Abstieg genauer an. Er war bei Weitem nicht so steil, wie der Aufstieg. Der Pfad ließ sich wieder erkennen und zog sich ungefähr doppelt so lang nach unten, wie der Weg nach oben. Wir würden wesentlich weniger Gefahr laufen uns zu verletzen oder abzustürzen. Das beruhigte mich, auch wenn der Abstieg sehr viel länger dauern würde. In der Ferne machte ich bereits die wenigen Lichter der Stadt aus, die ebenfalls wie kleine Sterne funkelten. Und ich begann mich auf ein Bett, ein Badezimmer und etwas richtiges zu Essen zu freuen.
Wir erreichten Quesnel in den frühen Morgenstunden. Bereits vor einiger Zeit waren wir wieder auf eine richtige Straße gestoßen und hin und wieder kam uns sogar ein Auto entgegen.
Ich wollte, ehrlich gesagt, gar nicht wissen, was die Fahrer der Wagen über das komische Pärchen am Seitenrand dachten.
Wir mussten ein wirklich seltsames Bild abgeben. Zwei Teenager, die fast noch mitten in der Nacht über eine Landstraße schlenderten. Der eine ohne Hemd und Schuhe, mit vor Dreck starrenden Füssen und ein junges Mädchen, das nicht weniger mitgenommen aussah.
Die ersten Häuser ragten vor uns auf und ich spürte die leichte Schwankung in der Temperatur, als wir bewohntes Gebiet betraten.
Quesnel war ein kleines gemütliches Städtchen, das um diese Zeit kaum Leben in sich hatte. Aufgrund der vielen Souvenirgeschäfte vermutete ich, dass die meisten Einwohner ihre Einnahmen durch den Tourismus verdienten.
Allerdings glaubte ich nicht, dass diese Geschäfte viel abwarfen. Viele Gäste befanden sich bestimmt nur auf der Durchreise zur nächstgrößeren Stadt.
Jacob neben mir gähnte ausgelassen und kratzte sich am vorgestreckten Bauch, während er auf dem kiesigen Teer immer wieder hin und her hüpfte.
Im Wald mochte es auf nacktem Fuß recht angenehm gewesen sein, aber mit dem ganzen Splitt auf der Straße, ging Jake wie auf rohen Eiern.
Ich kicherte wegen seines seltsam anmutenden Tanzes, schlang einen Arm um seine Mitte und lehnte meinen Kopf an seinen Oberarm.
„Wir sollten dir heute im Laufe des Tages ein paar Schuhe besorgen. Das ist ja kaum mit anzusehen.“
„Keine schlechte Idee“ antwortete Jake und stützte sich auf mir ab, um einen Fuß zu heben und die Sohle von den vielen kleinen Steinchen zu befreien.
„Aber zuerst wäre ein Motel keine schlechte Idee, oder?“
Wieder nickte er und hob den anderen Fuß, um die dieselbe Prozedur noch einmal zu vollführen.
Ich reckte den Hals, um Ausschau nach einer Herberge zu halten und prompt legten sich meine Augen auf ein blinkendes „Super-8“-Leuchtschild. Eine bekannte Motelkette, von der ich wusste, dass die Zimmer recht annehmbar waren.
Als die Dusche nun in fast greifbare Nähe rückte, schnappte ich mir Jacobs Hand und zog ihn unbarmherzig weiter vorwärts, ungeachtet seiner unverhohlenen Quengelei.
Ich konnte ihn verstehen, er war müde. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen und die Tatsache, dass wir die Stadt erreicht hatten, nahm ihm nun jeden Grund weiter mit Argusaugen über mich zu wachen.
Eine Querstrasse weiter, drosselte ich das Tempo zu seinen Gunsten. Er trottete neben mir her und ich dachte mir, dass das weiche Bett in erster Linie ihm zu Gute kommen würde.
Als wir die Einfahrt zum Motel hinauf gingen, konnte ich unser Spiegelbild in der breiten Fensterfront der Rezeption sehen und bekam große Augen. Desolat beschrieb unseren Zustand nicht annähernd.
Vor allem Jakes halbnackte Gestalt würde wahrscheinlich unangenehme Fragen aufwerfen. Also ´parkte` ich ihn kurzerhand vor der Tür, nahm ihm den Rucksack ab, in dem ich ein dickes Bündel Bargeld mit mir führte und betrat den kleinen Anmelderaum.
Weit und breit war niemand zu sehen, also trat ich an die hölzerne Theke auf der, neben einem künstlichen Farn, eine kleine Handklingel stand. Ich betätigte sie und warf gleichzeitig einen Blick nach draußen, wo Jake gegen die Mauer gelehnt müde über seine Augen rieb.
Nach etwa einer Minute trat eine ältere Dame humpelnd hinter den Tresen und musterte mich mit neugierigen Augen.
„Guten Morgen.“ sagte ich höflich und bemühte mich um ein freundliches Lächeln.
„Morgen.“ erwiderte die Dame mit rauer Stimme und rückte sich ihre Brille zurecht.
Ihr Blick war forsch und ich fühlte mich unter ihrem Blick, wie unter den Augen eines ergrauten Falken.
„Ich hätte gern ein Zimmer.“ fuhr ich also fort, als sie nichts weiter sagte.
„Aha.“ murmelte sie und nahm sich das Belegungsbuch zur Hand.
„Sind sie allein?“ Ihr Blick ging nach draußen, wo er sich auf Jakes Silhouette legte und ihre Miene wurde recht verdrießlich.
„Nein.“ ich räusperte mich und schüttelte den Kopf.
„Also ein Doppelzimmer?“
Ich nickte.
„Wie lange?“ sie spulte ihre Fragen vollkommen mechanisch ab und ich trippelte nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Eine Nacht....bitte. Wenn es geht, vielleicht ein Zimmer mit Kochnische?“
„Das haben unsere Zimmer alle.“ Sie schniefte leicht und schob sich die dickrandige Brille in die graue Kurzhaarfrisur, bevor sie mich direkt ansah.
„Das macht dann 110 $, Liebes. Zahlbar sofort und zwar Cash.“
Ich nickte, griff in den Rucksack und legte ihr die gewünschte Summe auf den Tresen.
Sie zählte akribisch jede Dollarnote nach, bevor sie sich abwendete und mit langsamen Schritten zum Schlüsselbord ging und mir einen der dort hängenden Zimmerschlüssel aushändigte.
„Sie haben Zimmer 2012. Hinterer Teil, zweite Etage und dann links.“
Ich nahm nickend den Schlüssel entgegen und wollte mich schon zum Gehen wenden, als mir noch etwas einfiel und ich mich noch einmal umdrehte.
„Entschuldigen Sie. Gibt es hier in der Stadt irgendwo einen Autoverleih?“
Die ältliche Dame sah mich voller Skepsis an, dann nickte sie desinteressiert.
„Ja, Franks Werkstatt hat ein oder zwei Leihwagen. Die Werkstatt finden Sie am anderen Ende der Stadt, direkt an der Hauptstraße. Kann man gar nicht verfehlen.“
„Danke.“ Damit verließ ich die Rezeption und hielt Jake draußen triumphierend den Schlüssel vor die Nase.
Er lächelte müde und ich nahm wieder seine Hand. Sanft zog ich ihn mit mir zum hinteren Teil des Komplexes, die Treppen hinauf und hielt vor dem Zimmer mit der Nummer 2012.
Ich schloß die Tür auf, suchte nach dem Lichtschalter und betrat das kleine Apartment.
Es war angenehm groß, in der Mitte stand ein Kingsizebett auf dem eine etwas altmodische Tagesdecke lag. Die wenigen Möbel, ein Sofa, eine Tv-Bank und ein Sessel, hatten auch schon einmal modernere Zeiten gesehen, waren aber alles in allem in einem guten Zustand.
Zur rechten gab es eine kleine Kochnische, mit Mikrowelle, Spüle und Zweiplattenherd.
„Home Sweet Home.“ grinste ich, aber Jacob schaute kaum auf. Es schien ihm ziemlich egal zu sein, wie das Zimmer aussah.
„Leg dich hin, Jake. Du siehst aus, als...naja sagen wir einfach, du hast schon besser ausgesehen.“
Er schnitt eine Grimasse, ging aber zielstrebig aufs Bett zu, um sich einfach darauf fallen zu lassen. Mit dem Gesicht nach unten.
Ich sah ihm liebevoll hinterher und begab mich dann nach links, wo ich das Bad vermutete.
Ich lag richtig. Es war ein bisschen klein, verfügte jedoch über alles Wichtige.
„Ich geh dann duschen, Jake.“ rief ich aus dem Bad zurück in den Wohnraum und vernahm nur ein leise genuscheltes Gemurmel, dass wie ein Okay klang. Mit viel Fantasie.
Ich drehte das Wasser in der Duschkabine auf, das leicht sprotzend aus dem Duschkopf schoss und zog den Vorhang zu, bevor ich mich meiner Klamotten entledigte. Der Wasserdampf füllte bereits das ganze Badezimmer und schlug sich am Spiegel und den eierschalenfarbenen Dekorfliesen nieder. Die mich umfangende Wärme tat unheimlich gut und voller Vorfreude stieg ich in die Duschwanne.
Das heiße Wasser, das augenblicklich auf mich niederprasselte, entspannte meine Glieder augenblicklich und ich schloss die Augen, dieses Gefühl einfach genießend.
Ein leises Seufzen entrang sich meinen Lippen und ich lehnte die Stirn gegen die Fliesen, während ich das Wasser einfach meinen Rücken hinunter laufen ließ.
Es war weniger die Wärme, die ich vermisst hatte, als einfach das Gefühl von Sauberkeit und Entspannung, das eine Dusche einfach mit sich brachte.
Erst nach 5 oder 10 Minuten des Stillstehens, begann ich mir die Haare zu waschen und sorgsam auch den Rest meines Körpers, der mir immer noch fremd vorkam, obwohl ich bereits einige Tage mit ihm herumlief. Es tat gut den ganzen Dreck abzuwaschen, doch trotz allem konnte selbst der ganze, wohlriechende Schaum die Lügen nicht abwaschen, die diesen Körper und damit auch mich verfolgten.
Seit dem Moment, da ich Jacob das erste Mal gesehen hatte, war er mir sympathisch gewesen. Schon auf dem Bild, dass Edward mir gezeigt hatte. Und dieses Gefühl hatte sich in den letzten Tagen erweitert und vertieft.
Ich mochte ihn. Sehr sogar.
Und am liebsten wäre ich nun aus dem Badezimmer gestiefelt, hätte mich zu ihm ans Bett gesetzt und ihm alles erklärt. Ich wollte ihn um Verzeihung bitten und ihm sagen, dass ich das alles nicht getan hätte, wenn ich ihn gekannt hätte. Aber damit würde ich mich auch selbst belügen. Für Edward hätte ich alles getan, was in meiner Macht stand.
Zudem wusste ich, dass egal was ich sagen würde, egal wie er es letztendlich erfahren würde, er würde es erfahren und wenn es soweit wäre, würde ich nicht auf Verzeihung hoffen können.
Jacob Black würde mir nicht verzeihen. Ich wäre eine Fremde für ihn, engagiert von dem Mann, den er am meisten hasste, um ihm vorzuspielen, seine große Liebe zu sein.
Der Gedanke, dass unsere gemeinsame Zeit so bald enden würde und ich nicht darauf hoffen konnte, ihn ein weiteres Mal zu sehen, schnürte erneut meine Eingeweide zu einem kleinen Paket zusammen.
Trotz der Umstände, hatte ich die letzten Tage genossen, hatte mich annähernd wie ein Mensch gefühlt. Ein Mensch mit Freunden, ein Mensch der geliebt wurde und der liebenswert war. Ich hatte Sicherheit, Nähe und Geborgenheit empfinden dürfen, nach einer langen und entbehrungsreichen Zeit, und es hatte jemanden gegeben, der sich darüber freute, dass ich ihm dasselbe Gefühl vermittelte.
Doch bald würde ich wieder in einem Flugzeug sitzen, allein und ohne wirkliches Ziel, außer dem Land in das ich reiste und wieder würden alle Kontakte abbrechen. Ich würde verschwinden.
Wie ich unter der Oberfläche des Sees gestern verschwunden war. Es würde noch ein paar kleine Wellen geben, doch wenn der Schein sich wieder glatt zog, würde niemand wissen, dass ich allein in der Kälte harrte.
Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die nassen Haare und lehnte meine Stirn wieder gegen die kühlen Fliesen. Ich stand neben mir und ich versuchte die Fassung wieder zu finden, meine Gefühle für Jake in eine kleine abschließbare Box tief in mir zu vergraben und wieder das zu tun, wofür ich hier war. Ich drehte das Wasser auf eiskalt, um meine Sinne wieder zu wecken und mich zusammen zu nehmen. Langsam begann diese Schocktherapie zu wirken und ich fühlte mich wieder wach. Die Zweifel und Ängste in mir, schrumpften auf ein erträgliches Maß zusammen und ich stieg aus der Dusche.
Gewissenhaft trocknete ich mich ab, band einen Turban um meine nassen Haare und wischte den Wasserdampf vom Spiegel.
Die braunen Augen, die mir entgegen blickten, zwinkerten mir motivierend zu und ich suchte einen Moment nach dem Fön, bis ich ihn unter dem Spülbecken im Unterschrank fand.
Als meine Haare wieder trocken waren, sah ich zu meinen getragenen Sachen und mit einem leicht angeekelten Gefühl und spitzen Fingern stellte ich mich dem Umstand, dass das alles war, was ich zum Anziehen hatte.
Es fühlte sich widerwärtig an, frisch geduscht und duftend in mehrere Tage alte Klamotten zu steigen und ich beschloss, diese Tatsache alsbald zu ändern.
Als ich zurück in den Wohnraum kam, empfing mich Jakes sonores Schnarchen und ich musste unwillkürlich grinsen, als ich sah dass er immer noch mit dem Gesicht nach unten auf dem gemachten Bett lag.
Ich beschloß, ihn schlafen zu lassen, schrieb ihm eine kurze Nachricht und nahm dann den Rucksack an mich um das Zimmer auf leisen Füßen zu verlassen.
Die Luft war frisch und ein leichter Nieselregen brachten die immer noch leeren Straßen zum glänzen. Ich setzte die Kapuze meines Anoraks auf und begab mich zurück zur Hauptstraße. Die ersten Läden öffneten ihre Türen und die Angestellten brachten diverse Ständer vor ihre Läden auf die Straße.
Ohne Eile schlenderte ich zum nächstliegenden Geschäft und beäugte eine Weile die Auslagen. Es gab Postkarten mit Aufnahmen des Nationalsparks, Schlüsselanhänger und T-shirts mit dem Konterfei des Stadtmaskottchens, einem Schwarzbären namens Charlie.
Ohne groß darüber nachzudenken, kaufte ich eine der Postkarten und wusste selbst nicht wirklich warum.
Vielleicht wollte ich einfach eine Erinnerung mit mir nehmen, etwas dass auch in 50 Jahren noch als Beweis dienen konnte, dass dies hier alles wirklich geschehen war.
Dann zog es mich weiter zu einem Geschäft für Wanderausrüstungen.
Ich betrat den kleinen Raum, wobei ich überrascht war, wie gut sortiert die Regale waren. Es war eng und ich konnte mich kaum um die eigene Achse drehen.
Der jugendliche Verkäufer nickte mir lächelnd und freundlich zu und ich begann durch die diversen Waren zu stöbern.
Schnell fand ich eine karierte Bluse in meiner Größe, eine braune Trekkinghose und auch für Jake nahm ich ein weißes V-Neck-Shirt, eine schwarze Wanderhose und ein Holzfällerhemd aus dem Regal. Ich legte alles auf den Tresen um die Hände frei zu haben und betrat den hinteren Teil des Ladens in dem einige Wanderschuhe parat standen. Ich schätzte Jakes Schuhgröße und auf meinem Weg zurück zur Kasse, griff ich noch zu einer Packung warmer Socken.
Ich steckte alle Sachen in meinen Rucksack, nachdem ich sie bezahlt hatte und machte mich auf den Weg zum nahegelegenen Supermarkt, um einige Lebensmittel zu besorgen und nicht außer Acht zu lassen, frische Unterwäsche für mich und ein paar Boxershorts für Jake.
Die Vorfreude, bald saubere und frische Kleidung zu tragen beschwingte mich.
Ich pfiff ein leises Lied auf meinem Weg zu Franks Werkstatt, um mich zu erkundigen, ob und wann ich einen Leihwagen mieten konnte.
Als ich die Werkstatt erreichte, fielen mir sofort die zwei ordentlich gepflegten Audis auf dem Parkplatz auf und ich hoffte, dass diese als Leihwagen fungieren würden.
Ich ging auf das kleine Büro zu und ein dicker Mann mit schmierigen Fingern kam aus der daneben liegenden Werkstatt auf mich zu. Er lächelte freundlich und ich wartete bis er mich erreicht hatte.
„Sie sind Frank, nehme ich an?“
„Jawohl, Ma´am. Was darf ich für die hübsche Lady tun?“ er zog ein rotgepunktetes Stofftaschentuch aus seiner Hose und wischte sich die Finger daran ab.
„Ich brauche einen Leihwagen.“ sagte ich knapp.
„Ah, ich verstehe. Sie wollen den Nationalpark erkunden.“
„Nein.“ sagte ich schnell. „Den Nationalpark hab ich hinter mir. Ich habe meinen eigenen Wagen, dabei leider...nunja...sagen wir, mein Wagen ist nicht mehr fahrtüchtig und nun muss ich irgendwie nach Hause kommen.“
„Aha.“ sagte der dicke Frank und ich schenkte ihm ein hoffentlich freundliches Lächeln.
„Wie weit sind sie denn von zu Hause weg? Wissen Sie, ich verleihe meine Autos eigentlich nur Tageweise, für Erkundungstouren, verstehen Sie?“
Ich nickte. „Ich muss nach Forks in Washington, das sind schätzungsweise 550 Meilen.“
Franks Augen wurden groß und er schluckte.
„Das ist ne lange Strecke Lady. Das werden sie kaum an einem Tag schaffen.“
„Ich weiß, aber vielleicht sehen Sie irgendeine Möglichkeit, mir doch einen Wagen zu verschaffen. Meinetwegen kaufe ich Ihnen auch ein Modell ab, wenn Sie eins erübrigen können.“
„Hm.“ er überlegte einen Moment bevor er nickte und auf den Platz hinter der Werkstatt deutete.
„Vielleicht habe ich da wirklich etwas für Sie. Kommen Sie mal mit.“
Ich folgte Frank anstandslos bis in die hinterste Ecke des Geländes, auf dem ein wahrer Autofriedhof entstanden war und ich glaubte nicht, dass sich hier irgendetwas befinden würde, das sich fahren ließ.
Doch Frank überraschte mich als er vor einem zugedeckten Fahrzeug stehen blieb und mit glänzenden Augen, die Folie herunterzog.
Ein knall-oranger Monte Carlo, ein Schmuckstück sondergleichen strahlte mir entgegen.
„Ich wollte ihn eigentlich nicht unbedingt verkaufen, Miss, aber wenn eine junge Frau in Not ist...“
Er grinste verlegen und ich strich mit den Fingern vorsichtig über den funkelnden Lack.
„Ein 72iger Chevrolet Monte Carlo. Wow....“ ich war sprachlos. Lange hatte ich keinen dieser Wagen mehr in einem solch guten Zustand gesehen.
„Und wenn es dann noch eine junge Frau ist, die scheinbar Ahnung von Autos hat...“Frank klopfte aufs Dach und sah ihn fragend an, ob ich mich hineinsetzen durfte.
„Nur zu, Miss.“
Behutsam stieg ich in den Monte Carlo und roch das alte Leder, das an keiner Stelle brüchig zu sein schien und mir kam der Gedanke, dass es eine wirklich gute Idee sein würde ihn zu kaufen.
So wie Jake auf alte Autos stand, würde es meine Chancen erhöhen, ihn nach Hause zu bekommen, wenn er die Aussicht hatte solch ein Kleinod zu fahren.
Schnell wurde ich mir mit Frank über unseren Handel einig und voller Stolz versprach ich ihm, den Wagen erst morgen zu holen. Ich wollte Jake einfach damit überraschen.
Einige Tausende Dollar wechselten den Besitzer, ich erhielt die Schlüssel und machte mich prompt auf den Weg zurück zum Motel.
Mit leisen Schritten schlüpfte ich wieder ins Zimmer und wie ich es gedacht hatte, schlief Jake immer noch tief und fest. Was für ein Aufpasser, dachte ich im Stillen, hatte dann jedoch Nachsicht mit ihm, denn ich bewegte mich schneller und wesentlich ruhiger, als er es von Bella erwarten würde.
Ich wollte ihn nicht wecken, also schlich ich mich auf Engelsschwingen ins Bad, zog mich augenblicklich um und band mir die Haare ordentlich zurück.
Es war ein unheimlich befreiendes Gefühl und der Duft der frischen Kleidung war unwiderstehlich.
Danach machte ich mich daran, die Lebensmittel auszupacken und mit den Vorbereitungen fürs Kochen anzufangen. Es war zwar noch recht früh für das was ich geplant hatte, aber Tageszeiten und Zeit im Generellen hatten für mich und Jake ohnehin eine andere Bedeutung und ich war mir sicher, er würde ein anständiges Mahl auch jetzt schon zu schätzen wissen.
Als ich soweit alles verstaut hatte, legte ich mich vorsichtig neben Jake aufs Bett und strich ihm behutsam durch das dichte, schwarze Haar.
„Aufwachen mein kleiner Wolf.“ flüsterte ich leise und erntete nur knötterndes Missbehagen.
„Na komm schon, Großer. Ich hab dir frische Sachen besorgt und dazu noch eine Überraschung. Aber die gibt es nur, wenn du jetzt aufstehst und unter die Dusche gehst.“ sagte ich.
Jacob drehte sich auf die Seite und blinzelte mich aus einem verknautschten Gesicht an.
„5 Minuten?“ murmelte er.
Aber ich blieb hart und schüttelte lachend den Kopf.
„Nein, keine 5 Minuten. Steh schon auf.“ ich stieß ihn leicht an und hüpfte wieder vom Bett herunter.
Auch Jacob stand nun auf, gähnte ausgiebig und streckte sich, bevor er im Bad verschwand und ich einige Minuten später hörte ich die Dusche.
Ich hingegen machte mich daran mich mit der kleinen Küche vertraut zu machen, Kochgeschirr hervorzuholen und Kartoffeln zu schälen. Es war lange her, dass ich menschliches Essen selbst zubereitet hatte, aber ich schien es immer noch zu können und es machte mir immer noch Spaß.
„Wow, das riecht göttlich.“ hörte ich Jake plötzlich hinter mir und ich drehte mich zu ihm um.
Ich dachte augenblicklich dasselbe, meinte jedoch keineswegs das Essen in den Töpfen.
Jacob stand vorm Bett, lediglich ein Handtuch um die Hüften und einzelne Wassertropfen glänzten auf seiner kupfernen Brust. Ich biß mir verlegen auf die Unterlippe, während mein Blick jede Einzelheit seines Körpers in mir aufnahm, als hätte ich seine nackte Brust nie zuvor gesehen.
Sein Haar stand nass und sauber in kleinen Stacheln von seinem Kopf ab und der Geruch, den der verströmte, war der wirklich göttliche Duft.
Jacob bemerkte, dass ich ihn anstarrte und sein Grinsen wurde immer breiter.
„Besser als dein bleicher Vampir, he?“
Ich streckte ihm die Zunge raus und wandte mich wieder den Kartoffeln zu.
Jake durchwühlte die Taschen mit den Klamotten und verschwand wieder im Bad, während ich die frischen Steaks in die Pfanne haute.
Schließlich hatte ich Jake versprochen, dass er in den Genuss seiner Leibspeise kommen würde.
Als er wieder zurückkam, lud ich die Kartoffeln auf zwei Teller, legte die Steaks daneben und balancierte beide Teller zum kleinen Fernsehtisch. Ich holte Besteck und zwei Gläser und setzte mich dann auf die Couch.
„Wie schaut´s aus? Hunger?“ fragte ich und Jacob kam zurück aus dem Badezimmer.
Das mitgebrachte Hemd passte perfekt und auch die Hosen saßen wie angegossen.
„Tierisch. Ach und danke für das alles. Ich habe gar nicht bemerkt, dass du weg warst.“ er setzte sich neben mich und schenkte uns beiden Wasser in die Gläser.
„Du warst halt einfach müde und ich wollte dich keineswegs wecken. Also bin ich besonders vorsichtig und leise gewesen. Und jetzt...“ ich deutete auf die Teller. „...guten Appetit.“
Wie flüssiges Gold drangen einzelne Sonnenstrahlen als seidene Fäden durch die hohen Fenster und stahlen sich gekonnt an den Brokatvorhängen vorbei. Auf den hellen Marmorfliesen bildeten sie ein tanzendes Mosaik zwischen Licht und Schatten.
Mein Blick legte sich auf den weiten Flur, der vor mir lag und den ich in und auswendig kannte. Ich ließ mich für einen kurzen Moment von den flirrenden Staubpartikel in der Luft ablenken, an denen sich sich der Sonnenschein brach und sich glitzernd reflektierte.
Zu Hause.
Ein wunderbares Gefühl von Vorfreude, Sehnsucht und Zugehörigkeit strömte durch meine Adern. Langsam ging ich los, gefolgt von dem leisen, angenehmen Klappern meiner Absätze auf dem Naturstein unter mir. Mit jedem Schritt, den ich auf die große Tür am Ende des Ganges zu machte, wurde meine Vorfreude größer.
Mein Ziel lag eindeutig nur noch wenige Meter von mir entfernt und ich spürte, dass dort all mein Sehnen ein Ende haben würde. Meine Hände begannen zu zittern, mein Herzschlag wurde so stark, dass ich dachte meine Brust müsse schier zerbersten und ich spürte ein unverrückbares Lächeln auf meinen Lippen.
Mit angehaltenem Atem legten sich meine Finger auf die goldene Klinke, griffen fest zu und drehten den Knauf. Leise sprang das Schloß auf und die Tür schwang einen Spalt weit auf.
Ich straffte mich innerlich, fuhr mir mit den Fingern in einer unbeholfenen Geste durch das lange Haar und trat ein. Der große runde Raum lag vor mir, genau wie ich ihn in Erinnerung hatte.
Stuck-verzierte Wände, große Kronleuchter, schwere Webteppiche und nicht einziges Fenster.
Unbeschreiblich süßer Duft füllte meine Lungen und dann sah ich ihn.
So wunderschön, dass es in meinen Augen brannte. Schöner, als alles was ich in meinem Leben je gesehen hatte und so viel schöner, als meine Erinnerung es mir vorgetäuscht hatte.
Ihm gegenüber zu stehen war episch, unbeschreiblich und faszinierend zugleich.
Er stand vor mir wie aus Stein gemeißelt und seine roten Augen legten sich voller Zuneigung auf mein Gesicht.
„Caius!“ flüsterte ich atemlos und versuchte meinem Gesicht ein Strahlen zu geben, das in der Lage war, ihm gerecht zu werden.
„Alexis.“ antwortete er sanft und streckte seine blasse Hand nach mir aus, die ich augenblicklich ergriff. Er zog mich eng an seinen harten Körper und überall in mir begann es sofort zu kribbeln, als seien tausend Ameisen unter meine Haut gekrabbelt.
Ich blickte wie gefesselt in seine Augen und er legte seinen Zeigefinger unter mein Kinn, um es anzuheben und mich zu küssen.
Meine Knie wurden weich und hätte er mich nicht gehalten, wäre ich unter dem kalten Druck seiner Lippen einfach zu Boden geschmolzen.
Mit einem amüsierten Lächeln, genoss er seine Wirkung auf mich. Seine Hand griff nach einer meiner roten Locken und drehte sie zwischen den Fingern, bevor er mir über die Wange strich.
„Ich freue mich dich zu sehen und gleichzeitig erfüllt es mich mit unendlicher Trauer.“ sagte er sanft und löste sich von mir. Mein Blick folgte ihm, als sei er an ihm fest gekettet. Ich verstand seine Worte nicht, mich erfüllte nichts anderes als pure Freude, in seiner Nähe zu sein.
„Warum?“ fragte ich leise und war wie angewurzelt.
„Weil ich ab heute deiner Dienste nicht mehr bedarf, meine Schönheit. Du hast gute Arbeit geliefert, aber langsam werden manche Zirkel misstrauisch. Eine Assassine mit deinen Fähigkeiten ist nur so lange zu gebrauchen, wie man nichts von ihr weiß.“
„Was soll das heißen, Caius? Ich war nie unvorsichtig und ich habe mich immer an all deine Anweisungen gehalten.“ ich verstand einfach nicht, worauf er hinaus wollte.
„Nein, Alexis. Du warst weder unvorsichtig, noch hast du irgendeine meiner Anweisungen missachtet. Aber das Risiko wird uns zu groß, dass man deine Existenz früher oder später mitbekommen wird. Wir beenden es also nur, bevor es jemand anderes kann.“
„Beenden?“ ich machte einen Schritt zurück und fühlte, wie sämtliche Luft aus meinen Lungen einfach verschwand.
„Es tut mir leid, Alexis. Es ist eine wahre Schande und ich verschwende nur ungern ein Talent, wie das deine.“
Die Tür in meinem Rücken öffnete sich und Felix, Caius Handlanger und ein unwahrscheinlich starker Vampir, trat in den Raum und nahm mir damit jede Rückzugsmöglichkeit.
„Was willst du damit sagen, Caius? Wenn ich nicht mehr für dich...arbeite, dann kann ich doch trotzdem an deiner Seite bleiben.“ Felix Auftauchen verunsicherte mich zusehends.
„Ach mein Herz....“ Caius fixierte mich mit seinem Blick „...ich habe keinerlei Verwendung mehr für dich. Auch wenn ich mir die Zeit gerne noch mit mit dir versüßt hätte...Du weißt einfach zuviel.“
Mir wurde unglaublich übel. Alles um mich herum drehte sich in einer unaufhaltsamen Pirouette, machte alles klare Denken zunichte und ich fasste an meine Brust, als könne ich dadurch das Zersplittern im Inneren aufhalten.
„Aber...“ begann ich zu stammeln. „ Ich dachte, das mit uns....“
„War ein recht netter Zeitvertreib. Du hast mir manch Stunde angenehm gemacht. Das muss ich zugeben. Aber es bedeutet keineswegs, dass ich nicht auf dich verzichten kann.“
Sein soeben noch wunderschönes Gesicht, kam mir nun wie eine Fratze der Gleichgültigkeit vor.
Ich spürte Felix harten Griff auf meinen Schultern und der Druck zwang mich in die Knie. Doch der körperliche Schmerz, war nur eine fahle Kopie der Schmerzen in meiner Seele.
Dann verschwand das Bild vor meinen Augen und nahm alle Helligkeit mit sich.
Gleißende Blitze aus schmerzendem Rot durchzuckten alle Nerven, durchtrennten qualvoll die Stränge, die mich noch an die Vergangenheit banden.
Ich schrie. Schrie den Schmerz, die Pein und die Qual hinaus, bis mein Körper unter der Lautstärke zu kollabieren schien. Ich riss die Augen auf und für einen Moment hatte ich nicht die geringste Ahnung, wo ich mich befand.
Dann spürte ich warme, weiche Hände auf meinen Schultern, die so anders waren, als die kalten Hände aus Stein, die ich soeben noch gefühlt hatte.Trotzdem zuckte ich zusammen, als wäre die Berührung aus Säure, die sich in meine Haut ätzte.
„Bella! Es ist alles okay. Du hattest einen schlechten Traum.“
„Jake?“ ich zog die Augenbrauen zusammen, als wäre das kupferne Gesicht vor mir vollkommen fremd.
Mein Atem rasselte durch meinen Brustkorb und ich fühlte die Schweißperlen auf meiner Stirn. Erst langsam sickerte die Erkenntnis, wo ich war und warum, wieder in mein Bewusstsein. Ich erinnerte mich an den vorangegangenen Tag, den Jake und ich recht faul auf dem Sofa mit Fernsehen und Albernheiten verbracht hatten, bevor wir uns früh Schlafen gelegt hatten.
„Jake! Oh mein Gott, Jake!“ ich warf mich ihm entgegen, klammerte mich an seinen beruhigend samtenen Körper, als könne er alle schlechten Erinnerungen einfach aus meinen Gedanken brennen.
„Shht. Es ist nichts passiert. Ich bin hier, ich passe auf dich auf.“ Jacob streichelte samtweich über meinen Rücken und ich drängte mich eng an seine Brust.
Mein Schrei hatte ihn ebenso geweckt wie mich und er war von seinem Schlafplatz auf der Couch sofort zu mir gehechtet, um sich um mich zu kümmern.
Seine Nähe war wundervoll, sein Geruch wie ein Versprechen, das alles wieder gut werden würde. Doch ich wusste es besser.
Mein Ort der Sicherheit war ein Kartenhaus. Aufgebaut auf Lügen und in aller spätestens 24 Stunden, würde ein Orkan alle Karten zerstreuen.
Ich schluchzte und ich spürte Jacobs Hilflosigkeit. Es war nicht mehr der Traum, der mich in seinen kalten Fingern gefangen hielt, sondern das Wissen, dass beim nächsten Albtraum, kein Jake da sein würde, um mich zu trösten.
Wohl nicht wissend, was er sagen sollte, zog Jake mich noch enger an sich und ich krabbelte auf seinen Schoss, schlang die Arme um seinen Hals und benetzte seine nackte Brust mit meinen Tränen, die einfach nicht aufhören wollten, aus meinen Augen zu dringen.
„Shht.“ sagte er erneut und drückte mir einen Kuss aufs Haar. „Solange ich hier bin, wird dir nichts passieren. Ich lass nicht zu, dass dir etwas geschieht.“
Ich nickte an seiner Brust und krallte mich förmlich an seine Gestalt, die mir durch ihre bloße Anwesenheit, soviel Trost spendete.
Ich weinte, still und leise, während Jacob mich einfach nur festhielt und ich diese letzte Nacht nutzte, um meinen ganzen Schmerz von seiner Nähe heilen zu lassen.
Als ich mich langsam wieder beruhigte, rutschte Jacob ein Stück von mir weg.
„Komm, ich hol dir schnell ein Glas Wasser.“ Er schwang die Beine über den Rand des Bettes und fast panisch hielt ich ihn zurück.
„Nein! Bitte lass mich jetzt nicht los, Jake.“ Ich sah ihn aus großen Augen an und ich konnte die Qual, die mich nicht losließ auch in seinen Augen sehen.
Er nickte und rutschte wieder zurück ins Bett, lehnte sich an das Kopfteil und zog mich wieder auf seinen Schoss, wo ich mich in Fötusstellung klein machte und leise seufzte.
Er strich durch mein Haar und allmählich löste sich der Terror der in der Luft gelegen hatte.
„War ein schlimmer Alptraum, hm?“ fragte er mich sanft und ich nickte.
„Worum ging es?“
„Vampire...“ sagte ich schwach.
„Also wie immer.“ ich spürte den Anflug der Spitze in seinen Worten, wies ihn deswegen aber nicht zurecht. Ich konnte ihn ja verstehen und das Letzte, was ich jetzt wollte, war ihn zu vergrätzen.
Und der Traum hatte bereits allen Schrecken verloren, als er dem größeren, dem Schrecken Jake bald zu verlieren, gewichen war.
„Glaubst du, du könntest jemals mit einem Vampir befreundet sein? Jemand anderen als mir?“
Ich wusste nicht warum ich ihn das fragte, denn ich kannte die Antwort. Aber irgendetwas in mir war immer noch voller Hoffnung. Der Hoffnung, Jake nicht vollkommen aus meinen Leben streichen zu müssen. Der Hoffnung, dass es neben den Cullens noch einen Ort geben würde, an dem ich mich geborgen fühlen konnte.
„Mit einem Vampir?“ er schüttelte vehement den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Selbst nicht, wenns ein Vegetarier ist. Ich mein, Dr. Cullen ist nicht ganz so schlimm, wie der Rest deiner neuen „Familie“, aber auch mit ihm könnte ich niemals befreundet sein. Ich kann ihn ertragen, aber das war es auch schon.“
Ich hatte nichts anderes erwartet.
„Und wenn es nur ein halber Vampir wäre?“ Ich begann sacht seine Seiten zu streicheln.
„Ein halber Vampir?“
„Ja. Ich meine, wenn noch etwas menschliches in ihm wäre. Sein Herz schlagen würde und sein Geruch dir angenehm, statt unerträglich wäre. Seine Haut weich und warm wäre....“
„Gibt es sowas überhaupt?“
„Was, wenn es sowas gäbe?“
„Ich weiß nicht, ich glaube nicht, dass so ein Wesen überhaupt existieren könnte. Das Gift der Vampire nimmt alles Leben mit sich fort. Wie sollte sich jemand einen solchen Weg vorbehalten können?“
„Ich weiß nicht.“ antwortete ich und streckte mich auf dem großen Bett aus, während ich meinen Kopf auf Jakes Schoß bettete. „Es war nur so ein Gedanke. Nimm mich nicht ernst. Ich scheine noch ein wenig verwirrt zu sein.“
„Ohja, das glaube ich auch. Ein halber Vampir...pff. Ich weiß, dass es so etwas einfach nicht geben kann.“ er kicherte, so abwegig erschien ihm meine Vorstellung. Wenn er doch nur wüsste...
„Irgendwann gab es eine Zeit, da hast du auch gewusst, dass die Legenden deines Stammes eben nur das sind: Legenden. Und? Vor nicht allzu langer Zeit, haben die Menschen gewusst, dass die Erde eine Scheibe ist. Zwischen Himmel und Hölle gibt es soviel mehr, als wir immer zu wissen geglaubt haben. Ist es da nicht ein bisschen vermessen zu sagen, dass du weißt dass es ein solches Wesen nicht geben kann?“
Ich drehte mich auf den Rücken und sah ihn an. Die Straßenbeleuchtung draußen reichte aus, um einen orangen Schimmer ins Zimmer zu werfen.
„Glaube nichts von dem, was du hörst und nur die Hälfte von dem, was du siehst. Goldene Regel und ich halte mich daran. Solange ich so ein Ding nicht mit eigenen Augen gesehen habe, glaub ich auch nicht daran. Möge mich die Zeit, etwas anderes lehren und bis dahin, bleibe ich eben auf meinem Wissenstand stehen.“ er grinste und ich schüttete den Kopf. Ding...So wie er es gesagt hatte, riss es eine weitere Kerbe tief in meine Seele.
Er bemerkte, wie die gelöste Stimmung wieder an Härte zunahm und ich bei seinen Worten, mein Gesicht wieder zur Seite gedreht hatte. Ich wollte nicht, dass er sah, wie sehr seine Ansichten an mir nagten.
„Was ist los, Kleine? Da ist doch noch irgendwas. Du hättest es gern, oder?“
„Was?“ ich sah ihn an und verstand nicht wirklich worauf er hinaus wollte.
„Du hättest gern einen Weg, der dir erlaubt ein Vampir zu werden ohne dabei deine Menschlichkeit aufgeben zu müssen. Glaub mir, ich wünschte es gebe einen solchen Weg. Aber wenn du dich wirklich beißen lässt, Bella, dann wirst du sterben. Das Mädchen, das ich kenne, wird es nicht mehr geben. Das was du da grade tust, nennt man Wunschdenken.“ Auch seine Stimme war wieder ernst geworden.
„Woher willst du wissen, dass ich mich so sehr verändern werde? Äußerlich, ja, da gebe ich dir Recht, aber das heißt doch nicht, dass ich in mir drin nicht mehr dieselbe bin.“
Er schüttelte den Kopf.
„Ich bete jeden Tag dafür, dass ich dich nicht verliere und dass, wenn ich dich nicht davon abbringen kann, eine von Ihnen zu werden, ich dennoch einen Teil in dir sehen kann, der immer noch meine Bella ist. Aber seien wir doch ehrlich. Wir machen uns beide etwas vor, was nicht der Wahrheit entspricht. Und woher willst du wissen, dass du dich nicht verändern wirst? Du hast keinen Vampir gekannt, bevor er sich verwandelt hat. Wer sagt dir, dass Edward zum Beispiel schon als Mensch so ein Riesenarschloch war?“ er lachte kurz und verbittert auf.
„Jake, niemand sagt mir das, aber es sagt mir auch niemand das Gegenteil. Und das Riesenarschloch will ich jetzt einfach mal überhört haben.“
„Ja ist gut, ich werde mich zurückhalten. Auch wenn´s mir schwer fällt. Du hast keine Ahnung, wie schwer.“
„Doch ich glaube schon. Ich weiß, dass es schwer für dich ist. Und gerade deswegen forciere ich eine Verwandlung so sehr. Ich will nicht so egoistisch sein und dir immer wieder neue Hoffnung schenken, wenn ich weiß, dass es keine gibt. Eine Hochzeit wird dich nicht aufhalten, ebenso wenig wie meine Worte es können. Wenn ich eine von Ihnen bin, dann...“
„...dann denkst du, gebe ich auf?“ er sah mich entgeistert an und ich nickte.
„Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“
„Soll ich das jetzt etwa gnädig finden? Dass du so großzügig bist, auf mich zu verzichten und dein leben zu beenden, damit ich nicht mehr leiden muss?“
Ich hörte den Sarkasmus aus jedem seiner Worte tropfen.
„Sei nicht so ein Blödmann, Jake.“ schalt ich ihn. „Das hat nichts mit Großmut zu tun. Aber wenn wir schon so ehrlich sind, mit allem, dann gestehe mir das bitte auch zu.“
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte mit vorgeschobenen Lippen.
„Du denkst immer noch, das mir das alles nichts ausmacht, oder? Dass ich es genieße, ständig zwischen die Fronten zu geraten. Ich erblühe, wenn du über Edward schimpfst und umgekehrt. Lass mich dir sagen, ich hasse es. Ich hasse es dir wehzutun, wenn ich bei ihm bin und ich hasse es ebenso, ihn zu verletzen, wenn ich bei dir bin. Aber ich kann mich nicht zerteilen und ich kann keine Gefühle in mir zum klingen bringen, die nicht da sind.“
„Nicht da sind, dass ich nicht lache...“
Ich richtete mich auf und sah Jacob nun auf ungefährer Augenhöhe an.
„Dann hasse ich eben, dass ich die Gefühle nicht lauter klingen lassen kann, als die für Edward. Und ich hasse es, immer wieder dasselbe Gespräch zu führen.“
„Meinst du, mich kotzt das nicht an? Die Tatsachen, die Umstände, der ganze Scheiß? Ich will diese Gespräche auch nicht immer und immer wieder führen. Aber ich muss es tun, weil ich die Hoffnung habe, dass sie eines Tages anders enden werden.“
Ich seufzte. Ich wollte nicht streiten, nicht in unserer letzten gemeinsamen Nacht.
„Ich bin müde, Jacob.“ sagte ich leise und er machte Anstalten das Bett zu verlassen.
„Dann sollten wir wieder schlafen.“
Ich griff nach seiner Hand und hielt sie fest.
„Bleib...bitte. Ich bin nicht körperlich müde, aber geistig. Ich bin müde diese Diskussionen zu führen und ich bin müde, immer wieder gegen Wände zu rennen, die ich einfach nicht einreißen kann. Ich will nicht mehr mit dir streiten. Wir haben nur noch so wenig Zeit und ich will sie nicht damit vergeuden, über Dinge zu streiten, die wir beide nicht ändern können.“
Das was ich nun in Jacobs Augen sah, war eine Mischung aus Erleichterung, gemischt mit absoluter Verwunderung.
„Bella Swan will nicht mit mir streiten? Du bist echt merkwürdig, Kleine. Irgendetwas an dir ist so anders und ich kann einfach nicht meinen Finger darauf legen.“
Innerlich erstarrte ich zur Salzsäule, versuchte jedoch mir nichts anmerken zu lassen.
„Was meinst du?“ fragte ich, um Gelassenheit bemüht.
„Ich weiß nicht genau. Aber seit dem du im Wald aufgetaucht bist, verhältst du dich teilweise so ungewohnt.“ er machte es sich wieder vor dem Kopfteil bequem und wollte mich erneut zu sich ziehen, doch ich war zu alarmiert, um mich zu entspannen.
„Ungewohnt?“ hakte ich vorsichtig nach.
„Ja, du bist nur noch halb so streitlustig, wie ich es eigentlich von dir gewohnt bin. Du rastest nicht sofort aus, wenn ich Schwachsinn erzähle und du bist soviel nachsichtiger, wenn es darum geht, mit mir über das alles zu sprechen. Ich habe das Gefühl, die Zeit ohne mich, hat dich gelehrt mich besser zu verstehen. Und du suchst immer wieder meine Nähe, als könntest du deine Gefühle für mich nicht mehr so gut im Zaum halten.“ Er nahm mein Gesicht in seine Hände, strich mir die Haare hinter die Ohren und fuhr dann mit den Daumen über meine Brauen. „Du bist immer noch du, versteh mich nicht falsch, aber du bist so verändert.“
Ich leckte mir nervös über die Lippen. Seine Nähe verunsicherte mich fast noch mehr, als seine Worte.
„Ist das etwas Schlechtes?“ flüsterte ich atemlos.
Jacob lachte leise und schüttelte den Kopf.
„Nein. Ehrlich gesagt, wenn ich nicht schon bis über beide Ohren in dich verliebt wäre, so hätte ich mich spätestens in den letzten Tagen nicht mehr gegen deinen Bann wehren können.“
Ich schloß die Augen und atmete tief durch, während ich das Zittern meiner Hände bemerkte.
„Sag das nicht, Jake.“ ich senkte den Blick und faltete die Hände, um das Zittern zu kontrollieren.
„Warum nicht? Es ist die Wahrheit, Bella.“ er hob meinen Blick wieder in seine Augen.
„Können wir diese Unterhaltung auf ein anderes Mal verschieben? Ich glaube, ich würde gerne noch einmal versuchen ein bisschen zu schlafen.“ ich wand mich unter seinem Blick und fühlte mich nicht in der Lage, dieses Gespräch jetzt zu führen.
„Ist okay. Soll ich wieder zur Couch...?“
Ich schüttelte schnell den Kopf.
„Nein, bitte bleib bei mir. Es wird mir helfen, die Alpträume fern zu halten.“
Er nickte lächelnd.
„Du brauchst mich nicht zweimal darum bitten, die Nacht neben dir zu verbringen.“ grinste er, wofür ich ihm einen leichten Stoß in die Rippen gab.
„Ich spiel gerne deinen Traumfänger, wirklich. Ganz ohne Hintergedanken.“
Er drehte sich auf die Seite und ich löffelte mich an ihn, während er einen Arm um meine Mitte legte.
„Gute Nacht, Jake.“ flüsterte ich und spürte seinen Brust angenehm warm an meinem Rücken.
„Gute Nacht, Bella.“ flüsterte er zurück und drückte mir einen weichen Kuss auf den Hinterkopf.
Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, während er mein Haar küsste zerrte heftig an meinen Eingeweiden.
Es war, als hätte jemand einen ganzen Eimer Eis in meinem Bauch ausgeschüttet.
Ich wünschte mir insgeheim, dass er meinen Namen sagen würde. Dass seine Worte mir galten und nicht dem Mädchen, das ich mehr oder weniger unfreiwillig verkörperte.
Und während ich spürte, wie Jakes Atem immer gleichmäßiger ging und sich mein Herzschlag wieder einmal dem seinen anpasste, dämmerte es mir. Ich hatte mich in Jacob Black verliebt.
Ich schlief nicht. Während Jakes warmer Atem in absoluter Regelmäßigkeit meinen Nacken streichelte und seine Hand fest um die meine geschlossen war, tobte in meinem Inneren ein wahrer Sturm. Ich konnte nicht in Jake verliebt sein.
Das war unmöglich.
Ich focht einen Kampf zwischen Herz und Verstand und keine Erklärung schien mir zu abwegig, als dass ich sie nicht in Erwägung zog. Ich redete mir mit Sicherheit nur ein, romantische Gefühle für ihn zu haben.
Ja, das musste es sein. Eigentlich kein Wunder. Nach Dekaden der Einsamkeit, war er der Erste gewesen, der mir meine Einsamkeit genommen hatte. Der Erste und wohl auch Einzige, der sich mir gegenüber vollkommen aufrichtig und unbefangen zeigte und mir soviel Fürsorge entgegen brachte, dass ich mich nicht dagegen wehren konnte.
Und auch er war einsam, sehnte sich nach den selben Dingen wie ich. Ich projizierte etwas in ihn hinein, dass er nicht war. Wie alt war er? 17? Und wie alt war ich? Über 200 Jahre. Selbst unter anderen Umständen konnte so etwas nicht funktionieren. Aber es funktionierte bei Bella und Edward.
Es war nicht Jake nach dem ich mich sehnte, es war das Gefühl, dass er für Bella hegte.
Er war nur zur falschen Zeit, am falschen Ort gewesen.
Doch eine kleine Stimme in meinem Inneren, wurde nicht müde mir immer wieder zu sagen, dass es damit nichts zu tun hatte.
Ich wollte Jake. Nicht irgendwen, nicht einfach nur das Gefühl von Liebe, ich wollte seine Liebe.
Ich verstand mich selbst nicht mehr. Ich konnte mir einfach nicht erklären, warum ich mich auf diese Art und Weise zu ihm hingezogen fühlte.
Es war doch vollkommen absurd. Ich sollte mich in einen Menschen verliebt haben, dessen Bestimmung es war, Vampire zu jagen und schlussendlich auch zu töten. Und er würde für mich keine Ausnahme machen.
Egal, wie viel Menschliches noch in mir stecken mochte. Ich war der Feind, wenn nicht durch meine Rasse, dann aber durch meine Freundschaft zu Edward und dem unsäglichen Betrug, den ich an Jacob beging. Etwas, das ich nun nicht mehr rückgängig machen konnte. Er würde mir niemals verzeihen, dass ich in so sehr getäuscht hatte.
Mir kam in den Sinn, dass meine Gefühle ohnehin nicht auf etwas Wahrem basierten. Alles was er gesagt und getan hatte, waren nur ein Spiegel seiner Emotionen für Bella. Ich wusste nicht, wie er sich benommen hätte, wenn ich nicht Bella gewesen wäre.
Vielleicht würde ich ihn nicht halb so wundervoll finden, wenn er mir seine andere Seite gezeigt hätte. Vielleicht wäre ich derselben Meinung wie Edward. Leicht schüttelte ich den Kopf. Nein, auch das war nicht der Grund.
Tief in mir drinnen wusste ich, dass Jake etwas Besonderes war und er etwas in mir zum klingen gebracht hatte, das unabhängig von seinen Worten und Taten gewesen war.
Ich hätte ihn in jeder Situation kennenlernen können und das Ergebnis wäre das Gleiche gewesen.
Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, drehte ich mich zur Seite und mein Blick legte sich auf sein sanftes Gesicht.
Er war so anders, als das, was ich einst als liebenswert erachtet hatte.
Seine Haut dunkel und warm. Seine Augen braun, seine Züge von menschlicher Schönheit und sein ganzes Sein durchflutet von Leben. Nicht tot, nicht kalt. Nicht gleichgültig.
Was würde er wohl sagen, wenn er herausbekam, dass Edward und ich ihn getäuscht hatten?
Würde er mir noch eine Chance geben, mich zu erklären?
Würde er mir erlauben, mich ihm zu nähern? Ich konnte es mir nicht vorstellen und so sickerte die Erkenntnis, dass dies unsere letzten gemeinsamen Stunden sein würden langsam zu mir durch.
Und ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.
Der Wunsch, ihm die Wahrheit zu sagen wurde mit jeder Minute größer. Ich wollte nicht mehr so tun, als machte mir das alles nichts aus.
Auf der anderen Seite, wollte ich den Moment der Enthüllung so weit von mir schieben, wie es nur irgend möglich war.
Denn jede Sekunde früher, war eine Sekunde weniger mit Jacob.
Und als der Morgen sich still und heimlich ins Zimmer stahl und alles, was in der Nacht verborgen war wieder ins Licht holte, hatte ich immer noch keine Lösung für mein Dilemma gefunden.
Die Idee, einfach mit Jake abzuhauen, ihm zu sagen ich würde Edward verlassen und den Rest meines Lebens als Bella zu verbringen, hatte ich schnell wieder verworfen.
So verlockend dieser Einfall mir auch in der Nacht erschienen war, so wusste ich doch sofort, dass ich das Edward und auch Jacob nicht antun konnte.
Und die Idee, die jetzt in meinem Kopf herumspukte, war einfach nicht umzusetzen. Ich wäre am liebsten für die Ewigkeit hier liegen geblieben, mit Jakes Arm um meine Mitte und dem Blick auf sein schlafendes Gesicht gelegt.
Es wäre das Paradies. Aber so wie ich Jake kannte, würde er spätestens in 10 Minuten die Augen öffnen, sich an seinem Bauch kratzen und sogleich auf Nahrungssuche gehen. Und das wäre meine Vertreibung aus dem Garten Eden.
Das Licht zeichnete weiche Schatten auf Jacobs Gesicht und seine leicht knubbelige Nase, die ich trotz ihrer Unvollkommenheit oder auch gerade deswegen so niedlich fand, bewegte sich als schnuppere ihr Besitzer nach Frühstück. Seine Augenlider flatterten leicht und ich wusste, dass er jetzt aufwachen würde.
Ohne es bewusst zu planen, legte sich meine Hand auf seine Wange und streichelte über diese so warme und samtene Haut. Ich wollte dieses Gefühl in mir einschließen, auf das ich niemals vergessen würde, wie schön er sich anfühlte.
Als seine Augen sich langsam öffneten, verlor ich mich in diesem tiefen Braun, das schimmerte wie frisch polierter Bernstein.
Und im Gegensatz zu dem, was ich vermutet hatte, stand er nicht auf, gähnte nicht und vor allem kratzte er sich auch nicht an seinem Bauch. Er blickte mich einfach nur an. Tief, bedeutungsvoll und so intensiv, dass in meinen Eingeweiden eine ganze Armee von Schmetterlingen zum Start ansetzte.
Seine Hand hob sich, wie in Zeitlupe und legte sich auf meine Wange. Ich wurde also noch einen Moment länger in meinem Paradies geduldet und es war wundervoll.
Sein warmer Atem strich über meine Haut und unwillkürlich näherte sich mein Gesicht der Quelle dieses wunderbaren Duft, der ganz offensichtlich mein Verhängnis war.
Jacob schluckte und sein Gesicht näherte sich dem meinen ebenfalls, als sei es von unsichtbaren Fäden gezogen.
Jetzt wäre der Moment gewesen, mich zurückzuziehen, denn ich sah das Glitzern in seinen Augen und ich spürte, was unweigerlich passieren würde, wenn ich ihm nicht Einhalt gebieten würde.
Aber ich wollte es nicht.
Ich konnte es nicht. Alles in mir schrie danach ihn zu küssen, mich von ihm küssen zu lassen. Und der Stich, den mir das Wissen versetzte, dass er eigentlich Bella küssen wollte, wurde gekonnt von mir ignoriert.
150 Jahre ohne Zuneigung waren einfach mehr als ich ertragen konnte. Und jetzt da dieser göttliche Mann, mir seine Wärme schenken wollte, selbstlos und voller Liebe, wie sollte ich in der Lage sein, ihn davon abzubringen?
Ich war es nicht und so unternahm ich auch nichts, obwohl ich wusste, dass es mich nur noch weiter in Schwierigkeiten bringen würde.
Und dann berührten seine Lippen die meinen. Das Gefühl zu beschreiben, ist unmöglich. Wie beschreibt man Sterben? Wie Geboren werden? Und wie beschreibt man einen Moment, in dem beides zur gleichen Zeit geschieht? Er schmeckte unbeschreiblich, noch besser als er roch. Herb und würzig und gleichzeitig unglaublich süß. Er nahm mir den Atem, den Herzschlag, alles Denken und doch nahm er mich nicht, sondern gab sich selbst.
Ich erwiderte den Kuss mit aller Inbrunst. ICH küsste ihn, nicht Bella. Keine Fassade, kein Verstellen. In diesem Moment konnte und wollte ich ihn nicht täuschen. Für diesen Moment wollte ich, ich sein. Ich rutschte näher an ihn heran, schloß meine Arme um seinen Nacken, drängte mich ihm entgegen und er tat es mir gleich.
Ich fühlte seine Hände auf meiner Taille, entschlossen mich nicht los zu lassen und mit einem Mal spürte ich den Schmerz.
Den Schmerz darüber, dass es Jahrhunderte gedauerte hatte, bis ich den Menschen getroffen hatte, für den ich gemacht zu sein schien. Ich spürte die Qual, die es mir bereitete zu wissen, dass ich niemals zu ihm gehören würde und ich spürte Jacobs Leid. Ich verstand es. Ich fühlte wie es war, etwas zu wollen, das man niemals bekommen würde.
Ich wollte ihn und er wollte Bella. Wir würden beide verlieren. Aber diesen Kuss würde ich mitnehmen, ob er Bella galt oder nicht, er gehörte mir. Und niemand würde mir diese Zärtlichkeit jemals wieder wegnehmen können.
Jakes Hände streichelten über meinen Rücken und ich spürte, wie sehr er sich im Zaum hielt, den Kuss nicht einfach mit uns beiden davon jagen zu lassen.
Denn dann hätte er für Tage nicht geendet, oder was die wesentlich schlimmere Aussicht war, zu anderen Dingen geführt, die wir beide nicht geschehen lassen konnten. Es erschien mir wie eine Ewigkeit, bevor ich mich soweit wieder im Griff hatte, den Kuss sanft und langsam enden zu lassen.
Außer Atem und um Fassung bemüht, trennten sich unsere Lippen wieder und nur zaghaft öffnete ich die Augen, immer noch gefangen von seiner Nähe. Das schlechte Gewissen, das sich fast augenblicklich einstellte, weil ich es zugelassen hatte, uns beide so zu verletzen, versuchte ich mit aller Macht noch ein paar Minuten länger niederzukämpfen.
Als ich sah, dass in Jakes Augen nicht die erwartete Hoffnung stand, sondern eher Verwunderung und Unverständnis, verunsicherte dies auch mich.
Ich rieb mir über die Lippen, auf denen ich immer noch Jacob schmecken konnte und wusste nicht was ich sagen sollte, ob ich überhaupt etwas sagen sollte. Jedes Wort würde den Moment zwischen uns zerstören.
Doch als Jakes Gesicht immer blasser wurde, konnte ich nicht länger so tun, als sei dies alles ein wunderbarer Traum, der nie enden würde.
Ich hob die Hand und fuhr Jake durch das dichte, schwarze Haar.
„Was ist los, Jake?“ flüsterte ich leise und hörte die Besorgnis in meiner eigenen Stimme.
Seine Stirn zog sich in Falten und er nahm meine Hand in die Seine, drehte sie leicht und hauchte mir dann einen Kuss darauf.
„Nichts. Ich bin nur etwas...überrascht.“ antwortete er.
Doch ich sah, dass diese Worte nicht annähernd erklärten, wie er sich verhielt.
„Da ist doch noch mehr...“ sagte ich sanft und richtete mich im Bett auf, damit ich nicht in Versuchung kam, dort weiter zu machen, wo wir soeben aufgehört hatten.
Er lachte leise, atmete dann tief durch und das Lächeln, das er nun auf den Lippen trug, war nicht echt.
„Mir gehen gerade eine Menge Dinge durch den Kopf. Ich brauche wohl einen Moment, um sie zu sortieren.“ er stand auf und ging zur kleinen Kochnische hinüber, wo er sich ein Glas mit Wasser füllte. Ich sah ihm hinter her und war vollkommen überfordert.
Hatte ich bis jetzt nur geahnt, dass ich Edward diesen Gefallen nie hätte tun sollen, so wusste ich es jetzt mit Bestimmtheit.
Mit zittrigen Knien folgte ich ihm auf nackten Füssen und in dem schwarzen Shirt, das ich ihm gestern gekauft hatte und für die Nacht als Schlafanzug hatte nutzen dürfen.
Jake goß sich noch ein zweites Glas ein und ich stand hilflos hinter ihm, kaute auf meiner Lippe und befürchtete den Weltuntergang.
„Es tut mir leid.“ stotterte ich leise in seinem Rücken und schlang die Arme um meinen Körper, als mir langsam klar wurde, was ich getan hatte.
„Ich hätte nicht....ich sollte nicht...“
Jakes Gestalt spannte sich an und dann drehte er sich abrupt um. Ich fürchtete schon einen Wutausbruch, eine wahre Tirade an Beschimpfungen, wie ich es hatte geschehen lassen können, ihm erneut Hoffnungen zu machen.
Doch er trat nur schnell auf mich zu und legte seine Hände an meine Oberarme..
„Sag bitte nicht, dass es dir leid tut. Sag nicht, dass du es bereust. Tu das bitte, bitte nicht. Es war nicht falsch und das könnte es niemals sein. Bitte bereue es nicht. Es wird schon schwer genug für mich werden, nach allem was geschehen ist. Wenn du es auch noch bereust und es dir leid tut, dann bleibt mir nichts davon.“ er schüttelte mich leicht und ich konnte nicht anders, als stumm zu nicken.
„Gott!“ schrie er auf und ließ mich ebenso abrupt los, wie er mich angefasst hatte. Ich stand immer noch verängstigt da, während er die Hände in die Luft warf und unruhig vor mir her tigerte.
„Wie kannst du mich so küssen? Wie kannst du mich so küssen und mir dann sagen, dass deine Gefühle für mich nicht reichen? Wie kannst du nur...?“
Er hielt heftig atmend in seinem Schritt inne und fixierte mich mit seinen dunklen Augen.
Deutlich konnte ich die Wut und die Verzweiflung darin sehen und ich fühlte mich hundeelend.
„Es tut mir leid.“ hob ich erneut an.
„Es soll dir nicht leid tun, verdammt nochmal! Wenn es dir leid tut, dann strafst du diesen Kuss eine Lüge. Und das könnte ich nicht ertragen. Denn das, was wir soeben miteinander geteilt haben, war ehrlich. Es war genau das, was ich solange gehofft habe. Mein Gott, dieser Kuss war sogar ehrlicher und intensiver, als unser erster Kuss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du Edward ebenso küsst, wie du mich eben geküsst hast. Wie um alles in der Welt, soll ich jetzt noch glauben, dich gehen lassen zu können?“
Ich merkte die Spannung in seinem Körper, sah die geballten Fäuste und wie schwer sich sein Brustkorb unter seiner Atmung bewegte.
Was sollte ich sagen? Was konnte ich sagen? Nichts.
In meinem Kopf herrschte absolute Leere. Kein Satz, nicht einmal ein Wort ließ sich finden, das ihm erklären würde, was geschehen war.
Als sein Blick auf mir mittlerweile Tonnen wog, straffte ich mich und machte einen Schritt auf ihn zu. Vorsichtig legte ich meine Hände um seine und sah ihn mit gespielter Ruhe an.
„Hör mir zu, Jake.“ begann ich leise. „Ich weiß selbst nicht, was soeben in mich gefahren ist. Wir waren einander in den letzten Tagen so nahe und Edward so fern. Ich habe nie geleugnet, dass du der Mann an meiner Seite wärst, würde es Edward nicht geben. Und hier gibt es nur uns Beide. Jacob und Bella. Du weißt genau, dass ich tiefe Gefühle für dich habe und dieser Kuss war ein Ausdruck für diese Gefühle. Ich werde es nicht bereuen, aber es tut mir dennoch leid. Es tut mir leid, dass ich dich Glauben gemacht habe, dass dieser Kuss mehr bedeutet, als er es letztendlich tut.“ schloß ich ebenso sanft, wie ich begonnen hatte.
Jakes Gesicht litt unter Qualen, die ich ihm zugefügt hatte und allmählich erkannte ich den Weg, den ich einschlagen musste, als er erneut sprach.
„Bella. Dieser Kuss war, als ob...“
Ich unterbrach ihn harsch.
„Nein, Jake. Tu das nicht. Es war ein Kuss, mehr nicht. Ein Ausdruck meiner Gefühle für dich, für die Worte manches Mal nicht ausreichen. Aber er hatte nichts damit zu tun, dass meine Meinung sich geändert hat. Ich gehöre zu Edward! Und keine Macht der Welt, wird dies ändern können. Hast du dich nie gefragt, warum du dich nicht auf mich geprägt hast? Weil ich nicht die Eine für dich bin. Ich bin es nicht. Irgendwo da draußen, gibt es das Mädchen, dass dich jeden Tag so küssen wird, ohne dich dabei innerlich zu zerreißen. Es hätte ein `Uns` geben können....fast. Aber `fast´ zählt eben nicht Jake.“
Ich war nun mittlerweile ebenso aufgebracht, wie er.
„Ich werde nicht aufgeben, Bella. Ich hatte es nicht vor und jetzt erst recht nicht. Du kannst mir diese Dinge sagen und ich weiß doch, dass du lügst. Ich weiß nicht, wovor du Angst hast. Aber glaub mir, ich kann warten. Und ich werde herausfinden, was dich so ängstigt, dass du einfach nicht zulässt, was so richtig ist.“
Ich rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf.
„Du schadest dir nur selbst damit, Jacob. Ich habe keine Angst vor meinen Gefühlen zu dir. Ich bin mir ihrer sehr bewusst. Aber ich weiß auch, dass sie nicht ausreichen um auszuwischen, was ich mit Edward teile. Edward ist mein Seelenverwandter und du bist mein bester Freund. Schluß, aus, Ende.“
„So küsst man seinen besten Freund nicht, Bella und das weißt du, ebenso wie ich. Also hör auf, mir hier etwas vorzulügen. Ich weiß, was dieser Kuss zu bedeuten hat und egal was du sagst, du wirst es mir nicht ausreden.“
„Gut.“ ich zuckte belanglos mit den Schultern.
„Dann quäl dich weiter Jake, wenn es dir solche Freude macht. Bitte, ich werde dich nicht mehr davon abhalten. Ich werde tatenlos deinem Masochismus zusehen und kein Wort mehr dazu sagen. Du bist echt ein Idiot.“ wieder schüttelte ich den Kopf, als Zeichen, dass ich es einfach nicht begreifen konnte.
„Ich bin der Idiot?“ konterte Jacob direkt. „Wer wählt denn hier Tod über Leben? Falsch über Richtig? Das bin nicht ich, das bist du. Wenn sich hier jemand idiotisch anstellt, dann bist du das Bella.“
Ich machte ein sarkastisches Geräusch und konnte nicht begreifen, wie die Situation dermaßen aus dem Ruder hatte laufen können. War der Himmel grade eben noch voller Geigen gewesen, so war davon nun nichts mehr zu spüren.
Ich winkte ab und machte auf dem Absatz kehrt, griff Hose und Hemd und sammelte alle übrigen Dinge ebenfalls zusammen. Jacob folgte mir auf dem Fuß.
„Weißt du was, Jake?“ sagte ich atemlos, während ich weiter alles was mir gehörte in den Rucksack stopfte. „Jetzt bereue ich den Kuss wirklich? Aus tiefstem Herzen.“
Meine Worten waren wie Peitschenhiebe für ihn. Ich spürte es, ohne ihn zu sehen.
„Ich bereue, dass ich so unbedacht gehandelt habe. Und dass es so enden musste. Warum hast du den Kuss nicht einfach so genommen wie er gedacht war? Als Abschiedskuss. Als letztes Geschenk von mir an dich. Und als etwas, das ich von dir in mir einschließen wollte. Warum musst du mir das kaputt machen?“
„Ich dir etwas kaputt machen? Du machst dir doch selbst alles kaputt. Mit deinen falschen Entscheidungen.“ Er nahm mir den Rucksack aus der Hand und es wurde deutlich, dass die Diskussion für ihn noch lange nicht beendet war.
Ich blieb vor Wut rauchend stehen und drehte mich wieder zu ihm um. Ich wollte ihn anschreien, ihn dazu bringen, Bella zu hassen, auch wenn ich damit meine Kompetenzen deutlich überschritt. Aber Bella kannte ich nicht, ganz im Gegensatz zu Jacob.
Und ich wollte nicht mehr dass er leidet. Das Beste was ihm passieren konnte, war sich endgültig von ihr zu lösen. Sie zu vergessen und sich ein für alle Mal von ihr zu trennen. Und doch war mir bewusst, dass er es nicht schaffen würde. Er hatte sich dermaßen in die Vorstellung verrannt, dass all sein Glück nur von Bella abhing, dass es mehr bedurfte, als meine kläglichen Versuche, ihn wütend zu machen.
Ehrlich gesagt hatte ich mit dem Kuss das genaue Gegenteil verwirkt.
Er hatte mit jedem seiner Worte recht und ich wusste es. Das Problem an der Sache war, dass er zu vieles eben nicht wusste. Noch nicht. Doch als ich ihn jetzt ansah, verflog mein Zorn, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
„Ach, Jake. Ich hätte nicht herkommen solle. Es tut mir leid. Ich habe alles nur noch schlimmer gemacht. Ich hätte nicht so egoistisch sein dürfen, dich bei mir haben zu wollen, als du es selbst nicht gewollt hast. Das war gemein und unbedacht von mir und es tut mir wirklich leid. Und ich hätte dich nicht küssen dürfen. Es war einfach zu verlockend und vielleicht wollte ich mich auch einfach nur vergewissern, dass ich ich richtig entschieden habe. Dass keine offenen Fragen zurückbleiben. Glaube mir bitte, wenn ich dir sage, dass ich ein Leben mit dir in Betracht gezogen habe, aber auch wenn es dir nicht gefällt, hat mir der Kuss gezeigt, wo ich hingehöre. Vielleicht ist es besser, wenn ich allein zurück fahre und du dorthin gehst, wo immer du hingehen willst. Ich verspreche dir, dir die Zeit zu geben, die du brauchst. Ich werde solange warten.“
Jacob schluckte und schüttelte leicht den Kopf.
„Ich werd mit dir zurückgehen. Ich kann dich schießlich nicht mit Edward allein lassen, nicht nach diesem Kuss.“ Scheinbar hatte auch er sich beruhigt.
Ich lachte ob seiner Worte nur milde auf.
„Glaub mir, diesen Kuss wird er mir leichter verzeihen, als den ersten.“
Zwischen Jacob und mir herrschte Waffenstillstand. Leider war es nicht jener, den die Kontrahenten brauchten, um einen Friedensvertrag auszuhandeln.
Unsere Waffenruhe war eher davon geprägt, die Zeit zu nutzen, um sich für die finale Endschlacht zu rüsten. Jeder von uns war tief in den eigenen Gedanken versunken und keiner von uns brach die Stille.
Die einzige Waffe, die ich nicht aus der Hand gelegt hatte, war das Messer mit dem ich die dicke Luft schneiden konnte. Ungeduldig wartete ich darauf, dass die Uhr endlich 9 schlagen würde, denn würde Franks Werkstatt öffnen und mir damit ermöglichen mein Fluchtgefährt zu erreichen. Auf der einen Seite, war dies eine verlockende Aussicht, denn der alte Monte Carlo würde mich endlich aus dieser Situation herausbringen und zu Edward.
Diesem wollte ich einfach nur den Hals umdrehen. Ich war stinkwütend, obwohl ich irgendwie dennoch wusste, dass es nicht Edwards Schuld war. Aber was hatte er denn erwartet, wenn er zwei Personen, die nichts anderes als Liebe und Zuneigung wollten, zusammenbrachte? Das hatte er bei seinem detailreichen Plan leider nicht bedacht. Meine Schuld ihm gegenüber, hatte ich nun mehr als abgegolten.
Um kurz vor neun, stand ich vom Sofa auf, nahm den Rucksack an mich und blickte zu Jake, der auf dem Bett gelegen hatte und mich nicht aus den Augen ließ. Ich nickte kurz zur Tür und er verstand.
Er erhob sich vom Bett und folgte mir nicht nur wortlos zur Tür hinaus, sondern ebenso stumm über die Hauptstraße, bis hin zu der kleinen Werkstatt an deren Ende.
Als wir auf den Hof traten, begrüßte mich Frank mit einem breiten Lachen und er hob die schmutzigen Hände, die wohl nie wieder richtig sauber werden würde, zum Gruß.
Jacob, dem ich noch nicht erzählt hatte, dass ich einen Wagen gekauft hatte, um uns nach Hause zu bringen, verstand nicht im Geringsten was wir hier zu suchen hatten.
Als der dicke Inhaber uns immer näher kam und Anstalten machte, mich zu umarmen, knurrte Jake leise und stellte sich augenblicklich neben mich.
Ich musste unwillkürlich grinsen. Dass er einfach nicht in der Lage war, seinen Beschützerinstinkt mit gegenüber unter Kontrolle zu halten, selbst wenn keinerlei Gefahr für mich bestand, war einfach zu niedlich.
„Ruhig, Brauner.“ zischte ich leise aus dem Mundwinkel zu ihm herüber und ließ mich von Frank, der Jacob gekonnt ignorierte, umarmen.
„Guten Morgen, schöne Frau. Eine wundervolle Art den Tag mit ihrem Auftauchen zu beginnen.“ Er ließ mich los und sein Blick streifte nur knapp Jacobs Gestalt.
„Ich war so frei und hab den alten Knaben gestern noch ein wenig aufpoliert und das Öl gewechselt. Schließlich muss ich doch sicher gehen, dass er vollkommen rund läuft, wenn ich so ein zartes Wesen hinter das Steuer lasse.“
Ich lächelte geschmeichelt und nickte.
„Danke, das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Ich hoffe es hat Ihnen nicht zuviele Umstände gemacht?“
Frank winkte ab.
„Ach was, kleine Lady. Das ist doch schließlich mein Job. Kommen Sie. Der alte Knabe steht in der Garage und ist ganz ungeduldig wieder Asphalt unter den Hufen zu spüren.“
Ich sah Jakes fragenden Blick, kümmerte mich jedoch nicht weiter darum, sondern folgte Frank einfach in die Werkstatt.
Das Prunkstück stand glänzend und funkelnd direkt vor der großen Hebebühne und ich sah, wie Jakes Kinnlade nach unten klappte. Trotz aller Anspannung und abstruser Gedankengänge, konnte der Mechaniker in ihm, diesem Juwel einfach nicht widerstehen.
„Ist das ein 72er Monte Carlo? Ich hab noch nie einen in solch einem guten Zustand gesehen.“ Er machte fast ehrfürchtig einen Schritt auf das Gefährt zu und blickte voller Unglauben zu mir herüber.
„Jap, ist es und ich hab ihn gestern von Frank hier gekauft. Ich hab mir gedacht, wenn wir schon 12 Stunden in einem Auto sitzen müssen, dann doch wenigstens in einem mit Stil.“ antwortete ich und es freute mich, dass es doch noch möglich war, die Fronten zwischen uns ein wenig zu erweichen.
Es würde anstrengend genug werden in dieser Kälte, die zwischen uns herrschte, eingepfercht in einem Auto ohne Rückzugsmöglichkeiten, über zehn Stunden miteinander zu verbringen. Vielleicht würde ich es schaffen, Jake etwas gnädiger zu stimmen, wenn ich ihm erlaubte nicht nur in diesem Auto zu sitzen, sondern es sogar zu fahren.
Frank übergab mir Papiere und den Schlüssel und ohne große Worte, warf ich diesen Jake zu.
„Ich würde dich bitten, auch wenn Edward ihn indirekt bezahlt hat, pfleglich mit ihm umzugehen. Er kann ja nichts dafür und es wäre doch schade, wenn er dafür leiden müsste.“
„Denkst du, ich bin bescheuert? Ich werde diesem Schätzchen doch nichts antun. Vor allem nicht, wenn du auch darin sitzt. Hast du überhaupt die geringste Ahnung, was du hier gekauft hast?“ Voller Vorfreude ließ sich Jake auf den Fahrersitz gleiten und streichelte fast liebevoll das Armaturenbrett. Ich schüttelte lachend den Kopf, verabschiedete mich noch herzlich von Frank und stieg dann neben Jake ins Auto.
„Kann´s losgehen?“ fragte er ungeduldig und steckte den Schlüssel ins Zündschloß.
„Meinetwegen kannst du starten.“ antwortete ich und suchte nach dem Anschnallgurt, den ich diesem Oldtimer nie finden würde.
Dann verließen wir Garage und Hof und bald darauf auch Quesnel. Und wieder umfing uns die Einsamkeit der Wälder, nur dass wir es diesmal warm und behaglich hatten und eben auf einer festen Straße unterwegs waren. Die Stimmung im Inneren des Autos jedoch, war mehr als angespannt.
Während Jacob starr geradeaus blickte, ließ ich mich von den Bäumen am Straßenrand ablenken. Ich war unruhig und nervös. Sobald Forks am Horizont auftauchen würde, würde ich Edward Bescheid geben uns zu treffen. Dann würde meine Maskerade fallen müssen und diesen Augenblick sehnte ich nicht wirklich herbei.
Und ich verfluchte die Umstände, die dazu geführt hatten, dass ich die letzten Stunden mit Jake in diesem Schweigen verbrachte und ich sie nicht nutzen konnte, um noch ein paar schöne Erinnerungen zu sammeln.
Ich seufzte laut und tippte mit den Fingern auf dem Handschuhfach herum.
Jake drehte den Kopf und schenkte mir einen fragenden Blick.
Damit war ich gezwungen, etwas zu sagen und ich entschloß mich dazu, nicht um den heißen Brei herum zu reden.
„Geht dir das hier nicht auch auf die Nerven? Dieses angespannte Schweigen und der gekünstelte Smalltalk? Wer sind wir denn, dass wir nicht in der Lage sind, vernünftig miteinander umzugehen? Ich meine, es liegen noch eine Menge Stunden vor uns und die könnten wir sinnvoller gestalten, als damit Löcher in die Luft zu starren, oder?“
„Und was willst du stattdessen machen? Willst du eine Runde „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spielen? Würde es dir dann besser gehen? Bella, mir gehen grade eine Million Dinge durch den Kopf und ich weiß, dass du nicht eins davon hören willst.“ antwortete er harsch.
„Ach, bist du jetzt auch unter die Gedankenleser gegangen?“ entgegnete ich scharf „Woher willst du wissen, dass es mich nicht interessiert, wenn du es nicht ausprobierst?“
„Weil ich dich kenne...oder eben auch nicht. Ich hab zumindest immer gedacht, dich in und auswendig zu kennen. Aber die letzte Woche hat mir gezeigt, dass ich mir das anscheinend nur eingebildet habe. Du bist wie ein ganz anderer Mensch. Dein Tun und deine Aussagen unterscheiden sich so krass voneinander und das bin ich nicht gewohnt von dir. Und dann dieser Kuss.“ er seufzte hart und hatte Recht behalten. Ich wollte nichts davon wissen. Würde ich dieses Gespräch nun zulassen, dann würde es in einer endlosen Diskussion ohne jedwede Lösung ausarten. Etwas, wofür ich nun weder Lust noch Zeit hatte.
Dennoch hatte ich keine andere Wahl. Schließlich hatte ich die Stille unterbrochen, weil ich wissen wollte, was in Jake vorging. Sofort ging mir ein italienisches Sprichwort durch den Kopf.
~Hai voluto la bicicletta, ora entra nel pedali.~
Du hast dir das Fahrrad gewünscht, jetzt tritt in die Pedale.
„Es war ein Kuss, Jake. Und nicht mal unser Erster. Ich versteh nicht, warum er dich so aus der Fasson bringt.“ sagte ich mutlos.
„Und ich versteh nicht, wie es dir so egal sein kann. Wenn du mir jetzt erzählen willst, dass er dich nicht ebenso mitgenommen hat, wie mich, dann werde ich dir nie wieder im Leben ein Wort glauben.“
Er warf einen kurzen, zornigen Blick zu mir herüber und ich rieb nervös die Lippen aneinander.
Es war mir nicht egal, keineswegs. Ich hatte ebenso empfunden wie er, wenn nicht sogar noch stärker, noch intensiver. Aber dieser Kuss hätte nie geschehen dürfen, nicht solange ich Bella war.
„Es ist mir nicht egal, Jake. Ich hab dasselbe gespürt wie du...aber es war nicht annähernd das Gefühl, das ich habe, wenn ich Edward küsse.“ Ich blickte zu Boden, denn ich befürchtete, Jake würde die Lüge sofort in meinen Augen erkennen.
„Bullshit.“ sagte Jake laut und ich zuckte unter der Lautstärke seiner Stimme zusammen.
„So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gespürt und ich bezweifel mehr als stark, dass es für so etwas noch eine Steigerung geben soll. Du wirst nicht müde mir zu sagen, wie wichtig ich dir bin, wieviel ich dir bedeute und dass du mich liebst und dann küsst du mich so. Wie bitte soll ich da glauben, was du mir vormachst? Ich weiß, dass ich für dich bestimmt bin...“
„Das bist du eben nicht, Jacob. Du warst es nie, du bist es nicht und du wirst es niemals sein. Hör doch bitte endlich damit auf, uns beide zu quälen. In wenigen Stunden, werde ich wieder in Edwards Armen liegen und selbst wenn du ihn in allen Einzelheiten daran teilhaben lassen wirst, was zwischen uns geschehen ist, wird er mir nicht böse sein. Weil er etwas weiß, was einfach nicht in deinen Kopf zu gehen scheint. Er weiß, dass egal was auch immer passiert, ich immer zu ihm gehören werde.“
Jake schwieg.
Ich hatte ihn mit diesen Worten tiefer verletzt, als ich es vorgehabt hatte und ich spürte den Kloß in meinem Hals stetig größer werden.
„Jacob...“
„Nein, Bella. Du verstehst mich einfach nicht. Du scheinst nicht zu wissen, wie sehr ich dich brauche. Du verstehst nicht, dass ich nur deinetwegen atme. Und du verstehst nicht, wie schwer es für mich ist, zu wissen wo ich stehe, wenn du dich so widersprüchlich verhältst. Vielleicht gibt es einfach keine Möglichkeit für uns, den Schmerz des anderen zu verstehen.“
Abrupt bremste er den Wagen ab und sah mir geradewegs in die Augen.
„Ich bin hier, Bella. Genau hier....warum kannst du mich nicht sehen?“
„Ich seh dich Jake, ich seh dich klar und deutlich aber ich...“
Meine Worte wurden unterbrochen, als Jacob sich ungestüm zu mir herüber beugte und seine Lippen hart auf meine pressten. Ich war im ersten Moment so verwirrt, dass ich nicht im Geringsten wusste, wie ich reagieren sollte. Ein Teil von mir, und dieser war nicht gerade klein, wollte sich dem Kuss hingeben, sich noch einmal in der Vollkommenheit seiner Lippen befinden, doch der andere, klarere Teil in mir, wusste, dass ich dies nicht noch einmal geschehen lassen durfte. Mit aller Macht rang ich das Verlangen in mir nieder und stieß Jake so unsanft es mir möglich war von mir.
„Verdammt Jake, lass den Scheiss!“ rief ich wütend und war es auch. Wütend darüber, dass er mich dermaßen in Versuchung führte.
„Das klingt schon eher nach dir.“ murmelte Jake und warf die Hände über den Kopf.
„Was ist nur los mit dir, Bella? Leidest du unter irgendeiner Art von Schizophrenie? Heute morgen verschlingst du mich fast und jetzt scheinst du dich vor meiner Berührung geradezu zu ekeln.“
„Nein, Jake. Was ist mit dir los? Du verhältst dich grade wie ein Wahnsinniger und es macht mir Angst.“ Ich sah ihn aus großen Augen an und sah, wie er in sich zusammenfiel, als hätte jemand die Luft aus ihm gelassen.
„Es tut mir leid, Bella...ich dachte nur...“
„Ja, vielleicht solltest du das Denken einfach lassen. Und wehe, du fasst mich noch ein weiteres Mal so grob an. Glaub mir, dann werde ich Edward nicht mehr verbieten Kleinholz aus dir zu machen. Und jetzt bring mich endlich nach Hause.“ Ich zog die Beine unter meinen Körper und starrte abweisend aus dem Fenster, während Jacob den Motor des Wagens erneut startete und wir wieder losfuhren.
Am liebsten hätte ich mit der Stirn gegen das kalte Fensterglas geschlagen, immer und immer wieder, bis all diese Gedanken und Gefühle in mir zu einem Scherbenhaufen zusammengebrochen wären. Die Landschaft zog ungesehen an mir vorbei und ich spürte die scheuen Blicke Jakes, die alle paar Minuten zu mir herüber wanderten. Aber ich reagierte nicht darauf. Jedes weitere Wort würde mich nur noch tiefer in dieses Gespinst aus Lügen verstricken. Zudem versuchte ich, mich emotional von Jake abzukapseln.
Ein Vorhaben, das all meine Konzentration erforderte und dennoch kläglich scheitern würde. Ich hatte ihn bereits zu tief in mich gelassen, als dass ich ihn nun nur durch pure Willenskraft wieder von dort würde verbannen können.
Selbst in einem halben Jahrhundert, würden seine Spuren in mir immer noch deutlich zu lesen sein, da war ich mir sicher. Doch der Moment des Abschieds rückte mit jedem Kilometer, den wir hinter uns brachten näher.
Und damit auch die unausweichliche Wahrheit über den Betrug und den Verrat, den ich begangen hatte. Was würde er wohl von mir denken, wenn er wusste, dass ich mir den Kuss unberechtigter Weise gestohlen hatte?
Ich hatte kein Anrecht darauf gehabt und mich trotzdem so sehr danach gesehnt, dass mir alles andere egal geworden war. Würde er immer noch darauf beharren, dass dies der Kuss seines Lebens gewesen war? Ich dachte nicht, dass dies geschehen würde. Wahrscheinlich würde er mich für einen Sukkubus halten, der seine Sinne mit voller Absicht vernebelt hatte um ihn gefügig zu machen. Aber über solche Fähigkeiten verfügte ich nicht.
Ich war weitestgehend ich geblieben. Nicht die ganze Zeit, am Anfang so gut wie gar nicht, doch heute morgen, mochte es zwar noch Bellas Gesicht gewesen sein, aber jede Berührung und jedes Wort hatte meinem Herzen entstammt.
Jake räusperte sich neben mir, doch ich wand den Blick immer noch nicht zu ihm herüber. Ich wollte erst hören was er zu sagen hatte und wappnete mich innerlich gegen eine weitere Runde „Wieso, weshalb, warum“.
„Also...ich sehe was, was du nicht siehst und das grün.“ sagte er leise und ich konnte nicht anders als zu lachen. Man konnte Jake einfach nicht lange böse sein, auch wenn ich es gerne geblieben wäre.
Ich versuchte ernst zu bleiben, aber das Kichern fand seinen Weg aus mir heraus, ohne dass ich es hätte aufhalten können.
„Grün, ja?“ brachte ich schließlich fertig zu sagen und bemerkte, wie erleichtert Jake auf einmal wieder wirkte.
Wir spielten nun also tatsächlich dieses Kinderspiel und versuchten nicht daran zu denken, was zuvor geschehen war. Wieder einmal verziehen wir uns stumm alle Dummheiten, die wir getan hatten. Es würde sicherlich das letzte Mal sein, dass Jake mir etwas so einfach verzieh.
Nach dem wir festgestellt hatten, dass unser Weg nicht wirklich viel Sehenswertes hergab, das nicht grün und ein Baum war, wechselten wir zu Prominenten-Raten und als wir endlich auf den Highway abbogen, rieten wir Automarken.
Ich muss wohl kaum erwähnen, dass Jake mich bei diesem Spiel haushoch abzog.
Am frühen Nachmittag machten wir eine kurze Pause an einer Raststätte und als Jake nach meiner Hand griff, wehrte ich mich nicht dagegen. Ich sagte auch nichts, als die Kellnerin eine kurze Bemerkung machte, was für ein süßes Pärchen wir doch seien.
Was hätte es schon gebracht?
Er fühlte sich besser, wissend, dass ich im nicht mehr zürnte und ich fühlte mich besser, weil er mir noch nicht zürnte. Der Moment würde früh genug kommen und die Idee einfach mit Jake abzuhauen und nie wieder jemand anderes zu sein als Bella, spukte erneut in meinem Kopf.
Doch wie schon beim ersten Mal, da diese Vorstellung aufgetaucht war, schob ich sie weit von mir.
So verlockend ein Leben mit Jake an meiner Seite auch war, es war einfach nicht die Realität und das würde es auch nie werden. Ich war nicht so naiv zu glauben, dass es für uns in irgendeiner Art und Weise eine Zukunft würde geben können. Aber ich hatte immer noch Hoffnung.
War es nicht egal, wie man seinen Seelenverwandten fand, solange man überhaupt das Glück hatte ihn zu finden? Würde Jacob das erkennen?
Oder würde sein Hass auf meine Rasse und auf Edward im Besonderen seinen Blick vernebeln? Und konnte ich überhaupt davon ausgehen, dass er dasselbe für mich fühlen würde? Vielleicht täuschte sich Bella wirklich, wenn sie Edward Jacob vorzog? Gott, ich hatte das Gefühl einen Fehler nach dem anderen begangen zu haben und das obwohl ich sonst eigentlich nie etwas dem Zufall überließ.
Als es sich nun dem Abend entgegen neigte und sich die Dunkelheit ein weiteres Mal über uns wie eine dichte Decke herabsenkte und auf den Straßenschildern bereits Port Angeles ausgeschrieben war, wurde ich immer unruhiger. Ich hielt mein Handy in der Hand und wartete nur auf den Moment, da ich Edward eine Nachricht schreiben musste.
Ungefähr zwanzig Minuten vor Forks, bog Jake ab und parkte vor einem kleinen Diner. Ich sah ihn fragend an und er seufzte.
„Ich hab wieder Hunger.“
„Aber wir sind doch gleich zu Hause.“ sagte ich verwundert.
„Ich weiß.“ damit stieg er aus und hielt mir die Autotüre auf, damit ich ausstieg. Immer noch nicht wirklich wissend, warum Jake hier angehalten hatte, folgte ich ihm in das kleine amerikanische Restaurant und entschuldigte mich kurz bei ihm, um die Toilettenräume aufzusuchen.
Dort lehnte ich mich gegen die Türe der kleinen Kabine und schrieb Edward mit zitternden Fingern eine Nachricht, dass er mich hier abholen sollte.
Ich hatte nicht lange gebraucht, um mich dafür zu entscheiden. Hier war der sicherste Ort, die beiden aufeinander treffen zu lassen. Sie konnten hier, zwischen den anderen Leuten, keine Szene veranstalten. Jake ebenso wenig wie Edward und das Letzte, was ich wollte, war, dass die beiden sich körperlich angriffen. Dass sie es verbal tun würde, hätte wahrscheinlich selbst Gott nicht verhindern können.
Ich verstaute mein Handy wieder in meiner Hosentasche, warf einen Blick in den Spiegel und spritzte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, bevor ich wieder in den Schankraum zurückkehrte und mich zu Jake an den Tisch setzte, der bereits zwei Soda für uns bestellt hatte. Ich rang mir ein knappes Lächeln ab und meine Augen konnten sich einfach nicht an ihm sattsehen, jetzt da der Abschied so nahe gerückt war.
Die Melancholie dieses Wissens hing über mir, wie eine Regenwolke, die ihre Last nur über meinem Haupt enleerte. Jake griff über den Tisch nach meiner Hand und streichelte stumm eine Weile über meinen Handrücken.
„Wir sind nicht wirklich hier, weil du Hunger hast, oder?“ fragte ich leise und Jake lächelte ertappt.
„Nein, zumindest ist das nicht der Hauptgrund. Weißt du, ich habe während der Fahrt viel nachgedacht und auch wenn ich deine Antwort zu kennen glaube, würde ich dich dennoch gerne etwas fragen.“
Ich nickte.
„Lauf mit mir davon. Geh einfach weg mit mir. Es ist mir alles egal, eigentlich sollte ich dich einfach entführen und dich solange nicht zurück lassen, bis du erkannt hast, was wir einander sind. Aber ich werde keine unüberlegten Dinge mehr tun. Ich habe jetzt Gewissheit. Gewissheit, dass da mehr ist, als du wieder einmal bereit bist zuzugeben. Ich weiß...“ er sah, dass ich protestieren wollte und hob abwehrend die Hand. „Bitte lass mich ausreden. Ich weiß, dass du glaubst, du könntest ohne Edward nicht leben, aber du kannst es. Wenn du mich hast, bist du stark genug.“
Seine Worte quälten mich. War es nicht derselbe Gedanke, den auch ich gehabt hatte?
„Jake...ich muss dir etwas sagen....“ ich schluckte hart und rang mit den Worten.
Er sah mich aufmunternd und so sanft an, dass ich glaubte an meinen Worten ersticken zu müssen.
„Du kannst mir alles sagen, Bella. Das weißt du doch.“ sagte er beruhigend und mein Gesicht verzerrte sich in der alles verschlingenden Angst vor diesem Augenblick.
„Was ist los Bella? Nichts was du sagen könntest, würde mich dazu bringen dich weniger zu lieben.“ beteuerte er.
„Jake...ich habe Edward geschrieben. Er wird gleich hier sein, um mich abzuholen...“
„Du hast was? Warum hast du..:“
„Jake, bitte. Wir haben nicht mehr viel Zeit und ich möchte, dass du es von mir erfährst. Das bin ich dir schuldig.“ ich druckste herum, fand einfach nicht die Richtigen Worte, es ihm zu sagen, denn dafür gab es einfach keine richtigen Worte.
Ich spürte seine Ungeduld und die Unruhe, die ihn erfasst hatte, als er die Qual in meinem Gesicht bemerkt hatte.
„Was ist los?“ fragte er erneut fordernd und ich ergab mich meinem Schicksal.
„Jake...ich bin nicht die, für die du mich hältst.“
Jakes Gesicht zeigte zunächst Verwunderung, doch dann begann er zu grinsen.
„Was soll das heißen, Bella? Ist das wieder einer deiner Versuche, mich....“
Ich unterbrach ihn und atmete tief durch.
„Bitte lass mich ausreden. Ich will endlich ehrlich mit dir sein. Ich bin nicht Bella.“ ich leckte mir über die Lippen und spürte ein Stechen in meiner Brust. Doch Jake verstand den Ernst der Lage nicht, sondern lachte nur laut, nahm sein Wasserglas und schnüffelte am Inhalt.
„Haben die hier irgendwas ins Trinkwasser gemischt? Ich glaube jetzt drehst du vollkommen am Rad.“
Langsam wurde ich panisch. Jeden Moment konnte Edward hier sein und ich wollte nicht, dass er
dabei war, wenn ich Jake die Wahrheit erzählte.
Ich griff nach Jakes Handgelenk und zwang seinen Arm mit Nachdruck zurück auf den Tisch.
„Kannst du bitte mit dem Scheiß aufhören und mir endlich zuhören?“ zischte ich ungehalten und bereute es sofort wieder. Ich hatte keinerlei Recht, jetzt auf ihn böse zu sein. Doch meine Ernsthaftigkeit hatte ihr Ziel nicht verfehlt und Jake sah mich nun abwartend an.
„Ich bin nicht Bella. Mein Name ist Alexis Mér-Chateaufort. Ich bin 200 Jahre alt und eine Gestaltwandlerin... . Nicht so wie du. Ich kann das Aussehen von jedem Menschen annehmen, das ich will. Und ich bin eine Freundin von Edward.“ schloß ich leise.
„Eine Freundin von Edward? Das ist wohl etwas untertrieben, oder? Was soll das Bella?“ Jake nahm mich immer noch nicht ernst und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln.
„Hast du überhaupt eines der Worte verstanden, die ich soeben gesagt habe? Ich bin nicht Bella! Edward hat mich gebeten, dich zurück zu holen, weil er glaubt, dass du der Einzige bist, der ihm Zeit verschaffen kann. Ich sehe nur aus wie sie, aber ich bin es nicht.“ versuchte ich ihm weiter zu erklären.
„Nicht Bella? Langsam ist das nicht mehr witzig.“ Jake machte ein verdrießliches Gesicht und ließ sich in das Polster seiner Sitzbank zurückfallen.
„Sieh mich an Jake. Sieh mir in die Augen.“ bat ich ihn und beugte mich über den Tisch, bevor er meiner Bitte nachkam und mich eindringlich ansah.
Ich änderte meine Augenfarbe, während er zusah. Ließ Bellas Schokoladenbraun zu einem tiefen Grün werden, wechselte dann zu einem stechenden Rot und wieder zurück zu Braun.
„Ich bin ein Vampir, Jacob...“
Mit einem Mal verstand Jacob, was ich die ganze Zeit versucht hatte ihm zu erklären. Blankes Entsetzen stand auf seinem Gesicht und es quälte mich dabei zusehen zu müssen, wie er erkannte welches Spiel mit ihm gespielt worden war.
Er rutschte so schnell wie möglich von mir weg und seine Augen wurden zu Schlitzen.
„Es tut mir leid, Jake. Wenn ich dich vorher gekannt hätte....Aber ich wusste doch nicht, wie es sein würde. Ich wollte Edward einfach einen Gefallen tun. Ich stand in seiner Schuld. Es war nie meine Absicht dir wehzutun. Wirklich nicht, dass musst du mir glauben.“ Zwischen meinen Worten holte ich keine Luft. Ich wollte Jacob keine Gelegenheit geben, etwas zu sagen, bevor ich ihm nicht alles mitgeteilt hatte, das mir auf der Seele brannte.
„Die letzten Tage mit dir waren wunderschön und grausam zugleich. Ich hätte dir so gerne die Wahrheit erzählt, aber ich konnte einfach nicht. Ich konnte Edward nicht enttäuschen, der ebenso für Bella kämpft, wie du es tust. Jake du bist ein toller Mensch und ich habe dich unheimlich gerne. Ich weiß, dass du mir nicht verzeihen kannst, was ich getan habe und dass ich dafür eines Tages werde Rechenschaft ablegen müssen. Aber bitte glaube nicht, dass ich Freude daran hatte dich zu betrügen.“
Es schien als hätte Jacob nicht eines meiner Worte vernommen. Mit ausdruckslosen Augen blickte er durch mich hindurch und schien sich der Tragweite meines Geständnis erst jetzt in allem Umfang bewusst.
„Und ich habe es nicht gemerkt...:“ murmelte er erschrocken über sich selbst und ich spürte erneut den Kloß in meinem Hals.
„Das ist nicht deine Schuld...es war immer meine Aufgabe andere zu täuschen und ich war immer gut darin.“ ich sagte es ohne Stolz und streckte meine Hand über den Tisch. Ich wollte Jake berühren und hätte doch damit rechnen müssen, dass er es nicht erlauben würde. Als er meine Fingerspitzen auf seiner Haut spürte, knurrte er mich laut und instinktiv an und ich zuckte ob dieser Geste zurück. Erste Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen.
„Es tut mir so leid, Jake. Bitte, das musst du mir glauben.“
„Ich muss?“ sein Blick hatte wieder an Fokus gewonnen und ich spürte den puren Hass aus seinen Augen sprühen.
„Ich muss gar nichts! Und erst recht nichts, worum mich eine kleine, dreckige Blutsaugerin bittet!“
„Senke deine Stimme!“ Edward war unbemerkt von uns beiden, ins Diner und direkt an unseren Tisch getreten. Ich versuchte meine Gedanken zu sammeln. Ich wollte ihn jetzt nicht teil an meinem Innenleben haben lassen. Also versuchte ich mit harter Konsequenz, das griechische Alphabet aufzusagen.
„Das war ja klar. Wenn´s ums Bescheissen geht, ist ein Cullen nicht wirklich weit.“ sagte Jake und rümpfte die Nase, ob Edwards süßlichen Duftes.
Edward ignorierte seine Worte und blickte sorgenvoll zu mir herüber.
„Alles okay bei dir, Lexi? Was hat der Mistkerl gemacht? Du siehst ja vollkommen mitgenommen aus.“ er streckte seine Hand nach mir aus, aber ich schüttelte nur den Kopf.
„Er hat gar nichts getan, Edward. Ich bin diejenige, die etwas getan hat, was sie nicht hätte tun sollen.“ Mein Blick ging flehend zu Jacob, doch er schaute demonstrativ an mir vorbei.
Es war zu spät sich zu entschuldigen.
Ich spürte, wie alles in mir zusammenfiel und alte Narben erneut aufbrachen und der Schmerz begann mich zu überwältigen.
„Es tut mir leid.“ damit erhob ich mich und schob mich an Edward vorbei zum Ausgang.
„Ich warte draußen auf dich.“ sagte ich schnell und verließ das Diner.
Sofort wehte mir ein kalter Wind entgegen und ich rang um Fassung. Ich schleppte mich einige Meter bis ins eine dunkle Ecke hinter dem Diner und brach zusammen.
Ich hatte gewusst, dass es schwer werden würde.
Dieser Augenblick mir all meine Kraft abverlangen und meine Stärke auf die Probe stellen würde. Doch was nun mit mir geschah, war mehr, als ich ertragen konnte.
Tief in mir war etwas zerbrochen. Etwas, das bevor ich Jake getroffen hatte, nicht einmal ganz gewesen war, um erneut zu zersplittern.
Es schmerzte und ich wusste weder ein noch aus. Ich sank auf die Knie, schlang beide Arme eng um meinen Oberkörper, als könnte ich dadurch verhindern, dass ich gänzlich auseinander fiel. Ich wartete auf die Tränen, die mich beruhigen würden, doch mir fehlte die Kraft zu weinen.
Ich schluchzte und rang nach Atem. Aber ebenso wie die Tränen, weigerte sich auch jedwede Luft zu mir zu kommen.
Am liebsten hätte ich geschrien. Mit einem alles verzehrenden Schrei die Ungerechtigkeit der Welt angeklagt. Aber mein Körper verdammte mich zu absoluter Stille.
Und diese Stille erlaubte es mir jedes Wort zu hören, dass Edward und Jacob im Inneren des Diners miteinander wechselten. Sie sprachen leise.
So leise, dass wohl niemand der direkt neben ihnen saß, es hätte verstehen können. Doch meine guten Ohren verstanden jede gezischte Äußerung, jede Anschuldigung und jede Beleidigung, die sie sich an den Kopf warfen.
Als ich ihr Gespräch mit anhörte, war ich mir nicht mehr sicher, ob sie sich trotz der Öffentlichkeit, in der sie sich befanden, würden beherrschen können.
Ich wollte ihnen nicht zuhören. Ich wollte nicht wissen, was Jake zu sagen hatte. Denn es waren nur berechtigte Anschuldigungen und ich konnte seine Worte nicht ertragen.
Unter Aufbietung all meiner letzten Kraftreserven, rappelte ich mich auf und mit wackligen Schritten erreichte ich den Monte Carlo.
Schnell stieg ich ein und drehte den Knopf des Radios auf volle Lautstärke.
Den Liedern, die aus den Boxen schallten, schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Aber ich war dankbar, dass sie es mir unmöglich machten auch nur das leiseste Geräusch außerhalb des Fahrzeugs wahrzunehmen.
Ich saß einfach nur da, bewegte mich nicht, dachte nicht und fühlte nicht. Ich existierte einfach nur. Und nicht einmal dessen war ich sicher.
Ein Gast nach dem anderen betrat den Parkplatz und fuhr davon, bis nur noch der gelbe Porsche Edwards und eben mein Monte Carlo zurückblieben. Das Leuchtschild der Gaststätte war bereits erloschen und auch eine der Kellnerinnen hatte ihren Dienst bereits quittiert.
Weder Jacob noch Edward schienen daran zu denken, dass ich hier draußen saß und die Welt um mich herum in Finsternis vergangen war.
Jacob konnte ich nicht verübeln, dass ich wahrscheinlich die letzte Person war, um die er sich sorgte und wenn ich es recht bedachte, Edward konnte ich es ebenso wenig Vorhaltungen machen. Für ihn ging es nun um Bella und das war wichtiger.
Dennoch wurde ich mit jeder Minute unruhiger.
Und schließlich traten beide durch die Glastüre in die kalte Nacht hinaus.
Jake einige Schritte vor Edward und mit einer Anspannung in seinem Körper, die mir nur allzu gut verriet, dass er voller Wut war. Edward hingegen schien zuversichtlicher zu sein, dennoch ließ er Jacob nicht aus den Augen. Sein Misstrauen stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
Plötzlich wusste ich, dass es vielleicht meine letzte Chance sein würde, mit Jacob zu reden. Vielleicht sogar das letzte Mal, dass ich ihn sah.
Ohne weiter darüber nachzudenken, riss ich die Autotüre auf und stürmte auf ihn zu.
„Jake.“ sagte ich flehend und streckte meine Hand nach ihm aus, als würde mir eine Berührung helfen, ihn daran zu hindern zu gehen.
Er drehte sich unglaublich schnell herum und sein drohendes Knurren wurde von einem offenen Zähnefletschen begleitet.
Ich erschrak über seine so heftige Reaktion, dass ich einen Schritt zurück taumelte.
Sofort war Edward an meiner Seite und stellte sich zwischen mich und Jacob und auch ihm entrang sich ein wütendes, drohendes Geräusch.
„Ich warne dich ein letztes Mal, Jacob! Halte dich im Zaum. Ich meine es ernst“ sagte Edward drohend und Jakes Blick hätte ihn wahrscheinlich getötet, wäre Edward nicht bereits tot gewesen.
„Keine Angst, ich werde deiner Bluthündin schon nichts tun. Nicht jetzt und nicht hier. Und zu dir...“ nun sah er an Edward vorbei, direkt in meine Augen.
„Jake dürfen mich nur meine Freunde nennen. Dich kenne ich nicht. Ich rate dir also, dich von mir fernzuhalten. Das nächste Mal, das ich dir begegne, werde ich das tun, was ich mit allen Vampiren mache. Du bist nicht Bestandteil des Vertrages.“ damit drehte er sich um und verschwand in der Nacht, während ich nichts tun konnte, um ihn daran zu hindern.
Vollkommen verwirrt starrte ich hinter ihm her, wollte ihm folgen und konnte doch keinen Muskel bewegen.
Edward stand immer noch leicht vor mir und blickte ebenfalls auf den Punkt, an dem Jake verschwunden war, bevor er sich langsam zu mir herumdrehte.
„Komm Lexi, ich fahr dich nach Hause.“ er griff nach meiner Hand und während ich immer noch steif und orientierungslos war, führte er mich zu seinem Porsche.
„ Den Monte Carlo können wir morgen abholen.“ sagte er sanft und öffnete mir die Tür, bugsierte mich mit Vorsicht auf den Beifahrersitz und stieg dann ebenfalls ein.
Ich wusste, dass alles was geschehen war, Edward bereits bekannt war. Jacob war mit Sicherheit nicht in der Lage gewesen, seine Gedanken unter Verschluß zu halten.
Auch ich achtete jetzt nicht darauf, mich auf unwichtige Dinge zu konzentrieren, nur um Edward aus meinen Gedanken herauszuhalten.
Ich hatte nicht mehr die Kraft gegen ihn anzugehen.
Wortlos startete er den Motor und verließ den Parkplatz in Richtung Bundesstraße.
Ich blickte stur in das Schwarz der Nacht und versuchte zu verarbeiten, was heute geschehen war.
Ebenso wie ich versuchte, mir darüber klar zu werden, was die letzten Tage geschehen war.
Ich seufzte lange und fuhr mir durch die Haare.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Edwards besorgte Blicke und sah, dass er anhob etwas zu sagen. Doch ich hob meine Hand und schüttelte den Kopf.
„Sag jetzt bitte nichts, Edward. Bring mich einfach nur zum Flughafen, ja?“ bat ich ihn leise und fuhr mir erneut durchs Haar, als ich bemerkte, dass ich immer noch Bellas Gestalt hatte.
Ich klappte die Sonnenblende vor mir herunter und begutachtete mit Desinteresse mein Spiegelbild. Ich lachte heiser und resignierend auf und versuchte mich dann wieder zu konzentrieren und mein Aussehen zurück zu erlangen, dass ich den Cullens stets zeigte.
Ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich halbwegs zufrieden war und meinen Kopf gegen das kühle Glas der Fensterscheibe lehnte.
Ich achtete nicht auf den Weg. Ich wollte einfach nur alleine sein.
Erst als der Porsche die Hauptstraße verließ und in ein Waldstück abbog, das mir irgendwie bekannt vorkam, blickte ich auf.
„Edward...“ begehrte ich mutlos auf.
„Ich weiß, was du sagen willst, Lexi. Aber glaubst du wirklich, ich könnte dich einfach in den nächsten Flieger setzen? Carlisle würde mir den Kopf abreißen, wenn ich dich gehen ließe, ohne dass er dich vorher gesehen hat. Und ich habe das Gefühl, dass auch wir beide unbedingt noch miteinander reden sollten. Keine Angst, nicht mehr heute Nacht, aber es wird auch die kommenden Tage noch ein Flugzeug geben, dass dich von hier fort bringt. Und bis dahin, werden wir uns um dich kümmern.“
Es war seltsam. Als ich vor einer knappen Woche aus dem Flugzeug gestiegen war, hatte ich niemanden mehr sehen wollen, als Carlisle. Ich hatte mich so sehr auf sein freundliches Gesicht gefreut und nun wollte ich ihn unter keinen Umständen sehen. Ich fühlte mich außerstande mich in seiner Gegenwart aufrecht zu halten.
„Ich glaube,Carlisle würde dir guttun.“ sagte Edward leise in meine Gedanken hinein und ich wehrte mich nicht dagegen, dass er in mir las wie in einem offenen Buch.
Er fuhr die Auffahrt zum Anwesen der Cullens hinauf und blieb ein paar Meter vor der Garage stehen. Der Motor erstarb und Edward löschte das Licht.
Er sah mich abwartend an, als wüsste er nicht genau was ich dachte.
„Hör zu Edward.“ begann ich dennoch zu sprechen. „Ich bin müde, sehr müde sogar. Ich habe die letzten Tage inmitten der Wildnis verbracht und ich musste eine Rolle spielen, die mir schlußendlich alles abverlangt hat. Ich war nicht halb so gut,wie ich hätte sein müssen und dennoch besser, als es gut gewesen wäre. Ich will jetzt nicht in dieses Haus gehen und so tun als ginge es mir gut. Denn falls du es noch nicht bemerkt hast....es geht mir nicht gut!“
Die Apathie in mir verlor sich allmählich und ich wurde wütend.Wütend auf mich, wütend auf Edward, wütend auf diese ganze beschissene Idee, die er gehabt hatte und die ich ohne groß darüber nachzudenken, ausgeführt hatte.
„Lexi.“ sagte Edward mit seiner so sanften Stimme, doch dieses Mal hatte sie keinen beruhigenden Effekt auf mich. „Du musst dich vor Carlisle nicht verstellen, das musst du vor keinem von uns. Komm mit mir rein. Nimm ein Bad und iss eine Kleinigkeit. Ein weiches Bett wartet da drinnen eben so auf dich, wie freundlich gesinnte...Vampire.“
Doch so verlockend sein Angebot an jedem anderen Tag auch für mich geklungen hätte, heute war es, als offerierte er mir das Tor zur Hölle.
Inmitten der Cullens, ihrer inneren Wärme und ihren besorgten, doch freundlichen Gesichtern, würde ich mir nur noch einsamer vorkommen.
Ich gehörte nicht zu Ihnen und ich gehörte nicht zu Jake. Ich hatte nie zu Caius gehört oder den Volturi. Ich gehörte zu niemandem und alle in diesem Haus, würden mir nur zeigen, was ich wollte und nicht hatte.
„Alexis. Du weißt, dass das nicht wahr ist. Du bist ein Teil von uns. Kein beständiger, aber du gehörst zu uns. Du bist hier immer willkommen. Was kann ich tun? Was kann ich tun, damit es dir besser geht?“
Ich atmete tief durch und jetzt endlich schafften es die Tränen sich durch die Barrieren meines Körpers zu kämpfen und Tropfen für Tropfen rollten sie über meine Wange und flehend sah ich zu Edward hinüber, meine Stimme nicht mehr als ein gebrochenes Wispern.
„Mach, das es aufhört weh zu tun.“
Gequält schloß Edward die Augen, wissend dass dies die einzige Bitte war, die er nicht würde erfüllen können. Er beugte sich zu mir herüber und schloss mich in seine kalten, harten Arme.
Es war, als würde diese Berührung alle Schleusen in mir öffnen, die Dämme brechen, die meine letzte Zurückhaltung aufrecht erhalten hatte und schluchzend klammerte ich mich an ihn.
Ich war zusammengebrochen. Und zwar im sprichwörtlichen Sinne.
Trotz der unnatürlichen Stärke meines Körpers, war die Tatsache Jacob zu verlieren, einfach zu viel gewesen. Und als Edwards Nähe mir erlaubt hatte, schwach zu sein, war ich es gewesen.
Als ich jetzt aufwachte, roch ich augenblicklich den süßen Duft der Cullen-Familie und wusste, dass, wie auch immer Edward es geschafft hatte, er mich in der Nacht aus dem Porsche ins Haus gebracht hatte. Ich fühlte mich ruhig, zu ruhig.
Und ich wusste, das Jasper im Zimmer war, noch bevor ich die Augen öffnete. Denn auch mein Schlaf war ruhig und traumlos gewesen, was eindeutig davon zeugte, dass er seine Fähigkeit, Emotionen zu kontrollieren, bei mir benutzte.
Ich hatte es nie sonderlich gemocht, wenn er das tat. Doch heute war ich ihm dankbar, dass er wohl die ganze Nacht neben mir gesessen hatte um sicherzustellen, dass ich mich erholte.
Ich schlug die Augen auf und wie ich es geahnt hatte, legte sich mein Blick sofort auf Jaspers Silhouette.
Er saß still auf einem Sessel meinem Bett gegenüber und als ich mich ein wenig umsah, wusste ich, dass ich mich im Gästezimmer befand.
„Guten Morgen, Kleine.“ hörte ich Jasper sagen und ich erwiderte seine Begrüßung mit einem schwachen Lächeln.
„Guten Morgen Jasper...und danke.“
Er nickte und im selben Moment betrat Alice den Raum. Beschwingt und lächelnd wie immer. Ich kannte sie nicht anders. Sie setzte sich zu mir auf den Bettrand und drückte mir einen kühlen Kuss auf die Wange.
„Hab ich es doch gewusst, dass du schon wach bist.“ sagte sie lachend und setzte sich dann auf Jaspers Schoss, der mit einem warmen Glänzen in den Augen, die Arme um ihre Taille schlang.
„Als könnte dir etwas verborgen bleiben.“ antwortete ich und streckte mich leicht.
„Das kann es, Süße. Die ganze letzte Woche, war ich schier außer mir vor Sorge um dich, weil ich die Wölfe nicht sehen kann und damit auch niemanden in ihrer Nähe.“ sagte sie ruhig und ich nickte.
„Und selbst wenn du mich hättest sehen können, das hätte nichts geändert.“ erwiderte ich und wollte aufstehen, bemerkte jedoch im letzten Moment, dass eine der Cullen-Frauen mich entblättert hatte, bevor ich zur Ruhe gebettet worden war. Edward war zu anständig. Ihm traute ich nicht zu, dass er mich ausgezogen hatte.
Alice grinste und erhob sich von Jaspers Schoß, was dieser mit vorgeschobenen Lippen quittierte.
„Ich habe deine Sachen gestern direkt aussortiert. Bellas Stil ist wirklich nichts für dich.Ich hab dir bereits was aus meinem Kleiderschrank rausgelegt und wenn du magst, kümmere ich mich auch darum, dass du in den nächsten Tagen aus einem vollen Kleiderschrank schöpfen kannst.“ Ihre Augen leuchteten und ich wusste, dass ich ihr diesen Wunsch eigentlich nicht abschlagen wollte.
Doch meine Pläne für meinen Aufenthalt im Haus der Cullens, machten es nicht nötig einen Kleiderschrank voll Klamotten zu besorgen.
„Das ist wirklich lieb von dir, Alice. Aber ich hatte eigentlich vor Heute, spätestens Morgen wieder abzureisen und wenn du so lieb bist, mir bis dahin Zugang zu deinem Kleiderschrank zu gewähren, reicht das vollkommen aus.“ sagte ich leise und zog automatisch den Kopf zwischen die Schultern, als ahnte ich, dass diese Aussage nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen würde.
Aber Alice nahm meine Worte mehr als gelassen hin. Sie zuckte lediglich mit den Schultern und bugsierte Jasper mit sich zur Tür.
„Das werden wir dann sehen, meine Hübsche. Jetzt zieh dich erstmal an und komm runter. Die anderen warten schon ungeduldig darauf, dich endlich zu sehen.“ sie winkte mir zu und schloß die Tür hinter sich. Ich seufzte, schlug die Bettdecken beiseite und schwang meine Beine über den Bettrand.
Auf dem Nachttisch hatte Alice bereits eine kleine Auswahl ihrer modischen Ergüsse drapiert und ohne es mir genauer anzusehen, schlüpfte ich hinein. Ich trottete zum angrenzenden Bad, wusch Gesicht und Zähne, kämmte meine Haare und band sie zu einem Zopf zusammen, bevor ich mein Spiegelbild genauer musterte.
Alice Vorstellung von mir zeigte sich in ihrer Auswahl einer dunklen Stoffhose und einer smaragdfarbenen Bluse mit leichtem Stehkragen und rundem Ausschnitt. Die Sachen gefielen mir, auch wenn ich sie mir selber nie ausgesucht hätte.
Sie waren zu auffällig für meinen Lebensstil.
Jetzt da Jasper nicht mehr in meiner Nähe war und seine so angenehme Beruhigungsmethode nicht mehr wirkte, merkte ich erneut, dass mich nicht mehr allzu viel zusammen hielt. Mit aller Härte versuchte ich meine Gedanken nicht zum gestrigen Abend und der folgenden Nacht schweifen zu lassen. Versuchte auch, nicht an das zu denken, was vor mir lag, sondern konzentrierte mich auf das Wiedersehen mit den Cullens.
Ich wusste nicht wieviel Edward ihnen bereits erzählt hatte. Genau genommen wusste ich nicht einmal wieviel ich ihn hatte wissen lassen und wieviel er in Jakes Gedanken hatte lesen können. Zumal immer noch die Möglichkeit bestand, dass er dieses gefährliche Halbwissen, falsch deutete.
Erneut musste ich seufzen.
Ich fand einfach keinen anderen Weg meine Gemütslage auszudrücken. Dann straffte ich mich noch einmal vor dem Spiegel, ließ das Muttermal erscheinen, das Edward bei unserem ersten Treffen moniert hatte und verließ das Bad.
Jeder Schritt die Treppe hinunter, verlangte mir besondere Stärke ab. Und als ich schließlich das Wohnzimmer erreichte, standen alle Cullens in einer Runde zusammen und wie auf Knopfdruck hoben sie alle gleichzeitig den Kopf, um mich anzulächeln.
Ihre Freundlichkeit und Unbefangenheit drehte mir den Magen um. Es war als würde man einem Verdurstenden mit einem Glas Wasser vor der Nase herum wedeln und ihn wissen lassen, dass er es niemals bekommen würde.
Doch ich war eine gute Schauspielerin, vielleicht sogar die Beste auf Gottes weiter Flur.
Und so lächelte ich mein bekanntes Lächeln und nahm die letzten Stufen zu ihnen hinunter.
Carlisle trat sofort aus der Runde auf mich zu und zog mich in eine lang andauernde Umarmung.
„Alexis.“ flüsterte er nah an meinem Ohr. „Es tut so gut dich zu sehen. Wir sehen einander wahrlich viel zu selten.“
Ich nickte nur und befürchtete, dass seine Nähe erneut meine Barrieren durchdringen und mich wieder einmal zum Weinen bringen würde. Die letzte Woche hatte mich zu einer wahren Heulsuse gemacht. Ein Umstand, der mir ganz und gar nicht gefiel. Ich hasste es schwach zu sein. Daher war ich froh, dass Carlisle mich losließ, bevor ich meine Fassung verlor. Doch sofort zog Esme mich in eine weitere Umarmung und ihre mütterliche Fürsorge war fast noch schwerer zu ertragen, als Carlisles Nähe.
„Meine Kleine.“ sagte sie sanft und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Du bist bestimmt hungrig. Ich werde in die Küche gehen und schauen, was ich dir anbieten kann. Vielleicht möchtest du ja am Abend mit Emmet und Rosalie auf die Jagd gehen.“
Wieder nickte ich und zeigte ihr mein falsches Lächeln, in der Hoffnung, sie würde es nicht durchschauen.
Als Emmet als nächster seine starken Arme um mich legte und hochhob, bekam ich fast Angst er würde mich zerdrücken. Sein dunkles Lachen hallte in meinen Ohren und das brachte mich dazu, ihm ein kurzes echtes Lächeln zu zeigen. Zu einem Lachen reichte es jedoch noch nicht.
Als er mich losließ, trat er bei Seite und ich sah Rosalie. Ihr Anblick verschlug mir immer die Sprache. In 200 Jahren hatte ich nie eine schönere Frau gesehen, als sie. Weder Vampir noch Mensch konnte ihr das Wasser reichen und als sie nun ein weiches Lächeln auf ihre Züge legte, war ich diejenige, die sie umarmte.
Ihr Haar roch wundervoll und ich atmete diesen Duft tief ein.
Mit Rosalie hatte mich stets ein besonderes Band verbunden. Ich mochte sie unwahrscheinlich gern, ebenso wie die anderen.
Aber mit Rosalie konnte ich auch schweigen und wir verstanden uns dennoch.
„Willkommen zu Hause“ sagte sie leise und das waren die Worte, die schlimmer waren als jede vorangegangene Umarmung. Ich schluckte hart und war sichtbar um Fassung bemüht.
„Wird schon.“ Rosalie zwinkerte mir zu und machte Platz für Edward.
Er sah immer noch gequält aus und als er mich nun ansah, erreichte sein Lächeln nicht seine Augen.
„Hey, Lexi...“ flüsterte er und ich strich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte.
„Wie geht’s dir?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich glaube, es ging mir schon mal besser.“ antwortete ich.
Edward nickte und seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich.
Kaum, dass ich die Worte ausgesprochen hatte, spürte ich wieder, wie Jasper mich beruhigte und ich augenblicklich an Haltung gewann. Ich wand den Blick und schenkte ihm ein dankbares Lächeln.
Esme verließ den Raum in Richtung Küche und Alice und Rosalie folgten ihr, ebenso wie die anderen. Nicht weil sie alle gebraucht hätte, um ein Rührei für mich zu machen, sondern um mich
und Edward allein zu lassen.
Er sah verlegen aus, die Hände in den Taschen seiner Anzughose vergraben und ich hatte Mitleid mit ihm. Ich kannte ihn gut genug zu wissen, dass er sich seit der letzten Nacht tierische Vorwürfe gemacht haben musste.
Ich schenkt ihm ein sanftes Lächeln und setzte mich auf das weiße Sofa.
Keine Sekunde später saß er neben mir.
„Du hattest eine harte Woche, hm?“ fragte er weich und ich lachte kurz auf.
„Ja, so kann man es ungefähr ausdrücken. Aber bevor du noch etwas sagst...es ist nicht deine Schuld. In der Theorie war dein Plan nahezu perfekt. Nur leider funktionieren manche Dinge nur auf dem Papier.“ beruhigte ich ihn sofort, doch der qualvolle Ausdruck auf seinen Zügen wich nicht.
„Es tut mir dennoch leid. Ich hätte wissen müssen, dass Jake für keinen von uns ein guter Umgang ist. Ich wusste, nein, ich weiß, dass er es nicht für Bella ist. Und dich als sie in seine Nähe zu schicken, war leichtsinnig. Es tut mir leid, dass er dir zu nahe getreten ist.“
„Edward...er ist mir nicht zu nahe getreten. Nicht annähernd nah genug. Nicht annähernd so nah, wie ich es mir gewünscht habe.“ jetzt war sie heraus. Die Wahrheit, dass ich es gewesen war, die jede Nähe forciert hatte.
Edward schien einen Moment nicht ganz zu verstehen, worauf ich hinaus wollte. Er hatte mit den Fragmenten, die er erfahren hatte, wohl die falschen Schlüsse gezogen.
„Du magst ihn, hm?“ fragte er schließlich leise und ich musste tief Luft holen und die aufkeimenden Tränen wegblinzeln.
„Mehr als das, Edward. Viel mehr. Erinnerst du dich daran, wie du Bella zum ersten Mal gesehen hast und wusstest, was sie dir einst sein würde? Forks scheint für uns mehr als nur einen Seelenverwandten bereit zu halten.“
Er nickte nur stumm und räusperte sich leise.
„Ich versteh einfach nicht, was dieser Kerl hat, dass ihr Frauen so an ihm hängt.“ er schüttelte den Kopf, als Unterstreichung seiner Worte.
„Ich weiß, du willst es nicht hören, aber Jacob ist unheimlich leidenschaftlich. In allem, was er tut. Und er leidet, Edward. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr. Jeden Tag zu sehen, wie er an Bella hängt und soviel Liebe in sich hat, die nicht erwidert wird, war als halte er mir einen Spiegel vor. Ich war so lange allein, dass ich fast vergessen habe, wie schön es ist, die Nähe und Zuneigung eines anderen Wesens zu spüren. Er hat mir unheimlich gut getan. Wenigstens für ein paar Tage konnte ich so tun, als ...nunja, als würde ich geliebt.“ ich versuchte ein Lächeln, doch es misslang.
„Alexis, du wirst geliebt. Von jedem in dieser Familie....“ setzte Edward an, aber ich schüttelte leicht den Kopf.
„Ich weiß, Edward und ich liebe Euch ebenso. Aber all das hat nichts mit den Gefühlen zu tun, die Jake in mir geweckt hat. Er hätte der Eine für mich sein können. Nicht einmal bei Caius habe ich das gefühlt, was ich nun für Jake empfinde.“
„Und doch bringt es dir nichts anderes, als Enttäuschung. Ich hätte Jake schon vor langer Zeit...“
„Nein.“ widersprach ich hart. „Er kann nichts dafür. Ich war diejenige, die ihm etwas vorgemacht hat. Ich habe nie erwartet, dass er anders reagieren würde, als er es getan hat. Ich gebe zu, ich habe es mir gewünscht, aber wirkliche Hoffnung hat es nie gegeben. Ich muss mich mit der Wahrheit anfreunden, dass das was ich bekommen habe, alles sein wird, was ich kriege. Eine Woche weniger Schmerz ist doch schon was, oder?“ ich sah Edward fragend an und er schüttelte resignierend den Kopf.
„Nicht, wenn der Schmerz danach nur umso heftiger ist. Ich sollte mit Jake reden und ihm erklären, dass du nichts dafür kannst. Vielleicht wäre er noch einmal bereit mit dir zu reden.“
„Nein. Es ist lieb von dir, aber es würde nichts bringen. Ich kann ihm nichts sagen, das mein Verhalten entschuldigt.“ sagte ich schnell.
„Und was willst du jetzt tun? Einfach wieder verschwinden und die Dinge auf sich beruhen lassen?“
fragte Edward ruhig und ich zuckte mit den Schultern.
„Welche andere Wahl habe ich denn? Wenn wir uns die Tatsachen nüchtern betrachten, bleibt mir nichts anderes. Abgesehen von der Tatsache, dass Jacob bis über beide Ohren in Bella verliebt ist, stehe ich wohl nicht auf der Liste seiner Traumfrauen. In seinen Augen, bin ich eine Verdammte, eine Blutsaugerin. Und seine Aufgabe ist es, eben solche zu töten. Dass ich mit dir befreundet bin, bringt mir nicht wirklich einen Vorteil. Und selbst wenn ich all diese Hindernisse aus dem Weg räumen könnte, was dann? Du weißt genau so gut wie ich, dass es mir nicht möglich ist sesshaft zu werden und ich würde Jacob niemals der Gefahr aussetzen, an meiner Seite zu sein, solange ich auf der Flucht lebe. Also werde ich die Woche, die mir mit ihm vergönnt war, mit mir nehmen und akzeptieren müssen, dass jeder, der dich heilen kann, dich auch verletzten kann.“
„So sollte es nicht enden.“ erwiderte Edward mit melancholischer Stimme und ich biss mir auf die Unterlippe, nicht wissend was ich dazu sagen sollte.
„Es kann nicht jeder so ein Glückspilz wie du sein. Ich habe in meinem Leben wahrscheinlich zuviele schlimme Dinge getan, als dass ich mich an dem selben Glück erfreuen darf. Und auch wenn ich mir wünschte, dass es anders wäre, ich habe keine andere Wahl als mein altes Leben wieder aufzunehmen.“
„Du könntest eine Weile bei uns bleiben, neue Energie tanken und wieder Ruhe finden.“ sagte Carlisle und kam die Treppen ins Wohnzimmer hinunter. Es war offensichtlich, dass er zumindest die letzten Sätze meiner Unterhaltung mit Edward mitbekommen hatte.
„Edward, sei doch so gut und sieh, ob du Esme in der Küche helfen kannst.“ sagte er in seiner gewohnt freundlichen Art und Edward schenkte mir einen entschuldigenden Blick, bevor er sich erhob und das Zimmer verließ. Carlisle hingegen kam auf mich zu und streckte seine Hand nach mir aus.
„Komm, Alexis. Mach mir die Freude und geh ein Stück mit mir.“ sein Lächeln war so offen, dass ich seiner Bitte gerne entsprach, mich erhob und ihm durch die Verandatür nach draußen folgte.
Die Sonne schien hier und da durch die zerfetzte Wolkendecke und ich genoß die saubere Luft hier draußen, inmitten der Bäume.
„Ich weiß nur in Ansätzen, was zwischen dir und Jacob geschehen ist. Aber ich kann dich verstehen. Als er im Kampf von dem Neugeborenen verletzt wurde, habe ich danach viel Zeit mit ihm verbracht. Er ist ein guter Kerl, auch wenn Edward das nicht immer zu sehen vermag. Jacob hat das Herz am rechten Fleck.“ setzte er an.
„Ich weiß.“ lächelte ich scheu und wollte ihn nicht weiter unterbrechen, da ich spürte, dass er noch nicht fertig mit seinen Ausführungen war.
„Und ich weiß, dass ich es nicht noch einmal explizit betonen muss, dass du zu jeder Zeit in unserem Haus willkommen ist, egal wie lange du bleiben willst. Und dennoch möchte dir genau das noch einmal anbieten. Die Hochzeit steht kurz bevor und wir würden uns alle freuen, dich bei diesem Fest bei uns zu haben. Niemand unserer Gäste würde dich verraten...ich bezweifle sogar, dass sie dich bei deinen Fähigkeiten überhaupt erkennen würden. Ich weiß außerdem, dass Aro keineswegs hinter Caius´ Jagd nach dir steht. Zudem glaube ich auch, dass Caius schon lange nicht mehr mit der gleichen Intensität hinter dir her ist, wie er es einmal gewesen ist. Die Volturi haben stets viel zu tun, sie müssen ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge legen. Vielleicht hat Caius, dich schon längst vergessen.“ schloß Carlisle.
Ich seufzte und zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht...ja. Aber dann sollte ich ihm erst recht keinen Grund geben sich an mich zu erinnern, oder? Ich weiß dein Angebot zu schätzen, wirklich Carlisle und es ist mehr als verlockend. Aber genaugenommen, würde es doch nichts bringen. Es würde die unaufhaltsamen Tatsachen nur für eine Weile aufschieben und den Verzicht auf all das, was ich bei euch fühle nur noch verschlimmern. Zumal haben wir ein wichtiges Detail außer Acht gelassen. Ich habe Bella noch nicht kennengelernt. Und ich weiß nicht wie sie zu der ganzen Aktion, die Edward und ich mit ihrem besten Freund abgezogen haben, steht. Vielleicht teilt sie Jacobs Meinung von mir und will mich nicht einmal an ihrem wichtigsten Tag dabei haben. Es ist schön, dass ihr mich alle dabei haben wollt. Doch letztendlich ist es wohl Bellas Entscheidung, ob sie mich einlädt oder nicht.“
Wir machten an einer besonders großen Weide kehrt und liefen mit langsamen Schritten zum Haus zurück, aus dem der Geruch von Eiern drang.
„Dann solltest du Bella vielleicht kennenlernen. Und zwar nicht aus einem Spiegel heraus, sondern als dein Gegenüber. Ich bin mir sicher, sie wird dich mögen.“sagte Carlisle ruhig und ich stimmte ihm nickend zu.
„Wir werden sehen.“ antwortete ich schlicht. „Ob Edward mich überhaupt in ihre Nähe lässt?“
Jetzt lachte Carlisle offen und es war ein wunderschönes Geräusch.
„Das musst du ihn wohl selbst fragen.“ er hielt mir die Tür ins innere auf und als ich wieder ins Wohnzimmer trat, hatte die versammelte Cullen-Mannschaft um den Tisch herum Platz genommen und Esme winkte mich zu dem freien Stuhl, vor dem ein Teller Rühreier stand.
„Genug der Gespräche. Dafür gibt es später noch genügend Zeit. Jetzt komm und stärke dich erstmal ein wenig.“
Ich widersprach nicht, sondern setzte mich brav auf meinen Platz und griff zur Gabel, während die anderen Cullens gespannt auf mein Urteil zu warten schienen. Jaspers Ruhe nahm erneut Besitz von mir und ich befand seine Gabe geradezu als Geschenk und war ihm dankbar, dass er sie mit mir teilte.
Artig nahm ich einen Bissen vom Rührei, obwohl ich alles andere als hungrig war und machte ein zufriedenes Gesicht als ich es herunter schluckte.
„Mhhhm, wirklich sehr lecker.“ sagte ich und hoffte damit, die Blicke ein wenig beruhigen zu können.
Alice lachte und erhob sich.
„Das freut mich, ich hab übrigens die Petersilie geschnitten“ sagte sie stolz. „Aber ich muss jetzt los. Noch ein paar Vorbereitungen für die Hochzeit treffen. Wehe, du bist nicht mehr hier, wenn ich wiederkomme. Vergiss nicht, dass ich dich jetzt wieder sehen kann und glaub mir, ich würd dir sogar hinter her reisen, um mir den Hintern zu versohlen.“ setzte sie gespielt drohend hinzu.
Ich lachte nur.
„Keine Angst, eine Weile werdet ihr mich noch aushalten müssen. Zumindest so lange, bis mir Edward erlaubt Bella kennenzulernen.“ Ich hob meinen Blick zu Edward und er nickte.
„Ja, ich denke es ist an der Zeit. Ich werde sie nachher abholen und dann könnt ihr einander kennenlernen.“
Alice zog Jasper mit sich und ich sah ihm bedauernd hinterher. Da ging sie, meine Ruhe.
Die beiden winkten uns noch vom obersten Absatz der Treppe zu und ich stocherte lustlos in meinem Ei herum.
„Du brauchst wieder anständiges Essen, Lexi“ sagte Emmet und grinste breit. „Ich hoffe unser Date für heute Abend zur Jagd steht noch? Ich kann´s gar nicht erwarten, dich mal wieder in Aktion zu sehen.“
„Warten wir ab, was das Treffen mit Bella bringt.“
Bella zu treffen versetzte mich in Aufregung. Ich war angespannt und dass Jasper gemeinsam mit Alice das Haus verlassen hatte, war keine große Hilfe.
Ich fühlte wieder die Leere, die gekommen war, als Jacob ging und allein mit mir, konnte ich zu sehr über all das nachdenken, was die letzte Woche in mir ausgelöst hatte.
Vor einer halben Stunde war Edward losgefahren, um Bella abzuholen und ich rechnete jeden Moment mit seiner Rückkehr.
Wir hatten nur kurz über das bevorstehende Treffen gesprochen und Edward hatte mich gebeten, die wahren Gründe zu verschweigen, die dazu geführt hatten, dass Jacob wieder zurück in La Push war. Die beiden Männer waren sich einig darüber gewesen, Bella nicht wissen zu lassen, dass sie gemeinsam planten, sie von der Verwandlung abzuhalten.
Stattdessen glaubte sie nun, dass es ein verfrühtes Hochzeitsgeschenk Edwards an sie war, Jake bei sich haben zu können. Ich wusste, dass sie nicht begeistert gewesen war, zu hören, auf welche Art und Weise Edward die Sache angegangen war und welche Rolle ich bei dem Komplott gespielt hatte. Ebenso wusste ich, dass sie den Vormittag gemeinsam mit Jake verbringen wollte.
Ich wollte gar nicht wissen, was er ihr bereits alles erzählt hatte und welches Bild sich von mir in ihrem Kopf dadurch manifestierte.
Zum gefühlten zehnten Mal bürstete ich meine Haare und probierte erneut eine andere Frisur aus, in der Hoffnung, dass mir mein Aussehen etwas mehr Selbstvertrauen einflößen würde.
Ich wollte, dass Bella mich mochte.
Und das hatte mehrere Gründe. Zum einen würde sie bald Edwards Ehefrau sein und damit ein nicht unwichtiger Teil der Cullen-Familie, zum anderen war sie Jakes beste Freundin. Wenn sie mich mochte, dann hatte ich vielleicht noch eine Chance, dass Jake mir verzieh. Ich hörte Edwards Auto in die Auffahrt einbiegen und legte mit zitternden Händen die Bürste zurück auf den Waschtisch.
Selbstbewusstsein aus einem Äußeren zu ziehen, dass einem nicht gehörte, war nicht so einfach wie ich gedacht hatte. Ich fühlte mich weder äußerlich noch innerlich bereit für dieses Treffen. Ich wurde das Gefühl einfach nicht los, dass meine erste Begegnung mit Bella nicht frei von Vorurteilen sein würde. Weder auf ihrer, noch auf meiner Seite.
Mit zittrigen Knie ging ich die Treppen hinunter und kaum, dass ich meinen Fuß auf die letzte Stufe gesetzt hatte, öffnete sich die Glastür und Bella und Edward betraten das Haus.
Es war seltsam sie zu sehen.
Sie kam mir so bekannt vor und war mir doch gleichzeitig unheimlich fremd. Sie sah zu mir auf und schenkte mir ein verschüchtertes Lächeln.
Mir schien es als sei sie ebenso nervös wie ich.
„Hi.“ sagte ich leise, versuchte ein halbwegs offenes Lächeln und winkte ihr unbeholfen zu.
„Hi.“ erwiderte sie ebenso leise und steckte ihre Hände in die Taschen ihrer Jeans.
„Bella?“ begann Edward und schloß die Tür hinter sich. „Darf ich dir Lexi vorstellen?“
Ich machte einen Schritt auf Bella zu und streckte ihr meine Hand entgegen.
„Freut mich, dich endlich kennenzulernen.“
Bella ergriff meine Hand und drückte sie sacht, wobei ihre Augen leicht verwirrt schienen.
„Lexi, das ist sie, meine Bella.“ sagte Edward voller Stolz und hauchte ihr einen Kuss auf die Schläfe.
„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite.“
Konnte diese Vorstellung noch steifer von Statten gehen? Wenn man bedachte, dass ich eine knappe Woche in ihrer Gestalt herumgelaufen war, ihren besten Freund geküsst und mich auch noch hin diesen verliebt hatte, war es noch seltsamer, als ohnehin schon.
Bella war genau so angenehm, wie ich sie eingeschätzt hatte. Ihr Duft war sehr anregend und es war wirklich etwas anderes, ihn an ihr und nicht an mir zu riechen.
„Deine Hand ist ganz warm.“ sagte sie schließlich und ich verstand mit einem Mal ihre zuvor gezeigte Verwirrung.
„Ja, deine auch.“ ich lächelte offen und ihr Blick drehte sich zu Edward, der leicht hinter ihr stand.
„Ich dachte, du bist ein Vampir. Zumindest hat Edward es mir so gesagt und auch Jake hat es ...erwähnt.“
„Ich bin ein Halb-Vampir.“ stellte ich sanft richtig und kam mir ziemlich dämlich vor, hier inmitten des Flures über meine Herkunft zu referieren.
Wie so oft, las Edward meine Gedanken und deutete in Richtung Wohnzimmer.
„Vielleicht sollten wir...“
Bella nickte und ging voraus, während Edward und ich ihr folgten.
Sie nahm auf dem hellen Sofa Platz und ich setzte mich ihr gegenüber auf einen der Sessel, während Edward einfach stehen blieb.
„Ein Halbvampir also...Ich habe gar nicht gewusst, dass es so etwas überhaupt gibt.“ versuchte Bella eine Konversation in Gang zu bringen. Und auch wenn ich diesen Umstand begrüßte, wäre mir ein anderes Thema deutlich lieber gewesen.
„Wir sind nicht unbedingt häufig, wenn ich das so ausdrücken kann. Körperliche Liebe zwischen einem Vampir und einem Menschen führt eher zum Tod, als zu neuem Leben.“ antwortete ich und sah, wie Edward Bella einen bedeutungsvollen Blick zuwarf.
„Und was bedeutet das genau? Ich meine...“ sie rieb ihre Hände aneinander „...was unterscheidet dich von einem...Vollvampir?“
Ich musste bei diesem Wort schmunzeln. Ich sah mich als Vollvampir, auch wenn ich keiner war.
„Naja, nicht halb so viel, wie man vielleicht vermuten würde. Ich habe einen Herzschlag, ich atme und meine Haut ist warm. Trotzdem verfüge ich über Stärke, Schnelligkeit und geschärfte Sinne.“
„Brauchst du...trinkst du Blut?“ fragte sie weiter.
„Ja.“ antwortete ich knapp. „Aber ich bin nicht so sehr darauf angewiesen, wie Edward es ist. Ich kann auch Wochen nur von normalem Essen leben. Es ist sicherlich nicht vergleichbar, aber ich halte ganz gut damit durch. Und bevor du weiter fragst. Ich trinke kein Menschenblut. Nicht mehr.“ schloss ich und atmete tief durch.
„Das heißt, du hast es getan?“ fragte sie weiter und das Thema wurde mir immer unangenehmer. Ich wollte doch, dass sie mich mochte. Ihr nun von meiner dunklen Zeit zu berichten, schien mir nicht gerade der cleverste Weg, sie dazu zu bringen.
„Ja, ich war einst Teil der Volturi... kein offizieller, aber ich gehörte dennoch irgendwie dazu.“
Bella schluckte, ihre Erinnerungen an die Volturi waren keineswegs angenehm.
„Und du kannst die Gestalt von anderen annehmen? Ist das deine Gabe, wie bei Edward das Gedankenlesen?“
Ich nickte.
„Gabe, Fluch...ich weiß noch nicht wirklich, was es ist. Bisher hat es mich eigentlich nur in Schwierigkeiten gebracht. Aber ja. Ich bin in der Lage jede Gestalt anzunehmen, die ich will. Nicht die von Tieren, aber von Menschen und Vampiren. Deswegen hat Edward mich gebeten, deine Gestalt anzunehmen, um Jacob zur Rückkehr zu bewegen. Ich wollte mich deswegen noch bei dir entschuldigen. Wir hätten vorher um deine Erlaubnis bitten sollen, anstatt einfach hinter deinem Rücken zu agieren. Es tut mir leid.“
„Ja, das wäre vielleicht besser gewesen.“ sagte sie scharf und sah Edward tadelnd an. „Aber ich bin so froh, dass Jake wieder hier ist und ich bin dir nicht böse. Soweit ich weiß, wolltest du Edward nur einen Gefallen tun und du kanntest mich ja nicht.“
„Das ist nicht wirklich eine Entschuldigung.“ sagte ich schmal und nun setzte sich Bella ganz aufrecht hin und beugte sich neugierig zu mir herüber.
„Darf ich es sehen?“ fragte sie leise.
„Was?“ ich sah sie voller Unverständnis an.
„Wie es geht. Ich würde gerne sehen, wie du dich in mich verwandelst.“ erklärte sie mir ruhig und ich hielt den Atem an.
„Öhm...ja, klar.“ sagte ich verwirrt und stand auf.
Edwards Gesichtszüge froren ein und ich konnte nicht wirklich erkennen, wie er zu Bellas Bitte stand. Und auch wenn ich keineswegs erpicht darauf war, ihre Gestalt ein weiteres Mal anzunehmen, fand ich, dass sie ein Recht darauf hatte.
Also konzentrierte ich mich und überraschenderweise fiel es mir nicht schwer, erneut ihr Aussehen anzunehmen. Ich schloß die Augen und wartete darauf, dass mein Körper sich veränderte und als ich spürte, wie die Verwandlung abgeschlossen war, hob ich die Lider wieder.
Bella sah voller Überraschung zu mir.
Ihr Mund leicht geöffnet und die Augen in Erstaunen geweitet. Sie stand nun ebenfalls auf und stellte sich direkt vor mich.
„Es ist wie ein Spiegel.“ murmelte sie leise und ich nickte.
„Ist es seltsam für dich?“ fragte ich und konnte mir die Antwort auf diese Frage schon denken.
„Und wie! Ist das meine Stimme? Höre ich mich wirklich so an?“ sie blickte fragend zu Edward, der schwach lächelte.
„Du bist wirklich gut, Lexi. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich selbst daran zweifeln, wer von uns beiden ich bin.“ sagte sie bewundernd und es war diese Bewunderung, die mir Übelkeit verursachte. Ich ließ meine Maskerade wieder fallen. Ich wollte nicht mehr länger in Bellas Gestalt sein.
„Es erklärt so einiges. Ich hatte nicht gedacht, dass die Täuschung so perfekt sein würde. Jake hatte wirklich Recht....“ schloß sie flüsternd und sein Name durchzuckte mich, wie ein glühendes Messer.
„Wie geht es ihm?“ fragte ich leise, denn es war das Einzige, das mir wirklich auf der Seele brannte.
„Nicht wirklich gut, Lexi. Er macht sich unheimliche Vorwürfe. Er meint, er hätte es bemerken müssen und bis gerade eben, habe ich das, ehrlich gesagt, auch gedacht. Auch wenn ich es ihm nicht gesagt habe. Ich wollte ihm keine Vorwürfe machen, bevor ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe.“ sie nahm wieder auf dem Sofa Platz.
„Er hat es nicht bemerken können. Und ich glaube, er wollte es auch nicht. Während der ganzen Zeit, gab es mehr als einen Augenblick, in dem er es eigentlich hätte sehen müssen. Aber ich glaube, er hat sich einfach zu sehr gewünscht, dass du bei ihm bist, dass er seinen Blick nicht auf diese Dinge gelegt hat.“ ich ließ mich ebenfalls wieder auf den Sessel fallen und fuhr mir über die Augen.
„Es tut mir leid, dass es ihm meinetwegen schlecht geht. Das habe ich wirklich nicht gewollt. Ich hoffe, du glaubst mir, dass hinter all dem keine böse Absicht stand.“
„Das glaube ich dir. Edward hat dich als sehr liebenswert beschrieben und bisher hast du mir keinen Grund gegeben vom Gegenteil auszugehen.“ lächelte sie scheu.
„Liebenswert, ja?“ ich lachte hustend und sah Edward mit zusammengekniffenen Augen.“Ich bin wahrscheinlich alles, aber sicher nicht liebenswert. In Liebesdingen, bin ich eine totale Versagerin. Sieh dir doch nur an, was ich Jake angetan habe, wider besseren Wissens.“ ich senkte den Blick und schüttelte dann heftig den Kopf „Ach, wem lüge ich hier etwas vor? Schluß mit den Ausreden! Wäre es nicht Jake gewesen, wäre es mir jetzt wahrscheinlich vollkommen egal, wie es meinem „Opfer“ geht. Solange ich Edward den Gefallen, um den er mich gebeten hat, erfüllen konnte.“
„Alexis.“ sagte Edward plötzlich harsch und ich erschrak.
„Stell dich doch bitte nicht so herzlos dar. Du bist eine tolle Person und ich hätte dich nie um diesen Gefallen bitten sollen. Es hätte mir klar sein müssen, warum du solche Dinge nicht mehr machst und ich hätte es dabei belassen sollen.“ fuhr er fort.
„Das hat doch alles keinen Sinn. Passiert ist passiert, Edward und egal wessen Schuld es letztendlich ist, es ändert nichts am Ergebnis. Ich hab Jacob unheimlich verletzt. Nein, das ist falsch ausgedrückt. Ich bedeute ihm zu wenig, als dass ich in der Lage wäre ihn zu verletzen. Das, was ihn wirklich verletzt hat, war die Tatsache, dass ich ihm vor Augen geführt habe, dass Bella nicht für ihn bestimmt ist. Und das wird er mir nie verzeihen.“ begehrte ich auf und stand wieder auf, um unruhig hin und her zu tigern.
„Wie war es, ich zu sein?“ versuchte Bella abzulenken und die Spannung im Raum legte sich langsam wieder.
„Es war das Schwerste, das ich je tun musste, Bella. Weder Jake noch Edward, glaube ich, verstehen, wie es ist, in deinen Schuhen zu laufen. Ich würde nicht mit dir tauschen wollen.“
An Bellas Gesichtsausdruck bemerkte ich, dass dies genau die Worte waren, die sie dazu bringen würden, mich sympathisch zu finden.
„Jake ist ein wundervoller Mensch, aber er ist der größte Sturkopf, den ich je kennengelernt habe und seine Unfähigkeit, Tatsachen zu akzeptieren ist fast ebenso nervend, wie bewundernswert. Ihm wehzutun, hat mich fast selbst getötet. Ihm zu sagen, dass du nicht für ihn bestimmt bist, wurde zu einer steten Platte mit Sprung. Ich glaube, dass er dich liebt. Aufrichtig und tief, aber es ist nicht dasselbe, was dich mit Edward verbindet. Wenn ich Euch beide zusammen sehe, dann wird mir sofort klar, was ihr einander seid. Für Jacob bist du die erste große Liebe und die ist wohl immer echt und sie loszulassen, gelingt ihm einfach nicht. Ihn leiden zu sehen und zu wissen, dass man selbst der Grund dafür ist, ist unerträglich. Ich beneide dich nicht Bella, keineswegs....höchstens um die Gefühle, die er für dich hegt.“ Den letzten Satz hatte ich nur geflüstert, doch Bella hatte ihn verstanden.
„Du magst ihn, oder?“ stellte sie mehr fest, als dass sie fragte.
Ich rieb die Lippen aneinander und nickte kaum merklich.
„Sehr sogar, Bella. Mehr als das, wenn ich ehrlich bin. Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht böse. Manche Sachen kann sogar ein Vampir nicht kontrollieren.“ ich senkte den Kopf und erneut schnürte sich meine Brust unter der Last der Wahrheit zusammen, sodass ich glaubte ersticken zu müssen.
„Dir böse sein? Weil du ebenso wie ich, erkannt hast, dass Jake ein wundervoller Kerl ist? Nein, keine Bange, ich bin dir nicht böse. Ehrlich gesagt, würde ich mich unter anderen Umständen sogar darüber freuen. Es täte ihm so gut, eine Ablenkung zu haben und jemanden, der seine Gefühle offen erwidern kann und der ihm Hoffnung gibt.“ sagte Bella.
„Diese Person werde ich wohl nicht mehr sein können. Er glaubt mich nicht zu kennen und dass ich eine Fremde sei. Auch wenn ich anders darüber denke, wird er mir wohl kaum eine zweite Chance geben mich kennenzulernen. Und weißt du was? Ich kann es verstehen. Wie sollte er wissen, dass ich vieles ernst gemeint habe? Dass ich in so manchen Stunden, meine innere Maske fallen gelassen habe und ich ganz ich gewesen bin? Und wie sollte er wissen, in welchen Stunden es geschehen ist?
Ich werde mich keiner Hoffnung mehr hingeben.“
Wieder spürte ich das Brennen der heißen Tränen zwischen meinen Lidern, als ich die Augen schloss und ich hörte das gequälte Geräusch Edwards.
„Es tut mir so leid, Lexi.“
ich blinzelte die Tränen weg und fuhr mir in einer hektischen Geste über die Augen, in der Hoffnung, dass keine weiteren Tränen folgen würden.
„Selbst wenn die Dinge anders liegen würden, Edward, es würde nichts ändern. Keiner von uns kann die Vergangenheit ändern. Weder die meine, noch die Jacobs. Ich bin froh, dass ich ihn kennenlernen durfte und dass ich eine Woche mit ihm verbracht habe, die mir keiner mehr nehmen kann. Ein kleiner Sonnenstrahl im Regen. Aber ich weiß, dass sich dadurch das Wetter nicht ändern wird. Und auch wenn ich dem Licht hinterher trauere, weiß ich doch, dass es nicht immer dunkel sein kann. Ich muss einfach nur noch ein bisschen Geduld haben, ein bisschen länger durchhalten. Irgendwann wird es auch für mich einen neuen Morgen geben. Und wenn nicht, dann weiß ich wenigstens mit Gewissheit, dass ich all meine Sünden gesühnt habe.“
Bella schluckte und ich sah Mitgefühl in ihren warmen braunen Augen.
„Vielleicht gibt es ja doch noch einen Weg für dich Lexi. Ich weiß zwar noch nicht, wie dieser aussehen soll, aber ich will einfach noch nicht so einfach aufgeben. Ich würde mich freuen, wenn du bis zu unserer Hochzeit bleiben würdest. Ich denke, bis dahin haben wir drei zusammen eine Lösung gefunden.“
Die Jagd mit Emmet und Rosalie schob ich nun schon seit ein paar Tagen vor mir her. Ich war nicht in der Stimmung in die Nacht hinauszulaufen und mich an meinen Fähigkeiten zu erfreuen, die einzig und allein doch an meiner Misere schuld waren.
In 200 Jahren hatte ich mich nie der Frage gestellt, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich ein Mensch sei. Doch dieser Gedanken bildete sich jetzt immer mehr zu einem Wunsch. Wäre ich ein Mensch, wären all die schlimmen Dinge in meinem Leben nicht geschehen. Ich wäre nicht in der Lage gewesen, für Caius von Interesse zu sein.
Nicht mehr, als eine Mahlzeit für ihn zu sein.
Ich hätte vielleicht ein glückliches, wenn auch vergleichsweise kurzes Leben gelebt. Ich hätte Heim, Hof und eine Familie gehabt.
Die ersten zwei Tage war Emmet nicht müde geworden, mich zu überreden und mir eine Jagd schmackhaft zu machen, aber auch mein Hunger war mit Jake verschwunden. Ich wollte nicht tun, was ihn dazu brachte mich zu hassen, auch wenn er es nicht mitbekam. Als Emmet bemerkt hatte, dass egal was er sagte, ich keinerlei Anwandlungen zeigte, mich von ihm überzeugen zu lassen, ließ er mich in Frieden.
Esme war besorgt um mich, denn ich verweigerte auch jedwede normale Nahrung. Es schien mir so sinnlos, mich mit Eiern, Speck und Kartoffeln vollzustopfen, um weiter an meinem Schmerz teilhaben zu können. Vielleicht waren zwei Jahrzehnte mehr als genug.
Es war definitiv mehr, als manch anderer bekam und vielleicht war es jetzt für mich an der Zeit, Abschied zu nehmen.
Ich verbarg diese Gedanken wohlweislich, wenn Edward in der Nähe war. Ihm einen Grund zu geben, sich noch schlechter zu fühlen, war nicht in meinem Sinne.
Viel Zeit verbrachte ich allein im Gästezimmer, mit Bildbänden der verschiedenen Kontinente und einer Menge Karten und Atlasmaterial.
Irgendwie war mir in den Sinn gekommen, dass Argentinien nicht weit genug war. Nicht weit genug entfernt von meinen Problemen und den Dingen, die mich daran erinnern konnten. Die einzige, von der ich mich aus meinem Zimmer locken ließ, war Alice.
Aber es waren nicht die Vorbereitungen für die Hochzeit, in die sie versuchte mich einzubinden, die mich die Nähe anderer suchen ließ. Es war der Umstand, dass egal wo Alice sich aufhielt, Jasper nicht weit war.
Seine Anwesenheit beruhigte mich, vertrieb den Kummer in meinem Inneren und es waren die Stunden mit ihm und Alice, die meine Situation wenigstens in Teilen erträglich machte. Und dennoch konnte ich nicht damit rechnen, dass sich Jasper 24 Stunden am Tag in meiner Nähe aufhielt. Zumal ich auch wusste, dass er den Schmerz nicht für immer vertreiben konnte. Das war Niemanden möglich, außer Jacob.
Und er war der Letzte, der irgendetwas tun würde, damit ich mich besser fühlte.
Bella hatte mehr als einmal mit ihm gesprochen und ihn innigst darum gebeten, sich einem weiteren Gespräch mit mir zu stellen.
Doch entgegen meiner Annahme, er würde alles für Bella tun, sperrte er sich in diesem Punkt. Und Bella wollte, dankbar wie sie war, dass Jake wieder daheim war, keinen Streit mit ihm riskieren.
Also drang sie nicht weiter als möglich in ihn ein.
Ich verübelte es ihr nicht.
Auch hätte ich sie nicht darum gebeten, wenn sie es nicht von sich aus getan hätte. Es war sinnlos und ich wollte keinesfalls, dass sie wegen mir in Streit mit Jacob geriet. Nicht um ihretwillen, sondern um seinetwillen. Nicht, dass ich Bella Böses wünschte, ehrlich gesagt, hatte ich sie in den letzten Tagen lieb gewonnen. Aber ich wollte nicht erneut Grund dafür sein, dass Jake sich schlecht fühlte. Und eine Auseinandersetzung mit Bella würde unweigerlich dazu führen.
Wenn Bella mir von ihren Unterhaltungen mit Jake berichtete, spürte ich stets, dass sie seine Worte für meine Ohren schmälerte.
Ich kannte Jake mittlerweile gut genug, so bildete ich mir ein, dass das was sie mir sagte, einfach nicht nach ihm klang. Jake redete wie der Schnabel, oder besser, die Schnauze ihm gewachsen war.
Während ich meinen Gedanken hinter her hing, lustlos durch einen Reisebericht über Mesopotamien blätterte, klopfte es schließlich an meiner Tür. Ich blickte nur halbherzig von den Bildern vor mir auf und sprach ein desinteressiertes „Herein.“
Die Tür öffnete sich langsam und ein blonder Haarschopf trat in mein Blickfeld.
„Rosalie..“ sagte ich erstaunt, freute mich aber sogleich über ihren Besuch. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich mich stets so zurückzog und gerade sie, mit der ich eigentlich gern meine Zeit verbrachte, so vernachlässigt hatte. Schnell klappte ich das Reisejournal zu und legte es zur Seite.
Doch Rosalie hatte bereits ihren Blick darüber gleiten lassen und zog das Papier zu sich herüber, während sie sich grazil auf die Kante des Tisches setzte.
„Mesopotamien, hm?“ sagte sie kühl.
„Es ist in der engeren Auswahl.“ antwortete ich und nahm ihr das Journal wieder aus den Händen.
„Aber ich werde euch nicht verraten, wohin es mich letztendlich zieht. Ihr habt für meinen Geschmack ein bisschen zuviel Kontakt mit den Volturi.“ Es sollte scherzhaft klingen, aber Rosalie verdrehte die Augen.
„Bist du es nicht langsam leid? Immer wieder davon zu laufen, wie das Kaninchen vorm Fuchs? Du weißt, früher oder später wird er dich bekommen und wenn er seinen Hunger nach Blut woanders gestillt hat, wirst du ewig wegrennen ohne einen Verfolger hinter dir zu haben.“ führte sie immer noch kühl aus und ich zuckte mit den Schultern.
„Möglich. Aber ich habe für mich entschlossen, nicht als Fuchsfutter zu enden. Und wenn doch, dann will ich ihm schwer im Magen liegen.“
„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, einfach das auszusprechen, weshalb er dich zum Schweigen bringen will? Wenn es alle wissen, kann er dich nicht mehr verfolgen.“
Ich lachte kurz aber unehrlich auf.
„Wenn ich das ausspreche, dann will nicht nur er meinen Tod. Ich kann, glaube ich, besser mit einem Verfolger leben, als mit 20 Zirkeln, die nach Rache dürsten. Du vergisst, was ich in Caius Auftrag getan habe. Ich glaube, bei manchen ist der Wunsch, den Mörder ihrer Gefährten in die Finger zu bekommen, noch nicht verebbt.“ sagte ich höhnisch.
„Also wirst du nicht bleiben.“ es war eine Feststellung, die ich nicht bestätigen musste.
„Ich werde gehen.“ sagte ich trotzdem.
„Wann?“
„Bald.“
„Bleibst du noch zur Hochzeit?“ fragte sie weiter und ließ ihre Finger über meine Atlanten gleiten.
„Vielleicht. Aber ich denke, eher nicht.“
„Gut.“
Ich hob meinen Blick in Rosalies goldene Augen und wurde das Gefühl nicht los, dass sie noch etwas zu sagen hatte.
„Zieh dich an, Kleines. Wir gehen jagen.“ sagte sie schlicht und erhob sich wieder.
„Rose...muss das wirklich sein? Ich habe keinen...“ begehrte ich auf, doch Rosalie schüttelte nur den Kopf.
„Ich wiederhole mich ungern. Emmet und ich warten unten, also tu mir den Gefallen und beeile dich.“
Wenn Rosalie diesen Ton anschlug, war es sinnlos, sich dagegen zu wehren. Und irgendwie hatte sie wohl verdient, dass ich ihr diesen Wunsch erfüllte. Also stand ich auch auf, nachdem sie das Zimmer verlassen hatte und ging zum Kleiderschrank, der dank Alice, mehr als gut gefüllt war.
Seufzend zog ich eine dunkle Jeans hervor und suchte dann lange nach einem einfachen schwarzen Pullover.
Alice Sinn für Mode hatte ihn in die hinterste Ecke des Schrankes verbannt, wo er ein einsames Dasein gefristet hätte, wäre ich nicht mitleidig mit ihm geworden.
Eigentlich war es egal, in welcher Kleidung ich jagen ging.
Doch zwischen den ganzen Röcken, Blusen und Kleidern, erschien mir meine Auswahl am sinnigsten. Ich schlüpfte in meine Turnschuhe, flocht mir mein Haar zu einen strengen Zopf und verließ dann mit einem Ausdruck in den Augen, der verriet wie lustlos ich war, den Raum.
Wie sie es angedroht hatte, wartete Rosalie bereits mit Emmet am unteren Treppenabsatz und ich bemühte mich, es wenigstens halbwegs so aussehen zu lassen, als hätte ich mich mit einer Jagd angefreundet. Doch ich verspürte immer noch keinen Hunger und erst recht keine Lust darauf, nun einem unschuldigen Tier die Kehle aufzuschlitzen. Als ich aber sah, wie aufgeregt Emmet zu sein schien, wusste ich, dass ich es tun würde und zumindest den Anschein erwecken würde, dass es mir Freude machte.
Also klatschte ich in die Hände, legte ein breites Lächeln auf meine Lippen und machte große, erfreute Augen.
„So. geht’s jetzt auf die Jagd?“ sagte ich gespielt erfreut und Emmets dunkles Lachen hallte in meinen Ohren. Er gab mir eine unsanfte Kopfnuss, während er mich an sich zog und in den Schwitzkasten nahm.
„Du brauchst nicht so zu tun, als ob du dich darauf freust mit uns durch die Nacht zu ziehen, Lexi. Aber schön, dass du den Spaß trotzdem mitmachst. Du wirst sehen. Der Appetit kommt beim essen. Ich habe mich sogar breit schlagen lassen, in der Nähe zu bleiben. Du brauchst also keine Angst haben. Spätestens im Morgengrauen bist du zurück in deinem Zimmer und kannst weiter Trübsal blasen.“ sagte er immer noch lachend und ich befreite mich aus seinen kalten Armen.
„Das ist sehr großzügig von dir, Emmet. Und wie kommst du auf die Idee, ich hatte keine Lust auf dieses...Spektakel?“
„Ich mag vielleicht nicht in der Lage sein Gedanken zu lesen, wie Edward. Aber ich kann durchaus echte Begeisterung von gespielter unterscheiden.“ sagte er grinsend, zog sich eine Mütze über das kurze Haar und öffnete die Tür.
Ich gab mich geschlagen und folgte ihm und Rosalie, die bedächtig ruhig war, hinaus in die Nacht. Die Luft war klar wie immer, der Himmel wolkenverhangen und schwarz und leichter Nieselregen legte sich sofort auf unsere Silhouetten. Es war nicht wirklich kalt, doch sommerliche Wärme wurde schmerzlich vermisst. Jeder meiner Atemzüge zauberte kleine weiße Wölkchen hervor. Etwas, dass nur bei mir geschah, denn Emmet und Rosalie atmeten nicht wirklich. Ihre Atemzüge waren in langer Übung in Fleisch und Blut übergegangen. Doch außer, dass sich ihr Brustkorb hob und senkte geschah nichts.
Zielstrebig steuerte ich den vor dem Haus geparkten Jeep Emmets an, doch merkte schnell, dass weder Rosalie noch Emmet den gleichen Weg einschlugen.
„Oh Mann, Lexi. Du wirst auf deine alten Tage doch nicht etwa so faul geworden sein, dass du lieber mit einem Auto fährst, als unter dem Sternenhimmel zu laufen? Ich dachte eigentlich deine ständige Flucht, würde dich im Training halten. Ich muss sagen, ich bin ganz schön enttäuscht von dir.“ Emmet schüttelte den Kopf, doch sein Lachen schien auf seinen Zügen wie fest gewachsen.
Ertappt senkte ich mein Haupt und drehte dem Jeep den Rücken zu.
Rosalie übernahm die Führung und wir drangen immer weiter in den umstehenden Wald ein.
Es dauerte nicht lange, bis unsere Sinne das Geräusch von äsenden Rehen vernehmen konnten. Rosalie zügelte ihren Schritt und auch Emmet und ich machten uns kampfbereit.
Auf einer kleinen Lichtung, die alles Licht der Nacht verschluckte, befand sich eine große Herde Wapitihirsche.
Es würde ein leichtes sein, sich eines von ihnen auszusuchen und wenn ich Glück hatte, würde die Jagd somit bald beendet sein.
Ich hielt den Atem an, während sich meine Augen für einen großen, stämmigen Hirsch entschieden. Der Geruch der Tiere, ihr Herzschlag und das pulsierende Blut in ihren Adern, erinnerte mich daran, dass auch wenn ich meinte, keinen Hunger zu haben, mein Körper dies durchaus anders sah.
Ich suchte Blickkontakt mit Emmet und Rosalie und wollte grade zu einem lautlosen Angriff übergehen, als Emmet aus seiner Deckung hervorsprang und mit einem lauten Schrei unsere Position verriet.
Er lachte laut und dröhnend und ich schüttelte den Kopf.
„Das macht den Unterschied zwischen jagen und töten.“ grinste er.
Die Hirsche sprengten auseinander und ihre drei Verfolger stoben alle in unterschiedliche Richtungen davon. Ich stieß mich kraftvoll vom Boden ab, mein Ziel deutlich vor Augen und preschte voran, um den Vorsprung des Hirsches schnellstmöglich zu mindern.
Es war ein starkes und kräftiges Tier, dass das Areal weit besser kannte als ich. Das war sein Vorteil. Meiner war, dass ich mich nicht auf meine Augen verlassen musste, um seiner Spur zu folgen. Ich hörte seine Hufschläge auf dem Waldboden, roch seinen Duft deutlich in der Luft und plötzlich lief alles automatisch ab.
Ich überließ mich meinen innersten Instinkten. Jagte, wie ich schon lange nicht mehr gejagt hatte. Es ging mir nicht einmal so sehr darum, dass Tier schnellstmöglich zu erledigen. Mich reizte der Wettkampf mehr, als die wartende Mahlzeit.
Und ich hatte einen fast ebenbürtigen Gegner.
Wir rauschten zwischen den Bäumen hindurch, zerschmetterten das Dickicht unter unseren Füssen und wirbelten Blätter und Erde bei jedem unserer Schritte auf. Die kühle Luft strömte durch meine Lungen und ich spürte die Hitze auf meinen Wangen.
Die unbändige Geschwindigkeit meines Körpers durchflutete mich für den Bruchteil einer Sekunde mit Freiheit und Freude. Ich entfernte mich immer weiter von der Lichtung, der Spur des Hirsches folgend.
Ich achtete nicht auf meinen Weg, übersprang ohne Mühen, umgefallene Baumstämme und andere Hindernisse. Meine Beute schlug gekonnte Haken, verschwand immer wieder kurzzeitig aus meinem Blickfeld, nur um in der nächsten Sekunde wieder aufzutauchen.
Mit einem gewaltigen Sprung stieß ich mich vom Boden ab.
Meine Hände schlossen sich um einen armdicken Ast über meinem Kopf und ich zog meinen Körper hinauf in den Baumwipfeln. Ich streckte mich, sprang erneut und erreichte damit den nächst stehenden Baum.
Von meiner neuen Position aus, konnte ich den Hirsch nun deutlich sehen, wie er panisch durch das Unterholz sprengte.
Fast bekam ich Mitleid mit dem Tier, das trotz seiner Angst immer noch eine gewisse Anmut verbreitete und das ich immer noch für majestätisch hielt. Ich beruhigte mich mit der Tatsache, dass es ebenso gut einem Puma oder Bären zum Opfer fallen könnte und es dabei einem nicht halb so schnellen Tod entgegensah, als wenn ich es zu Fassen bekam.
Ich merkte, wie das abschweifen meiner Gedanken, die Jagd zu Gunsten des Hirsches ausgehen lassen würde, wenn ich mich nicht allmählich wieder zu konzentrieren begann. Ich verließ die Baumkrone und schlug hart wieder auf dem Waldboden auf.
Kurz musste ich mich orientieren, streckte meine Nase dem Wind entgegen, um die Fährte erneut aufzunehmen, als ein anderer, viel verlockenderer Duft in der Luft hing.
Wie zu Eis erstarrt, blieb ich stehen und wand den Blick umher, als wüsste ich nicht genau, dass die Quelle dieses Duftes nicht hier war.
Es war eine Entscheidung von Sekunden, den Hirsch, Hirsch sein zu lassen und dem anderen, angenehmeren Duft zu folgen.
Ich rannte los, schneller noch als auf meiner Hatz nach dem Tier. So schnell, als wäre ich die Gejagte und nicht der Jäger. Immer weiter der Quelle des Duftes entgegen, die mich wie magisch anzog. Blätter und Zweige schlugen mir ins Gesicht und ich spürte meine Haut an einigen Stellen aufreißen. Doch ebenso spürte ich einige Sekunden nach den Verletzungen, auch deren Heilung.
Und selbst wäre mir das Blut in Strömen die Wangen herunter gelaufen, es hätte mich nicht gekümmert.
Der Wald hörte abrupt auf und wurde von einem breiten Fluss geteilt. Das Wasser schoß wie im Rausch in seinem steinernen Bett voran und wurde von großen, kantigen Steinen flankiert.
Ich musste in meinem Schritt innehalten, sonst wäre ich wohl einfach abgestürzt.
Mir war klar, dass der Grund des Duftes, der Grund, der mich so sehr anzog, sich direkt auf der anderen Seite des Flusses befinden musste.
Auch wusste ich, dass ich eigentlich umkehren sollte. Doch irgendwie war ich nicht in der Lage meinem Körper eben diesen Befehl zu geben.
Stattdessen ging ich in die Knie und sprang ab.
Ich musste...
Plötzlich schloss sich ein Ring aus Stein um meine Mitte und es riss mich mit der Kraft eines donnernden Gewitters zurück. Mein Brustkorb schien unter der Härte des Griffs fast zu zerbersten.
Erst langsam lockerte er sich und gab mir die Möglichkeit die Situation zu erfassen.
„Da darfst du nicht hin, Lexi. Das ist Wolfsgebiet.“ fuhr mich Emmet an und ich kannte diese harsche Art nicht von ihm.
„Wolfsgebiet?“ fragte ich irritiert und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, ohne ihm dabei Schaden zuzufügen.
„Du weißt schon. Das Gebiet, dass wir laut Vertrag nicht betreten dürfen. Dort beginnt das Quileute-Reservat.“ sagte er und hielt mich immer noch fest.
„Nein, weiß ich nicht. Woher sollte ich das auch wissen?“ antwortete ich nun leicht erbost. „Du kannst mich im Übrigen loslassen, Emmet.“
Er öffnete seine Arme und trat einen Schritt zurück.
„Was willst du überhaupt da drüben? Ich glaube kaum, dass der Hirsch den Fluss geschafft hat.“ sagte er wundernd und ich seufzte, mit einem sehnsüchtigen Blick auf das andere Ufer.
„Es geht mir auch gar nicht um den Hirsch.“ gestand ich kleinlaut und erntete ein nur noch verwirrteres Gesicht von Emmet.
„Um was geht es dir dann? Sag mir jetzt nicht, der Gestank der Wölfe hat dich angelockt. Ihr Geruch wird vom Wind sogar bis hier her geweht und ätzt sich in meine Nasenwände.“
Wie sollte ich ihm erklären,dass der Geruch, der ihm wie eine Belästigung vorkam, für mich der schönste Duft der Welt war?
„Hör zu Emmet.“ begann ich sacht. „Für mich riecht es nicht unangenehm. Ehrlich gesagt, finde ich ihn irgendwie verlockend. Du hast es doch mitbekommen. Ich hab eine kleine Schwäche für das Odeur „nasser Hund“ entwickelt. Und wenn Jake da drüben ist, dann muss ich die Chance nutzen und mit im reden.“
„Du kannst da nicht rüber, Lexi. Echt nicht. Der Vertrag verbietet uns das Gebiet zu betreten. Und wenn wir es doch tun, dann ist die Waffenruhe zwischen uns und den Wölfen in Gefahr. Du könntest ebenso gut in die Hallen der Volturi schreiten. Das Ergebnis wäre das Gleiche. Ich weiß,...“ er seufzte „ dass du dich zu Jacob hingezogen fühlst und all das, aber er wird dir keine Gnade zeigen, wenn du sein Gebiet uneingeladen betrittst. Das ist dein sicherer Tod.“
„Dann soll es so sein.“ sagte ich trotzig und reckte kämpferisch das Kinn vor.
„Das ist Selbstmord, Lexi und wenn du glaubst ich stehe daneben, dann irrst du dich.“ sagte Emmet ebenso kämpferisch und machte wieder einen Schritt auf mich zu.
Doch ich hatte mich längst entschieden. Wenn Jake auf der anderen Seite war, dann war das genau der Ort an dem auch ich sein sollte. Und wenn Jacob beschloß, dass mich diese Entscheidung das Leben kosten sollte, dann war es eben so. Noch einmal sein Gesicht sehen zu können, seine Stimme zu hören, war den Tod durchaus wert.
„Wenn du den Vertrag brichst, Lexi, bringst du uns alle in Schwierigkeiten. Ist es das wirklich wert? Ein paar Tage vor Edwards Hochzeit?“ Emmet versuchte mich zu durchschauen, meinen nächsten Schritt zu erahnen, als wäre ich nun seine Beute.
„Ich bin nicht Bestandteil des Vertrages. Das hat Jacob selbst gesagt. Also kann ich ihn gar nicht brechen. Ich bin frei und kann gehen, wohin immer ich will.“ begehrte ich auf und machte einen Schritt von Emmet weg.
„Denk doch bitte einmal genau darüber nach. Dekaden der Flucht liegen hinter dir. Hast du all diese Mühen auf dich genommen, am Leben zu bleiben um dann von einem Rudel Wölfe in Stücke gerissen zu werden? Ich kann dir nicht folgen, wenn du in Gefahr gerätst. Ich bin Bestandteil des Vertrages.“ antwortete er.
„Gräm dich nicht Emmet. Ich bin ein großes Mädchen. Ich kann durchaus auf mich aufpassen. Glaubst du so wenig an mich, dass du mir nicht zutraust es mit ihnen aufzunehmen?“ entgegnete ich herausfordernd und Emmet schüttelte den Kopf.
„Mit Einem, sicherlich, mit Einem könntest du es aufnehmen. Vielleicht sogar mit Zweien. Aber da drüben ist ein ganzes Rudel. Und vermutlich haben sie bereits jedes unserer Worte bereits gehört. Deine Liebe macht dich blind für die Gefahr, die dich erwartet.“
„Ich weiß, was ich tue. Auch wenn es in deinen Augen nicht danach aussieht. Vertrau mir bitte. Es ist der einzige Weg für mich.“ nun sah ich ihn flehend an und konnte den inneren Kampf in seinem Gesicht lesen.
„Bitte!“ setzte ich nach. „Ich verspreche dir, ich werde nichts Leichtsinniges tun.“
Emmet schnaubte.
„Allein, die andere Seite zu betreten ist so ziemlich das Leichtsinnigste, was du tun kannst.“
„Ich muss mit ihm reden. Versteh das doch bitte. Ich habe nicht mehr viel Zeit hier und ich will nicht gehen, wenn er mir immer noch zürnt. Ich will nur ein paar Worte mit ihm wechseln. Mich noch einmal erklären und entschuldigen. Ich werde mich nicht auf einen offenen Kampf einlassen. Versprochen. Bitte steh mir nicht im Weg, Emmet. Ich habe dich noch nie um etwas gebeten. Aber ich tue es jetzt.“ ich sah ihn mit großen Augen an und hoffte, dass er sich meinem Willen beugen würde.
Erneut haderte er mit sich. Doch schließlich trat er wieder einen Schritt zurück und seufzte lang und anhaltend.
„Du bleibst in der Nähe des Ufers, hörst du? Und wenn Gefahr droht, dann kommst du sofort zurück. Verstanden?“ sagte er befehlend und ich lächelte.
Schnell nickte ich.
„Verstanden.“
Aus einem plötzlichen Impuls heraus, warf ich mich in Emmets Arme, drückte mich eng an und stellte mich schließlich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die kalte Wange zu drücken.
„Danke, Emmet.“ flüsterte ich leise und war ihm wirklich mehr als dankbar.
Ich war froh, dass es Emmet war, der mich bei dem Versuch erwischt hatte und nicht Edward. Dieser hatte die Worte Jacobs selbst mitbekommen, dass dieser mich töten würde, sollten wir einander noch einmal begegnen und er hätte sich keineswegs von mir überreden lassen.
Emmet jedoch machte nur ein quälendes Gesicht und ich beschloß mein Glück nicht unnötig zu strapazieren und ihm dadurch die Zeit zu geben, es sich noch einmal anders zu überlegen. Ich würde mich gegen Emmets Kraft nicht wehren können, ohne ihn zu verletzen und das wollte ich nicht riskieren.
Also drehte ich mich schnellstmöglich um, nahm Anlauf und sprang. Der Fluss war kein wirkliches Hindernis und meine Landung auf der anderen Seite war weich und gekonnt.
Ich warf einen Blick über die Schulter zurück zu Emmet, der noch weißer zu sein schien, als sonst und unruhig hin und her lief, während er sich in einer unbeholfenen Geste die Mütze vom Kopf zog. Ich schenkte ihm ein Lächeln und versuchte es zuversichtlich aussehen zu lassen, auch wenn ich dies nicht war.
Ich wusste nicht was mich erwartete, wusste nicht, ob sich Jake überhaupt sehen ließ. Wenn Emmet recht behielt und die Wölfe unsere Konversation bereits gehört hatten, würde Jacob vielleicht nur sein Rudel schicken und sich selbst nicht zeigen.
Ich blickte mich vorsichtig um, spähte in die vor mir liegenden Schatten und versuchte eine Regung auszumachen.
Langsam und wachsam näherte ich mich den dicht stehenden Bäumen und wurde von der Dunkelheit der Nacht förmlich verschluckt. Ich spürte meinen Herzschlag anschwellen, ertappte mich dabei, wie ich die Luft anhielt und jeder meiner Muskeln bis zum zerreißen gespannt war. Ich spürte die Gefahr, wie Nebel in der Luft wabern und dann hörte ich das Rascheln der Blätter um mich herum.
Leise und in geduckter Haltung traten 8 riesige Wölfe aus ihrer Deckung offen auf mich zu. Einige von ihnen hatten die Ohren eng an den Kopf gelegt, ihr Nackenfell war gesträubt und nicht wenige knurrten unverhohlen.
Ich drehte mich im Kreis und bemerkte, dass sie wirklich ausgezeichnete Jäger waren, denn sie hatten mir jede Rückzugsmöglichkeit abgeschnitten, mich eingekreist und umzingelt. Nur einer der Wölfe schien eher neugierig an mir interessiert zu sein.
Er knurrte nicht, sondern stand aufrecht und mit freundlich nach vorne gerichteten Ohren vor mir. Er schnupperte in meine Richtung und es war dieser Wolf, der mich ein klein wenig beruhigte.
Ich ließ meinen Blick über jeden einzelnen gleiten, bis er letztendlich auf einem großen, rostbraunen Wolf liegen blieb.
Jake!
Ich wusste, dass er es sein musste. Es war nichts anderes möglich. Ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, dass es Jake war.
„Jake.“ sagte ich erleichtert und verängstigt zugleich, während er mit einem drohenden Knurren antwortete.
„Ich bin´s, Lexi. Ich bin nicht hier um Ärger zu machen, wirklich nicht. Ich will nur noch ein letztes Mal mit dir reden. Bitte....Wenn du...wenn du mich dann immer noch töten willst, werde ich mich nicht wehren.“
Ich flüsterte nur noch und sah flehend in seine dunklen Wolfsaugen. Die anderen Wölfe um mich herum, waren zweitrangig. Mir ging es nur um Jacob und die Hoffnung, dass er mit mir reden würde. Doch er drehte sich nur abrupt um und verschwand im dunklen Unterholz.
Ich machte einen Schritt hinter ihm her, die Hand sehnsüchtig nach ihm ausgestreckt, als sich ein großer schwarzer Wolf vor mich stelle und deutlich erkennen ließ, dass meine Anwesenheit wohl nicht erwünscht war. Ich spürte die Tränen wieder in mir aufwallen und machte einen Schritt zurück. Ich wollte keinen Ärger.
Meine Schulter sanken und ich rieb die Lippen aneinander, in dem verzweifelten Versuch die Tränen zurückzuhalten.
„Tut mir leid, dass ich euch gestört habe.“ sagte ich entschuldigend und lotete eine Möglichkeit aus, mich zurückzuziehen.
Doch die Wölfe zogen ihren Kreis enger um mich.
„Hört zu. Ich weiß, ihr habt wohl alles Recht der Welt, sauer auf mich zu sein und...“ ich seufzte. „Ach was soll´s. Wenn Jake nicht mit mir reden will, hat das eh alles keinen Sinn.“ sagte ich mehr zu mir selbst und schloß einfach die Augen. Wenn es jetzt und hier zu ende sein sollte, dann würde ich mich nicht dagegen wehren. Es würde mir zumindest die Schmerzen ersparen, mich mit seiner erneuten Ablehnung auseinander zu setzen. Dennoch spürte ich die Aufregung, die die Erwartung meines baldigen Todes in mir auslöste. Ich atmete ein, im Glauben, den letzten Atemzug meines Lebens zu tun, als sich eine Hand warm, aber fest um mein Handgelenk schloss und mich vorwärts zog. Überrascht öffnete ich die Augen und sah Jake.
Ohne auf mich zu achten, zog er mich mit sich aus dem Kreis der Wölfe. Er war nicht gegangen um zu verschwinden, sondern um seine menschliche Gestalt anzunehmen. Ich lächelte scheu. Die Freude, dass es noch nicht vorbei war und er sich mir genähert hatte, war schier unbändig.
Aber seine Körpersprache zeigte keine Freundlichkeit. Ich stolperte hilflos hinter ihm her, bis er einige Meter vom Rudel entfernt stehen blieb, mich ruckartig losließ, um mich mit harten Augen anzusehen.
„Sag, was du zu sagen hast. Vielleicht hört Bella dann auf mich zu nerven.“ sagte er kalt und ich schluckte.
Ich hatte nie im Leben damit gerechnet so weit zu kommen, auch wenn ich die Hoffnung darauf nie aufgegeben hatte, dass ich nicht wusste was ich nun sagen sollte. Meine Gedanken rasten unkontrolliert durch meinen Kopf.
Verzweifelt auf der Suche nach einem Anfang, nach etwas, dass sie greifen konnten um den Moment zu nutzen. Doch wie so oft in seiner Gegenwart, fiel es mir schwer, mich im Griff zu halten. Sein unwiderstehlicher Duft vernebelte meine Sinne und ich hätte mir den rechten Arm abgebissen, wenn er mir erlauben würde, ihn zu umarmen.
Doch ich war schlau genug, Abstand zu ihm zu halten und nicht leichtfertig zu riskieren, dass das Gespräch beendet war, bevor es überhaupt angefangen hatte.
Befangen trat ich von einem Fuß auf den anderen, während Jacob sich abwartend und deutlich genervt gegen einen Baum gelehnt hatte.
„Na komm schon, ich hab nicht ewig Zeit.“ sagte er verletzend und ich schluckte erneut.
Ich fuhr mir nervös durch die Haare, immer noch auf der Suche nach dem passenden Anfang, der mir partout nicht einfallen wollte.
„Ich weiß, was du von mir denkst. Aber ich bin hier, um dir zu sagen, dass du dich irrst. Ich bin nicht die kaltherzige Blutsaugerin für die du mich hältst. Ich habe mich nicht korrekt verhalten, das weiß ich auch, aber ich möchte dir erklären, warum ich so gehandelt habe. Ich wollte Edward einen Gefallen tun. Du verstehst das wahrscheinlich nicht, aber wenn dich ein Freund darum gebeten hätte, etwas moralisch verwerfliches zu tun, um ihm damit zu helfen, dann glaube ich nicht, dass du dich gesträubt hättest. Ich konnte doch nicht ahnen, dass du mich so dermaßen aus der Bahn werfen würdest. Ich habe das alles nicht mit böser Absicht getan. Als ich merkte, dass...du mir etwas bedeutest, war es zu spät. Welche andere Wahl hatte ich denn, als weiter zu machen und dich heim zu bringen. Ich glaubte doch etwas Gutes zu tun. Für alle Beteiligten.“ führte ich beklommen aus und wollte gerade weitersprechen, als Jake erneut nach meinem Handgelenk griff und mich mit harten Schritten noch weiter vom Wolfsrudel entfernte.
„Hast du überhaupt eine Ahnung, was du angerichtet hast?“ zischte er leise, vermeiden wollend, dass die anderen seine Worte hörten. Ein nutzloses Unterfangen, wenn die Wölfe auch nur ein halb so gutes Gehör wie ich hatten.
„Ich kann es mir nur vorstellen und wenn ich es rückgängig machen könnte, würde ich es tun. Aber das kann ich nicht. Ich will nicht, dass du denkst, ich hätte alles mit Berechnung getan. Ich habe mich in eine Situation hinein manövriert, die ich alleine nicht mehr verlassen konnte.“ verteidigte ich mich halbherzig, aber es besänftige ihn nicht.
"Du hast nicht nur dich in eine Situation hinein manövriert, sondern auch mich. Was hast du dir bei dem ganzen überhaupt gedacht? Was frage ich überhaupt? Ihr Vampire seid doch alle gleich, keiner von euch ist in der Lage über Eure Handlungen nachzudenken. Ihr denkt doch alle, ihr könntet tun und lassen was ihr wollt ohne dabei auch nur einmal an andere zu denken. Es geht immer um euren Vorteil, immer darum, was ihr wollt."
Sein Gesicht zeugte von der Wut, die er in sich trug und die er nur mühsam zu kontrollieren schien. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, er hatte recht mit jedem seiner Worte.
Es war mir zwar nicht um meinen eigenen Vorteil gegangen, aber durchaus um den Vorteil Edwards.
Ich rang mit den Händen, als würden sie mehr helfen können, die Worte zu finden die es jetzt brauchte, um ihn zu beruhigen. Wieder einmal fielen Sie mir nicht ein.
Hilflos sah ich aus großen Augen zu ihm herüber, während sein Blick an mir vorbei zurück zum Rudel ging.
Die Augen der anderen Wölfe waren allesamt auf uns gerichtet, während auch ihre Ohren in unsere Richtung zeigten.
„Ich hab jetzt echt nicht den Nerv, das hier mit dir zu diskutieren, okay? Komm nicht mehr her! Du hast hier nichts zu suchen! Heute lass ich dich laufen, aber glaub mir, wenn du noch einmal die Dreistigkeit besitzt, dich hier blicken zu lassen, dann werde ich mich an meine Drohung halten und dich töten.“ zischte er und ich zuckte unter seinen Worten zusammen, als wäre jedes einzelne davon ein Messer, das er mir zwischen die Rippen stieß.
„Bitte, Jake...nein. Bitte gib mir eine Chance, dir alles zu erklären.“ flehte ich ihn an, während er mir bereits den Rücken zudrehte.
„Es gibt nichts zu erklären, Alexis...so war doch dein Name, oder war der auch nur gestohlen?“
„Nein.“ ich bebte innerlich, wie äußerlich. Er durfte jetzt nicht gehen, ich war doch so nah daran gewesen, dass er mir zuhörte.
„Jake! Wenn du mir die Möglichkeit gibst, mit dir zu reden, dann verspreche ich dir, jede deiner Fragen zu beantworten. Ich verspreche es dir. Ich werd ehrlich zu dir sein.“
Es war mein letzter verzweifelter Versuch, ihn daran zu hindern zu gehen und scheinbar funktionierte es. Jacob blieb stehen, den Rücken immer noch zu mir gewandt.
„Was gilt schon das Versprechen eines Blutsaugers?“ sagte er kalt und ballte die Hände zu Fäusten.
Ich spürte die Anspannung in seinem Körper. Die Zerrissenheit, mein Angebot anzunehmen und sich weiter gegen jeden Kontakt zu mir zu sträuben.
Plötzlich drehte er sich noch einmal um, kam mir ganz nah und seine Stimme war ein Dolch aus Eis in meinen Ohren.
„In einer Stunde. Am Strand von La Push. Du kommst allein. Und ich warne dich irgendjemandem in unserem Gebiet zu töten oder überhaupt jemanden umzubringen. Das wäre das Letzte, was du tust.“
Schnell nickte ich, um ihm zu zeigen dass ich mit seinem Vorschlag mehr als einverstanden war. Es war mehr, als ich mir erhoffen konnte. Weit mehr als ich zu träumen gewagt hatte. Und auch wenn ich mir nicht erklären konnte, woher dieser plötzliche Sinneswandel kam, begrüßte ich ihn mit offenen Armen. Jacob wollte mich alleine sehen. Ob das nun gut oder schlecht war, konnte ich noch nicht sagen. Nichtsdestotrotz war es ein Fortschritt, dass er bereit war sich noch einmal mit mir zu treffen und vielleicht würde ich es schaffen, dass er mir zuhörte.
Er ließ mich stehen, ging zurück zu seinem Rudel und geschlossen zogen sie sich in die Schatten zurück.
Ich wartete nicht lange damit, mich aus der dräuenden Gefahr zurückziehen, sondern nahm die Füße in die Hand, um zum steil abfallenden Ufer zurückzukehren. Wieder nahm ich Anlauf und sprang auf die andere, sichere Seite.
Doch anstatt Emmet, erwartete mich dort Edward. Grob fasste er mich an den Schultern und begann mich zu schütteln, bevor ich überhaupt richtig gelandet war.
„Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Ist dir denn überhaupt nicht klar, was du getan hast?“ schrie er mich lauthals an und ich konnte ihn nur fragend ansehen.
„Edward. Was machst du denn hier?“ fragte ich verwirrt und konnte es mir im selben Moment jedoch denken. Alice!
„Das ist doch vollkommen unwichtig. Die entscheidende Frage jedoch ist, was machst du hier?“
„Ich hab mit Jake gesprochen. Und wenn du mich jetzt entschuldigst, er will mich in einer Stunde in La Push treffen. Also habe ich nur wenig Zeit, mich jetzt mit deinen Vorwürfen auseinander zu setzen.“ antwortete ich gereizt. Es war zwar durchaus ein schönes Gefühl, dass sich jemand um mich sorgte, doch war ich alt genug um auf mich selbst aufzupassen.
„Sie hätten dich umbringen können.“ sagte er und hörte auf mich zu schütteln, als er meine Gedanken las.
„Es war dir egal, oder? Du bist das Risiko bewusst eingegangen.“
Er ließ mich los, schockiert und fassungslos.
Ich sah schuldbewusst zu Boden. Die Gedanken, die ich vor ihm hatte geheim halten wollen, waren nun offen für ihn ersichtlich.
„Bedeutet er dir wirklich so viel, dass du ohne ihn nicht mehr...leben willst?“ fragte er ruhig. Zu ruhig.
Ich atmete tief durch und suchte abermals nach den richtigen Worten.
„Als du Bella verlassen hast,...“ sagte ich leise und räusperte mich unbeholfen. „hast du da noch gelebt? Soweit man das sagen kann? Und als du gedacht hast, sie wäre tot und eine gemeinsame Zukunft für Euch wäre für immer verloren, wolltest du da nicht auch sterben? Und du hattest zumindest etwas, das man halbwegs Leben nennen konnte. Du hast eine Familie, ein Heim. Für was sollte ich weiter leben, wenn ich nicht die kleinste Hoffnung hegen kann, dass Jake mir eines Tages verzeiht?“
„Ich wusste immer, dass Bella die Eine für mich ist. Ebenso wie sie weiß, dass Ich zu ihr gehöre. Ich hätte mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen können. Ich wollte nicht in einer Welt leben, in der es Bella nicht mehr gibt.“ antwortete er und verstand beim Aussprechen seiner Worte, dass es mir ebenso ging.
„Siehst du, Edward? Das was Bella für dich ist, ist Jake für mich. Und lieber lasse ich mein Leben von ihm beenden, als weiter mit dem Wissen zu leben, dass ich den einzigen Menschen, der für mich bestimmt ist, für immer verloren habe. Und es ist eindeutig besser, als weiter zu fliehen und eines Tages von Caius in Stücke gerissen zu werden. Kannst du das verstehen?“ fragte ich ihn bittend und er nickte seufzend.
„Aber muss es denn unbedingt Jacob Black sein?“ er versuchte ein sanftes Lächeln und ich haute ihm spielerisch gegen die Schulter.
„Ich hab mir das nicht ausgesucht. Und wenn du es recht bedenkst, bist du derjenige gewesen, der uns überhaupt erst zusammen gebracht hat.“ sagte ich mit einem leicht anklagenden Unterton in der Stimme und Edward rollte mit den Augen.
„Erinnere mich bitte nicht daran. Es war wirklich ein Fehler, in mehr als nur einer Hinsicht." er machte eine kurze Pause, wurde wieder ernst und sah mich dann eindringlich an.
"Jacob will sich also mit dir treffen,hm? Du solltest nicht alleine gehen. Denn auch wenn du es anders siehst, die Wölfe sind einfach unberechenbar. Ich weiß, dass es dir egal ist, ob dir etwas passiert. Und ob du es glaubst oder nicht, ich kann es durchaus verstehen. Ich hoffe, du kannst dafür verstehen, dass ich nicht wirklich gewillt bin, dich schutzlos zu lassen. Vielleicht wäre es dir ja möglich, noch so lange am Leben zu bleiben, bis ich eine andere Lösung, als den Tod für dich gefunden habe. Ich weiß, ich habe geschworen dich nie wieder um etwas zu bitten, aber ich kann nicht anders. Ich bitte dich darum, auf dich aufzupassen und jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Ich sollte dich begleiten... "
Aufgrund seiner Worte wurde auch ich wieder ernst. Ich verstand seinen Wunsch mich zu begleiten durchaus.
Seine Worte machten mir ein schlechtes Gewissen. Aber Jakes Anweisung war eindeutig gewesen. Ich sollte alleine kommen.
Es war Edward nicht erlaubt, das Gebiet der Wölfe zu betreten. Und sein Auftauchen am Strand, würde die Situation nur noch verschlimmern.
Er würde wissentlich den Vertrag brechen und das konnte ich nicht zulassen. Abgesehen davon, dass ich ihn nicht dabei haben wollte.
"Du kannst mich nicht begleiten, Edward. Damit würdest du den Vertrag brechen und das ist es einfach nicht wert. Wenn dir so viel daran liegt, dass ich mich nicht in Gefahr begebe, dann werde ich es nicht tun. Aber jetzt sollten wir zurück zum Haus gehen. Ich weiß, es ist irgendwie lächerlich, aber ich habe das dringende Bedürfnis, noch einmal zu duschen und mich umzuziehen." Ich lächelte verlegen und Edward legte einen Arm um meine Schulter.
„Ich werd Euch Mädchen nie verstehen.“
Ich war noch nie gut darin gewesen, Edward eine Bitte abzuschlagen. Ein Umstand, der mich überhaupt erst in mein Schlamassel gebracht hatte.
Aber auch jetzt, hatte ich nicht die Stärke besessen, ihm zu verbieten mich bis zur Grenze des Reservats zu bringen.
Schweigend saß ich neben ihm in seinem Porsche, der eigentlich Alice gehörte und sah aus dem Fenster in die Nacht hinaus.
Die mehr als knappe Stunde, die mir Jacob gewährt hatte, war in meinen Händen zerronnen, wie Zitroneneis in der Sonne.
Ich hatte es weder geschafft zu duschen, noch mich umzuziehen. Geschweige denn, mir zu überlegen, wie ich meine letzte Chance am besten nutzen konnte.
Jeder der Cullens hatte es als seine Pflicht angesehen, mir noch einmal ins Gewissen zu reden und keiner von ihnen hatte dabei mit Ratschlägen und Anweisungen gespart.
Der Einzige, der mir einfach nur Glück gewünscht hatte, war Carlisle gewesen. Emmet, Rosalie und Alice hatten allesamt die Meinung vertreten, dass ich mich wegen eines „stinkenden Köters“ nicht in eine solche Gefahr begeben sollte.
Jasper hatte mir mit knappen Worten erklärt, wie man einen Wolf am besten töten konnte und Esme war einfach nur sehr besorgt um mich gewesen.
Jedes Wort hatte ich mit stoischer Ruhe über mich ergehen lassen und auch wenn ich den Drang verspürt hatte, mich zu rechtfertigen, ließ ich es bleiben.
Ich hatte keine Zeit, mich in Wiederworten zu verstricken. Es war gerade noch genug Zeit geblieben, meine Haare zu kämmen und darin verfangene Blätter heraus zu klauben.
Gerne hätte ich mich noch bei Emmet entschuldigt, der meinetwegen einen ziemlichen Einlauf von Edward kassiert hatte und dem ich ebenso wie Rosalie, die Jagd ruiniert hatte. Aber auch dazu, war ich nicht mehr gekommen.
Ehrlich gesagt, war es im Moment auch zweitrangig.
Meine Gedanken fokussierten sich ausschließlich auf das bevorstehende Treffen mit Jacob und was es bedeutete.
Jeder mögliche Ausgang, hielt eine gravierende Änderung für mich bereit. Sollte Jake mir vergeben, würde ein ganz neues Leben für mich beginnen, dessen Details zwar noch im Verborgenen lagen, aber das nichtsdestotrotz, die schönste Möglichkeit darstellte.
Würde er mir nicht verzeihen, dann würde ich wissen wo ich stand und vielleicht würde er mir dann auch den Gefallen erweisen, mein Leben zu beenden. Egal wie es ausgehen würde, der Schmerz würde im Morgengrauen ein Ende finden.
„Du weißt, dass ich das nicht zulassen kann?“sprach Edward plötzlich in die Stille meiner Gedanken hinein.
„Du weißt, dass ich dich nicht um Erlaubnis frage?“ fragte ich ruhig zurück und sah zu ihm herüber.
Er nickte, leckte sich dann über Lippen und der Wagen kam zum stehen.
Edward drehte sich zu mir und legte einen Arm um den Beifahrersitz.
„Ja, ich weiß. Trotzdem....“ begann er langsam, aber ich unterbrach ihn.
„Nein, kein trotzdem, Edward. Hör zu...“ ich drehte mich ebenfalls in seine Richtung.
„Ich weiß, dass du es vermutlich nicht verstehst, aber seit ich Jake getroffen habe, hat sich alles verändert. Es hat nichts mit dir oder deiner Familie zu tun, aber ich hab mich immer gefragt, warum ich so sehr darum gekämpft habe, am Leben zu bleiben, wenn ich eigentlich überhaupt kein Leben hatte. Und irgendwie, glaube ich jetzt, dass Jake der Grund dafür war. Tief in mir drin, habe ich wohl gewusst, dass noch etwas auf mich wartet...jemand.
Und wenn Jake nicht dieser Grund sein will, wofür sollte ich dann noch kämpfen?“ ich machte eine kurze Pause, während der ich Edward tief in die Augen blickte. Auf der Suche nach Verständnis, vielleicht sogar Akzeptanz.
„Ich bin es so leid, immer davon zu laufen, ohne zu wissen wofür. Die Tage unterscheiden sich schon jetzt nicht mehr voneinander und die kommenden wären gespickt von dem Schmerz, den Jakes Fehlen in meinem Leben auslösen würde. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, dass es lebenswert sein könnte. Und diese Aussicht will ich mir nicht nehmen lassen. Auch nicht von dir.“ schloß ich zögernd und Edward seufzte lang.
Dann jedoch nickte er.
„Okay.“ sagte er knapp und es erfüllte mich mit Freude, dass ich nun wohl doch auf ihn zählen konnte.
„Danke“ sagte ich lächelnd, aber Edward zog seine Augenbraue nach oben. Scheinbar war er noch nicht fertig.
„Ich werde hier auf dich warten. Aber!“ er deutete mit dem Zeigefinger auf mich, als sei er ein Oberschullehrer.
„Sollte dir etwas geschehen, werde ich für nichts garantieren.“ schloß er und ich wusste, dass er es ernst meinte.
Nun war es an mir zu seufzen.
„Wenn es dir dann besser geht...aber lass ihn am Leben, wenn´s geht.“
„Das kann ich nicht versprechen.“
Ich schüttelte den Kopf, schenkte ihm ein Lächeln und öffnete die Autotür.
„Versuch´s.“ damit stieg ich aus, lehnte mich dann aber noch einmal zurück in den Wagen und küsste Edwards harte Lippen.
„Ich hab dich lieb.“ sagte ich rasch.
„Ich dich auch.“ antwortete er.
Dann lief ich los.
Viel Zeit war mir nicht mehr geblieben, aber der Strand war nicht mehr allzu weit entfernt, so dass ich es ohne Probleme schaffen würde. Weit genug jedoch immerhin, dass es Edward unmöglich sein würde uns zu hören oder gar unsere Gedanken zu lesen. Ein Umstand, der mich dankbar machte.
Nebel zog über die klammen Straßen und Wälder von La Push. Kein Mensch war weit und breit mehr zu sehen.
Die Nacht war finster und legte ihre alles durchdringende Schwärze über jeden Busch und Stein.
Der Mond schaffte es nur unzulänglich zwischen der zerfetzten Wolkendecke in Erscheinung zu treten und so war sein Schein, nicht mehr als ein mickriger Versuch, Licht in das Dunkel zu bringen.
Als ich den Strand erreichte, verstärkte sich der Klang zirpender Zikaden, die sich in der kargen Uferböschung zuhauf tummelten und plötzlich verspürte ich eine vollkommene Ruhe.
Hoffnung war in mir gewachsen, wie ein Diamant. Klein, aber fast nicht zu zerstören. Und ich hütete sie, wie man einen solchen Schatz hüten musste. Ich würde sie keinesfalls kampflos aufgeben.
Salziger Wind wehte mir um die Nase und der Geruch des Meeres vermischte sich mit dem unwiderstehlichen Duft Jacobs. Ich wusste wo er stand, noch bevor sich meine Augen auf ihn gelegt hatten.
Doch als sie es taten, brachte es mich unwillkürlich zum lächeln.
Vor den sanften Wellen des Meeres, auf dem das schummrige Licht des Mondes reflektiere, schimmerte seine bronzene Haut und ich fand ihn schöner, als jemals zuvor.
Ich sog diesen Anblick einfach in mir auf und machte dann die letzten Schritte auf ihn zu.
Ich war mir sicher, dass er mein Kommen bereits bemerkt hatte.
„Hi.“ sagte ich schüchtern und hob meine Hand zu einem zusätzlichen Gruß.
Er nickte nur, nahm die Hände nicht aus den Taschen seiner Shorts, sondern blieb einfach reglos stehen, den Fuß auf einen großen Stein gestützt.
Hilflos wartete ich auf eine weitere Reaktion seinerseits. Doch es kam keine.
Zwischen uns entstand eine unangenehme Stille und ich legte mir die Worte zurecht, die ich ihm sagen wollte, als er sich zu mir drehte und mich eingängig musterte.
Unter seinem Blick begann ich unwillkürlich zu schrumpfen. Ich wusste nicht, was er hoffte zu sehen oder zu erkennen glaubte.
Ich begann mich unwohl zu fühlen und fing an mich leicht zu drehen, als könne das seine Augen in eine andere Richtung lenken.
Schließlich rieb er die Lippen gegen einander, löste sich aus seiner Starre und drehte sich gänzlich zu mir, nahm den Fuß von der erhöhten Position und mein Herzschlag hämmerte mir bis zum Hals.
„Wie geht’s dir?“ fragte ich zitternd und nun legte sich sein Blick direkt in meine Augen.
„Wie es mir geht?“ seine Augenbrauen zogen sich in die Höhe. Dann lachte er heiser.
„Als ob es dich wirklich kümmert. Aber falls du es wirklich wissen willst. Mir geht’s beschissen!“
Ich biss mir auf die Lippen und rang mit den Händen.
„Ob du es glaubst oder nicht, es interessiert mich wirklich, wie es dir geht.“verteidigte ich mich leise und hob den Blick.
„Du bist verdammt sauer auf mich, stimmt´s?“ fragte ich leise und Jakes Miene zeigte plötzlich Verwunderung.
„Sauer auf dich? Ich kenne dich nicht einmal. Abgesehen davon, beschreibt sauer nicht halbwegs die Gemütslage, in der ich mich befinde.“ antwortete er sarkastisch und ich nickte betreten mit dem Kopf.
„Und welches Wort würde deine Gemütslage beschreiben?“ tastete ich mich weiter vor, immer noch wie angewurzelt vor ihm stehend.
„Ich glaube nicht, dass es ein Wort dafür gibt, das auch nur annähernd beschreibt, wie ich mich fühle.“ sagte er gereizt.
„Vielleicht..:“ ich atmete tief durch. „könntest du es mir erklären?“
„Erklären?“
Langsam kam ich mir vor, als spräche ich mit einem Papagei, der alles wiederholte was ich sagte.
„Ja, erklären.“ bestätigte ich also.
„Wozu? Damit du dich an meinem Elend ergötzen kannst? Ich verstehe sowie so nicht, was du hier willst und warum du fragst, wie es mir geht. Ehrlich gesagt, geht dich das nämlich einen feuchten Kehricht an. Hast du dir noch nicht genug mit Edward ins Fäustchen gelacht?“ echauffierte er sich erregt und ich wusste, dass dieses Gespräch schwieriger werden würde, als erwartet.
„Ich habe mir mit niemandem ins Fäustchen gelacht und ich ergötze mich auch nicht an deinem Leid. Ich bin hier, um mich bei dir zu entschuldigen und weil ich die Hoffnung hege, dass du mich vielleicht ein wenig verstehst.“
„Ja ich versteh so einiges. Ich verstehe, dass es Edward nicht gereicht hat, mir Bella zu nehmen. Nein, anscheinend muss er mir noch mein ganzes Leben zerstören, bevor er zufrieden ist. Du willst also wirklich wissen, was ich fühle?“ er redete sich immer mehr in Rage und ich machte einen Schritt von ihm zurück, um ihm den nötigen Platz für seine Wut zu lassen.
„Ich hasse mich selbst! Dafür, dass ich den Unterschied zwischen dir und Bella nicht erkannt habe. Ich hasse mich dafür, dass ich geglaubt habe, ich hätte doch noch eine Chance. Dafür, dass ich so verdammt leichtgläubig war. Herrgott! Du hast überhaupt keine Ahnung, was ich im Moment durchmache. Und dennoch kommst du hier her und glaubst, ich könne dir verzeihen. Ich kann mir nicht einmal selbst verzeihen.“ sagte er verbittert und mir schwante, dass ich wohl ziemlich egoistisch gewesen war, zu denken, seine gesamte Wut würde sich auf mich konzentrieren.
„Es tut mir so leid.“ stotterte ich leise, aber meine Worte besänftigten ihn nicht.
„Schön, dass es dir leid tut. Aber das hilft mir nicht. Nichts könnte mir im Moment egaler sein, als dass es einer Blutsaugerin leid tut, mein Leben zerstört zu haben.“ er ballte die Fäuste und ich kam mir hilfloser vor, als jemals zuvor.
„Ich wollte das nicht. Wirklich nicht, Jake. Es tut mir so weh, dich leiden zu sehen und zu wissen, dass ich dazu beigetragen habe. Glaub mir bitte, wenn ich es rückgängig machen könnte, dann würde ich es tun. Alles was mir jetzt noch übrig bleibt, ist dir meine Hilfe anzubieten, es wieder besser zu machen.“
Jacob lachte leise auf und er schien wirklich belustigt zu sein.
„Du glaubst, es gibt irgendetwas, dass du tun könntest, damit es mir besser geht?“ fragte er ungläubig und ich nickte zögernd.
Plötzlich wurde er wieder ernst, die Anspannung wich aus seinem Körper, als hätte jemand ein Ventil geöffnet und seine Schultern sanken in sich zusammen. Er drehte mir den Rücken zu, legte den Kopf in den Nacken und schien darüber nachzudenken, ob er das Gespräch mit mir weiterführen sollte. Als er sich wieder zu mir zurückdrehte, war sein Gesicht eine einzige Grimasse aus Schmerz, Verzweiflung und ich sah deutlich den flehenden Blick in seine Augen.
„Wenn du mir wirklich helfen willst, dann geh nach Hause, Lexi. Ich will nicht hören, was du zu sagen hast.“
Es war das erste Mal, dass er meinen Spitznamen benutzte und ich verlor mich kurz in dem Klang seiner Stimme, bevor ich mich wieder gefasst hatte.
„Ich habe kein Zuhause, Jake. Keinen Ort, an den ich gehen könnte.“ sagte ich bitter und schlang die Arme um meinen Oberkörper.
„Dann geh, wohin auch immer dein Weg dich führen mag.“ antwortete er ruhig und ich blickte zu ihm auf.
„Mein Weg hat mich zu dir geführt.“ gab ich zu. „Es gibt keinen anderen Ort, an dem ich sein will.“
Jakes Gesicht verzog sich, als würden meine Worte ihm körperlichen Schmerz zufügen und ich erschrak vor dem Ausdruck in seinen Augen.
„Ich will das nicht hören!“ sagte er und klang wieder aufgebracht.
„Warum nicht? Warum darf ich nicht sagen, dass du mir etwas bedeutest? Wovor hast du Angst? Ich dachte, ich bin dir egal.“ sagte ich kämpferisch und Jake warf die Hände in die Luft.
„Weil...weil...weil ich dir nichts bedeuten will! Du verstehst das einfach nicht, oder?“
„Was soll ich denn verstehen, Jake? Erkläre es mir bitte.“ flehte ich ihn an und trat einen Schritt auf ihn zu.
„Die Woche mit dir hat alles verändert. Nichts ist mehr so, wie vorher und ich hasse es. Jedesmal, wenn ich an Bella denke, dann tauchen nur Bilder von der Zeit mit dir auf und wenn ich versuche, mich an den Kuss mit ihr zu erinnern, dann ist da nichts mehr. Nichts! Keine Emotion, keine Regung...und wenn ich sie treffe, dann habe ich stets das Gefühl, dass etwas fehlt. Du hast aus meiner Wahrheit, eine Lüge gemacht.“ sagte er anklagend und atmete tief durch.
„Wenn das ein Bann ist, irgendeine vampirische Trickserei, dann beende es, bitte.“
Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Es schien, als hätte ich doch eine Bedeutung für Jake, auch wenn er sich diese nicht eingestehen wollte.
„Es ist keine Trickserei. Ich habe dich weder mit einem Bann belegt, noch sonst irgendeinen Voodoo betrieben. Wenn du etwas für mich fühlst, dann tut es mir leid, dir sagen zu müssen, dass es echt ist.“ antwortete ich ruhig und versuchte ihm ein sanftes Lächeln zu zeigen.
Doch Jake schüttelte vehement den Kopf.
„Das glaube ich nicht. Die gesamte Zeit mit dir, war eine Lüge. Eine Täuschung und ich werde nicht akzeptieren...“ fuhr er auf, doch ich unterbrach ihn sofort.
„Nur weil es dir nicht passt, Jake, macht es das noch lange nicht zu einer Lüge. Ich gebe zu, dir viel vorgespielt zu haben. Aber in den wichtigen Momenten, war ich ganz ich selbst. Unser Kuss, war genau das. Der unsrige. Ich habe mich nicht verstellt und ich weiß, dass es dir schwer fällt, es dir einzugestehen, aber zwischen uns ist etwas.“
Jake winkte ab und machte einen Schritt zurück, als wolle er sich vor meinen Worten in Sicherheit bringen.
„Gott! Hörst du dir selbst überhaupt zu? Hast du eine Ahnung, wie abwegig das ist?“ brauste er auf und schüttelte wütend den Kopf.
„Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Ich hab mir das nicht ausgesucht. Ebenso wenig wie du. Aber im Gegensatz zu dir, sehe ich über meinen Tellerrand und ich akzeptiere die Tatsachen...“sagte ich auflehnend und diesmal unterbrach er mich.
„Welche Tatsachen? Dass ich ein Werwolf bin und du alles verkörperst, was ich hasse? Wie sollte das funktionieren? Abgesehen von der Tatsache, dass ich dich überhaupt nicht kenne.“
„Dann lerne mich kennen. Gib mir die Chance, dir zu beweisen, dass man mir trauen kann. Dass du mir trauen kannst.“ flehte ich ihn an, doch Jake wich weiter vor mir zurück.
Es schien, als ob die Erkenntnis langsam zu ihm durchdringen würde und sie ihn vollkommen überforderte.
„Ich kann das nicht...“ abwehrend hob er die Hände und ich wollte einen Schritt auf ihn zu machen. So vertieft, wie ich ihn diese Situation war, schien ich alle vampirischen Reflexe verloren zu haben, als mein Fuß an einem Stein hängen blieb. Ich stolperte haltlos nach vorne und streckte die Hände nach Jake aus, in der Hoffnung er würde mich auffangen.
Doch statt seines Griffs, riss mich etwas nach hinten. Ich spürte einen qualvollen Schmerz in der Schulter und bevor ich realisieren konnte, was geschah, flog ich durch die Luft.
Die Umgebung um mich herum, verschwamm zu einem nichtssagenden Wirbel und dann hörte ich ein lautes Knacken, als ich unsanft gegen einen der am Strand liegenden Felsen krachte.
Schmerz pulsierte augenblicklich durch jede meiner Fasern.
Mit Mühe gelang es mir, meine Augen zu öffnen, in einem verzweifelten Versuch meinen Angreifer auszumachen, doch das Bild vor meinen Augen wurde von zahlreichen bunten Punkten verdeckt.
Ein klagender Schmerzenslaut entrang sich meiner Kehle und ich versuchte mich zusammen zu reißen. Was um alles in der Welt, hatte mich angegriffen? Es war eindeutig nicht Jake gewesen. Aber wer dann?
Ich fühlte, wie klebriges, warmes Blut meinen Arm hinab lief und dass definitiv etwas mit meinem Bein nicht stimmte. Wimmernd versuchte ich mich aufzurichten. Ich musste Jake beschützen. Egal was sich vor meinem Blick verbarg, es stellte auch für ihn eine Gefahr dar und ich konnte ihn nicht schutzlos lassen.
Benommen hievte ich mich in eine sitzende Position und bereute es augenblicklich, denn es führte dazu, dass mich erneut ein roter Blitz durchzuckte.
Ich vernahm aufgeregte Stimmen und schließlich spürte ich, wie sich jemand neben mir niederließ und mich stützte.
„Lexi? Hey, Lexi. Alles okay?“ ich erkannte Jakes Stimme und die Besorgnis in seiner Stimme, freute mich. Auch wenn dies der wohl unpassendste Moment dafür war.
„Du...du blutest.“ stotterte er atemlos und betastete mein Bein. Deutlich konnte ich bei seiner Berührung spüren, dass es gebrochen war und der Knochen aus meinem Schienbein herausstach.
„Ja ich blute, du Dummkopf.“ murmelte ich aggressiv und stöhnend legte sich meine Hand auf meine Schulter. Der Schmerz begann, dank meiner Heilkünste, nachzulassen, war aber immer noch kaum zu ertragen.
Ich richtete meinen Blick auf die Umgebung hinter ihm und sah einen weiteren Quileute-Indianer.
Ich zählte eins und eins zusammen und kam zu dem Schluß, dass einer der Wölfe mein Stolpern wohl als Angriff gedeutet hatte und Jake verteidigen wollte.
„Ich dachte Vampire bluten nicht...“ sagte der andere verwundert und ich begann meine Schulter genauer zu untersuchen. Fein säuberlich konnte ich die tiefen Wunden von Zähnen erkennen, die sich jedoch langsam wieder schlossen.
„Ich bin ein Halb-Vampir.“ antwortete ich gereizt und klammerte mich an Jake, um aufzustehen.
Sobald ich jedoch mein Bein belastete, knickte es unter meinem Gewicht weg und es war Jake zu verdanken, dass ich nicht wieder unsanft auf den Boden schlug.
„Das heißt, ich blute, meine Knochen brechen offensichtlich und definitiv verspüre ich grausige Schmerzen.“ zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Lexi...das ist Quil. Mein bester Freund. Ich glaube, er hat die Situation ein wenig fehlinterpretiert.“ er blickte grimmig zu Quil hinüber, der sich verlegen am Hinterkopf kratzte.
„Was machst du überhaupt hier?“ fragte Jake weiter und ich hielt mich so fest an ihm, wie ich nur konnte.
„Sam.“ sagte Quil entschuldigend und Jake rollte genervt mit den Augen.
„Das besprechen wir später.“
Er hob mich auf seine Arme und ich genoß, trotz aller Schmerzen, das lang vermisste Gefühl seiner Umarmung.
„Ich bring dich auf schnellstem Weg zu Dr. Cullen. Der Bruch muss geschient werden. Glaub mir, ich kenne mich gebrochenen Knochen aus.“ sagte er zu mir und ich nickte.
Doch dann fiel mir ein, dass Edward auf mich wartete.
„Halt. Bring mich einfach zur Hauptstraße an der Grenze des Reservats. Edward wartet dort auf mich.“ bat ich ihn.
„Na super.“
Vorsichtig trug Jacob mich vom Strand fort, während Quil betreten hinter uns herschaute.
„Tut mir leid, Lexi“ sagte Jake und es sah wirklich so aus, als würde ihn ein schlechtes Gewissen plagen.
„Was tut dir leid?“ fragte ich, während ich scharf die Luft einsog, als sich mein Blick auf den zersplitterten Knochen legte, der fast vorwitzig aus meinem Schienbein ragte.
„Na das mit deinem Bein...“ er wand den Blick auf seine rechte Schulter, wo meine blutverschmierte Hand sich um seinen Nacken gelegt hatte. „und das mit deiner Schulter.“
Es fiel mir schwer, mich auf seine Worte zu konzentrieren. Meine Beinverletzung forderte meine gesamte Aufmerksamkeit. Sie war wie ein schlimmer Verkehrsunfall. Ich konnte weder hin noch wegsehen.
„Hast du nicht vor knapp 2 Stunden selbst damit gedroht, mich umbringen zu wollen?“ fragte ich gedankenverloren .
„Das hab ich nur gesagt, um dich von mir fernzuhalten.“ antwortete er verdrießlich und ich hob den Blick in seine Augen.
„Tja.“ sagte ich leichtfertig und kuschelte mich leicht an seine Brust. „Ich glaube, dieses Vorhaben ist ziemlich in die Hose gegangen, hm?“
Ich konnte es kaum fassen, aber Jake schmunzelte tatsächlich.
„Ja, sieht ganz so aus.“ bemerkte er lächelnd.
Ich schloß die Augen und versuchte nicht mehr an die Schmerzen zu denken, die sehr viel realer auf mich wirkten, als seine Nähe. Und dennoch existierte beides und es war die einzig logische Wahl seiner warmen Haut den Vorzug zu geben. Ich seufzte leise, als Ausdruck für Schmerz und Wohlbehagen zugleich.
Langsam stieg er die Böschung zur Straße hinauf und war sehr bemüht darum, mich wie auf Watte zu tragen.
„Du weißt, dass du mich direkt in die Höhle des Löwen schickst?“ fragte er plötzlich und ich nickte.
„Ja, ist mir durchaus bewusst. Aber, wie du vielleicht schon selbst bemerkt hast, fällt mir das Laufen gerade ein wenig schwer.“ ich deutete auf mein Bein und Jakes Lippen wurden zu einem schmalen Strich.
„Du weißt auch, dass ich dir nicht wirklich etwas getan hätte, oder?“ fragte er bedrückt und ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
„Gewusst habe ich es nicht. Aber gehofft. Und du brauchst dich wirklich nicht zu grämen. Die Verletzung ist spätestens in 3 Tagen vergessen. Wahrscheinlich wäre sie es jetzt schon, wenn der Knochen nicht aus dem Bein heraus ragen würde, um uns Hallo zu sagen.“
Es klang nicht halb so witzig, wie ich es beabsichtigt hatte.
Mit steter Beharrlichkeit näherten wir uns der Straße und ich versuchte meine Gedanken im Zaum zu halten. Wäre ich in der Lage gewesen wenigstens zu humpeln, hätte ich Jake gebeten zu verschwinden und wäre die letzten Meter allein gegangen.Edward jetzt auf Jake treffen zu lassen war wahrlich keine gute Idee, aber leider nicht zu umgehen und ich hoffte inständig, dass Edward sich unter Kontrolle haben würde.
Als wir die Straße erreichten, verwehte diese Hoffnung jedoch, wie heisser Sand im Wüstenwind.
Ich weiß nicht ob Edward uns gesehen oder unsere Gedanken gelesen hatte, aber kaum, dass wir in seiner Nähe waren, stürzte er auf uns zu, wie ein Berserker.
„DU!“
Er trat so nah an Jake heran, dass er mich zwischen seiner und Jakes Brust förmlich einkeilte.
Ich spürte wie die gleiche Anspannung, die Edward fest im Griff hatte, augenblicklich auch von Jake Besitz ergriff. Ein tiefes, dumpfes Grollen bahnte sich seinen Weg aus seiner Brust zu seiner Kehle hinauf und ich hatte das Gefühl, dass er mich am liebsten auf der Stelle fallen gelassen hätte, damit ich den beiden Kontrahenten nicht mehr im Weg war.
„Edward.“ beeilte ich mich zu sagen, doch weder er noch Jake schienen auch nur einen Funken Aufmerksamkeit für mich übrig zu haben.
Gegenseitig knurrten sie sich an und suchten nur nach einem Weg, sich an die Gurgel gehen zu können. Meine Hände stemmten sich gegen Edwards Gestalt und schoben ihn ein gutes Stück von Jacob fort, der den Abstand jedoch sogleich wieder überbrückte.
„Was, Ich? Hm? Was willst du mir an den Kopf werfen, Blutsauger? Du hast nicht das Recht, dich mir entgegen zu stellen!“ zischte Jake und fachte Edward Wut dadurch nur umso mehr an und auch wenn ich mich mit aller Macht gegen ihn stemmte, nahm Edward die Herausforderung an und drängte wieder gegen Jake.
„Ich werfe dir an den Kopf, was du verdient hast!“ Sein Blick glitt über den offenen Bruch an meinem Bein und seine Züge entgleisten vollständig. Ich konnte das Feuer in seinen Augen förmlich auflodern sehen.
Ich war nur froh, dass ich immer noch zwischen ihnen war und einen Angriff somit für beide Seiten erst einmal unmöglich machte.
„Was hast du getan, verdammt nochmal? Ich hab´s gewusst, ich habe es so gewusst! Deine Nähe ist für niemanden gut. Und am wenigstens für die Personen, die mir am Herzen liegen. Bei Gott, ich werde dich eigenhändig...“
„SCHLUß JETZT!“ meine Stimme hatte trotz der kraftraubenden Schmerzen eine solche Durchschlagskraft, dass sowohl Jake, als auch Edward augenblicklich die Köpfe wanden und mich beinahe erschrocken ansahen.
„Könntet ihr mir BITTE den Gefallen tun und eure absolut lächerlichen Vorwurfsattacken, wer von Euch beiden das größere Arschloch ist, um ein paar Minuten verschieben und mich bis dahin bitte, bitte, bitte zu Carlisle bringen, damit er DAS....“ ich zeigte stur auf den Knochen in meinem blutenden Bein „...in Ordnung bringen kann? Meinetwegen könnt ihr euch danach die Köpfe einschlagen. Wenn Ihr meint, dass es Euch dann besser geht, nur zu. Aber zu deiner Information Edward...“ ich holte tief Luft, um mich wieder ein wenig zu beruhigen. „Es war nicht Jake,okay? Das war alles nur ein Missverständnis und mit Sicherheit nicht so schlimm, wie es jetzt grade aussieht.“
„Nach einem Missverständnis sieht das nun wirklich nicht aus.“ zischte Edward und warf Jacob einen weiteren zornigen Blick zu, bevor er mich wieder ansah. „Aber du hast Recht, ich sollte dich schnellstmöglich zu Carlisle bringen. Verzeih, daran hätte ich zu aller erst denken müssen.“
Ich nickte Edward zu, als Zeichen, dass ich ihm verzieh und keineswegs zürnte. Er erwiderte das Nicken und streckte dann seine Arme aus, um mich von Jake entgegen zu nehmen.
Doch der Wolf sträubte sich, als wäre Edward der letzte Mensch, dem er mich nun anvertrauen wollte. Sichtlich war die Unentschlossenheit in seinem Gesicht zu lesen und ich wusste nicht so recht, ob es mir nun schmeicheln sollte, oder ob es mich verärgerte.
Sicherlich behagte es auch mir nicht, die mir heiligen Hallen von Jakes Umarmung zu verlassen, aber wir hatten einen Anfang gemacht und ich hoffte inständig, dass wir alsbald dort weitermachen würden, wo wir jetzt endeten.
Und bis dahin war es einfach besser mit Edward zu gehen und mich von Carlisle wieder zusammen flicken zu lassen.
„Wird´s bald, Jake?“ fragte Edward gereizt und deutete auf meine Gestalt und Jacob hob den Blick. Es sah so aus, als habe Edwards Stimme ihn erst wieder ins Hier und Jetzt zurück geholt. Doch von woher, konnte ich nicht sagen.
Und es dauerte weitere Sekunden, bis der Quileute sich schlussendlich dazu durchringen konnte, mich an Edward zu übergeben.
Sofort vermisste ich schmerzlich die Wärme seines Körpers, auch wenn ich mich in Edwards Armen ebenso sicher und geborgen fühlte, es war einfach nicht das Gleiche.
Ich bemühte mich, mit meinen blutbefleckten Händen keinen Schaden an Edwards teurem Anzug zu hinterlassen, was es recht schwierig gestaltete mich richtig an ihm festzuhalten.
Mein Blick ging zu Jake herüber und ich sah ihm fast entschuldigend in die Augen.
„Sehen wir uns wieder?“ fragte ich leise und Jake überlegte einen für mich schier endlosen Moment, bevor er langsam zu nicken begann.
„Ja, wir sehen uns wieder.“ damit warf er mir noch einen letzten Blick zu, den ich nicht ganz zu deuten wusste, drehte sich um und verschwand in der Nacht.
Edward Miene verriet seine unter Kontrolle gehaltene Wut. Er hielt ein Wiedersehen keineswegs für eine gute Idee.
Vorsichtig trug er mich zum Wagen und setzte mich sanft auf dem zurückgeschobenen Beifahrersitz ab, bevor er sich wieder hinters Steuer setzte. Kaum dass er den Motor gestartet hatte, legte sich sein Blick vorwurfsvoll auf mich und er schien tief Luft zu holen. Doch ich schnitt ihm das Wort ab, bevor es seinen Mund überhaupt verlassen hatte.
Dieses Mal hatte ich seine Gedanken gelesen und wusste, was er mir sagen würde.
„Spar dir bitte dein „Ich hab´s dir gesagt.“ und das „Warum hast du nur nicht auf mich gehört?“ ebenso wie „Die Wölfe haben einfach keine Kontrolle über sich selbst“. Es ist nichts passiert, mir geht es soweit gut und auch wenn ich es wirklich sehr zu schätzen weiß, dass du dich so um mich sorgst, hatte ich die Situation die ganze Zeit unter Kontrolle. Es war einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände.“ sagte ich sofort und rutschte vorsichtig in meinem Sitz herum, um eine angenehmere Position zu finden, die mir erlauben würde, mein Bein besser zu entlasten.
„Versuchst du dir das grade selbst einzureden? Denn ich kauf dir das nicht ab. Es ist genau das eingetreten, was ich dir prophezeit habe und du hättest es ebenso erkennen müssen. Du hattest Glück, dass es nur ein gebrochenes Bein ist. Es hätte dir sonst was passieren können. Und auch wenn nicht Jake der Angreifer war, so trägt er in meinen Augen dennoch die Schuld dafür.“
Edward blickte stur auf die Straße, während wir den Strand in hohem Tempo hinter uns ließen. Er war scheinbar ebenso sauer auf mich, wie auf Jake. Nur versuchte er sich mir gegenüber zurück zu halten. Ich war verletzt und das bescherte mir in seinen Augen wohl eine Art Freibrief.
„Hör zu Edward, du kannst sagen was du willst, aber egal was du jetzt sagst, ich werde es nicht bereuen, hergekommen zu sein. Ich verstehe deine Sorge. Ich wäre um dich ebenso sehr besorgt, aber ich bitte dich mir einfach zu vertrauen und daran zu glauben, dass ich mich durchaus selbst zur Wehr setzen kann und...“ weiter kam ich nicht, denn Edward schnaubte missbilligend.
„Du weißt, dass ich dir vertraue und ich genau weiß, zu was du fähig bist, aber wenn ich mir dein Bein ansehe, dann....“ er seufzte und warf mir einen bedeutungsvollen Seitenblick zu.
„Die Wölfe sind nur zu einem Zweck erschaffen worden. Dazu uns zu töten und auch wenn du unsterblich bist, bist du offensichtlich nicht unverletzlich.“
„Glaub mir Edward...“ ich sog tief die Luft in meine Lungen und lehnte mich im Sitz zurück.
„Für das, was ich erfahren habe, hätte ich mir sogar beide Beine brechen lassen und für den Umstand wieder in Jakes Armen zu liegen, hätte man mir jeden einzelnen Knochen brechen dürfen.“
Edward schüttelte nur seufzend den Kopf und bog in den Wald ab, der das Cullen-Haus umgab.
Wie ich es befürchtet hatte, stand die gesamte Mannschaft bereits vor der Tür und wartete nur darauf, dass sie sich den an mir begangenen Schaden ansehen konnten. Ich rutschte automatisch tiefer in meinen Sitz. Sich gegen Edward zu erwehren, war eine Sache. Sich der gesamten Cullen-Familie zu stellen eine ganz andere.
Kaum, dass der Wagen zum stehen gekommen war, öffnete Emmet die Beifahrertür und nach einem kurzen Blick auf mein Bein, hob er mich vorsichtig heraus. Er blickte mich nicht direkt an, seine Züge waren versteinert und ich spürte, dass ich nicht nur Edward verärgert hatte.
Sofort war Carlisle an seiner Seite und begutachtete mit fachmännischen Händen mein Bein.
Niemand sagte etwas und ich spürte, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war.
Langsam begann mir zu dämmern, dass ich mich nicht richtig verhalten hatte. Ich hatte all diese Personen, die mir viel bedeuteten und denen ich etwas bedeutete, ohne einen Gedanken in meinem Egoismus Schaden zugefügt.
Zusätzlich zu den Schmerzen in meinem Bein, spürte ich nun die kalten Finger eines schlechten Gewissens sich um mein Herz schließen.
Sie sorgten sich alle und ich hatte es ihnen nicht angerechnet.
„Das bekommen wir wieder hin.“ sagte Carlisle schließlich ruhig und blickte zu Emmet.
„Bring Alexis bitte in mein Zimmer, ich komme sofort nach.“
Ich zog den Kopf zwischen die Schultern und wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Meine Unüberlegtheit tat mir unwahrscheinlich leid und ich wusste, dass ich mich zu gegebener Zeit bei jedem einzelnen von Ihnen entschuldigen musste.
Von dem Hochgefühl, das Jake mir geschenkt hatte, war nicht mehr viel übrig und es verschwand vollkommen, als Emmet mich ins Haus trug.
„Du hattest es mir versprochen.“ sagte er bitter „Nichts leichtsinniges. Erinnerst du dich?“
„Es tut mir leid, Emmet.“ antwortete ich kleinlaut und Emmet schüttelte den Kopf.
„Wir waren alle krank vor Sorge, als Alice sah, dass du verletzt bist.“
„Ich weiß und es tut mir wirklich, wirklich leid. Ich hab nicht so weit gedacht...im Übrigen möchte ich noch einmal betonen, dass es nicht Jake war, falls ihr das alle annehmt. Und es war auch kein Angriff auf mein Leben. Ich war nicht leichtsinnig. Ich habe es nicht kommen sehen, es war ein Missverständnis“ Ich hatte das dringende Bedürfnis nicht nur Jake, sondern auch mich zu verteidigen.
Emmet seufzte nur und sagte nichts weiter. Augenblicklich spürte ich, dass es mehr brauchte als ein paar schaler Worte.
Emmet trug mich in Carlisle´s Zimmer und setzte mich behutsam auf der darin stehenden Liege ab.
„Wir reden später.“ sagte er kühl und ich rieb die Lippen aneinander.
Meine Lage schien misslicher als angenommen und seufzend legte ich meinen Kopf zurück.
Mit Jake hatte es Forstschritte gegeben und ich eigentlich hätte mich dieser Umstand beflügeln sollen. Aber das tat es nicht. Ich hatte mich nicht bewusst in Gefahr begeben und ich empfand meine Verletzungen auch nicht als ganz so schlimm, wie der Rest der Cullens. Aber schlussendlich hatten sie mit ihrer Reaktion nicht unrecht. Ich wäre an die Decke gegangen, wäre einem von ihnen etwas geschehen. Und das auch noch in einer Situation, die ich schon vorher als gefährlich eingestuft hatte. Auch wenn die Gefährlichkeit meiner Situation letztendlich eine andere war, als die, die alle zuvor angenommen hatten.
War ich denn wirklich so leichtsinnig gewesen? Ich hatte Edward mitgenommen und wie sich herausgestellt hatte, war Jacob wirklich keine Gefahr für mich. Ich glaubte ihm, als er sagte, er würde mir nichts antun und das Quil die ganze Situation fehlinterpretiert hatte, war doch nicht meine Schuld gewesen oder? Sicherlich, ich hätte wachsamer sein können, aber...
Carlisle betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich, unterbrach damit meine Gedankengänge und seufzte leise.
Er zog sich einen Stuhl neben die Liege, nahe am Fußende und streifte sich Einweghandschuhe über. Seine Aufmerksamkeit lag eindeutig auf meiner Verwundung und ich ließ ihn einfach gewähren, bis ich die Stille nicht mehr ertragen konnte.
„Bist du auch sauer auf mich?“ fragte ich leise und er hob den Kopf.
„Lexi, niemand ist sauer auf dich.“ antwortete er und ich lachte heiser auf.
„Irgendwie habe ich da ein anderes Gefühl.“
Carlisle griff nach einer kleinen Flasche Desinfektionsmittel und träufelte etwas davon auf eine Mullbinde.
„Wir sind nur alle sehr besorgt um dich, mein Kleines. Verwechsle dies bitte nicht.“
Er begann den offenen Bruch in meinem Bein abzutupfen und ich biss für einen Moment die Zähne zusammen.
„Ich verstehe, dass ihr euch Sorgen macht, Carlisle und ich verüble es euch nicht, aber ich glaube, dass ihr mich irgendwie unterschätzt. Ich bin 200 Jahre alt und damit älter als die meisten von euch. Ich habe in dieser Zeit eine Menge Erfahrungen gemacht und ich bin nicht so leicht unterkriegen. Ich habe mich meiner Haut immer erwehren können. Manchmal glaube ich, dass ihr vergesst, zu was ich in der Lage bin und welche Ausbildung ich genossen habe.“ wieder begann ich mich zu verteidigen.
Carlisle lächelte besonnen und drehte sich zu mir.
„Genau deswegen machen wir uns Sorgen, Lexi. Das hier...“ er deutete auf mein Bein „..bist nicht du. Ich möchte nichts gegen deine Verbindung zu Jacob sagen, aber sie lässt dich unvorsichtig werden.“
„Ich dachte, du wärst auf meiner Seite.“ entgegnete ich trübe. „Es schien, als wärst du der einzige, der an mich glaubt.“ es sollte nicht anklagend klingen, aber ganz konnte ich es nicht verhindern.
„Ich glaube an dich und ich bin auf deiner Seite. Das sind wir alle.“ insistierte Carlisle sofort
„Und ich weiß genau wer du bist...was du kannst und gerade deswegen, bekümmert es mich so sehr, dass du in Jacobs Gegenwart scheinbar alle Vorsicht in den Wind schlägst. Die Lexi, die ich kenne, hätte sich niemals von einem unerfahrenen Wolf dermaßen überrumpeln lassen. Und ich sehe die bedeutend größere Gefahr, als die, die die Wölfe darstellen. Mit einer solchen Verletzung präsentierst du dich für Demetri und somit auch für Caius auf dem Silbertablett. Wenn Jacobs Gegenwart dich so unachtsam macht, dass du in dieser Art und Weise verletzt wirst, dann mache ich mir Gedanken darüber ob er dir gut tut.“ führte er aus und auch wenn ich mich dagegen sträubte, wusste ich dass er nicht unrecht hatte. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal eine solche Verwundung erlitten hatte und ich wusste, dass sie mich in einer anderen Situation das Leben gekostet hätte.
„Es ist meine Schuld“ sagte ich reumütig. „Irgendwie kann ich an nichts anderes denken, als an Jake, wenn ich in seiner Nähe bin. Aber was soll ich machen? Ich bin verliebt, Carlisle.“
„Ich weiß, mein Kind.“ er stand auf, räumte den blutigen Mull auf und verbrannte ihn in einer kleinen Schüssel.
„Lexi, du bist wie eine Tochter für mich und ich freue mich, dass du nach Jahren der Entbehrungen und der Einsamkeit nicht so sehr abgestumpft bist, dass du ein solches Gefühl nicht mehr verspüren kannst. Du weißt, dass ich Jacob für einen guten Kerl halte, aber du darfst seinetwegen nicht nachlässig werden.“
Ich nickte beklommen.
„Du hast ja Recht, Carlisle. Ich verspreche dir, dass ich in Zukunft mehr Acht geben werde.“
Er nickte und legte seine kalten Hände auf mein Bein, was ich als äußerst angenehm empfand.
„Ich glaube ich muss lernen, mich ein wenig mehr zusammen zu reißen. Auch wenn es mir schwer fallen wird. Ich hab einfach zu wenig Erfahrung in diesen Dingen. Ist es immer so?“ ich setzte mich ein wenig auf.
„Was?“ fragte Carlisle sanft und lächelte.
„Na, Verliebtsein? So sinnvernebelnd?“
Jetzt wurde Carlisle´s Lächeln zu einem ausgewachsenen Lachen.
„Ja, wenn es richtige Liebe ist schon.“
Plötzlich klopfte es an der Tür und bevor ich oder Carlisle den Besucher hereinbitten konnten, war Edward eingetreten.
Er blieb einen knappen Schritt von der Tür entfernt stehen.
„Ich wollte nur kurz nachsehen...ob alles in Ordnung ist.“ sagte er knapp und sein Vater winkte in weiter in den Raum hinein.
„Alles halb so wild. Der Bruch sieht kompliziert aus, aber ich denke das bekommen wir wieder hin.“ sagte Carlisle und Edward atmete erleichtert auf.
„Gut. Das beruhigt mich.“
„Allerdings befürchte ich, dass wir nicht darum herumkommen werden, den Knochen unsanft wieder zurück an seinen Platz zu bringen, damit er sauber zusammen wachsen kann. Ich würde Lexi am liebsten ins Krankenhausbringen, um ihr eine Betäubung zu ermöglichen, aber ich denke, dass ihre unnatürlichen Vitalfunktionen nur unnötiges Aufsehen erregen würden.“
schloß Carlisle und ich wusste was mich erwartete.
„Schon okay, Carlisle, ich werds überleben.“ Ich rang mir ein schmales Lächeln ab und streckte meine Hand nach Edward aus.
„Edward? Würdest du vielleicht...?“
Er nickte, trat neben die Liege und umfasste meine Hand mit der seinen. Sacht drückte er zu und sein Daumen streichelte beruhigend über meinen Handrücken, während Carlisle den Druck um mein Bein erhöhte.
„Bereit wenn du es bist“ sagte er ruhig und ich nickte. Dann sah ich ihn Edwards goldene Augen.
„Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe.“
Er legte seinen Zeigefinger an seine kalten Lippen.
„Shhht. Ist schon okay.“ antwortete Edward ruhig und ich wappnete mich innerlich gegen den kommenden Schmerz, bevor ich Carlisle zu verstehen gab, dass ich soweit war.
„Kann losgehen.“ flüsterte ich leise und alles woran ich mich noch erinnern konnte, war der rotzuckende Blitz, der folgte und der laute Schrei, der sich meiner Kehle entrang.
Edward hielt meine Hand. Selbst dann noch, als seine Kristallhaut unter dem Druck meines Griffes anfing, Risse aufzuzeigen.
Und dann war alles wieder vorbei.
Keuchend schnappte ich nach Luft, während ich mich bemühte, die letzten Weben des Schmerzes aus meinem Bewusstsein zu fegen.
Die Augen immer noch fest zusammen gekniffen, lauschte ich in die gegenwärtige Stille hinein und versuchte zu erahnen, ob wirklich alles vorbei war.
Das Pochen in meinem Bein hatte nachgelassen, war zusammen geschrumpft zu einem dumpfen und leicht zu ignorierenden Klopfen.
Vorsichtig, als könne sich noch etwas daran ändern, öffnete ich erst das rechte, dann das linke Auge und erleichtert atmete ich auf, als ich sah, wie Carlisle zu einem einfachen Verband griff.
Das Lächeln, das er mir schenkte war beruhigend.
„Keine Angst, Lexi. Du hast es geschafft. Halt das Bein einfach ein paar Stunden ruhig. Der Verband sollte dir dabei helfen, es nicht zu vergessen.“ Er gab mir einen kleinen Knuff gegen mein Kinn und ich atmete ruhig durch.
„Danke, Carlisle.“
Ich sah zu Edward und drückte, nun mit Achtsamkeit, seine wieder genesene Hand.
„Und auch danke an dich. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass mir so etwas nicht noch einmal passiert. Ich werde sicher gehen, in wessen Gesellschaft ich mich befinde und ich werde versuchen, nicht mehr so unkonzentriert zu sein, dass ich alles um mich herum vergesse.“
Ich löste meine Hand aus seiner und fuhr mir mit dem Handrücken über die schwer gewordenen Augenlider.
„Ich werde dir helfen, dein Versprechen nicht zu vergessen.“ sagte er schmunzelnd und beugte sich zu mir herunter, drückte einen Kuss auf meine Wange und streichelte dann sacht über die kühle Stelle.
„Du bist viel zu nachsichtig mit mir. Das seid ihr alle...“ egal wie unpassend es jetzt war, ich konnte ein kleines Gähnen nicht verhindern.
Sowohl Edward, als auch Carlisle lächelten milde und Edward nahm mich ohne weitere Umschweife wieder in seine Arme.
„Ich glaube, ich bring dich erstmal in dein Bett. Die ganze Aufregung war wohl ein bisschen zu viel für einen kleinen Halbvampir wie dich.“ neckte er mich und ich antwortete, indem ich ihm gegen seine marmorne Schulter stieß.
Behutsam trug er mich zurück ins Gästezimmer und legte mich auf meinem Bett ab.
Sogar die Decken zog er mir bis zum Kinn und stopfte sie an den Seiten fest, als wolle er jede kleinste Bewegung meines Körpers verhindern.
Ich schüttelte daraufhin nur den Kopf, ließ ihn jedoch gewähren und genoss die mich umfangende Wärme, die mich ein wenig an Jacobs Umarmung erinnerte.
Fest, warm und trotzdem weich.
Edward griff zur Türklinke, doch ich hielt ihn noch zurück.
„Edward?“
„Ja?“
„Warum machst du das?“
„Was?“ verwirrt drehte er sich wieder zu mir herum.
„Dich wie mein großer Bruder verhalten?“ fragte ich unbeirrt weiter.
Die Verwunderung auf seinen Zügen wich einem amüsierten Lächeln, das seine edlen Zügen so viel weicher wirken ließ.
„Weil ich dein großer Bruder bin.“ lachte er und mir wurde augenblicklich warm ums Herz.
Aber auch wenn es wie die perfekte Antwort klang und wahrscheinlich keiner weiteren Einwände bedurft hätte, befriedigte sie mich nicht.
„Ich bin doppelt so alt wie du...“ setzte ich an, aber Edward schüttelte den Kopf.
„Das hat nichts mit deinem Alter zu tun, Lexi und wenn du zehn mal so alt wärst, das würde nichts ändern. Es hat viel mehr etwas hier mit zu tun.“ er tippte sich gegen seine harte Brust.
„Dein Herz schlägt nicht mehr...“ Es war unnötig ihn daran zu erinnern.
„Und dennoch hast du einen Platz darin. Und jetzt schlaf, Lexi.“
Sein Blick war versöhnlich.
Ich nickte und kuschelte mich tiefer in die Laken.
Doch als Edward wieder zur Türklinke griff, hielt ich ihn ein weiteres Mal zurück.
„Edward?“
„Ja, Lexi?“
„Sagst du den anderen, dass es mir leid tut? Und dass sie sich keine Sorgen um mich machen müssen? Besonders Emmet? Er macht gerade ´ne Menge mit mir durch.“
„Das kannst du ihnen nachher selbst sagen. Ich bin mir sicher, wir werden noch die Zeit finden, darüber zu reden...später. Aber wenn es dich beruhigt, dann lass dir gesagt sein, dass sie es bestimmt schon wissen.“ er zwinkerte mir zu, aber da waren noch so viele Bedenken und so viele Fragen in meinem Kopf, dass ich ihn noch nicht gehen lassen konnte.
„Edward?“ sagte ich ein weiteres Mal und dieses Mal, ließ Edward die Tür, Tür sein und kam zurück zum Bett und setzte sich auf den Bettrand.
„Ja, Lexi?“ sagte er gedehnt, aber es klang eher belustigt als genervt.
„Wenn Jake...“ ich atmete tief durch, denn ich wusste, dass dieses Thema die entspannte Situation zwischen uns wahrscheinlich wieder verspannen würde.
Doch ich konnte mich einfach nicht zurückhalten.
„Also, wenn Jake bereit sein wird, mir eine zweite Chance zu geben...wirst du ihm dann auch noch eine geben?“ sprach ich diese Hoffnung unverwandt aus und Edward erhob sich wieder.
„Wir werden sehen, okay? Darüber können wir ebenfalls später noch sprechen. Und jetzt schlaf endlich.“ er lachte und fuhr mit seiner kalten Hand über meine Augen, so dass ich unwillkürlich die Lider senkte. „Großer-Bruder-Befehl!“
Was hätte ich dieser Aussage noch entgegensetzen können?
Also schloß ich wie befohlen die Augen und legte den Kopf zur Seite auf das wundervoll frisch riechende Kopfkissen.
Augenblicklich rollte die Müdigkeit über mich hinweg und ich spürte eine lähmende Taubheit durch all meine Glieder gleiten.
In meinem Kopf jedoch schien immer noch zuviel Raum mit unbeantworteten Fragen zu sein. Minutiös ging ich den Ablauf der gesamten Nacht noch einmal in Gedanken durch.
Angefangen bei Rosalies Besuch in diesem Zimmer, ihrem Aufruf zur Jagd und auch jedes einzelne Wort Emmets am Fluss, wiederholte sich noch einmal in meinem Inneren.
Und während Jake mich am Strand traf, driftete ich langsam davon.
Es war eine Mischung aus trommelndem Regen, gedämpften Stimmen, die aus dem Untergeschoß zu mir herauf drangen und den mittlerweile verwirrenden Traumbildern in meinem Kopf, die mich schlussendlich wieder weckten. Ich hatte mich immer noch am Strand befunden, Jake in einiger Entfernung. Doch als ich auf ihn hatte zugehen wollen, tauchten unvermittelt Gesichter vor mir auf. Freundliche, wie die der Cullens.
Bedrohliche, wie die der Volturi und schließlich formten sich die Züge verschiedener Gesichter, die ich in den letzten Jahrzehnten angenommen hatte. Sie alle hatten begonnen sich in einem immer schneller werdenden Kreis um mich herum zu drehen, bis sie eine undurchdringliche Mauer gebildet hatten und egal, wie sehr ich es versuchte, ich konnte sie einfach nicht durchbrechen.
Jake, der außerhalb des Wirbels stand, war meine einzige Konstante, der einzige Ort, auf den ich mich konzentrieren konnte und der verhinderte, dass die zu Leuchtstreifen verwaschenen Mienen mir Übelkeit verursachen konnten.
Ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf über dieses seltsame letzte, immer nebliger werdende Bild in meinem Kopf.
Die von Edward sorgfältig fest gestopfte Decke hatte ich weit von mir weg gestrampelt und somit den Blick auf mein Bein und den Verband darum freigelegt.
Die Haut darunter juckte irrsinnig und als ich mich aufgerichtet hatte, begann ich Lage um Lage mein Bein freizulegen.
Feine rosane Linie markierten die Stelle, an der der Knochen nach außen gedrungen war, aber ich wusste, dass auch sie sich bald gänzlich dem Ton meiner Haut anpassen würden und nichts mehr an die Verletzung erinnern konnte. Vorsichtig fuhr ich die Linien mit dem Zeigefinger nach und bedauerte fast, dass diese Narben keinerlei Bestand haben würden.
Narben erzählten Geschichten, waren Beweis für Geschehenes und machten jeden, der sie trug einzigartig.
Ich zerknüllte den Mull in meiner rechten Hand und warf ihn achtlos zur Seite, bevor ich mich ganz erhob und an das große Fenster im Zimmer trat. In dichten Fäden schlängelte sich der Regen gen Boden und dicke Wolken machten es mir unmöglich eine ungefähre Tageszeit abzuschätzen.
Schlurfend ging ich ins angrenzende Bad hinüber, stellte die Dusche an und begann mich auszuziehen.
Der Traum hing noch schwer in meinen Knochen und ich hoffte, dass die Dusche mich wieder beleben würde und mir die Kraft geben konnte, mich den Cullens zu stellen.
Mein Schlaf hatte meine Entschuldigungen nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Doch die Dusche enttäuschte mich nicht.
Als ich in den im gesamten Bad wabernden Nebel hinausstieg, hatte mich das warme Wasser nicht nur entspannt, sondern auch vollkommen geweckt.
Das große flauschige Handtuch fühlte sich angenehm auf meiner feuchten Haut an und schnell band ich einen Knoten vor der Brust hinein, um ungehindert zum Spiegel hinüber zu gehen.
Mit einer schnellen Handbewegung wischte ich den Dunst von der reflektierenden Oberfläche und mein Blick blieb auf den Zügen meines Gesichtes hängen.
Mein Gesicht...
Ich hielt inne und erschrak, wie vertraut mir dieses doch eigentlich fremde Spiegelbild war.
Vertrauter als mein wahres Gesicht. Angestrengt sann ich nach einer Erinnerung an mein reales Gesicht, an das Gesicht meiner Geburt, doch alles woran ich mich erinnern konnte, waren Bilder aus meinen Träumen.
Konnte ich diesen Bildern trauen? Sie waren schließlich nur ein verschwommenes Abbild der Wirklichkeit und sicherlich nicht so aussagekräftig, wie ich es mir gewünscht hätte.
Meine Finger fuhren über die hohen Wangenknochen, die etwas längliche Nase und schließlich über den Mund, dessen Oberlippe im Verhältnis zur unteren ein wenig zu schmal war.
Unauffällig und durchschnittlich, alles in allem ein hübsches Gesicht, aber nicht hübsch genug, um Aufmerksamkeit zu erregen oder im Gedächtnis zu bleiben.
Ich starrte immer länger auf die Konturen dieses Gesichtes, das sich trotz aller Vertrautheit, nicht richtig anfühlte. Ich suchte nach Spuren meines wahren Ichs. Doch ich hatte meine Künste so sehr perfektioniert, dass wirklich nichts in diesen Zügen etwas mit der Erinnerung meines wahren Gesichts auch nur annähernd zu tun hatte.
Immer mehr verschwommen die Linien zu einfachen Formen, bis ich fast zu schielen begann.
Ich schüttelte kurz den Kopf und straffte mich. Aber es gelang mir nicht, den Blick abzuwenden.
Ich spürte, wie Beklommenheit von mir Besitz ergriff, mir das Atmen immer schwerer fiel und ich immer näher an den Abgrund einer handfesten Panik gelangte.
„Ruhig..:“ flüsterte ich meinem Spiegelbild zu, ohne eine Reaktion zu verspüren.
„Reiß dich zusammen!“ sagte ich schließlich laut und deutlich, als sanfte Worte nicht halfen.
„Du bist Alexis Mer-Chateaufort, Herrgott nochmal. Benimm dich nicht wie ein kopfloser Teenager. Es ist egal, wie du aussiehst, du weißt genau wer du bist.“
Das hatte gesessen. Ich wurde wieder Herr meiner Sinne und während meine eigenen Worte in mir widerhallten, wusste ich, dass es wirklich an der Zeit war, mich zusammen zu reißen.
Meine Zuneigung für Jake hatte in den letzten Wochen, ein verletzliches, weinerliches Kind aus mir gemacht und als solches würde es mir niemals gelingen, mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen.
Wieder Selbstvertrauen zu verspüren, war ein unheimlich schönes Gefühl und ich unterstrich diesen kleinen Wandel damit, meine noch feuchten Haare zu einem engen Knoten zusammen zu binden, der für das Äußere einer 18-Jährigen viel zu streng wirkte.
In meinem mittlerweile perfekt organisierten Wandschrank fand ich schließlich eine schwarze Tuchhose und einen dunkelgrünen Cashmere Pullover, der ebenso wenig zu der Jugendlichkeit meines Aussehens passen wollte, meinem inneren, wahren Ich jedoch viel besser zu Pass kam.
Ich vermied es mich nach dem Anziehen noch einmal in meinem Spiegelbild zu verlieren und beschloss, ohne weitere Kontrolle hinunter ins Wohnzimmer zu gehen und mit dem bisschen Selbstbewusstsein, dass ich zurück gewonnen hatte, das Gespräch mit den Cullens zu führen.
Doch in dem Moment, da ich die Tür öffnete, verriet mir ein verlockend süßer Duft, die Anwesenheit eines weiteren Besuchers.
Augenblicklich zauberte dieser angenehme Geruch ein Lächeln auf die Lippen. Mit beschwingten Schritten nahm ich die Stufen hinab und war keineswegs überrascht, als mir Bella schon im Flur entgegen kam.
Wortlos zog sie mich zur Begrüßung in eine kurze Umarmung.
„Hey Lexi.“ sagte sie freundlich, nachdem sie mich wieder losgelassen hatte und mich eindringlich musterte.
„Du siehst irgendwie anders aus.“
„Ich fühl mich auch irgendwie anders.“ gab ich zur Antwort und strich mir über den weichen Pullover.
„Es ist schön dich zu sehen.“ sprach ich weiter und Bella wurde eine Spur ernster.
„Ich hab das mit deinem Bein gehört...ich hab mir Sorgen gemacht und wollte sehen, wie es dir geht.“
„Achso...ja, mein Bein.“ Ich hatte die Verletzung schon fast wieder vergessen.
„Mir geht es gut, du brauchst dir absolut keine Sorgen machen. Sieh nur..“ ich hüpfte ein paar Mal auf und ab. Carlisle hatte seine Sache wirklich gut gemacht, ich spürte keinerlei Schmerzen.
„Wir sind beide nicht so zerbrechlich, wie es manches Mal den Anschein hat.“ zwinkerte ich ihr zu.
„Ja, nur deine Wunden verheilen ein wenig schneller, als bei mir.“
„Das wird sich noch ändern.“ versicherte ich ihr und sie lächelte.
Edward missfiel es, aber wie die meisten der Cullens hatte auch ich mich auf die Seite Bellas geschlagen, was ihren Wunsch nach Verwandlung anbelangte.
Ich verstand ihre Position, wusste dass es bei ihrer Entscheidung nicht um blinde Liebe ging, sondern sie es sich keineswegs leicht gemacht hatte.
Sie wollte grade zu einer Erwiderung ansetzen, als Carlisle im Türrahmen erschien.
„Ah, du bist wach Lexi. Wie geht es dir?“
Mir entging sein Blick bezüglich meines Aufzugs keineswegs, aber er lächelte so freundlich, dass ich nicht darauf einging.
„Mir geht es gut, Carlisle. Ich habe ein bisschen geschlafen und dank deiner guten Arbeit hat mein Körper in der Zwischenzeit den Rest erledigt.“ ich erwiderte sein Lächeln.
„Das freut mich zu hören, Liebes. Ich würde mir dennoch gerne noch einmal dein Bein ansehen. Nur um sicher zu gehen.“
„Och nein, Carlisle, bitte. Können wir das nicht aufschieben? Ich möchte die anderen ungern noch länger auf ihre verdiente Entschuldigung warten lassen und ...“ begehrte ich auf und Carlisle seufzte milde.
„Sicher, es kann warten. Aber das muss deine Entschuldigung auch. Alice und Jasper sind in Hochzeitsdingen unterwegs und Edward ist mit Emmet und Rosalie auf der Jagd. Esme und ich sind als einzige noch hier. Von Bella einmal abgesehen.“ Sein Blick streifte die junge Frau neben uns mit dem Stolz eines zufriedenen Schwiegervaters.
„Mist...“ stöhnte ich auf. Gerade in diesem Augenblick fühlte ich mich stark genug, um den anderen die geschuldete, ehrliche Entschuldigung zu liefern und keiner von ihnen war anwesend.
Ich wollte mir durch die Haare fahren, bemerkte jedoch schnell, dass sich der strenge Knoten nicht dazu eignete. Also ließ ich es bleiben und lehnte mich stattdessen gegen die angenehm kühle Wand.
„Das ist doch gar nicht so schlimm, Lexi.“ sagte Bella und ich hob den Blick in ihre Richtung.
„Ich hatte ohnehin noch ein kleines Attentat auf dich vor. In Port Angeles hat ein neues „IHOP“ aufgemacht und ich dachte du hättest vielleicht Lust, mit mir dahin zu fahren. Ich bins leid, immer neben Leuten zu sitzen, die ihre leeren Teller anstarren.“ Sie kicherte und ich verstand durchweg nur Bahnhof.
„IHOP? Was soll das denn sein?“
Carlisle grinste und ich fühlte mich automatisch ziemlich dumm.
„International House Of Pancakes. Das ist ´ne Pfannkuchenkette. Wo hast du die letzten 20 Jahre denn gesteckt?“ lachte Bella und ich stöhnte, während ich die Augen verdrehte.
„Na offensichtlich nicht in einem Pfannkuchenhaus.“ Jetzt musste ich selbst lachen und Bella ergriff meine Hand, um mich zur Tür zu ziehen.
„Dann wird es ja Zeit, dass du endlich mal eines von innen siehst. Du kommst doch mit, oder?“ nun hielt sie inne und blickte auf ihre Hand um meine.
„Ich hab wohl keine andere Wahl oder?“ fragte ich und Bella nickte.
Wir beeilten uns durch den immer stärker werdenden Regen, schnell zu Bellas Pick-up zu kommen und ich schüttelte mich leicht, als ich auf dem Beifahrersitz zu sitzen kam, während Carlisle am Fenster des Hauses stand und uns lächelnd hinterher sah.
Mit einem nicht sehr vertrauenerweckenden Geräusch startete Bella den Motor und holpernd verließen wir den Wald in Richtung Hauptstraße.
„Magst du überhaupt Pfannkuchen?“ fragte sie etwas zu beiläufig und ich beugte mich vor, um das Radio anzustellen, das eindeutig mehr wert war, als der ganze Wagen.
„Spielt das eine Rolle? Ich bin nicht einmal wirklich hungrig.“ gab ich zu. „Aber ich leiste dir gerne Gesellschaft. Ein bisschen Tageslicht und ein paar andere Menschen, die nichts mit Vampiren und Werwölfen zu tun haben, sind am Ende vielleicht nicht die schlechteste Kombination für einen verregneten Nachmittag, oder?“
„Mit Sicherheit nicht, nein. Ich hoffe du bist mir nicht böse, dass ich dich so überfallen habe. Aber ich dachte mir, es ist besser, dich so schnell wie möglich mit zu nehmen, bevor Edward Wind von der Sache bekommt und uns eine ganze Armee an Leibwächtern mit auf den Weg gibt.“
Ich lachte leise.
„Ja, manchmal ist er ein wenig überbesorgt. Aber es liegt halt einfach in seiner Art.“
Bella nickte und stellte den Scheibenwischer eine Stufe höher, der nun deutlich hörbar ächzend seine Aufgabe verrichtete.
„Er ist es auch nicht immer ohne Grund, wie ich zugeben muss. Als Jake mir von deinem...nunja, Unfall mit Quil erzählt hat, da habe ich...“
„Jake hat es dir erzählt?“ unterbrach ich sie und drehte sofort das Radio wieder leiser.
„Ja.“ Bella nickte. „Er war noch in derselben Nacht bei mir. Er war so aufgebracht...“
„Wegen Edward, oder? Die zwei sind wie Hund und Katz´“ bestätigte ich.
„Nein, nicht wegen Edward, ausnahmsweise einmal nicht. Er war so wütend auf sich selbst, dass er dich in Gefahr gebracht hat und ebenso war er sauer auf Sam, dass er ihm so wenig vertraut hat und eine Eskorte hinter ihm her geschickt hat. Zum Glück war Edward mit dir beschäftigt, so dass sich die beiden nicht in meinem Zimmer über den Weg gelaufen sind. Es hat Vorteile, dass Alice Jakes Entscheidungen nicht sehen kann.“ erklärte sie mir weiter und ich konnte ihr nur zustimmen. Obwohl ich sie so manches Mal gerne zu Jacobs Zukunft befragt hätte und ob ich darin vorkam...
„Er macht sich Vorwürfe?“ fragte ich erstaunt und versuchte mich damit von eventuellen Weissagungen abzulenken.
„Ja, und das nicht zu knapp. Er meint, er hätte dich beschützen müssen.“ führte sie aus und ich lachte leise auf.
„Ja, sicherlich. Noch ein Mann, der nicht versteht, dass ich ganz gut auf mich selbst aufpassen kann.“
Bella stimmte in mein Lachen mit ein.
„Noch nicht bemerkt, dass wir von Männern umgeben sind, die uns recht wenig zutrauen? Und bei denen der Beschützerinstinkt etwas ausgeprägter ist als bei anderen?“ bemerkte sie immer noch lachend.
„Naja, sie tragen beide viel Verantwortung, oder? Edward will seinen wertvollsten Schatz beschützen,...Dich! Und Jake...Jake will seinen ganzen Stamm beschützen. Dass sie dabei beide ein wenig überängstlich sind, kann man ihnen wohl schlecht krumm nehmen.“
„Nein wahrscheinlich nicht. Und ich muss wirklich sagen, dass ich es von Zeit zu Zeit recht angenehm finde, einen Mann an meiner Seite zu haben, der niemals zulassen würde, dass mir etwas geschieht. Dieses Gefühl von vollkommener Sicherheit ist nicht wirklich unangenehm. Allerdings würde ich ihm gerne etwas von seiner Last abnehmen und ihn selbst ein wenig Sicherheit verspüren lassen.“
„Noch ein Grund für eine Verwandlung...“ stellte ich fest und Bella nickte.
„Kann man mir das verübeln?“ fragte sie und setzte den Blinker, um die Spur zu wechseln.
„Bella.“ sagte ich ernst und drehte mich ein wenig in ihre Richtung.
„Du brauchst mich nicht mehr zu überzeugen. Ich bin auf deiner Seite und stehe ganz und gar hinter dir. Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch, den ich je kennengelernt habe, der mit dieser Entscheidung das Richtige tut. Und Edward weiß das. Er wird nur noch ein bisschen Zeit brauchen, sich damit anzufreunden und zu verstehen, dass er nicht aus Selbstsucht handeln wird, sondern es ausschließlich für dich tut. Und wenn er genau das erst einmal begriffen hat, wird der Rest ein Kinderspiel.“ antwortete ich und meinte jedes Wort davon, so wie ich es gesagt hatte.
„Es tut so gut zu wissen, dass es außer den Cullens noch jemanden gibt, der die Sache so sieht wie ich.“
„Hey, hey...“ versuchte ich sie zu bremsen. „Bitte keine falschen Lorbeeren. Im Endeffekt würde jeder dich verstehen, der eine Woche in deinen Schuhen herum gelaufen ist. War so etwas wie ein Zufallsbefund.“ Ich zuckte mit dem Schultern und lächelte verschmitzt.
„Es war keineswegs von mir geplant, dein Innenleben auf diese Art und Weise kennen zu lernen.“
„Trotzdem, ich bin froh, dass es passiert ist. Es kommt mir ganz gut zu Pass. Sollte ich irgendwann doch deine Hilfe brauchen, um Edward weiter zu bearbeiten, dann habe ich noch einen gut bei dir. Immerhin hast du mich hinter meinem Rücken nachgemacht und dich unverschämter Weise auch noch in meinen besten Freund verliebt.“ sie kicherte und ich wusste, dass sie es nicht ernst meinte auch wenn mehr als nur ein Körnchen Wahrheit in ihren Worten steckte.
Ich erwiderte nichts weiter darauf, denn ich fühlte mich was das anging in Bellas Gegenwart immer leicht befangen. Sie hatte sich zwar nie negativ zu meinen Avancen Jake gegenüber geäußert, aber ich wusste, dass auch sie etwas für ihn empfand.
Ich schätzte Bella zwar keineswegs als eifersüchtig ein, doch ob ich in ihren Augen eine passende Wahl für ihren besten Freund war, war eine Frage die ich nicht stellen wollte. Noch nicht zumindest.
Es gab so viele Dinge, die es zu beachten gab, soviele Gefühle, die berücksichtigt werden wollten. Und auch wenn Bella und ich uns mehr als gut verstanden, musste ich in diesem Fall erst einmal wissen, wo ich stand. Denn allein die Tatsache, dass ich Gefühle für Jacob hegte, war kein Garant dafür, dass er diese auch teilte.
Ich rief mir seine Worte noch einmal ins Gedächtnis. Er fühlte etwas für mich.
Doch sicherlich nicht in der gleichen Intensität, wie ich und ob es reichen würde, wer konnte das schon sagen?
Für einen Moment starrte ich hinaus in den nebligen Regen und Bella gönnte mir diesen Moment mit mir selbst.
Schließlich bog sie ein weiteres Mal ab und fuhr auf einen recht leeren Parkplatz.
Der Motor erstarb und mit ihm auch die Scheibenwischer.
Schnell schien es, als ob es außer uns im Inneren des Autos, niemanden mehr da draußen gab, so sehr umhüllte uns der Regen und sein Trommeln auf dem Autodach, war irgendwie beruhigend.
Bella drehte sich zu mir herüber und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
„Und? Bereit hinaus in den Weltuntergang zu gehen und Tapferkeit zu beweisen?“
Ich ließ meinen Blick noch einmal über das undeutliche Bild schweifen, das mir das Seitenfenster erlaubte.
Das Restaurant schien nicht sehr gut besucht. Außer einem alten VW, einem schlecht getunten Nissan und einem nicht eindeutig zu erkennenden Pick-up herrschte gähnende Leere.
„Bereit, wenn du es bist und du es dir zutraust dich so schutzlos in die Öffentlichkeit zu begeben.“ neckte ich sie und bekam als Antwort nur ein leidlich amüsiertes Stöhnen.
Bella setzte sich die Kapuze ihrer Jacke auf und ich wünschte mir augenblicklich, ich hätte daran gedacht, mir ebenfalls eine Jacke überzuziehen.
Aber es half ja alles nichts und so öffnete ich schnell die Tür, sprang hinaus und landete ausgerechnet in einer großen Pfütze, deren Dreckspritzer sich sofort auf meinen Hosenbeinen niederließen.
Bella hatte bereits Schutz unter dem schmalen Vordach gesucht und ich beeilte mich, es ihr gleich zu tun.
Wie ein nasser Hund schüttelte ich mich kurz und wusste, dass sowohl meine Frisur, wie auch meine Kleidung durch die knappen 5 Meter im Regen sicherlich komplett ruiniert worden waren.
Nur gut, dass mich niemand hier kannte.
Ich musste lachen. Ich war eitel, obwohl es nicht einmal mein eigenes Aussehen war. Was kümmerte es mich schon, was andere über mein Erscheinungsbild dachten?
Bella hakte sich bei mir unter und gemeinsam traten wir durch die breite Glastür ins Trockene.
Es roch verführerisch nach frischen Pfannkuchen und Ahornsirup.
Doch augenblicklich stieg mir ein weiterer Duft in die Nase, der nichts mit meinem Appetit zu tun hatte.
Ich wurde nervös.
Bella schien dies zu spüren und streichelte beruhigend über meinen Arm.
„Ich hoffe, du bist mir nicht böse, aber wir werden erwartet.“
Hart schluckend traute ich mich erst jetzt den Blick durch den Gastraum schweifen zu lassen und es dauerte nicht lange, bis ich den Grund für meine plötzliche Nervosität und auch die Quelle des Duftes ausgemacht.
Nur wenige Tische von uns entfernt, saß er: Jake!
Mir stockte der Atem.
Hatte Jacob jemals so gut ausgesehen?
Ich für meinen Teil und für die Zeit, die ich ihn kannte, konnte das nur verneinen.
Er schien nun endlich die Zeit gefunden zu haben, sich die Haare zu schneiden und leicht gegelt, wie sie nun waren, standen sie ihm ausgezeichnet.
Als er sich von seinem Platz erhob und uns zu sich an den Tisch winkte, gab er den Blick auf sein weißes, ärmelloses T-shirt frei, das obwohl es eine Nummer zu klein war – oder gerade deswegen – seinen enormen Bizeps betonte. Die Farbe stellte einen wunderschönen Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut dar und unterstrich jeden seiner Bauchmuskeln.
Gedankenverloren kaute ich auf meiner Unterlippe und hätte mich Bella nicht mit sich gezogen, wäre ich wohl für alle Ewigkeit im Türrahmen stehen geblieben.
Als wir den Tisch erreicht hatten, zog Jacob Bella in eine lang anhaltende, intensive Umarmung, während ich leicht betreten einfach nur daneben stand und nicht einmal genug Sinne beisammen hatte, um mir zu wünschen, er würde mich ebenso begrüßen.
Als er sie wieder losließ und sich zu mir drehte, wurde augenblicklich klar, dass wir noch nicht soweit waren. Jake wischte sich mit den Händen über die dunkle Jeans, die ausnahmsweise einmal bis zu den beturnschuhten Füßen reichte und er machte den Anschein, als wüsste er nicht genau, ob er mir die Hand geben sollte oder nicht.
Die Mauer aus unangenehmer Befangenheit zwischen uns war wohl für uns beide deutlich spürbar und so half ich ihm, indem ich kurz die Hand zum Gruß hob.
„Hi.“ sagte ich fast tonlos und abrupt wurde mir mein desolates Äußeres wieder bewusst.
Jake hob nun ebenfalls seine Hand und winkte etwas unbeholfen in meine Richtung.
„Hi Lexi....du siehst...“ er verzog kurz das Gesicht und ich wusste, dass er die Worte noch aufhalten wollte, bevor sie sich ungeniert doch den Weg ins Freie bahnten. „...irgendwie alt aus.“
Ich warf Bella einen kurzen, bösen Seitenblick zu, dass sie mich SO hatte zu Jake gehen lassen, bevor ich schnell zu den Nadeln in meinem Haarknoten griff und sie ohne Rücksicht auf Verluste einfach herauszog. Mit nervösen Fingern fuhr ich mir durch die Haare und versuchte, zu retten was zu retten war. Ich hielt es für unnötig irgendwas auf seine Worte zu erwidern. Abgesehen davon, wäre mir ohnehin nichts passendes eingefallen.
„Ähm...wollt ihr euch nicht setzen?“ fragte Jake schließlich und deutete auf die etwas unbequem anmutenden Sitze. Vor seinem Stuhl stand eine Tasse Kaffee auf dem Tisch, in der nur noch ein letzter Rest braunen Gebräus herum schwamm, so dass ich vermuten konnte, dass er schon länger auf uns gewartet hatte.
Bella schüttelte leicht den Kopf und grinste noch breiter.
„Ich werd mich ein wenig zurückziehen und euch etwas Privatsphäre lassen. Da hinten ist noch ein Tisch frei...und keine Angst, ich bin durch und durch Mensch, ich werde kein Wort eurer Unterhaltung mitbekommen.“
Am liebsten hätte ich ihr, ihr Grinsen von den Lippen radiert, aber ich konnte mich noch beherrschen.
Mit einem Seufzen ließ ich mich auf den Platz gegenüber von Jake´s fallen und rieb die Lippen aneinander. Ich war so durcheinander von seinem Auftauchen, dass ich mir überhaupt nicht zusammen reimen konnte, warum er überhaupt hier war und warum Bella mich ohne mein Wissen hergebracht hatte. Während Bella sich nun also zurückzog und sich an einem Tisch am anderen Ende des Gastraumes niederließ, sah Jacob ihr hilfesuchend hinterher.
Na wenigstens schien die Situation für ihn ebenso seltsam zu sein, wie für mich.
Mit einem lauten Seufzen, setzte er sich nun ebenfalls und augenblicklich umschlossen seine Hand die halbleere Tasse.
„Möchtest du auch irgendwas?“ fragte er mit einem Blick zur Kellnerin, aber ich schüttelte den Kopf.
„Ausser, dass ich wissen möchte, was wir hier machen, brauche ich nichts, danke.“ sagte ich schmal und blickte erneut zu Bellas Tisch hinüber. Allerdings hatte sich Bella so sehr hinter der übergroßen Speisekarte verschanzt, dass ich nicht einmal ihren Haaransatz sehen konnte.
Jacob folgte meinem Blick für einen kurzen Moment, bevor sich seine Augen wieder auf mich legten.
„Ich habe Bella gebeten, dich herzubringen...“
Nun hatte er meine Aufmerksamkeit gewonnen und ich rutschte näher an den Tisch heran.
„Warum gerade hier her?“ fragte ich und erwiderte seinen Blick, was mich augenblicklich wieder nervös machte.
„Neutrales Gebiet.“ Jake lächelte und seine weißen Zähne stachen aus seinem Gesicht hervor, wie polierte Perlen.
Es machte in meinen Augen nicht wirklich viel Sinn, aber ich hoffte, dass er einfach weiter reden würde.
„Hör zu, ich wollte dich sehen und noch einmal mit dir reden, ohne dass jemand von meinem Rudel hier ist...oder von deinem.“ sagte er weiter, aber ich hatte aufgehört zuzuhören in dem Moment, da er gesagt hatte, er habe mich sehen wollen. Mein Herz flatterte wie ein kleiner Vogel in einem goldenen Käfig. Aber ich musste mich zusammenreißen.
Ich hatte mich doch erst vor ein paar Stunden dazu ermahnt, mich nicht mehr wie ein Kleinkind zu verhalten, sondern mich meiner Wurzeln und meines Alters zu erinnern.
Also atmete ich tief durch, straffte mich und saß auf meinem Stuhl, als wäre meine Wirbelsäule ein Metallstab.
Als Jake merkte, dass ich nichts erwiderte, fuhr er sich durch das stachlige Haar und seufzte erneut.
„Du machst es mir nicht leicht, versteh schon. Hab ich wahrscheinlich verdient. Okay, dann fang ich erstmal damit an, dir zu sagen, wie leid es Quil tut, dass er dich verletzt hat. Er hat mich gebeten, es dir zu sagen und er hofft, dass du verstehen kannst, warum er dich angegriffen hat.“
Ich atmete tief durch und konnte mich zu einem knappen Nicken durchringen. Die Zeit nutzte ich, um mich auf eine Antwort vorzubereiten, die hoffentlich zeigte, dass ich noch ein wenig von mir selbst in mir trug.
„Danke.“ sagte ich schließlich aufrichtig. „Bitte richte Quil aus, dass ich ihm keineswegs zürne, sondern stattdessen sehr beeindruckt von seinem Mut bin. Er scheint ein wirklich guter Freund zu sein und du bedeutest ihm sicherlich sehr viel. Nicht jeder hätte sich einem vermeintlichen Feind gestellt, ohne zu wissen mit wem er es zu tun hat. Dafür verdient er Respekt und er kann sich dem meinen sicher sein.“ endete ich und erkannte Erstaunen in Jakes Zügen.
„Wow Lexi, du siehst nicht nur alt aus, du klingst auch ziemlich alt.“ sagte er verwirrt und ich lächelte zurückhaltend.
„Das mag daran liegen, Jacob, dass ich ziemlich alt bin.“ formulierte ich so gesetzt, wie ich konnte. Denn nur diese förmliche Distanz erlaubte es mir, in seiner Gegenwart einen klaren Kopf zu behalten. Es fiel mir schwer, diese Haltung durchzusetzen, denn am liebsten hätte ich mich einfach nur kopflos hier sitzen lassen und seiner Stimme gelauscht. Meinetwegen hätte er mir das Telefonbuch vorlesen können und ich hätte verzückt an seinen Lippen gehangen.
Aber ich wollte ihm beweisen, dass mehr in mir steckte, als ein weinerliches Häufchen Etwas, das sich nach seiner Zuneigung sehnte.
„Hätte ich mir eigentlich denken können. Sagst du mir, wie alt genau?“ fragte er weiter und wieder nickte ich.
„217 Jahre um genau zu sein. Allerdings fängt man in meinem Alter damit an, nur noch die Dekaden zu zählen, wenn überhaupt.“ antwortete ich.
„Das ist wirklich alt.“ brachte er hervor, als hätte es ihn wirklich überrascht.
Langsam hielt ich meine eigene Unwissenheit nicht mehr aus und so scheuchte ich die herannahende Kellnerin, die scheinbar dem attraktiven jungen Mann mir gegenüber noch einmal Kaffee nachschenken wollte, unwirsch wieder fort.
„Jacob.“ sagte ich leise, aber mit Nachdruck. „Warum sind wir wirklich hier? Geht es dir wirklich nur darum, mir immer wieder zu sagen, wie alt ich bin?“
„Jacob.“ Jake äffte meinen Ton nach und verzog leicht die Lippen.
„Wo ist das gute, alte Jake geblieben?“ er begann zu grinsen, ließ es jedoch schnell wieder bleiben, als er mein ernstes Gesicht sah.
„Es bedarf keines übermenschlichen Gedächtnisses um mich daran zu erinnern, dass du mir verboten hast, dich so zu nennen. Ich mag es gestern Nacht nicht berücksichtigt haben, aber ich will es nun tun. Also, warum sind wir hier?“ frage ich ruhig.
„Okay, okay. Ich weiß, ich hab mich nicht wirklich korrekt verhalten und war stellenweise sicherlich auch ein Arsch, aber hey, du darfst nicht vergessen, warum ich das getan habe, ja? Ich würde sagen, was die Unfreundlichkeiten zwischen uns angeht, sind wir quitt.“ entgegnete er ebenso leise.
Ich spürte, wie das Metall in meinem Rücken zu schmelzen begann und ich nicht umhin kam, nun etwas verträumt in seine Richtung zu blicken. Sollten seine etwas harsch gesprochenen Worte etwa bedeuten, dass er mir zumindest dem Anschein nach verzieh?
„Bist du dir...bist du dir da wirklich sicher? Ich meine, ja du hast dich stellenweise wirklich wie ein Arsch verhalten, aber ich hatte es wohl auch irgendwie verdient. Und du hast nur mit Worten um dich geworfen. Für Quils Angriff kannst du schließlich nichts.“ sagte ich entgeistert.
„Hör mir zu; Alexis...“ er betonte meinen Namen ebenso, wie ich zuvor seinen und ich konnte es ebenso wenig verhindern, eine kleine Grimasse zu ziehen,
„Ich weiß, dass ich dafür wahrscheinlich irgendwann einen Tritt in den Hintern bekommen werde, aber für den Moment, habe ich beschlossen, dir zu vertrauen und wenn es mich in Teufels Küche bringt. Ich habe lange über deine Worte nachgedacht...dass da etwas zwischen uns ist. Ich habe keine Ahnung was es ist, ich weiß nicht, ob ich es will, ob es gut ist oder ob es mich überhaupt interessieren sollte, aber es ist da und ich will es nicht ignorieren.“ schloß er sanft und ich begann zu zittern, wie das letzte Blatt an einem sterbendem Baum.
„Hat Bella...“ mein Blick ging hinüber zu ihrem Tisch, wo sie versuchte absolut desinteressiert auszusehen.
„Nein.“ Jake schüttelte demonstrativ den Kopf, als er meine Gedanken erahnt hatte.
„Das hat nichts mit Bella zu tun. Du hast gesagt, dass ich dich nicht kenne und wie ich heute leidlich feststellen muss, hast du damit recht. Aber du hast auch gesagt, dass ich dich kennenlernen soll. Also, hier bin ich und hier bist du.“
Ich starrte Jake einfach nur mit offenem Mund an. Seine Worte waren an mir vorbeigezogen, als hätte man mir gesagt, ich habe einen 6er im Lotto. Nicht unmöglich, aber mehr als unwahrscheinlich, vor allem wenn man nicht einmal einen Lottoschein gekauft hatte.
Ich versuchte mich zu beruhigen, denn es gab schließlich sogar zwei Möglichkeiten, warum ich eben diese Worte soeben gehört hatte. Entweder ich war tot – und das war gar nicht so abwegig, wann sonst würde ein Werwolf einem Halbvampir, der in ihn verliebt war in einem Pfannkuchenhaus erzählen, er würde ihm verzeihen - oder aber, ich hatte mir bei meinem Kampf mit Quil schwere Hirnschäden zugezogen und alles, was seitdem passiert war war nur Halluzination. Allen voran diese kleine Episode hier zusammen mit Jake.
„Okay...“ begann ich langsam, in dem Versuch meine Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen.
„...lass mich das ganze bitte noch einmal rekapitulieren. Du meinst das wirklich ernst, oder?“ ich wusste, dass mein Gesichtsausdruck eine Mischung aus gequälter Seele, einem Kind an Weihnachten und irgendetwas in der Richtung eines Tintenfisches sein musste.
Und genau dieser Funken schien Jacob jetzt zum lachen zu bringen.
„Wenn ich mich recht entsinne, ist das doch genau das, worum du mich gebeten hast, oder nicht? Stell es jetzt doch nicht in Frage.“ sagte er amüsiert, aber ich konnte sein Lächeln noch nicht erwidern.
„Es tut mir leid, aber ich muss es in Frage stellen. Sicherlich habe ich mir genau das gewünscht, aber ich hätte nie im Leben gedacht, dass es so schnell geschehen würde, ...dass es überhaupt geschehen würde. Ich muss es hinterfragen, um sicher zu gehen, dass es auch wirklich wahr ist. Es ist so surrealistisch, irgendwie unbegreiflich und genau das, was ich nie zu hoffen gewagt habe, dass ich befürchte, es nur zu träumen. Denn wenn wir ehrlich sind, ich war diejenige, die sich wie ein Arschloch verhalten hat. Und das auch noch mit Vorsatz. Wenn du....“ ich rieb meine immer spröder werdenden Lippen gegeneinander und wünschte mir, ich hätte bei der Kellnerin wenigstens ein Glas Wasser bestellt, um meine raue Kehle zu befeuchten.
„Wenn du das ganze jetzt nur tust, weil du ein schlechtes Gewissen wegen meiner Verletzung hast, dann möchte ich dich bitten es nicht zu tun.“ schloß ich nervös und Jake beugte sich über den Tisch ganz nah zu mir herüber.
„Es hat nichts mit deiner Verletzung zu tun, Lexi. Das verspreche ich dir. Ich weiß, dass es für dich den Anschein haben mag, ich handle aus einem schlechten Gewissen heraus, aber hast du unser Gespräch schon vergessen?“
„Nein, das habe ich nicht und gerade deswegen hake ich dermaßen nach. Du hast mir gesagt, dass du es nicht kannst....mein Gott...du warst so sauer auf mich und du hattest alles Recht der Welt dazu. Wie kann ich jetzt also annehmen, dass du all das vergessen hast und glauben, dass du mir so einfach verzeihst?“ begehrte ich erneut auf und fragte mich insgeheim, warum ich das tat. Hier war der Mann, den ich liebte und er sagte genau das, was ich hören wollte und ich versuchte, ihn dazu zu bringen es nicht zu tun. Herr Gott, wie bescheuert war ich eigentlich?
„Ich habe nicht gesagt, dass ich dir verzeihe. Ich habe gesagt, wir sind mehr oder minder quitt. Das einzige, was ich dir verspreche, ist dir eine Chance zu geben mir einen Grund zu geben, dir zu verzeihen. Es liegt an dir, was du aus dieser Chance machst.“ schloß Jake und ich verlor mich für einen Moment in seinen strahlenden Augen, die sogar den Sternen noch das Leuchten zu lehren vermochten.
„Danke.“ murmelte ich schließlich und hatte immer noch Angst seinen Worten Glauben zu schenken, konnte ich doch jeden Moment wieder aus diesem Traum erwachen.
„Irgendwie hatte ich ein klein wenig mehr Begeisterung erwartet.“ lachte Jake und ich konnte nicht umhin, es zumindest als blassen Abklatsch zu erwidern.
„Tut mir leid, ich bin immer noch ein wenig verwirrt. Die Freude wird bestimmt noch kommen, wenn ich erst einmal realisiert habe, dass das hier gerade wirklich alles passiert.“ entschuldigte ich mich bei ihm und er nickte.
„Das hoffe ich doch, sonst müsste ich glauben, meine Sinne hätten mir einen Streich gespielt. Denn irgendwie hatte ich das Gefühl, du hast eine Schwäche für mich.“ nun grinste er breit und ich spürte, wie die Röte in meine Wangen schoß.
„Nun...“ wagte ich mich hervor und reckte mein Kinn kämpferisch in seine Richtung.
„...ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit. Auch wenn du es vielleicht immer noch einem Bann zuschreibst.“
„Erwischt.“ lachte Jake und nahm den letzten Schluck aus seiner Tasse.
„Und ja, ich halte es immer noch für einen Bann, jedoch glaube ich nicht mehr, dass du ihn auf mich gelegt hast. Wir werden sicherlich noch herausfinden, warum du mich so magisch anziehst.“ er zwinkerte mir zu und nun musste ich grinsen. Langsam nahm die Entspannung Besitz von mir und ich konnte allmählich zulassen, dass dies hier alles wirklich geschah.
„Das hoffe ich doch.“antwortete ich und atmete erneut tief durch.
„Dann können wir ja endlich bestellen, ich habe einen Mordshunger.“ er drehte sich in Bellas Richtung und winkte sie wieder zu uns.
„Du hast doch nichts dagegen, oder?“ fragte er, obwohl es ohnehin zu spät gewesen wäre, sie wieder zurück zu schicken.
„Nein.“ antwortete ich ehrlich und rang mich zu einem aufrichtigen Lächeln durch.
„Na, ihr zwei? Alles geklärt?“ fragte Bella, stellte ihre Cola-Light auf dem Tisch ab und setzte sich neben mich.
Ich nickte stumm und nahm ihr Glas an mich, dass ich in einem Zug leerte.
„Tut mir leid, ich bestell dir sofort eine Neue.“
Bella grinste breit und tauschte einen verschwörerischen Blick mit Jake, der mir verriet, dass sie unser Gespräch nicht gehört haben musste, um zu wissen worüber wir gesprochen hatten.
Ich runzelte die Stirn und sah beide misstrauisch an.
„So ein abgekartetes Spiel hätte ich von Euch beiden eigentlich erwarten müssen.“ ich schüttelte den Kopf. „Wenn man euch beide in einen Sack steckt und draufhaut, erwischt man unter Garantie immer den Richtigen.“
Bella machte ein gespielt beleidigtes Gesicht und schaute verdrossen zu Jake.
„Und ich dachte eigentlich, sie würde sich freuen, dich zu sehen. So viel wie sie immer von dir spricht.“
Ich stieß ihr etwas zu unsanft in die Rippen, was sie dazu brachte aufzukeuchen.
„Kein Grund mich zu verprügeln.“ monierte sie und ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen.
„Tut mir leid Bells, ich wollte dir nicht wehtun.“ reute ich augenblicklich, aber Bella strich mir freundlich über den Arm.
„Erinnerst du dich? Wir sind beide nicht so zerbrechlich, wie es den Anschein hat.“ sagte sie beinahe liebevoll.
Bevor ich noch mehr sagen konnte, hatte Jake die Kellnerin an den Tisch gewunken und während er sich ein großes Wasser und einen Burger mit Fritten bestellte, orderte Bella einen Teller belgischer Waffeln. Erstaunlich, dass niemand sich in einem Pfannkuchenhaus für Pfannkuchen zu interessieren schien. Als die Kellnerin nun mich abwartend ansah, bestellte ich eine neue Cola für Bella, eine für mich und auch wenn ich keinen Hunger hatte, noch einen Pfannkuchen mit Apfelmus.
„Lexi?“ Jake blickte mich fragend an und wieder spürte ich das nervöse Zittern durch meine Glieder fahren.
„Ja...Jake?“
„Im Wald hast du mir gesagt, du würdest mir jede meiner Frage ehrlich beantworten. Gilt das noch?“ fragte er und ich nickte augenblicklich.
„Ja, natürlich. Ich stehe zu meinem Wort. Du kannst mich fragen, was immer du willst.“
„Bella hat mir zwar schon einiges erzählt, aber mich würde dennoch interessieren, was du alles kannst. Ich habe die Stammesältesten gefragt, aber keiner von ihnen hat je von einem Halbvampir gehört. Kannst du dich wirklich in alles und jeden verwandeln?“ fragte er weiter, während seine Worte mich deutlich nervös machten.
„Nicht in alles, aber in jeden. Ich kann mich nicht in Tiere oder Gegenstände verwandeln. Aber wenn ich weiß wie ein Vampir, Mensch oder auch Werwolf aussieht, kann ich sein Äußeres kopieren. Ebenso kann ich mir ein eigenes Aussehen ausdenken und umsetzen.“ resümierte ich aufgeschlossen.
Jake nickte verstehend und auch Bella, obwohl sie dies alles schon wusste und auch selbst gesehen hatte, schien interessiert meinen Aussagen zu folgen.
„Das heißt du könntest dich ebenso in mich verwandeln?“
„Ja, aber nur in deine menschliche Erscheinungsform. Ich kann nur das Aussehen, nicht aber die Fähigkeiten eines anderen übernehmen. Würde ich mich zum Beispiel in Edward verwandeln, könnte ich keineswegs auch Gedankenlesen wie er. Als ich...Bella gespielt habe, hätte er auch meine Gedanken lesen können.“ entgegnete ich ruhig.
„Edward hätte also sofort bemerkt, was ich nicht bemerkt habe?“
Er schien aufgrund dieser Feststellung pikiert zu sein und ich konnte es ihm nicht verübeln.
Bella legte ihm ihre zerbrechlich wirkende Hand auf den nackten Unterarm und ihre Stimme klang unheimlich weich, als sie sprach.
„Wirst du endlich aufhören, dich deswegen zu ärgern? Ich bin dir nicht mehr böse und du solltest es auch nicht mehr sein. Ich habe Lexi´s Künste selbst gesehen. Ich wäre dieser Illusion beinahe selbst erlegen. Sie ist in dem was sie tut, unheimlich gut und jetzt möchte ich nicht mehr, dass du dich deswegen grämst.“
Jake schenkte ihr ein kurzes Lächeln, während an mir augenblicklich wieder das schlechte Gewissen nagte. Für mich gab es keine einfache Erklärung und auch wenn Jake mir verzieh, würde es die Ungerechtigkeit, die ich begangen hatte nicht ungeschehen machen.
Als wir das „IHOP“ verließen, dämmerte es bereits, während der Regen allmählich nachgelassen hatte. Überall auf dem Parkplatz glänzte der Asphalt noch unter einem dünnen Wasserfilm und hier und da waren große Pfützen zurück geblieben.
Der Nachmittag war schnell vorbei gegangen.
Wir hatten viel miteinander geredet und anderes, als ich es erwartet hatte, auch eine Menge gelacht. Dies war vor allen Dingen Jake geschuldet, der mit immer neuen und zum Teil merkwürdigen Einwürfen, die Stimmung gelockert hatte.
Doch das Treffen mit Jake war vor allem auch eines gewesen: Anstrengend.
Jacob´s Wissbegier hatte mir so manches Mal den Schweiß auf die Stirn treten lassen.
Mein Versprechen, ihm jede Frage wahrheitsgemäß zu beantworten, wollte ich unter keinen Umständen brechen. Aber es gab Dinge in meiner Vergangenheit, die ich ihn nicht unbedingt wissen lassen wollte. Meine Zeit bei den Volturi gehörte ebenso dazu, wie die Tatsache, dass ich mich nicht immer vegetarisch ernährt hatte. Leider hatten viele Fragen nicht nur indirekt mit meiner Vergangenheit zu tun oder ließen sich ohne diese nur mangelhaft beantworten.
Dennoch hatte ich ihn alles über meine Fähigkeiten wissen lassen, hatte ihm von meinem Vater erzählt, zumindest die Dinge, die ich noch wusste. Meinen Disput mit Caius hatte ich jedoch wohlweislich verschwiegen.
Inständig hoffte ich bei jedem meiner Worte, die ich stets mit Bedacht wählte, sie würden nicht zu einer weiteren, tiefer gehenden Frage von Jakes Seite führen.
Es war mir durchaus klar, dass er meine schwammigen Ausflüchte bei bestimmten Themen bemerken musste, aber ich wollte meine zweite Chance nicht verspielen, bevor ich sie überhaupt wirklich wahrgenommen hatte.
Ebenso war es auch meine Hoffnung, dass er mir verzeihen würde. Vielleicht konnte er sich seinen Teil auch denken und würde nicht weiter in mich dringen. Zumindest nicht auf diese Weise.
Trotz allem hatte es mich mit einer Art Melancholie ergriffen, als Jake zum Aufbruch gerufen hatte.
Sobald die Nacht hereinbrach, war es seine Aufgabe die erste Schicht des Rudels zu übernehmen und so waren wir bereits mehr als spät dran.
Stets begleitete mich eine unsägliche Angst, dass jedes Treffen mit Jake auch das letzte sein könnte.
Wenn er sich so spontan dazu bereit erklärte, den Kontakt zu mir zuzulassen, wer konnte mir dann garantieren, dass er sich in der Nacht nicht wieder umentschied?
Ich versuchte, diese Gedanken nicht zu sehr die Kontrolle über mich erlangen zu lassen, denn für den Moment, war er mir gegenüber aufgeschlossen und freundlich, wenn auch immer mit einer ihm eigenen Skepsis und Vorsicht.
Während Jake Bella nun an sich zog und sie zum Abschied fest drückte, besah ich mir in verlegener Genauigkeit die Spitzen meiner Schuhe.
Als er Bella jedoch wieder losließ, zog er überraschenderweise auch mich an seine Brust.
Nicht so zärtlich wie bei Bella, keineswegs romantisch.
Es war eher eine von den Körperlichkeiten, die ich ihm im Umgang mit seinem Rudel zugetraut hätte. Seine Hände hatten nicht meine Taille umschlungen, wie sie es bei Bella getan hatten. Mir hatte er nur einen seiner Arme um den Nacken gelegt und mich dabei gegen seine maskuline Gestalt gedrückt.
Kurz befürchtete ich sogar, er würde mir noch eine Kopfnuss verpassen, während ich in dieser Art Schwitzkasten an seiner Brust hing.
Doch zu meinem Erstaunen, vermeinte ich kurz den Druck seiner Lippen auf meinem Haaransatz zu verspüren, bevor er auch mich wieder freigab.
Jake räusperte sich kurz, bevor er die Tür seines Golfs öffnete und mit einem Lächeln schließlich einstieg und ohne ein weiteres Wort davonfuhr.
Ich ging mit zittrigen Knien in Richtung Bellas Pickup, während sie mir mit einem breiten Grinsen folgte.
Immernoch war ich dabei, das Geschehene zu analysieren und der Gedanke, Bella für ihren „Überfall“ zu tadeln, kam mir dabei zunächst nicht in den Sinn.
Denn trotz allem, das war mir durchaus bewusst, was ich ihr zu verdanken hatte.
Bella schloß zu mir auf und hakte sich wieder bei mir ein.
„Ist doch wirklich gut gelaufen, oder?“ grinste sie mich an und ich nickte nur leicht mit dem Kopf.
„Ja, aber du hättest es mir vorher ruhig sagen können. Ich wäre doch niemals dagegen gewesen, mich mit Jake zu treffen.“
„Ich konnte es dir nicht sagen, Lexi. Ich hatte es Jake versprochen. Er wollte nicht, dass du dich auf dieses Treffen vorbereiten konntest. Er wollte am eigenen Leib sehen, wie du reagierst und er war der Meinung, dass du überrumpelt am ehesten ehrlich sein würdest. Bitte sei nicht böse...“ Sie schob die Lippen vor und machte große Augen. Etwas, dass bei den Jungs wahrscheinlich jedes Mal sofort funktionieren würde.
Sie schmiegte sich an meine Schulter und klimperte mit den Wimpern.
„LexLex...komm schon. Es ist doch alles gut ausgegangen. Wir hatten doch viel Spaß oder nicht?“
Ich musste schmunzeln. LexLex...was war das für ein komischer Spitzname.
„Jaja, BellBell.“ neckte ich sie zurück. „Dir sei verziehen. Aber wenn du mich noch einmal, in einem solchen Aufzug zu Jake gehen lässt, dann sehe ich mich gezwungen, dich übers Knie zu legen, hast du das verstanden?“
„Aye, Ma´am“ Sie salutierte vor mir und schloß den Wagen auf, damit wir beide einsteigen konnten.
Als ich wieder neben ihr zum Sitzen kam, beschlich mich das Gefühl, dass es nun an der Zeit für ein Frauengespräch war. Vielleicht würde das für einige Zeit meine einzige Möglichkeit sein, allein mit Bella zu reden, ohne das Edward in der Nähe war und meine Gedanken lesen konnte. Was vielleicht nicht ganz so schlimm sein würde, als wenn er ihre Antworten auf meine Fragen hören konnte.
„Danke.“ sagte ich also, als sie den Motor startete und wir den Parkplatz wieder verließen.
„Ich weiß, was ich dir dafür schulde.“
„Hm?“ Bella blickte kurz von der Straße auf und zu mir herüber.
„Du brauchst dich nicht zu bedanken, Lexi. Es mag zwar fies klingen, aber ich habe es nicht für dich getan, sondern für Jake. Zu einem Teil sicherlich auch für dich, versteh mich nicht falsch, aber es ging mir dabei in erster Linie darum, Jake ein Treffen zu ermöglichen.“ sagte sie ehrlich.
„Ist es sehr komisch für dich?“ wagte ich mich vorsichtig an das mir unliebsame Thema heran und hoffte, Bella würde auch bei dieser Antwort ehrlich sein.
„Was meinst du?“ fragte sie zurück und ich rollte leicht mit den Augen.
„Tu doch nicht so, Bells. Du weißt genau, wovon ich spreche. Seit meinem Auftauchen hat sich zwischen dir und Jake doch einiges geändert und ich weiß nicht, ob du das unbedingt so begrüßt.“
Bella lachte leise, nahm sich jedoch einen Moment der Stille, bevor sie antwortete.
„Ich gebe zu, dass ich anfangs nicht genau wusste, was ich davon halten soll. Als ich von eurem Kuss gehört habe und wie sehr dieser Jake...sagen wir mal beeindruckt hat, da habe ich schon so etwas wie Eifersucht verspürt. Denn ich dachte immer, auch wenn ich mir eine andere Frau für ihn gewünscht habe, dass sie in meinen Augen niemals gut genug für ihn sein könnte. Und trotz aller Widrigkeiten, war es ja nie so, dass ich nicht zumindest einen Teil seiner Gefühle erwidert habe.
Aber schlussendlich...ja schlussendlich ist es doch so, dass ich mir diese Art von Egoismus nicht leisten darf, oder? Ich habe Edward und mit ihm, die Liebe meines Lebens, meine Ewigkeit und es wäre wohl sehr vermessen, wenn ich erwarten würde, dass Jake für immer alleine bleibt, nur damit ich ihn nicht verlieren muss. Und deswegen bin ich in erster Linie dankbar. Dankbar, dass er wieder zu Hause ist, dankbar dafür, dass ihm nichts geschehen ist und auch dankbar dafür, dass ich mich nicht mehr im selben Maß mit seiner Zuneigung auseinander setzen muss, wie vor deinem Auftauchen. Wärst du nicht, wer du bist und wäre ich mir nicht sicher, dass deine Gefühle für Jake tief und ehrlich sind, würde die Sache wahrscheinlich anders aussehen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, Lexi. Solange du Jake nicht wehtust und immer ehrlich bist, hast du von mir nichts zu befürchten.“
Ich schluckte, doch ihre Antwort war nicht halb so schlimm gewesen, wie ich sie mir so manches Mal in Gedanken ausgemalt hatte. Ich fühlte mich erleichtert und zugleich verstand ich nun immer mehr, warum Bella so eine außergewöhnliche Person war. So jung und doch in ihrem Handeln und ihrer Denkweise so unheimlich erwachsen. Wahrscheinlich in großen Teilen, sogar erwachsener als ich es war.
Beruhigt lehnte ich mich in meinem Sitz zurück, entschied mich dann jedoch wieder anders, beugte mich zu Bella hinüber und drückte ihr einen knappen Kuss auf die Wange.
„Weißt du was, Bella?“ fragte ich, wartete aber nicht auf eine Antwort. „Eigentlich brauchst du keine Verwandlung, um ebenso übermenschlich wie Edward sein zu können. Du bist es schon jetzt.“
„Ach hör auf, ich werd ja gleich rot.“ winkte sie ab, lächelte aber weiter stumm vor sich hin.
„Es ist die Wahrheit.“ entgegnete ich ruhig. „Ich verstehe mehr als gut, warum du den Cullens und auch Jake so unheimlich viel bedeutest. Du bist wirklich und ungelogen, einfach nur wundervoll.“
„Lexi, es reicht jetzt. Spar dir deine Gefühlsduseligkeit für Jake auf und verschwende sie nicht an mich.“ lachte sie und ich stimmte in dieses Lachen mit ein. Das erste Mal seit Tagen fühlte ich mich vollkommen entspannt und irgendwie auch...glücklich.
Das änderte sich jedoch schlagartig, als wir in den Wald der Cullens einbogen. Kaum hatten wir den Asphalt unter den Rädern gegen den erdigen Boden getauscht, sprang einige Meter vor dem Auto plötzlich etwas aus dem Gebüsch.
Bella trat mit voller Kraft auf die Bremse und da ich mich nicht angeschnallt hatte, schleuderte ich unangenehm hart gegen das Armaturenbrett.
Bevor Bella oder ich erkennen konnten, wer oder was vor den Wagen gesprungen war, riss jemand die Beifahrertür auf und schubste mich unsanft zur Seite.
Ich brauchte einen Augenblick, bis ich erkannte, dass unser vermeintlicher Angreifer niemand anderes als Alice war.
Bella schien über ihr Auftauchen ebenso verwirrt zu sein, wie ich, während ich auf den mittleren Platz der Sitzbank gedrängt wurde und Alice neben mir zum Sitzen kam.
„Seid ihr zwei eigentlich von allen guten Geistern verlassen?? Ich warte schon seit Stunden auf eure Rückkehr. Bella! Wir hatten doch ausgemacht, dass ihr noch vor Jasper und mir wieder zurück seid. Könnt ihr euch überhaupt im Geringsten vorstellen, was zu Hause grade von Statten geht? Edward ist außer sich, ich konnte ihn gerade noch davon abhalten einfach nach Port Angeles zu fahren und in euer kleines Intermezzo zu platzen.“
So klein Alice auch war, in diesem Moment, da sie uns so derbe anschnauzte kam sie mir vor, als sei sie 2 Meter groß.
„Mist.“ fluchte Bella und schlug sich die Hand vor die Stirn. „Das habe ich ja total vergessen, Alice. Wir waren so in unsere Gespräche vertieft, dass ich gar nicht mehr an unsere Abmachung gedacht habe. Es tut mir so leid, Alice, wirklich. Ich habe gar nicht mehr auf die Zeit geachtet.“
Doch Bellas gestammelte Entschuldigung, beruhigte Alice keineswegs.
„Worauf wartet ihr noch? Hopp, hopp. Bevor Edward es sich doch noch anders überlegt. Emmet ist im Übrigen fast ebenso aufgebracht. Nur dank Carlisle´s Besonnenheit, sitzen alle noch zu Hause und warten auf Euch.“
Ohne ein weiteres Wort startete Bella wieder den Motor und insgeheim wünschte ich mir, der Weg bis zum Haus wäre um einige Meilen länger gewesen. Kaum, dass der Pickup vor der Villa zum Stehen kam, öffnete sich die Glastür zur Front und Edward kam mit schnellen Schritten heraus.
Bella beeilte sich ebenso schnell aus dem Wagen zu kommen und sie fing Edward ab, bevor er den Wagen erreicht hatte.
Erleichtert zog Edward sie in seine Arme und küsste immer wieder ihre Schläfe und ihre Wangen.
„Oh Gott, Bella, es geht dir gut. Weißt du eigentlich, welche Sorgen ich mir gemacht habe? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du vor hast dich mit Jake zu treffen?“ sagte er sofort und Bella lachte heiser auf.
„Als wenn du dir dann weniger Sorgen gemacht hättest. Und als wenn du mich dann überhaupt hättest gehen lassen.“ versuchte sie ihn zu beschwichtigen, doch ganz gelang ihr das nicht.
„Du hättest wenigstens dein Handy mitnehmen können, statt es im Haus liegen zu lassen. Nicht einmal Lexi hatte ihres dabei. Laut Alice wolltet ihr schon längst wieder zurück sein und ich habe mir bereits die schlimmsten Dinge ausgemalt. Ich hätte es nicht überlebt, wenn dir etwas passiert wäre.“
„Bitte beruhige dich Edward. Mir geht es gut und tief in dir drin weißt du auch, dass ich bei Jake absolut in Sicherheit bin. Ich hatte gehofft, dass der Streit sich zwischen euch so langsam gelegt hätte. Vor allen Dingen nachdem Lexi...“
Doch Edward ließ Bella nicht aussprechen.
„Nachdem Lexi, von Quil verletzt wurde? Ich habe es schon so oft gesagt, die Wölfe haben keine Kontrolle über sich. Und du Lexi...“ er sah mich tadelnd an, als ich reumütig hinter Bella hergeschlichen kam. „...ich bin enttäuscht von dir. Und versuch gar nicht erst es mir zu erklären. Von Bella bin ich solche Aktionen durchaus gewöhnt, aber von dir hatte ich erwartet, dass du dich verantwortungsvoller verhältst, insbesondere nachdem was erst letzte Nacht passiert ist.“
Edward hatte mich kalt erwischt mit seiner Anklage, so dass ich nicht wusste, was ich ihm entgegnen sollte.
„Ich...“ begann ich zu stottern und hob hilflos die Hände nach oben.
„Edward.“ scholt Bella ihn augenblicklich. „Lexi wusste nichts von dem Treffen mit Jake, ich habe sie sprichwörtlich entführt. Sie hatte nicht mal genug Zeit, eine Jacke mitzunehmen, geschweige denn an ihr Handy zu denken. Wenn du jemandem verantwortungsloses Verhalten ankreiden willst, dann musst du mit mir vorlieb nehmen.“
„Schon okay, Bella.“ beruhigte ich sie. Der Grund für einen Streit zwischen ihnen zu sein, war das letzte was ich jetzt wollte. „Edward hat Recht. Ich hätte mich nicht von dir überrumpeln lassen sollen und ich hätte seine Wünsche bezüglich eines Treffens zwischen Jake und dir respektieren müssen.“
Bella starrte mich mit großen Augen an, als könne sie nicht fassen, was ich soeben gesagt hatte.
Ich schenkte ihr nur einen kurzen Blick, während nun auch Alice dazu kam und Edward mahnend ansah.
„Krieg dich wieder ein, Edward. Du wirst es nicht verhindern können, dass die beiden das tun, was sie wollen, auch wenn du dagegen bist. Sie sind beide durchaus erwachsen und glaubst du wirklich Bella wäre etwas geschehen, solange Lexi bei ihr ist? Ich bin mir sicher, sie hätte Bella ebenso bei Gefahr verteidigt, wie wir anderen auch.“
„Lexi kann sich im Moment ja nicht einmal selbst verteidigen.“ Emmett trat gefolgt von Rosalie nach draußen und ich sah seiner Miene an, dass er in seiner Wut Edward in nichts nachstand.
„Darum geht es also, ja?“ fragte ich leicht gereizt.
„Wollen wir nicht lieber reingehen.“ warf Alice sofort ein und ich musste ihre Gedanken nicht lesen können, um zu wissen, dass sie hoffte Jasper könne drinnen die Situation ein bisschen entspannen.
Doch keiner von uns reagierte auf ihren Vorschlag.
Emmett nahm die wenigen Stufen der Veranda und stellte sich vor mich, als könne er mir durch seine bloße Gestalt so etwas wie Angst einjagen.
„Ja, darum geht es. Es ist kaum ein paar Stunden her, dass deine Verletzung verheilt ist und schon bist du wieder bei diesem stinkenden Köter. Was braucht es denn noch, bis du merkst, dass er nicht gut für dich ist?“ sagte er angriffslustig und schürte damit nur meine eigene Aggression.
„Emmett.“ sagte ich so ruhig wie ich nur konnte. „Ich verstehe, dass du aufgebracht bist. Dass ihr alle einen Grund dazu habt, aufgebracht zu sein. Aber ihr müsst euch langsam von der Vorstellung lösen, dass Jake gefährlich ist. Meine Verletzung war ein Unfall, verursacht durch meine eigene Unachtsamkeit. Ich hätte doch nie zugelassen, dass Bella etwas passiert. Ich würde sie mit meinem Leben verteidigen und jeder von Euch weiß das, auch du Edward.“ führte ich immer noch ruhig aus, während es unter meiner Fassade wie ein Flächenbrand schwelte.
„Ich bin nicht daran interessiert einen Streit vom Zaun zu brechen, aber irgendwie scheine ich, egal was ich tue immer das Falsche zu tun. Ist es wirklich nur, weil ihr euch Sorgen um mich macht, oder darum, dass Jake ein Werwolf ist? Ich weiß, dass ich mich gestern reichlich unrühmlich verhalten habe und ich wollte mich dafür noch bei Euch entschuldigen. Aber warum könnt ihr mir nicht dieses kleine bisschen Glück in meinem Leben gönnen? Fällt es dir wirklich so schwer, Emmett, zu akzeptieren, dass Jake mich glücklich macht?“ fragte ich nun wesentlich aufgebrachter.
„Glücklich? Hast du dich die letzten Tage und Wochen eigentlich einmal selbst mitbekommen? Du warst wahrscheinlich alles, aber mit Sicherheit nicht glücklich. Ist es so schwer für dich zu verstehen, dass ich nicht sauer auf dich bin, weil du vermeintlich glücklich bist, sondern weil ich weiß, wie vergänglich dieses Glück für dich sein wird? Ich will doch nur nicht, dass du verletzt wirst.“ Emmett entspannte sich leicht und ich atmete ebenfalls tief durch.
„Ich verstehe deine Sorge doch, Emmett, aber ich muss für mich selbst entscheiden....“
„Nicht, wenn du vor Liebe vollkommen blind bist. Einst war deine Liebe zu Caius dein Verhängnis und dieses Mal werden es deine Gefühle für Jake sein, die dich ins Verderben stürzen.“ unterbrach mich Emmet und Edward, der dessen Gedanken lesen konnte, machte einen Schritt auf ihn zu und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter.
„Lass es gut sein Emmett, wir sollten alle erst einmal wieder runterkommen und Lexi und Bella erzählen lassen, was überhaupt passiert ist, bevor wir uns in haltlosen Anschuldigungen verstricken.“
Doch ich wollte mich nicht beruhigen, anscheinend ebenso wenig wie Emmett.
„Heißt das in deinen Augen, dass ich mich nie mehr verlieben darf, weil es mich nur in Gefahr bringt?“ fragte ich nun absolut aufgebracht.
„Es heißt, dass du nicht nur dich in Gefahr bringst, sondern auch ihn!“
Ich sah, wie sich Edwards Griff um Emmetts Schulter verstärkte.
„Emmett, lass gut sein!“ Edward versuchte ihn dazu zu bewegen, sich von mir abzuwenden, doch Emmet schien noch lange nicht fertig zu sein.
„Du weißt genau so gut wie wir, dass du nicht mit ihm zusammen sein kannst. Nehmen wir einmal an, das große Wunder geschieht und der Wolf verliebt sich wirklich in dich, er vergisst Bella, vergisst, dass du ein Halbvampir bist, was dann, Lexi? Glaubst du wirklich, er würde sein Rudel, seinen Stamm deinetwegen zurücklassen und mit dir quer durch die Weltgeschichte fliehen? Würdest du ihn der Gefahr aussetzen, die es unweigerlich mit sich bringt an deiner Seite zu sein? Oder glaubst du, er würde sich damit abgeben, dich alle 50 Jahre einmal zu sehen, so wie wir? Wach endlich auf, Lexi, du verrennst dich eine Sache, die du im Moment einfach nicht haben kannst.
Leute, wie du können einfach keine solche Beziehung haben.“ Edward schloß seufzend die Augen, ebenso wie Alice, während Rosalie Emmett kopfschüttelnd ansah.
Ich hingegen konnte kaum begreifen, was Emmett gesagt hatte und wie Recht er im Kern der Sache hatte.
„Leute, wie ich also?“ murmelte ich leise, während ich einige Schritte rückwärts ging.
„Leute, wie ich haben kein Recht darauf glücklich zu sein. Das war doch eigentlich, was du sagen wolltest, nicht wahr?“
Der Ausdruck auf meinem Gesicht war es schließlich, der Emmett dazu brachte sich zu beruhigen.
Er machte ein gequältes Gesicht und streckte seine Hand nach mir aus.
„Nein, Lexi, das habe ich nicht gemeint. Ich mach mir doch einfach nur Sorgen um dich und ja, Jake passt mir nicht wirklich...es tut mir leid, ich hätte besser darüber nachdenken sollen, was ich sage.“
Ich wich vor seiner ausgestreckten Hand zurück, als könne ich mich daran verbrennen.
„Schon gut, Emmett.“ sagte ich tonlos. „Du hast ja Recht. Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet. Ich möchte einen Moment allein sein.“ Damit drehte ich mich um, ignorierte Bellas Rufe und während ich die Blicke meiner sogenannten Familie im Rücken spürte, verschwand ich wortlos zwischen den Bäumen.
Emmett´s Worte brannten in meinen Eingeweiden, als hätte er mir einen glühenden Schürhaken zwischen die Rippen gestoßen. Es war nicht allein die Tatsache, dass sie von ihm, meinem Freund, meinem Bruder, gekommen waren, den ich ebenso sehr schätzte und liebte wie Edward. Es war der Blick in seinen Augen gewesen.
Die unumgängliche, schmerzliche Wahrheit, dass ich nicht mit Jake zusammen sein konnte, selbst wenn wir beide es wollten. Die einzige Möglichkeit dies zu bewerkstelligen, wäre gewesen mich Caius zu stellen und irgendwie lebend aus dieser Geschichte heraus zu kommen. Und diese Möglichkeit war eben keine.
Ich würde Caius nie besiegen können, ohne mein eigenes Leben dabei zu lassen oder die Zahl meiner Feinde drastisch zu erhöhen.
Wütend trat ich gegen einen am Boden liegenden Stein, der, aufgrund meiner Kraft, surrend durch die Luft flog und schließlich gegen einen Baumstamm schmetterte, dessen Rinde unter der Wucht aufplatzte. Meiner Wut Ausdruck zu verleihen, ließ mich für einen Moment freier atmen, aber allzu schnell war dieses Gefühl wieder in der Versenkung verschwunden.
Ich konnte nicht anders, alles in mir schrie und so schrie auch ich. Laut, durchdringend und gequält schrie ich meine Enttäuschung in die Nacht hinaus.
Über meinem Kopf stoben einige Krähen dem Himmel entgegen und ich hörte das Rascheln eines aufgeschreckten Tieres im Unterholz.
Für einen Moment überlegte ich diesem Tier einfach nach zu setzen und meinen verletzten Stolz mit seinem Leben auszuhauchen. Doch der Pfannkuchen vom Nachmittag lag mir, ebenso wie mein Streit mit Emmett, zu schwer im Magen. Ich war wütend auf ihn, obwohl ich wusste, dass er mich keineswegs hatte verletzen wollen.
Nichts desto trotz hatte er es getan, mehr als er ahnte. Heiß spürte ich die Tränen hinter meinen Lidern aufsteigen und allein mit mir selbst, erlaubte ich ihnen über meine Wangen zu strömen.
Ohne Ziel wanderte ich weiter durch den Wald, immer tiefer in die Dunkelheit, von der ich hoffte, sie würde mich einfach verschlucken und nie wieder freigeben.
Am meisten jedoch ärgerte ich mich über mich selbst.
Warum war ich nur nicht meinem ersten Impuls gefolgt und hatte Forks an dem Abend verlassen, an dem Jake die Wahrheit herausgefunden hatte? Aber nein, ich musste mir ja unbedingt einreden, dass ich in Jake meinen Seelenverwandten gefunden hatte. Also war ich geblieben, hatte tagelang Trübsal geblasen, anstatt meine Zeit mit den Cullens zu genießen und hatte schlussendlich auch noch darum gebettelt, dass Jake mich kennenlernte.
Und das alles nur, um in dem Moment, da Jake es wirklich wollte, von Emmett daran erinnert zu werden, dass ich mich am besten von meinem Werwolf fernhielt.
„Blöder Emmett.“ murmelte ich trotzig, wissend dass ich ihm keineswegs die Schuld dafür geben konnte. Ich war selbst blöd genug gewesen, um mich in diese Situation zu bringen.
Ich hätte Edward seine Bitte abschlagen und nie hier her kommen sollen.
Aber alles hätte, müssen und sollen, brachte mich jetzt auch nicht weiter.
Immer weiter trugen meine Schritte mich vom Haus der Cullens fort, während die Tränen unaufhaltsam weiter über meine Wangen strömten und in kleinen Tropfen von meinem Kinn fielen.
Es dauerte nicht lange und ich hörte das Rauschen des Flusses, der das Gebiet der Cullens von dem der Wölfe trennte. Ich zögerte einen Moment, bevor ich abbog und dem Rauschen folgte. Das stete Fließen des Wassers hatte etwas Beruhigendes und als ich aus dem Wald an die Steinkante trat, die das Bett des Flusses bildete, atmete ich tief durch.
Was hatte ich mir eigentlich gedacht? Ein Vampir und ein Werwolf? Das hatte unter normalen Umständen schon keine Zukunft, wie sollte es dann mit meinem und Jakes Hintergrund funktionieren?
Mutlos ließ ich mich zu Boden sinken, hob meine Beine über die Steinkante und sah dem tosenden Wasser zu.
Meine Hände fuhren über den kiesigen Untergrund und ich begann ziellos die kleinen Steinchen ins Wasser zu werfen.
War es wirklich erst so kurze Zeit her, dass ich hier gestanden und mit Emmett diskutiert hatte?
Es war seitdem so viel passiert und ich fühlte mich mit einem Mal vollkommen überrumpelt.
Das alles passte aber auch irgendwie zu mir. Erst geschah Jahre lang rein gar nichts in meinem Leben, nur damit jetzt alles so schnell ging, dass ich nicht in der Lage war einen klaren Kopf dabei zu behalten.
Wieder griff ich nach einer Hand Kiesel, um ihn achtlos in die Schlucht hinab zu werfen, als mich ein leises Rascheln auf der anderen Seite aufschreckte.
Augenblicklich fuhr ich zusammen und mit unmenschlicher Schnelligkeit war ich wieder auf meinen Beinen, wischte mir mit dem Ärmel meines Pullovers die Tränen von den Wangen und starrte auf das andere Ufer hinüber.
„Wer ist da?“ fragte ich zitternd, als ein großer brauner Wolf aus dem Dickicht auftauchte.
Jake.
Fast musste ich lachen.
Fast...
Stattdessen wischte ich mir ein weiteres Mal über die Augen. Ich wollte nicht, dass er mich so sah.
Noch einmal strich ich mir durch die Haare und versuchte ein halbwegs echt wirkendes Lächeln aufzusetzen.
„Hi Jake. Tut mir leid, wenn ich dich bei deiner Patrouille gestört habe...das wollte ich nicht.“ Ich spürte den Kloß in meinem Hals immer größer werden, jetzt da alles was ich wollte, alles was ich begehrte, so nah bei mir war. Wie passend, dachte ich, dass dieser Fluss uns trennte.
Ich sah wie Jake kurz die Nase in den Wind hielt und dann leise knurrte.
„Hier ist alles in Ordnung...“ Meine Stimme brach unter dem erneuten Schwall von Tränen, den ich einfach nicht daran hindern konnte, in meine Augen zu treten.
Jake schnaubte hörbar und verschwand dann wieder im Dickicht.
Ich wusste, dass er nicht verschwunden war. Dazu kannte ich ihn mittlerweile gut genug. Er würde jeden Moment wieder aus der Dunkelheit auftauchen, bekleidet, und sicherlich nicht willens sich so einfach von mir abspeisen zu lassen. Kurz überlegte ich mich einfach davon zu machen, nur um jetzt nicht mit ihm konfrontiert zu werden. Doch eine Macht, die wesentlich stärker war, als ich selbst, hielt mich an Ort und Stelle fest.
Wie ich es vorausgesagt hatte, trat Jake schließlich in seiner menschlichen Gestalt und in den altbekannten Shorts wieder ins Mondlicht und ich konnte ein leises Wimmern nicht zurückhalten.
„Lexi? Ist alles in Ordnung bei dir?“ fragte er sofort und ich hörte die Besorgnis in seiner Stimme, die es schaffte, dass ich mich noch elender fühlte.
Ich versuchte zu nicken und wandte mein Gesicht ab, um wenigstens einen Teil der Tränen zu verstecken.
„Ja.“ sagte ich schnell, in der Hoffnung, Jake würde es damit gut sein lassen.
„Komm rüber und sag mir das ins Gesicht.“ forderte er mich sofort auf und der Schmerz in meiner Brust zwang mich fast in die Knie.
Ich schüttelte den Kopf.
„Zwing mich nicht dazu, rüber zu kommen und dich zu holen.“ entgegnete er und ich wusste, dass ich ihm nicht mehr entgehen konnte.
„Nein...nein. Schon gut...ich komm zu dir.“ zwang ich mich zu sagen. Es war besser auf Jakes Seite hinüber zu gehen, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass einer der Cullens mich suchen würde. Ich fand es nicht ratsam, in diesem Moment zusammen mit Jake erwischt zu werden.
Erneut fuhr ich mir über die Augen und nahm einen kleinen Anlauf, bevor ich mich von der Steinkante abstieß und das letzte weltliche Hindernis zwischen uns, hinter mir ließ.
Noch während ich keinerlei Boden unter den Füßen hatte, sah ich wie Jake seine Arme ausbreitete und sich bereit machte, meinen Sprung aufzufangen. Kaum, dass ich die andere Seite erreicht hatte, spürte ich auch schon seine warmen Arme um mich.
Vorsichtig stellte er mich zurück auf meine zwei Beine und hielt mich ein wenig auf Abstand, um mich genauer anzusehen, ließ mich jedoch nicht los.
„Hey Süße...was ist denn mit dir passiert?“ fragte er behutsam und ich wand mich in seiner Umarmung, wissend dass ich so nah bei ihm keinen vernünftigen Satz heraus bekommen würde.
„Nichts...“ schluchzte ich und kämpfte um jeden Zentimeter Abstand zu ihm. Doch er gab nicht nach, sondern zog mich noch enger an sich. Seine rechte Hand legte sich unter mein Kinn und hob meinen Blick in seine Augen und augenblicklich war ich froh, dass er mich hielt, denn ansonsten wäre ich einfach zu Boden gesunken.
„Haben wir heute nicht beschlossen mit dem Lügen aufzuhören? Ich mag vielleicht nicht immer der Hellste sein, aber dass etwas nicht mit dir stimmt, sieht ein Blinder mit dem Krückstock. Also, verrätst du mir jetzt, was passiert ist, dass du dermaßen aus der Fassung bist?“
Ich schüttelte den Kopf, doch Jake umfasste mein Kinn und brachte mich dazu zu nicken.
„Doch, du erzählst jetzt Onkel Jake alles was er wissen will. Du hast es mir selbst versprochen. Jede meiner Fragen wird wahrheitsgemäß beantwortet.“ beharrte er weiter und ich sah ein, dass es mir nichts brachte, mich weiter zu wehren.
Ich versuchte tief durchzuatmen und die richtigen Worte für das Geschehene zu finden.
„Wir kamen zurück...“ begann ich zu stottern und schluckte, während ich weitere Tränen fort blinzelte.
„Und dann war da Alice...und sie so: Wo wart ihr und dann Edward: Ich habe mir Sorgen gemacht und dann hat er geschrien....nicht Edward, aber Emmett und ich so: Was ist das Problem und Emmett hat auf mich eingeredet und Alice wollte reingehen, aber Edward und dann...“ stammelte ich zusammenhanglos vor mich hin.
Jake´s Gesicht verzog sich in Unverständnis.
„Hey, hey, hey, Kleines, ganz ruhig ,ja? Ich spreche kein halbvampirisch.“ er lächelte sanft und seine Stimme war purer Balsam. „Ich weiß in deinem Kopf mag das alles Sinn machen,“ er tippte beinahe zärtlich gegen meine Stirn „...aber ich steh hier draußen und versteh nicht ein Wort von dem, was du mir da gerade erzählst.“
Ich nickte und biss mir auf die Unterlippe.
„Es tut mir alles so leid.“ begehrte ich auf, als ein weiterer Weinkrampf von mir Besitz ergriff.
Jake sah mich hilflos an, dann jedoch bettete er meine Wange an seine nackte Brust. Seine Finger streichelten weich über meinen Rücken und er wiegte mich sanft vor und zurück. Für einen Moment fühlte ich mich an die Nacht erinnert, in der er mich getröstet hatte, nachdem ich den Albtraum von Caius gehabt hatte.
„Beruhige dich erst einmal, Kleine. Tief durchatmen...“ flüsterte er samtweich in mein Ohr und es war, als ob seine uneingeschränkte Fürsorge alle Schleusen in mir öffnete.
Ich klammerte mich an seine Gestalt und schluchzte geräuschvoll an seiner Brust, während er mich einfach nur festhielt und immer wieder ein leises „Shht“ von sich gab.
Es war, als würde ich alle Tränen der Welt vergießen. Und je fester Jake mich hielt, desto schlimmer wurde es. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis der Kloß in meinem Hals und der eiserne Ring um meine Brust, sich ganz allmählich zurückzogen und ich wieder freier atmen konnte. Die Abstände zwischen den einzelnen Schluchzern wurden immer länger und bald kamen keine neuen Tränen mehr nach.
Als Jake spürte, dass ich mich beruhigte und auch mein Körper sich nicht mehr verkrampfte, ließ er mich langsam los, als hätte er endlich die Erlaubnis dazu.
„Geht´s wieder?“ fragte er mich behutsam und ich nickte stumm, bevor ich mir wieder über die Augen rieb, um die letzten verräterischen Tränenspuren fort zu wischen.
„Ja, danke. Ich wollte dich nicht von deinen Aufgaben abhalten. Ich hoffe, du bekommst jetzt keinen Ärger mit Sam, weil du deine Pflichten mir zuliebe vernachlässigt hast.“ antwortete ich langsam, aber Jake schenkte mir ein beruhigendes Lächeln.
„Keine Angst, ich hab mich abgemeldet, bevor ich mich verwandelt habe, du weißt schon, Wolfstelepathie. Du hast meine Schwäche ausgenutzt.“ er zwinkerte mir zu. „Ich kann einfach kein Mädchen weinen sehen.“
„Und was davon ist jetzt deine Schwäche?“ fragte ich schniefend und suchte vergeblich nach einem Taschentuch, um mir die Nase zu putzen. „Das Mädchen, oder die Tränen?“ fragte ich und war schon wieder zu einem leichten Lächeln fähig.
„In deinem ganz speziellen Fall, ist es wohl die Mischung aus beidem. Allerdings wird sich das bestimmt früher oder später relativieren. Denn entweder hast du jetzt die Tränen eines ganzen Lebens geweint und es kommt sobald kein Nachschub mehr, oder aber du bist wirklich so nah am Wasser gebaut, dass ich mich bald daran gewöhnt haben werde.“ lachte er und ich stieß ihn unsanft gegen die Rippen.
„Seit ich dich kenne, bin ich nicht mehr nur nah am Wasser gebaut, sondern mindestens zehn Meter im Wasser.“ entgegnete ich scherzhaft und seufzte dann langanhaltend.
„Danke, dass du für mich da warst. Aber jetzt sollte ich vielleicht doch wieder zurück, sie werden ohnehin schon wissen, wo ich bin. Ich würde ihnen ungern noch mehr Gründe geben, sich Sorgen zu machen.“
Jake nickte, schien von dieser Idee jedoch nicht ganz so angetan zu sein, wie ich.
„Du hast mir allerdings immer noch nicht gesagt, was wirklich passiert ist. Dein zusammenhangloses Gestammel jetzt mal außer Acht gelassen.“
„Ach...eigentlich war es gar nicht so schlimm. Edward hat sich Sorgen gemacht und Emmett hat ein paar Dinge gesagt, die ich nicht hören wollte...Sie halten dich nicht grade für die beste Gesellschaft für mich.“ sagte ich ruhig.
Jake verschränkte die Hände hinter seinem Kopf.
„Anderes Mädchen, gleiche Geschichte. Um ihnen den Arsch zu retten, wenn sie angegriffen werden, dazu bin ich gut genug, aber nicht um Umgang mit einer der Ihren zu haben. Ja schon klar, tut mir leid, wenn ich der Grund war, dass du Ärger hattest.“ sagte er leicht gereizt und ich wünschte mir, ich hätte nichts gesagt.
„Das ist nur, weil sie dich nicht wirklich kennen. Carlisle hält sehr große Stücke auf dich, seit er deine Verletzung betreut hat. Wenn die anderen sich nur die Zeit nehmen würden, dich mit denselben Augen zu sehen, mit denen ich dich sehe, mit denen Bella dich sieht, dann wüssten sie, warum du uns so wichtig bist.“
„Schon okay, Lexi. Du brauchst sie nicht zu verteidigen. Wäre ich an ihrer Stelle, ich würde es wahrscheinlich ebenso wenig begrüßen. Ich will mir nicht mal vorstellen, was ich denken würde, träfe sich Leah mit einem von ihnen. Mit dem Depressiven vielleicht, oder dem Typ mit den Schultern eines Bären. Welcher von beiden ist Emmett?“
„Der Bär.“ sagte ich knapp und Jake nickte.
Zwischen uns entstand ein Moment der Stille und gerne hätte ich mich noch einmal an seine Brust geschmiegt, aber ich hatte das Gefühl, dass Jake seit ich aufgehört hatte zu weinen, einen etwas zu großen Abstand zu mir hielt.
Trotz seines guten Willens, mir eine Annäherung zu erlauben, war eine körperliche Annäherung dabei sicherlich nicht in seinem Sinne.
Aber was erwartete ich auch? Jake war siebzehn. Und auch wenn er durchaus Erfahrung darin hatte, zu kämpfen und Vampire zu töten, so beschränkten sich seine Erfahrungen mit Frauen auf gerade einmal eine. Dass er sich inmitten des Gefühlschaos, das ich in ihm angerichtet hatte, unwohl fühlte, war wohl mehr als verständlich. Allerdings, und diese Erkenntnis traf mich just in dem Moment, da ich sie ihm zugestand, hatte ich nicht wesentlich mehr Erfahrung im Umgang mit Männern. Was das anging, waren wir uns also ebenbürtig.
„Also dann...“ sagte ich und presste die Lippen aneinander. „...ich werd dann mal wieder...denk ich.“
„Okay...hat mich gefreut, dir helfen zu können. Und wenn du wieder Ärger mit dem Bär haben solltest, sag mir Bescheid. Ich brenne fast darauf herauszufinden, ob ein Wolf einem Bär die Stirn bieten könnte.“ Jake grinste und ich musste ebenfalls lächeln.
„Da ich mich politisch korrekt verhalten sollte, würde ich sagen, beide würden eine Menge Fell dabei verlieren...“ ich machte einige Schritte auf Jake zu und hauchte ihm einen unverfänglichen Kuss auf die Wange, bevor ich meine Lippen nah an sein Ohr brachte.
„Aber unter uns, bin ich der Meinung, du kannst alles und jeden schaffen.“
Ich ging nicht auf dem direkten Weg zurück nach Hause. Nach Hause. Wie seltsam das in meinem Kopf klang. Es war nicht mein Zu Hause, es war nur der Ort von dem ich mir wünschte, er könne eines werden. Ich ließ mir absichtlich soviel Zeit für den Rückweg, weil ich hoffte, dass bis zu meiner Rückkehr, Edward bereits aufgebrochen war, Bella nach Hause zu bringen und er beabsichtigte, die Nacht gemeinsam mit ihr zu verbringen.
So, wie er es eigentlich jede Nacht tat.
Mein Kommen würde ohnehin nicht unbemerkt bleiben, selbst wenn er nicht da sein würde, um meine Gedanken zu lesen. Ich war mir sicher, dass sie alle wussten, wo ich gewesen war.
Alice konnte mich in Jakes Gegenwart zwar nicht sehen, aber genau dieser Umstand würde ihr verraten haben, wo ich meine Zeit verbracht hatte.
Ich war froh darüber, dass alle Cullens meinen Wunsch nach Einsamkeit respektiert hatten und dennoch beschlich mich Wehmut, dass nicht einer von ihnen es nicht getan, und mir gefolgt war.
Ich schüttelte den Kopf über mich selbst.
- Wankelmütiges Weib –
So hatte mich Caius früher oft neckender Weise genannt. Damals hatte ich es gehasst, aber jetzt verstand ich, wie passend es eigentlich war. Aber wie sollte ich auch nicht wankelmütig sein, wenn nichts in meinem Leben Bestand hatte und ich niemandem Rechenschaft darüber ablegen musste, was ich tat? Und warum um alles in der Welt, dachte ich jetzt an Caius?
Erneut begann es zu regnen, doch ich eilte mich immer noch nicht meine Schritte zu beschleunigen.
Die kühle Luft, die der Regen mit sich brachte, tat ebenso gut, wie die kalten Tropfen, die auf mein Gesicht niederprasselten.
Doch alles Schleichen und Trödeln half nichts, denn schlussendlich hatte mich mein Weg nichtsdestotrotz zurück zum Haus der Cullens gebracht.
Ich blieb einen kurzen Moment stehen und überlegte mir, wie ich es wohl am geschicktesten anstellen sollte, ohne große Konflikte in mein Zimmer zu kommen. War es überhaupt noch meines? Waren „Leute, wie ich“ hier überhaupt noch erwünscht?
Wieder schüttelte ich meinen Kopf über diese abwegigen Gedanken. Ein kleiner Streit würde nicht ausreichen, dass die Tür dieses Hauses nicht mehr für mich offen stand.
„Also dann...“ sprach ich mir selbst Mut zu und machte mich auf den Weg zur Tür.
Noch bevor ich die Klinke in der Hand hatte, wurde die Tür von innen geöffnet und ich sah in Alices erleichtertes Gesicht.
„Lexi, na endlich...“ begann sie, aber ich unterbrach sie.
„...wir haben uns alle schon solche Sorgen gemacht. Ja, ich weiß, Alice. Aber wie du siehst, ich lebe noch, besitze alle meine Gliedmaßen und erfreue mich auch ansonsten bester Gesundheit.“
Alice seufzte und augenblicklich tat mir meine Bissigkeit schon wieder leid. Ich beschloß, zumindest für heute Nacht, erst zu denken und dann zu reden.
„Tut mir leid, Alice.“ murmelte ich leise und Alice zog mich aus dem Regen hinein ins Haus, wo Esme bereits mit einem großen Handtuch auf mich wartete.
„Kleines...du bist ja völlig durchnässt. Komm erst mal her.“ sagte sie fürsorglich und schon war ich unter dem Handtuch verschwunden, während sie meine Haare trocken rubbelte.
Es dauerte einen Moment, bis ich mich aus ihrem mütterlichen Griff befreien konnte.
„Danke, Esme aber ich ziehe eine heiße Dusche im Moment vor.“ ich schenkte ihr ein ernstgemeintes Lächeln, das sie vorsichtig erwiderte.
Und dann trat Emmett in den Türrahmen. Den Kopf gesenkt, als traue er sich nicht mir in die Augen zu blicken und seine Hände tief in die Taschen seiner Jeans vergraben.
„Hi...“ sagte er rau, während Jasper neben ihm auftauchte. Wahrscheinlich um sofort eingreifen zu können, sollten sich die Gemüter wieder allzu sehr erhitzen.
Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, der ihm deutlich zu verstehen gab, dass ich es nicht wünschte, dass er sich jetzt in meine Gefühlswelt einmischte.
Er nickte kurz, als Zeichen, dass er mich verstanden hatte und ich atmete tief durch, bevor ich mich einfach umdrehte und meinen Fuß bereits auf die erste Stufe nach oben setzte.
„Lexi?“ Emmett hielt mich zurück, doch ich drehte mich nicht wieder um. „Können wir reden?“
Ich biss mir auf die Unterlippe, damit ich mein soeben gegebenes Versprechen, erst zu denken und dann zu antworten, nicht brach.
„Nicht jetzt, Emmett.“ sagte ich, um Ruhe in der Stimme bemüht. „Mir ist kalt und ich möchte jetzt nur unter die Dusche und dann ins Bett.“ ich machte eine kurze Pause und konnte mir dann doch nicht verkneifen, eine offene Spitze in seine Richtung zu schicken. „Leute, wie ich brauchen ab und an etwas Schlaf.“
„Das wirst du mir jetzt ewig vorhalten, oder?“ entgegnete er frustriert und ich nickte bestätigend.
„Eine Weile, ja.“ ich machte einen weiteren Schritt die Treppen hinauf.
„Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe.“ verteidigte er sich, wohl in der Hoffnung, ich würde doch noch einmal inne halten und mich einem Gespräch mit ihm stellen.
Zumindest teilweise behielt er damit Recht. Ich drehte mich wirklich um, sah ihn eine Weile einfach nur stumm an, während ich die Enttäuschung und auch die Wut wieder in mir spüren konnte. Mein Atem ging immer schneller und mein Blick sagte ihm all die Dinge, die ich jetzt nicht über die Lippen bringen wollte.
„Lexi...“ sagte er leise und ich sah die Qual in seinen Zügen, die Reue, die ihn gepackt hatte. Aber ich saß immer noch zu bequem auf meinem hohen Ross.
„Emmett“ sagte ich gedehnt und bekam fast Mitleid mit ihm. „Ich habe jetzt weder die Kraft noch die Lust, mich mit dir auseinander zu setzen. Kannst du mir das nachsehen und dich bis morgen gedulden? Dann können wir sprechen, meinetwegen den ganzen Tag lang, wenn es dir beliebt. Aber jetzt bin ich ausgelaugt und einfach nur müde...“
„Ich will nur, dass du weißt, dass ich es wirklich nicht so gemeint habe.“ wiederholte er sich wieder und ließ den Kopf wieder sinken.
„Ich weiß,...aber deswegen tut es jetzt nicht weniger weh. Und wenn wir beide ehrlich sind, ist es doch eher so, dass du es genau so gemeint hast, du nur nicht wolltest, dass ich es weiß.“ und das meinte ich ebenso, wie ich es gesagt hatte.
Nun war es Emmett, der sich wortlos umwandte und wieder im Wohnzimmer verschwand, während ich die Blicke der anderen, die mit im Flur standen, auf mir spüren konnte.
„Gute Nacht.“ sagte ich tonlos und beeilte mich hinauf in die erste Etage zu kommen, ohne den anderen erneut die Chance zu geben, mich aufzuhalten.
Als die Tür meines Zimmers hinter mir ins Schloss fiel, lehnte ich mich mit dem Rücken dagegen und versuchte mich zu beruhigen. Ich war unfair zu Emmett gewesen. Das wusste ich. Doch etwas tief in mir drinnen, war der Meinung, dass ihm eine Nacht in Gram nicht schaden würde.
Ich beeilte mich ins Bad hinüber zu gehen und als erstes die Dusche anzustellen.
Inständig hoffte ich, das Geräusch der Dusche würde die anderen davon abhalten ins Zimmer zu kommen, so dass ich für heute niemandem mehr Rede und Antwort stehen musste.
Als sich das Bad langsam mit Dampf füllte, ging ich wieder zurück in mein Zimmer und fing an, mich meiner nassen Kleidung zu entledigen.
Ohne dass ich besonders darauf geachtet hätte, drangen einzelne Satzfetzen von unten zu mir herauf, und eigentlich wollte ich sie ignorieren, bis ich meinen Namen hörte.
Ich zögerte einen Moment, dann zog ich mich gänzlich aus, schlüpfte in meinen Bademantel und setzte mich so leise, wie es mir möglich war, auf den Fußboden meines Zimmers.
Ich drosselte Atmung und Herzschlag, so weit es mir möglich war, um mich nicht zu verraten und um das Gespräch, das gerade im Wohnzimmer geführt wurde, besser verstehen zu können.
Ich wusste, dass ich nicht zuhören sollte, ich wahrscheinlich nichts hören würde, dass mir gefiel, aber die Neugier war mir ebenso zu eigen, wie jedem anderen Wesen.
„...ich hab´s kapiert, Alice. Ich hab´s verbockt und mich aufgeführt, wie ein Elefant im Porzellanladen. Aber du denkst doch genau so, oder? Hätte ich lügen sollen?“
Das war eindeutig Emmett und er war immer noch aufgebracht.
„Niemand würde von dir erwarten zu lügen, Emmett“ hörte ich Carlisles sanfte Stimme. „Aber ein bisschen mehr Feingefühl wäre der Sache sicherlich nicht abträglich gewesen.“
„Ich hab mir doch nur Sorgen gemacht. Besonders nachdem ich dafür verantwortlich bin, dass sie verletzt wurde. Hätte ich ihr am Fluss die Stirn geboten, wäre sie nie in die Situation gekommen.“
begehrte Emmett nun wieder auf und ich biss mir auf die Lippe. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass er sich für meinen Unfall verantwortlich fühlte.
„Wir machen uns alle Sorgen um sie...“ versuchte Rosalie ihn zu beruhigen, anscheinend ohne Erfolg.
„Und sie scheißt drauf.“
„Emmett, nicht in diesem Ton.“ maßregelte ihn nun Esme.
Ich hörte ein leises Genuschel, dass in etwa wie ein „Entschuldigung“ klang.
„So darfst du das nicht sehen, Emmett. Sie hat nur im Moment andere Dinge im Kopf.“ Carlisle ließ sich einfach nicht aus der Ruhe bringen.
„Ja, diesen dreckigen kleinen Köter, der ihr ohnehin nur das Herz brechen wird.“ das war wieder Rosalie gewesen. Von ihr hatte ich nichts anderes erwartet, ich wusste, dass sie die Wölfe nicht ausstehen konnte.
„Es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen, wen sie mag und wen nicht, Rosalie. Du hättest dir von uns Emmett auch nicht ausreden lassen.“ verteidigte Esme meine Wahl.
„Im Ernst. Glaubst du, dass das mit den beiden eine Zukunft haben kann?“ erwiderte Rosalie, bevor sich Alice zu Wort meldete.
„Im Moment scheint es ganz so, ich kann überhaupt nichts in ihrer Zukunft sehen, Jake scheint also bis zu einem gewissen Grad darin vorzukommen.“
„Das kann nicht funktionieren. Lexi ist eine Nomadin, niemals lange an einem Ort. Wie will sie eine Beziehung aufbauen, wenn sie nicht einmal ein Zu Hause hat?“
Jasper schien also auch nicht auf meiner Seite zu sein.
„Warum bieten wir ihr nicht an, bei uns zu bleiben? Sie könnte doch hier ein Zu Hause finden. Sie ist jetzt schon so lange auf der Flucht...“
„Nichts würde ich lieber sehen, als dass sie sich unserer Familie anschließt, Alice. Und glaub mir, in den vergangenen Jahrzehnten, bin ich nie müde geworden, es ihr anzubieten. Trotz der Widrigkeiten, die es mit sich bringen würde. Aber sie hat mein Angebot nie angenommen. Ihr war immer bewusst, welche Gefahren es mit sich bringen könnte. Für uns, nicht für sie. Lexi gehört nicht zu der Art von Menschen...zu der Art von Vampiren, denen andere egal sind. Sie weiß, was es für uns bedeuten könnte, wenn sie sich uns anschlösse. Sie wird niemals riskieren, uns durch ihre Anwesenheit in Gefahr zu bringen. Allein der Wunsch Edward einen Gefallen zu tun, hat sie hergebracht und Jake ist der Grund, warum sie bis jetzt geblieben ist. Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass ihre Besuche meist noch kürzer, als ihre Nachrichten sind. Und ich bin mir sicher, dass dies nicht so ist, weil sie uns nicht sehen möchte, sondern weil sie uns so sehr wertschätzt.“
Carlisle´s Worte berührten mich.
Er hatte recht, es war nicht so, dass der Gedanke mich den Cullens anzuschließen nicht jeden Tag meines Lebens begleitete und den größten meiner Träume darstellte.
Aber ich wusste, dass es ein Traum bleiben musste.
Er musste es, damit ich wenigstens hin und wieder das Gefühl genießen durfte, inmitten dieser Familie zu sein.
Niemals wäre es mein Bestreben, jemandem der mir Nahe stand, bewusst Schaden zuzufügen.
„Und du denkst nicht, dass sich dies nun geändert hat? Jetzt, wo Jake ihre Gedanken und ihr Handeln bestimmt? Kann es nicht sein, dass sie jetzt einen guten Grund hat doch bei uns zu bleiben?“ fragte nun Esme und ich spitzte erneut die Ohren.
„Nein, Jake ist nur ein weiterer Grund eben nicht hier zu bleiben. Sie wird sich wieder daran erinnern. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen. Aber früher oder später, wird ihre Vergangenheit sie wieder einholen und sie wird sich daran erinnern, warum sie kein Zuhause hat. Nicht, dass ich es ebenso sehe wie sie, keineswegs. Ich glaube nicht, dass Caius immer noch hinter ihr her ist. Nicht in demselben Maß, wie er es noch vor 100 Jahren war. Zudem haben wir nichts mit ihrem Disput zu tun, so dass ich davon ausgehen würde, dass uns keine Gefahr droht, sollten wir ihr offen einen Platz bei uns gewähren. Auch meine Freundschaft zu Aro, würde ihr ein gewisses Mehr an Schutz bieten. Aber sie lebt ihr Leben nun schon solange alleine, dass ich fast befürchte, dass es nicht nur die Sorge um uns ist, die sie stets verneinen lässt. Eine Familie bringt Verantwortung und Pflichten mit sich. Ich weiß nicht, ob Alexis, damit zurecht käme. Sie hat nie ein Familienleben, wie unseres kennengelernt. Die einzige Bezugsperson, die sie hatte war ihr Vater, der sie viel zu früh Caius Fängen überlassen hat. Ich sehe größere Probleme darin, sie an ein solches, beständiges Leben zu gewöhnen, als dass wir Probleme mit Caius bekämen.“
Ich hatte genug gehört.
Ohne eine Gefühlsregung zu verspüren, stand ich auf, ging ins Bad hinüber und drehte die Dusche ab. Wie gelähmt ging ich zurück in mein Zimmer, setzte mich auf den Sessel unter dem Fenster und zog meine nackten Füße unter meinen Körper.
Es fiel mir schwer zu denken. Nein, ehrlich gesagt, es war mir unmöglich zu denken. Das Gesagte schwirrte durch meinen Kopf, wie ein Hochgeschwindigkeitszug, der einfach an keinem Bahnhof anhalten wollte, um mich mitzunehmen.
Das Licht der Deckenlampe brannte in meinen Augen und schien mit einem Mal viel zu grell zu sein, so dass ich es mit einer flachen Geste einfach ausschaltete. Im Haus wurde es ruhig, einzig der Wind, der durch die Baumkronen strich und das Trommeln des Regens waren jetzt noch zu hören und ich saß einfach da und wartete.
Wartete darauf, dass ich wieder in der Lage sein würde, etwas zu fühlen. Ich wartete darauf, dass meine Konzentration zurückkam oder ich zumindest fähig wäre, wieder aufzustehen.
Doch nichts geschah.
Ich wußte nicht, wie lange ich dort saß und einfach nur dumpf auf den rechten, unteren Pfosten des Bettes starrte und nichts tat. Es war mir egal. Es war alles egal. Nein, nicht alles...
Die Tür zu meinem Zimmer öffnete sich, aber ich brauchte nicht den Kopf zu drehen, um zu wissen, dass Jasper herein gekommen war. Sichtlich bemüht, mich, die ich vermeintlich schlief, nicht zu wecken.
„Ich bin wach.“ sagte ich rau und räusperte mich, als ich bemerkte, dass meine Worte kaum zu vernehmen gewesen waren. Jasper drehte sich leicht und als er mich in dem Sessel sitzen sah, stand Verwunderung auf seinen Zügen.
„Ich hätte schwören können, du schläfst, so ruhig, wie du bist. Geht es dir gut?“ fragte er und schloß leise die Tür hinter sich.
Erst jetzt blickte ich auf, obwohl es mir vorkam, als würde ich direkt durch Jasper hindurch blicken.
„Sag du es mir, geht es mir gut?“ ich wand den Blick wieder auf den Bettpfosten.
Jaspers Anwesenheit störte mich nicht, aber ich konnte ebenso wenig behaupten, dass sie mich in Aufregung versetzte. Ich nahm es als gegebene Tatsache hin.
„Hast du was dagegen, wenn ich...“ er deutete auf das Bett und ich schüttelte lapidar den Kopf.
„Nur zu.“
Er nahm Platz und blickte einen Moment einfach nur still zu mir herüber, als sondierte er die Lage. Meine innere, wie äußere Ruhe, schien ihn zu verwirren.
„Würde ich nur auf das hören, was ich fühle, würde ich sagen du bist der erste Vampir, dem ich begegne, der sein inneres Zen gefunden hat. Die vollkommene Ausgeglichenheit. Aber als dein Freund...“ sein Blick ruhte mit einer Gelassenheit auf mir, die ich nicht zu deuten wusste. „würde ich sagen, dass jedes Gefühl in dir gestorben ist. Und das....“
Ich blickte erneut kurz zu ihm herüber.
„Und das macht dir Sorgen?“ fragte ich desinteressiert.
„Nein, es beunruhigt mich zwar, aber ich bin mir sicher, dass alle Gefühle wieder zu dir zurückkommen werden. Wahrscheinlich sogar intensiver und gewaltiger, als du es dir jetzt vorstellen kannst. Die Ruhe vor dem Sturm sozusagen.“ führte er aus und ich nickte lediglich abwesend. Jasper erhob sich und kam zu mir herüber, seine Hände legten sich auf die Armlehnen meines Sessels und dann zog er mich samt meines Sitzmobiliars bis kurz vor das Bett, auf dem er dann wieder Platz nahm.
Mein Fokus auf den edlen Mahagonipfosten hatte sich währenddessen nicht sonderlich verändert, bis Jasper kurz mit seiner kühlen Hand über meine strich.
„Hm?“ fragte ich, als habe ich vollkommen vergessen, dass er überhaupt da war.
„Eigentlich bin ich nur hergekommen, um nach dir zu sehen und dir einen geruhsamen Schlaf zu ermöglichen, aber da du wach bist, finde ich, sollten wir uns kurz unterhalten.“ antwortete er und ich konnte mich dazu durchringen, ihn jetzt direkt und abwartend anzusehen.
„Okay, wenn du das findest, dann unterhalten wir uns.“ sagte ich emotionslos „Und worüber möchtest du reden?“
Jasper seufzte leise.
„Über Emmett zum Beispiel. Ich weiß, dass seine Worte dir gegenüber vielleicht etwas zu hart waren, sicherlich hätte er sich besser ausdrücken können...“ begann er und ich unterbrach ihn.
„...aber er hatte Recht mit dem, was er sagte. Ich weiß, Jasper.“
„Darum geht es mir nicht. Ich bin nicht hier, um Partei für irgendwen zu ergreifen. Aber es ist nun mal so, dass keiner von euch seine Gefühle vor mir verstecken kann und ich fände es nur gerecht, wenn du weißt, warum Emmett so aufgebracht war.“ fuhr er fort und am liebsten hätte ich den Kopf wieder abgewandt. Die Fussel auf dem Teppichboden interessierten mich mehr, als der Grund, warum Emmett sauer war.
Mein Blick schien so glasig geworden zu sein, dass Jasper nun seine Hand hob und vor meinen Augen zu schnippen begann, um meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Kurz fragte ich mich, warum er mich nicht einfach dazu brachte, Interesse zu empfinden, ließ es dann jedoch sein. Es spielte ohnehin keine Rolle.
„Lexi, bitte. Hör mir nur diesen einen Moment zu und ich werde dich danach in Ruhe lassen. Aber es ist wichtig, dass ich dir das jetzt sage. Also, wärst du bitte so lieb?“ fragte er mich, ohne gereizt zu wirken.
Ich nickte, veränderte sinnloser Weise meine Position im Sessel, damit ich den Anschein erweckte, ich würde mich jetzt voll und ganz auf Jasper konzentrieren.
„Danke.“ sagte er sogleich und fuhr fort. „Emmett ist eifersüchtig, Lexi. Das ist der einzige Grund, warum er sich so aufführt.“
Ich spürte, wie sich meine Stirn in Falten legte und ganz tief in mir drin, entflammte das schwache Licht der Skepsis.
„Eifersüchtig.“ wiederholte ich lahm.
„Natürlich, Lexi. Was hast du denn gedacht? Ich hatte dir eigentlich mehr Vampirkenntnis zugetraut. Wir freuen uns immer, dich zu sehen. Aber leider und so empfinden wir es alle, lässt du dich viel zu selten blicken. Das ist jetzt allerdings nicht der springende Punkt. Du bist vor Wochen hergekommen und alles was du seitdem getan hast, war dich hier oben zu verschanzen und jeden Annäherungsversuch von uns abzuschmettern. Erinnerst du dich, wie oft er dich gefragt hat, ob du mit ihm und Rosalie auf die Jagd gehst? Wie wir alle, wollte er die kurze Zeit, die uns mit dir gegeben ist, auch mit dir nutzen. Und als du dich mehr oder weniger hast überreden lassen, hast du die Nacht bei Jake verbracht und bist auch noch verletzt worden.“
Langsam verzog sich der Nebel in meiner Brust und ich nahm Jasper nun wieder sehr klar wahr.
„Habe ich euch wirklich so vernachlässigt?“ entfuhr es mir und die Taubheit wich allmählich ganz aus mir.
„Ich muss zugeben, mit mir und Alice hast du mehr Zeit verbracht, als mit den anderen. Aber wir wissen beide, dass du es nicht getan hast, weil du soviel Spaß mit uns hattest, sondern weil du dankbar dafür warst, dass ich den Schmerz in dir lindern konnte. Versteh mich bitte nicht falsch, ich habe es gern getan und ich würde es jederzeit wieder tun. Du verstehst, worauf ich hinaus möchte? Deine Gefühle für Jake wirft dir niemand in diesem Haus vor, nur dass du darüber hinaus zu vergessen scheinst, wie sehr du uns am Herzen liegst und wie gerne wir wenigstens einen Tag, einen Abend mit dir verbracht hätten. Es ist 50 Jahre her, Lexi und niemand von uns, Edward vielleicht ausgenommen, weiß, was du in dieser Zeit erlebt hast. Niemand weiß, wie es dir ergangen ist, wie es dir jetzt geht, was du als nächstes tun wirst. Wir wollen für dich da sein, also stoß uns bitte nicht weg.“ schloß er und ich musste hart schlucken.
War ich wirklich so egoistisch gewesen? Hatte ich wirklich nicht gesehen, wieviel es den Cullens bedeutete, dass ich hier war? Scheinbar hatte ich stets nur meine Seite gesehen. Mein Verlangen nach ihren liebevollen Gesichtern, dass mir nie in den Sinn gekommen war, dass sie sich über mein Erscheinen ebenso freuten.
Ich fuhr mir durch die Haare und verbarg für einen kurzen Moment, mein Gesicht in den Händen.
„Ich bin ein Riesenarschloch.“ sagte ich schließlich und meinte es so. „Es tut mir leid, Jasper. Ich wollte nicht so egoistisch sein. Ich dachte nicht...ich wusste nicht....“ Ich seufzte erneut und konnte es auf dem Sessel nicht mehr aushalten. Also stand ich auf und wanderte unruhig vor Jasper auf und ab.
„Lexi, niemand sagt, dass du ein...Arschloch...bist. Egoistisch, ja vielleicht.“ er grinste, stand auf und zwang mich wieder zurück auf den Sessel. „Aber auch das wird dir niemand vorwerfen. Du lebst schon so lange allein und wenn du nicht wenigstens eine Spur Egoismus in dir hättest, dann würdest du jetzt nicht hier sitzen.“ versuchte er mich zu beruhigen, aber es fiel mir schwer, seinen Worten die geschuldete Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
„Ich hab so vieles falsch gemacht, Jasper, aber das letzte, was ich wollte, war dass ihr euch unwohl fühlt. Gott! Es scheint ein Gesetz in meinem Leben zu sein, dass ich für jeden Tag im Himmel, einen in der Hölle bekomme. Aber nicht mehr lange. Ab jetzt werde ich das Richtige tun.“ wieder erhob ich mich und suchte nach den zuvor achtlos auf den Boden geschmissenen Kleidungsstücken.
„Ist Emmett noch unten? Ich glaube, ich sollte mich bei ihm entschuldigen.“
Jasper erhob sich und hielt grinsend meinen Cashmere-Pullover hoch, der zu einem feuchten Klumpen zusammengedrückt auf meinem Kopfkissen gelegen hatte.
„Vielleicht, wäre eine Dusche und ein trockenes Outfit nicht die schlechteste Idee, bevor du dich entschuldigst.“ lachte er und ich ging auf ihn zu, um den klammen Stoff von seinem Finger zu stibitzen.
„Ja.“ sagte ich, während ich den Pulli zur Wäschetruhe trug und hineinfallen ließ. „Das ist vielleicht wirklich keine schlechte Idee.“
Jasper schmunzelte dieses unheimlich süße Lächeln, bei dem er immer die Unterlippe leicht vorschob und ich konnte Alice mehr denn je verstehen, warum Jasper ihr Partner war. Seine Narben hatten mich nie gestört, auch wenn man bei ihrem Anblick die Gefahr beinahe riechen konnte, wie das ausströmende Gas aus einem Leck in der Gasleitung. Sie gehörten zu seiner Vergangenheit und ich wusste, wie sehr er diese hinter sich gelassen hatte und dass es eben diese Vergangenheit war, die ihn zu dem Vampir gemacht hatte, der er nun war.
Ich erwiderte sein Lächeln.
„Danke Jasper. Dafür, dass du der einzige Spiegel warst, vor dem ich nicht verstecken konnte und der einzige, der mir mein wahres Gesicht gezeigt hat. Ich glaube ich habe diese Art Weckruf gebraucht.“ sagte ich ernst.
„Immer wieder gern, Lexi. Soll ich den anderen sagen, dass du gleich runterkommst?“ fragte er und ich nickte.
„Ja, obwohl ich nicht glaube, dass sie bereits ins Bett gegangen sind.“ scherzte ich und fühlte mich dabei recht seltsam.
Es war komisch. Die Gefühlsleere in mir befand sich auf dem Rückzug, doch traute ihr noch nicht. Es fühlte sich an, als sei es wie bei den Gezeiten.
Jetzt zog sich das Chaos zurück, doch rechnete ich fast damit, dass die kommende Flut einen neuen Höchststand markieren würde.
Genau genommen, verstand ich nicht einmal, warum ich mich so ruhig und gelassen fühlte.
Denn schließlich hatte Jasper mir nur bedingt geholfen. Das was er eigentlich erreicht hatte, war, mir klar zu machen, dass ich noch mehr Probleme hatte, als angenommen.
Aber tief in mir drin, in einem unbeleuchteten Winkel meines Seins, war die Antwort für all diese Probleme. Ich war noch nicht bereit dazu, sie ins Licht zu holen, oder sie gar auszusprechen. Aber zu wissen, dass sie da war, ungeachtet der Konsequenzen, die sie mit sich bringen würde, beruhigte mich.
„Also, dann bis gleich. Und Kopf hoch, keiner wird ihn dir abreißen.“ Jasper zwinkerte mir noch einmal zu, bevor er mein Zimmer verließ und mich allein zurückließ.
Ich sah ihm nach, bevor ich ins Bad ging und die längst überfällige Dusche hinter mich brachte.
Als ich zurück in mein Zimmer kam, das nasse Haar noch unter einem Handtuchturban verborgen, erwartete mich dort bereits Alice. Sie saß auf dem Sessel, die Beine unter ihren Körper gezogen, ebenso wie ich noch vor einer halben Stunde dort Platz genommen hatte.
Sie blickte zu mir herüber und ich musste automatisch einen Seufzer von mir geben. Edward mochte zwar nicht im Haus sein, doch mit Alice war dennoch jemand anwesend, der jeden meiner Schritte voraussagen konnte.
Ich sah sie abwartend ab, während ich mir auf der Unterlippe herumkaute und mich nicht weiter in den Raum hineinbewegte.
„Du wirst also wieder verschwinden?“ fragte sie tonlos und ich nickte bestätigend.
„Ja.“
„Wann?“
„Nach der Hochzeit.“ gab ich offen zu.
„Also in 3 Tagen.“ entgegnete Alice.
„Es ist besser so, Alice. Wenn ich weg bin, kann alles wieder seinen gewohnten Gang gehen.“ verteidigte ich mein Ansinnen ruhig, doch Alice schien anderer Meinung zu sein.
„Bist du dir da wirklich so sicher? Willst du nicht lieber hier bleiben? Bei uns?“
„Alice.“ erwiderte ich sanft. „Das hat nichts mit Wollen zu tun. Wenn es so einfach wäre, dann...dann wäre es eben einfach. Ich habe nur Unruhe gestiftet, in der Zeit die ich hier bin und vielleicht ist es einfach an der Zeit weiterzuziehen. Damit ihr euch bei meinem nächsten Besuch noch über mich freuen könnt und nicht die Flucht ergreift. Ich bin wohl einfach nicht familienkompatibel.“ ich lächelte sie schuldbewusst an und machte nun doch einige Schritte auf sie
„Du könntest lernen, es zu sein, Lexi. Der ganze Trubel ist doch nur entstanden, weil du eben nicht bei uns lebst.“ versuchte sie mich zu überzeugen, aber mein Entschluss stand fest.
„Alice, mein Egoismus...“ begann ich, wurde aber augenblicklich von ihr unterbrochen.
„Es wäre doch nicht egoistisch, wenn wir uns alle wünschen, dass du hier bleibst.“ begehrte sie auf und ich blickte tadelnd zu ihr herüber.
„Lass mich doch bitte ausreden. Mein Egoismus verbietet mir hierzubleiben. Wenn ich bliebe und einem von euch dadurch etwas geschehen würde, würde ich das nicht überleben. Und das will ich mir nicht antun. Ich will, dass ihr mir alle noch lange erhalten bleibt, auch wenn das bedeutet zunächst auf euch zu verzichten.“ schloß ich sanft und Alice erhob sich, um mich herausfordernd anzusehen.
„Und was ist mit Jake?“ fragte sie spitz und ich wusste, dass sie sich diesen Trumpf aufgehoben hatte, weil sie wusste, dass er mein Blatt zugrunde richten würde.
Ich atmete tief durch und wandte ihr den Rücken zu. Ich wollte nicht an Jake erinnert werden, denn er war die einzige Kraft, die meinen unumstößlichen Entschluss noch ins Wanken bringen konnte. Geschäftig suchte ich nun im Kleiderschrank nach Unterwäsche und Kleidung, um sie nicht ansehen zu müssen. Ich war eine gute Schauspielerin, aber ich wollte mein Glück nicht zu sehr fordern.
„Was soll mit ihm sein? Er ist nur ein weiterer Grund, zu gehen. Ich möchte ihn in Sicherheit wissen und der einzige Weg, das zu erreichen, ist zu verschwinden. Und ich werde tun, was ich tun muss um euch alle zu beschützen.“
„Schwachsinn!“ schalt sie mich und brachte mich dadurch dazu, aus dem Kleiderschrank hervor zu kommen und sie anzusehen.
„Was meinst du jetzt damit?“ fragte ich entgeistert und Alice streckte trotzig ihr Kinn vor.
„Dass dieses Beschützerzeug Schwachsinn ist. Carlisle glaubt nicht, dass uns überhaupt Gefahr droht. Und wenn jemand, jemanden beschützen sollte, dann sollten wir dich beschützen. Wo wärst du sicherer, als bei uns? Wir beschützen Bella seit Monaten und sie ist ein Mensch. Meinst du nicht, dass wir das bei dir auch schaffen würden?“
Ich seufzte, nahm ein graues T-shirt aus dem Kleiderschrank und schüttelte den Kopf.
„Ich weigere mich, überhaupt daran zu denken. So verlockend dein Angebot auch ist, Alice. Ich kann es nicht annehmen. Ich darf es nicht annehmen. Ich kann euch nicht in etwas hineinziehen, dass ich ganz allein zu verantworten habe. Und ich bin nicht unschuldig, wie Bella. Ich habe verdammt nochmal Jahre lang Vampire getötet. Ich habe dieses Leben, mein Leben verdient und ich werde niemanden dafür büßen lassen.“ langsam steigerte ich mich in meine Wut hinein.
Es war keine Wut auf Alice, es war die Wut, dass ich ihr Angebot einfach nicht annehmen konnte und sie mich trotzdem so sehr damit in Versuchung führte.
„Du wusstest nicht, was du tust. Und du hast bereits Jahre dafür gebüßt. Denkst du nicht, es ist endlich an der Zeit, das alles hinter dir zu lassen?“ insistierte sie unaufhaltsam weiter und ich wusste langsam nicht mehr, was ich erwidern sollte, ohne nun auch mit ihr einen Streit zu riskieren.
„Würdest du das auch behaupten, wenn ich damals Jasper getötet hätte, indem ich deine Identität angenommen habe?“ sagte ich und blickte ihr dabei tief in die Augen.
Alice öffnete den Mund, schloß ihn dann jedoch wieder.
Mir war klar gewesen, dass sie darauf keine Antwort finden konnte, die meine Aussage nicht bestätigen würde.
Ich hatte Unrecht begangen, mehr als ein Mal und die Welt hatte mich dafür zu lebenslanger Einzelhaft verurteilt.
„Ich auch nicht.“ sagte ich beinahe aufmunternd zu Alice. „Hör zu, es ist nicht so, als würde ich mir nicht ebenso sehr wünschen wie du, einfach hierzubleiben, die Vergangenheit, Vergangenheit sein zu lassen. Aber die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Mach es mir bitte nicht noch schwerer, als es ohnehin ist. Bitte...“ setzte ich leise hinzu und Alice nickte.
„Es tut mir leid, ich wollte nur...“
„Ich weiß, Alice. Ich weiß.“ wieder lächelte ich sie milde an. „Ich denke ich sollte mir langsam etwas anziehen und mich endlich angemessen bei Euch allen entschuldigen. Wenn du mich also kurz allein lassen würdest?“ fragte ich sie und musste erneut tief durchatmen, um meine vorgetäuschte Ruhe nicht zu verlieren.
Sie nickte und war kurz darauf auch schon wieder aus meinem Zimmer verschwunden und inständig hoffte ich, dass ich dieses Gespräch nicht noch weitere 6 mal würde führen müssen.
Deswegen beeilte ich mich jetzt aus dem Bademantel herauszukommen und in das Shirt und einfache Jeans zu schlüpfen.
Ich verzichtete sogar darauf, mir die Haare zu föhnen, aus Angst, dass ich in dieser Zeit schon wieder einen Besucher in meinen Zimmer begrüßen musste.
Ein letztes Mal straffte ich mich und meine Gestalt, bevor ich keine Ausreden mehr hatte, mich dem Gespräch mit den Cullens zu stellen.
Mit leicht zittrigen Knien nahm ich die Treppe hinab ins Erdgeschoß und als ich ins Wohnzimmer trat, verstummten augenblicklich alle leise geführten Gespräche und ich spürte sämtliche Blicke auf mir ruhen.
„Hi“ sagte ich schüchtern und hob meine Hand zu einer kurzen Geste der Begrüßung.
Sofort lächelten mir Carlisle und Esme beruhigend zu, was mich jedoch nicht wesentlich ruhiger machte. Mein Blick suchte den von Emmett, der neben der Couch an die Wand gelehnt stand und die Hände tief in seiner Jeans vergraben hatte.
Rosalie saß auf dem Sofa, dicht neben ihm auf der einen und Jasper, mit Alice auf seinem Schoß, auf der anderen Seite.
Esme und Carlisle saßen etwas abseits am Esstisch.
Da ich mich nun schlecht wieder umdrehen konnte, war es wohl nun an der Zeit für meine Entschuldigung.
Doch die Blicke der anderen, als erwarteten sie eine epische Rede, verunsicherten mich. Jedes Wort, das ich mir bereits unter der Dusche zurecht gelegt hatte, war wie weggewischt und alles was mir nun einfiel, schien nicht im Geringsten der Situation gerecht werden zu können.
Ich schluckte ein paar Mal und wurde mir augenblicklich meiner trockenen Lippen und Kehle bewusst.
Ich beschloß, dass es mir wohl am einfachsten fallen würde, wenn ich mit dem begann, was mir am meisten auf der Seele brannte und das war Emmett.
Wieder suchte ich daher seinen Blick und als er ihn erwiderte, schuldbewusst und friedlich gesinnt, gab mir das den Mut, den ich schmerzlich vermisst hatte.
„Emmett?“ sagte ich mit zitternder Stimme und wartete bis er leicht nickte. „Ich wollte dir sagen, wie leid es mir tut, dass dich mein Verhalten verletzt hat. Ich hätte nicht so leichtsinnig sein dürfen und schon gar nicht so selbstbezogen. Es war ein Fehler, mein Versprechen dir gegenüber zu brechen und mich in Gefahr zu begeben, in einer Zeit, in der du dich für mich verantwortlich gefühlt hast.“ ich atmete wieder einmal tief durch, um mich zu beruhigen.
„Und ich hätte mehr Zeit mit dir verbringen sollen, mit euch allen. Das ist wahrscheinlich der größte Fehler, den ich begangen habe. Ich war so verbohrt in diese Idee mit Jake..., dass ich nicht mehr klar denken konnte. Es tut mir wirklich leid. Euch von mir zu weisen, war dämlich und ja, ich habe mich eindeutig wie ein Riesenarsch verhalten.“ Rosalie kicherte bei dieser Ausführung und ich hielt verdattert inne.
„Was ist so lustig, Rose?“ fragte ich sie verwirrt und merkte wie meine Stirn sich in Falten legte.
„Du bist es. Du bist lustig, wie du da stehst und um Worte ringst, obwohl niemand in diesen Raum dir wirklich böse ist.“ lächelte sie fast ein wenig arrogant und ich hatte das Gefühl, mir würde alles aus dem Gesicht fallen, weil es vor Überraschung keinen Halt mehr hatte.
Emmett stimmte in ihr Lachen mit ein und grinste breit, ja geradezu dreckig zu mir herüber, während die restlichen Cullen, ebenfalls amüsiert zu sein schienen.
„Hab ich hier irgendwas nicht mitbekommen?“ ich sah jedem einzelnen von ihnen ins Gesicht und während ich immer noch hilflos in ihrer Mitte stand, kam Emmett auf mich zu, legte seine Arme um meine Taille und hob mich hoch.
„Mir tut es auch leid, Kleine“ flüsterte er in mein Ohr, während ich schlaff in seinen Armen hing und von ihm hin und her geschwenkt wurde.
Ich verstand die Welt nicht mehr.
All diese ernsten Gespräche, all die Anschuldigungen und zum Teil fiesen Worte sollten einfach so vergessen sein? Nur weil ich einmal „tut mir leid“ gesagt hatte?
Carlisle erhob sich von seinem Platz neben Esme und kam zu mir herüber.
Und als Emmett mich wieder runter ließ, klopfte Carlisle mir sanft auf die Schulter.
„Das ist das schöne an einer Familie, Lexi. Auch bei uns entsteht Streit. Aber Streit ist wichtig, denn er reinigt und erhellt das eigene Sinnen. Die eigene Meinung, das eigene Verhalten wird auf den Prüfstand gestellt und so manches Mal hilft es einem ,die eigene Sichtweise zu erweitern. Du beginnst dich selbst mit den Augen eines anderes zu sehen...während der andere...“ er deutete auf Emmett, der immer noch grinsend neben mir stand. „...sich mit deinen Augen sehen kann. Aber das beste an einer Familie ist und bleibt, dass ein Streit niemals das Ende der Liebe zueinander bedeutet.“ führte Carlisle aus und Esme gesellte sich nun ebenfalls zu uns. Sie legte ihr Kinn auf die Schulter ihres Mannes und schaute ihn herausfordernd an.
„Wirst du auf deine alten Tage etwa philosophisch?“ grinste sie zu ihm hinauf und er erwiderte dieses Grinsen.
„Ich war schon immer ein Philosoph.“ entgegnete er, drehte leicht den Kopf und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.
Ich war immer noch vollkommen verblüfft und so langsam beschlich mich das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.
Ich nahm Emmetts Arm von meiner Schulter und trat einen Schritt zurück.
„Nicht, dass ich mich nicht freuen würde, dass ihr mir alle anscheinend so schnell verzeiht und ich darum herum komme, einen kompletten Seelenstriptease zu vollführen, aber irgendwie kauf ich euch das nicht ab. Es ist nicht mein Ansinnen, dass ihr weiterhin sauer auf mich seid, aber das ganze ist doch ein wenig überzogen, oder nicht? Dass ihr allen Ernstes glaubt, ich würde auf diese Show hereinfallen.“
Augenblicklich kippte die Stimmung für einige Sekunden und hier und da war ein verhaltenes Räuspern zu hören.
Alice kam vom Sofa zu mir herüber, nahm meine Hände in ihre und zog mich zurück zu dem cremefarbenen Sitzmöbel.
„Ich habe ihnen gesagt, dass du gehen wirst.“ gestand sie und ich konnte mir denken, aus welcher Richtung der Wind wehte.
„Und deswegen seid ihr alle in so gönnerhaft guter Laune?“ fragte ich pikiert und Alice schlug mir verstimmt gegen die Schulter.
„Sei doch nicht so dumm, Lexi. Das versetzt uns keineswegs in gute Stimmung. Aber...in Anbetracht dessen, dass du nur noch wenige Tage bei uns ist, möchten wir diese Zeit nicht damit verschwenden, nachtragend zu sein“ erklärte sie mir.
„Das heißt, im Klartext gesprochen, ihr seid eigentlich immer noch sauer auf mich, aber weil ich nicht mehr lange da bin, seht ihr großzügig darüber hinweg?“ sagte ich fassungslos und konnte nicht glauben, dass das ihr Ernst sein sollte.
„Falsch.“ sagte Jasper und grinste sein Schmollmundgrinsen. „Wir sehen großzügig darüber hinweg, um die Zeit nutzen zu können, dich zu überreden, hier zu bleiben. Würden wir die nächsten Tage damit verbringen, dich zu schneiden, würde das unsere Chancen nicht wirklich in die Höhe treiben, oder?“ sagte er im Brustton der Überzeugung.
„Das macht es ja soviel besser.“ schnaubte ich ärgerlich und verzog das Gesicht. „Abgesehen davon, steht meine Entscheidung fest. Und wenn ihr mich die nächsten Tage auf Rosen betten würdet, das würde nichts an meinem Entschluss ändern. Also, wer sauer sein möchte, der soll es doch bitte auch weiterhin sein. Ich kann das ab....“ ich stockte und entschied mich dann für die Wahrheit. „Gut, ich kann es nicht ab und ich will auch nicht, dass einer mit mir böse ist...aber denkt ihr nicht, dass es falsch ist, es einfach so sein zu lassen?“ fragte ich in die Runde und erntete betretenes Schweigen.
„Hör zu, Shorty. Wenn du darauf bestehst, können wir uns gerne noch ein paar Stunden lang anschreien Und wenn dir das nicht reicht, geh ich gerne mit dir raus und wir prügeln uns solange, bis ich gewinne. Wenn es dir dann besser geht, bin ich bereit alles zu tun, was du möchtest. Aber wenn ich dir einen Tipp geben darf: Solltest du immer noch sauer sein, dann hör einfach damit auf und sei es eben nicht mehr.“ warf Emmett ein und ich musste zugeben, seinen Ratschlag zu befolgen, wäre wahrscheinlich das Beste.
„Du hast vorhin erst gesagt, dass dein größter Fehler war uns auszuschließen. Es sieht ganz so aus, als neigst du dazu, Fehler zu wiederholen.“
Ich ignorierte den unterschwelligen Ton in seinen Worten und musste anerkennen, dass er Recht hatte.
„Schon gut, schon gut. Ich seh es ja ein und ab jetzt freue ich mich darüber, dass wir uns alle wieder lieb haben.“ sagte ich geschlagen und schüttelte schmunzelnd den Kopf.
„Ihr seid alle echt verrückt.“
„Deswegen magst du uns ja auch so gerne und besuchst uns soviel.“ neckte Alice mich und rollte mit den Augen.
„Ja, auch das habe ich verstanden und hiermit gelobe ich feierlich Besserung. Ich werde versuchen die Intervalle meiner Besuche auf 10-20 Jahre zu verkürzen und meine Anwesenheit in eurem Haus, werde ich mit jedem Besuch verlängern. Ist das ein Angebot?“ fragte ich weiter und sah ihn freundlich gesinnte Gesichter.
„Ja, und vielleicht wirst du eines Tages einfach nicht mehr gehen. Darauf sollten wir hoffen.“ antwortete Carlisle und ich sah aus den Augenwinkeln, dass alle außer Esme mit dieser Aussage nicht konform gingen. Es schien, als hätte die Diskussion über meinen geplanten Fortgang noch nicht wirklich angefangen und innerlich wappnete ich mich gegen diverse Versuche des Cullen-Clans meinen Plan noch zu vereiteln.
Nur noch 3 Tage, sagte ich mir im Stillen immer wieder vor, denn ich war für diese Versuche mehr als anfällig. Aber wenn ich die kommenden Tage widerstehen konnte, wären sie in Sicherheit. Zumindest bis zu meinem nächsten Besuch.
Ich war nur froh, dass keiner von ihnen Jake ein weiteres Mal erwähnte. Denn ich wusste, ebenso gut wie sie, dass er meine größte Schwachstelle war.
Es beruhigte mich daher zu wissen, dass ihnen eine Zusammenarbeit mit dem Wolf mehr als schwer fallen würde, wenn sie nicht gar in meinem speziellen Fall unmöglich sein würde.
Wir saßen noch lange im Wohnzimmer, alle versammelt um den großen Tisch und redeten.
Ich erzählte die ein oder andere Anekdote aus meiner Zeit in Tokio, wobei sich die Lacher, die ich dafür erntete, im Rahmen hielten.
Es war schwierig etwas lustiges zu erleben, wenn man stets alleine und fast ausschließlich im Dunkeln unterwegs war.
Im Gegenzug erzählten mir die anderen Geschichten aus ihrem Leben. Besonders hatte ich es gemocht, als sie mir von der Highschool erzählten.
Ich hatte nie eine Schule besucht, auch wenn ich es gerne getan hätte. Aber alles, was ich je an Unterricht erhalten hatte, war bei den Volturi gewesen und andere Schüler hatte es dort nie gegeben. Und so lauschte ich gebannt ihren Worten von Abschlussfeiern, Partys und seltsamen Lehrkörpern.
Immer mehr entspannte ich mich. Ihnen zuzuhören war eine Ablenkung und so unterbrach ich sie nur selten, mit kurzen Fragen oder bestätigenden Gesten.
Und obwohl niemand Jake auch nur annähernd erwähnte, spukte er die ganze Zeit in einem hinteren
Teil meines Kopfes.
Aber je länger wir plauderten, desto besser konnte ich ihn in diesem Teil verschließen.
Die Zeit würde kommen, in der er von dort ausbrechen und mich mit den Konsequenzen meiner Entscheidung konfrontieren würden. Doch bis dahin, wollte ich nicht weiter daran denken.
Schließlich forderte mich Emmett zu einem Schachspiel auf, dass ich jedoch nur unter der Bedingung spielen wollte, dass Rosalie und ich gemeinsam ein Team bildeten.
Emmett hätte das Spiel sonst innerhalb kürzester Zeit gewonnen und ich war mir sicher, dass er damit den ganzen Tag angeben würde.
Als wir es aber nicht einmal zusammen schafften, ihn wenigstens Matt zu setzen, setzte sich auch noch Carlisle zu uns.
Esme sorgte für das Gleichgewicht der Kräfte, indem sie sich auf Emmett Seite schlug, während Alice sich dezent zurückhielt und Jasper unserem Spiel nur belustigt zusah.
Schließlich wusste plötzlich keiner mehr, welchen Zug er ziehen sollte, da wir alle so laut miteinander diskutierten, dass keiner von uns mehr durchstieg.
Schließlich gab Emmett lachend auf und wir begannen mit einer neuen Partie.
Nun Mann gegen Frau.
„Den würde ich an deiner Stelle nicht dort hinsetzen.“ kritisierte er bereits meinen dritten Zug und ich schnitt eine Grimasse.
„Ich bin wirklich keine Herausforderung für dich, oder?“
„Nicht beim Schach.“ antwortete er und schlug einen meiner Bauern.
Ich seufzte und lehnte mich in meinem Stuhl zurück.
„Und wobei bin ich es dann?“ fragte ich weiter und versuchte mich für den nächsten Zug zu entscheiden.
„Darin mich Demut zu lehren. Ich hab immer gedacht, ich wüsste ganz gut über Frauen Bescheid und dann beweist du mir, dass ich euch nie verstehen werde.“ lachte er und ich erwiderte es.
„Stets zu Diensten, auch wenn ich weiß, dass dich dies gewiss in deiner Eitelkeit kränkt.“ ich streckte ihm die Zunge raus, als Edward den Raum betrat. Sein Haar war ziemlich verwuschelt und der Blick in seinen Augen zeugte von vollkommener Zufriedenheit.
Er lächelte in die Runde, kam zu mir, um mir einen Kuss aufs Haar zu drücken und dann den Zug für mich zu führen.
„Danke.“ sagte ich grinsend und klopfte auf den leeren Stuhl neben mir, auf dem vorhin noch Rosalie gesessen hatte. „Mit dir an meiner Seite, kann ich bestimmt nicht mehr verlieren.“
Emmett warf die Hände in die Luft.
„Das ist unfair, wie soll ich gegen Edward gewinnen, wenn er jeden meiner Züge voraus sieht?“ beschwerte er sich sofort.
„Na eben gar nicht.“ grinste ich und Edward stimmte mit ein.
„Hattest du eine schöne Nacht?“ fragte ich ihn und das schiefe Lächeln in seinem Gesicht, sagte mehr als tausend Worte.
„Ja, eine sehr schöne Nacht.“ bestätigte er und ich sah ihm für einen Moment stumm in die Augen, bedeutete ihm, meine Gedanken aufmerksam zu lesen.
„Bevor jemand anderes daran denkt....ich werde wieder gehen, Edward.“
Ich sah, wie er den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, aber ich bemühte mich ihn sofort wieder mit meinen Gedanken zu beruhigen.
„Bitte sag jetzt nichts, ich will dieses Thema nicht noch einmal mit den anderen diskutieren, jetzt wo sie es scheinbar akzeptieren. Ich werde noch bis zur Hochzeit bleiben. Bella und du, ihr habt verdient, dass ich diesen bedeutsamen Tag mit euch zusammen feiere. Aber am Morgen danach, werde ich wie die anderen Gäste wieder aufbrechen. Bei so vielen vampirischen Reisenden, werde ich nicht weiter auffallen.“
schloß ich stumm und Edward nickte resignierend.
In seinem Blick erkannte ich, dass ihm noch eine Frage auf der Zunge lag und ich konnte mir denken, worum es ging.
„Jake?“
fragte ich in Gedanken und Edward nickte.
„Ich weiß es nicht. Und ehrlich gesagt, will ich auch nicht wirklich darüber nachdenken.“
Wieder nickte Edward und machte den nächsten Zug, der Emmett schier verzweifeln ließ.
„So brauchen wir wirklich nicht spielen.“ monierte er und ich war dankbar für die Ablenkung, nachdem Edward meine Gedanken unwillkürlich zurück zu Jake geführt hatte.
„Dann lass uns einfach was anderes machen. Ich wollte ohnehin noch fragen, ob einer von euch mit mir in die Stadt will. Ich brauch unbedingt einen eigenen Laptop und vielleicht ein neueres Modell von Mobiltelefon. Und auf dem Weg wollte ich sehen, wie viele Knöllchen an meinem Monte Carlo kleben und ob ich ihn herbringen kann. Ich dachte, ich könnte ein kleines Plätzchen eurer Garage mieten und mich an ihm erfreuen, wenn ich wieder herkomme.“ fragte ich und Emmetts Gesicht erhellte sich sofort.
„Technik und Autos. Das ist genau das Richtige für mich. Rose? Wie schaut´s aus, willst du auch mit?“ fragte er an sie gewandt, doch bevor sie antworten konnte, war Alice mit großen Augen an den Tisch herangetreten.
„Ich habe eine viel bessere Idee. Warum nutzen wir nicht unseren neugewonnen Frieden untereinander und feiern das ganze auf Cullen-Art?“ sagte sie aufgeregt und ich zog die Stirn in Falten.
„Cullen-Art?“
„Ja. Wir könnten nach Seattle fahren und ein bisschen Geld unter die Leute bringen. Wir gehen shoppen.“ Während sie sprach, begannen ihre goldenen Augen immer mehr zu leuchten. „Und dann tanzen wir die Nacht im Blind Lemon durch. Na was haltet ihr davon?“ abwartend sah sie in die Runde.
„Shoppen ist Frauenkram, aber gegen das Blind Lemon hätte ich persönlich nichts einzuwenden.“ gestand Emmett und ich rechnete damit, dass das Blind Lemon eine Diskothek oder ein Club sein musste.
„Ihr wollt euch wirklich mit mir in der Öffentlichkeit sehen lassen?“ fragte ich grinsend und Alice nickte heftig.
„Das wäre doch ein perfekter Zeitvertreib. Die Jungs kümmern sich um das technische Zeug und wir Mädels kleiden uns für den Abend neu ein. Später treffen wir uns dann wieder und zelebrieren die Nacht im Lemon. Edward, du musst unbedingt Bella fragen. Dann gehen wir als ganz große Familie.“
„Oh, Alice, ich glaube nicht, dass Bella für so etwas zu haben wäre. Sie ist in ihrem ganzen Leben, glaube ich, noch nicht in einem Club gewesen.“ insistierte er und Alice zog eine Schnute.
„Frag sie wenigstens. Wenn sie nicht möchte, dann können wir sie schlecht zwingen. Aber sag, dass Lexi bald wieder abreist, vielleicht überzeugt sie das.“ wies sie Edward an, der nickte und bereits sein Handy zückte.
Ich wusste noch nicht wirklich, was ich dazu sagen sollte, als Edward zu sprechen begann und nach wenigen Worten, den Raum verließ, als wollte er nicht, dass wir lauschten.
„Also Shopping?“ fragte ich etwas gequält und Alice lachte nickend.
Nicht, dass ich nicht oft einkaufen ging, aber es ein notwendiges Übel, wenn man stets ohne Gepäck, Kontinente überquerte. Aber besonders viel Freude machte es mir mittlerweile nicht mehr.
Viel mehr interessierte mich ein Besuch in einem Club.
Erst einmal hatte ich es gewagt, einen solchen Tanztempel zu besuchen und das war in den 50igern gewesen. Ich hatte die Frauen in ihren Petticoats bewundert und die Männer, die alle an Elvis erinnert hatten.
Doch schnell hatten mich die tanzenden Paare an meine Einsamkeit erinnert und ich hatte diesen Ort schnellstmöglich wieder verlassen.
Ein solches Erlebnis nun inmitten der Cullens und Bella zu machen, versetzte mich in freudige Erregung.
„Dann ist ja alles klar.“ freute sich Alice und klatschte vor Aufregung in die Hände.
„Tut mir leid euch enttäuschen zu müssen.“ sagte Edward, als er wieder ins Zimmer kam. „Bella lehnt dankend ab. Ihr ist nicht nach einer Menge schwitzender Fremde.“ lächelte er entschuldigend und ich seufzte.
Ich hätte sie gerne dabei gehabt, aber ich konnte ebenso verstehen, dass sie abgelehnt hatte.
„Das wird sie spätestens dann bereuen, wenn wir ihr erzählen, wieviel Spaß wir hatten. Was ist mit dir Esme? Und Carlisle?“
Doch Carlisle und Esme winkten beide lachend ab.
„Ich glaube, dass überlassen wir lieber euch. Sonst könnte ja noch jemand denken, ihr hättet coole Eltern.“ scherzte Carlisle und so war es beschlossene Sache.
Wir würden gegen Mittag nach Seattle fahren und während Jasper und Emmett sich um einen neuen Laptop kümmerten, würden wir Mädels einen kleinen Shoppingtrip machen.
Alice konnte es gar nicht erwarten, während Rosalie die enervierende Unruhe ihrer Schwester mit stoischer Ruhe ertrug.
Als die Uhr endlich 12 schlug, scheuchte uns Alice hektisch nach draußen und lud uns in die zwei Autos ein.
Die Jungs nahmen Emmetts Jeep, während wir Frauen in Rosalies BMW folgten.
Auf einem Parkplatz mitten ins Seattle trennten wir uns voneinander und fast erleichtert den folgenden Marathon nicht mit uns durchstehen zu müssen, zogen Jasper und Emmett von dannen.
Alice übernahm, wie nicht anders erwartet, die Führung und bald fanden wir uns in einem Theory-Laden wieder, dessen Preisschilder mir fast die Tränen in die Augen trieben.
Doch weder Alice noch Rose schienen sich davon beeindrucken zu lassen und stöberten ungestört durch die Regale, während ich mich fast nicht traute, überhaupt etwas in diesem Laden zu berühren.
Nach ein paar Minuten kam Alice zu mir zurück und hielt mir einen ganzen Stapel an Kleidern, Tops und Hosen vor die Nase.
Ich hätte wissen müssen, dass ich mir nicht selbst aussuchen durfte, was ich probieren wollte.
Doch ohne mit der Wimper zu zucken, nahm ich den Stapel entgegen und verzog mich in eine der Umkleidekabinen. Dort besah ich mir die Auswahl jedoch erst einmal genauer und sortierte Kleider und bauchfreie Oberteile, als erstes aus. So etwas würde ich nie tragen und daher würde ich es auch nicht anprobieren müssen. Ich sparte uns allen damit also nur Zeit.
Schnell waren nicht mehr viele Teile übrig geblieben und ich zwängte mich in enge Leggings und wallende Oberteile, traute mich jedoch in keinem dieser figurbetonten Outfits nach draußen.
„Komm schon, Lexi. Sei kein Frosch. Wie will ich sonst wissen, was dir steht und was nicht?“
monierte Alice, doch ich weigerte mich standhaft mich zu zeigen.
„Ich helf dir gerne dabei, nichts von dem, was du mir gegeben hast, steht mir. Und wenn doch, ich will es trotzdem nicht tragen. Kannst du nicht etwas suchen, dass ein bisschen weniger Haut zeigt?“ bat ich sie und sie schnaubte nur kurz, bevor sie wieder in den Kleiderständern des Shops verschwand.
Vorsichtig lugte ich mit dem Kopf raus, als Rosalie mit ein paar Sachen in der Hand zu mir kam und die Umkleidekabine neben mir besetzte.
„Ich bin echt froh, dass du dabei bist, dann muss ich wenigstens nicht als Barbie für sie herhalten“ grinste sie und zog den Vorhang zu.
Verstohlen schaute ich durch den Verkaufsraum und versuchte die Outfits an diversen Schaufensterpuppen in Kategorien einzuteilen, als Rosalie wieder vortrat und begann sich in einem Spiegel zu begutachten. Ihr schien einfach alles zu stehen. Das türkisfarbene Oberteil, dass ihr locker über den Schultern lag, schmeichelte ihrer hellen Haut und die schwarze Leggings, betonte gekonnt ihre Rundungen.
„Du siehst toll aus.“ sagte ich fast ehrfürchtig und sie drehte sich erneut um die eigene Achse.
„Ich weiß nicht, ist noch nicht das Richtige, find ich.“ entgegnete sie und verschwand wieder in der Kabine.
Ich weiß nicht wieviele verschiedene Geschäfte wir besuchten, bis wir alle mehr oder minder zufrieden mit unseren Einkäufen waren. Im sechsten oder siebten Laden, hatte ich es endlich geschafft Alice abzulenken und diese kurze Zeit genutzt, um mich selbst nach etwas passendem umzusehen.
Eine schwarz-karierte, eng geschnittene Bluse hatte schließlich meine Aufmerksamkeit gewonnen und zusammen mit einer engen, dunkelblauen Röhrenjeans den Sieg davon getragen.
Zufrieden, dass Alice meine Entscheidung schlussendlich abnickte und ich somit einen nackten Bauch umschifft hatte, erlaubte ich ihr einen kleinen Eingriff in meine Wahl.
Sie suchte mir noch einen breiten, schwarzen Gürtel aus, der ihrer Meinung nach perfekt meine Oberweite betonen würde, da er eben genau unter dieser entlang ging.
Rosalie war mutiger als ich und hatte sich für eine tiefrote Corsage und schwarze Tuchhosen entschieden, zu denen sie sich noch ein paar neue Stillettos gegönnt hatte.
Alice war modisch gesehen jedoch einfach nicht zu toppen. Sie hatte ein sehr ausgeprägtes Gespür für Dinge, die ihr standen und das grüne Oberteil, reichlich verziert mit glitzernden Ornamenten, dass sie gekauft hatte, unterstrich ihre Gestalt in jeder nur erdenklichen, positiven Weise.
Gegen Abend trafen wir uns wieder mit Jasper und Emmett und da es für den Club noch zu früh war, überredete ich die anderen dazu, mit mir etwas zu essen, auch wenn ihre Teller leer blieben und sie sich mehr als lange an ihren Getränken aufhielten.
Die Aufregung in mir wuchs, als wir uns gegen Zehn in die Waschräume des Restaurants zurückzogen, um uns umzuziehen. Alice hatte darauf bestanden, dass ich zumindest ein wenig Make-Up tragen sollte und so hatte ich klein bei gegeben und sie einfach machen lassen. Mein kurzer Protest, dass ich unter keinen Umständen auffallen wollte, hatte sie damit abgebügelt, dass es in einer Disco darum ging, aufzufallen.
Jasper und Emmett hatten sich ebenfalls umgezogen. Alice hatte es sich nicht nehmen lassen, auch für die beiden ein paar Einkäufe zu tätigen und ich musste zugeben, dass sie wirklich ein Händchen dafür hatte. Jasper, ohnehin sagenhaft attraktiv, steckte in einem weichfallenden, schwarzen Hemd, dessen Stoff einen augenblicklich dazu animierte, es berühren zu wollen.
Lachend zog er seine Alice zu sich heran und küsste ihr dankend die gespitzten Lippen.
Er war mit Sicherheit daran gewöhnt, dass seine Freundin ihn einkleidete und schien nicht schlecht damit zu fahren.
Auch Emmett war eine reine Augenweide und ich sah den Stolz und die Bewunderung in Rosalies Augen, als sie ihren Blick auf ihn legte.
Die dunkle Jeans harmonierte wundervoll mit dem körperbetonten, weißen Shirt dessen Applikationen ein verschlungenes asiatisches Muster zeigten.
Augenblicklich reute es mich, dass ich Alice´Auswahl nicht mehr Beachtung geschenkt hatte, jetzt wo ich sah, wie gekonnt ihre Beratung hätte sein können.
Ich kam mir beinahe unbedeutend klein und absolut underdressed vor, inmitten dieser Auswahl an Amerikas schönsten Menschen.
Ich beschloß mich in ihrer Schönheit zu sonnen und mich auf den anstehenden Abend zu freuen. Wie würde es wohl sein, einmal Teil dieser Welt zu sein, anstatt ihr einfach nur zuzusehen?
Ich würde feiern, tanzen und mich vielleicht sogar ein bisschen betrinken.
Jetzt war die Zeit Erinnerungen zu schaffen und ausgelassen zu sein, mir noch einmal klar zu machen, für wen ich all das tat. Für diese Vampire, die mich in ihrer Familie aufgenommen hatten, als wäre ich in dieser geboren worden.
Dann machten wir uns mit dem Jeep auf den Weg zum Club.
Die Straße vor dem Blind Lemon war mit dem Auto kaum zu passieren. Eine unglaubliche Menschenmenge hatte sich vor dem Eingang postiert und wartete auf Einlass.
Ich musste schlucken, wir würden Stunden hier draußen verbringen müssen, bis wir an der Reihe waren und so wie ich die Miene der Türsteher deutete, hieß das noch lange nicht, dass wir auch Einlass bekommen würde. Verdrossen schaute ich auf meine Füße, an denen sich einfache Chucks befanden und hoffte, dass diese nicht der Grund dafür sein würden, dass wir abgelehnt wurden.
Emmett parkte genau vor dem Eingang des Clubs und wie selbstverständlich, ließen wir die lange Schlange hinter uns, als wäre sie nicht existent.
Alice wechselte einige Worte mit einem der Türsteher und kurze Zeit später, durften wir eintreten.
„Wie hast du das gemacht, Alice? Seid ihr hier so was wie kleine Berühmtheiten?“ fragte ich verblüfft, während wir uns im Eingangsbereich sammelten.
„Nein, das nicht, aber ich habe halt so meine Beziehungen. Ehrlich gesagt, habe ich lediglich heute morgen ein Separee für uns gebucht. Das ist nicht grade billig, setzt uns jedoch ganz oben auf die Gästeliste.“ grinste sie und ich verstand. Als wohlhabender Gast, war es nicht nötig Schlange zu stehen.
Ich blickte mich staunend um. Dieser Club war eindeutig ein absolutes In-Lokal und Massen von jungen, hübschen Mädchen strömten Seite an Seite mit gutaussehenden jungen Männern durch die Räumlichkeiten.
Laute Musik dröhnte aus diversen Boxen, Nebel waberte über den Boden und bunte Lichter flackerten im Takt der verschiedenen Lieder.
„Mund zu, Süße, sonst fällst du noch auf.“ flüsterte Alice mir zu und zog mich lachend an der Hand weiter in den Hauptraum des Clubs. Sie nannte einem der umher laufenden Kellner ihren Namen und er führte uns in eines der Separees. Eine kuschelige keine Nische, mit schwarzen Ledersofas und einem kniehohen dunklen Tisch. Es gab sogar einen Vorhang, um sich von dem Rest des Clubs abzutrennen. Doch keiner von uns zog ihn zu. Am besten kam man in Feierstimmung, wenn man anderen beim Feiern zusah.
Alice und Jasper hatten sich schnell ins Getümmel geworfen. Rosalie und Emmett waren ihnen nach kurzer Zeit gefolgt, nachdem ich ihnen versichert hatte, dass es mich nicht stören würde, einen Moment allein zurückbleiben. Es störte mich wirklich nicht, ich hatte Spass dabei hier zu sitzen, an einem Cocktail zu nippen und ihnen von hier aus zuzusehen, während ich der Musik lauschte. Die vielen Menschen, die sich alle im Takt bewegten, die Geräusche und Gerüche beeindruckten mich nachhaltig und die gute Stimmung trug mich davon.
Während Rihannas „Te Amo“ bestellte ich einen weiteren Drink und ließ meinen Blick ein weiteres Mal die Tanzfläche überfliegen, auf der sich jetzt fast ausschließlich Paare bewegten und meine Augen blieben schließlich auf Rose und Emmett liegen. Er hatte seine Hände auf ihre Hüften gelegt und sie nah an seinen Körper gezogen, während sie sich an ihn schmiegte und ich Becken vor seinem kreisen ließ.
Ich grinste. Ihre Bewegungen sprachen Bände und gerade als ich wegsehen wollte, um ihnen diesen intimen Moment zu gönnen, ohne beobachtet werden, löste sich Rose abrupt von ihm und ihr Blick flog hinüber zum Eingang.
Für einem Moment setzte mein Herzschlag aus, bevor ich ihrem Blick folgte und den Grund für ihre Reaktion sah.
Drei Männer hatten soeben den Club betreten. Alle breitschultrig und diesen zedernen Geruch verbreitend, der erst jetzt durch die Massen zu mir drang.
Mein Herzschlag setzte augenblicklich mit doppelter Geschwindigkeit wieder ein und ich wurde stocksteif auf meinem Platz.
Ihre Erscheinung hielt meinen Blick gefangen und ich schien nicht in der Lage zu sein, auch nur den kleinen Finger zu rühren.
Was, um alles in der Welt hatten sie hier zu suchen? War etwas passiert und sie waren geschickt worden, um uns zu informieren? Nein, das wäre abwegig, wir alle hatten unsere Mobiltelefone dabei und hätten bei Schwierigkeiten sicherlich einen Anruf erhalten. Oder etwa nicht?
Ich wurde unruhig, nervös.
Wäre Barack Obama, begleitet von einer Bande Glücksbärchis durch die Tür gestiefelt, hätte ich dies für realistischer gehalten, als das was sich nun vor meinen Augen abspielte.
Emmett, Rosalie, Jasper und Alice hatten die Tanzfläche wieder verlassen und waren geradewegs zu den neuen Gästen hinüber gegangen.
Ich musste mich auf meinem Platz leicht strecken, um noch mitzubekommen, was nun von Statten ging. Hatte ich erwartet, dass es eine Konfrontation zwischen ihnen geben würde, hatte ich mich geirrt. Alice begrüßte sie alle ziemlich freundlich, auch wenn sie auf Abstand blieb und Jasper sich schützend neben ihr aufgebaut hatte. Emmett stand mit vor der Brust verschränkten Armen auf der anderen Seite und seinem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass es ihm schwer fiel, so ruhig zu sein.
Was wurde hier nur gespielt?
Ich versuchte Anzeichen darauf in den Gesichtern der anderen zu finden. In einem der Besucher hatte ich Quil erkannt, doch der junge Mann der Jakes andere Seite flankierte, war mir noch nicht begegnet. Zumindest nicht in Menschengestalt.
Und dann blickte Jake direkt zu mir herüber. Seine Miene verriet mir nichts über den Grund seines Besuchs, doch konnte ich mich dem Braun seiner Augen nicht entziehen. Er hatte den Kopf leicht geneigt und sein linkes Ohr in Alices´ Richtung gedreht, um ihr besser zuhören zu können, doch sein Blick, ließ mich die ganze Zeit nicht gehen. Angestrengt spitzte ich die Ohren, ich wollte wissen, worüber sie sprachen. Doch die laute Musik und die unzähligen Stimmen und Geräusche der anderen Clubbesucher, machten es sogar meinen Ohren unmöglich etwas von diesem Gespräch mitzubekommen.
Ich saß wie auf heißen Kohlen und als ich die Unwissenheit nicht mehr aushielt und drauf und dran war, einfach aufzustehen und zu ihnen hinüber zu gehen, nickte Jake ein letztes Mal in Alices Richtung und zu meinem Erstaunen, ergriff sie Jaspers Hand und verschwand mit ihm und den anderen Cullens wieder im Getümmel der Tanzfläche.
Absolutes Unverständnis zeigte sich auf meinem Gesicht und als Jake dies sah, zuckte er nur kurz mit den Schultern, bevor er sich auf den Weg zu mir machte.
Um meinen Händen etwas zu tun zu geben, griff ich nach meinem Cocktailglas und leerte es in einem Zug. Ich verstand die Welt nicht mehr. Und das änderte sich auch nicht, als Jake mit seinen beiden Freunden direkt vor der Nische auftauchte und mir kurz zunickte.
„Hi.“ sagte er, als wäre es das natürlichste der Welt, dass wir hier aufeinander trafen.
Ich schüttelte leicht aber bestimmt den Kopf, nicht in der Lage, etwas auf seine Begrüßung zu erwidern.
„Quil kennst du ja bereits und das ist Embry.“ stellte er mir seine Begleiter vor, als würde es mich auch nur im Geringsten interessieren. Das einzige, was mich wirklich interessierte, war, warum er überhaupt hier war.
Er war erst 17, wie war er überhaupt hier reingekommen? Soweit ich mich erinnern konnte, waren amerikanische Clubs erst ab 21 und auch wenn Jake wesentlich älter aussah, wurde an der Tür doch sehr darauf geachtet, wer den Club betrat und wer nicht, da es empfindliche Strafen nach sich zog, Minderjährigen Einlass gewährt zu haben.
„Hi, Lexi. Tut mir leid, wegen dem was zwischen uns passiert ist. Wird nicht wieder vorkommen.“ sagte Quil entschuldigend und ich nickte nur abwesend, meinen fragenden Blick keine Sekunde von Jake nehmend.
„Nett, dich endlich mal kennen zu lernen. Du hast in Jakes Kopf ja ziemlich für Trubel gesorgt. Aber ist ganz nett, mal ´nen anderen Namen in seinen Gedanken zu finden, als Bellas.“ grinste nun Embry und hielt mir seine Hand hin, die ich jedoch ignorierte. Nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil ich mich noch nicht wieder soweit gefasst hatte, angemessen darauf zu reagieren.
„Dürfen wir?“ fragte Jake und deutete auf die verlassenen Plätze neben mir und bevor ich mich zu einem Nicken oder Verneinen durchringen konnte, hatten sie mich bereits eingekeilt. Jake und Quil auf der einen Seite, Embry auf der anderen.
Augenblicklich wurde mir mulmig. Ich mied Situationen wie diese in denen mir eine Flucht erschwert wurde und zwischen 3 Wölfen eingekesselt zu sein, würde mir eine eben solche fast unmöglich machen. Dennoch zwang ich mich dazu, tief durchzuatmen und wieder die Kontrolle über mich zurück zu gewinnen.
„Was machst du hier?“ brachte ich schließlich stotternd hervor und sah zu, wie Jake ganz selbstverständlich drei Cola beim Kellner bestellte.
„Ich wurde eingeladen.“ sagte er knapp, als würde dies alles erklären.
„Wer hat dich...“ und dann machte es Klick in meinem Kopf. „Alice!“ seufzte ich, teils resignierend, teils aufgebracht. Dass sie neben all den Vorbereitungen für die Hochzeit, noch Zeit dafür hatte, sich diesen kleinen Plan für mich auszudenken, hatte beinahe Beachtung verdient.
Jake nickte und lächelte mich offen an.
„Hatte nicht erwartet dich hier zu sehen. Gut siehst du aus.“ er räusperte sich, als Quil und Embry zu grinsen begannen und ich nicht wirklich empfänglich für dieses Kompliment war.
„Du hast nicht mit mir gerechnet? Warum bist du dann hergekommen?“ fragte ich distanziert.
„Alice sagte, sie müsse etwas mit mir besprechen und, hey, wer sagt zu einer Einladung ins Blind Lemon schon nein?“ antwortete er mit einem breiten Grinsen und nahm sein Getränk vom Kellner entgegen.
„Und was habt ihr besprochen?“ entgegnete ich spitz, obwohl ich es mir bereits denken konnte.
Alice wusste, dass der einzige Weg mich in Forks zu behalten über Jake führen würde. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass sie soweit gehen würde, sich mit ihm auf diese Art zu verbünden. Noch weniger hatte ich damit gerechnet, dass Jake sich ebenfalls darauf einlassen würde.
Das Fräulein würde sich auf dem Rückweg eine ganze Menge anhören müssen.
„Ist nichts für kleine Halbvampire.“ versuchte er mich zu necken, erntete dafür jedoch nur einen finsteren Blick von mir.
„Nicht nötig, ich kann es mir ohnehin schon denken.“
So nicht. Ich war nicht bereit, mich auf diese Art und Weise beeinflussen zu lassen. So sehr ich mich zu Jake hingezogen fühlte, so sehr ich ihn begehrte und liebte, es war Unrecht von Alice, mich so zu quälen. „Embry, wenn du mich bitte...“ sagte ich gehetzt und stieß ihn unsanft zur Seite, um an ihm vorbei das Separee verlassen zu können. Doch kaum hatte ich die Tanzfläche erreicht, spürte ich einen festen Griff um meinen Unterarm. Jake war mir gefolgt und zog mich nun an sich, die Arme fest um meine Taille geschlungen, um mich daran zu hindern, weiter davon zu laufen.
Ich wehrte mich, soweit ich konnte ohne ihm wehzutun, doch sein Griff war firm und nahm mir die Möglichkeit, zu entkommen.
„Jake, bitte“ flehte ich, doch konnte seinen Griff damit nicht erweichen. Ich wand mich in seinen Armen, vermied ihn anzusehen, denn ich wusste, dass ein einziger Blick seiner Augen, jeden Widerstand in mir brechen würde. Ich wollte nicht schwach werden, wollte mich nicht in Versuchung führen lassen. Mein Entschluss stand fest und Alice kämpfte mit unfairen Mitteln, weil sie wusste, dass ich ihnen erliegen würde.
„Bitte!“ bettelte ich erneut herzerweichend, aber Jake zog mich nur noch enger an sich.
Seine Hände legten sich an meine Wangen und er zwang meinen Blick hinauf in seine Augen.
„Hör auf wegzulaufen, Lexi. Vor mir, vor ihnen, vor dem, was auch immer in deiner Vergangenheit geschehen ist. Du brauchst keine Angst zu haben.“ seine Stimme hatte einen befehlenden Unterton und ich atmete heftig gegen die aufkommende Panik in mir an.
„Sie hat es dir gesagt?“ fragte ich ungläubig, während ich weiter versuchte, ihn abzuschütteln.
„Sie hat mir gesagt, dass du gehen wirst. Ich weiß nicht, warum. Alice meinte, es läge an dir, es mir zu sagen. Wenn ich der Grund sein sollte, dann sag mir, was ich tun kann, damit du bleibst.“ forderte er mich auf. Wenn er nur wüsste... .
„Nichts.“ sagte ich harsch und schaffte es endlich mich aus seinen Armen zu befreien. „Es hat nichts mit dir zu tun, Jake. Aber ich muss tun, was ich tun muss und es nicht fair, dass du mich auf diese Art vom Gegenteil überzeugen willst. Ich hätte nie gedacht, dass du dich so leichtfertig auf ihre Seite schlagen würdest. Wer spielt jetzt ein abgekartetes Spiel, hm?“ fragte ich herausfordernd und Jake fuhr sich durch die Haare.
„Glaubst du, ich tu das, weil sie das will?“ er lachte beleidigt auf. „Ich tue das nicht für Alice, Lexi. Ich will nur ebenso wenig, dass du gehst, wie sie.“
„Du willst nicht....?“ stotterte ich und er zog mich wieder an seine breite, warme Brust.
„Nein, ich will nicht.“ bestätigte er lächelnd.
„Ich muss...“ begehrte ich erneut auf und schob seine Hände von meiner Taille. „Es tut mir leid, Jake. Ich kann nicht bleiben, es ist zu gefährlich.“
„Ich kann dich beschützen. Wir alle können das. Hab Vertrauen zu mir.“
„Und wer beschützt Euch? Wer beschützt den Helden, nachdem er das Mädchen gerettet hat?“ sagte ich ruhig und schüttelte den Kopf. „Es geht nicht, Jake. Vor dem, was mich erwartet, kannst du mich nicht beschützen, ohne dich selbst in Gefahr zu bringen. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich deine Kräfte unterschätze. Ich weiß, zu was du fähig bist und wie stark die Wölfe sind. Aber...“
erneut schüttelte ich den Kopf. „Hier ist weder der rechte Ort, noch die rechte Zeit, um darüber zu reden.“ ich wand mich um, wollte gehen, doch etwas hielt mich zurück.
„Willst du mich jetzt einfach hier stehen lassen?“ hörte ich Jake fragen und wusste, dass ich es nicht konnte, selbst wenn ich es wollte. Noch drei Tage waren mir mit ihm vergönnt und auch wenn ich wusste, dass ich mich besser von ihm fernhalten sollte, konnte ich es nicht. Er war wie eine Droge für mich und ich war unheilbar süchtig nach ihm.
Wieder griff er nach meiner Hand und zog mich zurück. Ich spürte seine Brust gegen meinen Rücken gedrängt und konnte das aufsteigende Kribbeln in meiner Magengegend nicht ignorieren.
„Ich werde nicht wieder damit anfangen. Nicht heute, aber wir sollten noch einmal darüber reden, warum du gehen willst.“ flüsterte er nah an meinem Ohr, was mir augenblicklich eine Gänsehaut bis zu den Zehenspitzen bescherte.
„Ja, und dann reden wir auch darüber, warum du mir das hier antust.“ zischte ich und er nickte nur stumm, während er mich zum Separee zurückführte, in dem Quil und Embry anscheinend nur auf uns gewartet hatten.
Jake setzte sich wieder neben Quil und sah einladend auf den Platz neben sich, doch ich schüttelte nur den Kopf und sah dann unverwandt zu Embry.
„Lust zu tanzen, Embry?“ fragte ich mit einem aufgesetzten Lächeln und überrumpelt wie er war, blickte er fragend zu Jake, der missbilligend die Augenbrauen hochzog.
„Was? Brauchst du die Erlaubnis vom großen, bösen Wolf?“ triezte ich ihn und damit hatte ich gewonnen. Embry schien sich zwar immer noch nicht wohl dabei zu fühlen, doch er erhob sich und folgte mir auf die Tanzfläche. Plötzlich wusste ich nicht mehr, warum ich das getan hatte. Was wollte ich mit Embry? Er schien ein netter Kerl zu sein und eventuell brachte ich ihn nun in Schwierigkeiten. Aber ich war immer noch sauer auf Jake, weil er sich in meinen Augen hinterhältiger Weise mit Alice verbündet hatte und sie gemeinsam vielleicht in der Lage sein würden, dass ich meine eigenen Regeln brach.
Auf der anderen Seite...was wollte er mir vorhalten? In einer Diskothek wurde doch getanzt oder nicht? Und er war nicht mein fester Freund, so dass ich doch wohl durchaus das Recht besaß, zu tanzen mit wem ich wollte.
Und Embry schien nicht die schlechteste Wahl dafür zu sein.
Etwas verschüchtert suchte er die Nähe zu meinem Körper, denn die nun spielende Musik, verbot es fast mit Abstand zueinander zu tanzen.
„Trau dich.“ forderte ich ihn schließlich auf und nahm seine Hände, um sie auf meine Hüfte zu legen. Sofort breitete sich die Wolfswärme von seinen Händen auf meiner Haut aus und doch fehlte das vertraute Prickeln, dass Jakes Finger in mir wachgerufen hätten.
„Tut mir leid, ich war vorhin etwas schroff zu dir. Das alles übersteigt ein bisschen meinen Horizont. Ich wollte nicht unhöflich sein.“ entschuldigte ich mich bei ihm, um die Situation zwischen uns ein wenig zu entspannen.
„Schon okay, ich versteh dich besser, als du denkst. Ich kenn Jakes Innenleben und ich weiß, wie sehr ihm das Ganze zusetzt. Von daher gehe ich einfach mal davon aus, dass es in dir drin nicht viel anders aussieht.“ antwortete Embry lächelnd und begann uns im Takt der Musik zu bewegen.
Ich legte meine Arme um seinen Hals und folgte seinen Bewegungen.
„Ich bin etwas neidisch auf dich, wie ich zugeben muss. Ich wünschte ich könnte so einfach seine Gedanken lesen und wissen, woran ich bei ihm bin. Als wäre das Leben nicht kompliziert genug...“ scherzte ich und meinte es doch irgendwie ernst.
„Er mag dich. Ziemlich würde ich sogar sagen. Und es verwirrt ihn, dass er sich einfach nicht prägt. Er hat sich nicht auf Bella geprägt und bei dir funktioniert es auch nicht. Das nimmt ihn ziemlich mit.“ antwortete Embry, während wir uns um uns selbst drehten.
„Ist das Prägen denn so wichtig?“ fragte ich zurück und Embry leckte sich über die Lippen.
„Ist ein wichtiger Bestandteil des Wolfseins. Jake beginnt sich zu fragen, ob etwas mit ihm nicht stimmt, dass er sich nicht auf jemanden prägt. Aber ich weiß, dass er sich wünscht, er würde sich auf dich prägen.“ flüsterte er und ich atmete tief durch.
„Warum?“ wisperte ich und hielt die Luft an.
„Ich sagte doch, er mag dich.“ Embry zwinkerte mir zu und ich konnte ein freudiges Lächeln nicht unterdrücken.
„Und die Tatsache, dass ich ein Vampir bin?“
„Die Tatsache, dass du ein Halbvampir bist.“ korrigierte mich Embry. „Ich glaube, er findet sich langsam damit ab. Hat ja auch Vorteile.“ grinste er und ich zog meine Stirn in Falten.
„Vorteile?“
„Klar, du verstehst, was es heißt, anders zu sein. Du kannst in vielem mit ihm mithalten.“ führte er weiter aus und ich nickte.
„Ja, wahrscheinlich hast du Recht.“ bestätigte ich und wurde still.
All diese Dinge zu hören, so schön es war, war gefährlich. Wenn sich herausstellte, dass es vielleicht doch eine Zukunft für mich und Jake geben konnte....Nein! Ich durfte nicht einmal daran denken. Für uns gab es ein kein Morgen, kein nächstes Jahr. Ich würde nach der Hochzeit, aus seinem Leben verschwinden und es uns allen damit leichter machen. Auch wenn mein Umfeld dies in Teilen anders sah, so war es doch das Richtige.
„Jetzt bin ich neidisch, dass ich deine Gedanken nicht lesen kann.“ beschwerte sich Embry lachend und ich musste automatisch zurück lächeln
„Tut mir leid, ich hab gerade über vieles nachzudenken.“ sagte ich aufrichtig.
„Kein Problem, Lexi.“ antwortete er und zog mich etwas näher zu sich, um unsere Bewegungen erneut aufeinander abzustimmen. Ich lehnte meinen Kopf auf seine Schulter und traute mich erst jetzt einen Seitenblick zurück zu Jake zu werfen.
Sein Blick lag fest auf Embry und mir und seine gesamte Haltung zeugte von Anspannung. Quil neben ihm, redete auf ihn ein, doch ich konnte kein Wort davon verstehen. Ich schloss die Augen und überließ mich Embrys Führung, nutzte den Moment der Stille, um mich mit dem soeben Erfahrenen auseinander zu setzen.
Es würde nichts ändern, beschloß ich und lauschte Embrys regelmäßigen Herzschlägen, die eine beruhigende Wirkung auf mich hatten. Schnell hatte sich mein eigener Herzschlag, dem seinen angepasst, als das Lied langsam zu einem Ende kam und eine schnellere Uptempo Nummer gespielt wurde. Vorsichtig löste sich Embry von mir und ich lächelte ihn dankbar an.
„Du bist ein guter Tänzer.“ sagte ich freundlich und verneigte mich kurz vor ihm, als unvermindert Jake vor uns auftauchte. Er schenkte Embry einen bedrohlichen Blick, bevor sich seine Hand um mein Handgelenk schloß und ich von ihm fortgezogen wurde.
Unsanft drängte er mich gegen eine freie Wand und baute sich vor mir auf, während sein rechter Arm sich neben meinem Kopf abstützte.
„Tu das nicht!“ zischte er mir entgegen und ich reckte kämpferisch mein Kinn vor.
„Was?“ entgegnete ich bissig und blickte an ihm vorbei, zurück zu Embry.
„Mach mich nicht eifersüchtig!“ sagte er vorwurfsvoll und erst jetzt sah ich ihm in die Augen.
„Kann ich das überhaupt?“ erwiderte ich angriffslustig und hielt seinem Blick durchaus stand.
Jake lachte heiser auf.
„Ja, du kannst und du hast.“ sagte er giftig und hielt mich weiter zwischen seinem Körper und der Wand in meinem Rücken gefangen.
Ich begehrte gegen ihn auf, drängte gegen seine Brust, doch er war stärker. Mit einer schnellen Bewegung hatte er beide meiner Handgelenke umfasst und hielt sie über meinem Kopf gegen die Wand gedrückt fest.
„Du tust mir weh.“ knurrte ich und nun war es Jake, der mich angriffslustig ansah.
„Kann ich das überhaupt?“
„Ja, du kannst und du hast.“ wiederholte ich seine Worte, doch wesentlich bitterer, als er sie gesprochen hatte.
Wieder blickte ich an ihm vorbei und sah, wie Embry auf uns zukam. Innerlich betete ich, dass er sich wieder umdrehen würde.
Ich wollte nicht, dass er sich einmischte und sich womöglich gegen seinen Freund stellen musste.
Auch Jake hatte ihn aus den Augenwinkeln kommen sehen, doch anstatt mich nun loszulassen, hielt er mich nur noch fester.
Und dann spürte ich den festen Druck seiner Lippen auf meinen.
Erschrocken riss ich die Augen weit auf und konnte gerade noch sehen, wie Embry auf dem Absatz kehrt machte, als er den Kuss sah.
Jake wurde immer härter, fordernder, aber ich war zu überrascht, als dass ich den Kuss hätte genießen können, geschweige denn erwidern.
Als schien er zu merken, dass er sich zu weit vorgewagt hatte, ließ er schließlich meine Hände wieder los und seine Lippen ließen an Druck nach, lösten sich jedoch nicht von meinen.
Vollkommen perplex und wieder in der Lage mich zu wehren, stieß ich ihn schließlich von mir und rang nach Luft. Meine Knie zitterten und entgegen meiner Erwartung, jeder Kuss von Jake würde mir ein Hochgefühl bescheren, verursachte mir dieser nur Übelkeit.
Jakes Atem ging schnell und schlussendlich gab er mich vollkommen frei. Er fuhr sich mit dem Daumen über die Lippen und ließ dann mutlos die Arme sinken.
Ich suchte Halt an der kühlen Wand hinter mir und nur dank ihr, war ich noch in der Lage aufrecht zu stehen.
„Tut mir leid, Lex.“ murmelte er entschuldigend und suchte erneut die Nähe zu mir, doch ich nahm meine letzte Kraft zusammen, um ihn abzuweisen.
„Bist du jetzt vollkommen wahnsinnig geworden?“ ich wollte es schreien, wollte es bösartig und angsteinflössend sagen, doch alles was heraus kam, war ein ungläubiges Piepsen.
Jake seufzte und rieb unentschlossen die Lippen gegeneinander.
„Ich dachte, du würdest es wollen...“ antwortete er schmal und meine Hände ballten sich zu Fäusten.
„Du dachtest, dass ich das will? Was denn? Was sollte ich gewollt haben? Dass du vor deinen Jungs angibst? Dass du an mir dein Revier markierst, wie an einem alten Baum?“ meine Stimme gewann langsam wieder an Kraft. „Nein, das wollte ich nicht. Ich hatte mir etwas anderes vorgestellt für den ersten Kuss zwischen uns, den du mir freiwillig gibst, aber nicht das hier.“
Jake schloß gequält die Augen, doch ich war noch nicht fertig mit ihm.
„Oder hast du gedacht, ein Kuss von dir würde mich dazu bringen, dir zu versprechen zu bleiben? Tut mir leid, du und Alice habt Euch geirrt.“ ereiferte ich mich.
Jake fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und stellte sich mir wieder in den Weg, als ich Anstalten machte, ihn einfach stehen zu lassen.
„Wag es dich, Jake und du wirst mich von einer Seite kennenlernen, die ich dir nicht zeigen will.“ warnte ich ihn, blieb jedoch mit meiner Drohung erfolglos. Jake bewegte sich keinen Zentimeter.
„Ich bin stärker als du.“ zischte ich leise, auch wenn ich nicht wusste, ob es stimmte. Bisher hatte ich keine Gelegenheit gehabt, mich mit ihm zu messen. Aber ich war mir zumindest sicher, ihm die Stirn bieten zu können, wenn ich mich nicht zurückhielt.
„Du wirst mir nicht wehtun.“ sagte er mit einem Zittern in der Stimme, dass ich nicht recht zu deuten wusste.
„Ich werd das gern für sie übernehmen.“ Emmett tauchte neben mir auf und lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand. „Probleme?“ fragte er mich ruhig und verschränkte seine Arme vor der Brust.
Jake rollte mit den Augen und warf die Hände in die Luft.
„Halt dich da raus, Blutsauger.“ sagte er genervt, doch Emmett schüttelte den Kopf.
„Ich halt mich raus, wenn SIE mir sagt, dass ich es tun soll.“ er deutete mit dem Kopf in meine Richtung und nun sahen sie beide zu mir.
„Ich will nach Hause, Emmett. Ich denke, ich habe für heute genug gefeiert.“
Emmett nickte, legte einen Arm um meine Schulter und wollte mir Begleitschutz bieten.
„Lexi, es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was...“ begehrte Jake ein letztes Mal auf.
„Hast du sie nicht gehört, Köter? Sie hat genug von dir.“ sagte nun Rose und flankierte meine freie Seite. Jasper und Alice tauchten ebenfalls plötzlich aus der Menge auf, doch anstatt auf mich zuzugehen, stellten sie sich zu Jake. Jasper legte ihm sogar eine Hand beschwichtigend auf die Schulter.
„Lass gut sein, Jake. Wir kümmern uns um sie, du kannst uns vertrauen.“ sagte Alice beruhigend und ich wäre ihr am liebsten an die Gurgel gesprungen.
Doch ich konnte mich noch beherrschen...noch.
Ich atmete ein weiteres Mal tief durch und ließ mich dann von Rosalie und Emmett nach draußen begleiten, wo sich Emmett augenblicklich hinter das Steuer seines Jeeps setzte und den Motor startete. Ich folgte ihm auf dem Fuß und setzte mich auf die Rückbank, während Rosalie vorne Platz nahm.
„Alice hat meinen Autoschlüssel, du brauchst nicht auf sie zu warten.“ sagte sie knapp und Emmett gab augenblicklich Gas.
Ich sah nicht zurück.
„Ich hab ihr direkt gesagt, dass das nicht funktionieren wird. Aber sie konnte ja wieder einmal nicht hören.“ murrte Emmett und Rose drehte sich zu mir um.
„Wie geht’s dir, Kleines?“ fragte sie besorgt und ich schüttelte nur den Kopf.
„Nicht jetzt Rose. Ich will nicht drüber reden. Aber schön zu wissen, dass ihr eingeweiht ward.“ sagte ich gehässig und sie drehte sich wieder um, doch ihre Augen suchten meine im Rückspiegel.
„Wir dachten, wir tun dir einen Gefallen.“ gestand sie ruhig und ich konnte mich nicht daran hindern, stumpf zu lachen.
„Jeder scheint mir einen Gefallen tun zu wollen, ohne wirklich einmal darüber nachzudenken, was ich mir überhaupt wünsche.“ sagte ich sauer. „Und dass ihr mir jetzt auch noch sagt, ihr hättet es für mich getan, macht es nicht besser. Ich kenne Alice gut genug, um zu wissen, dass sie Jake vor ihren eigenen Karren gespannt hat. Und ihr habt sie nicht daran gehindert, weil die Chance bestand, dass sie damit Erfolg hat.“
Ich wusste, dass ich damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, als betretenes Schweigen einsetzte.
Ich versuchte mich zu beruhigen und daran zu erinnern, warum Alice es getan hatte und warum die anderen sie nicht davon abgehalten hatten. Sie hatte es ja nicht aus Boshaftigkeit getan. Eigentlich sollte es ein Kompliment für mich sein, dass sie mich so sehr bei sich behalten wollten, dass sie sogar die verhassten Wölfe mit ins Boot holten.
Doch dieser Gedankengang brachte mich unweigerlich zu dem Thema, dass ich am liebsten gemieden hätte.
Was um alles in der Welt, war in Jake gefahren, als er mich so hart küsste.
War es der nahende Embry gewesen, der ihn dazu gebracht hatte, sein Revier deutlich abzustecken? War es der verzweifelte Versuch, eine Prägung zu erzwingen? Oder war das seine Art mir zu sagen, dass er mich mochte?
Egal was es gewesen war, ich hatte es nicht gemocht.
Viele Male hatte ich mir vorgestellt, wie es sein würde, wenn Jake mich das erste Mal küssen würde. Mich, nicht Bella. Und keine dieser Träumereien hatte einen verrauchten Club, wummernde Bässe oder gar Jakes Aggressivität beinhaltet.
Der harte Fahrtwind griff nach meinen Haaren und ließ mich für einen kurzen Moment frösteln, bevor ich mich umwand und hinter uns die Lichter von Rosalies BMW ausmachen konnte. Alice und Jasper waren also nicht lange zurück geblieben.
Besser für sie. Alice würde mir so einiges erklären müssen und ich würde dringend klarstellen müssen, dass egal welche perfiden Pläne sie alle noch aushecken würden, ich auf keinen Fall bleiben konnte. Und ich würde Druck damit aufbauen, dass ich nie wieder kehren würde, wenn sie es nicht unterließen, mich zu überreden.
Die lange Fahrt zum Haus der Cullens, verflog schweigend und ruhig in Windeseile.
Kaum, dass Emmett den Wagen abgestellt hatte, sprang ich vom Rücksitz und strebte der Eingangstür entgegen. Auf meinem Weg dahin, bemerkte ich Edwards Volvo in der Auffahrt. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es für Bella schon lange Schlafenszeit sein musste und mutmaßte, dass sie sich im Moment sicherlich schlafend in Edwards Zimmer aufhielt.
Grade als ich die Stufen zur Veranda empor stieg, bremste Alice den roten BMW hinter Emmetts Jeep.
Sie riss augenblicklich die Tür auf und war im Bruchteil einer Sekunde neben mir. Sie hielt mich am Oberarm fest und drehte mich in ihre Richtung.
„Lexi, was ist passiert?“ fragte sie mich atemlos und ich blickte lediglich auf ihre Hand an meinem Arm.
„Den würd ich da weg nehmen, wenn dir dein Leben lieb ist, Alice.“ warnte ich sie ruhig und sie ließ ihre Hand sinken.
„Was ist schief gegangen?“ fragte sie erneut und ich schüttelte ungläubig den Kopf.
„Dein Plan, nur dein Plan, Alice. Sonst nichts. Hast du wirklich gedacht, du könntest mich auf diese Weise bestechen?“ entgegnete ich fassungslos, aber mit sehr viel mehr Beherrschung in der Stimme, als ich es erwartet hätte.
„Es tut mir leid...“ begann sie.
„Was tut dir leid? Dass du dir diese kleine Episode hinter meinem Rücken hast einfallen lassen, dass du dabei erwischt wurdest, oder aber dass es nicht funktioniert hat?“
„Alles irgendwie...“ gab sie zu und versetzte mich damit in Erstaunen.
„Na wenigstens bist du ehrlich.“ schnaubte ich und griff zum Türknauf.
„Lexi, ich hab das doch nur für dich getan.“ insistierte sie sofort und ich drehte mich wütend zu ihr herum. Ich spürte die Wut in mir aufkochen und durch meine Adern brennen, wie Säure.
„Lüg mich jetzt nicht an, Alice. Ich weiß genau, warum du das getan hast. Und es war nicht für mich, nicht für Jake, sondern nur für dich. Herrgott, ich quäle mich in dem Wissen, egoistisch zu sein und euch dadurch verletzt zu haben und dabei seid ihr selber nicht besser. Bevor ihr alle das für mich getan habt, hat da einer von Euch mal bei mir nachgefragt, was ICH will??“
Ich baute mich auf der Veranda auf, wie auf einem Rednerpodest.
„Hört mir bitte nur einen Moment lang zu. Ich werd das jetzt nur ein einziges Mal sagen, für euch alle. Jeder entscheidet selbst, wann er sich angesprochen fühlt.“ Ich seufzte und versuchte die Wut in mir, mit selbst erzeugter Ruhe zurückzudrängen.
„Bitte hört auf mich zu quälen. Jedes Mal, wenn ihr mir anbietet hier zu bleiben, oder sagt, wie gerne ihr möchtet, dass ich mich euch anschließe, quält es mich, weil ich nichts lieber täte, als euer Angebot anzunehmen. Ich fühle mich geehrt, dass ihr mich als würdig erachtet, ein Teil eurer Familie zu werden und Gott weiß, welche Kraft es mich kostet euch immer wieder zu widerstehen. Aber bitte versteht endlich, dass ich nicht bleiben kann. Es geht nicht darum, dass ich euch nicht genug liebe. Gerade weil ich euch so sehr liebe, weil ich Jake so sehr liebe, kann ich nicht bei euch bleiben. Irgendwann, wenn der Tag gekommen ist, an dem Caius mir vergibt,...an dem ich mir vergebe, werde ich bei Euch bleiben. Doch bis dahin werde ich kein Leben mehr, außer meinem eigenen riskieren, damit dieser Tag kommen kann. Und wenn es soweit ist, will ich sicher gehen können, dass ich noch eine Familie habe, zu der ich zurückkehren kann.“ Ich blickte jedem von ihnen tief in die Augen und suchte nach einer Bestätigung, dass meine Worte endlich zu ihnen gedrungen waren.
„Und wenn ihr mir einen Gefallen tun wollt, dann bitte akzeptiert meine Entscheidung, auch wenn sie euch nicht gefällt. Denn nicht ihr müsst meine sie vertreten können, sondern ich und ich weiß durchaus, worauf ich dabei verzichte und ich brauch eure Unterstützung....“ schloß ich, bevor ich mich, ohne auf weitere Worte zu warten, umdrehte und hinauf in mein Zimmer ging.
Kaum, dass ich dort jedoch die Tür wieder ins Schloß geworfen hatte, klopfte es bereits.
„Herein.“ sagte ich seufzend und ging gleichzeitig ins Bad, um mich von Alices eigentlich gekonntem Make-Up zu befreien.
Kurze Zeit später, stand Edward im Türrahmen und schenkte mir ein sanftes Lächeln.
„Bewegende Ansprache.“ lobte er mich und ich schnaubte lediglich.
„Mach bei mir jetzt bloß nicht auf gut Wetter. Du steckst doch wahrscheinlich ebenfalls bis zum Hals mit drin in der Geschichte.“ sagte ich unfreundlich, doch Edward lächelte nur noch sanfter.
„Du hast mich erwischt, allerdings gebe ich nur zu, Mitwisser gewesen zu sein.“ gab er an.
„Schon mal was von unterlassener Hilfeleistung gehört?“ fragte ich spitz zurück und verwischte meine Mascara, was mich wie einen Waschbär aussehen ließ.
„Bist du uns wirklich so böse, dass wir dich hier haben wollen?“ fragte er weich und ich schüttelte den Kopf.
„Ich bin nicht sauer, weil ihr mich hier haben wollt.“ verneinte ich „Ich bin nur sauer über die Art, wie ihr es versucht habt, zu erreichen. Ich hatte alles so perfekt geplant. Nur noch drei Tage und ich wäre ohne weiteren Ärger wieder verschwunden und jetzt...“ ich legte das Abschminkpad bei Seite und blickte zu Edward hinüber.
„Und jetzt?“ fragte er. „Was ist passiert?“
„Jake hat mich geküsst.“ sagte ich knapp.
„Oh“ entfleuchte es Edward und er machte ein fragendes Gesicht. „Und das ist so schlimm, weil...? Hilf mir auf die Sprünge.“ neckte er mich und verstand den Ernst der Lage nicht.
„Weißt du, wie oft ich davon geträumt habe, dass er mich küsst?“ fragte ich abwesend und setzte mich auf den Toilettendeckel, während ich beim Gedanken an diese Träume ein schwärmerisches Lächeln auf den Lippen spürte. „Es war perfekt...romantisch und irgendwie wie im Märchen. Ich war so dumm...“ ich lachte gequält auf. „Ich sollte alt genug sein, um nicht mehr an Märchen zu glauben, ich weiß, aber in meiner Vorstellung blieb die Zeit stehen und ich passte in seinen Arm, als sei ich dafür gemacht. Er schmeckte nach süßen Früchten und sein Geruch, war eine Mischung aus allem, was ich liebe.“ ich seufzte, als ich merkte wie mein Blick glasig wurde.
„Aber die Realität sah leider anders aus.“ bemerkte ich traurig, zwang mich dann jedoch wieder zu einem leichten Lächeln, während ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischte.
„Ich hätte es wissen müssen.“ sagte ich, straffte mich und griff nach einer Haarbürste.
„Jake ist ein...“ begann Edward, doch ich unterbrach ihn und zielte mit der Bürste auf ihn.
„Wenn du jetzt auch noch damit anfängst, ihn zu verteidigen, dann werde ich wahnsinnig, glaub´s mir. Vor nicht einmal zwei Tagen war er für euch das personifizierte Böse und jetzt wird er hier zum Heiligen stilisiert, nur weil es eurem Zweck dienlich ist. Das hat Jake nicht verdient. Er ist ein guter Kerl.“ sagte ich und Edward lachte.
„Nichts anderes wollte ich sagen.“
Ich seufzte und begann meine Haare zu bürsten und von dem vielen Haarspray zu befreien, das darin klebte.
„War es wirklich so schlimm?“ fragte Edward interessiert und ich ließ die Bürste wieder sinken.
„Es war kein Kuss, den ich wiederholen wollte. Kein Kribbeln im Bauch, keine Wärme...kein Stück Romantik. Es war...“ ich überlegte einen Moment. „Unerwartet und hart. Es wäre mir lieber gewesen, er hätte mir zum Markieren gegens Bein gepinkelt.“
Edward gluckste und ich musste ebenfalls lachen.
„Okay, vielleicht nicht wirklich lieber, aber das hätte ich eindeutig einordnen können. Ich weiß nicht, was er mit diesem Kuss bezweckt hat, warum er ihn mir überhaupt gegeben hat.“
„Und was willst du jetzt tun?“
„Wegen euch oder wegen Jake?“ fragte ich und Edward zuckte mit den Schultern.
„Wegen beidem?“ entgegnete er und ich wusste nicht was ich antworten sollte.
„Ich weiß es nicht. Ich will auf keinen Fall Streit, mit keinem von Euch. Auch wenn das bedeutet, dass ich mir die Zunge heraus schneiden muss, um nichts falsches zu sagen.“
„Ich glaube so weit brauchen wir nicht gehen.“ scherzte Edward und ich nickte zuversichtlich.
„Hoffen wir es. Ist Bella hier?“ fragte ich, um absichtlich vom Thema abzulenken.
„Ja, sie schläft in meinem Zimmer.“ nickte er.
„Vielleicht hat sie ja morgen früh Lust mit mir zu frühstücken. Du kannst sie ja fragen, wenn sie wach ist, ja?“ ich begann wieder, mich meinen Haaren zu widmen.
„Werd ich machen. Ist das jetzt deine Art mir zu sagen, dass ich zu ihr zurück gehen soll?“ grinste er, denn er hatte meine Gedanken bereits gelesen und wusste, dass es so war.
„Sei mir nicht böse, aber ich brauche den Rest der Nacht, um mich wieder zu akklimatisieren und und Kraft zu tanken, um morgen früh so zu tun, als sei nichts passiert.“
Wieder lachte Edward auf und klopfte kurz gegen den Türrahmen.
„Dann wünsche ich der Dame eine angenehme Nachtruhe und freue mich auf ihr bezauberndes Lachen am Morgen.“ er verneigte sich leicht vor mir und zog sich wieder zurück.
Ich blieb seufzend zurück, wusch mir Gesicht und Zähne und schlüpfte in meine Pyjamahosen und ein rosanes Tanktop mit kleinen Häschen drauf. Nicht modisch, aber unheimlich bequem.
Dann ließ ich mich rücklings auf mein Bett fallen und starrte gegen die dunkle Zimmerdecke, bis meine Augen brannten. Jeder Tag schien eine Mischung aus Himmel und Hölle zu sein und er endete nie, wie er begonnen hatte. Und obwohl ich keine große Müdigkeit verspürte, fielen meine Augen schließlich ganz von alleine zu.
„Und was hast du für den heutigen Tag so geplant?“
„Den Versuch, nicht durchzudrehen?“ lachte Bella auf, während sie in ihren Eiern Benedikt herumstocherte, die Edward uns zum Frühstück gemacht hatte. Mit einer engelsgleicher Miene saß er mit uns am Tisch und in seinem Blick konnte ich ablesen, dass er sich ganz im Gegensatz zu Bella auf den morgigen Tag freute.
„Wird schon“ beruhigte ich sie und verschlang mein Frühstück mit großem Appetit, vom dem ich wusste, dass die Eier ihn nicht lange befriedigen würden.
„Und was hast du vor? Nach La Push fahren vielleicht?“ fragte sie zuckersüß und ich verzieh ihr diese Anspielung.
„Nein, dafür werde ich heute wohl keine Zeit haben.“ antwortete ich gut gelaunt. Ich hatte mir vorgenommen, mich nicht weiter mit Dingen zu beschäftigen, die ich ohnehin nicht würde ändern können. Ich hatte all meinen Cullens verziehen und was Jake anging...von mir würde er keine weitere Annäherung erwarten können. Denn ehrlich gesagt, ich war nicht gut gelaunt. Sehr weit davon entfernt sogar. Aber jetzt ging es nicht um mich, sondern um Bella und Edward und sie hatten verdient, dass ich ihnen meine ganze Aufmerksamkeit und vor allem auch mein Lächeln schenkte. Bald, wenn ich wieder allein war, würde die Zeit kommen, in der ich mich mit all den unbeantworteten Fragen auseinander setzen konnte und die ein oder andere angebrachte Selbstkritik adressieren würde.
„Keine Zeit? Das klingt, als hättest du dir viel vorgenommen?“ fragte sie weiter und nippte an ihrem frisch gepressten Orangensaft.
„Eine große Reise will geplant sein.“ antwortete ich und lud mir eine zweite Portion auf.“Ich hab mich nicht einmal für ein Ziel entschieden, also habe ich auch immer noch keine Flugtickets. Ich muss mich für ein neues Aussehen entscheiden und einen Namen finden und das große Kunststück vollbringen, noch heute dazu passende Papiere zu bekommen.“ erklärte ich ihr.
Jasper, der ebenso wie Alice ebenfalls im Raum saß, sich jedoch die meiste Zeit des Morgens gediegen zurück gehalten hatte, blickte vom Studium seiner Zeitung auf.
„Wenn du willst, kann ich das für dich erledigen. Ich hab da so meine Kontakte. Ich brauch nur ein Foto von dir.“ bot er an und ich grinste breit in seine Richtung.
„Das, mein Freunde, das nenne ich nun wirklich Unterstützung. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mir den Papierkram abnehmen könntest.“ sagte ich in seine Richtung, als mir ein noch viel dringenderes Problem einfiel.
„Alice!“ sagte ich erschrocken und sie zuckte bei der Nennung ihres Namens aus meinem Mund sichtlich zusammen. Sie traute dem Braten noch nicht so ganz, auch wenn ich ihr mehrmals versichert hatte, dass ich ihr verzieh und es auch wirklich so meinte.
„Ja?“ antwortete sie nervös und stand auf.
„Ich habe noch überhaupt kein Kleid für morgen.“
Alice ließ erleichtert die Schultern sinken und begann zu lächeln.
„Keine Sorge, Süße, ich habe alles was du brauchst. Sobald ich wusste, dass du bleibst, habe ich mich darüber gekümmert.“
„Danke.“ entgegnete ich beruhigt und trank mein Glas leer. „Leiht mir jemand von euch sein Auto, oder wäre jemand bereit mich zu meinem eigenen zu fahren?“ fragte ich in die Runde, als Emmett ins Zimmer kam.
„Ich hab ihn dir zusammen mit Rose geholt.“ sagte er und warf mir meinen Schlüssel zu. „Und wir waren so frei, die Kaution für ihn zu bezahlen. Er war abgeschleppt. Du hättest ihn nicht so lange auf dem Parkplatz stehen lassen sollen.“ grinste er und ich beeilte mich zu ihm zu kommen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken.
„Wow.“ war seine Erwiderung. „Du scheinst ja wirklich gute Laune zu haben. Kein bisschen traurig, oder wütend mehr?“ fragte er mit deutlicher Skepsis weiter.
„Weisst du was, Emmett? Manchmal, wenn ich traurig bin, dann hör ich einfach damit auf und bin es nicht mehr. Ich habe jeden Morgen die Wahl...“ ich zwinkerte ihm zu und warf noch einen Kuss in die Runde, bevor ich buchstäblich aus dem Haus floh.
In meinem Wagen erlaubte ich mir erst einmal tief durchzuatmen und mir dieses eklige, falsche Lächeln von den Lippen zu wischen. Es fiel mir nicht leicht in der Gegenwart der Cullens und Bella, so zu tun, als habe ich mein inneres Gleichgewicht wiedergefunden. Aber für mein kleines Schauspiel beim Frühstück hätte ich stehende Ovationen verdient, wenn die Zuschauer wüssten, wie es in mir drin wirklich aussah. Ich war immer noch verletzt und ein Teil von mir, konnte immer noch nicht die Wut aus der Hand legen, die mir das Theater vom Vorabend verursacht hatte.
Ich startete den Motor, nachdem ich die Spiegel neu eingestellt hatte und machte mich auf den Weg nach Forks. Zu meinem Verdruss stellte ich auf der Fahrt fest, dass ich mich überhaupt nicht um ein Hochzeitsgeschenk gekümmert hatte und wäre am liebsten umgedreht, um nach Seattle zu fahren. Welche grandiosen Kleinode würde ich schon in einer Kleinstadt finden können, die den beiden gerecht werden würde?
Doch da ich bereits am Ortseingang war, als es mir einfiel, beschloß ich mich erstmal hier umzusehen.
Mein mein erster Weg jedoch führte mich ins ortsansässige Reisebüro. Die Auswahl an Flügen am kommenden Sonntag war mehr als dürftig, und die meisten Flüge verließen nicht einmal die Staaten. Das erste Ziel, dass mir weit genug entfernt schien, war Moskau und obwohl mir ein sonniges Plätzchen lieber gewesen wäre, kaufte ich ein einfaches Hinflugticket und bedankte mich bei der freundlichen Verkäuferin, bevor ich das Büro wieder verließ.
Ohne festes Ziel, streifte ich durch die Straßen von Forks, blieb am ein oder anderen Schaufenster stehen und besah mir die Auslagen.
Mich trieb nichts zurück zum Haus der Cullens. Viele der Gäste würden bereits heute eintreffen und ich hatte wenig Lust dazu, inmitten von allerlei Vampiren, eine Verwandte Bellas zu spielen.
Nach der für mich relativ langen Zeit hier in Washington, lernte ich diesen ruhigen Moment mit mir allein, auf eine neue Art und Weise schätzen. Einsamkeit war keine erstrebenswerte Lebenshaltung, aber immer umringt von anderen zu sein, konnte auf die Dauer ebenso anstrengen.
In einem keinen Antiquitätengeschäft, fand ich überraschenderweise doch ein kostbares Kleinod, dass ich sofort kaufte und sicher in meinem Auto verstaute.
Gegen Mittag machte ich eine Pause in einem kleinen Café, denn mein Hunger war beinahe allgegenwärtig. Da ich die Jagd mit Rosalie und Emmett nicht dazu genutzt hatte, ein Tier zu erlegen, war meine letzte Blutmahlzeit nun schon mehr als lange her. Und allmählich begann mein Körper mir mitzuteilen, dass ihm das keinesfalls gefiel.
Ich bestellte mir eine kleine Portion Cesars Salad und eine große Portion fettiger Countrypotatoes, in der Hoffnung, das es bis zum Abend reichen würde. Ich glaubte nicht, dass ich eine Chance zur Jagd bekommen würde, bis ich auf russischem Boden war.
Gedankenverloren stocherte ich in meinem Grünzeug herum und fragte mich insgeheim, warum ich es bestellt hatte
Ich brauchte nicht auf meine Figur zu achten und sonderlich wohlschmeckend war es auch nicht.
Ich schob den Teller daher zur Seite und griff zu der Schüssel Pommes, als etwas in meiner Jackentasche zu vibrieren begann.
Kurz stutzte ich, bevor ich meine Hand in die Tasche steckte und mein Handy hervorzog.
Skeptisch betrachtete ich die Nummer der eingegangenen Nachricht, die mir nicht im Geringsten bekannt vorkam. Die Cullens waren alle fest abgespeichert und ansonsten hielt ich keine Kontakte.
Mir begann unwohl zu werden und mit zittrigen Fingern öffnete ich die Nachricht.
Sorry, ich hab´s versaut.
Jake
Ich starrte mit großen Augen auf diese wenigen Worte und augenblicklich spürte ich erneut das Gefühl der Enttäuschung und Wut in meinen Eingeweiden. Ich klappte das kleine, schwarze Gerät wieder zu und steckte es zurück in meine Tasche. Missmutig stopfte ich mir eine Pommes zwischen die Lippen, bevor ich das Handy ein weiteres Mal hervorzog. Ich hatte bereits auf den Antworten-Knopf gedrückt, als ich es doch wieder abschaltete und vor mir auf den Tisch legte.
Ja, Jake hatte es versaut und ich hatte keine Ahnung, was ich ihm darauf antworten sollte. Vorher er die Nummer hatte, konnte ich mir denken. Nachdem sich der gesamte Cullen-Clan dazu entschieden hatte, gemeinsame Sache mit Jake zu machen, war es nicht schwer, den Schuldigen bei ihnen zu finden.
Nervös trommelte ich mit den Fingern auf dem Resopal des Tisches herum, bevor ich beschloß, dass ich ihn ruhig wissen lassen konnte, dass ich ihm recht gab.
Ja, das hast du.
Meine Antwort fiel knapp aus, er konnte froh sein, dass ich überhaupt antwortete und nur mit äußerstem Unbehagen merkte ich, wie ich nervös auf eine weitere SMS zu warten begann.
Und ich wurde nicht enttäuscht. Kurze Zeit später, leuchtete das Display meines Handys blau auf und vibrierend tanzte der Apparat über den Tisch.
Können wir reden?
Ich stieß die Luft mit einem pfeifenden Geräusch aus mein Lungen und hielt sie abrupt wieder an, als die Kellnerin fragend zu mir herüber blickte.
Sollte ich es ihm wirklich so einfach machen? Ich wägte meine Wut gegen meine Sehnsucht nach einem Gespräch mit ihm und der schwindenden Zeit, die uns blieb, ab und entschied, dass ich keine Ahnung hatte, was ich tun sollte.
Keine Zeit. Bin in der Stadt unterwegs.
tippte ich schließlich in das kleine Nachrichtenfeld und bestellte mir noch einen großen Latte Machiato, während ich ungeduldig auf Jakes nächste Worte wartete.
Bitte, komm vorbei...bitte.
Erneut seufzte ich. Ich verspürte deutlich das Verlangen danach, seiner Bitte nachzugeben. Denn ich war scheinbar ebenso versessen darauf, seine Entschuldigung und seine Erklärung zu hören, wie er es war, sie mir zu geben.
Ich kaute auf meinem Daumennagel, bis er abbrach dann leerte ich mein Glas und winkte die Kellnerin heran, um meine Rechnung zu begleichen.
Auf dem Weg zurück zum Auto, ließ ich mir Zeit. Er würde warten können. Zudem war ich immer noch nicht davon überzeugt, das Richtige zu tun, wenn ich jetzt zu ihm fuhr. Keinesfalls wollte ich ihm das Gefühl geben, dass ich ihm hinterher lief, auch wenn ich wusste, dass ich genau das im Begriff war zu tun. Aber alles analysieren der Situation brachte mich ebenso wenig weiter, wie die Sache logisch anzugehen. Meine Gefühle für Jake waren eben nicht logisch und ich wollte auch nicht noch vor ihm so tun, als ob es mir egal war. Ich wollte wissen, was er mir zu sagen hatte, wollte seine Stimme hören und verstehen, was ihn dazu getrieben hatte, die Kontrolle zu verlieren.
Erst als ich am Auto angekommen war, öffnete ich mein Handy ein weiteres Mal und tippte eine kurze Nachricht.
Bin auf dem Weg. In 20 Minuten am Strand.
Um von meinem Vorhaben nicht wieder abgebracht werden zu können, schaltete ich daraufhin mein Gerät komplett ab und setzte mich hinters Steuer. Ich fuhr langsam, hielt mich an jede Geschwindigkeitsbegrenzung. Es war ein eigenartiges Gefühl. Auf der einen Seite fühlte ich mich wie magisch von Jake angezogen, ein Teil von mir hatte ihm sogar bereits verziehen. Doch mein verletztes Alter Ego war noch nicht bereit, die gestrige Wut vollkommen aus der Hand zu geben. Und dann war da die Angst. Die Angst vor dem, was er mir vielleicht sagen würde und dass es mir nicht gefallen könnte. Doch alles Schleichen blieb am Ende nutzlos, denn schließlich erreichte ich den Strand und viel zu schnell hatte ich meinen Wagen in eine der schmalen Parkbuchten manövriert. Mit zitternden Knien stieg ich aus und blickte zum Strand hinüber. Augenblicklich legte sich mein Blick auf Jakes Gestalt und ich musste den bitteren Geschmack im Mund herunterschlucken. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Seite des Monte Carlo und verbarg meine Hände in den Taschen meiner Lederjacke. Bis hierher war ich gegangen und ich würde keinen Schritt weiter gehen.
Jake kam auf mich zu, der Wind spielte mit seinen kurzen Haaren und zog an seinem schwarzen Shirt. Die Luft war geschwängert von seinem atemberaubenden Duft und in dieser Sekunde wusste ich, dass ich nicht hätte herkommen dürfen, wollte ich weiter wütend auf ihn sein.
Als er mich fast erreicht hatte, wurden seine Schritte langsamer, bewusster und doch als habe auch er Angst vor der Konfrontation. Ich senkte meinen Blick gen sandigen Boden, als er sich vorsichtig vor mich stellte. Seine Hände umschlossen die unteren Ecken meiner Jacke, hilflos und als müsse er ihnen etwas zu tun geben. Die Wärme seines Körpers umhüllte mich sogleich und sein Duft weckte mein Verlangen nach ihm, doch ich verharrte eisern in meiner Position.
„Hi.“ flüsterte er rau und lehnte seine Stirn gegen meine, den Blick ebenso gesenkt.
Ich brachte keinen Ton über die Lippen, nur zu einem schwachen Nicken schien ich noch fähig.
Seine Nähe benebelte mich und er als wisse er dies, machte er keine Anstalten sich von mir zurückzuziehen.
„Danke, dass du gekommen bist.“ sagte er leise, seine Wange nah an meiner.
Aber auch darauf fand ich keine Erwiderung. Ich brauchte alle Kraft, um ihm nicht um den Hals zu fallen, ihn ebenfalls zu berühren und so zählte ich im Stillen die Sandkörner auf dem Boden, scheiterte jedoch stets bevor ich auch nur bis 10 gezählt hatte.
„Hör zu...“ begann Jake sanft und bewegte sich immer noch keinen Zentimeter. Aber dieses Mal war es anders als gestern. Trotz seiner Nähe fühlte ich mich heute nicht von ihm bedrängt, sondern beschützt. „ich hab mich wie ein Idiot aufgeführt und es tut mir leid, wenn ich dich damit verletzt habe. Mein Verhalten war kindisch, ich habe die Kontrolle verloren.“
Wenn ich jedes Mal einen Dollar dafür bekommen würde, wenn man mir sagte, dass die Wölfe Kontrollschwierigkeiten hatten, ich wäre eine noch reichere Frau.
Ich wollte etwas erwidern, aber Jake legte mir seinen Zeigefinger weich auf die Lippen.
„Shht...ich möchte noch mehr sagen. Ich werde versuchen, dir zu erklären, warum ich die Kontrolle verlor.“
Ich hob den Blick und suchte seine Augen. Jakes Finger streichelten über meine Wange, was meine Nackenhaare dazu brachte, sich aufzustellen.
„Du hast gestern so süß ausgesehen.“ Jake lächelte weich und strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Und du hast so gut gerochen...“ er schloß die Augen und ich blickte ihn aufmerksam an, ich wollte keines seiner Worte verpassen. „ Und als du mit Embry getanzt hast, habe ich Angst bekommen.“ er hielt inne und ließ die Zipfel meiner Jacke los. „Angst, dass wenn ich mich nicht auf dich präge, es vielleicht jemand anderes tut. Angst, dass du wirklich gehst und ich keine Chance mehr haben würde, dir zu sagen, dass du mir wichtig bist.“ er machte eine kurze Pause „Ich gebe zu, dass die Wahl meiner Mittel nicht wirklich ausgereift war, aber ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen und...es tut mir wirklich leid, Lexi, verzeih mir.“
Nun war ich diejenige, die ihm den Finger auf die vollen Lippen legte.
„Das habe ich bereits, als du „Hi“ sagtest“ ich schenkte ihm ein unsicheres Lächeln und atmete tief durch.
Erleichtert wich die Anspannung aus seinem Körper und wieder lehnte er seine Stirn gegen meine.
„Es tut mir so, so leid. Ich war ein Idiot.“ entschuldigte er sich weiter und ich legte ihm beruhigend, meine Arme um die Mitte.
„Vergeben und Vergessen.“ sagte ich ruhig und genoss nun ohne schlechtes Gewissen seine Nähe.
„Aber bitte versprich mir, dass du mich nie wieder so überfallen wirst, okay?“ fragte ich ihn, immer noch lächelnd, um ihn zu beruhigen.
„Ich verspreche dir alles, was du willst.“ entgegnete er und ich musste lachen.
„Sei vorsichtig mit dem was du sagst, ich könnte mich daran erinnern.“ scherzte ich und plötzlich war es wieder da.
Das Kribbeln im Bauch, die Armee von Schmetterlingen, die nur auf den Start warteten und es war ein tolles Gefühl.
Ich spürte die Wärme seiner Haut unter meinen Fingern, durch den Stoff seines Shirts dringen und ich hörte sein Herz aufgeregt und schnell schlagen.
Und bei Gott, ich war süchtig nach diesem unwiderstehlichen Duft, der in mir widerzuhallen schien und jeden Winkel meines Seins ausfüllte.
Ich schluckte nervös, als Jakes Gesicht sich meinem näherte und ich hielt den Atem an, als sich meine Augen schlossen in Erwartung seiner Berührung.
Sein Atem strich warm über meine Haut und ich hob meine Lippen seinen instinktiv entgegen. Alles Denken schaltete sich aus, die Vorfreude in mir war schmerzlich süß, doch plötzlich durchbrach ein entfernt klingendes Heulen meine Gedanken.
Jake sank in sich zusammen und seine Stirn legte sich auf meine Schulter.
„Mist!“ zischte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen. „Ich muss gehen, Lex. Das ist Sam.“ er hob den Blick und sah mich entschuldigend an. Hin und hergerissen zwischen dem Wunsch hier zu bleiben und dem Drang, dem Befehl des Leitwolfs Folge zu leisten.
„Schon gut. Geh...“ ganz konnte ich die Enttäuschung in meiner Stimme nicht verbergen, doch ich gab mir die größte Mühe, sie zurück zu halten und lächelte aufmunternd.
Jake löste sich von mir, blickte unentschlossen zum Waldrand hinüber, der abseits des Strandes begann und seufzte dann laut und deutlich.
„Tut mir leid.“ etwas unbeholfen kam er wieder näher, drückte einen kurzen Kuss auf meine Stirn und lief dann die Böschung zum Strand hinunter. Als er den Sand unter den Füßen spürte, drehte er sich noch einmal im Lauf um und lief einige Meter rückwärts.
„Wir sehen uns morgen? Auf der Hochzeit?“ rief er fragend zu mir herüber und ich nickte.
„Ja, wir sehen uns morgen.“
Lange war ich allein am Strand zurückgeblieben und hatte der Sonne dabei zugesehen, wie sie in gleißendem Rot und tiefem Orange am Horizont verschwunden war.
Ein weiteres Mal war ich dabei in Gedanken versunken und hatte meine Situation erneut von allen Seiten betrachtet. Dabei allein zu sein tat mir gut. Denn es schien mir, dass sobald Jake in meiner Nähe war, jemand in mir einen Schalter umlegte, der jedwedes logische und konzentrierte Denken einfach unmöglich machte.
Auch die Abwesenheit der Cullens hatte ihre Vorteile. Nur mit mir allein, konnte ich die Dinge klarer sehen, unbeeinflusst von meinen Gefühlen zu ihnen. Gänzlich ignorieren konnte ich diese Empfindungen jedoch nicht und so tauchten immer wieder Ideen auf, die mir erlauben würden, hier zu bleiben. Ich könnte einfach ein Aussehen annehmen, dass keiner von ihnen kannte und mich in Forks niederlassen.
Natürlich würde ich dabei nicht verraten können, dass ich mich immer noch hier befand, aber die Möglichkeit ihnen wenigstens von weitem nah zu sein, war überaus verlockend. Auch in Anbetracht, dass ich damit den schmerzhaften Weg, Jake zu verlassen, nicht würde gehen müssen. Das Risiko, das diese Idee jedoch beinhaltete, ließ sie mich am Ende wieder verwerfen. Zumal sie sicherlich alle nicht erfreut darüber wären, wenn sie herausfänden, dass ich sie nicht ins Vertrauen gezogen hatte. Also war alles was mir jetzt blieb, ein weiterer Tag und eine Nacht, wenn ich die gerade heraufziehende nicht mitrechnete.
Ich rechnete sie nicht mit, denn so sehr ich auch darauf gehofft hatte, Jake war nicht zurück gekommen. Und ich würde so schnell nicht zurück zum Haus der Cullens gehen.
Die Denalis waren jetzt bestimmt schon eingetroffen, ebenso wie die anderen Vampirgäste und ich konnte mich meiner jahrelang antrainierten Vorsicht nicht erwehren, solche Ansammlungen zu meiden.
Ich hatte Alice eine kurze Nachricht geschickt und ihr mitgeteilt, dass ich die Nacht zur Jagd nutzen wolle und sie vor dem Morgengrauen nicht mit mir zu rechnen hatten.
Auch wenn ich wusste, dass sie diese Lüge durchschauen würde, als sei sie aus fragilem Kristall, erlaubte ich sie mir. Und vielleicht würde ich wirklich jagen gehen.
Doch die Schwermut, die der bevorstehende Abschied in mir gesät hatte, ließ mich wie festgewachsen am Strand sitzen bleiben.
Noch nie in meinem Leben war mir etwas so schwer gefallen, wie diesen Ort wieder zu verlassen. Ich wusste immer noch nicht, was Jake für mich empfand. Ich war ihm wichtig, aber welche Bedeutung dies für ihn hatte, war mir immer noch verborgen. Ich brauchte Zeit, doch zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keine.
Ich hatte mir schon mehr Tage gegönnt, als es für alle Beteiligten gut gewesen wäre und der Morgen nach der Hochzeit war einfach ein perfekter Abreisetag. Die anderen Vampire würden mir helfen meine Spuren zu verwischen, Edward und Bella würden sich auf Hochzeitsreise befinden und die restlichen Cullens, bis auf Esme und Carlisle, würden sich nach Dartmouth aufmachen.
Und Jake...Jake würde verstehen müssen, dass ich gehen musste. Dass es keinen Weg für uns gab, so sehr ich ihn mir auch wünschte.
Und es war besser so.
Ich würde meine Erinnerungen an ihn mitnehmen und vielleicht würde ich ihn wieder treffen, wenn ich die Cullens das nächste Mal besuchte und er würde glücklich sein, ohne mich, die richtige Frau an seiner Seite, geprägt und zuversichtlich in seine Zukunft blickend. Das wollte ich ihm keinesfalls nehmen.
Die Nacht brach herein, während ich immer noch im kälter werdenden Sand saß und das silberne Licht des aufgehenden Mondes im Wasser bewunderte.
Irgendwann, schwor ich mir, irgendwann würde ich mein Leben zurück bekommen und niemand würde mir mehr Angst machen können.
Wie ich es Alice gesagt hatte, löste ich mich erst aus meiner Starre, als sich der Himmel von Schwarz auf dunkles Blau verfärbte und ich den Tau in der Luft schmecken konnte. Meine Glieder waren vom langen Sitzen steif geworden und ich fühlte mich, als könne ich meine 200 Jahre das erste Mal wirklich spüren.
Ich setzte mich in meinen Wagen, schenke der aufgehenden Sonne einen letzten, sehnsüchtigen Blick und startete den Motor.
Während der Fahrt zum Haus der Cullens, begann ich meine Fassade für den heutigen Tag aufzubauen. Ich ließ meine Wangen rötlich schimmern und die Ringe unter meinen Augen verschwinden, übte mehrfach mein Lächeln und baute eine Mauer um den Schmerz in meiner Brust. Ich würde mit meiner Melancholie diesen Tag nicht ruinieren, sondern mich freuen, dass Edward und Bella von nun an, für ewig zusammen gehören würde. Auch wenn sie das in meinen Augen auch ohne eine Heirat würden.
Mit klopfendem Herzen erreichte ich schließlich die Auffahrt der Villa und sah, dass Emmetts Jeep immer noch fehlte. Ich wusste, dass die Jungs Edward zu einem Junggesellenabschied entführt hatten und es überraschte mich ein klein wenig, dass sie noch nicht zurück waren.
Schon der Weg zum Haus, zeigte deutlich welche großen Dinge heute von Statten gehen sollten. Alice hatte sich selbst übertroffen, die gesamte Auffahrt war geschmückt mit Lichtern und kleinen, weißen Satinschleifen und als ich die Tür ins Innere öffnete, umwehte mich ein zauberhafter Duft aus Fliedern, Magnolien und Rosen. Ich hörte Stimmen aus dem Wohnzimmer dringen und begab mich als erstes dorthin.
Carlisle blickte sanft in meine Richtung und streckte seine Hand nach mir aus.
„Ah Lexi...darf ich dir ein paar Verwandte Edwards vorstellen?“ fragte er und ich lächelte gekonnt wohlwollend, während ich an seine Seite trat.
„Das sind Tanya, Kate, Eleazar und Carmen.“
Ich wusste wer sie waren, es gab wohl kaum einen Clan oder Vampir, den ich nicht kannte und dessen Geschichte mir nicht erzählt worden war. Caius hatte es für unabdingbar gehalten, dass ich mich in unserer Welt auskannte und mir alles erzählt, was er wusste.
Dennoch nickte ich ihnen freundlich zu.
„Freut mich, Euch kennenzulernen.“ sagte ich und erhielt ebenso freundliche Bestätigung meiner Worte.
„Ist Bella schon oben?“ fragte ich an Carlisle gewandt und er nickte.
„Ja, Alice lässt niemanden nach oben, sie sind mitten in ihren Vorbereitungen.“
„Sie wird mich schon reinlassen, ich muss mich schließlich auch noch fertig machen.“ ich entschuldigte mich höflich und nahm die Treppen nach oben.
„Alice?“ rief ich fragend, nicht wissend in welchen der unzähligen Badezimmer sie sich wohl verschanzt hatten, als sie bereits antwortete.
„Hier drüben.“
Ich folgte ihrer Stimme ins Badezimmer von Edwards Zimmer und klopfte unnötigerweise noch einmal an die verschlossene Tür.
„Komm rein.“ hörte ich Bellas zittrige Stimme und betrat den Raum. Augenblicklich blieb mir der Mund offen stehen und ich vergaß, wie man ihn wieder schloß.
„Du siehst....wow...“ stotterte ich in ihre Richtung, wurde aber von Alice sofort zur Seite geschoben.
„Steh mir nicht im Weg rum, Süße. Ich bin noch lange nicht fertig.“ sagte sie und ich suchte mir eine kleine Ecke, um mich dort klein zu machen und niemanden zu stören.
„Und schöne Jagd gehabt?“ fragte mich Alice etwas pikiert, denn sie wusste, dass ich nicht jagen gewesen war.
Ich nickte schuldbewusst.
„War ´ne nette Nacht.“ sagte ich kleinlaut, sah dann aber ihr Lächeln und stimmte mit ihr darin ein.
Bella saß vor dem großen, verhangenen Spiegel und deutlich war zu erkennen, dass sie ein nervöses Bündel war.
„Wirst du es überleben?“ fragte ich sie und hätte sie am liebsten sofort in den Arm genommen.
„Mein Plan ist, es eben nicht zu überleben.“ lachte sie rau und begann ihre Hände zu kneten.
„Das hat Zeit, Kleine.“ sagte Alice und vollführte komplizierte Pinselstriche auf Bellas Lidern.
„Immer daran denken, du heiratest Edward. Das ganze Drumherum ist unwichtig.“ versuchte ich sie zu beruhigen und erntete einen bösen Blick von Alice.
„Das unwichtige Drumherum hat mich Wochen an Arbeit gekostet.“ echauffierte sie sich und ich grinste.
„Verzeihen sie Mylady, ich wollte ihre Arbeit keineswegs denunzieren.“ ich verbeugte mich leicht.
„Apropos, dein Kleid habe ich in dein Zimmer gehangen, es wäre schön, wenn du ebenfalls beginnen könntest, dich zurecht zu machen und tu mir einen Gefallen, geh bitte duschen. Du riechst nach Hund.“ sie rümpfte die Nase und unwillkürlich begann ich an mir zu schnuppern.
„Okay, alles was du sagst. Hast du noch andere Anweisungen für mich? Kann ich dir irgendetwas abnehmen oder noch besorgen?“ fragte ich zurück, doch Alice schüttelte den Kopf.
„Mach dich fertig und lass dir von Rosalie die Haare machen. Alles andere habe ich im Griff.“ sagte sie und ich salutierte vor ihr.
„Ganz wie ihr wünscht Mylady.“
Ich schenkte Bella noch ein aufmunterndes Lächeln und verließ dann das Bad, um ins Gästezimmer zu gehen.
Als ich das Kleid sah, dass Alice für mich vorgesehen hatte, musste ich schlucken.
Unbestritten, es sah toll aus, aber musste es wirklich so kurz sein?
Ich wollte gerade zurück zu ihr gehen und aufbegehren, als ich mich daran erinnerte, wie sehr ich ihre Auswahl bei anderen stets bewundert hatte und beschloß, dass ich ihr ruhig einmal würde vertrauen können.
Die Dusche war schnell hinter mich gebracht und mit einem Seufzen zwang ich mich in den türkisen Traum aus Pailletten und fließendem Stoff.
Auf einer Seite war es schulterfrei, während mein anderer Arm von dem wallendem Stoff verdeckt wurde.
Die High-Heels, die Alice dazu gestellt hatte, passten perfekt zur Farbe und ich schlüpfte hinein, wobei ich augenblicklich meine Zehen qualvoll aufschreien hörte.
Auf meinem Nachttisch fand ich eine kleine Schatulle und mit neugierigen Fingern öffnete ich sie.
Alice hatte wirklich an alles gedacht. Zwei passende Ohrringe und eine eng anliegende Halskette würden mein Aussehen heute krönen.
Ich legte alles an und stand nun etwas hilflos vor dem Spiegel.
Auf dem Rand des Waschbeckens hatte Alice jede Menge Cremes und Farbtiegel vorbereitet, als wüsste sie nicht, dass ich mich damit einfach nicht auskannte.
Erneut seufzte ich, als meine Rettung nahte.
Rosalie kam zu mir und grinste, sie trug das gleiche Kleid, nur in einem tiefen Rot.
„Brauchst du Hilfe?“ fragte sie lächelnd und ich nickte sofort und schnell.
„Das wäre super.“
„Dann setz dich, ich kümmer mich um dich.“ lächelte sie und ich ließ mich auf den kleinen Hocker fallen, der neben dem Waschtisch stand.
Mit Unbehagen ließ ich Rosalie ihre Arbeit verrichten, meckerte hier und da über kitzelnde Pinselhaare und den seltsamen Geschmack des Lippenstifts. Rosalie ertrug mich mit stoischer Ruhe und lachte nur, wenn ich mich wieder einmal wie ein trotziges Kind aufführte.
Nach einer knappen Stunde, durfte ich ihr Werk erstmals begutachten und zu meinem Erstaunen, gefiel mir was ich sah.
Rose hatte meine Haare zu leichten Locken gedreht und locker zusammengesteckt. Meine Erscheinung gefiel mir, aber ich wusste, dass ich weit von dem entfernt war, was Bella und präsentieren würde. Und das war gut so. Sie war schließlich die Braut.
„Und was machen wir jetzt?“ fragte ich Rose, die die Schultern zuckte.
„Runter gehen und warten, dass es anfängt?“ sagte sie und ich nickte.
„Ich werd fast so aufgeregt, wie Bella.“ lachte ich, aber Rose schüttelte den Kopf.
„Bitte nicht, ein nervliches Wrack im Haus sollte doch reichen, oder?“ antwortete sie und ich musste ihr bedingungslos zustimmen.
Also taten wir das Einzige, was wir tun konnten. Wir warteten.
Gegen 13 Uhr versammelten sich immer mehr Gäste im Haus der Cullens und mir fiel es nicht schwer, zwischen Vampiren, Wölfen und Menschen zu unterscheiden.
Embry, Quil und ein weiterer Quileute waren mit die ersten, die aufschlugen und ich sah ihnen an, dass sie sich nicht wirklich wohl fühlten und diese Situation nur Bella zuliebe aushielten.
Ich winkte ihnen vom anderen Ende des Raumes zu und froh jemanden, erkannt zu haben, kamen sie zu mir herüber.
„Hi Lexi.“ begrüßte mich Embry und ich umarmte ihn kurz, ebenso wie Quil, der mir gegenüber immer noch ein schlechtes Gewissen zu haben schien.
„Das ist Seth Clearwater.“ stellte mir Embry den dritten in ihrem Bund vor und ich reichte ihm die Hand. „Hi, schön dich kennenzulernen.“
Es war schön endlich auch ein Bild vom Rudel zu haben, nach all den Geschichten, die mir Jake bereits von ihnen erzählt hatte. Seth schien ein freundlicher Junge zu sein, dem die Anwesenheit der vielen Vampire nicht im Geringsten etwas auszumachen schien.
„Du siehst echt super aus.“ machte mich Embry ganz verlegen und ich schenkte ihm ein dankendes Lächeln.
„Ihr habt euch aber auch ganz schön in Schale geworfen.“ entgegnete ich und bestaunte erneut ihre schwarzen Anzüge, die ihre maskulinen Figuren reizvoll unterstrichen.
„Was macht man nicht alles, um den Frieden zu bewahren.“ seufzte Quil und ich verstand.
Es gefiel den Wölfen immer noch nicht, dass Bella sich dem Cullen Clan anschließen wollte und trotz ihrer natürlichen Abneigung gegen Vampire, waren sie bereit es zu dulden, solange es Bella selbst wollte.
Das galt natürlich nicht für Jake. Die Hochzeit hatte er akzeptieren müssen, doch eine Verwandlung Bellas war für ihn immer noch indiskutabel.
Lange hatte Bella Angst gehabt, er würde deswegen nicht zur Hochzeit kommen, obwohl sie so sehr auf ihn als Trauzeuge zählte.
Aber ich war mir sicher, dass er auftauchen würde. Schließlich wusste er, was es uns alle gekostet hatte, ihn herzubringen. Würde er kneifen, müsste ich ihn wohl oder übel herschleifen.
Doch das brauchte ich nicht.
Jake kam schließlich eine halbe Stunde später. Er schob einen älteren Mann im Rollstuhl vor sich her und ich sah das Unbehagen in seinem Blick.
Doch rührte es sichtlich nicht von der Tatsache, hier zu sein, sondern von dem unbequemen Anzug, den er trug. Immer wieder fuhren seine Finger an die schwarze Fliege und versuchten sie etwas zu lockern, als würde sie ihm die Luft abschnüren.
Embry, Quil und Seth entschuldigten sich bei mir und begrüßten sowohl Jake, als auch den Mann im Rollstuhl, in dem ich Billy, Jakes Vater erkannte.
Jakes Blick suchte mich und als er mich gefunden hatte, machte er große Augen und formte mit seinen Lippen stumm das Wort „Wow“.
Ich musste kichern und formte ein knappes „Dito“ zurück. Dann winkte er mich zu sich herüber und erst jetzt da ich eingeladen war, traute ich mich hinüber zu gehen.
„Hi schöne Frau.“ sagte Jake freundlich und umarmte mich liebevoll. Sofort wurde mir von seiner Nähe ein weiteres Mal schummrig.
„Das ist Billy, mein Vater. Dad? Das ist Lexi. Ich hab dir von ihr erzählt.“
„Freut mich sie kennen zu lernen, Mister Black.“ sagte ich leicht verlegen und streckte ihm meine Hand entgegen. Für einen kurzen Moment sah ich ihn zögern, bevor er meine Hand ergriff und sie warm schüttelte.
„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite.“ antwortete er und ich fühlte mich irgendwie beruhigter.
Ich stellte mich wieder neben Jake und wie selbstverständlich legte sich sein Arm um meine Mitte, was augenblicklich einen elektrisierendes Schlag durch meinen Körper sandte.
Ich stellte mich leicht auf die Zehenspitzen, um in sein Ohr flüstern zu können.
„Und? Wirst du den Abend überstehen?“
Jake drehte den Kopf in meine Richtung und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht.“ sagte er leise und es schien mir, als würde er nicht mich festhalten, sondern dass er sich an mir festhielt.
„Ich bin bei dir.“ flüsterte ich zurück und griff nach seiner freien Hand, um sie sanft zu drücken.
Doch dieses Versprechen wurde abrupt von Rose gebrochen, als sie in der Tür auftauchte und mich hektisch zu sich winkte.
„Tut mir leid.“ sagte ich zu Jake und nur ungern entzog ich mich seiner Nähe. Doch Rose Gesicht ließ keine Wiederworte gelten.
Ich eilte mich durch den mittlerweile bis zum letzten Mann gefüllten Raum zu ihr zu dringen.
„Es geht gleich los.“ flüsterte sie mir zu, während Carlisle just damit begann die Anwesenden dazu aufzufordern Platz zu nehmen.
Freudige Erregung nahm Besitz von mir, als Jasper, Emmett und Edward durch die rückwärtige Tür ins Innere kamen und der Pastor sich in Stellung brachte.
Edward strahlte Ruhe aus, der Anzug den er trug war perfekt auf ihn zugeschnitten und nie hatte er schöner ausgesehen.
Für einen Moment glaubte ich mein Herz müsse zerspringen, an der Freude die ich für ihn und Bella empfand.
Ich nickte Rose zu, während sie sich ans Piano setzte und begann ein leise Melodie zu spielen.
Ich nahm die Treppen, immer zwei Stufen auf einmal nach oben und erlebte, was ich jetzt eigentlich nicht sehen wollte. Bella schien vollkommen überfordert zu sein und ihr Vater Charlie schien den Tränen nahe zu sein.
Alice mühte sich weiter, alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit die Hochzeit ihren Vorstellungen entsprach.
Sie drückte mir einen kleinen Blumenstrauß in die Hand und wies mich streng daraufhin, dass ich als erstes nach unten zu gehen hatte und erst neben Jake anzuhalten hatte.
Sie selbst würde mir folgen und schließlich würde Charlie Bella eskortieren und ihre Hand in Edwards legen.
Jetzt ging es also los.
Mit zittrigen Knien versuchte ich in den hochhackigen Schuhen meine Balance zu halten, was mir erstaunlich gut zu gelingen schien.
Meine Hände krampften sich um den Strauß aus Fresien und Rosen und schließlich erreichte ich die Treppe die hinab in den Festraum führte. Rose begann den Hochzeitsmarsch zu spielen und ich bemühte mich halbwegs anmutig den Weg zwischen den Sitzen bis hin zu Jake zu bewältigen.
Mein Herz beruhigte sich erst, als ich Jakes Duft wieder intensiver wahrnahm und er mir warm zulächelte.
Kaum, dass ich neben ihm stand drehte er den Kopf leicht zu mir
„Wunderschön.“ grinste er und ich stieß ihm unauffällig in die Rippen.
„Spar dir das auf, bis du Bella gesehen hast.“ raunte ich ihm zu und versuchte damit seinen Blick wieder auf das Offensichtliche zu legen. Die Braut.
Bella sah atemberaubend aus. Alice hatte ganze Arbeit geleistet, denn fast erkannte ich die nervös zitternde Frau an Charlies Arm nicht. Bella war eine Naturschönheit, aber Alice hatte einen Weg gefunden, diesen Umstand noch zu unterstreichen und hervorzuheben.
Ich sah wie allen Anwesenden die Kinnlade herunterfiel und konnte mich bei ihrem Anblick selbst kaum beherrschen, auch wenn ich sie vorher schon gesehen hatte.
Sie verströmte ein inneres Leuchten im Raum, dass ich so bei noch keinem Menschen gesehen hatte.Und sie hatte nur Augen für Edward, der ebenfalls niemanden Außer ihr zu bemerken schien. Ich seufzte leise und hörte Jake neben mir kichern.
Auch er war sichtlich beeindruckt von ihrem Aussehen, aber es schien mehr Bewunderung für eine enge Freundin zu sein. Ich sah kein Glänzen in seinem Blick, dass verriet, dass er verliebt in sie war.
Gebannt lauschte ich den Worten des Pastors, die alle treffend gewählt und rührend waren. Mir schien, als würde die Verbindung zwischen Edward und Bella es schaffen, dass der gesamte Raum nur aus Liebe bestand. Sogar Jake hielt sich zurück und er lächelte sogar ehrlich, als er die Ringe an das Brautpaar reichte.
Ich war stolz auf ihn. Als sich Bella und Edward schließlich küssten, jubelte der gesamte Raum und ich zog mich unauffällig ein wenig zurück.
Schnell hatte sich eine Schlange vor ihnen gebildet und ich wusste, dass es jetzt Zeit für ihre Familien war, sie zu beglückwünschen.
Die Feier war wunderschön. Die Gesichter der Brautleute strahlten mit den Lichtern des Baldachins um die Wette und das Lachen der Gäste erfüllte die Luft mit einer klangvollen Melodie, die sogar den Spielleuten Konkurrenz machte.
Es wurde getanzt, gescherzt und während langsam die ersten Sterne ans Firmament traten, neigte sich der Vorrat an Champagner langsam dem Ende zu.
Auch ich hatte schließlich die Chance erhalten Edward und Bella zu gratulieren und zufrieden festgestellt, dass sie an dem heutigen Tag ausschließlich Augen für einander hatten.
Hier und da hatte es Gelegenheit für kurze Gespräche gegeben, doch im Großen und Ganzen hielt ich mich zurück und sah dem Treiben lieber von meinem Platz aus zu.
Den Kontakt zu den Vampiren mied ich wohlweislich. Ich wollte ihnen keinen Grund für Fragen geben, auch wenn mir Carlisle versichert hatte, dass auf jeden von ihnen Verlass war.
Bellas Familie versuchte ich ebenso zu umgehen.
Denn als eigentlicher Teil von ihr, würde es schnell auffallen, dass ich sie alle nur vom Namen her kannte. Daher blieb ich die meiste Zeit beim Rudel, unterhielt mich voller Ehrfurcht mit Jakes Vater und gewann Seth lieb, der sich so ungezwungen zwischen all den Vampiren bewegte, dass es mein Herz berührte.
Jake hielt sich ebenso zurück. Es schien in seinem Kopf unzählige Fragen zu geben und keine davon stimmte ihn fröhlich. Er beherrschte sich, schenkte Bella immer wieder ein Lächeln und kurz vermeinte ich sogar einen leichten Schulterklapps bei Edward von ihm gesehen zu haben.
Dennoch wusste ich, dass dies alles nur geschah, um Bella diesen Tag nicht zu ruinieren. Er wusste zu gut, wohin dieses Fest schlussendlich führen würde und dass ihm die Hände gebunden waren, dies zu verhindern. Es würde nicht heute geschehen, nicht morgen, vielleicht nicht einmal mehr in diesem Jahr, doch es würde geschehen und er würde nichts anderes tun können, als dabei zuzusehen.
Von meinem Platz aus, sah ich immer wieder zu ihm herüber und bemerkte amüsiert, wie er sich die eng sitzende Fliege abgenommen und wahllos in die Brusttasche seine Smokings gesteckt hatte.
Das hier quälte ihn auf so mannigfache Art und Weise, dass ich Mitleid mit ihm bekam. Ich nahm mein Sektglas, entschuldigte mich bei Billy und schlenderte mit langsamen Schritten auf Jake zu, der an eines der Glasfenster gelehnt auf die Tanzfläche starrte.
In seiner Hand hielt er ebenfalls ein Glas, dessen Inhalt ich eindeutig als alkoholisch identifizierte.
„Wie geht’s dir?“ fragte ich, während ich mich neben ihn gegen die Glasscheibe lehnte.
„Geht schon. Ich breche nicht gerade in Begeisterungsstürme aus, aber ich hab es mir schlimmer vorgestellt.“ gestand er und ich nickte.
„Ich hab Sam gar nicht gesehen.“ streute ich wie beiläufig in unser Gespräch und nahm noch einen Schluck meines Champagners.
„Ja, er schiebt, mit den anderen, Wache. Er wollte nicht die gesamte Rudelstärke auf einen Punkt konzentriert wissen. Einer von uns wird ihn später ablösen, damit er Bella gratulieren kann.“
Jake leerte sein Glas in einem Zug und stellte es auf das Tablett eines vorbei laufenden Kellners und nahm sofort wieder ein volles in Empfang. Ich runzelte die Stirn und sah ihn tadelnd an.
„Korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege, aber soweit ich weiß, ist das Trinken von Alkohol in den Staaten erst ab 21 Jahren erlaubt, oder? Und ich glaube zu wissen, dass du keine 21 bist.“ Ich schmunzelte in seine Richtung und er zuckte mit den Schultern.
„Wo kein Kläger, da kein Richter. Zumal du auch nicht gerade wie 21 aussiehst.“ neckte er mich und trank einen weiteren Schluck.
„Du und ich wissen aber beide, dass ich bereits Alkohol trinken durfte, als du noch als Quark im Schaufenster gelegen hast.“ kicherte ich leise und Jake legte seinen Arm um meine Schulter, zog mich enger zu sich und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.
„Danke, dass du für mich da bist.“ sagte er und räusperte sich, als ob ihm die Worte unangenehm waren. Ich knuffte ihn zärtlich in die Seite und nahm ihm vorsichtig das Glas aus der Hand, um es unauffällig bei Seite zu stellen.
„Das tue ich gerne. Du weißt doch, eine Hand wäscht die andere. Wenn es irgendetwas gibt, dass ich für dich tun kann...“ bot ich ihm an und er seufzte kurz.
„Tanz mit mir.“ Er nahm seinen Arm von meiner Schulter und griff nach meiner Hand, während ich nickte und mich von ihm zur Tanzfläche ziehen ließ.
Die Band spielte ein eher ruhig und verträumt wirkendes Stück, als ich erneut Jakes Hände auf meinen Hüften spürte und die Hitze seines Körpers begann mich zu umfangen.
Wir tanzten nicht nach komplizierten Schrittfolgen, sondern wiegten uns nur im Takt der Musik.
Ich hatte meinen Kopf auf seine Schulter gelegt und seine Finger streichelten weich über meinen Rücken.
Es war nahezu perfekt. Hätte ich nur einen Wunsch in meinem Leben frei gehabt, ich hätte ihn dafür geopfert, dass dieser Tanz nie enden würde. Jakes Nähe lenkte mich von all meinen Problemen ab und wie es schien, konnte ich ihm denselben Dienst erweisen und so genossen wir einfach stumm die Nähe des Anderen. Ich schloss meine Augen und lauschte seinem Herzschlag, während die Musik mich ganz langsam in eine Welt entführte, in der es jeden Tag so sein konnte.
In eine Welt in der es keine Unterschiede zwischen uns gab, die Vergangenheit nicht zählte und es keine Geister gab, die mich verfolgten. Für einen kurzen Moment glaubte ich an diese Welt.
Doch dann hörte ich Jakes Stimme rau und leise an meinem Ohr.
„Geh nicht.“
Meine Seifenblase zerplatzte augenblicklich und all die Dämonen, die ich tief in mir verborgen hatte, kämpften sich ihren Weg zurück ans Licht.
„Ich muss, Jake. Ich habe keine andere Wahl.“ flüsterte ich leise zurück und war mehr als bedacht darauf, dass keiner der Vampire in unserer Nähe war.
„Warum?“ fragte er zurück und ich seufzte gequält auf.
„Bitte lass uns nicht jetzt darüber reden.“ bat ich ihn flehend, wissend dass es keinen anderen Zeitpunkt gab, außer jetzt.
„Okay...lass dir Zeit. Nur nicht zu viel.“ Jakes Verständnis rührte mich und ich wusste, dass ich es nicht mehr allzu lange vor mir herschieben konnte, ihm die Wahrheit zu sagen.
Aber ich hatte Angst. Angst vor seiner Reaktion, wenn ich ihm sagte, dass ich getötet hatte und fast noch mehr Angst davor, wenn er rausbekam, dass ich mich immer noch vor ihm verbarg.
Er kratzte sich leicht an der Nase und lächelte dann entschuldigend zu mir herab.
„Tut mir leid, aber der Gestank dieser Blut...verzeih, der Geruch einiger Anwesenden ist sogar hier draußen kaum zu ertragen. Ich wünschte sie würden alle so gut riechen, wie du.“ Er beugte sich zu mir und verbarg sein Gesicht an meiner Halsbeuge, wo er begann kitzelnd an meiner Haut zu schnuppern. Doch so sehr mir diese Berührung auch gefiel, sie versetzte mich in eine Art Schockstarre.
„Wir sollten wirklich reden.“ sagte ich und hielt in unserer Bewegung inne.
Doch bevor ich noch etwas hatte sagen können, winkte Alice in unsere Richtung. Es war Zeit Edward und Bella in die Flitterwochen zu verabschieden. In meinem Fall, ein Abschied auf unbestimmte Zeit.
Fest hielt ich Jakes Hand umschlossen, während wir umringt von den anderen Gäste, zur Auffahrt gingen, wo sich bereits eine Traube um Edward und Bella gebildet hatte. Ich sah Bellas freudig erregtes Gesicht und Edwards Stolz auf seine Frau. Die Zeit der Zweisamkeit würde ihnen guttun. Von all den Problemen Abstand zu nehmen und nur für einander da zu sein, schienen sie sich mehr als verdient zu haben. Schließlich waren wir ganz vorne und während Bella Jake umarmte trat ich zu Edward. Wir tauschten einen tiefen Blick miteinander und ich schenkte ihm das ehrlichste Lächeln seit Jahren. Seine folgende Umarmung war warm, trotz seiner kalten Haut und ich küsste seine Wange.
„Viel Glück“ wünschte ich und er strich weich über meine Wange.
„Nimm du es, du kannst es besser gebrauchen. Mit Bella an meiner Seite, bin ich bereits der glücklichste Mann der Welt.“
„Teilen wir es uns.“ schlug ich vor und drückte Bella an meine Brust.
„Dass du mir gut auf ihn Acht gibst. Du weißt, er spielt gern den starken Mann.“ zwinkerte ich ihr zu und als sie beide in den Wagen stiegen und davon fuhren, winkte ich ihnen noch lange hinterher.
Dann spürte ich unvermittelt Jakes warme Hand auf meiner Schulter und seine weiche Stimme an meinem Ohr.
„Du wolltest reden...“ Ich nickte, ohne mich umzudrehen und atmete noch ein letztes Mal tief durch.
„Ja, das wollte ich.“ gab ich zu, nahm Jakes Hand und zog ihn mit mir, zurück zum Baldachin.
Ich klaute dem Carterer eine Flasche Sekt und steuerte ungehindert den Wald hinter dem Anwesen an.
„Wo willst du hin?“ fragte mich Jake entgeistert, folgte mir aber immer noch gehorsam.
„Ich will mit dir reden. Aber das können wir nicht hier machen.“ erklärte ich knapp und suchte weiter meinen Weg durch das Dickicht. Jake blieb dicht hinter mir, aber ich konnte mir denken, dass er immer noch nicht verstand, warum ich ihn so entführte.
Erst als ich das Rauschen des Flusses vernahm, verlangsamte ich meinen Schritt und hielt an, als der Abgrund des Ufers vor uns auftauchte.
„Warum hier?“ wunderte sich Jake und ich begann nervös an der Öffnung der Sektflasche zu arbeiten.
„Weil ich nicht möchte, dass noch jemand etwas davon mitbekommt. Wenn wir leise sprechen, hoffe ich, wird das Rauschen des Wassers unsere Stimme soweit verzerren, dass selbst ein Vampir nichts hören kann.“
„Traust du den Cullens auf einmal nicht mehr? Was willst du mir sagen, dass sie nichts wissen dürfen?“ fragte Jake verwirrt und ich reichte ihm die Flasche Sekt, damit er sich daran versuchen konnte sie zu öffnen.
„Ich traue den Cullens, ich traue nur ihren Gästen nicht. Alte Angewohnheit.“ Ich merkte, wie ich fahrig wurde und nicht eine Sekunde still stehen konnte.
„Und was soll das hier?“ Er hob die Flasche und stellte sie dann ungeöffnet einfach auf den Boden, bevor er einen Schritt auf mich zu machte, die Arme leicht ausgestreckt. „Musst du dich betrinken, um Vertrauen zu mir zu haben? Hör mir zu, Lexi. Ich kann in deinen Augen sehen, dass du ständig Angst hast. Du siehst dich immer um, als würdest du mit Verfolgern rechnen und scheinbar willst du nicht gefunden werden. Du zuckst bei fast jedem ungewohnten Geräusch zusammen und stehst ständig unter Spannung. Im Blind Lemon hast du dich zwischen uns unwohl gefühlt, aber ich behaupte, es war weil wir dir keinen Fluchtweg ermöglicht haben, nicht weil wir es waren. Egal, was du mir zu sagen hast, du brauchst keine Angst vor meiner Reaktion zu haben. Nichts was du getan hast, wird mich dazu bringen mich von dir abzuwenden.“
Ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper, denn ich verspürte absolute Kälte.
„Sag nichts, was du später bereuen wirst, Jake. Du weißt nicht, was ich getan habe, du weißt nichts von meiner Vergangenheit und du sprichst, als würde es nicht zählen. Warum tust du das?“
„Weil ich keine Angst vor dem habe was du sagen wirst. Es zählt nicht. Es hat dich zu der gemacht, die du bist und falls du es noch nicht bemerkt hast, ich hab ‘ne kleine Schwäche für dich.“ Er versuchte mich zu einem Lächeln zu animieren, aber ich schüttelte den Kopf.
„Jake, eine kleine Schwäche reicht nicht. Selbst wenn du bis über beide Ohren in mich verliebt wärst...“ Ich rang nach Worten. „...selbst wenn...du dich auf mich geprägt hättest, glaube ich nicht, dass du es verstehen würdest.“ begehrte ich auf, doch Jake blieb mir unverständlicher Weise vollkommen ruhig.
„Dann sag es mir nicht.“ sagte er gelassen und ich verstand die Welt nicht mehr.
„Es dir nicht sagen? Ich soll es dir wirklich nicht erzählen? Wovor ich weglaufe? Warum ich nicht hier bleiben kann?“ fragte ich vollkommen erstaunt.
„Wenn du glaubst, es würde etwas zwischen uns ändern, dann will ich es nicht hören. Jeden Tag, den ich dich kenne, fühle ich mich mehr von dir angezogen. Vielleicht braucht diese ganze Prägungsgeschichte bei mir einfach nur länger. Ich weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, ich kann schon jetzt an nichts anderes mehr denken, als an dich.“ sagte er so vollkommen weich, dass es mich vollkommen aus meiner Fassung brachte.
„Und wenn es bedeutete, dir eine Lüge zu verheimlichen? Willst du die Wahrheit nicht?“
„Wenn du ehrlich zu mir sein willst, werde ich dich nicht davon abhalten. Und ich will sie hören, wenn sie zu wissen bedeutet, einen Weg zu finden, damit du bei mir bleibst.“ entgegnete er offen und ich spürte vor Rührung seiner Worte und der dabei empfundenen Schwermut, die Tränen in meine Augen steigen.
„Du kannst loslassen, Lexi. Halt dich nicht weiter zurück, ich weiß, dass es dir nicht gut geht und dass du eigentlich nicht gehen willst. Ich bin direkt hier bei dir und wenn die ganze Welt sich gegen dich verschwört, ich werde immer zu dir stehen.“
Wortlos fiel ich in seine Arme und hielt mich an seiner Wärme fest, der Äußeren wie Inneren.
Sanft zog er mich zu einem der Bäume an den Klippen und ließ sich mit mir im Arm an einem Baumstamm herunterrutschen. Sorgsam bettete er meinen Kopf auf seiner Brust und streichelte weich über meinen Rücken.
„Wovor läufst du weg, Lexi?“ fragte er mich behutsam und ich legte meine Hand auf seine n Bauch.
„Vor Caius.“ antwortete ich ehrlich und zitterte bei der Nennung seines Namens.
„Wer ist das?“ erwiderte Jake sanft und seine eigene Ruhe begann auf mich abzufärben.
„Vielleicht sollte ich einfach von vorne anfangen?“ sagte ich leise und spürte Jake nicken.
„Caius ist ein Volturi...“ Ich ließ diesen ersten Satz wirken, denn ich wusste Jake würde sich an diesen Namen erinnern.
„Und was hast du mit ihm zu tun?“ Jake ließ mir Zeit und seine Fragen bedrängten mich weniger, als ich es befürchtet hatte.
„Caius hat mich aufgezogen seit ich ungefähr 3 war.“ gab ich unumwunden zu, während Jake mit einer meiner Haarsträhnen zu spielen begann.
„Wo waren deine Eltern?“
„Mein Vater, ein Vampir, war ebenfalls Mitglied bei den Volturi, doch lebte er nicht bei ihnen in Italien. Er bevorzugte, ein Nomade zu sein und zur Zeit meiner Entstehung lebte er in Paris. Er mochte die Anonymität, die ihm diese Stadt auch schon vor 200 Jahren bot. Nun mein Vater war nicht so edelmütig, wie Edward es ist und er unterhielt keine romantische Liebesbeziehung zu meiner Mutter. Gelegentlich amüsierte es ihn, sich mit seinem Opfer zu vergnügen, bevor er es tötete. Allerdings wurde er gestört, bevor er meine Mutter beißen konnte und so war geschehen, was geschehen musste. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und ich kann dir nicht viel von ihr erzählen. Sie bekleidete keinen besonderen Rang oder stammte aus einer adligen Familie. Sie starb allein und ohne Bedeutung, doch ich blieb zurück. Schnell kursierten Gerüchte in der Stadt, von einem Baby, das unnatürlich schnell wuchs. Halbvampire wachsen viel schneller, als normale Kinder es tun und schnell behauptete man von mir, ich sei ein Wechselbalg, gesandt vom Teufel, verflucht oder einfach nur böse. Die Menschen verstanden es nicht und es machte ihnen Angst. Mein Vater hörte all diese Geschichten und er war zu neugierig, als sich herauszuhalten und schnell hatte er eins und eins zusammen gezählt. Doch ein Halbvampirkind war ihm zu viel, doch brachte er es ebenso wenig übers wenig übers Herz mich zu töten. Die einzig logische Wahl erschien ihm darin, mich nach Volterra zu bringen.“ Ich atmete tief durch und sammelte mich einen Moment. Es war das erste Mal seit Langem, dass ich von meiner Mutter und meinem Vater sprach und es fiel mir schwer.
Doch Jake hörte mir zu und seine Streicheleinheiten, zeigten mir, dass es noch nichts gegeben hatte, dass ihn erschreckte. Eher empfand ich seine Berührungen als tröstend.
„Aro zeigte kein wirkliches Interesse an mir. Ein Hybrid, der die Schwäche eines Menschen in sich barg, war in seinen Augen nutzlos. Caius hingegen war vom ersten Moment an, von mir fasziniert und er befahl meinem Vater in Italien zu bleiben, um mich studieren zu können. Als er herausfand, welche Fähigkeiten ich besaß, dass ich Gestalt, Duft, Stimme und Herzschlag eines jeden anderen imitieren konnte, witterte er ungeahnte Möglichkeiten. Er überredete meinen Vater dazu, ihm meine Erziehung zu überlassen und mein Vater nutzte die erste Gelegenheit, um wieder aus Italien zu verschwinden. Caius nahm mich unter seine Fittiche, er lehrte mich alles, was er für wichtig erachtete und er duldete keine Schwäche. Ich war stets versucht ihn zufrieden zu stellen, denn er war alles was ich kannte. Er hielt mich unter Verschluss und ließ niemanden wissen, was ich konnte, oder dass ich überhaupt existierte. Als ich 16 wurde, weihte er mich in seine Pläne ein, von denen er hoffte, er könne sie mit mir realisieren. Du weißt, dass die Volturi so etwas wie die Regierung für uns Vampire sind?“ fragte ich ruhig und Jake nickte.
„Gut. Ähnlich, wie die USA heute die CIA haben, wollte auch Caius eine Möglichkeit, handeln zu können, ohne die Volturi offiziell damit hineinziehen zu müssen. Jemanden, um die Drecksarbeit zu erledigen. Es gab Clans, die ihm zu groß wurden, Vampire in den eigenen Reihen, von denen er befürchtete, sie würden zu einflussreich. Mit meinen Fähigkeiten konnte er sich derer entledigen, die ihm missfielen. Ich gehorchte ihm, tat, was er verlangte und führte jeden seiner Befehle aus, ohne sie zu hinterfragen. Indem ich die Identität anderer annahm, schaffte ich es immer meinen Auftrag zu erledigen. Ich konnte die Schuld auf jemand bestimmten legen, wenn ich in seiner Gestalt auftrat oder ich nutzte die Zuneigung meines Opfer für einen anderen aus. Ich tat es, weil Caius mir immer versicherte, es geschehe zu einem größeren Wohl und dass das Herrschen leider auch unangenehme Aufgaben mit sich brachte.“ Erneut musste ich tief durchatmen und mich sammeln, denn nun begann der Teil, der mich am meisten Kraft kosten würde.
„Ich tötete, Jake. Eiskalt, brutal und ich scherte mich nicht darum, ob ich Unrecht tat oder nicht. Es war mir egal, ich war Caius hörig, blind vor einer Liebe zu ihm, die er nie erwiderte.“
Jake lächelte und ich sah stirnrunzelnd zu ihm auf.
„Hast du wirklich gedacht, ich würde dich hassen, weil du Vampire getötet hast?“
„Jake, ich habe nicht nur Vampire getötet. Während meiner Zeit bei den Volturi habe ich Menschenblut getrunken. Ich kannte es nicht anders und ….es war normal für mich. Ich war in dem Glauben erzogen worden, dass es mein Recht war und ich über den Menschen stand. Ich weiß, dass ist keine Entschuldigung, aber es verfolgt mich jeden Tag.“ Ich richtete mich auf, um Jake in die Augen sehen zu können. Seine Miene schien erstarrt, doch in seinen Augen glänzte etwas, dass ich als Ahnung interpretierte. Er war nicht dumm und hatte sich bestimmt schon zusammen gereimt, dass ich keineswegs immer vegetarisch gelebt hatte.
Doch schien die endgültige Wahrheit ihm dennoch einen Stich zu versetzen.
Er leckte sich über die Lippen und seufzte leise, bevor er meinen Kopf sanft wieder gegen seine Brust drückte.
„Aber deswegen läufst du nicht davon, oder?“ fragte er leise und ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Irgendwann wurde Caius zu leichtsinnig. Mittlerweile ließ er fast jeden von mir ermorden, der auch nur in seiner Gegenwart hustete. Ich begann aufzubegehren und mich zu widersetzen, was Caius keinesfalls gefiel. Er bekam Angst, ich würde zu Aro gehen oder überhaupt an die Öffentlichkeit und ihn verraten. Also beschloss er, dass es Zeit wurde mich zu beseitigen. Ich ahnte nichts davon, denn ich glaubte immer noch, ihn zu lieben. Und ich glaubte, er würde mich lieben und mir erlauben, aufzuhören für ihn zu morden. Er erlaubte es mir...aber auf eine andere Art, als ich es gehofft hatte. An mir wollte er sich jedoch nicht die Hände schmutzig machen, daher schickte er Felix. Sein Pech war jedoch, dass er mich zu gut ausgebildet hatte und Felix zwar immense Stärke besitzt, jedoch bei Denksportaufgaben ziemlich versagt. Ich schaffte es zu fliehen und das ist, was ich seit 200 Jahren tue. Seit ich 17 bin, laufe ich davon. Ich bin eine Gefahr für Caius´ Leumund, obwohl er weiß, dass ein Geständnis mich ebenso sehr das Leben kosten würde, wie ihn. Über die Jahre ist es für ihn, glaub ich, zu einer Art Wettkampf geworden. Er will meinen Tod und zwar um jeden Preis. Daher bin ich ständig inkognito. Mein wahres Gesicht habe ich vor 150 Jahren das letzte Mal gesehen. Ich traue mich nicht, auch nur meine Stimme erklingen zu lassen, geschweige denn, meinen Duft oder mein Gesicht zu zeigen. Ich bleibe nie lange an einem Ort und versuche kein Aufsehen zu erregen.“ schloss ich leise und wartete auf irgendeine Reaktion Jakes.
Er ließ sich Zeit etwas zu erwidern, doch als er es tat, klang er absolut fassungslos.
„Was soll das heißen? Dein wahres Gesicht?“
Jakes Hände hörten auf, mich zu streicheln und sanken zu Boden, bevor er sich, den Blick von mir abgewandt, erhob und einige Schritte von mir weg umdrehte.
Ich starrte einen Moment lang auf seinen Rücken, hilflos und nicht wissend, wie ich ihm erklären sollte, was er eindeutig als Verrat anzusehen schien.
Dann rappelte ich mich unbeholfen hoch und wischte mir abwesend einige Blätter, Dreck und feuchte Erde von Kleid und Beinen.
Alice würde mich töten, wenn sie sah, dass ich das Kleid ruiniert hatte. Fast wünschte ich mir, sie würde jetzt und hier auftauchen, denn dann müsste ich mich nicht mit Jakes Ablehnung beschäftigen. Ich kam mir feige vor, dass ich mich lieber mit Nichtigkeiten, wie einem ruinierten Kleid beschäftigte, wo ich doch ganz andere Dinge zu tun hatte. Ich hatte A gesagt und nun musste ich auch B sagen.
Mit vorsichtige Schritten näherten ich mich ihm und legte eine zitternde Hand auf seine Schulter und spürte augenblicklich, wie er sich unter der Berührung versteifte.
„Jake?“ flüsterte ich angsterfüllt und spürte, wie mein Herz sich schmerzhaft zusammenzog.
„Willst du mir damit sagen, dass das was ich sehe, nicht du bist?“ fragte er tonlos.
„Nein...ähm...ja, schon irgendwie. Ich dachte, du hast gewusst, dass...“
„Gewusst?“ er drehte sich zu mir um und ich sah Enttäuschung in seinen Augen.
„Ich habe gar nichts gewusst...du hast mir gesagt, ich könne dir trauen, du würdest mir beweisen, dass ich dir trauen kann.“
„Du kannst mir trauen, Jake. Ich bin so daran gewöhnt, eine Maske zu tragen, dass ich vergessen habe, dass andere davon ausgehen könnten, es sei keine.“ verteidigte ich mich bitter.
„Oh, das erklärt natürlich alles. Ich bin so ein Idiot. Ich habe wirklich gedacht, dass ich über all das hinwegsehen kann. Über die Tatsache, was du bist und was du getan hast. Ich hab mir gedacht, im Zweifel für den Angeklagten, aber so einfach ist es nicht. Gott, ich bin so bescheuert. Einem Vampir zu vertrauen, was habe ich mir dabei überhaupt gedacht?“ fuhr er auf und ich schreckte zurück.
„Ist es so wichtig für dich, wie ich aussehe?“ brachte ich zitternd hervor und Jake schüttelte müde den Kopf.
„Du verstehst noch nicht einmal, warum du mich damit verletzt, oder?“ beschwerte er sich und wand sich wieder von mir ab.
„Dann erklär es mir bitte.“ flehte ich ihn an.
„Es ist mir egal, wie du aussiehst, aber du hättest mir sagen können, dass ich es mit einer Fassade zu tun habe. Du hättest ehrlich zu mir sein können. Du hättest mir Vertrauen schenken können.“
„Was habe ich denn eben getan? Ich habe dir erzählt, warum ich eine Maske trage, warum ich nicht vertrauen kann. Außer Carlisle, weiß niemand hier, wie ich wirklich aussehe. Verstehst du nicht, dass es gefährlich ist? Für mich und für jeden, der mir etwas bedeutet? Wenn einer der anwesenden Vampire, Wind davon bekommt, wer ich wirklich bin, kann mich das in verdammte Schwierigkeiten bringen. Uns alle...“
„Die anderen Vampire sind seit gestern hier, du seit Wochen. Und du hast nicht einmal das Bedürfnis verspürt, mir zu sagen, dass du nicht der Mensch bist, für den du dich ausgibst?“ Jake sah mich anklagend an und ich schrumpfte unter seinem Blick zusammen.
„Ich habe es dir jetzt gesagt.“ sagte ich trotzig.
„Oh, wie gnädig du bist. Erst lässt du mich Wochen in Unwissenheit und nun soll ich dir anrechnen, dass es nicht Monate waren?“
„Hättest du mir eine Chance gegeben, wenn du gewusst hättest, dass ich mich vor dir verberge?“
Jake verstummte und einen Moment lang, sah er wortlos auf das reißende Wasser im Flussbett hinab.
Dann schüttelte er langsam den Kopf.
„Nein, ich denke nicht.“ gestand er und seufzte. „Warum muss es immer so schwierig sein?“
„Weil es immer schwierig ist.“ ich machte einen Schritt auf ihn zu, schlang vorsichtig meine Arme um seine Mitte und lehnte meinen Kopf gegen seinen Rücken. Er erwiderte die Berührung nicht, doch er entzog sich ihr auch nicht.
„Es tut mir leid.“ murmelte ich in den Stoff seines Smokings. „Ich dachte, wenn ich ohnehin gehen muss, dann macht es keinen Unterschied, ob du es weißt oder nicht. Und das war falsch und ich entschuldige mich dafür.“
Ich spürte Jake lange ausatmen, bevor er nach hinten griff und mich an seine Seite zog.
„Gibt es noch mehr Geheimnisse, von denen ich wissen müsste?“ fragte er, den Blick auf die andere Seite des Flusses gerichtet.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, keines.“ sagte ich ehrlich und folgte seinem Blick. „Bist du mir noch böse?“ fragte ich schließlich reumütig und Jake nickte, was mein Herz beinahe zum zerspringen brachte.
„Ja, aber ich kann nicht ändern, was geschehen ist und du ebenso wenig. Die Wut wird wieder vergehen. Ich bin es nur langsam satt, festzustellen, dass das was ich glaube, nicht wahr ist. Ich habe es gehasst, als ich merkte, dass du nicht Bella warst und ich hasse es nun zu wissen, dass das Gesicht, dass ich ständig vor Augen habe, ebenfalls nur eine Illusion ist. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich mich darüber freue.“ schloß er und ich verstand, warum es ihm so missfiel.
„Und ich bin wütend darüber, dass jetzt, da du gehen wirst, keine Chance mehr bleibt, diese Illusion gegen die Wahrheit auszutauschen. Dass ich die Möglichkeit verliere, dein wahres Ich kennenzulernen.“
„Du kennst mein wahres Ich mehr als jeder andere. Du kennst nur mein Gesicht nicht. Und dass ich es dir nicht gezeigt habe, war nicht, weil ich Angst hatte dir zu vertrauen, sondern weil es Gefahr für dich bedeutet, es zu kennen.“ sagte ich leise und suchte seine Nähe, denn ich wusste, das es das letzte Mal sein würde, dass ich sie spüren konnte.
„Glaubst du, ich habe Angst vor ein paar Vampiren?“ lachte er auf. Aber es war ein bitteres Lachen.
„Es sind nicht nur ein paar Vampire und du weißt das. Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Du bist mir zu wichtig, als dass ich dein Leben riskieren würde.“
„Aber nicht wichtig genug, um bei mir zu bleiben?“ fragte er zurück und ich hielt ihn noch ein wenig fester.
„Viel zu wichtig, als dass ich bleiben könnte. Ich könnte nicht damit leben, wenn dir etwas geschieht und erst recht nicht, wenn ich die Schuld daran trage.“ sagte ich ruhig.
„Mir ist bereits etwas passiert, woran du die Schuld trägst und du machst es so viel schlimmer, wenn du einfach gehst. Wir könnten dich beschützen.“ begehrte er auf.
„Niemand kann mich beschützen, Jake.“
„Ich könnte es...“
Zwischen uns entstand ein Moment der Stille, in dem wir uns an einander festhielten und ich wusste, dass zu gehen, Jake zurückzulassen, das Schwerste werden würde, was ich je machen musste und jemals würde.
„Wir sollten zurück zur Feier...“ sagte Jake schließlich und löste sich wieder von mir. „Wir werden bestimmt schon vermisst und ich bin gleich mit der Nachtschicht dran.“
Ich nickte stumm und strich mir ein weiteres Mal über mein Kleid, um es halbwegs präsentabel herzurichten.
Jake nahm die Sektflasche vom Boden auf und wartete auf mich.
Ich hob den Blick und sah ihn einfach nur an.
„Bereust du es?“ fragte ich leise und erntete einen fragenden Blick von ihm.
„Was soll ich bereuen?“
„Dass ich in dein Leben getreten bin.“
„Ich halte nichts von Reue, Lexi. Das einzige, was ich bereuen werde, ist dass ich dich gehen lasse, wenn du es wirklich willst.“ antwortete er ernst und streckte seine Hand nach mir aus.
Ich ergriff sie und verschlang meine Finger mit seinen.
Er verstand, dass ich gehen musste und obwohl er mehr Größe darin zeigte, mich gehen zu lassen, fühlte ich die Enttäuschung darüber, dass er es tun würde.
Ein Teil von mir, wollte zurückgehalten werden, wollte angefleht werden zu bleiben und dieser Teil in mir wurde in Jakes Gegenwart stets so groß, dass er kaum zu ignorieren war.
Aber es wäre nicht richtig, meinem Egoismus nachzugeben.
Es würde unser aller Leben bedrohen und ich würde nie wieder die Chance erhalten in sein wunderschönes Gesicht zu blicken, seine warmen Hände zu spüren und das Lachen in seinen Augen zu sehen. Doch wenn ich jetzt ging, würde ich zumindest die Hoffnung mit mir nehmen können, dass sich alles wieder in die richtigen Bahnen lenken würde und ich eines Tages einem Jake gegenüber stehen konnte, der ein reiches und erfülltes Leben führte.
Schweigend nahmen wir den Weg zurück zum Haus, wir ließen uns Zeit und gingen langsam, als wollten wir beide nicht wieder zurück. Denn wieder auf der Feier zu sein, umringt von den Gästen, die sicherlich auch ohne Edward und Bella noch lachten und tanzten, würde jedes private Gespräch zwischen uns verbieten. Der Weg war unsere letzte gemeinsame Zeit und der Abschied so nah, dass ich glaubte ihn greifen zu können.
Langsam klang die Musik der Hochzeit wieder zu uns durch und die Lichter des Baldachins funkelten durch das Blätterwerk vor uns.
Ich wollte noch langsamer gehen, stehen bleiben und mich abwenden, einfach verschwinden und Jakes Hand nie wieder loslassen.
Doch ich hielt weiter auf die Lichter zu, auf die lachenden Stimmen, bis Jake derjenige war, der stehenblieb.
Er stellte die Sektflasche wieder ab und zog mich zu sich. Sein Handrücken streichelte über meine Wange und der Schmerz in seinen Augen, schnürte einen engen Ring um meinen Brustkorb.
„Wirst du mir einen letzten Gefallen erweisen?“ fragte er rau und er hätte in diesem Moment alles von mir verlangen können, sogar zu bleiben und ich hätte ihm diesen Wunsch erfüllt.
Ich nickte stumm und er lächelte leicht gequält.
„Küss mich...“ seine Stimme war nunmehr nur noch ein heiseres Flüstern und ich begann zu zittern, während ich mich auf die Zehenspitzen stellte und seinen Lippen langsam näher kam.
Doch er schüttelte den Kopf.
„Ich will, dass du mich küsst. Nur du, keine Fassade.“ sagte er weich und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich möchte deine Augen sehen, deinen Duft in mir aufnehmen und deine Stimme seufzen hören, wenn du es tust.“ bat er eindringlich und ich wand leicht den Blick.
„Tu das nicht...ich kann nicht...“
Ich schlug die Augen nieder, doch Jake umfasste meine Wangen und brachte mich dazu ihn wieder anzusehen.
„Tu es für mich. Lass mir ein Stück Wahrheit zurück. Mir ist egal, ob es gefährlich ist...“
Ich sah das dunkle Braun seiner Augen und das Flehen darin, den Schmerz, der auch mein eigener war.
„Hab keine Angst“ flüsterte er und ich wünschte mir, er hätte mich um etwas anderes gebeten.
Doch entgegen aller Vernunft begann ich langsam zu nicken. Kurz drehte ich den Blick durch das Dickicht der Bäume zum Festzelt, doch Jake zwang meinen Blick wieder zurück und schüttelte nur den Kopf.
Ich versuchte ihm ein Lächeln zu schenken, bevor ich die Augen schloss und begann meine Maske fallen zu lassen. Eisern ignorierte ich die Stimmen in meinem Kopf, die mich für verrückt erklärten, dass ich tat, was ich im Begriff war zu tun. Doch was würde es schaden? In ein paar Stunden, würde ich aus seinem Leben verschwunden sein und niemand würde wissen, dass ich eine zeitlang ein Teil davon gewesen war. Ich wollte ihm sein Stück Wahrheit zurücklassen, ungeachtet der Konsequenzen.
Nie hätte ich gedacht, dass es mir so schwer fallen würde, all die Illusionen abzustreifen und keinerlei Zauber mehr wirken zu lassen, die verbargen, wer ich war.
Die Luft schmeckte plötzlich anders und ich spürte wie das Atmen mir immer leichter fiel.
Ich fühlte, wie sich mein Körper zu verändern begann, langsam aber stetig. Das braune Haar wurde länger und schließlich von roten Strähnen abgelöst, die begannen sich über meinen Schultern zu locken. Ich spürte, wie das Kleid an einigen Stellen enger, an anderen weiter wurde und als ich die Augen wieder öffnete, bemerkte ich den veränderten Ton meiner Haut, der nun an hellrosa Marmor erinnerte.
Es war, als habe sich eine riesengroße Last von meinen Schulter gelöst und erst jetzt bemerkte ich, wie gut es tat, ich zu sein. Ich hatte es vollkommen verlernt und vergessen.
Ich sah Jakes Blick und ohne etwas zu sagen, ohne abzuwarten, küsste ich ihn.
Schmerzlich intensiv und voller Verlangen und Dankbarkeit diesen Kuss verspüren zu dürfen.
Es war, als käme ich endlich nach Hause. Das Gefühl, eine lange Reise unbeschadet überstanden zu haben und den sicheren Hafen anzulaufen.
Vollständig zu sein. Herz, Geist und Seele vereint zu haben.
Ich war wieder ich.
Mir wurde schwindlig, sein Duft vernebelte meine Sinne. Meine Hände wurden feucht, mein Bauch schien in einem ewigen Luftloch gefangen zu sein, in dem sich ein ganzer Schwarm Schmetterlinge auf freiem Flug befand.
Jake hatte nicht mein Herz gestohlen, er füllte es und er raubte mir nicht die Sinne, er bereicherte sie und ich war keineswegs verliebt in ihn. Ich liebte ihn ganz bewusst.
Seine Arme legten sich um meine Taille und zwischen uns hätte nicht einmal mehr ein Blatt Papier Platz gefunden.
Ich begann zu beben, als ich Jakes Zunge spürte, die warm und feucht meine Lippen teilte und ich versank in seinem wundervollen Geschmack, drängte mich ihm entgegen und ließ mich fallen.
Niemand außer uns war wichtig, die Zeit blieb stehen und auch die Welt drehte sich langsamer.
Ich konnte ihn in jeder Faser meines Körpers spüren und ich wusste, dass ich in ihm meine fehlende Hälfte gefunden hatte.
Jake ließ mich nicht los, seine Hände streichelten meinen Rücken und mir schien, als würde er dasselbe spüren, wie ich. Dieser Kuss war anders, als unser erster, bei dem er noch geglaubt hatte ich sei Bella, denn ich meinte noch mehr Liebe und Zuneigung zu spüren als damals. Und dieses Mal galten diese Gefühle einzig und allein mir, nicht Bella und keiner Fassade, die ich trug.
Doch auch der wunderschönste Traum findet irgendwann sein Ende.
Aber dieses Erwachen war sanft und als ich jetzt die Augen wieder öffnete, Jakes Hand in meinem Nacken spürte, sein Atem über meine Haut strich und er sich immer noch in meiner Nähe befand, da wusste ich, dass Träume durchaus Realität werden konnten.
„Meine kleine Hexe.“ sagte er sanft lächelnd und wickelte spielerisch eine meiner tiefroten Locken um seinen Zeigefinger.
Ich lächelte ihn scheu an und spürte wie die Röte in meine Wangen schoß.
„Je später der Abend, umso schöner die Gäste.“
Ich erkannte diese Stimme sofort und augenblicklich gefror mir das Blut in den Adern.
Auch Jake schreckte aus unserem intimen Moment auf und suchte die Quelle der Stimme.
Ich stellte mich mit dem Rücken zu ihm gewandt, beschützend vor ihn und hielt seine Handgelenke mit meinen Händen umklammert.
All meine Sinne waren schlagartig wieder geschärft und mein Blick fokussierte den Vampir, der vor uns aufgetaucht war.
„Demetri.“ sagte ich leise, wissend dass er es ohnehin hören würde. „Welch eine Überraschung.“
„Oh, ich glaube deine Überraschung ist nichts im Vergleich zu der, die ich empfinde, dich hier zu sehen. Das müssen ja Jahrzehnte sein, seit wir uns das letzte Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen.“ sagte Demetri übertrieben freundlich und ich hörte durchaus die Gefahr seiner Worte. Jake, der nicht zu verstehen schien, was vor sich ging, begehrte hinter mir leicht auf, aber ich zwang seine Hände wieder zurück an seine Seiten.
„Wenn du mich fragst, ist es noch nicht lange genug her.“ sagte ich spitz und ließ deutlich erkennen, dass mir nicht der Sinn danach stand, ein unverfängliches Pläuschchen mit ihm zu halten.
„Was machst du hier?“ fragte ich daher unbeirrt weiter und nur unter Aufbietung aller Kraft, konnte ich den Drang bekämpfen einfach davon zu rennen. Doch jetzt galt es nicht nur mein Leben zu schützen, sondern vor allem auch Jakes.
„Aro hat uns geschickt, es gibt einige Dinge in Seattle zu klären und während sich die anderen um diese Belange kümmern, sollte ich den Brautleuten eine kleine Erkenntlichkeit überbringen.“ Er hob seine Hand, in der sich eine Schmuckschatulle befand und bei seinen Worten, dass er nicht allein war, musste ich hart schlucken.
„Jane wird sich so freuen zu hören, dass es dir gut geht.“ grinste mich Demetri süffisant an und ich hätte ihm am liebsten die Augen ausgekratzt.
„Ja, sie wird bestimmt vollkommen aus dem Häuschen sein.“ sagte ich überheblich und hatte immer mehr Mühe, den Beschützerinstinkt, der auch Jake befallen hatte, unter Kontrolle zu halten.
„Wie es scheint, habe ich dich bei deiner Mahlzeit gestört...“ sagte Demetri und fast kaufte ich ihm den entschuldigenden Ton in seiner Stimme ab. „Du bist wie dein Vater, spielst gerne mit dem Essen, hm? Aber hat dir denn niemand gesagt, dass es unhöflich ist, andere Gäste auszusaugen?“ Er setzte eine tadelnde Miene auf und Jake ließ sich von mir nicht mehr zurückhalten.
„Was ist das für ein Spinner?“ fragte er aggressiv und ich hatte Mühe ihn wieder hinter mir in Deckung zu bringen.
„Nicht jetzt.“ zischte ich aus dem Mundwinkel zu ihm und fixierte wieder Demetri mit meinem Blick.
„Ich war unhöflich, Alexis, verzeih mir.“ sagte er schlicht und machte einen Schritt auf mich zu.
Ich wich augenblicklich vor ihm zurück, als übertrage er die Pest.
Jake begann zu knurren und ich spürte, wie sich sein Körper anspannte. Inständig betete ich, dass er sich jetzt nicht verwandeln würde, doch Demetri hob schon wieder die Hände und blieb stehen.
„Wie süß, er scheint dich zu mögen, allerdings frage ich mich wirklich, wie du bei diesem Körpergeruch Appetit bekommen kannst.“ er rümpfte die Nase und ich war froh, dass er den Geruch des Wolfes nicht erkannte. Die Wölfe schienen den Volturi vollkommen unbekannt zu sein.
„Sonst noch etwas, Demetri oder lässt du mich jetzt bitte wieder allein, damit ich meine Mahlzeit beenden kann, bevor DEIN Geruch mir den Appetit verdirbt?“ fragte ich provozierend, als ich hinter ihm sehen konnte, wie der gesamte Cullen-Clan vom Baldachin über die Wiese zu uns gelaufen kam.
Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, in dem ich Gott dafür dankte, dass Alice diese wunderbare Gabe hatte. Aber warum hatte sie ihn nicht früher kommen sehen?
Carlisle erreichte uns als erstes und wie ich es nicht anders von ihm erwartet hatte, war seine Miene höflich gestimmt, auch wenn ich die Wachsamkeit in seinen Augen sah.
„Demetri, wie schön dich zu sehen.“ sagte er während die anderen Cullens erst Halt machten, als sie sich zwischen mir und Demetri positioniert hatten.
„Gibt es hier ein Problem?“ fragte Carlisle gewohnt freundlich und Demetri schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nur ein Wiedersehen zwischen alten Freunden, Carlisle. Und ein kleines Geschenk von Aro für das Brautpaar.“ er überreichte die Schatulle an Carlisle und warf mir wieder einen Seitenblick zu.
„Nun, übersende Aro unseren Dank. Ich bin mir sicher Edward und Bella werden sich bei ihrer Rückkehr aus den Flitterwochen sehr über Aro´s Freundlichkeit freuen.“
Demetri nickte Carlisle zu, als Zeichen, dass er verstanden hatte.
„Ich werde es ausrichten. Wenn ihr mich dann entschuldigen wollt? Euer Fest ist zwar sehr verlockend, doch habe ich noch einige Dinge zu erledigen“ sagte er ruhig und blickte ein weiteres Mal bedeutungsschwanger zu mir herüber.
„Es war mir eine außerordentliche Freude, dich zu sehen, Alexis und ich bin mir sicher, dass wir uns sehr bald wiedersehen werden.“ er zwinkerte mir zu, verneigte sich vor dem Rest der Cullens und verschwand wieder in der Dunkelheit, aus der er so plötzlich erschienen war.
„Wird er zurück kommen?“ fragte Carlisle sofort an Alice gewandt und wie gebannt blickte ich ebenfalls zu ihr.
„Ja.“ nickte sie und ihr Blick lag irgendwie fasziniert auf mir.
„Wieviel Zeit haben wir?“ warf Esme ein und ich begann vor Angst zu zittern.
„Nicht viel. Eine halbe Stunde, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Er nimmt Kontakt mit den anderen auf.“ sagte Alice und mir wurde immer mulmiger.
„Dann müssen wir uns beeilen.“ sagte ich.
Emmett stand neben mir und trotz dem Ernst der Lage, grinste er breit.
„Rothaarig, hm? Nice.“ er zwinkerte mir zu und ich schüttelte nur den Kopf.
„Nicht jetzt, Emmett.“ rief Carlisle ihn zur Ordnung und gemeinsam steuerten wir zurück zum Haus.
Jake lief wie in Trance hinter mir her, seine Hand fest um die meine geschlossen und mir graute vor dem Moment, da ich sie loslassen musste.
Kaum, dass wir das Haus erreicht hatten, verteilte sich unsere Gruppe. Carlisle bat die noch anwesenden Gäste darum, sich zurückzuziehen und alle Angehörigen Bellas, darum nach Hause zu fahren. Trotz der Verwirrung, die er damit stiftete, widersetzte sich niemand seinem Wunsch.
Emmett beeilte sich meinen Monte Carlo in die Auffahrt zu bringen und mit einem kleinen Kanister Benzin nachzufüllen, während Rosalie in mein Zimmer verschwunden war, um einige Kleinigkeiten zusammenzupacken. Alice kam mit meinem Ticket und meinen Ausweisen in der einen und einer Karte in der anderen zu mir und Jake zurück und breitete die Karte auf dem Tisch aus, während Jasper draußen blieb und mit Esme Wache hielt.
„Der schnellste Weg zum Flughafen wird jetzt....“ begann Alice, doch ich unterbrach sie.
„Ich werde nicht fliegen.“ sagte ich schnell und besah mir die Karte. „Demetri wird damit rechnen, dass ich mich schnellstmöglich entziehen will, also wird er sicherlich auch den Flughafen mit einbeziehen und wenn der Flieger Verspätung hat, dann habe ich keine Möglichkeit mehr zu fliehen.
Ich werde mit dem Auto Richtung Süden fahren, bis San Francisco und mich von dort weiter durchschlagen. Das wird meine Chancen erhöhen.“
Alice nickte zustimmend und als Rosalie mit einem Rucksack kam, stopfte sie mir ein paar Äpfel, die dekorativ auf dem Tisch gestanden hatten, zusätzlich dazu.
Carlisle, den Blick stetig zur Fensterfront gewandt, drückte mir ein Bündel Geldscheine in die Hand. Ich konnte nicht besehen, wieviel es war, doch da das Bündel nicht gerade ein war ,wusste ich dass es eine Menge sein musste.
„Das musst du nicht, Carlisle, ich habe noch ein paar Kreditkarten.“ begehrte ich auf, doch Carlisle schloss meine Finger um die grünen Banknoten.
„Auf einer Flucht braucht man immer Bargeld, vielleicht wirst du jemanden bestechen müssen.“
Gehetzt flog mein Blick zur Uhr, 10 Minuten waren bereits vergangen und ich bekam das Gefühl, dass die Uhr, da sie bei meinem Kuss mit Jake stehengeblieben war, nun die verlorene Zeit aufholen wollte.
Emmett kam rein und brachte den unverkennbaren Geruch von Benzin mit sich.
„Dein Wagen ist startklar, ich hab dir noch zwei volle Kanister in den Kofferraum gepackt, falls dir der Sprit unterwegs ausgeht, brauchst du keine Tankstelle.“
„Danke“ sagte ich an ihn gewandt und blickte in die Gesichter meiner Freunde, meiner Familie und ich wusste, dass der Abschied nun unmittelbar bevorstand.
„Danke für alles. Wir sehen uns bald wieder, versprochen.“ meine Stimme zitterte und ich hatte Mühe sie nicht brechen zu lassen.
Rosalie reichte mir den Rucksack und schwer atmend nahm ich ihn entgegen.
Erst jetzt traute ich mich, meinen Blick zu Jake zu wenden, erst auf unsere ineinander verschlungenen Hände dann in seine Augen, die wie wie festgewachsen auf mich gerichtet waren.
„Es ist Zeit, Jake...“ ich versuchte ihm ein warmes Lächeln zu schenken und löste langsam meine Hand von seiner.
„Nein.“ sagte er mit einer so vollkommenen Ruhe, dass er augenblicklich die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.
Ich runzelte die Stirn und seufzte leise.
„Ich muss gehen, Jake. Und zwar, bevor Demetri wieder zurückkommt. Er ist ein Volturi und der Bluthund von Caius. Er ist es, vor dem ich seit Jahren davon laufe. Und glaub mir, keiner von uns möchte Jane begegnen.“ erklärte ich mit dem letzten bisschen Ruhe, dass ich noch in mir trug.
Doch Jake ließ meine Hand weiterhin nicht los und ich spürte die Ungeduld in mir aufsteigen.
Ich fühlte mich wie ein in die Enge getriebenes Tier und Jake machte es mir unnötig schwer.
Natürlich wollte ich nicht gehen und natürlich wäre ich am liebsten einfach bei ihm geblieben, doch die Realität war nun einmal eine andere.
„Wieviele Vampire werden wiederkommen?“ fragte Jake unbeirrt und schloß die Augen, um Kraft zu finden, mich jetzt auch noch gegen ihn zu wehren.
„Es werden vier sein. Demetri, Jane, Felix und Alec.“ sagte Alice, als wittere sie eine weitere Chance, den vorgegebenen Pfad zu ändern.
„Du rennst vor vier Vampiren davon, wenn es 6 gibt, die dich beschützen können und ein ganzes Rudel Wölfe ihnen dabei helfen würde?“ insistierte er und ich sah, wie in Alice Augen ein kleines Feuer aufloderte.
„Und dann?“ fragte ich, hilflos zu Carlisle schauend. „Klar könnten wir sie töten, aber was dann? Glaubst du damit wäre es vorbei? Es werden andere kommen, am Schluß vielleicht sogar Caius selbst. Du unterschätzt die Gefahr, Jake. Sich den Volturi zu widersetzen, würde für jeden von euch den Tod bedeuten und glaub mir, solch einen Tod wünschst du dir nicht.“ wieder flog mein Blick zur Uhr. „Bitte Jake, mach es mir nicht so schwer. Ich will doch gar nicht gehen, ich will nicht mehr fliehen. Am liebsten würde ich hier bleiben, bei dir. Aber wenn ich das täte, dann würde unsere Zeit sehr schnell und sehr unschön enden. Wir würden die, die wir lieben in Gefahr bringen, nur weil wir uns nicht voneinander trennen können. Willst du das? Willst du Quils Leben riskieren, oder Seths?“ fragte ich weiter und hoffte, nun endlich zu ihm durchdringen zu können, damit er verstand, dass es jetzt nicht an der Zeit war, diese Diskussion erneut zu führen.
„Wenn es bedeutet dein Leben zu retten.“ sagte er ohne Emotion in der Stimme.
„Das würde es aber nicht, Jake. Wenn ich gehe, haben wir alle eine Chance. Demetri hielt dich für eine Mahlzeit. Wenn du dich bedeckt hältst, wird er sich deiner nicht mehr weiter erinnern und die anderen werden ihren Weg finden, nicht zuletzt durch Carlisles Verhandlungsgeschick und seiner eigenen Vergangenheit bei den Volturi. Und ich werde in einigen Jahren zurückkehren können, um euch zu besuchen. Aber jetzt....jetzt MUSS ich gehen.“ begehrte ich weiterhin auf, doch Jake schien immer noch nicht bereit, meine Hand loszulassen.
„Dann nimm mich mit.“
Ich begann an meinem Verstand zu zweifeln und mit Sicherheit auch an seinem.
„Ich kann dich nicht mitnehmen, Jake. Du wirst hier gebraucht. Ich werde dich nicht einem Leben aussetzen, bei dem du keinen Kontakt zu niemanden haben kannst. Dein Platz ist hier, bei deinem Stamm. Du bist Teil des Rudels, du kannst es nicht einfach verlassen.“ ich wurde immer nervöser, denn die Zeit verrannte, wie mit bloßen Händen geschöpftes Wasser.
„Hör zu...“ ich seufzte leise und versuchte meine Stimme weich und sanft klingen zu lassen, auch wenn ich den heißen Atem der Gefahr schon im Nacken spüren konnte.
Ich drehte mich vollständig zu ihm, blendete die anderen für einen kurzen Moment aus und blickte tief in mein geliebtes Schokoladenbraun seiner Augen. Irgendetwas in ihnen schien anders zu sein, leuchtender...wacher.
„Ich liebe dich, Jake. Aber genau deswegen muss ich jetzt und sofort von hier weg. Ich weiß, dass du dich zu mir hingezogen fühlst und Gott, ich danke dir für jeden Tag, den ich an deiner Seite verbringen durfte. Aber unsere gemeinsame Zeit endet hier.“ beim Klang meiner eigenen Stimme, verspürte ich einen dumpfen Schmerz in meiner Brust.
Es zerbrach, was durch Jake erst wieder vollständig geworden war.
„Du wirst eines Tages ein tolles Mädchen finden, das nichts mit Vampiren zu tun hat, oder selbst einer ist. Du wirst jemanden finden, der dir all deine Liebe bedingungslos zurückgeben kann und du wirst dich auf dieses Mädchen prägen.“ schloß ich zitternd, während ich über seine Wange streichelte und beinahe an diesen Worten erstickte.
„Zu spät.“ flüsterte er leise und mir wurde schwarz vor Augen.
Ein Raunen ging durch die Reihen der anderen, während mir schwindlig war und sich der gesamte Raum um mich herum zu drehen schien.
Sofort war Jake an meiner Seite und hielt mich, als habe er Angst, ich würde das Bewusstsein verlieren.
Es war eine Lüge, es musste eine Lüge sein. Sein letzter, verzweifelter Versuch, mich nicht verlieren zu müssen.
Nur mit Mühe konnte ich mich aus seiner Umarmung befreien und immer wieder schüttelte ich den Kopf, während sich die Cullen langsam und leise, ein wenig zurückzogen.
„Nein, nein, nein.“ wiederholte ich wie ein Mantra immer wieder, doch Jake erlöste mich nicht.
„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen.“ sagte er sanft. „Sobald du deine Maske hast fallen lassen, da wusste ich es. Ich hab es schon vorher gewusst, aber ich brauchte deinen Duft, deine Stimme...dich....damit es Klick in meinem Kopf macht.“
Er strich mir eine Locke hinter mein Ohr und von allen Katastrophen, die passieren konnten, war dies mit Abstand die größte.
„Nein, Jake. Wölfe prägen sich nicht auf Vampire.“ wehrte ich mich.
„Du bist ein Halbvampir, Lexi.“ korrigierte er mich weich und lächelte mich an. „Meine wunderschöne Lexi...“
Mit Übermacht brach meine Welt um mich herum zusammen und stürzte alles Glück, dass diese Situation in mir hätte hervorrufen sollen, in dunkle Panik. Jetzt zu spüren, dass er meine fehlende Hälfte war, dass ich Recht mit meinen Wünschen gehabt hatte und er sich einer Zukunft mit mir stellte, führte mich derart in Versuchung, dass ich glaubte die Besinnung verlieren zu müssen. Qualvoll schlossen sich meine Augen erneut, als könne ich das Geschehene damit einfach ausblenden.
Alice kam mit einem Glas Wasser in der Hand zu mir, stellte es vor mir auf den Tisch und legte mir eine Hand auf die Schulter.
„Du musst dich beeilen, Lexi. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Du brauchst den Vorsprung.“
Abwesend nickte ich, griff zum Glas und stürzte den Inhalt einem Zug hinunter, doch meine Kehle brannte so sehr, dass das Wasser in meinem Hals zu verdampfen schien.
Ich fuhr mir über die Augen und versuchte den instabilen Klumpen, zu dem ich geworden war, irgendwie wieder auf die Beine zu bekommen.
Jake kopierte meine Bewegungen, wie ein Spiegel, jederzeit bereit, mich aufzufangen, sollte ich stolpern und ich schüttelte wieder den Kopf.
„Ich muss gehen....Jetzt.“
Meine Beine versagten mir ihre Dienste und ich hielt mich an der Tischplatte fest, bevor Jake sich genötigt sah, mir unter die Arme zu greifen.
„Du musst nicht gehen...Du darfst nicht gehen, Lexi. Egal, was da draußen auf dich wartet, ich werde dich beschützen. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht. Vertrau mir.“ flehte Jake mich an, doch mein Kopf war wie in einer Taucherglocke verborgen, nicht fähig etwas aufzunehmen, dass von draußen zu ihm gelangen wollte.
„Hör mir zu, meine kleine Hexe...“ neckte er mich „Ich kann nicht mehr ohne dich sein. Ich bin mit dir verbunden, durch ein Band, dass keine Macht der Welt zerreißen kann. Und wenn du gehst, werde ich dir folgen. Ich kann nicht anders. Meine Aufgabe ist es, an deiner Seite zu sein und wenn ich dafür mit allem brechen muss, was mir etwas bedeutet.“
Ich spürte die Tränen in meinen Augen, doch als Jake sie fort wischen wollte, schlug ich seine Hand hart zur Seite.
„Nein!“ sagte ich vollkommen ohne Beherrschung. „Du irrst dich. Du bildest dir nur ein, dass du dich geprägt hast. Du wirst mich vergessen, sobald ich aus Forks verschwunden bin. Versprich es mir. Versprich es mir!!“ schrie ich ihn verzweifelt an und haltlos strömten die Tränen über meine Wangen.
„Das kann ich nicht...“ sein Blick lag traurig auf mir und ich wusste, dass ich den Kampf gegen ihn verloren hatte.
„Lexi?“
„Ja, Alice, ich weiß. Ich muss gehen.“ sagte ich gedehnt und wischte mir die Tränen aus den Augen.
„Nein, das wollte ich nicht sagen.“ begann sie samtweich und ich hob den Blick meiner verquollenen Augen zu ihr. „Vielleicht musst du wirklich nicht gehen. Wir könnten eine Spur zum Flughafen legen und dich danach in La Push verstecken. Du könntest dich am Flughafen wieder verwandeln und deine Spur würde dort enden.“ Nun trat auch Carlisle wieder an den Tisch zurück.
„Sicherlich steht es in deinen Möglichkeiten dir das Aussehen einer Quileute anzueignen, oder? Sie werden es nicht wagen, das Quileutegebiet zu betreten. Dort wärst du in Sicherheit. Caius hat so lange darauf gewartet, dich in seine Fänge zu bekommen , er wird noch etwas länger warten können.“
Wie ein Lauffeuer schien sich diese Idee in den Köpfen der Cullens manifestiert zu haben und sie alle umringten mich ein weiteres Mal, während Jake aussah, als würde er sogar einen Pakt mit dem Teufel eingehen, damit ich nicht ging.
„Gute Idee, Doc.“ sagte er eifrig und nickte zustimmend. „Sie könnte bei mir bleiben, oder bei Emily. Als Cousine oder Schwester vielleicht. Bis sich die Lage beruhigt hat zumindest.“
„Die Lage hat sich seit 200 Jahren nicht beruhigt“ sagte ich angestrengt und mir wollte einfach nicht in den Kopf gehen, warum sie nicht erkannten, dass es keinen anderen Weg gab, als zu verschwinden.
„Wir haben keine Zeit mehr für solcherlei Pläne. Es ist zu spät. Sie werden gleich hier sein und mit jedem Versuch von euch, das Unvermeidliche abwenden zu wollen, verliere ich kostbare Zeit.“
Ich atmete laut aus, nahm meinen Rucksack an mich und machte einige Schritte zurück.
„Ich liebe euch alle, mehr als mich selbst, also bitte versteht, dass ich euren Plan nicht in die Tat umsetzen kann.“ ich hob abwehrend die Hände und machte weitere Schritte rückwärts gen Haustür.
„Lexi. Es kann funktionieren. Wenn du und Alice sofort zum Flughafen fahrt, dann können wir Demetri ablenken, wenn er kommt. Alice hält die Verbindung und verschafft euch damit den Vorteil, den ihr braucht. Sobald ihr am Flughafen angekommen seid, verwandelst du dich und wenn Jake vielleicht einige seiner Freunde mobilisieren kann, als Eskorte, die dich von dort abholt...“ erklärte Carlisle, doch ich schüttelte erneut den Kopf.
„Ihr seid so versessen darauf mein Leben zu beschützen, dass ihr gar nicht seht, dass ich ebenso versessen darauf bin, das eure zu schützen. Und mein Weg ist der bessere. Er ist sicherer, leichter und erfolgversprechender und er rettet mehr Leben, als der eurige.“
„Hol den Wagen, Alice.“ sagte Jake und ich fühlte mich abrupt entmündigt. Alice jedoch nickte und verschwand an mir vorbei zur Garage. Wenige Sekunden später konnte ich den Motor ihres Porsches hören und das Knirschen des Kies unter den Rädern.
„ Wollt ihr euch jetzt gegen mich verschwören?“ fragte ich gereizt und Carlisle nickte Jake zu, ihrer Geheimwaffe für alles, was mich betraf.
Vorsichtig bewegte sich Jake auf mich zu. Seine Wärme durchströmte mich augenblicklich und ich kniff die Lippen zusammen, während ich den Blick senkte. Ich wollte keine Angriffsfläche für ihn bieten. Wollte keine Einwände und Überredungen mehr hören. Ich würde unter ihnen zerbrechen, wie ein Kartenhaus in einem Orkan.
„Komm her...“sagte er so samtweich, dass allein der Klang seiner Stimme, jede Defensive in mir zunichte machte.
Ich machte einen zögernden Schritt auf ihn zu und als ich seinen Atem über meine Haut streichen fühlte, nahm er mir den Rucksack ab und umfasste meine zitternden Hände.
„Ab heute und für alle Ewigkeit, werde ich der Ort sein, zu dem du fliehen kannst und es wird keinen anderen Ort auf der ganzen Welt geben, an dem du sicherer und beschützter bist, als in meinen Armen. Vertrau mir....vertrau deiner Familie und nimm unsere Hilfe an. Du bist zu Hause...lauf nicht wieder davor weg.“
Ich spürte wieder den Kloß in meinem Hals und biss mir so lange auf die Unterlippe, bis ich Blut schmeckte. Ich nahm meine Hände aus Jakes und schlang meine Arme um meinen Oberkörper, weil ich Angst hatte, dass ich ansonsten zerbrechen würde.
Jake zog mich sofort in seine Arme und hielt mich einfach nur fest.
Dann küsste er mich kurz auf die Lippen und lächelte mir aufmunternd zu.
„Alice wartet...“
Ich nickte schniefend und fuhr mir dann durch die Haare.
„Gebt auf euch Acht. Das gilt besonders für dich Emmett. Tu nichts Unbesonnenes.“
Ich sah mahnend an Jake vorbei zu Emmett, der nur unschuldig grinste. „Und wenn auch nur eine einzige Kleinigkeit schief geht, breche ich das Ganze sofort ab.“
Alle nickten und obwohl ich mich immer noch unwohl fühlte und keineswegs von diesem schnell zusammen geschusterten Plan überzeugt war, war ich bereit es zumindest zu versuchen, solange niemand zu Schaden kam.
„Dann sehen wir uns also gleich wieder?“ fragte ich und versank in den Augen des Mannes den ich liebte.
„Ja, sobald du weg bist, werde ich in den Wald laufen und die anderen informieren. Sie sollen dich am Airport in Empfang nehmen und dich zu Emily bringen. Ich werde dich dort treffen.“ sagte Jake ruhig und ich hoffte seine Ruhe würde irgendwann auf mich abfärben.
Unsicher hob ich meine Hand und winkte an Jake vorbei zu den anderen.
„Dann bis später, würde ich sagen, hm?“ ich senkte kurz den Blick und spürte wieder die Tränen in meinen Augen, bevor ich mich abwand und zur Tür ging. Dort angekommen, drehte ich mich noch einmal um, warf mich in Jakes Arme und gab ihm einen salzigen, feuchten Kuss.
„Seid vorsichtig, bitte.“
Wieder nickten sie alle, inklusive Jake und ich ging hinaus, stieg zu Alice in den laufenden Porsche und mit quietschenden Reifen ließen wir die Auffahrt hinter uns.
Immer wieder blickte ich mich nervös um, weil ich befürchtete, dass wir Demetri unterschätzten. Aber weit und breit war nichts zu sehen.
Alice nahm eine Hand vom Steuer und legte sie mir in einer beruhigenden Geste auf mein Knie.
„Ich bin mir sicher, dass alles gut gehen wird. Entspann dich ein wenig. Sobald wir am Flughafen sind, ist der größte Teil geschafft.“
Ich begann nervös meine Hände zu kneten und ließ mich nicht von ihr beruhigen.
Meine Angst galt nicht mir, sondern Jake und den Cullens. Wenn Demetri die richtigen Schlüsse zog und in Volterra berichtete, dass sie mir zur Flucht verholfen hatten, dann drohte ihnen eine Menge Ärger. Und dass nachdem sie bereits durch Bella, ein nicht gerade positives Bild bei Aro hinterlassen hatten.
Allmählich wurde der Verkehr dichter und Alice schlängelte sich gekonnt von Lücke zu Lücke, während sie das hohe Tempo weiterhin beibehielt.
„Sind sie schon da?“ fragte ich unruhig, doch Alice schüttelte den Kopf.
„Nein...ehrlich gesagt, kann ich sie im Moment überhaupt nicht sehen.“ sagte sie verwundert und ich wusste, dass es kein gutes Zeichen war.
Ungeniert parkte Alice schließlich direkt im Halteverbot vor dem Eingang des Flughafens und wir sprangen beide hinaus. Als ich bereits die automatischen Türen ansteuern wollte, hielt Alice mich noch zurück.
„Warte.“ sie ging nach vorne zum Kofferraum des Wagens und holte eine Tüte hervor.
„Du brauchst etwas anderes zum Anziehen. Wenn du in diesem Outfit in a Push rumläufst, wirst du auffallen wie ein bunter Hund. Das sind noch Einkäufe aus Seattle, ich hatte sie bis eben komplett vergessen.“ sie reichte mir die Tüte. „Und jetzt beeil dich. Ich warte hier draußen solange auf die Wölfe.“
Ich nickte und wollte gerade lossprinten, als Alices Handy zu klingeln begann.
Wie versteinert blieb ich stehen und blickte zu ihr hinüber, wie sie den kleinen Apparat aus ihrer Hosentasche zog.
Sie sprach nicht wirklich, sondern nickte immer nur kurz, doch ihre Augen verrieten, dass etwas nicht stimmte.
Kaum, dass sie aufgelegt hatte, bestürmte ich sie mit Fragen.
„Was ist los, Alice? Was ist passiert?“
Sie wand sich unter meinem Blick, als wäre es ihr lieber, sie müsse nicht auf meine Frage antworten.
„Sag schon Alice, was ist los?“ drängte ich sie weiter und Alice seufzte.
„Sie haben Jake, Lexi.“
„Nein!“ die Tüte fiel mir aus der Hand auf den Asphalt und alle Luft wich aus meinen Lungen.
Der Boden unter meinen Füssen begann zu wanken und mein Herz hörte auf zu schlagen.
Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte.
Alice war sofort an meiner Seite und stützte mich.
„Bleib ruhig, Lexi. Ihm wird nichts passieren. Carlisle und die anderen werden sich darum kümmern. Du musst jetzt auf dem schnellsten Weg nach La Push.“
„Nein!“ antwortete ich harsch und schüttelte vehement den Kopf. „Ich muss zurück.“
„Wenn du jetzt zurück gehst, dann haben sie gewonnen. Das ist doch genau das, was sie wollen.“ insistierte Alice augenblicklich, doch mir war egal, was sie sagte.
Dann sollte Demetri eben gewinnen, sollte Caius mich doch in seine Fänge bekommen, aber allein die Vorstellung, dass Jake in Janes „Obhut“ war, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren.
„Würdest du Jasper zurücklassen?“ fragte ich aufgebracht und Alice Miene wurde ernst.
„Ich verstehe deine Sorge Lexi, aber du kannst ihm jetzt nicht helfen. Vertrau Carlisle, er wird nicht zulassen, dass Jake etwas geschieht.“ versuchte sie mich weiter zu beruhigen, doch es prallte an mir ab.
„Es liegt nicht in seiner Macht, Alice. Hast du vergessen, mit wem wir es zu tun haben?“
Ich wollte loslaufen, zurückkehren und Jakes Leben beschützen, wenn es sein musste mit meinem eigenen. Also beugte ich mich hinab und streifte mir die Highheels von den Füßen.
„Was wird das, Lexi?“ fragte Alice und ich setzte ein entschlossenes Gesicht auf.
„Da du anscheinend nicht bereit bist, mich zurückzubringen, werde ich wohl laufen müssen.“
„Du kannst nicht einfach kopflos losrennen. Hier sind zuviele Leute, du würdest für Aufsehen sorgen.“ Alice bemühte sich angestrengt, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen.
„Und was soll mir passieren? Denkst du die Volturi würden mich dafür töten wollen, weil ich die Geheimhaltung nicht gewahrt habe? Oh, ich vergaß, sie wollen mich bereits töten.“ sagte ich schnippisch und riss das Kleid über meinem Oberschenkel auseinander, um mehr Beinfreiheit zu gewinnen.
„Lexi, bitte. Du handelst unvernünftig.“ begehrte Alice ein weiteres Mal auf und mir wurde die verrinnende Zeit unerträglich.
„Hör zu Alice. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder du bringst mich selbst zurück, oder aber du bleibst alleine hier. Aber wenn du weiterhin versuchst, mich hier festzuhalten, dann schwöre ich bei Gott, weiß ich nicht, was ich mit dir mache.“ Ich fühlte meine Augen schwarz werden, um meiner Drohung mehr Präsenz zu verleihen, obwohl es mir nicht behagte, Alice zu drohen.
„Steig ein.“ sagte sie schließlich matt und ich saß auf dem Beifahrersitz, bevor sie den Wagen überhaupt umrundet hatte.
Mit einem gequälten Gesichtsausdruck startete sie den Motor und mit Vollgas verließen wir den Flughafen. Mir war es immer noch nicht schnell genug, obwohl sich die Tachonadel bereits dem roten Bereich näherte und der Motor unangenehm laut aufheulte.
„Fahr schneller.“ wies ich Alice an, völlig in der Starre meiner Angst gefangen.
Obwohl sie wusste, dass es nicht schneller gehen würde, nickte sie und die Umgebung flog an uns vorbei, ohne dass ich eine Einzelheit hätte ausmachen können.
Ich betete zu jedem Gott der Geschichte, dass wir nicht zu spät kommen würden und dass Jake unversehrt war. Wenn er es nicht war, würde ich sie töten. Ich würde jeden einzelnen von ihnen auf grausame Art und Weise dahin meucheln.
Der Weg zurück zu den Cullens erschien mir länger, als der Hinweg und ich wurde immer unruhiger. Ich fragte mich, wie und warum sie es auf Jake abgesehen hatten. Ich war mir so sicher gewesen, dass Demetri ihm keinerlei Bedeutung zugemessen hatte.
Also warum um alles in der Welt, hatten sie ihn geschnappt?
Und vorallendingen, wie hatten sie es geschafft? Jake war kein einfacher Gegner, weder als Wolf, noch als Mensch und er war vorsichtig. Aber gegen Jane als Aggressor war kein Gras gewachsen.
Schier glaubte ich an der Angst, der Unruhe und Mordlust in mir zerbersten zu müssen und so riss ich die Tür des fahrenden Porsches auf, während Alice ihn noch in die Auffahrt manövrierte.
Ich stürmte ins Haus, ohne mich darum zu kümmern, ob Alice mir hinterher kam oder nicht.
Als ich vollkommen außer Atem das Wohnzimmer betrat und Carlisle mich sah, schloss er seufzend die Augen.
„Wo ist er?“ fragte ich sofort und Jasper, der am Fenster gestanden hatte, drehte sich zu mir um.
Sein Blick nahm mich ins Visier und ich machte einen Schritt zurück.
„Wag es dich Jasper.“ warnte ich ihn. „Du wirst mich nicht dazu bewegen, mich wieder umzudrehen. Wo ist er?“
„Wir wissen es nicht.“ sagte Esme sanft und ihre kalte Hand schloß sich um meine.
„Ihr wisst es nicht?“ brauste ich auf und starrte sie ungläubig an. „Warum sitzt ihr dann immer noch hier und tut nichts?“
„Ich bin mir sicher, sie werden ihn herbringen. Hier ist ihr einziger Anhaltspunkt.“ sagte Rose und ich konnte die Ruhe in ihrer Stimme nicht fassen.
Wutentbrannt durchquerte ich den Raum, riss die Tür nach draußen auf und trat in das klamme Morgengrauen hinaus.
Die Lichter im Baldachin glimmten noch, doch hatten sie für mich all ihren Zauber verloren.
Carlisle kam hinter mir her, legte seine Hände auf meine Schultern, doch ich riss mich sofort wieder los.
„Was ist passiert, Carlisle?“ sagte ich bebend und er wand sich unter meinem Blick.
„Jake ist nach draußen gegangen um sich zu verwandeln und den anderen Bescheid zu geben. Er ist nicht wieder gekommen.“ sagte er um Ruhe in der Stimme bemüht.
„Also wisst ihr nicht mit Sicherheit, dass sie ihn haben?“ ich schöpfte unwillkürlich neuen Mut.
„Doch. Demetri war so frei, mir eine Nachricht zukommen zu lassen. Sie schlagen einen Austausch vor. Jake gegen dich.“ seufzte er und ich nickte.
„Daher weht also der Wind. Wann und wo?“ fragte ich unbekümmert, diese Möglichkeit längst in Betracht ziehend.
„Du willst dich nicht wirklich darauf einlassen, oder?“ fragte Rosalie und trat neben Emmett ebenfalls nach draußen.
„Doch. Genau das will ich tun.“ antwortete ich atemlos und Rose verdrehte die Augen.
„Sie werden dich mitnehmen und töten.“ sagte Emmett und es war nicht einmal der Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen zu sehen.
„Ich weiß.“ sagte ich ruhiger, als ich es von mir erwartet hätte.
„Wir werden dir nicht helfen können.“ sagte Carlisle und ich nickte.
„Ich verlange nicht, dass ihr mir helft. Ich weiß, dass ihr euch nicht gegen die Volturi stellen könnt. Es endet hier und heute.“ sagte ich und kehrte zurück ins Haus.
Mit akribischer Genauigkeit ging ich durch die wenigen Habseligkeiten, die ich besaß und die Rosalie mir in den Rucksack gepackt hatte, nahm das Bündel Geldscheine heraus und legte es auf den Tisch.
„Ich werds nicht mehr brauchen.“ sagte ich stumpf, als ich Carlisles fragenden Blick sah.
Dann fanden meine Finger wonach ich gesucht hatte und mit aller Vorsicht zog ich die bereits verknitterte Ansichtskarte hervor, die meine Erinnerung an Jake hatte sein sollen, als wir in Kanada waren.
Ich nahm einen Stift, schrieb einige Worte darauf und reichte sie mit zitternden Händen an Esme weiter.
„Gib sie Jake, wenn ich weg bin.“
Sie nickte und die Sorge in ihrem Blick versetzte mir einen zusätzlichen Stich in die Brust.
Ich war schon einmal bereit gewesen für Jake zu sterben und ich war es immer noch. Doch dieses Mal würde ich es wirklich tun müssen und nichts in der Welt würde mich davon abhalten, mein Blut zum Schutz des seinen zu vergießen.
„Du willst dich wirklich für diesen Köter opfern?“ fragte Rose aggressiv und ich wirbelte herum, um sie warnend anzusehen.
„Ich weiß, dass du nichts von ihm hältst, Rose aber ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Ich liebe Jake, Rose. Ich liebe ihn, okay? Und wenn du das nicht verstehen kannst, ist das nicht mein Problem.“ hisste ich in ihre Richtung.
„Lass gut sein, Rose. Ich sehe es mit dem selben Bedauern wie du, aber Lexi hat ihre Wahl getroffen. Das einzige, was wir jetzt tun können, ist sie unterstützen. Wir sollten sie nicht dafür verurteilen, was ihr Herz ihr gebietet.“ sagte Esme und ich war ihr für ihre Worte unheimlich dankbar.
„Danke Esme.“ Ich nahm sie in meine Arme und trotz der Kälte ihrer Haut, spürte ich die mütterliche Wärme.
„Das war es dann also?“ fragte Alice, die mittlerweile ebenfalls ins Haus gekommen war.
„Ja.“ nickte ich und spürte ungeheuren Mut durch mich strömen.
„Also wieder ein Abschied?“ sagte Jasper, während er einen Arm um Alice legte, sie einander Halt gaben.
„Ja, aber dieses Mal ist er für immer.“
Ich schluckte und straffte mich wieder. Ich wollte ihnen noch soviel sagen, soviel Dank aussprechen und ihnen zeigen, wie sehr ich sie alle liebte. Doch kein Wort würde ausdrücken können, was ich empfand.
Also drehte ich mich wortlos um und verließ das Haus. Ich trat erneut in den grauen Morgen, atmete die frische Luft ein und spürte mein Herz schlagen, als wüsste es, dass ihm nur noch wenig Zeit dazu blieb.
Ich trat unter dem Baldachin hervor, auf die kleine Wiese, die zischen dem Haus und dem Waldrand lag und blinzelte in den Himmel. Ein letzter Sonnenaufgang, ein letztes Mal Tau unter den nackten Füssen.
„DEMETRI!“ schrie ich mit aller Kraft und ein ganzer Schwarm Vögel stob aus dem Blätterwerk der Bäume hinaus in den Himmel. „KOMM HER UND HOL MICH!“
Ich wusste nicht woher ich die Sicherheit nahm, dass er mich hörte, doch irgendetwas sagte mir, dass er nicht allzu sehr entfernt war.
Ich hörte Schritte hinter mir und als ich mich umdrehte, sah ich wie die Cullens hinter mir Stellung bezogen. Ich runzelte die Stirn.
„Ich dachte, ihr könntet mir nicht helfen.“ fragte ich verwirrt.
„Das können wir auch nicht.“ sagte Carlisle traurig. „Aber was wir können, ist dich nicht allein zu lassen.“
Ich nickte gerührt und wand meinen Blick wieder gen Waldrand, nur darauf wartend, dass meine Gegner auftauchen würden. Mit meiner Familie im Rücken fühlte ich mich gegen jeden Anblick gewappnet.
Auf Alice Wahrnehmung konnte ich mich nicht verlassen. Da Jake bei ihnen war, störte er ihre Fähigkeiten.
Doch es dauerte nicht allzu lange, bis ich das Rascheln der Blätter vernehmen konnte und ich Jakes Duft deutlich in der Luft schmecken konnte. Doch da war mehr. Ich roch Blut und augenblicklich spürte ich den Zorn in mir auflodern, wie ein Feuer in das man Öl goss.
Sie hatten keine Ahnung, wen sie sich gerade zum Feind gemacht hatten.
Ich spürte die alten Reflexe in mir, die Aufregung vor einem Kampf und ich würde es ihnen keinesfalls leicht machen.
Schließlich teilte sich der Wald und mein Blick fiel als erstes auf Jake. Umringt von Alec, Felix und Demetri. Jane ging wenige Schritte hinter ihm, den Blick auf ihn gerichtet, um ihn jederzeit unter Kontrolle halten zu können.
Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als ich ihn sah. Er sah mitgenommen aus, seine Stirn zierte ein großer Schnitt und das Blut, dass über seine Wangen lief war frisch und tiefrot.
Ich konnte nur erahnen, wie schwer seine Verletzung sein musste, dass sie trotz seiner Heilkräfte immer noch so sichtbar war. Hemd und Smoking waren verschwunden und sein Oberkörper nackt und schmutzig, als habe er sich auf dem Waldboden gewälzt.
Doch er ging aufrecht, als wolle er zeigen, dass er sich nicht unterkriegen ließ.
Als sie hervortraten und er mich sah, wich alle Luft aus ihm und seine Augen schlossen sich in Verzweiflung.
Aber was hatte er erwartet? Dass ich ihn sterben ließ?
Ungefähr 5 Meter vor uns, blieben sie stehen, während Demetri einen weiteren Schritt auf mich zu machte, jedoch respektierlichen Abstand bewahrte.
„Immer schön zu sehen, wenn ein Plan funktioniert.“ sagte er und grinste in meine Richtung.
Ich hätte am liebsten auf ihn eingeschlagen.
Doch meine Aufmerksamkeit wurde von ihm abgelenkt, als ich sah, wie Jake mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Knie sank und Janes Blick eindeutig dafür verantwortlich zu sein schien.
Ich wollte losstürmen, mich auf sie stürzen und sie ihre eigene Medizin kosten lassen, doch Emmett schlang seine Arme um meine Mitte und hielt mich zurück.
„Nicht so, Lexi.“ flüsterte er mir zu, doch ging ich immer noch gegen ihn an.
„Ist sie nicht süß?“ fragte Demetri an Felix gewandt, der nur leise schnaubte.
„Ich hätte es beinahe nicht bemerkt, aber dank Jane...Die weibliche Logik ist doch immer wieder faszinierend. Mir war entgangen, dass du dich niemals so unhöflich verhalten würdest, einen Gast der vegetarischen Cullens hinter ihrem eigenen Haus zu meucheln. Ein Umstand auf den mich Jane liebenswürdiger Weise noch rechtzeitig hinwies. Diese kleine Rothaut scheint dir ja wirklich etwas zu bedeuten.“
Ich knurrte und wehrte mich weiter gegen Emmett, bis Jasper ihm half mich unter Kontrolle zu halten.
„Du weißt nicht, wen du dir gerade eben zum Feind gemacht hast, Demetri. Ich werde dich auf direktem Weg in die Hölle schicken!“ schrie ich ihn an und beruhigte mich nur schwerlich, dank Jaspers Eingreifen.
„Oh Lexi..“ lächelte Demetri, bevor seine Züge ernst wurden. „Wir sind seit 200 Jahren Feinde, obwohl mir das Wort Kontrahenten irgendwie besser gefällt.“ sagte er selbstgefällig. „Und bei dem Geruch, den dein kleiner Liebling verströmt, glaub mir, befinde ich mich bereits in der Hölle. Es wird eine Wohltat sein, ihn für immer von der Erdoberfläche zu tilgen.“
„Du wirst bei dem Versuch sterben!!“ schrie ich voller Wut und Zorn in seine Richtung, während ich auf Janes Zügen ein sadistisches Lächeln erkennen können.
Der Schrei Jakes der folgte, zertrümmerte mich regelrecht. Sein Oberkörper fiel wie Stein auf das Gras, seine Augen verdrehten sich, bis nur noch das Weiße in ihnen zu sehen war und sein gesamter Körper krampfte sich zusammen, als würde er einen epileptischen Anfall durchleben.
Ich schrie mit ihm, schrie vor Leid ihn so sehen zu müssen und wie eine Furie wehrte ich mich gegen meine Brüder, die mich immer noch davon abhielten, Rache zu üben.
„LASST MICH LOS! SOFORT“ schrie ich immer wieder, den Anblick Jakes nicht ertragen könnend, der immer noch zuckend im nassen Gras lag.
Ich wünschte ihm Bewusstlosigkeit, die Möglichkeit, die Schmerzen auszuschalten, doch Jane senkte ihren Blick wieder, bevor er erlöst wurde.
„ICH BRING DICH UM, JANE!! ICH WERDE DIR DEINE DRECKIGEN KLEINEN AUGEN AUSKRATZEN!“ drohte ich hasserfüllt, während ich weiterhin versuchte mich zu befreien.
Doch trotz all der Schläge und Tritte, die ich verteilte, hielten mich Jasper und Emmett immer noch fest im Griff.
„Es ist ganz einfach, Alexis. Wir hören auf, ihm wehzutun, wenn du das willst. Aber dafür musst du dich ergeben. Ich weiß, ist etwas übertrieben. Wir sind schließlich zu viert, ich glaube kaum, dass du gegen uns ankommen würdest, aber ich möchte den Triumph genießen, wie du freiwillig vor mir kniest.“ sagte Demetri diabolisch.
„ICH WERDE NIE VOR DIR KNIEN!“ spie ich ihm entgegen, vollkommen wahnsinnig vor Zorn.
„Felix?“ sagte Demetri kalt und der hünenhafte Vampir beugte sich zu Jake hinab, ergriff seinen rechten Arm und drehte ihn auf seinen Rücken.
„Sicher, dass du es nicht tun wirst?“ fragte Demetri lapidar und ich hörte das Knacken eines brechenden Knochens, als Felix Jakes Arm zurück riss.
„Nein, nein...“ stammelte ich und suchte Jakes Augen, die flehend zu mir sahen, verschleiert von Schmerz und körperlichen Qualen.
„Tu es nicht, Lexi“ sagte er schwer atmend, während ihm der Schweiß, vermischt mit seinem Blut von der Stirn rann.
„Ganz schön tapfer, der Kleine. Hast ihm wohl gehörig den Kopf verdreht, hm?“ fragte Demetri an mich gewandt und ich versuchte tatsächlich ihn mit meinem Blick zu töten.
„Lasst mich bitte los.“ sagte ich ruhig zu Jasper und Emmett und widerwillig lösten sie ihren eisernen Griff um mich. Ich machte einige, wenige Schritte auf Demetri zu.
Jake schüttelte immer wieder den Kopf.
„Tu´s nicht. Lexi. Bitte...Er wird dich töten.“ flehte er mich an, doch ich schenkte ihm nur ein warmes, ehrliches und liebendes Lächeln.
„Shht...schon gut, Jake. Alles wird gut.“ beruhigte ich ihn und hielt weiter auf Demetri zu.
„Geh zurück!“ sagte er nun eindringlicher, während er vor Jane kniete und sich seine gebrochene Schulter hielt.
Doch als er sah, dass ich ihm nicht gehorchte, ging sein Blick hinüber zu den Cullen.
„Haltet sie auf, verdammt! Emmett! Alice! Lasst sie das nicht tun. Ich bin egal. SIE WERDEN SIE TÖTEN, VERDAMMT NOCHMAL. UNTERNEHMT ENDLICH WAS“ forderte er sie schreiend auf und Jasper machte einen zögernden Schritt vorwärts.
„ICH WERDE DICH TÖTEN, EMMETT, WENN DU SIE NICHT ZURÜCKHÄLTST“ schrie er außer sich, doch ich drehte mich nicht um. Ich wusste, dass seine Drohung nicht ausrichten würde.
„Lexi, bitte...“ ich sah Tränen in seinen Augen und es kostete mich alle Beherrschung, die ich noch hatte, sie anzusehen.
Ich hielt nur einen Meter vor Demetri an und blickte ihm provozierend in die Augen.
„Ich werde vor dir knien, ich werde mich ergeben und du hast mein Ehrenwort, dass ich mit Euch gehen werde, ohne mich zu wehren. Wenn ich dein Wort als Ehrenmann bekomme, dass Jake nichts weiter geschieht. Und ich will mich von ihm verabschieden.“ fragte ich ruhig.
Demetri überlegte einen Moment, bevor er nickte.
„Du hast mein Ehrenwort, wenn ich das deine habe.“
„Ja, du hast es.“ sagte ich ehrlich und warf einen letzten Blick auf meine Familie, bevor ich mich langsam, mit gesenkten Kopf vor den Vampir kniete, der im Begriff war, mein Leben zu zerstören.
„Du hast gewonnen.“
Demetri lachte und klatschte vor Freude in die Hände.
„Schön, dass wir das nach 200 Jahren endlich einmal klären konnten. Du hast 5 Minuten.“ sagte er, winkte den anderen ihm zu folgen und sie zogen sich in die Schatten der Bäume zurück.
Augenblicklich eilte ich zu Jake hinüber und nahm sein Gesicht in meine Hände.
„Das hättest du nicht tun dürfen.“ sagte er gequält, doch ich legte ihm meinen Zeigefinger auf die wunden Lippen.
„Ist schon okay, mein Herz. Mir wird nichts passieren.“ beruhigte ich ihn, obwohl wir beide wussten, dass ich log.
Vorsichtig glitten meine Finger über die Wunde an seiner Stirn und mit Erleichterung stellte ich fest, dass sie bereits wieder verheilte.
„Versprichst du mir etwas?“ fragte ich sanft und suchte den Blick seiner Augen, während er sich an meine Handinnenfläche schmiegte.
„Vergiss mich nicht, okay?“ ich musste schlucken, denn der Kloß in meinem Hals war schwer zu ignorieren. „Du musst das nicht tun, Lexi. Bitte. Bleib hier. Mir ist egal, was sie mit mir machen, wenn es dir nur gut geht.“ flehte Jake erneut und ich lächelte ihn weich an.
„Denkst du, es würde mir gut gehen, wenn sie dich in Stücke reißen?“ fragte ich nachsichtig und beantwortete meine eigene Frage. „Nein, ich würde mich selbst in Stücke reißen müssen, wenn ich das zuließe. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir und ich habe auf dieser Welt bereits genug gesündigt. Und du hast mich in den letzten Wochen so glücklich gemacht. Mein Leben ist an mir vorbeigezogen, wie Regen in der Nacht, bis du darin aufgetaucht bist. Und deswegen werde ich immer bei dir sein. Ich werde in deiner Brust schlagen und deinem Herzen helfen, nicht zu zerspringen. Du hast mich stark gemacht, du hast mir ein Zuhause gegeben und jetzt weiß ich, dass nichts in der Welt mich besiegen kann.“ ich fuhr ihm zärtlich durch das verklebte Haar und die ersten Tränen bahnten sich einen Weg über meine Wangen, doch mein Lächeln für ihn war unerschütterlich.
„Ich kann das nicht zulassen, Lexi. Du bist der einzige Grund für mich zu leben und wenn es dich nicht mehr gibt, habe ich keinen Grund mehr hier zu sein.“ begehrte er auf, doch ich schüttelte den Kopf.
„Doch, den hast du. Mach dein Leben nicht von meinem abhängig, du wirst einen Weg finden.“
„Ich liebe dich.“ sagte er schmerzverzerrt und ich streichelte seine Wange.
„Ich weiß und ich brauche es, wie die Luft zum Atmen. Das ist meine Stärke, mein Schild gegen alles und jeden. Wenn du tot bist, kannst du mich nicht lieben.“
Wieder nahm ich sein Gesicht in meine Hände und blickte in diese wunderschönen Augen, bevor sich die meinen schlossen und ich mich seinen langsam seinen Lippen näherte.
Ich spürte mein Herz aufbegehren, während in meinem Bauch nicht ein einziger Schmetterling den Abflug wagte. Sein Atem roch bittersüß, doch seine Lippen waren weicher denn je, als wir zu einem Kuss verschmolzen
Leise schluchzte ich in seinen Mund, bevor ich hinter seinem Rücken ausholte und ihm mit voller Kraft gegen den Hinterkopf schlug. Das Geräusch, das dabei entstand, verursachte mir Ekel, doch als Jake bewusstlos in meinen Schoß sank, wusste ich, warum ich es getan hatte.
„Carlisle?“ rief ich bebend, nun den Tränen freien Lauf lassend und den Mann meines Herzens in den Armen wiegend.
Sofort war er an meiner Seite und nahm mir Jake vorsichtig aus den Armen.
Ich rappelte mich auf und fühlte mich dazu veranlasst, mich zu verteidigen.
„Er hätte mich nie gehen lassen.“ sagte ich schluchzend und Carlisle nickte verstehend.
„Gebt auf ihn Acht, okay? Lasst nicht zu, dass er sich etwas antut.“
Sie nickten und ich versuchte ihnen unter den Tränen hindurch ein Lächeln zu zeigen.
„Macht euch keine Sorgen um mich. Ich bin wie Unkraut. Ich vergehe nicht. Und wenn es nun an der Zeit ist, für mich zu sterben, dann erinnert euch im Guten an mich, ja? Vielleicht wollt ihr mich sogar ein bisschen vermissen. Es würde mir leichter fallen, geliebt zu gehen.“
Alice schluchzte trocken, während sie ihr Gesicht an Jaspers Schulter verbarg und bevor mich noch etwas umstimmen konnte, wandte ich mich ab und folgte den Volturi in eine ungewisse Zukunft.
Die Zeit verging schleppend. Gefangen in einem Raum ohne Fenster, fiel es mir schwer die Zeit abzuschätzen, die vergangen war, seit man mich hier her gebracht hatte. Wie der Todeskandidat in seiner Zelle, wartete ich nur auf den Moment, da die Türen sich öffnen würden und man mich zum Schafott brachte.
Ich hatte seit meiner Ankunft niemanden zu Gesicht bekommen. Man hatte mir verwehrt, Aro oder Marcus zu sprechen und auch Caius hatte es bisher nicht für nötig gehalten, mir einen Besuch abzustatten.
Ich wurde im Dunkel gelassen und das mit Absicht. Caius wollte mich zermürben, unwissend lassen, bis ich begann die Wände hochzugehen.
Doch das kleine Feuer in meiner Brust, entzündet von Jakes Liebe zu mir, brannte hell genug, dass die Dämonen mich noch nicht umfangen hatten.
Kein Geräusch drang von außen zu mir und eingebettet in diese vollkommene Stille, hatte ich meinen Frieden mit mir gemacht.
Die Tatsache geliebt zu sein, selbst lieben zu dürfen, versöhnte mich mit Gott und der Welt.
Dass man mir die letzten Wochen gestattet hatte, war für mich ein Zeichen, dass mein Unrecht hier auf Erden gesühnt war und egal, was mich erwarten würde, ich war bereit dafür.
So bereit, wie man sein konnte, wenn man jemanden zurückließ, den man nicht zurücklassen wollte.
Ich hatte lange für diese Einsicht gebraucht. Denn anfangs kam es mir vor wie eine Teufelei, eine letzte, große Strafe für alles, was ich getan hatte. Als wolle man mir einen Vorgeschmack auf das geben, was mich nach meinem Leben erwarten würde. Erst schickte man mir einen Engel, um mich dann von ihm zu trennen.
Doch nach den vielen einsamen Stunden, allein mit meinen Gedanken, hatte ich erkannt, dass Jake keine Strafe, sondern eine Bereicherung war, ein Geschenk. Und diese Erkenntnis half mir, mich mit dem Bevorstehenden zu arrangieren.
Wenn das Bevorstehende nur endlich geschehen würde.
Ich wollte nicht sterben. Doch einfach zu warten und zu wissen, dass es keinen Ausweg mehr gab, es passieren würde, ob ich wollte oder nicht, war zermürbend.
Und so seltsam es war, ich hatte auch meinen Frieden mit Caius gemacht. Ich hatte ihm verziehen, für das was er getan hatte und für alles, was er noch tun würde. Ich wollte nicht mit Rachegelüsten und Hass gehen, sondern im Reinen mit mir und meiner Umwelt.
Fest klammerte ich mich an das Bild Jakes in meinem Kopf, an das Gefühl Teil einer Familie zu sein und meine Gebete galten nicht mir, sondern ihm und den Cullens.
Meine Gedanken waren stets bei ihnen und im Besonderen bei Jake. Ich hoffte, sie würden einander Kraft geben können und ich wünschte mir, dass Bella für ihn da sein würde, wie er es für sie gewesen war, da Edward sie verlassen hatte.
Vielleicht würde ein starkes Netz aus Freunden es schaffen, seinen Fall zumindest zu bremsen und ihm zeigen, dass unsere gemeinsame Zeit sein Leben bereichert hatte, mein Verlust jedoch nicht das Ende aller Tage bedeutete.
Meine nackten Füße hatten mittlerweile bereits eine Furche in den hochflorigen Teppich in meinem Gefängnis gelaufen und soweit ich es einschätzen könnte, befand ich mich in einem der privaten Gemächer, die eigentlich nur den höheren Volturi zustanden.
Meine Kehle brannte vor Durst und ich begann zu befürchten, dass Caius mich hier einfach verhungern lassen würde. Welch passendes Ende für einen Vampir.
Ich starb an dem Ort, an dem ich aufgewachsen war und somit schloß sich der Kreis.
Ich lehnte mich gegen eine der verzierten Wände, fuhr mit den Finger über die Mahagonintarsien und schloß die Augen. Sofort erschien Jakes Gesicht vor meinem inneren Auge und unwillkürlich musste ich lächeln. Er war meine Stärke, mein Ort des Friedens und mein Schutz und ich vermisste ihn mit jeder Faser meines Körpers. Langsam rutschte ich an der Wand hinab, schlang meine Arme um meine Knien und begann mich leicht zu wiegen. Wie er es stets getan hatte, wenn er mich umarmte.
Müdigkeit kroch durch meine Glieder, ich fühlte mich ausgezehrt und fragil, wie eine Kristallvase, die bei jeder noch so kleinen Berührung auseinanderbrach.
Denn trotz der Liebe in meinem Herzen, fühlte ich mich einsam und ich konnte mich nicht von der Angst vor meinem Ende befreien. Ich hatte so hart gekämpft und geglaubt, all meine Kämpfe gewonnen zu haben, nur um herauszufinden, dass der Krieg erst begonnen hatte.
Die Schwäche eines einzigen Momentes, hatte mein ganzes Leben bestimmt.
Und jetzt da ich mich wieder vollständig fühlte, geheilt und erneuert, zerstörten die Narben meiner Vergangenheit mein Leben ein weiteres Mal.
Und während ich auf dem Boden saß, nicht wissend, ob ich bereits seit Tagen oder erst seit Stunden hier war, öffnete sich die schwere Flügeltür und das Licht dass herein fiel, blendete meine Augen.
Ich hielt mir eine Hand vor die Augen und versuchte auf irgendeine Weise, auszumachen wer zu mir kam. Alarmiert rappelte ich mich auf und war nicht wirklich erstaunt, als Caius, gefolgt von einem Vampir, den ich nicht kannte, in den Raum stolzierte.
Seine Züge waren immer noch so jugendlich wie eh und je, doch seine roten Augen verrieten jedem, dass sein weiches Aussehen, nur darüber hinwegtäuschte, dass Gefahr in ihm lauerte.
Seine Kleidung war opulent und sein Haar akkurat zurück gekämmt.
Einst hatte mich dieser Anblick mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllt, doch heute sah ich in ihm nur meinen Henker.
Ich versuchte mich zu straffen, mit Stolz und Anmut dem entgegen zu sehen, was auch immer über mich hereinbrechen würde und in Gedanken war ich in Jakes Armen, umringt von allen, die ich liebte. Dieser Ort in meinem Kopf war sicher und beruhigend, er gab mir Kraft, auch wenn ich spürte, wie ich zu zittern begann.
Caius trat auf mich zu, ungeniert und emotionslos. Er legte einen Finger unter mein Kinn und hob den Blick meiner Augen in seine.
„Wahrlich.“ sagte er und die Stimme, die mich seit hunderten Jahren in meinen Träumen verfolgt hatte, ließ mich frieren. „Immer noch so wunderschön, wie an dem Tag, da du mich verlassen hast.“
Er lächelte und ich hatte Angst zu atmen. Wie versteinert sah ich zu ihm auf und spürte, wie mein Herz begann schneller zu schlagen.
Caius beugte sich zu mir herab, küsste meinen Mund und ich erschauderte unter dem harten Druck seiner kalten Lippen.
Ich versuchte vor ihm zurückzuweichen, doch die Wand war bereits in meinem Rücken, so dass mir keine Rückzugsmöglichkeit mehr blieb.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Alexis.“ sagte er, doch seine Stimme zeugte von der offensichtlichen Lüge seiner Worte.
„Ich habe keine Angst.“ antwortete ich trotzig, ebenso eine Lüge erzählend, wie er.
„Du hattest nie Angst. Ich habe deinen Mut immer geschätzt, ebenso wie deinen Stolz.“ er zog sich wieder ein wenig von mir zurück und betrachtete mich im Ganzen.
„Doch muss ich zugeben, dass die heutige Mode, deinen Vorzügen nicht wirklich gerecht wird.“
Er wies den Vampir, den er mitgebracht hatte an, die Türe wieder zu schließen und das Licht zu entzünden. Er schloß sich mit mir ein und ich wusste, dass dies kein Anstandsbesuch werden würde.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und wollte ihm die Stirn bieten, ihn bitten es schnell zu beenden.
„Tu, was du tun musst, Caius. Mir steht nicht der Sinn nach einer Plauderei.“ sagte ich brüsk und Caius Augen funkelten mich drohend an. Doch seine Stimme klang samtweich und freundlich.
Caius war eindeutig ein Wolf im Schafspelz.
„Du hast nichts zu berichten, nach der langen Zeit, da wir voneinander getrennt waren? Keine aufregenden Geschichten? Kein Wort, dass du an mich richten willst?“ fragte er fast ein wenig enttäuscht und ich schüttelte den Kopf.
„Nein, ich habe dir nichts zu sagen, nichts zu berichten und nichts zu erzählen.“
„Du enttäuscht mich fast ein wenig. Ich hatte Anschuldigungen erwartet, ein wenig Reue vielleicht. Aber nicht, dass du stumm bist.“
„Du willst etwas von mir hören?“ fragte ich um Ruhe bemüht, während Caius vor mir auf und ab ging. „Dann höre das. Ich vergebe dir.“
Mit einem Mal war er bei mir, schlug mich gegen die Wand und drückte mit einer Hand meine Kehle zu.
„DU vergibst MIR?“ zischte er mir entgegen und seine ruhige Fassade fiel mit einem Schlag von ihm ab.
„Du wagst es dich?“ erneut schlug er mich mit dem Hinterkopf gegen die Holzwand und ich spürte die Benommenheit in meine Gedanken Einzug halten.
Ich hatte Angst, Todesangst. Er war mein Alptraum, mein Feind und ich wusste, dass ich ihm hilflos ausgeliefert war.
„Ja...“ röchelte ich dennoch und abrupt ließ er mich los und ich knallte hart auf den Boden.
Augenblicklich fuhren meine Hände an meinen Hals und ich versuchte mit aller Kraft, wieder Luft in meine Lungen zu pressen.
Caius wandte sich von mir ab und ließ sich von dem zweiten Vampir aus seinem schweren, kunstvoll bestickten Mantel helfen, bevor der sich die Hemdsärmel aufknöpfte und nach oben schob.
Ich versuchte wieder auf die Beine zu kommen. So sehr die Panik auch in mir pulsierte, ich hatte mir geschworen, mich bis zum letzten Atemzug gegen ihn zu erheben.
Mit allgewaltiger Macht traf mich die Rückseite seiner Hand und ich flog einige Meter durch den Raum. Woher wussten Männer nur immer, wie man eine Frau schlug?
Ich glaubte mein Kopf müsse zerplatzen und bunte Punkte begannen vor meinen Augen zu tanzen.
Und dennoch stützte ich mich erneut am Boden ab und nachdem ich es geschafft hatte, wieder auf die Knie zu kommen, stand ich ein weiteres Mal auf.
Ich schmeckte mein eigenes Blut und an Caius Blick sah ich, dass er es ebenso bemerkt hatte.
Seine Augen wurden schwarz und schnell wischte ich mir über die aufgeplatzte Lippe, um das Blut fortzuwischen.
„200 Jahre hast du dich vor mir versteckt. Bist vor mir fortgelaufen, wie eine Maus vor dem Habicht. Hast du wirklich geglaubt, du könntest es schaffen?“ fragte er sichtlich erregt und ich nahm all meinen Mut zusammen.
„Ich habe es zumindest versucht.“ sagte ich bissig und suchte halt an dem kleinen Tisch, der in einer Ecke stand.
„Ohne Erfolg, wie es aussieht.“ sagte er gehässig.
„Hat 200 Jahre bestens funktioniert.“ entgegnete ich provokant, als erneut der Boden unter mir verschwamm, als Caius mich an den Haaren zu sich zog und mir mehr als nahe kam.
„Dein Glück ist vorbei.“ zischte er mir entgegen und ich wusste, dass der Moment meines Todes unmittelbar bevorstehen musste.
„Dann tu´s endlich, bring es hinter dich. Befrei dich von der Mäuseplage, die ich für dich bin.“ provozierte ich ihn weiter. Ich wollte nur noch, dass es vorbei war. In mir war keine Hoffnung mehr.
„Nein...“ sagte er diabolisch und grinste mich an. „..noch nicht, meine Liebste. Aber bald, sehr bald. Ich werde dir noch etwas Zeit geben, dich auf den Moment zu freuen, da es passieren wird.“
Und dann riss er meinen Kopf beiseite und schlug seine Zähne in meinen Hals, dass ich das Fleisch unter seinem Biss knacken hören konnte.
Gierig begann er von mir zu trinken und das Leben schien gemeinsam mit meinem Blut meinen Körper zu verlassen. Meine Lider begannen zu flattern, doch kurz bevor ich mich dankbar in den Schoß der Bewusstlosigkeit fallen lassen konnte, ließ Caius von mir ab.
Er tätschelte meine Wange auf eher unsanfte Weise und als ich die Augen aufschlug, konnte ich noch mein Blut auf seinen Lippen sehen. Angewidert schloß ich sie wieder.
Ich war am Ende meiner Kräfte. Mein langer Verzicht auf Blut hatte mich geschwächt und meine Heilkräfte litten unter der Abwesenheit der Kraft, die es mir gebracht hätte, wenn ich wenigstens ein Reh erlegt hätte.
„So einfach wirst du dich nicht davon stehlen können. Wir haben noch eine Menge miteinander zu besprechen.“ sagte er lapidar und ließ mich wieder los, nachdem er mich wohl vom Boden hochgehoben hatte.
Ich stolperte einige Schritte, bevor ich wieder einen halbwegs festen Stand bekam und atemlos zu ihm hinüber sah.
Ich hatte seine sadistische Ader gekannt, die Lust, die es ihm bereitete mit seinen Opfern zu spielen. Doch jetzt da ich sie am eigenen Leib erfahren musste, erschien sie mir noch ausgeprägter zu sein. Vielleicht hatte auch er in den letzten Jahrhunderten dazu gelernt.
„Du warst ein sehr böses Mädchen, Alexis.“ sagte er und kam wieder auf mich zu, während ich in dem kleinen Raum vergeblich nach einer Deckung suchte.
„War ich das?“ fragte ich zitternd und spürte meine Magenwände rebellieren. Ein bitterer Geschmack lag mir im Mund und ich wusste nicht, wie lange ich noch in der Lage sein würde, ihm Kontra zu bieten. Denn was auf der anderen Seite auf mich zu warten schien, wurde mit jeder Sekunde verlockender und reizvoller. Schlimmer als hier, konnte es nicht sein.
„Ohja...“ sagte er und ließ sich wieder in den Mantel helfen.
Ich schluckte und spürte meinen Brustkorb sich immer heftiger aufbäumen.
„Es hätte so viel einfacher sein können, wenn du dich zurück gehalten hättest. Ich hätte dein Leben jetzt und hier auf der Stelle beendet und mir eine Menge Diskussionen ersparen können. Jetzt muss ich zu anderen Mitteln greifen. Aro will dich sehen und ich kann nicht zulassen, dass er Details unserer Verbindung erfährt. Bevor ich dich also in die Abgründe der Hölle hinab stoße, werde ich sichergehen müssen, dass die Dinge, die du weißt, nie wieder dein hübsches Köpfchen verlassen.“
Meine Knie waren weich wie Butter und ich wusste nicht, was seine Worte bedeuteten.
„Darf ich dir Josua vorstellen? Neuestes Mitglied der Volturi und zur Zeit mein Protegé. Ein wahnsinniges Talent und unheimlich begabt auf seinem Gebiet.“ auf einen Wink Caius´ kam der andere Vampir ins Licht und ich erschauderte bei seinem Anblick.
Nichts an ihm wirkte wirklich gefährlich. Seine Statur war eher schmal und er war auch nicht wirklich groß. Doch etwas in seinem Blick, und es war nicht das stechende Rot seiner Augen, hatte etwas düsteres. Automatisch schlug ich die Augen nieder. Ich fühlte mich der Musterung Josuas nicht gewachsen. Trotzdem kam er weiter auf mich zu, während Caius sich ganz allmählich zurückzog und schließlich die Türen öffnete.
„Ich wünsche euch viel Vergnügen beim Kennenlernen. Ich bin mir sicher, du wirst sehr beeindruckt sein...allerdings wirst du es sehr schnell wieder vergessen.“ Caius lächelte schmierig und wandte sich dann an Josua.
„Bring sie zu mir, sobald du hier fertig bist.“ damit verschwand er nach draußen und ließ mich mit Josua allein.
Ich konnte mir nicht im Geringsten vorstellen, welche Fähigkeiten er besaß und was nun mit mir geschehen würde. Meine Vorsicht mahnte mich dazu, weiter vor ihm zurückzuweichen. Aber das Zimmer war zu klein, um zu entkommen und ich war nicht so naiv, zu glauben, dass ich es bis zur Tür schaffen würde.
Ich hatte durchaus ebenbürtige Kräfte, doch war ich durch die Torturen der letzten Stunden so geschwächt, dass ich mir einen offenen Angriff nicht zutraute.
„Komm her.“ sagte Josua und war überrascht von dem sanften Klang seiner Stimme.
Hätte ich nicht gewusst, meinem Instinkt zu vertrauen, ich hätte Josua für einen netten Kerl gehalten.
Doch alle Alarmglocken in mir schrillten monoton und unüberhörbar.
Ich schüttelte den Kopf, bewegte mich immer weiter von ihm fort, während er mir beharrlich folgte.
„Ich werde dir nicht wehtun.“ sagte er und ich glaubte ihm kein Wort.
Unsanft stieß ich mit den Oberschenkeln gegen den Tisch und wusste, dass ich nicht weiter würde ausweichen können.
Genau im selben Moment, war Josua bei mir und legte seine Hände an mein Gesicht.
Sein Griff war fest und schmerzhaft, so dass ich versuchte mich zu befreien.
Sein Blick bohrte sich in meine Augen und obwohl ich es wollte, ich war nicht in der Lage wegzusehen.
Schreckhaft weiteten sich meine Pupillen und mir blieb die Luft weg. Ein rotzuckender Blitz aus Schmerz zuckte durch meinen Kopf und ich spürte, wie mein Blut aus Mund und Nase tropfte.
Ich glaubte zu verglühen. Nie in meinem Leben hatte ich einen solchen Schmerz verspürt und nun glaubte ich nicht mehr an Caius Worte, dass heute nicht der Tag meines Todes sein würde.
Ich versucht einen Ort in meinem Kopf zu finden, der nicht schmerzte, bis die all umfangende Schwärze über mir hereinbrach und ich mit dem aufgeregten Klang meines schnell schlagenden Herzens im Ohr, das Bewusstsein verlor.
Ende Buch 1
Teil 2 Ausgelöscht
Texte: Alle bekannten Figuren, gehören Stefanie Meyer. Ich besitze keinerlei Rechte an Ihnen. Das Cover ist selbst erstellt, mit einer Vorlage von Deviantart.
Tag der Veröffentlichung: 11.08.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen Schatz, der das alles mit stoischer Ruhe erträgt.