Es war dunkel wie in einer Kuh. Nicht, dass einer der Dorfbewohner je in einer Kuh gewesen wäre, doch so ungefähr musste es dort drinnen sein. Die Hand vor den Augen nicht erkennen können, so stellte sich jeder hier das Innenleben einer Kuh vor. Zappenduster eben. Alles komplett schwarz.
Und die Straßenlaternen?
Alle, wirklich alle, funktionierten nicht.
Entweder hatten Jugendliche durch Steinewerfen die Glühbirnen kaputt geschlagen oder aber der Bürgermeister meinte mal wieder, sparen zu müssen und setzte an den Anfang seiner Kürzungen die Glühbirnen der Straßenlaternen.
Wer hatte, was so spät in der Nacht auf der Straße verloren?
Der anständige Dorfbewohner war zu Hause im Schoß seiner Familie und schlief bereits seit mindestens 2 Stunden in seinem Bett und gab sich dabei seinen Träumen hin.
Der anständige Dorfbewohner.
Ein anständiger Dorfbewohner war er auch.
Ein Bett hatte er auch in seinem Haus. Doch in diesem seinem Haus war er, seit sein Vater verstorben war, mutterseelenallein.
Und es war alles anders im Dorf geworden.
Alle, so gut wie alle waren sie weg. Weggezogen. Alle Deutschen, die noch einigermaßen in Schuss waren. Sie waren nun weit weg. Hunderte von Kilometer weit weg im Westen.
Seine 2 Schwestern, seine Nichten und die Neffen.
Er war allein. Allein auf der Welt. Das war sein Grundgefühl. Jeden Tag. Jeden einzelnen verdammten Tag.
Natürlich wusste er, dass er nicht der einzige war, dem die Welt Schmerz zugefügt hatte. Aber auch dieses Wissen half ihm in den bittersten und härtesten Momenten von Qual und physischen Schmerzen nicht weiter.
Er wachte in der Nacht mit höllischen Herzschmerzen auf. Er hatte das Gefühl bei lebendigem Leib, wie ein Hund zu verrecken. Ein Hund, der sich selbst Nahrung zuführte.
Ja, das war er. Er mit Namen Michael Schneider.
Doch diese allein körperliche Nahrung half auf Dauer nicht. Die Seele, die machte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung. Meist schrie sie laut auf und Michael meinte schon jeder, jeder der ihm begegnete, müsse sie hören.
Diese seine qualvoll verreckende Seele.
Oft mied er gerade deshalb die Menschen und wurde mittlerweile schon als Einsiedler bezeichnet. Er? Ein Einsiedler?
Wie weit war es mit ihm gekommen?
Die erdrückende und schmerzhafte Einsamkeit trieb ihn aus Haus und Hof.
Tagsüber hatte er genug zu tun. Mit dem Vieh, dem Garten und der Feldarbeit. Aber abends, wenn die Kühe gemolken waren und die Nachbarn ihre Milch abgeholt hatten, dann hielten ihn keine 100 Pferde mehr Daheim.
Das grausame Alleinsein brachte ihn um den Verstand.
Zuerst ging er - wie an jedem Abend - in die Bodega. Dort kannte er jeden und alle kannten ihn. Er hielt ein Schwätzchen und bekam mit, was sich tagsüber im Dorf so alles getan hatte.
„Hast du schon gehört, die Sabina ist mit dem Kerl von der Post weggelaufen...“, so ging es rund. Manchmal wollten die Nachrichten nicht aufhören. Eine reihte sich hinter der nächsten auf, wie Perlen auf einer Schnur. Eine Perlenschnur, die mit schönen und weniger schönen Exemplaren bestückt war.
Ein paar Bierchen begleiteten die immer wieder anregende und wahrhaftig in den gesamten Raum der Bodega überschwappende Unterhaltung. Schwuppdiwupp, diwupp waren sie eines nach dem anderen weg. Hinter die Binde gekippt. Zuletzt bildeten dann die Schnäpse den Abschluss. Viele, sehr viele Schnäpse waren es meist, die den Auftrag hatten, Michaels Kummer zu ertränken.
Voll betankt versuchte er es dann bei seiner Freundin.
Seine Freundin war die Liviuta. Ja, diese von ihm über alle maßen begehrte Liviuta.
Das mit seiner Freundin war ein Kapitel für sich.
An sich war sie verheiratet und eine Respektsperson im Dorf.
An sich.
Doch schon viele Jahre pflegten die beiden eine Affäre. Ihre Treffen konnten sich immer nur in Abwesenheit ihres Mannes abspielen. Dann konnte oder durfte er mit ihr zusammen sein. Dann durfte er sich als ihr Ehemann fühlen.
Ihr Ehemann auf Zeit. Eine sehr begrenzte Zeit. Eine nächtliche Zeit.
Wie lange lag er nun auf der Lauer?
Eine Stunde? Zwei Stunden? Er wusste es nicht mehr so genau. Und als ihm der Geduldsfaden gerissen war, hatte er Steine ans Fenster von Liviutas Haus geworfen. Er wollte es nicht zulassen, dass er in Vergessenheit geriet.
Dann, endlich, kam sie heraus auf die Straße und hatte ihn vom Warten erlöst.
Sie habe noch Besuch gehabt, erzählte sie ihm aufgekratzt. Die Nachbarin, Lele Marie kam mit dem Spinnrocken zu ihr und wollte und wollte nicht mehr gehen.
Wenn sie selbst nichts mehr vorgehabt hätte und schlafen gegangen wäre, so hätte sie zu Lele Marie gesagt: „Mach das Licht aus, wenn du gehst“.
Aber sie hatte ja noch etwas vor. Sie wartete auf ihn. Auf Michael.
Liviuta hatte für sie beide ein richtiges „Liebeslager“ gebaut. So nannte sie es mit verklärtem zum Himmel hin aufgerichteten Augen.
Ganz vorne, in der guten Stube, hinter dem hohen Bett mit den gestapelten Parade Kissen hatte sie es hergerichtet. Sollte jemand unverhofft die beiden überraschen, so musste er aus der Küche ins Schlafzimmer und von dort aus weiter nach vorne in die gute Stube kommen. Das gab Liviuta die notwendige Zeit, sich rasch, mit schnellen Handbewegungen zu kleiden und eilig dem unerwarteten Eindringling entgegen zu stürmen.
Liviuta kredenzte Michael erst einmal in der großen Wohnküche ein Glas Tuica (rumänischer Pflaumenschnaps), der wie Honig hinunterlief und dabei so wunderbar die Kehle liebkoste. Michael drangen ganz plötzlich starke Gerüche in die Nase. Als er sich zum Ofen hin drehte entdeckte er die kochende und nun auf die Platte des Ofens übergelaufene Milch. Schnell sprang er auf und zog den Topf vor den entsetzten Augen von Liviuta weg. Da ihr Geruchssinn sich de facto vor Jahren verabschiedet hatte konnte sie den stringenten Geruch, der nun den Raum erfüllte gar nicht wahrnehmen.
Behutsam hatten sie sich dann zum Liebeslager vorgearbeitet und waren hoch erregt dort angekommen. In einer fiebrigen Erwartung und vor allem ungestümen Umarmung sanken sie nun auf dem zusammengestellten Berg von Kissen nieder. Sie lagen eng umschlungen nebeneinander und flüsterten sich zärtlich-erotische Worte zu. Wie sehr er sie vermisst hatte, berichtete Michael seiner Geliebten, als sie mit leichter Hand seinen Kopf streichelte und dabei seine Haarpracht verwurstellte. Von Sekunde zu Sekunde wuchs das Verlangen in ihm. Er wollte und konnte seine Leidenschaft nicht weiter zügeln müssen.
Sich alles, wie immer versagen, das tat er ja schon Tag für Tag. Sowieso. Wenn sie so weit weg von ihm war.
Sie waren zwar in demselben Dorf, aber dennoch auf zwei verschiedenen Planeten. Und diese zwei Planeten waren in zwei weit voneinander entfernten Galaxien.
Draußen auf der Straße hupte laut und beharrlich ein Auto und erregte damit die gewünschte Aufmerksamkeit. Direkt im Anschluss wurde am Tor des Hauses gerüttelt und geschüttelt, was das Zeug hielt.
Liviuta erschrak sichtlich als sie die Vehemenz des Angriffes auf das Tor ihres Hauses wahrnahm. Sie sprang auf und zog sich in Windeseile an. Sie band sich schnell, mit wenigen Handgriffen das Tuch auf dem Kopf zurecht. Dann rannte sie bereits nach hinten in die Küche.
Sie musste den Eindringling draußen im Hof abfangen. Er durfte nicht reinkommen, wenn er schon ungebeten und ohne jegliche Vorankündigung - so mir nichts dir nichts - vor ihrem Haus stand.
Liviuta: "Tu esti, dragu meu, Sorin? Credeam ca tu vi miine“.(Du bist es mein lieber Sorin? Ich dachte, du kommst erst morgen.)
Mit Absicht hatte sie die Worte übermäßig laut, schon fast heraus geschrien. Ihr Stimme war dabei ihr zu entgleiten, so übel übertrug sich die Aufregung auf ihre Stimmbänder. Michael sollte mitbekommen, dass Sorin statt morgen bereits heute eingetroffen war. Ihr Neffe kam wirklich im allerschlechtesten Moment.
Michael zog schnell seine Hose, sein Hemd, die Weste, sowie die bocanci an. In der Eile vergaß er seine grob gestrickten Socken, die vor dem Fenster lagen.
Als er mitbekam, dass das große Tor von innen geschlossen wurde, öffnete er vorsichtig das Fenster zur Straße, danach die Fensterläden und sprang mit gebotener Vorsicht in den dunklen Schlund der Straße hinein.
Das Haus von Liviuta war solide gebaut worden. An der mächtigen Fassade waren die Fenster hoch oben angebracht. Von außen konnte keiner ohne die Zuhilfenahme einer Leiter einsteigen. Und von innen auf die Straße zu springen, war auch nicht ohne Folgen geblieben, musste Michael nun von Schmerzen gebeutelt, gestehen.
Beim Aufkommen auf der Straße war Michaels linker Fuß leicht umgeknickt. Der Knöchel schmerzte. Er biss sich auf die Lippen und konnte nur mit großer Mühe den Schrei – der seiner Kehle entrinnen wollte - unterdrücken. Auf diesen Schmerz konnte er in diesem Moment, keine Rücksicht nehmen.
Solange er auf der asphaltierten Hauptstraße entlang ging, merkte er die Schmerzen, die sein Knöchel verursachte nicht so sehr. Doch dann sollte sich schlagartig alles ändern.
Michael bog links in die Straße am Bach ein, um dann brummend vor sich hin zu stolpern.
Die Straße war durch den Regen der letzten Tage in einem noch Zustand als sonst. Die Löcher waren größer und schienen sich mindestens verdoppelt zu haben.
Als er nun von Loch zu Loch seinen Weg finden musste, sah dies nun ganz anders aus.
Bei jedem Schritt und Tritt hatte er Schmerzen weil sein Knöchel sich zu Wort meldete. Er zählte die Schritte und hoffte inständig, den Weg nach Hause so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Weihnachten 1978
Mein Vater, das ist der Michel, wischt und tut und macht und säubert seine Lederjacke. In der Küche, wo ich Martha, 18 Jahre alt beim Frühstück sitze. Hatte die ein Eigenleben letzte Nacht? War sie weg und kam verschmutzt wieder? Was ist ihr in der Nacht widerfahren? Egal was, muss was Ordentliches gewesen sein und dreckig obendrauf. Denn die aufwendige Aktion der Säuberung dauert ewig. Die Prozedur will schier kein Ende nehmen. Bis ich mit dem Frühstück fertig bin. So, ich bin es jetzt. Ist auch keine Zauberei. Gibt jeden Tag dasselbe. Hauptsache satt werden.
Mein Vater klärt mich auf: „...wir fahren in unsere Kreisstadt Deva.“ Er, meine Mutter und ich. Spannend. Ich weiß nicht, um was es geht. Deva ist unsere Kreishauptsache. Alles, was bei uns wichtig und von Bedeutung ist sitzt in Deva.
Eigentlich, sollten wir schon auf dem Weg sein, sagt Michel, mein Erzeuger. Ich tue es, wie ich alles tue, ohne Fragen zu stellen. Es sind die Dinge, die einfach da sind und so sind wie sie sind. Sie in Frage zu stellen kommt mir gar nicht in den Sinn!
Dann sind wir auf dem Weg, in unserem neuen Moskowich, einem robusten Wagen russischer Bauart, der für unsere Dorfwege geeignet ist. Für diesen haben meine Eltern viele Jahre eingezahlt, bis er dann endlich zugestellt wurde. 1969. Das Jahr in dem sich auch der himmelblaue VW-Käfer aus München dazu gesellte.
Auf dem Weg nach Deva wird mir erzählt, dass wir einen Pass beantragt haben. Wir sollten uns heute beim Passamt einfinden. Ich staune, falle fast aus allen Wolken. Komme mir wie ein Darsteller in einem Drehbuch vor. Eines, von dem ich nichts wusste. Eines, das ohne mein Wissen für mich geschrieben wurde.
Wir kommen an. Spartanisches Gebäude. Innen wie außen. Viele Menschen sind drinnen. Alle sehen angestrengt aus der Wäsche, als würden sie vor ihrem Schöpfer stehen. Es geht bei den Anwesenden um viel. Eigentlich geht es bei allen um alles. Viele, um nicht zu sagen alle, sind hier mit großen Hoffnungen angekommen und bibbern. Werden sie auch heute mit einer Absage, sprich einer Enttäuschung, weggehen müssen? Oder passiert heute doch noch ein Wunder? Unwahrscheinlich, dass gerade hier und heute ein Wunder passiert, denkt jeder, der ein bisschen Grips in seinem Hirn mitgebracht hat!
Wir warten. Warten. Warten. Warten. 1 Stunde, 2 Stunden, 3 Stunden. Und mehr. Uns geht der Gesprächsstoff aus. Ich verlege mich aufs Beobachten, bis dies dann auch uninteressant wird. Der Warteraum ist nun leer. Wir sind die letzten, die allerletzten, um nicht zu sagen das Letzte! Dann heißt es: „Familia Stein, va rog sa veniti!“.
Wir gehen in ein spartanisches Büro hinein. Ein Mann begrüßt uns und wünscht uns einen guten Tag. Ja, das freut uns. Das Gleiche wünschen wir ihm auch. Er gibt uns die Pässe. Oh, denke ich, dass war ja kurz und bündig.
Wir sind dann direkt entlassen. Er sagt sehr auffällig: "La revedere". Ich sage: "Auf Wiedersehen" und renne meiner Mutter hinterher. „Mama, hast du nicht gehört? Der Mann sagte auf Wiedersehen." Meine Mutter, etwas aus der Welt, hatte das nicht wahrgenommen. Nimmt sie je etwas wahr? Doch nur die Dinge, die mit ihren Patienten zusammenhängen. Ich bin nicht ihr Patient und der Mann hinter dem Schreibtisch noch viel weniger. Er gehört zu Deva und nicht zu unserem Dorf, für das meine Mutter zuständig ist. Nun, es lässt sich nun nicht mehr ändern. Meine Mutter geht ohne „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Sie geht weg. Sie geht weit weg. Viele Jahre zuvor war ihr das schon im Kaffeesatz vorausgesagt worden.
Wir fahren zurück ins Dorf. Ich begreife nicht ganz, was geschieht. Ich stehe am 2. Weihnachtstag auf, fahre nach Deva und wenige Stunden später habe ich einen gültigen Pass. Einen Pass, auf den manche in unserem Dorf schon 25 Jahre lang warten. 25 Jahre und länger. Und den Pass haben sie bis zum heutigen Tag nicht bekommen. Ich habe einen Pass und der bringt mich hier weg. Hat mich jemand gefragt, ob ich hier weg will? Vielleicht schon, denn die Verlockung ist groß. Eine andere, neue Welt kennen zu lernen? Aber so plötzlich und so überstürzt?
Am nächsten Abend werde ich von meinen Eltern in den Zug nach Bukarest gesetzt. Ich soll dort an der Deutschen Botschaft das Visum für Deutschland holen. Ich fahre die ganze Nacht hindurch. Es ist bitter kalt im Zug. Ich friere trotz meines sehr dicken Jeni Pelzmantel. Einen Jeni Pelzmantel hatte jede, deren Eltern etwas Geld zur Verfügung hatten. Die Pelzmäntel wurden in der Nachbarstadt Broos geschneidert (Aus dem ganzen Land kamen sie, um dort diese Pelzmäntel herstellen zu lassen.), waren mächtig und man konnte sich damit eher schwer und behäbig bewegen als leicht und flockig. Wäre man verfolgt worden, so wäre ein schnelles Wegrennen eher schwierig oder sogar unmöglich gewesen. Wie gut, dass man bei uns nicht jeden Tag mehrfach verfolgt wird. Eigentlich wird man hier nie verfolgt. In diesem überschaubaren Dorf. Jenseits der Wälder.
In Transsylvanien.
Ich komme in Bukarest an. Ich fahre mit dem Taxi zur Botschaft. Es ist noch sehr früh. Zu früh für die Mitarbeiter der Botschaft. Ich warte. Ein junger Bewachungssoldat spricht mit an und flirtet mit mir. Als er hört, dass ich einen eigenen Pass in der Tasche habe, ist er sehr interessiert. An mir, oder an dem Pass? Wir sollten uns treffen. Meint er. Wir machen einen Treffpunkt aus. Werde aber dort nicht hingehen, da sich mir mein Vorteil bei der Sache verschließt.Dann beginnt der Bürodienst. Die Schlange ist in sehr kurzer Zeit lang geworden. Ich komme rein. Und ich warte. Ich stelle fest, dass die Deutschen Angestellten hier auch bestochen werden können. Kaffee ist die Währung.
Dann habe ich alles schnell erledigt. Eigentlich im Handumdrehen. Fahre zu meinen Verwandten, die mit mir nicht gerechnet haben. Eigentlich wurde das Telefon bereits erfunden, doch bei uns im Dorf haben nur wenige eines. Wir hatten das erste Badezimmer und fließend Wasser im Dorf, aber kein Telefon.
Sie nehmen mich auf. Wir sind ja verwandt. Dies verpflichtet. Meine Oma ist auch dort vor Ort. Dies erleichtert alles. Sie scheint eine Eingeweihte zu sein. Meine Mutter muss ihr den Plan vom Pass erzählt haben. Sie fragt nicht nach. Also weiß sie bereits alles.
Ich bekomme ein Frühstück. Ich bin sau müde. Lege mich ins Bett. Es ist das elterliche Schlafzimmer, denke ich. Sieht so aus. Wer weiß, wer gerade hier aufgestanden ist. Ich bin die 2. Schicht und die 2. Schicht kann nicht schlafen.
Wahrscheinlich haben die davor den Schlaf bereits aufgebraucht. Es ist kein Krümmelchen mehr da! Wer zuletzt kommt, bestraft das Leben. Das Leben? Was ist das?
Irgendwann stehe ich auf. Es war mir zu dumm, so im Bett herumzuliegen. So allein in Bukarest, so allein im Bett. Und dann nicht schlafen können. Die Gedanken tanzen Polka und hüpfen obendrauf aufs Karussell und drehen Runde um Runde, um Runde.
Ich bekomme wieder zu essen. Irgendwann zwischendurch ist mein Cousin Herbert mit mir durch die Stadt gelaufen. Wir sollten die Fahrkarte für die Rückfahrt kaufen. Er meinte zu wissen, wo es war. Definitiv, daran sollte ich nicht zweifeln. Er wusste es definitiv nicht und so liefen wir im Kreis herum um es dann am Ende doch noch zu finden. Das Büro mit den Fahrkarten.
Ich nehme den Nachtzug nach Hause. Die Leute fahren in die Berge zum Skifahren. Dort wollen sie auch Silvester verbringen. Der Zug ist voll. Rappelvoll. Brechend voll. Gut, dass es ein robuster Zug ist und dann mit der ganzen Last losfahren kann.
Manch ein Passagier wird noch schnell und im letzten Moment durch das Abteilfenster des Zuges hinein-gereicht. Wie Pakete, die versandt werden sollen. Ich kann es nicht fassen und schaue zu als würde mir eine Fernsehshow geboten. Einfach so nach dem Motto: nur keine Langeweile entstehen lassen. Erst als der Zug losfährt, schließe ich mein Maul. Wir sind unterwegs. Verloren im kontinentalen Winter. Begraben in der Vergessenheit mit vielen lebenden, sehr lauten und sehr hektisch agierenden Menschen.
Für mich sollte Europa bald näher rücken. Ich war nun gerüstet. Mit einem Pass, mit einem Visum, mit Zeit und Hoffnung. Hoffnung auf was?
Im Dorf angekommen sind nun die nächsten Kapitel dran. Es ist wahrhaftig so als würdest du ein Buch lesen und in jedem Kapitel kommt etwas Neues vor. Etwas Spannendes. Der lausige Unterschied ist nur, dass du selbst in diesem Buch eine der zwei Hauptpersonen bist, der jetzt hier und heute alles widerfährt.
Wir müssen uns von den Verwandten verabschieden. Sagt mein Vater. Wir müssen. Die lieben Verwandten fragen erstaunt warum? Gute Frage. „Ihr fahrt doch nur zu Besuch. Wollt ihr nicht wieder kommen?“ Nun ja, was soll ich dazu sagen? Ich weiß von nichts und mein Vater, der uns zu diesem Abschied genötigt hat, sagt auch nichts.
Die Koffer sind gepackt. Einer davon mit Lebensmitteln. Kartoffeln, Bohnen, Speck waren in dem versammelt. So für den ersten Imbiss im fernen Land, damit wir nicht direkt nach der Ankunft verrecken. Bei den anderen Koffern wurden mit List und Tücke die Unterhosen oben drauf, auf alles hingelegt und drapiert. Damit sollten die Grenzkontrolleure beeinflusst werden.
Den größten Zirkus bei der Verabschiedung hielt mein Vater bereit. Es war die Überraschung schlechthin. Es war eher ein schlechter Scherz. Hochgradig schlecht, dieser Scherz. Er hielt Beschuldigungen parat. Er warf mir Sachen an den Kopf, die vor so langer Zeit passiert waren. Ich konnte mich an sie nicht mal mehr erinnern. Er ritt darauf, so dass es kein Entrinnen gab.
Im Kultursaal fand gerade der Silvesterball statt. Da sollte ich eigentlich hingehen. Wäre so schön gewesen, sich von allen Freunden mit einem letzten Tanz verabschieden zu können.
Adi, ein sehr guter Freund und mein heimlicher Favorit, sagte im Saal: "Ich hätte so gerne noch einmal mit Martha tanzen wollen".
Tja, die war leider nicht da, die war mitten im Badezimmer in einem Nervenzusammenbruch unterwegs. War der Meinung, ihre letzte Stunde habe geschlagen und dass die Nutzung des Passes ganz entfalle. Da die Auseinandersetzung zu Hause, in dem Nochzuhause eskalierte, fahren wir los.Meine Mutter und ich werden diese lange Fahrt gen Westen antreten.
Mitten in der Nacht auf einem gottverlassenen Bahnhof. Wir sind sehr früh da. 2 Stunden früher und mehr, um der Unerträglichkeit zu Hause zu entrinnen. Wir warten und warten durch die Stille der Nacht hindurch. Die Stille ist perfekt. Nicht einmal die Bäume wagen es im Wind sich zu wiegen.
Bis dann irgendwann doch der Zug zur Fahrt ins gelobte Land kommt.
Lausiger Abschied von Daheim.
Die Reise in ein neues Leben, sie ist langwierig. Schier unendlich. Elende rumänische Züge, die durch die Nacht fahren. Dreckig, laut, hochgradig ungemütlich. Alles Holter die Polter. Aufregung an der Grenze. Umsonst. Die Unterhosen meiner Mutter, fein säuberlich oben in den Koffern drapiert, helfen. Der Zollbeamte macht die Koffer auf, sieht die Unterhosen, macht die Koffer zu. Endlich. Wir sind aus Rumänien raus. Meine Mutter ist erleichtert. Ich weiß nicht, was oder wie ich fühlen soll. Ich existiere. Einfach so.
Der Weg? Erst einmal geradeaus.
Ankunft Wien HBF – Wir sind bereits am Anfang des Westens
Meine Mutter fragt einen Mann, der Info auf seiner Mütze stehen hat. Ich wundere mich, wie sie den so schnell entdeckt hatte. Nein, Sie hatte Info auf seiner Mütze nicht gesehen. Einfach so gefragt, weil der Mann so rumstand, als ob er gefragt werden wollte.
Wir steigen um. Moderne Züge. Luxus pur. Dies ist meine erste Begegnung mit westlichen Standards. Saubere und warme Züge. Komfort, wie er im Buche steht. Der erste eindeutige Unterschied zwischen Osteuropa und Westeuropa. Zwei Welten, die verschiedener nicht sein könnten. Gut, jetzt habe auch ich verstanden, dass ich auf dem Weg bin. Wohin? Die Frage stelle ich mir nicht. Nicht die Zeit, nicht der Ort, nicht der Raum dafür vorhanden.
Fahrt durch das nachmittägliche Österreich
Alles so sauber, gut organisiert, wie ein gepflegtes Kaffeekränzchen am Sonntagnachmittag. Die Landschaft wird aus einem Bilderbuch geliehen. Irreal, so unwirklich. Wir fahren durch eine Postkartensammlung. Und alle möchte man kaufen, weil eine schöner als die andere ist. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Wir haben nicht Europa von Ost nach West durchquert, nein, wir haben den Planeten verlassen. Definitiv. Daran bestehen keine Zweifel mehr. Nicht die geringsten.
Tante Gertrude, Schwester der Mutter holt uns ab. In Nürnberg am HBF. Wir werden aus der Menge herausgefischt. Die anderen kommen ins Lager. Ins Durchgangslager. Was ist das? Fahrt durch ein verregnetes Nürnberg, aus dem nur übermächtig, schon fast beängstigend, die grellen Reklameleuchten hindurch uns entgegen schreien. Spiegelung in der Nässe der Straße inklusive. Haben wir doch den Planeten verlassen und wir wissen es noch nicht? Es riecht alles so sauber. Ob alles auch so schön ist, wie es aussieht?
Losgefahren in Osteuropa. Nach einer Fahrt von 20 Stunden in einer anderen Galaxie gelandet. Das soll uns erst einmal einer nachmachen.
Zuerst gab es Essen für uns. Nichts Besonderes. Die lausige Verwandtschaft soll ja nicht verwöhnt werden. Es war klar, meine Tante hatte in dem Haushalt nichts zu sagen. Sie ist eher in der Muliposition. Sklavin ihres Mannes. Schleppt den Sperrmüll, den ihr Mann von der Straße holt in den Keller. Auch schwere, große Stücke. Zu schwer für einen Mann - passend für eine Frau. Meine Tante.
Das erste Mal eine Deutsche Silvestershow gesehen. Man kapiert nicht, dass dies nur Aufzeichnungen sind. Erstes Mal Farbfernseher.
Der Onkel war und ist ein Kotzbrocken. Ja, ist alles schön und gut – nur alles kostet Geld. Nein, wir hatten uns gedacht, dass sei alles hier umsonst. Dass der Onkel uns für die 2 Wochen Unterkunft kein Geld abnahm, grenzte schon an ein Wunder.
Geschlafen. Im Ehebett der Tante. Keine Heizung in diesem Zimmer. Der Onkel kommt mit einem Heizkörper. Doch dieser ist nicht für uns, sondern für die feuchte Ecke im Schlafzimmer vorgesehen. Die schimmelige Luft die ganze Nacht eingeatmet. Gut, dass der Spuk nach 2 Wochen beendet ist.
Nach 2 Wochen im Westen haben wir eine leere Wohnung. Aber immerhin eine eigene Wohnung.
Wir bekommen ein paar Sachen. Geschenkt. Ein Wohnzimmertisch, eine alte Couch, 2 Sessel, einen Teppich und einen alten Fernseher. Im Wohnzimmer sieht es aus wie im Kinosaal. Ein kleines privates Pantoffel Kino. Herrlich!
Aus diesem schauen wir hinaus in die westliche Welt. Ein Dracula lebt in Transsylvanien. Komisch. Da komm ich gerade her und bin ihm noch nie begegnet. Ich schaffe es nicht meinen Mund vor Staunen zu schließen.
Mein Freund schickt mir eine Tonbandaufnahme. Auf dieser heult er 45 min lang und sagt mir, wie sehr er mich vermisst.
Mutter spielt es ihrer Freundin vor. Die nennt meinen Freund eine Memme. Welch ein Vertrauensbruch! Nun gut, von meiner Mutter habe ich noch nie etwas erwartet. Wäre falsch gewesen, gerade jetzt damit zu beginnen. Dass sie mich immer enttäuschte, darauf war Verlass.
Gehe in die Zombiefilme mit Freundinnen. An der Kasse muss ich den Ausweis zeigen. Ob ich denn schon 18 wäre. Nun ja, eigentlich schon ein ganzes Weilchen, meinte ich zumindest. Aber hier im Westen sehe ich wohl wie unter 18 aus. Einmal quer durch Europa und schon ein Jahr an Alter eingespart.
In späteren Jahren würde man dies gerne mehrmals im Jahr tun. Wäre sehr erbauend und frisch haltend obendrauf.
Erstes Einkaufen im Supermarkt
Die Regale sind brechend voll. Es biegt sich alles vor lauter Angeboten in vielen Farben, Bildern, Gerüchen. Lichter überall und Glühbirnen überall. Als sei hier der Strom umsonst. Wofür soll man sich entscheiden? Alles sieht gut aus. Ein Zweifeln an der Qualität kommt mir gar nicht in den Sinn.
Gehe durch die Gänge. Wo soll ich hinschauen? Was brauche ich? Was kann ich denn bezahlen? Komme zur Kasse. Verkäuferin steht auf und sieht in meinen großen Einkaufswagen hinein. Sie hat Mühe den einzigen Vanillinzucker, der sich darin befand zu erspähen. Ich dachte, ich muss etwas mitnehmen. Der Preis überschaubar. 0,49 Cent.
Klein fange ich wieder an!
Die Nacht war still und schien sich wie Blei auf jedes und alles gelegt zu haben. Hin und wieder hörte er den Ruf des Rauchfußkauzes, der in die Schwere der Nacht wie eine Rasierklinge schnitt. Das war die von ihm gefürchtete Ruhe, die vor der Einsamkeit kam. Wie er diese Ruhe hasste. Viel mehr noch als die Pest. Seine letzten Jahre waren voller Flucht gewesen. Es war das Zentrum, um das sich bei ihm alles drehte. Dreh- und Angelpunkt seiner Atemzüge. Doch er hatte dazu gelernt. Vor der Einsamkeit konnte keiner weglaufen. Es waren nur kurze Augenblicke in denen die Flucht scheinbar gelang.
Michael brummelte so vor sich hin und versuchte mühevoll in der Dunkelheit seinen Nachhauseweg zu finden. Seine Augen tasteten sich vorsichtig durch die dichte, schwarze Masse hindurch.
Er dachte an den Haufen Arbeit, den er morgen vor der Brust hatte.
Der Ertrag des kleinen Ackers vor den Toren des Dorfes hielt ihn mehr schlecht als recht über Wasser.
Am Samstag musste er mit dem Gemüse zum Markt. Das war recht umständlich. Er musste voll bepackt mit dem Bus fahren, und in dem war immer das große Gedränge angesagt. Der Bus war immer rappelvoll.
Am Markttag fuhren die Frauen mit viel Gepäck vom Dorf in die Stadt und blockierten alle Eingänge und Ausgänge. Meist war er der einzige Mann unter den vielen Marktfrauen. Alle kannten ihn und er kannte sie alle. Doch er wollte nur die eine. Und die war vergeben.
Nächste Woche hatte er den Platz fest reserviert in der Dorfbrennerei zum Schnaps Brennen. Den Termin musste er dringend einhalten, sonst gab es für ihn keinen mehr in diesem Jahr. Die Pflaumen waren schon in einem erhöhten Gährungszustand. Es würde dieses Jahr ein guter Schnaps werden. Da war er sich ganz sicher und er hatte sich noch nie in seinen Vorhersagen geirrt.
Und das Schwein wollte auch noch vor Weihnachten geschlachtet werden. Er freute sich schon auf den Geschmack des frisch gebratenen Fleisches. Nur musste er schauen, ob er sich dazu Hilfe holen konnte. Früher wäre dies kein Problem gewesen. Die ganze Verwandtschaft half mit und kam am Abend zum Festmahl zusammen. Heutzutage war das alles jedoch mit gründlichem Planen verbunden. Viele helfende Hände waren notwendig, damit alles an einem Tag über die Bühne ging. Das Schlachten selbst, das Zerlegen in Stücke, das Wurstmachen. Die Stücke Fleisch mussten als Vorräte für den Winter portioniert und in Gläser eingemacht werden. Ah, er wollte jetzt gar nicht mehr an all das denken müssen.
Seit sein Vater verstorben war, lastete die ganze Arbeit auf seinen Schultern.
Alles war im Dorf anders. In den letzten 20 Jahren hatte sich hier alles verändert. Manchmal dachte er daran, dass sein Vater an diesem Kummer zugrunde gegangen war. Er war es Leid, diesen Niedergang des Dorfes Tag für Tag ansehen zu müssen. Und so war er gegangen, um nicht noch mehr Leid ertragen zu müssen.
Viele Familien waren gegen Westen gezogen, hatten ihre Häuser aufgegeben, sie verkauft oder aber einfach so stehen lassen. Alles was drinnen war, wurde für wenig Geld verschleudert. Mit dem alten Plunder wollte keiner gen Westen ziehen. Der Rest wurde auf den Rücken gepackt und dann zogen sie los. Immer weiter westwärts bis sie ihren Platz irgendwo im Nirgendwo gefunden hatten. Oft folgten sie den Spuren von Verwandten oder auch von Freunden. Es gab nur noch wenige im Dorf die Sächsisch sprachen, Siebenbürgisch Sächsisch.
Wenn er aus dem Hof auf die Straße trat, sprach er fast nur noch Rumänisch. Auch mit der Zigeunerin, die durch das Dorf ging und Pilze aus dem Wald oder selbst geflochtene Körbe zum Verkauf anbot. Körbe brauchte er nun wirklich keine mehr. Er hätte schon bald selbst einen Laden mit der Sammlung von Körben, die seine Mutter angelegt hatte, eröffnen können.
Es gab keine Deutsche Schule mehr. Auch nicht einmal die 4 Deutschen Klassen der Grundschule, die von einem einzigen Lehrer unterrichtet worden waren. Walter Hansi war der letzte Lehrer der Deutschen Schule gewesen. Auch er konnte den Niedergang nicht aufhalten.
Die gewohnten Feste wie Peter und Paul, zu denen viele Gäste aus den umliegenden Dörfern kamen, fanden nicht mehr statt. Das Krippenspiel und die Bescherung der Kinder zu Weihnachten waren auch längst Teil der Vergangenheit. Die Christengel gingen nicht mehr an Heilig Abend durch die Straßen und besuchten die Kinder. Sie waren mit Peitschen und langen Ruten ausgestattet und kündeten mit lautem Glockengeläut ihr Kommen an. Wurden dann die Kirchen Glocken hoch oben am Berg um Mitternacht geläutet so zogen sich die Christengel zurück, ritten einmal um die Kirche und verschwanden dann im Himmel. Michael erinnerte sich noch ganz genau daran, dass seine Oma ihm das alles - als er ein Kind war - erzählt hatte.
Und vor allem, und dies machte seinen Schmerz, der größer nicht werden konnte, endgültig: sein geliebtes Puer natus, der Gesang der Männer an Heiligabend. Um Mitternacht fand er immer oben im Kirchturm bei geöffneten Fenstern statt.
Es gab mittlerweile keine Männer mehr im Dorf, die diese uralte Tradition weiterführen konnten. Die wenigen, die noch da waren, schafften die Stufen zur Kirche hoch auf dem Berg nicht mehr. 2 - 3 Männer ergaben zusammen keinen Chor, der das Lied – wie in den vergangenen letzten Jahrhunderten – so wunderbar hätte singen können.
Die Kirche war mittlerweile marode. Der Putz im Innern wies über große Flächen grüne Felder auf. Der Schimmel fraß mit großem Appetit alles auf, was sich ihm in den Weg stellte. Das Ganze erinnerte an eine Landkarte eines unbekannten Gebietes, das es noch zu erobern galt.
An der Westseite der Kirche war gegraben worden. Bauer Hans, der Kurator der Sächsischen Gemeinde hatte die Arbeiten ins Rollen gebracht. Rund 2 Meter Erde an der Außenseite waren bereits abgetragen worden. So stellte sich im Innern der Kirche heraus, dass eine Trocknung damit einsetzte und der Zustand des Putzes an den Wänden sich sichtlich verbesserte. Die Fläche der Flecken wurde kleiner oder aber die Flecken verschwanden komplett.
Daher fanden die Gottesdienste immer sonntags - 1-2 mal im Monat - im leerstehenden Pfarrhaus statt. Dieses hatte durch die handgefertigten Stickereien der verschiedenen ausgelegten Deckchen eine feierliche und würdige Ausstaffierung erhalten.
Manch einem Besucher des Dorfes diente das Pfarrhaus als Nachtquartier. Das Badezimmer musste noch in Stand gesetzt werden. Doch der Besucher konnte sich selbst in der Küche eine einfache Mahlzeit zubereiten.
Unerwartet und urplötzlich durchbricht die Stille der Nacht ein herannahendes Auto. Ein erstmals moderates Geräusch verwandelt sich in ein lautes Getöse. Das Aufheulen des Motors ist mittlerweile ganz klar zu erkennen.
Das Auto fährt die Hauptstraße entlang und hält an der Brücke. Eine Autotür fällt ins Schloss. Das interessiert Michael aber herzlich wenig. Ein Auto, das anhält. Nicht sein Ding.
Doch dann tänzelt ein Licht hinter ihm her. Es scheint jemand zu sein, der in Windeseile näher kommt. Jemand, der schnell vorwärts prescht. Er hört Schritte. Schritte, die mit rasanter Geschwindigkeit näher kommen. Plötzlich wird er mit festem Griff an den Schultern gepackt und in Richtung Boden geschleudert. Er versucht sich abzufangen doch sein Gesicht kommt ungnädig mit der Härte des rauen und Furchen durchzogenen betonartigen Bodens in Kontakt. Michael fühlt ein spitzes Stechen unter seinem linken Auge. Eine warme und klebrige Suppe läuft ihm über die Wange, danach seitlich den Hals hinunter.
Er stemmt sich mühevoll auf, steht fast schon gerade auf den Beinen und dann... wird er wieder mit fester Hand gepackt. Er reißt sich los und dreht sich um die eigene Achse, um gegen den Angreifer zu schlagen. Er meint, ein Gesicht getroffen zu haben denn er hört Laute des Schmerzes aus der Richtung kommend. Im Auslauf der Drehung verliert er sein Gleichgewicht. Er fällt der Länge nach hin. `Dieser lausige Alkohol. Macht einen unberechenbar und so wehrlos`, denkt Michael während er rücklings seine Bekanntschaft mit dem stahlharten Boden erneuert.
„Mihai, ti-am zis, sa o lasi in pace pe matusa.“ Tu nu m-ai inteles? Sari afara pe fereastra si fugi pe strada. Imediat cind am intrat in casa mi-am dat seama ca a fost cineva acolo. (Mihai, ich habe dir gesagt, du sollst die Tante in Ruhe lassen. Hast du mich nicht verstanden? Springst aus dem Fenster und läufst die Straße entlang.)
Si cind am vazut ciorapi si geamul deschis, stiam ce s-a intimplat. Matusa plingind mi-a povestit totul. (Und als ich die Strümpfe und das geöffnete Fenster sah wußte ich sofort, was geschehen war. Weinend hat mir die Tante dann alles erzählt.)
Michael erkennt die Stimme nicht, die so geladen und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 14.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3772-3
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An euch zwei an der Außenstation - vielen lieben Dank!