Cover

Gefangen 1.1

Sie spürte sie. Die schmalen Fesseln, die sich in ihre Handgelenke grub. Vorsichtig versuchte sie sich ein Stück zu bewegen. Ein Schmerz, so fein und stechend, wie eine Nadel die sich in die Haut bohrt, durchzuckte ihre Hände. Sie unterdrückte einen Aufschrei, es wäre zu riskant. Das Mädchen wusste, dass sie nicht allein war. Sie sah niemanden um sich herum und doch spürte sie ihn, wie man einen Verfolger eben spürt. Um sie herum war es dunkel, nur eine kleine Glühbirne hing von der moderigen Wand herunter. Nicht hell genug um sie alles erkennen zu lassen. Sie lag in einem kargen Raum mit feuchten, nach Moder riechenden Wänden. An der linken Seite stand eine Art Gitter, dass ihr einen Blick in den angrenzenden Raum ermöglichte. Wäre das Licht heller gewesen, hätte sie möglicherweise etwas erkennen können, doch so blickte sie nur ins Dunkle. Ein Rascheln erklang. Es kam aus dem anderen Raum. War dort noch jemand? Sie wagte nicht zu sprechen. Nicht wenn ihre möglichen Entführer dort waren. Sicherer war es hier zu warten, auch wenn es im Moment auch nicht besser für sie aussah. "Ist hier jemand?", erkundigte sich eine Stimme, die dem Klang nach zu urteilen eindeutig einem Jungen gehörte. Würden die Fesseln sie nicht festhalten, hätte sie nachgesehen, wer dort war, aber so musste sie bleiben, wo sie war. "Hier drüben", antwortete sie, ohne genau zu wissen, warum sie eigentlich antwortete. "Haben sie dich auch mitgenommen?", die Frage war eigentlich völlig sinnlos, aber ihr fiel nichts Besseres ein. "Ja, im Wald. Sie sagten es wäre für eine Art Projekt. Danach kann ich mich nur noch erinnern, dass ich hier lag", kam die Antwort. Sie zog den Reißverschluss der schwarzen Lederjacke bis nach oben dennoch fror sie. "Was wollen sie von uns?" Ein kaltes Lachen erklang von der anderen Seite. "Menschenversuche." Das glaubte sie nicht. Eher dachte sie an einen Überfall oder eine Entführung, aber Menschenversuche erschienen ihr lächerlich. "Das wüssten wir aber, wenn es so was geben würde", antwortete sie. "Glaubst du die, laufen rum und erzählen, was sie vorhaben?" Sie wusste gar nichts. Nur das sie entsetzlich fror, ihre Handgelenke wehtaten und sie in einer kalten Zelle festsaß, die dem Aussehen nach dem Mittelalter entstammte. "Ich weiß nur, dass ich hier rauswill", bemerkte sie. Wieder kam dieses merkwürdige Lachen. "Womit wir schon mal zwei wären", sagte er. Wenn sie nur aus diesen Fesseln käme, dann könnte sie wenigstens aufstehen, aber so hatte sie keine Chance. "Bleibt nur die Frage wie kommen wir hier raus?", meinte sie. Erneut erklang ein Rascheln oder eher ein Schaben. "Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber mir wird schon etwas einfallen. Irgendein Weg führt hier heraus."

Gefangen 1.2

Zusammengekauert lag sie auf dem harten Boden. Es war kalt. Die Feuchtigkeit der mit Stockflecken besudelten Decke schien sich förmlich in jede Pore ihrer Haut einzusaugen. "Schläfst du?", schallte eine Stimme zu ihr herüber. In einer etwas besseren Verfassung hätte sie vermutlich über eine solch sinnlose Frage gelacht, aber so fehlte ihr entschieden die Energie dazu. Jede Bewegung kostete Kraft auch die allerkleinste. "Als ob man das könnte, wenn man nicht weiß, was hier vor geschieht", entgegnete sie. Die kleine Lampe flackerte unruhig, wahrscheinlich würde sie bald erlischen. "Hast du eine Idee?", fragte sie mit kratziger Stimme. Eine Weile blieb es still. Nur das tropfen von Wasser auf Gestein war zu hören. "Wozu?" Sie versuchte sich auf dem Boden abzustützen, gab es jedoch auf als ein beißender Schmerz ihre Handgelenke durchzuckte. "Du sagtest doch es gäbe einen Ausweg", sagte sie. "Ich glaube es. Wissen kann ich es erst wenn ich es probiert habe", erwiderte er. Sie hustete. Ihr Hals juckte als würde eine Schaar Kakerlaken darin tanzen. "Tue uns den gefallen und probier es." Ein Knarzen erklang. In dem leisen, feuchten Raum hörte es sich an wie ein störender Fremdkörper. Ähnlich eines Sandkorns im Auge. Ein Riegel wurde vorgeschoben. Die Tür einen Spalt geöffnet. Freiheit. Das war die Chance. Sie roch förmlich die frische Luft. Auch wenn sich genau wusste, dass sie es sich nur einbilden konnte, denn was immer hinter der Tür lag, es sah nicht anders aus.
Eine Gestalt schob sich in den Raum. Der Entführer schoss es ihr durch den Kopf. Sie konnte nicht fort. Nicht allein. Niemals mit den Fesseln um ihren Handgelenken. Sie war wie ein Kettenhund. Angebunden und eingesperrt. An einer Leine, die einem immer mehr Kraft aus dem Leib saugte. Von Minute zu Minute. Von Stunde zu Stunde. Das Mädchen beschloss sich schlafend zu stellen. Es war besser so. Vielleicht würde er ihr nicht tun. Schwere, schlurfende Laute. Die Person kam näher. Sie hörte die Schritte. Laute klackernde Geräusche. Eine Hand legte sich auf ihre Stirn. Warm und feucht. Fast so unangenehm wie der Raum. Er fuhr von ihrer Stirn abwärts über ihren Körper. Es schien fast so, als würde er ihren Körper nachzeichnen wollen. Er verweilte eine Zeit mit seiner Hand auf ihrem Rücken. Seine Berührung hinterließ ein schauriges Gefühl auf ihrem Körper und sie bedauerte, dass sie die Gestalt nicht ansehen konnte. "Schön liegen bleiben, Mädchen. Hoffentlich wirst du die Zeit hier überstehen. Wir brauchen dich nämlich noch."

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle die es gerne Lesen

Nächste Seite
Seite 1 /