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Vorwort

Für Julia

 

Die Geschichte von Lukas und Jo habe ich für Julia Sick geschrieben. Diese Story stammt aus meiner Verlosung im Mai 2015.

Julias Vorgaben an mich waren: attraktive, sportliche Typen im Alter zwischen Ende zwanzig und Ende dreißig. Die bekommt sie natürlich.



Liebe Julia,

ich weiß, dass du dich auf deine Geschichte gefreut hast, und hoffe, dass sie dir gefällt. Auch für dich gilt: wenn nicht - Pech. Behalte sie trotzdem :-)


Viele liebe Grüße

Chrissy


Lukas und Jo

Am liebsten wäre Lukas für alle Ewigkeit so liegen geblieben. Eng umschlungen mit Jo, während die Leidenschaft einem wohligen Gefühl Platz machte und ihr Atem wieder ruhiger ging. Doch diese intime Nähe würde nicht lange andauern, wie Lukas nur zu genau wusste.

Er behielt leider recht. Keine fünf Minuten, nachdem sie beide heftig gekommen waren, löste sich Jo aus der Umarmung und gab seinem Freund einen Klaps auf den Po.

»Hoch mit dir, wir wollen uns in einer Stunde mit Kim und den anderen im Club treffen und sollten besser noch duschen.«

Jo wartete die Antwort nicht ab und war gleich darauf im Bad verschwunden. Einen Moment lang schloss Lukas die Augen und atmete tief durch. Von Mal zu Mal fiel es ihm schwerer, so zu tun, als ob es nur um Sex gehen würde.

Doch mehr war mit Jo wohl leider nicht drin. Deutlich hatte er klargestellt, dass er zwar gerne mit Lukas ins Bett ging, aber an einer Beziehung nicht interessiert war. Oft bereute Lukas, dass er sich überhaupt darauf eingelassen hatte. Kumpel, die Sex hatten. Fick-Buddies. Mehr war es für Jo nicht.

Für Lukas hingegen ... Seit einer halben Ewigkeit war er in Jo verliebt. Schon als sie sich in der neunten Klasse das erste Mal begegnet waren, hatte es ihn erwischt. Er hatte andere Kerle gehabt, aber die Gefühle für Jo waren nie ganz verschwunden, obwohl da nichts zwischen ihnen gelaufen war. Lange Jahre waren sie einfach beste Freunde gewesen, die sich vertrauten und über alles miteinander redeten.

Jedenfalls über fast alles, denn seine Gefühle hatte Lukas dem Freund nie gestanden. Es war okay gewesen, nur Kumpel zu sein. Nicht unbedingt einfach, aber okay. Bis zum letzten Jahreswechsel. An Silvester waren sie miteinander unterwegs gewesen und hatten sich prächtig amüsiert.

Sie waren beide nicht mehr nüchtern gewesen, als sie in den frühen Morgenstunden in Lukas' Wohnung gelandet waren. Jo übernachtete häufig bei seinem Freund und fühlte sich in dessen Wohnung fast wie Zuhause. Sie hatten schon oft nebeneinander in dem breiten Doppelbett gelegen, ohne dass je was gelaufen war.

Lukas war sich immer noch nicht sicher, wie es genau dazu gekommen war und wer den Anfang gemacht hatte. Aber in jener Nacht hatten sie das erste Mal miteinander geschlafen. Beim Frühstück hatte Jo dann deutlich klargestellt, dass er gern wieder Sex mit Lukas haben würde - aber keine feste Beziehung.

Lukas war mit der Situation überfordert gewesen, er hatte befürchtet, Jo vielleicht als Freund zu verlieren oder ihm nie wieder so nahe zu kommen, also hatte er einfach genickt. Doch für ihn war es nicht nur Sex. Es war völlig idiotisch gewesen, sich darauf einzulassen. Das hatte er sich immer und immer wieder gesagt. Dennoch hatte er Jo nicht widerstehen können, als der ihn ein paar Tage später leidenschaftlich küsste. Natürlich waren sie wieder im Bett gelandet.

So ging das nun seit Monaten mit kurzen Unterbrechungen am Anfang. Seit einiger Zeit schliefen sie zwei- bis dreimal die Woche miteinander, und es fiel Lukas immer schwerer, seine Gefühle aus dem Spiel zu lassen und sie vor Jo zu verbergen. Aus der unterschwelligen Verliebtheit der vergangenen Jahre war tiefe Liebe geworden. Unerwiderte Liebe, und das tat echt weh.

Lukas hatte keine Ahnung, wie lange er das noch ertragen konnte. Am schlimmsten war es an den Abenden, wenn Jo allein unterwegs war. Er machte keinen Hehl daraus, dass er in den Clubs ab und zu einen anderen Kerl aufriss und fickte. Genauso gut hätte er Lukas ein Messer ins Herz stechen und umdrehen können.

Dennoch schaffte der es nicht, einen Schlussstrich zu ziehen. Das hatte er sich schon oft fest vorgenommen, aber wenn Jo ihn dann küsste und streichelte, konnte er einfach nicht widerstehen. Er liebte den verfluchten Mistkerl. Ihm wenigstens körperlich nah zu sein, erschien Lukas in solchen Momenten wie ein wundervolles Geschenk. Hinterher bereute er es meistens.

Manchmal kam es ihm vor wie ein Teufelskreis, aus dem er nicht ausbrechen konnte. Aber das musste er, sonst machte es ihn kaputt. Lange konnte er nicht mehr so weitermachen.

»Hey, bist du eingeschlafen? Na los, hoch mit dir!«, riss die Stimme seines Freundes ihn aus den Gedanken.

Lukas seufzte und öffnete die Augen. Jo stand nackt neben dem Bett und grinste ihn fröhlich an. Einen Moment lang schaute Lukas zu, wie sein Freund anfing, sich anzuziehen, dann schwang er die Beine aus dem Bett und ging ins Bad.

***

Obwohl es noch recht früh war, ging es im Club schon hoch her. Kim und der Rest ihrer schwulen Clique warteten an einem großen Tisch auf sie. Sie hatten sich kaum gesetzt, als ein hübscher zierlicher Typ auftauchte, die Arme um Jo schlang und ihn anlächelte. Es verdarb Lukas endgültig die Laune, als sein Freund sich auf den Flirt einließ, dem Kleinen durch das dunkle Haar strubbelte und ihn an sich zog.

Das musste Lukas sich echt nicht geben. Die harten Beats waren genau das Richtige, um den Frust loszuwerden. Er ignorierte die erstaunten Blicke seiner Freunde, als er ohne ein Wort aufstand und tanzen ging.

Sollten sie doch denken, was sie wollten. Im Moment musste er weg aus der Nähe von Jo und dem Twink. Ganz bewusst wandte er ihrem Tisch den Rücken zu, schloss die Augen und überließ sich der Musik. Einfach die Gedanken abschalten, das war alles, was er wollte.

Als ein warmer Körper sich an seinen Rücken schmiegte und seinen Tanzbewegungen folgte, drehte sich Lukas nicht einmal um. Der Kerl tanzte um ihn herum und drückte sich von vorne an ihn. Lukas öffnete die Augen und erstarrte geradezu.

»Hast du es so nötig? Erst Jo und jetzt ich?«, fauchte er den hübschen Twink an.

»Ich heiße Leon und will nichts von Jo«, erwiderte der Kerl gerade laut genug, dass Lukas ihn verstehen konnte. »Wir sind Kollegen, ich würde nie was mit ihm anfangen. Du hingegen gefällst mir wirklich gut, und er sagt, ihr seid nur Freunde.«

Das tat verflucht weh. Nur Freunde. Schon klar. Aber dass Jo es nicht einmal für nötig hielt, zu erwähnen, dass sie miteinander ins Bett gingen ...

Lukas drehte den Kopf und schaute zum Tisch. Sein Blick fand den von Jo. Einen Moment lang sahen sie sich einfach nur an. Dann hob sein Freund die Bierflasche wie zum Gruß, nickte Lukas zu und wandte sich Kim zu.

War es Jo wirklich so egal? Scheinbar schon. Heiße Wut kochte in Lukas hoch. Ihm reichte es jetzt. Ohne nachzudenken, drehte er sich wieder zu Leon um, der immer noch auf Tuchfühlung mit ihm war, und küsste ihn.

Eng aneinandergeschmiegt tanzten sie und knutschten dabei wild. Wäre es Jo gewesen, wäre Lukas innerhalb von Sekunden steinhart gewesen. So dauerte es eine Weile, aber schließlich reagierte sein Körper doch auf den Twink. Küssen konnte der Kleine, das musste man ihm lassen.

»Komm mit in den Darkroom und fick mich richtig durch«, forderte Leon und löste sich von ihm.

Lukas zögerte einen Moment. Sein Blick ging hinüber an ihren Tisch. Jo schaute ihn geradewegs an, sekundenlang. Ihre Blicke klebten geradezu aneinander. Wenn Jo ihm nur das geringste Zeichen gab, dass es für ihn nicht in Ordnung war ...

Doch sein Freund fing an zu grinsen und hob den Daumen. Es war Jo wirklich egal, und etwas in Lukas zerbrach. Er hätte am liebsten laut geschrien. Stattdessen griff er nach Leons Hand und zog ihn hinter sich her zum Darkroom.

***

Der Sex war hart und gut, Lukas war genauso heftig gekommen wie Leon. Trotzdem hinterließ der Fick ein schales Gefühl. Das war nur Triebbefriedigung, mehr nicht. Druckabbau.

»Du solltest ihm mal sagen, dass du ihn liebst«, meinte Leon dicht an seinem Mund, bevor er ihn noch mal küsste und sich dann von ihm löste.

»Was?«, fragte Lukas perplex.

»Jo. Du hast seinen Namen gerufen, als du gekommen bist.«

Lukas stand da wie erstarrt. »Ich ... tut mir leid, ich ...«

»Es muss dir nicht leidtun. Aber du solltest das mal klären. Weißt du, Jo spricht sehr oft von dir, deshalb dachte ich zuerst, ihr seid zusammen. Er sagt, ihr seid nur Freunde, aber vielleicht ist da ja doch mehr.«

Lukas schluckte schwer und schüttelte den Kopf. Hastig streifte er das benutzte Kondom ab und warf es in den Mülleimer, der nur einen guten Meter entfernt stand.

»Wenn da mehr wäre, hätte er mich aufgehalten«, sprach er seinen Gedanken laut aus, während er seinen Penis verstaute und den Reißverschluss seiner Jeans zumachte.

»Nicht, wenn er glaubt, dass du nur einen Freund in ihm siehst.« Leon schenkte ihm ein trauriges Lächeln. »Ich hatte auch mal einen besten Freund, mit dem ich ins Bett gegangen bin. Dass es viel mehr war als Sex, habe ich erst gemerkt, als es zu spät war. Mach nicht den gleichen Fehler wie ich. Rede mit Jo.«

An diese Worte musste Lukas ständig denken, als er an den Tisch zurückkehrte, nachdem er noch ein paar Minuten mit Leon getanzt hatte. Absichtlich setzte Lukas sich ein Stück von Jo entfernt. Er wollte jetzt nicht mit ihm reden.

Als er Jos Blick kurz auffing, verkniff sich Lukas jede Reaktion und wandte sich Kim zu, der im Moment im Mittelpunkt des Interesses stand. Die Freunde zogen ihn mit dem Typen auf, den sie nachmittags am See getroffen hatten. Ein toller Mann, aber wohl eine Hete. Raik war jedenfalls in keinster Weise auf Kims Flirterei eingegangen.

Kim hingegen schien es wirklich erwischt zu haben, und plötzlich fand Lukas die Scherze nicht mehr so lustig.

»Jetzt lasst ihn doch endlich in Ruhe«, meinte er irgendwann ziemlich ungehalten.

»Lass nur, im Grunde haben sie ja recht. Aber für heute Abend habe ich eh genug. Ich fahre nach Hause.«

Lukas überlegte nicht lange. »Mir reicht es auch. Kannst du mich mitnehmen?«

Jo warf ihm einen Blick zu. »Du willst jetzt schon gehen? Wenn du noch eine halbe Stunde wartest, komme ich mit.«

»Du musst nicht mitkommen. Mein Bedarf an Ficks ist für heute gedeckt«, entfuhr es Lukas ärgerlich.

»Auch gut, dann sollte ich mich wohl umsehen, um meinen Bedarf zu decken!«, kam es genauso harsch zurück.

»Tu, was du willst«, murmelte Lukas. »Das spielt jetzt ohnehin keine Rolle mehr.«

Mit einem Nicken in die Runde drehte er sich um und ging einfach.

»Ihr solltet echt mal miteinander reden«, meinte Kim, als er seinen Freund eingeholt hatte.

»Lass es bitte gut sein. Da gibt es nichts zu reden.«

Kim seufzte, aber er hielt seinen Mund, und Lukas war froh darüber.

Als er endlich in seiner Wohnung allein war, setzte er sich mit einer Flasche Rotwein auf den kleinen Balkon. Es war noch nicht einmal Mitternacht und Schlaf würde er im Moment ohnehin keinen finden. Nach dem zweiten Glas war er beschwipst, aber dass kam ihm jetzt gerade recht. Klar wusste er, dass Alkohol keine Lösung war, aber im Moment begrüßte er die benebelnde Wirkung. Er wollte einfach nur vergessen.

***

Das war es dann wohl. Jo konnte einfach nicht mehr. Es war eine Sache, Lukas gegenüber so zu tun, als ob es nur um Sex gehen würde, aber eine ganz andere, dabei zusehen zu müssen, wie er einen anderen Kerl in den Darkroom abschleppte. Und dann Lukas' Spruch, dass er Jo nicht brauchte, weil sein Bedarf an Ficks für diesen Tag gedeckt war. Es reichte jetzt, das war einfach zu viel.

Seit Monaten hatte Jo nur mit Lukas geschlafen. Gelegenheiten hätte er weiß Gott genug gehabt. Die Kerle flogen auf sein markantes Gesicht und den hochgewachsenen schlanken Körper. Jo hielt sich mit Laufen fit, und das sah man ihm auch an. An Angeboten mangelte es ihm nie, er hatte nur einfach keinen Bock mehr auf schnelle, unverbindliche Ficks gehabt.

Lukas vermutete wohl, dass Jo immer noch seinen Spaß in den Darkrooms suchte. Er hatte das nie richtiggestellt, denn das hätte mit Sicherheit Fragen aufgeworfen, die er nicht beantworten wollte. Mit Lukas zu schlafen, war etwas Besonderes für ihn. Es war mehr als Sex, viel mehr. Nur wollte sein Freund von einer festen Beziehung nichts wissen. Jo hatte sich mit dem begnügt, was Lukas ihm gab: heißen, wirklich tollen Sex.

Jo brauchte keinen anderen Mann, auf einen schnellen Fick im Darkroom hatte er keine Lust gehabt. Die hatte er eigentlich immer noch nicht, aber hier und jetzt, an diesem Abend, würde Jo sich endlich mal wieder irgendeinen Kerl suchen und einfach nur ficken. Purer Sex, nicht mehr und nicht weniger. Sex, der ihn hoffentlich für eine Weile vergessen lassen würde, dass Lukas ihm immer wieder das Herz brach.

Ganz bewusst hielt Jo Ausschau nach einem Kerl, der äußerlich keine Ähnlichkeit mit Lukas hatte. Das schloss schon mal alle großen Männer aus. Dunkelhaarige auch. Aber er würde schon einen Kerl finden, der ihn nicht an Lukas erinnerte. Jo entdeckte rasch einen rotblonden Twink auf der Tanzfläche. Ein wirklich hübscher Kerl. Zu klein und zierlich für Jos Geschmack, aber er wollte den Kerl ja nur ficken. Da kam ihm eigentlich jeder recht.

Als Jo den Kleinen antanzte, ging der sofort darauf ein, und keine fünfzehn Minuten später steckte er bis zum Anschlag in dem knackigen Hintern des Kerls. Jo brauchte eine Weile, um richtig auf Touren zu kommen, aber das hatte auch Vorteile. Er fickte den Kleinen lange und ausdauernd nach allen Regeln der Kunst durch. Der Kerl ging ab wie eine Rakete und kam mit einem lauten Schrei.

Für Jo war sein eigener Höhepunkt enttäuschend. Es war nur eine körperliche Reaktion, mehr nicht. Zurück blieb ein leeres, nagendes Gefühl. Das verstärkte sich noch, als er aus dem Darkroom kam und ausgerechnet Leon an der Wand lehnte und ihn ernst ansah.

Eigentlich mochte Jo seinen Kollegen wirklich sehr gerne. Sie hatten sich im Lauf der Zeit angefreundet. Aber jetzt ... Leon hatte sich von seinem Lukas ficken lassen! Der Gedanke tat weh, und gerade war Jo nicht besonders gut auf den Kleinen zu sprechen.

»Was ist?«, wollte er ungehalten wissen, als Leon ihn unverwandt anschaute.

»Es tut mir leid.« Leon seufzte. »Du hättest mir die Wahrheit sagen sollen, als ich dich gefragt habe, wie du zu Lukas stehst. Was sollte das? Mir erzählst du, ihr seid nur Freunde, aber das stimmt nicht. Hätte ich das gewusst, dann hätte ich ihn nicht angemacht.«

Ganz tief holte Jo Luft und war schon drauf und dran, seinem Kollegen zu sagen, dass er falsch lag. Doch Leon kam ihm mit seinen nächsten Worten zuvor: »Er hat deinen Namen gerufen, als er gekommen ist.«

Einen Moment lang war Jo wie erstarrt. »Was?«

»Du hast schon richtig gehört. Ich weiß, es geht mich eigentlich nichts an, aber du bist ein guter Freund und ich wollte dich wirklich nicht verletzen. Lukas wollte, dass du ihn aufhältst, und denkt, dir liegt nichts an ihm, weil du es nicht getan hast. Du solltest versuchen, dass zu klären.«

Jo brachte kein Wort heraus. Leon warf ihm ein kleines Lächeln zu und verabschiedete sich. Minutenlang stand Jo wie angewurzelt vor dem Darkroom, ohne mitzubekommen, was um ihn herum vor sich ging. Dann gab er sich einen Ruck, sagte kurz den anderen Bescheid und verließ den Club.

Zwanzig Minuten später parkte er vor dem Haus, in dem Lukas wohnte, und sah an der Front hoch. In der Küche brannte Licht, also war er wirklich nach Hause gegangen und nicht, wie Jo befürchtet hatte, in einen anderen Club.

Als sein Freund auf das Klingeln nicht reagierte, zögerte Jo. Vielleicht war es besser, wenn sie erst am nächsten Tag miteinander redeten. Andererseits war diese Sache einfach zu wichtig, um es aufzuschieben. Lukas öffnete auch beim zweiten Klingeln nicht, deshalb ließ Jo sich mit dem Reserveschlüssel, den er schon seit Jahren besaß, selbst ein.

Er fand Lukas auf dem Balkon. Tränen liefen seinem Freund über das Gesicht und Jos Herz zog sich schmerzlich zusammen.

»Hey ...« Er ging neben Lukas in die Hocke.

»Was willsu hier?«, nuschelte der. Es war offensichtlich, dass er betrunken war.

»Komm her«, murmelte Jo und zog den anderen an sich.

Lukas wehrte sich nicht und schluchzte leise. »Kann das nichmehr. Tut so weh.«

»Ich wollte dir nie wehtun.« Jo konnte nicht verhindern, dass nun auch ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Lukas, ich liebe dich. Schon lange.«

»Ja, klar. Und deshalb fickst du annere Kerle. Schaust su, wie ich annere ficke.«

Jo schüttelte den Kopf und schlang die Arme noch fester um den Freund. »Es tut mir so leid.«

Lukas antwortete nicht, er weinte nur. Den anderen Mann so zu sehen, machte Jo fertig. Es tat fast körperlich weh, und er hatte keine Ahnung, wie er Lukas trösten konnte.

»Komm, ich bring dich erst mal ins Bett. Morgen, wenn du nüchtern bist, reden wir.«

»Gibt nix mehr su reden. Willdich nichmehr sehen.«

Das tat verflucht weh und Jo atmete tief durch. »Lass uns schlafen gehen.« Er versuchte Lukas hochzuziehen, aber jetzt wehrte sich sein Freund.

»Nein! Kapierssu nich? Essis aus! Also hau ab!«

»Lukas ...«

»Nein! Lassen Schlüssel hier und geh.« Fordernd streckte Lukas die Hand aus.

Mühsam beherrscht schüttelte Jo den Kopf und versuchte erneut, seinen Freund auf die Füße zu ziehen. »Weder das eine noch das andere. Ich bleibe hier und morgen reden wir.«

Lukas schlug seine Hand weg und stand schwankend auf.

»Hau ab!«, wiederholte er und torkelte auf das Schlafzimmer zu.

Schweren Herzens ließ Jo ihn gehen und beschloss, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen. Sollte Lukas erst einmal seinen Rausch ausschlafen, dann würden sie weitersehen.

***

Mit dröhnendem Schädel wachte Lukas auf. Einen Moment lang fragte er sich, wo die Kopfschmerzen herkamen, dann fiel ihm wieder ein, dass er sich mit dem schweren Rotwein betrunken hatte. Daher kam wohl auch der pelzige Geschmack in seinem Mund. Ekelhaft.

Mit einem leisen Stöhnen kroch er aus dem Bett und ging ins Bad. Klo, Zähneputzen, Dusche. Während er unter dem heißen Wasser stand, fragte er sich, ob Jo wirklich mitten in der Nacht bei ihm aufgetaucht war, oder ob er das im Rausch geträumt hatte. Wohl eher Letzteres, denn der Jo in seinem Traum hatte gesagt: »Ich liebe dich.«

Wunschdenken, pures Wunschdenken, von dem er sich endlich lösen musste. Lukas hatte keine Ahnung, was jetzt werden sollte. Der Gedanke, dass die jahrelange Freundschaft nun vielleicht an dieser Sexgeschichte zerbrach, tat fast noch mehr weh als die Erkenntnis, dass Jo seine Gefühle wohl nie erwidern würde. Aber vielleicht konnten sie ja wenigstens ihre Freundschaft retten. Doch was, wenn nicht? Lukas wurde fast übel bei dem Gedanken, dass Jo womöglich ganz aus seinem Leben verschwinden könnte.

Er brauchte erst einmal einen Kaffee, um richtig munter zu werden. Später würde er darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte. Er musste mit Jo reden, das war ihm klar, aber vor diesem Gespräch fürchtete er sich wirklich. Denn danach wären sie vielleicht keine Freunde mehr.

Als er die Badezimmertür öffnete, atmete er den Duft von Kaffee ein. Okeee ... Entweder war über Nacht ein Hausgeist bei ihm eingezogen, oder Jo war hier. Außer ihm hatte niemand einen Schlüssel zur Wohnung.

Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er zögernd die Küche betrat. Sein Freund saß mit einem Becher Kaffee am Tisch und schaute ihn ernst an.

»Guten Morgen«, murmelte Lukas unsicher.

»Ob es ein guter Morgen ist, werden wir noch sehen. Wir müssen reden«, erwiderte Jo. Mit einem Seufzer stand er auf und ging zur Kaffeemaschine, neben der bereits Lukas' Lieblingsbecher darauf wartete, gefüllt zu werden.

Während er den Kaffee in den Becher goss, zwei Stücke Zucker und viel Milch hineingab und die Tasse dann zum Tisch brachte, setzte sich Lukas an den Tisch.

»Ich weiß, dass wir reden müssen«, gab er schließlich leise zurück.

»Bist du völlig nüchtern?« Darauf nickte Lukas nur und Jo seufzte erneut. »Was weißt du noch von letzter Nacht?«

Direkt in die Vollen, so kannte Lukas seinen Freund. »Dass ich ziemlich betrunken war, als du aufgetaucht bist. Was unser Gespräch anbelangt ... Da bin ich mir nicht so sicher, ob ich mich richtig erinnere, oder ob ich mir da etwas einbilde.«

»Kannst du dich noch daran erinnern, dass du mir gesagt hast, ich soll abhauen und du willst mich nicht mehr sehen?«

Lukas nickte beschämt. »Ja, aber ich hab' das nicht so gemeint, bitte glaub mir.«

Erleichtert stieß sein Freund die Luft aus. »Schön, das zu hören. Ich hatte wirklich Angst, du ...« Ihre Augen trafen sich und Lukas wurde klar, dass Jo längst nicht so gelassen war, wie es schien. Sein Blick war unsicher und irgendwie wirkte er in diesem Moment sehr verletzlich.

Lukas ließ seinen Becher los und griff nach der Hand seines Freundes. »Ich wollte dir nicht wehtun«, flüsterte er.

Jo erwiderte den sanften Händedruck. »Ich dir auch nicht, und doch habe ich es getan. Leon sagte, du glaubst, dass mir nichts an dir liegt, weil ich zugelassen habe, dass du ...« Wieder holte Jo tief Luft. »Weil ich nichts unternommen habe, als ihr beide im Darkroom verschwunden seid.«

»Du hast mit Leon geredet?« Das war irgendwie total schräg. Hoffentlich hatte der Kleine nicht auch verraten, dass Lukas beim Höhepunkt Jos Namen gerufen hatte.

»Eher er mit mir. Er hat mir ziemlich den Kopf gewaschen, als ich ... Ach, verdammte Scheiße! Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, Lukas. Ich wünschte, ich hätte genug Mumm gehabt, dir schon früher zu sagen, dass ich dich liebe. Oder wenigstens genug, um dazwischen zu gehen, als du mit Leon ... Aber stattdessen habe ich feige den Mund gehalten, und jetzt ...«

»Du hast es wieder gesagt!«, entfuhr es Lukas. »Dass du mich liebst! Das habe ich mir heute Nacht nicht nur eingebildet!«

»Nein, hast du nicht. Aber ich hätte dir das schon viel früher sagen müssen. Ist es jetzt zu spät? Ich meine, du und Leon ...«

»Das war nur ein Fick! Ich war ... keine Ahnung. Wütend, traurig, verletzt ... irgendwie alles zusammen. Es schien dir völlig egal zu sein, und ... Es tut mir leid. Ich wünschte, ich hätte das nicht getan. - Du liebst mich wirklich?«

Jo nickte mit einem kleinen Lächeln. »Schon lange. Das war mir nur nicht bewusst. Von Anfang an hast du mir immer viel bedeutet. Aber ich dachte ... Ich weiß nicht. Mir war nie so richtig klar, dass es nicht nur Freundschaft, sondern Liebe ist. Bis du damals das zweite Mal mit mir Schluss gemacht hast. Kurz vorm Valentinstag war das. Erinnerst du dich?«

»Natürlich. In den ersten Wochen ... Ich habe mir immer wieder gesagt, dass es keine gute Idee ist, wenn wir miteinander ins Bett gehen. Deshalb habe ich versucht, mich von dir zu lösen. Viel Erfolg hatte ich damit ja nicht.«

»Zum Glück. Damals, diese wenigen Tage ohne dich ... Ich hatte unglaubliche Sehnsucht nach dir. Nicht nur nach dem Sex, sondern nach dir als Mensch. Da wurde mir klar, dass es viel mehr als nur Freundschaft ist. Oder Leidenschaft. Als wir dann endlich wieder zusammen waren ... Ich wollte es dir so oft sagen, aber ich war einfach zu feige dazu.« Jo schluckte hart. »Seitdem habe ich mit keinem anderen geschlafen. Bis auf gestern Abend. Ich hab' einen anderen gefickt, und es tut mir sehr leid.«

Lukas atmete tief durch. »Der Gedanke ist alles andere als schön, aber ich kann dir wohl kaum einen Vorwurf machen. Immerhin war ich derjenige, der zuerst mit einem anderen im Darkroom verschwunden ist. - Du hast seit Februar nicht mehr mit anderen Kerlen geschlafen? Und an den Abenden, wenn du alleine unterwegs warst?«

»Auch dann nicht. Du hast einfach angenommen, dass ich weiterhin Kerle aufreiße, und ich wollte nicht ... Na ja, hätte ich dir gesagt, dass ich das nicht mehr mache, dann hättest du sicher Fragen gestellt, vor denen ich Angst hatte. Ich dachte die ganze Zeit, du willst keine feste Beziehung. Du hast an Neujahr so locker reagiert, und dass ich scheinbar auch mit anderen Männern schlafe, schien dich nicht zu kümmern.«

Lukas seufzte. »Oh doch, das hat es! Ich konnte den Gedanken kaum ertragen. Hätten wir nur früher miteinander geredet.«

»Ja, hätten wir mal.« Jo holte tief Luft. »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Ist es zu spät?«

»Nein, das ist es nicht.« Lukas stand auf, trat neben Jos Stuhl und zog ihn hoch, direkt in seine Arme. »Nicht, was mich betrifft. Ich liebe dich.«

Als sie sich sanft küssten, war das fast wie ein erster Kuss. Beiden war klar, dass es noch viel aufzuarbeiten gab. Aber in diesem Moment war es wichtiger, einander zu spüren. Sie hatten noch viel zu bereden. Später.

***

Lukas stöhnte Jos Namen, als er kam und spürte, dass sein Geliebter sich tief in ihm ergoss. Atemlos klammerten sie sich aneinander, bis die Wellen der Erregung abgeklungen waren. Jo blieb in ihm und hielt ihn fest in seinen Armen.

Seit sie sich vor einigen Wochen ausgesprochen hatte, machte Jo keine Anstalten mehr, der intimen Nähe zu entfliehen, und das war sehr schön. Kuscheln nach dem Sex war nur eines der positiven Dinge, die in ihrer Beziehung hinzugekommen waren. Es hatte sich so einiges geändert seit jenem Tag. Lukas hatte immer gedacht, dass sie sich durch die jahrelange Freundschaft schon so nahe waren, wie es ging, aber da hatte er sich geirrt. Das waren sie erst jetzt, wo sie ihre Gefühle füreinander nicht mehr verbargen.

Dieser Tag war noch mal eine Steigerung gewesen. Sie hatten die Ergebnisse ihrer HIV-Tests zurückbekommen und zum ersten Mal ohne Kondom miteinander geschlafen. Lukas musste grinsen, als Jos inzwischen weicher Schwanz aus ihm herausglitt und er gleich darauf spürte, wie das warme Sperma aus ihm heraussickerte.

»Du hast recht, Schatz. Das fühlt sich komisch an, aber auch schön.«

Jo kicherte und küsste ihn. »Also ist die nächste Dusche für heute fällig?«

»Hmhm, aber lass uns noch ein paar Minuten liegen bleiben. Ich mag jetzt noch nicht aufstehen.«

Jo glitt neben ihn, zog ihn aber sofort wieder an sich. »Du hattest übrigens auch recht. Es ist ein irres Gefühl, dich pur zu spüren, ohne das Gummi zwischen uns.«

»Ja, das ist es.« Lukas drehte den Kopf und küsste seinen Freund. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.« Jos Augen strahlten geradezu. Jeder Blick, jede Geste drückte seine Gefühle aus und Lukas fragte sich manchmal, wie er das so lange hatte übersehen können.

Als sie eine Stunde später gemeinsam in der Küche standen und kochten, ging Lukas wieder ein Gedanke durch den Kopf, den er in der letzten Zeit öfter gehabt hatte. Er wünschte sich so sehr, dass Jo bei ihm einzog, aber er wusste nicht, ob das dem geliebten Mann nicht zu schnell ging. Nachher, wenn sie gegessen hatten, würde er das Thema mal vorsichtig anschneiden.

Jos Handy läutete und er warf einen Blick auf das Telefon. »Das ist Kim.« Er nahm das Gespräch an und begrüßte den gemeinsamen Freund. Gleich darauf grinste er breit.

»Wurde aber auch Zeit mit euch beiden. - Das freut mich für euch. - Echt? So schnell? - Ja, kann ich nachvollziehen. - Natürlich! Hey, das ist großartig! - Aber klar doch. Das ist klasse! - Ich denke schon, aber ich will da erst noch etwas klären. - Ja, ich ruf dich an. Tschüss.«

Lukas lächelte. »Es ist immer wieder interessant, wenn man nur die eine Hälfte der Unterhaltung mitbekommt. Lass mich raten: Sie haben endlich miteinander geschlafen?«

»Ja, haben sie.« Er zog Lukas an sich. »Hör mal ... Es gibt da etwas, worüber ich schon seit einiger Zeit nachdenke. Keine Ahnung, ob es für dich zu früh ist, aber ...« Jo holte tief Luft. Dann sprudelte es geradezu aus ihm heraus.

»Könntest du dir vorstellen, mit mir zusammenzuziehen? So richtig? Ich meine, wenn es dir zu schnell geht, verstehe ich das. Dann könnten wir zuerst einmal getrennte Zimmer haben, bis du zu mehr bereit bist. Platz genug ist in der neuen Wohnung, die hat ja vier Zimmer. Ich möchte das so gerne, dich immer in der Nähe haben, und wir sind doch sowieso ständig zusammen, daher dachte ich -«

Lukas stoppte ihn mit einem leidenschaftlichen Kuss. Als sie sich voneinander lösten, lehnte er seine Stirn an die von Jo. »Du scheinst Gedanken lesen zu können. Darüber wollte ich nachher mit dir reden. Ob du bei mir einziehen möchtest.«

»Wirklich?« Jo starrte ihn verblüfft an, was Lukas zum Lachen brachte.

»Ja, wirklich. Ich würde so gerne mit dir zusammenwohnen. Aber von welcher neuen Wohnung hast du da eben geredet?«

»Kim zieht bei Raik ein und sucht einen Nachmieter. Ich fand seine Wohnung schon immer toll.« Jo biss sich auf die Unterlippe. »Aber wenn du lieber hier wohnen bleiben möchtest, sage ich ab.«

»Ich mag meine Wohnung, doch die von Kim ist nicht nur schöner, sondern auch um einiges größer. Hier dein Arbeitszimmer unterzubringen, wäre wohl ein Problem. Also sag bitte zu. Aber ich habe eine Bedingung.«

»Welche?«

»Keine getrennten Schlafzimmer. Ich will keine WG mit dir gründen, sondern richtig mit dir zusammen sein. Ich bestehe auf ein gemeinsames Zimmer.«

Jo lachte leise. »Schön, das zu hören. Wir nehmen dein Bett, das ist größer und bequemer als meins.«

***

Ein paar Wochen später lagen sie in genau diesem Bett in der neuen, gemeinsamen Wohnung und liebten sich. Es war langsamer, zärtlicher Sex, den sie beide genossen. Als Lukas sich tief in Jo ergoss, hatte der geliebte Mann Arme und Beine eng um ihn geschlungen. Sie hielten sich aneinander fest, bis sie beide wieder ruhiger atmeten.

»Ich liebe dich«, flüsterte Jo in Lukas' Ohr.

»Ich dich auch. Ich kann kaum glauben, dass wir jetzt zusammenwohnen.«

»Willkommen in unserem Zuhause, Schatz.« Jo lächelte ihn verliebt an.

»Davon habe ich lange Zeit geträumt. Ein gemeinsames Zuhause, richtig mit dir zusammen zu sein.«

»Besser spät als nie«, murmelte Jo und küsste ihn sanft.

Ja, ging es Lukas durch den Kopf. In ihrem Fall konnte man das wirklich sagen. Besser spät als nie. Während er Jo küsste, dachte er an die schlichten Ringe, die er vor einigen Tagen gekauft hatte. Besser spät als nie. Aber mit dem Antrag würde er sich nicht so lange Zeit lassen. Denn er wusste genau, dass Jos Antwort »Ja« lauten würde. Diese Antwort wollte er lieber früher als später hören. Morgen.


~~~ Ende ~~~

Impressum

Texte: Christina McKay
Bildmaterialien: Shutterstock Bild 251121793 / Christina McKay, Coverdesign: Christina McKay
Tag der Veröffentlichung: 31.10.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Julia

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