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Marco

Shit! Oh Mann … Shit, shit, shit! Meinem neuen Job kann ich wohl gleich wieder ade sagen! Ich fasse es nicht. Warum habe ich Sven damals nicht zugehört, als er von seinem Job erzählt hat?! Ja, klar, ich wollte mit ihm ins Bett, da war Reden meiner Meinung nach überflüssig. Aber das darf doch wohl echt nicht wahr sein!

Jetzt stehe ich ziemlich verdattert im Büro seines Vaters, der mich dem Juniorchef gerade als neuen IT-Mitarbeiter vorgestellt hat. Zu blöd, dass dieser Juniorchef Sven ist. Es wäre nicht schlimm, dass er mein Ex-Lover ist, wenn … ja wenn ich mich damals nicht total bescheuert aufgeführt hätte. Denn anders kann man das nicht ausdrücken. Frisch von meinem Freund getrennt, wollte ich unbedingt bei dem süßen Sven landen und mir damit was beweisen.

Gelandet bin ich zwar schon, aber nicht so richtig. Fummeln und Knutschen war für ihn okay, schlafen wollte er nicht mit mir. Das war ein Schlag für mein ohnehin angeknackstes Ego. Ein Tiefschlag, um es genau zu nehmen, was mich dazu gebracht hat, mich auf seiner Silvesterparty wie ein besitzergreifender, eifersüchtiger Idiot zu benehmen. Seine Party, auf der er mich hat stehen lassen, um zu seinem Kerl zu fahren. Die Party, an die er wohl auch gerade denkt, wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig deute.

Eines muss man Sven lassen: Er hat wirklich Klasse. Nach dem ersten erschrockenen Blick hat er sich sofort wieder im Griff. Sein »Hallo Marco, lange nicht gesehen« klingt ziemlich gelassen. Aber dieser erste Moment hat seinem Vater offenbar ausgereicht.

»Ihr kennt euch? Wird das zum Problem?«

Wow, der alte Baumann ist wirklich direkt! Tja, Svens Antwort auf diese Frage interessiert auch mich brennend, denn davon hängt wohl mein neuer Job ab. Sie fällt nicht so aus wie befürchtet, aber auch nicht wie heimlich erhofft.

»Das weiß ich noch nicht, Walter. Dazu kann ich dir sicher mehr sagen, wenn ich mich mit Marco unterhalten habe.«

Walter Baumann nickt mir kurz zu. »Dann sehen wir uns hoffentlich später, Herr Hagen.«

Okeee … Da muss ich wohl durch, wenn ich diesen wirklich guten Job behalten will. Also folge ich nach einem gemurmelten Gruß Sven aus dem Büro. Weit zu gehen haben wir nicht, sein Büro ist direkt nebenan. Genauso groß und genauso schick wie das seines Vaters.

»Setz dich bitte.« Sven deutet kurz auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, während er dahinter Platz nimmt. Durchdringend schaut er mich an, dann scheint er sich etwas zu entspannen. »Deiner erstaunten Reaktion vorhin entnehme ich, dass du keine Ahnung hattest, dass ich hier arbeite.« Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Nicht die geringste.«

»Dann bist du also nicht hier, um … Na ja, du weißt, dass ich fest mit Florian zusammen bin?«

Ja, das ist mir nicht entgangen! Wofür hält der mich? Für einen Stalker, oder was? Am liebsten hätte ich ihn angefahren, aber ich brauche diesen Job wirklich. Außerdem hat er ja allen Grund für seine Bedenken. Also tief durchatmen und ruhig antworten.

»Ich bin nicht deinetwegen hier, Sven«, stelle ich klar. »Es tut mir leid, wie ich mich damals aufgeführt habe, ehrlich. Ich kann deine Bedenken verstehen, aber eigentlich ist das nicht meine Art, so … Na ja, mich wie ein Idiot aufzuführen.«

Das bringt mir ein Grinsen von ihm ein, was ich als gutes Zeichen werte. Ich werde aber nicht umhin kommen, die Sache von damals näher zu erläutern, denn er zieht abwartend die Augenbrauen hoch. Als ich nicht gleich fortfahre, hakt er nach.

»Wenn es sonst nicht deine Art ist, warum hast du es dann gemacht?«

Die Erklärung bin ich ihm wohl schuldig, wenn wir friedlich und ohne Anspannung miteinander arbeiten sollen. Es gefällt mir nicht besonders, das einzugestehen, aber nun gut.

»An dem Tag, bevor wir uns begegnet sind, habe ich meinen Freund mit einem anderen erwischt. Einige Stunden bevor ich im Club aufgetaucht bin, hat er mir dann an den Kopf geworfen, wie langweilig der Sex mit mir ist. Ich war total down, mein Ego lag am Boden und ich wollte mir selbst was beweisen. Als du nicht mit mir ins Bett wolltest … Da wollte ich erst recht beweisen, dass Erik unrecht hat. Nüchtern war ich in diesen Tagen auch selten. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, aber eine andere habe ich nicht. Jedenfalls habe ich nicht die Absicht, dir irgendwie zu nahe zu treten.«

Einen langen Moment schaut Sven mich forschend an, dann nickt er zu meiner Erleichterung und lächelt sogar. »Okay. Aber wenn du Probleme machst, fliegst du.«

»Alles klar, aber ich werde keinen Ärger machen, versprochen.«

»Dann ist ja alles in Ordnung. Außer ... Ist der Alkohol für dich ein Problem?«

Ziemlich verdattert schaue ich ihn an und schüttle den Kopf. »Nein! Ich bin kein Alkoholiker. Okay, ich war damals tagelang ziemlich angeheitert, aber ich komme gut ohne das Zeug klar.«

»Na, dann bist du herzlich eingeladen, heute Abend mit uns ein Bier trinken zu gehen. Ansonsten hätte ich nämlich dafür gesorgt, dass es bei Wasser oder Cola bleibt.« Er zwinkert mir zu und steht auf.

»Heißt das, ich habe den Job?«, frage ich etwas unsicher nach.

»Ja, das heißt es. Herzlich willkommen im Team.«

Udo

Jetzt bin ich echt baff. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass der Kerl mal in unserer Firma auftauchen würde. Sein Auftritt bei der Silvesterparty von Sven ist mir noch sehr gut in Erinnerung. Total durchgeknallt, der Typ! Kannte Sven gerade mal ein paar Tage und hat sich benommen wie ein eifersüchtiger Ehemann! Also ehrlich. Was will der Spinner denn hier? Stalked der unseren Juniorchef? Wenn Sven ihn sieht, kann der Typ bestimmt was erleben.

Oder auch nicht? Was zum Teufel … Muss ich das jetzt verstehen? Sven und Florian sind gerade aufgetaucht und bleiben bei dem Typen stehen. Sven lächelt ganz freundlich, Florian nicht. Kein Wunder, das kann ich ziemlich gut nachvollziehen. Doch während sie miteinander reden, entspannt sich auch Florian sichtlich. Schließlich nickt er und reicht dem Kerl sogar die Hand. Okeee … Da herrscht anscheinend Friede, Freude, Eierkuchen.

Um Svens willen bin ich wirklich froh darüber. Er ist nicht nur einer meiner Bosse, sondern auch ein guter Freund, genauso wie Florian. Es freut mich für die beiden, dass sie nach so vielen Jahren endlich zusammen die Kurve gekriegt haben. Alles andere sollte mir egal sein. Meine Kaffeepause ist eh um, ich hab keine Zeit, mir noch länger Gedanken um diesen Kerl zu machen.

Also ab, zurück an die Arbeit. Davon ist mehr als genug da. Seit Arno vor zwei Wochen einfach das Handtuch geschmissen hat, bin ich der einzige, der sich um die Rechner der Agentur kümmert, und da ist ganz schön was zu tun. Hoffentlich wird bald Ersatz eingestellt. Ich liebe meinen Job, ehrlich, und das nicht nur, weil die Agentur sehr gut bezahlt. Aber irgendwann wird es einfach zu viel, und die ganzen Überstunden in den letzten beiden Wochen haben mich an meine Grenzen gebracht.

Zu gerne würde ich endlich mal wieder pünktlich Feierabend machen können, statt abends nach 12 Stunden völlig kaputt nach Hause zu gehen. In der letzten Woche war ich nach der Arbeit wirklich zu nichts mehr zu gebrauchen. Sogar mein regelmäßiges Sexdate mit einem Bekannten habe ich ausfallen lassen. In der Woche davor auch schon. Abends mal in einen Club? Dazu hatte ich in der letzten Zeit weder Lust noch Energie.

Kurzum: Ich hatte seit über 2 Wochen keinen Sex mehr. Nicht übermäßig lang, aber trotzdem fehlt es mir. Untervögelt, könnte man wohl sagen. Meinem Privatleben würde ein neuer Kollege also mehr als guttun. Aber Schluss jetzt mit diesen Gedanken, je länger ich trödele, desto länger muss ich heute Abend bleiben. Ausgerechnet heute sind neue Rechner geliefert worden, die ich noch einrichten muss. Klar nutze ich eine Image-DVD, das meiste geht also von allein. Aber eben nur das meiste, es bleibt noch mehr als genug zu tun. Auf ans Werk!

Weit komme ich allerdings nicht, denn als ich den Pausenraum verlasse, ruft Sven mich zu sich. Das passt mir gerade gar nicht, wenn er einen Sonderauftrag hat, aber er ist immerhin der Juniorchef. Den durchgeknallten Typen ignoriere ich, meine Freunde hingegen grüße ich mit einem netten Lächeln und schaue Sven dann fragend an.

»Was gibt es denn?«

Er grinst breit. »Einen neuen Kollegen für dich, das wird dich sicher freuen. Du musstest in den letzten Wochen viele Überstunden machen, das hat jetzt bald ein Ende.«

Na, das höre ich doch sehr gerne! »Klasse, das freut mich wirklich! Wann fängt er denn an?«

»Genau jetzt«, grinst Sven und deutet an mir vorbei. Irritiert drehe ich mich um. Da stehen Florian und dieser südländische Typ. Es dauert einen Moment, bis bei mir der Groschen fällt. Als er es tut, rutscht mir etwas raus, was ich wohl besser für mich behalten hätte. »Der? Ist das dein Ernst???«

Schlagartig verschwindet das Lächeln aus dem schmalen Gesicht des Südländers. Verflucht, der Typ sieht fast noch besser aus, wenn er ernst guckt! Den Gedanken schiebe ich rasch beiseite, denn der Kerl wäre so ziemlich meine letzte Wahl. Nette Hülle, aber dahinter … Wie sagt man doch so schön? Außen hui, innen pfui. Und ausgerechnet mit dem Kerl soll ich in Zukunft zusammenarbeiten?

Aber Sven ist das wirklich ernst. Auch aus seinem Gesicht ist das Lächeln verschwunden und er schaut mich irgendwie strafend an.

»Ja, Udo, das ist mein Ernst, und ich erwarte von dir, dass du das professionell handhabst.« Svens Stimme ist sehr leise, keine Ahnung, ob die beiden anderen Männer das überhaupt hören konnten, aber es ist auch egal. Manchmal ist Sven eben mehr Boss als Freund, und im Allgemeinen komme ich damit sehr gut klar. Das gerade ist so ein Moment, also sollte ich mich besser zusammenreißen.

»Alles klar«, gebe ich daher genauso leise zurück und Sven nickt mir – nun wieder lächelnd – freundlich zu.

Mit Mühe unterdrücke ich das Seufzen und drehe mich zu Florian und dem Kerl um. »Hi, ich bin Udo Hagen«, begrüße ich den neuen Kollegen und halte ihm die Hand hin.

Er wirft mir einen verblüfften Blick zu und hinter mir lacht Sven leise auf. »Verdammt, das war mir noch gar nicht aufgefallen!«

Wovon bitte redet er? Doch das wird mir gleich darauf klar, als der neue Mitarbeiter mir die Hand reicht. Ein angenehmer Händedruck, weder zu fest noch zu lasch.

»Marco Hagen«, sagt er und lächelt mich an. »Zufälle gibt’s.«

Ja, allerdings. Nicht, dass der Name Hagen sooo selten wäre, aber das ist schon irgendwie verrückt. Noch verrückter ist, was dieser Kerl gerade mit mir anstellt, als er mich lächelnd anschaut. Kribbeln, tief in mir drin. Flaues Gefühl im Magen. Bedauern, als er meine Hand loslässt. Und definitiv der Wunsch, mehr von seiner Haut zu spüren. Oder seine Hand überall auf meinem Körper zu fühlen. Verflucht, ich bin echt untervögelt!

Marco

Na toll. Ist ja wirklich großartig. Mein neuer Kollege kann mich ganz offenbar nicht ausstehen. Was schließe ich daraus? Er war auch auf dieser verfluchten Party. Woher sonst sollte er mich kennen? Noch dazu ist er ja offenbar mit Sven und Florian befreundet. Bin ich also direkt zum Arschloch abgestempelt worden. Es ist zum Aus-der-Haut-fahren! Da macht man einen blöden Fehler und schon ist man der Buhmann der Nation. Okay, es war ein echt blöder Fehler, aber hey, wer ist schon perfekt? Der Kerl da doch mit Sicherheit auch nicht!

Obwohl … rein äußerlich ist er schon nahe dran. Verflucht nahe, zumindest was meinen Geschmack betrifft. Schlank, wenn auch vielleicht ein bisschen zu dünn, aber sonst? Er ist fast so groß wie ich, also ungefähr einsachtzig. Die hellbraunen Haare umrahmen weich und verwuschelt ein schmales Gesicht mit kantiger Kinnpartie. Richtig hübsch finde ich den Kerl, vor allem seine Augen. Sie sind braun, wie meine, aber viel heller. Eine schöne Farbe, nur könnten diese Augen etwas netter gucken.

Okay, jetzt schaut er mich gar nicht mehr an, dreht sich um und macht mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Finde ich nicht gerade prickelnd, dass er mir dabei schon den Rücken zudreht, obwohl der Blick auf seinen knackigen Arsch natürlich … lassen wir das. Offenbar erwartet er, dass ich mitkomme. Ein kurzer Blick zu Sven, der mir auffordernd zunickt, veranlasst mich dazu, Udo tatsächlich zu folgen. Der ist inzwischen schon an einer Tür, die offenbar ins Treppenhaus führt, da ein Fluchtweg-Schild darüber angebracht ist.

Ohne sich nach mir umzusehen, stößt er die Tür auf und verschwindet dahinter, ich nix wie schnell hinterher. Ein Stockwerk tiefer betreten wir die entsprechende Etage. Während oben die Arbeitsbereiche mehr oder weniger nur durch Glaswände abgeteilt sind – von den Büros der Führungskräfte mal abgesehen – stehen wir hier in einem langen Flur mit vielen verschlossenen Türen. An einigen gehen wir vorbei, dann deutet Udo im Vorbeigehen auf eine Stahltür zur rechten. »Serverraum.« Seine Hand zeigt auf die linke Flurseite. »Lagerraum.« Die nächste Tür auf der linken Seite schließt er auf. »Unser Büro.« Sehr gesprächig, nicht? Na, das kann ja heiter werden.

Erfreulicherweise ist das Büro ziemlich groß, hell, und genauso modern und gut ausgestattet wie die Arbeitsbereiche oben. Zwei riesige Schreibtische mit mehreren Monitoren darauf stehen sich gegenüber, an der Wand neben der Tür sind verschlossene Büroschränke untergebracht. Vor dem Fenster befindet sich ein großer Arbeitstisch, dort stehen in Reih und Glied 6 Kartons. Der Größe und Form nach enthalten sie Rechnergehäuse.

Auf diese deutet Udo nun. »Müssen wir heute noch einrichten.« Die nächste Handbewegung geht zu den Schreibtischen, genauer gesagt zum leeren. »Deiner.«

Ach nee, echt? Ist ja nicht so, als ob das nicht offensichtlich wäre, da der andere Tisch mit Unterlagen übersät ist. Langsam werde ich sauer. Entsprechend fällt meine Antwort aus, wobei ich mich wirklich zusammenreiße: »Vielen Dank für die Information, da wäre ich im Leben nicht von alleine drauf gekommen.«

Das bringt mir nur einen finsteren Blick ein, und irgendwas murmelt er vor sich hin. Ich glaube, es ist »Klugscheißer«, bin mir aber nicht sicher und ignoriere es daher lieber. Der Typ mag mich nicht? Auch gut, denn das beruht nach den wenigen Minuten auf Gegenseitigkeit! Nur blöd, dass ich mit dem Kerl ab jetzt zusammenarbeiten muss. Da kann ja wirklich heiter werden!

Die nächsten drei Stunden verbringen wir mehr oder weniger schweigend nebeneinander vor den neuen Rechnern. Mit genug Abstand zueinander, dass wir uns ja bloß nicht berühren. Aber nicht genug Abstand, dass mir sein angenehmer Duft nicht dauernd in die Nase steigen würde. Verdammt! Das bringt mich völlig aus dem Konzept! Ich bin wirklich froh, als er gegen 12:30 Uhr endlich aufsteht und zur Tür geht.

»Es ist Mittagspause. Kommst du?«, fragt er von der Tür her und ich drehe mich überrascht um. Mit diesem Idioten soll ich meine Pause verbringen? Nie im Leben! »Hab was zum Essen dabei, ich bleibe hier.« Tatsächlich befinden sich noch zwei Energieriegel in meiner Tasche. Das muss eben reichen für den Moment.

»Ich muss abschließen«, klärt er mich ziemlich genervt auf.

Das nervt mich nun genauso. »Wo bekomme ich einen Schlüssel her?«

»Hab nur den einen.«

»Ach, ich dachte, das ist unser Büro? Dann lass den Schlüssel doch einfach hier.«

Er schaut mich ziemlich wütend an. »Wir besorgen dir einen Schlüssel. Aber jetzt für den Moment ist nur einer da, und den nehme ich mit, weil es meiner ist. Nachdem ich abgeschlossen habe.«

Wow! Guck an, der Kerl kann tatsächlich in ganzen Sätzen reden! Dummerweise kann ich das, was er sagt, sogar nachvollziehen. Einschließen kann er mich nicht, zuschließen muss er wohl. Entnervt stehe ich auf, schnappe mir meine Tasche und gehe an ihm vorbei.

Bewusst ganz dicht, ich möchte ihn ein wenig aus dem Konzept bringen. Aber der Typ starrt mich so regungslos an, dass ich innerlich mit den Zähnen knirsche. Gespielt sanft lächle ich ihn an, beuge mich zu ihm und ziehe genießerisch die Luft ein. Das muss ich nicht mal schauspielern, denn der Kerl riecht wirklich gut!

Zurückweichen kann er nicht, da ist die Tür im Weg. »Du duftest sehr verführerisch«, stelle ich scheinbar überrascht fest und schaue ihn mit einem Augenaufschlag an, der endlich Wirkung zeigt. Udo starrt mich wie ein hypnotisiertes Kaninchen an und sein Adamsapfel folgt sichtbar den Schluckbewegungen.

Nochmal ziehe ich tief seinen Duft ein, komme ihm dabei noch näher. Nah genug, um mitzubekommen, dass sich sein Atem beschleunigt hat. Außerdem hat er die Augen geschlossen. Na, geht doch! Ganz so cool wie er tut ist Udo also nicht! Zufrieden richte ich mich auf und verlasse das Büro, kümmere mich nicht darum, was er macht. An der Tür zum Treppenhaus drehe ich mich ganz kurz zu ihm um und muss grinsen. Wie festgenagelt, die Lider immer noch geschlossen, steht er da. Vergnügt ziehe ich die Tür auf und mache mich aus dem Staub.

Udo

Zum zweiten Mal an diesem Tag bin ich total baff. What the hell … was war das denn? Hat der mich angebaggert? Echt jetzt? Und stehe ich hier wirklich gerade mit geschlossenen Augen und wild schlagendem Herzen im Flur? Wegen ihm? Mann!

Langsam mache ich die Augen auf und atme tief durch. Klar ist er längst weg, ich habe seine Schritte gehört, und von seinem angenehmen Aftershave hängt nur noch ein feiner Hauch in der Luft. Ja, ich mag, wie er duftet, das haben wir wohl gemeinsam. Aber dieses »sie können sich gut riechen« passt bei uns nun überhaupt nicht. Der Kerl geht mir tierisch auf die Nerven.

Zum Glück bin ich mit ein paar Kollegen verabredet, die wissen noch nichts von unserem neuen Mitarbeiter, weshalb mich auch keiner nach ihm fragt. Das Gespräch dreht sich um alltägliche Dinge und schafft es einigermaßen, mich auf andere Gedanken zu bringen. Schon blöd, dass die Mittagspause nicht ewig dauert. Ein paar Stunden mit Marco stehen mir noch bevor. An die folgenden Arbeitstage darf ich gar nicht denken. Shit! Ich habe den Kerl am Hals!

Wenigstens leistet er gute Arbeit, das muss man ihm lassen. Der Nachmittag vergeht schnell, und heute muss ich dank Marcos Hilfe mal keine Überstunden machen. Ein winziger Pluspunkt, aber wirklich ganz winzig. Das ändert nichts daran, dass ich den Typen nicht ausstehen kann.

Als Sven mich kurz vor Feierabend fragt, ob ich mit auf ein Bier komme, sage ich arglos zu. Das machen wir freitags abends oft. Unnötig zu erwähnen, dass ich den Entschluss bereue, als Marco auch auftaucht, oder? Aber von dem Idioten lasse ich mir den Abend sicher nicht verderben, so viel steht fest. Irgendwie fuchst es mich, dass er bei den Kollegen scheinbar ziemlich gut ankommt. Sogar Florian scheint seine Vorbehalte vergessen zu haben.

Okay, ich gebe es zu, wenn diese Party nicht gewesen wäre … Er ist weder vorlaut noch sonst irgendwie angeberisch. Aber ich kenne nun mal auch seine andere Seite und kann nicht vergessen, wie er sich auf Svens Party benommen hat. Mir ist nur nicht klar, wieso Sven und Florian jetzt einfach darüber wegsehen können. Das würde mich echt mal interessieren.

Die Gelegenheit, es herauszufinden, bekomme ich einige Zeit später, als ich mir im Vorraum der Herrentoilette die Hände wasche und Sven hereinkommt. Ohne lange darüber nachzudenken, warte ich, bis er fertig ist und während er sich die Hände wäscht, frage ich ihn einfach danach. Unsere Blicke treffen sich im Spiegel und er seufzt. Nachdem er mir das Versprechen abgenommen hat, kein Wort darüber zu verlieren, gibt er kurz sein Gespräch mit Marco wieder.

Jetzt tut mir der Kerl fast schon leid. Wenigstens kann ich seine Reaktion nun nachvollziehen. Mann, sein Ex muss echt voll der Arsch sein. Selbst wenn es der Wahrheit entspricht, dass Marco im Bett ein Langweiler ist – so was macht man einfach nicht, nur um dem anderen eins auszuwischen.

»Kein Wort zu ihm«, betont Sven nochmal. »Und versuche, ein wenig netter zu sein.«

»Okay«, gebe ich kleinlaut zurück. Ich war wirklich nicht nett zu ihm. Dabei kann Sven das gar nicht wissen, aber er kennt mich nun mal ziemlich gut. Oder hat Marco sich etwa beschwert? Sven verneint, als ich danach frage und grinst bloß.

»Dein Verhalten spricht Bände, Kumpel. Das ehrt dich als Freund, aber ich glaube, im Grunde genommen ist er wirklich nett. Also versuch es bitte, okay?«

»Ja, okay.« Dann werde ich mich halt mal zusammenreißen. Schadet wohl nichts, immerhin werden wir in Zukunft miteinander arbeiten. Also gebe ich mir richtig einen Ruck. Als ich zusammen mit Sven an den Tisch zurückkomme, bitte ich Marco auf ein Gespräch unter vier Augen vor die Tür. Zögernd und offenbar ziemlich misstrauisch folgt er mir nach draußen.

Ohne Umschweife komme ich zum Punkt. »Wir hatten einen schlechten Start und das ist meine Schuld. Sorry dafür. Sven ist einer meiner besten Freunde, und du hast dich an Silvester nicht gerade toll verhalten. Aber wenn Sven mit dir klarkommt, dann kann ich das auch.«

Marco schaut mich ziemlich überrascht an, dann wendet er den Blick ab, während ihm verlegene Röte ins Gesicht steigt. »War keine gute Zeit für mich«, höre ich ihn leise sagen, dann atmet er tief durch. »Ich bin eigentlich kein eifersüchtiger Typ, erst recht nicht bei Kerlen, die ich kaum kenne. Es war nur … Das war ein verdammt mieser Tag für mich, mehr möchte ich dazu nicht sagen, okay?«

Ja, das kann ich gut nachvollziehen, schließlich weiß ich, was Sache ist. Ich würde das auch keinem fast Fremden erzählen wollen, der mich den ganzen Tag ziemlich unfreundlich behandelt hat.

Marco wirft mir einen kurzen Seitenblick zu und ein Lächeln huscht über sein Gesicht. »Können wir nochmal neu anfangen? Denn mir tut es auch leid, wie ich mich heute Mittag benommen habe.«

Im Moment macht er es mir ziemlich schwer, ihn nicht zu mögen. Sein Vorschlag gefällt mir, also strecke ich die Hand aus und erwidere das Lächeln.

»Hi, ich bin Udo Hagen, dein Kollege. Wir teilen uns ein Büro und ich besorge dir so schnell wie möglich einen Schlüssel. Willkommen im Team.«

Überrascht starrt er mich an, dann lacht er leise und ergreift meine Hand. »Hallo Udo, ich bin Marco Hagen, dein neuer Kollege und ich hoffe, wir werden gut miteinander auskommen.«

»Ja, das hoffe ich auch.« Bedauernd lasse ich die schmale, aber kräftige Hand los, denn schon wieder wünsche ich mir, seine Haut noch länger zu spüren.

Er deutet auf das Lokal. »Na, komm. Ich gebe dir ein Bier aus.«

Da sage ich sicher nicht nein. Vielleicht ist Marco ja wirklich ganz nett. Die Vorstellung, mit ihm zu arbeiten, schreckt mich jedenfalls bei Weitem nicht mehr so ab wie noch vor einer Stunde.

Marco

Die erste Arbeitswoche ist fast um und mir gefällt es hier wirklich gut. Nur mit Udo hab ich ein echtes Problem. Ja, klar reißen wir uns zusammen, und im großen und ganzen kommen wir inzwischen gut miteinander aus. Manchmal rutscht einem von uns noch eine bissige Bemerkung raus, aber nach einem Lächeln und einer kurzen Entschuldigung ist es dann wieder gut.

Nein, mein Problem ist ganz anderer Natur. Ich fange an, mich in ihn zu verlieben. Das kann nicht gutgehen. Wir haben nicht viel über private Dinge geredet. Wenn wir allein im Büro sind, schon gar nicht. Das wenige, was ich über ihn mitbekommen habe, habe ich aus den Gesprächen mit den anderen Kollegen in der Mittagspause, die wir inzwischen zusammen verbringen.

Udo hält offenbar nichts von festen Beziehungen, ich hingegen … Unverbindlicher Sex ist nicht wirklich mein Ding. Schon okay, die Sache mit Sven hat da wahrscheinlich einen anderen Eindruck hinterlassen, und ja, ich gehe seit der Trennung von Erik ab und zu in einen Club und baue im Darkroom Druck ab. Aber eigentlich hätte ich viel lieber wieder eine feste Beziehung, und Udo eben nicht. Daher ist es gar nicht gut, dass ich gerade dabei bin, mich ernsthaft in ihn zu verlieben.

Aber es ist völlig egal, wie oft ich mir das selbst sage, es ändert nichts. Ich verliebe mich mal wieder in den falschen Mann und kann nichts dagegen tun. Es wäre vielleicht besser, wenn ich mir so schnell wie möglich einen anderen Job suche. Obwohl ich das wirklich nicht will. Die Kollegen in der Agentur sind nett, sogar mit Florian komme ich inzwischen gut klar. Außerdem sind die Arbeitsbedingungen richtig gut. Mein Gehalt liegt weit über dem Schnitt, es ist ein angenehmes Umfeld, und ich fühle mich hier wirklich wohl. Von der Sache mit Udo mal abgesehen.

»Alles okay mit dir?« Seine dunkle Stimme jagt einen angenehmen Schauer über meinen Rücken, obwohl die Frage an sich mir nicht gefällt. Ich sollte mich wirklich besser im Griff haben. Wenn Udo merkt, was mit mir los ist, war es das dann wohl.

»Ja, klar«, murmele ich nur und konzentriere mich so gut es geht auf meine Arbeit. Bloß nichts anmerken lassen!

»Kommst du nachher wieder mit auf ein Bier?«, will er kurz vor Feierabend wissen.

Das ist keine gute Idee, ich sollte mich wirklich von ihm fernhalten und … »Ja, klar.« Innerlich schüttele ich über mich selbst den Kopf. Ganz toll, offenbar führt mein Sprachzentrum neuerdings ein Eigenleben. Während ich noch nach Worten suche, um meine vorschnelle Zustimmung zurückzunehmen, kommt Florian ins Büro.

»Feierabend für heute. Kommt ihr mit auf ein Bier?«

»Ja, ich habe Marco eben auch schon gefragt. Wir gehen beide mit.«

»Super, dann bis gleich.«

Als Florian draußen ist, seufze ich lautlos. Soll ich schnell einen Grund vorschieben, warum ich doch nicht mitkomme? Nein, besser nicht, ich war noch nie ein guter Lügner und ich will Udo auch gar nicht anschwindeln. Ehrlichkeit ist mir wichtig. Aber ich kann ihm ja schlecht sagen, warum es besser wäre, wenn ich nicht mitkomme. Und um ehrlich zu sein … Okay, ich möchte ihm gerne noch etwas länger nahe sein. Die nächsten zwei Tage sehen wir uns nicht, da können es heute ruhig einige Stunden mehr sein, oder? Mann, ich bin doch echt bekloppt.

Aber ich halte meinen Mund und so sind wir kurz darauf auf dem Weg in die Stammkneipe um die Ecke. Obwohl ich ehrlich versucht habe, das zu vermeiden, sitzt Udo dann wenig später neben mir. Er riecht noch genauso himmlisch wie am Morgen. Der Duft seines Aftershaves ist einfach … Seufz. Am liebsten würde ich mich nah zu ihm lehnen und an ihm schnuppern. Nicht gut. Gar nicht gut.

Nach einer Weile halte ich es einfach nicht mehr aus und murmele eine Entschuldigung. Auf der Herrentoilette verkrieche ich mich für einige Minuten in einer der Kabinen. Ich muss nicht aufs Klo, aber ich brauche dringend etwas Abstand. Da lehne ich nun an der Kabinenwand und versuche, an eklige Dinge zu denken, damit meine Erregung abkühlt. Aber erst das letzte Mittel – ich rufe mir eine fette Spinne vor Augen – lässt meine Erektion wenigstens auf halbmast sinken.

Okay, also zurück ins Lokal. Obwohl ich die Toilette nicht benutzt habe, betätige ich, um den Schein zu wahren, die Spülung und gehe in den Vorraum. Während ich die Hände wasche, geht die Tür auf und die Welt scheint stehenzubleiben. Erik. Der hat mir gerade noch gefehlt! Wenigstens sorgt sein Anblick dafür, dass die restliche Erregung mit einem Schlag verschwindet.

»Na so eine Überraschung. Mit dir hätte ich hier nicht gerechnet.« Erik grinst ziemlich fies. Wie ich auf den Typen reinfallen konnte, ist mir immer noch schleierhaft. »Da hätte ich vielleicht früher mal in diese Kneipe kommen sollen. Ich habe oft versucht, dich zu erreichen, aber meine Mails beantwortest du ja nicht, und du hast eine andere Handynummer als früher.«

»Rate mal, warum, du Arschloch!« Nur mit Mühe halte ich mich davon ab, zurückzuweichen, als er näher kommt und dicht vor mir stehen bleibt.

»Ach komm schon, nun sei nicht so. nimmst du mir die Sache wirklich noch übel? Ich brauchte halt mal Abwechslung. Aber wir hatten doch immer guten Sex, oder?«

Guter Sex? Für mich war es damals viel mehr. Ich Idiot habe dieses Arschloch wirklich geliebt.

»Ach, auf einmal?«, rutscht es mir heraus.

»Ja, schon okay. Ich habe mich damals geärgert, weil du mir kein bisschen Vergnügen gönnen wolltest. Dass du langweilig bist, das habe ich nur so gesagt, aber das war doch nicht ernst gemeint.«

Als er die Hand auf meine Brust legt, weiche ich nun doch zurück, aber er kommt mir nach. Noch ein Schritt zurück, und mir bleibt fast das Herz stehen, als ich dabei mit dem Rücken gegen einen warmen, festen Körper stoße. Ich muss mich gar nicht umdrehen, ich weiß, dass es Udo ist, ich erkenne ihn an seinem angenehmen Duft.

Sein Arm schlingt sich um meine Taille, er zieht mich noch enger an sich. Einerseits will ich mich dagegen wehren, andererseits ist seine Nähe in dieser Situation irgendwie beruhigend. »Ist das dein Ex, Schatz?«, fragt Udos Stimme dicht an meinem Ohr. Ja, ich höre die Worte, aber ich begreife sie nicht. Was ist hier eigentlich los?

Udo

Irgendwie ist Marco schon den ganzen Tag seltsam drauf. Im Lauf der Woche habe ich schnell bemerkt, dass er eigentlich eher zu der ruhigen Sorte gehört. Manchmal ist er sogar fast schüchtern, was mich ziemlich überrascht hat. Da hat der erste Eindruck wirklich getrogen. Keine Spur von dem großkotzigen, eifersüchtigen Idioten, den er damals auf der Party gegeben hat. Scheinbar hatte er da echt einen miesen Tag. Ja, ich gebe es zu: Offenbar habe ich mich in ihm geirrt.

Genauso überrascht hat mich, wie schnell sich meine Gefühle um 180 Grad gedreht haben. Kaum vorstellbar, dass ich ihn vor einer Woche noch nicht ausstehen konnte. Keine Ahnung, wie das so schnell passiert ist, aber ich mag ihn wirklich. Sehr sogar. Er ist nicht nur fleißig und gewissenhaft, sondern noch dazu sehr nett, und er hat was im Kopf. Im Stillen habe ich schon Abbitte geleistet, denn ich erinnere mich leider nur allzu gut daran, was ich noch vor einer Woche gedacht habe. Doch dieses »Außen hui, innen pfui« stimmt was ihn betrifft wirklich nicht.

Aber heute ist wohl auch nicht sein bester Tag. Er ist schon die ganze Zeit völlig in sich gekehrt, redet kaum. Irgendwas scheint ihn zu bedrücken. Meine Einladung auf das Feierabendbier hat er zwar angenommen, aber irgendwie … so wirklich gut schien ihm das nicht in den Kram zu passen. Ich war echt froh, als Florian aufgetaucht ist und auch noch mal gefragt hat. Schon, damit es nicht nach einem Date aussieht – obwohl ich das sicher nicht ablehnen würde.

Unruhig rutscht Marco auf dem Stuhl neben mir hin und her. Eigentlich immer weiter von mir weg, soweit das möglich ist. Hat mein Deo versagt? Verstohlen schnuppere ich an mir, kann aber keine unangenehmen Gerüche wahrnehmen. Als Marco sich nach einer Weile entschuldigt und aufsteht, folge ich ihm mit dem Blick. Er geht Richtung Toiletten. Nach zehn Minuten ist er immer noch nicht zurück, und ich fange an, mir Sorgen zu machen. Ob ihm wohl schlecht geworden ist und er hilflos auf der Toilette liegt?

Ohne lange darüber nachzudenken, folge ich ihm. Im Vorraum mit den Waschbecken ist er nicht, und auch am Pissoir steht er nicht. Bleiben also nur noch die Kabinen. Wenn er einfach nur einem natürlichen Bedürfnis nachgeht, könnte es peinlich werden.

Von den drei Kabinen ist nur eine besetzt und während ich vor der Tür verharre und noch überlege, ob ich klopfen soll, höre ich einen tiefen Seufzer. Definitiv Marco. Er bewegt sich in der Kabine, aber ich höre kein Rascheln von Kleidung, keinen Reißverschluss, nichts. Doch gleich darauf die Toilettenspülung, während bereits die Tür entriegelt wird.

Rasch husche ich in die Kabine nebenan, obwohl ich nicht einmal weiß, warum ich mich verstecke. Irgendwie ist das kindisch, oder? Aber es war wie ein Reflex. Okay, einfach einen Moment warten, und sobald er draußen ist, gehe ich auch wieder. Im Vorraum rauscht Wasser, dann wird es abgedreht und gleichzeitig klappt die Tür.

Leise mache ich mich auf den Weg zu der offenen Tür zum Vorraum. Als ich die tiefe Stimme höre, bleibe ich überrascht stehen. Offenbar kennt der Typ Marco, aber ein Freund scheint das wohl nicht zu sein, wie sich an dem kurzen Dialog nur unschwer erkennen lässt. Marco ist alles andere als begeistert, und das »Arschloch« spricht Bände.

Mit einem Schritt bin ich an der offenen Tür und bleibe erst einmal erschrocken stehen. Marco ist ein wenig größer als ich, 185 cm schätze ich. Aber der Kerl, der ihm gegenüber steht, überragt ihn um ungefähr einen halben Kopf und ist auch fast doppelt so breit. Allerdings scheint das kein Speck zu sein, sondern pure Muskeln. Kein Wunder also, dass Marco ein Stück zurückweicht. Der Typ, der offenbar sein Ex ist, bemerkt mich nicht einmal, er ist völlig auf meinen Kollegen konzentriert.

Auf so einen Kerl steht Marco? Das wundert mich nun wirklich. Zum einen, weil er ja mal hinter Sven her war, der deutlich kleiner ist, und zum anderen … Okay, es geht mich eigentlich nichts an, und vielleicht täusche ich mich in dem Kerl genauso wie in Marco, aber bei dem würde ich auf »Muskeln, aber kein Gehirn« tippen. Das passt so gar nicht zu dem klugen Mann, den ich im Lauf der Woche kennen und schätzen gelernt habe.

Aber, was im Moment viel wichtiger ist: Marco will mit dem Typen nichts zu tun haben und der rückt ihm auf die Pelle. Gegen den Kerl hat er keine Chance, wenn der handgreiflich wird. Er ist zwar ein ziemlicher Brocken, aber ich betreibe seit ewigen Zeiten Karate, notfalls weiß ich mich also zu wehren, sofern der Typ nicht auch Kampfsport betreibt. Aber dafür sind solche Muskelprotze oft zu langsam. Außerdem muss es soweit gar nicht kommen.

Wenn er sich plötzlich mit zwei Männern konfrontiert sieht, überlegt er sich vielleicht zweimal, ob er zudringlich wird. Während Marco noch einen Schritt zurück macht, trete ich einen weiteren vor. Er zuckt zusammen, als sein Rücken gegen meine Brust stößt, aber er dreht sich nicht einmal um, sondern behält Mr. Muskelberg argwöhnisch im Auge. Damit Marco begreift, dass ich es bin, schlinge ich rasch den Arm um ihn und sage etwas. Was dann allerdings aus meinem Mund kommt, hatte ich nicht geplant und Marcos ganzer Körper spannt sich dabei an. »Ist das dein Ex, Schatz?«

Jetzt habe ich die volle Aufmerksamkeit des Riesen. So merkt er wenigstens nicht, dass Marco sich einen Moment lang gegen meinen Arm stemmt, mit dem ich ihn noch näher ziehe. »Spiel einfach mit«, flüstere ich ganz leise und tarne es als sanfte Liebkosung seines Ohrs. Keine Ahnung, ob Marco die Worte verstanden hat, aber er entspannt sich etwas und lehnt sich sogar gegen mich.

»Wer bist du denn?« will Hulk wissen und starrt mich an.

»Das geht dich zwar nichts an, aber ich heiße Udo Hagen.«

Dem Fleischklops fällt alles aus dem Gesicht und er schnappt nach Luft. Aber mir wird der Grund für diese Reaktion erst klar, als er einen Schritt zurückmacht, Marco mit großen Augen anstarrt und dann überrascht hervorbringt: »Du hast geheiratet?«

Marco

Alles zu viel! Udos schlanker Körper an meinem Rücken, sein Arm, in den ich mich nur zu gern schmiege, sein Duft … Für mich ist das kein Spiel und es wäre so schön, wenn es für ihn auch echt wäre. Aber das ist es nicht, er kehrt nur den Beschützer vor Erik heraus. Ja, mir ist vollkommen klar, was Udo vorhat, aber ich komme prima allein zurecht! Ich bin doch keine Tussi, die er beschützen muss!

So gut es sich in seinem Arm auch anfühlt, solche Spielchen mag ich gar nicht. Sobald Erik weg ist, werde ich Udo mal ein paar Takte sagen. Was denkt der sich eigentlich? Was soll das werden? »Wir retten Marco«, oder wie? Ich bin echt angefressen, aber natürlich werde ich ihn vor Erik nicht auflaufen lassen. So sauer bin ich nun auch wieder nicht.

Erst einmal das hier über die Bühne bringen, also zurück aus meinem Gedanken- und Gefühlswirrwarr ins hier und jetzt. Gerade rechtzeitig, um Erik fragen zu hören, wer Udo ist.

Dessen Antwort dicht an meinem Ohr ist eigentlich harmlos. Wenn da nicht der gleiche Nachname wäre. Keine Ahnung, ob Udo genau diese Wirkung beabsichtigt hat, aber das ist einfach … göttlich!

Erik reißt die Augen auf, die Gesichtszüge entgleisen ihm, er macht einen Schritt zurück und fragt dann völlig entgeistert: »Du hast geheiratet?«

Man hört regelrecht die vielen Frage- und Ausrufezeichen, und ich bin so damit beschäftigt, mir das Lachen zu verbeißen, dass ich nicht antworten kann. Will ich auch gar nicht, denn aufklären möchte ich dieses Missverständnis eigentlich nicht. Jetzt bin ich froh, dass Udo da und auf Zack ist. Er umschifft eine direkte Antwort mit den Worten: »In Deutschland können Schwule nicht heiraten. Das nennt sich eingetragene Lebenspartnerschaft.«

Eriks attraktives Gesicht hat in diesem Moment irgendwie Ähnlichkeit mit einem Fisch. Zumindest der Mund, denn der geht stumm auf und zu. Ein paar Mal hintereinander, das sieht echt witzig aus. Mann, ich muss mich wirklich gewaltig zusammenreißen, um nicht vor Lachen loszuplatzen.

»Dann viel Glück«, murmelt Erik schließlich und gibt den Weg frei.

»Danke. Ich weiß, wie viel Glück ich mit Marco habe«, erwidert Udo und haucht mir einen Kuss auf das Ohrläppchen. Schlagartig ist mein Drang zu lachen verschwunden. Angenehme Gänsehaut macht sich auf meinem Körper breit und einen Moment lang schmiege ich mich fester an Udo. Meine Reaktion auf die harmlose Zärtlichkeit ist ihm mit Sicherheit nicht entgangen.

Aber mir entgeht auch keineswegs, wie er auf mich reagiert, denn da presst sich unmissverständlich ein harter Schwanz an meinen Hintern. Selbst durch die Jeans hindurch ist das deutlich spürbar. Damit habe ich nun gar nicht gerechnet, und irgendwie verraucht mein Ärger in Nullkommanichts.

Udo schiebt mich mit sanftem Druck vor sich her zur Tür, und erst als wir im Flur sind, bleibt er stehen, ohne mich loszulassen. Einen Moment lang stehen wir schweigend da, dann zieht er mich fester an sich. »Alles okay mit dir?«

Die Frage bringt den Ärger zurück. Sieht er in mir wirklich eine hilflose Tussi? Zu dem Ärger mischt sich Frust, aber auch Traurigkeit. Ja, klar, meine Nähe hat Udo steif werden lassen, aber das ist offenbar nicht mehr als eine körperliche Reaktion.

»Ja«, bringe ich nur hervor und mache mich los. Ich muss weg hier, weg von ihm. Dringend, bevor ich etwas sage oder tue, was ich später bereuen werde. Zum Beispiel, ihn einfach küssen, oder ihm gestehen, dass ich in ihn verliebt bin. Also schleunigst weg hier.

»Marco, jetzt warte doch mal«, höre ich hinter mir seine leise Stimme, aber ich bleibe nicht stehen. Die anderen sehen mir neugierig entgegen. Sven zieht die Augenbrauen hoch, als ich nach meiner Tasche greife, aus dem Portemonnaie schnell einen Zehner heraus krame und ihn auf den Tisch werfe. Viel zu viel für das eine Bier, aber das ist mir egal.

»Ist alles in Ordnung?«, will Sven wissen, und als ich nur nicke, geht sein Blick an mir vorbei, ich nehme an zu Udo.

»Ich muss los. Schönen Abend noch und bis Montag«, bringe ich einigermaßen normal heraus, schnappe mir meine Jacke und bin schon auf dem Weg zur Tür. Was Sven und die anderen denken, ist mir völlig egal. Na ja, was Udo denkt, ist mir nicht egal, aber wahrscheinlich will ich das lieber nicht wissen.

Mit schnellen Schritten gehe ich Richtung Parkplatz und versuche, an gar nichts zu denken. Leider gelingt mir das nicht. In meinem Kopf ist Udo, ununterbrochen, und das ist nicht gut. Ich bin sauer, und gleichzeitig tut mir das Herz weh. Wieso suche ich mir immer die falschen Typen aus? Was zum Teufel habe ich verbrochen? Darf ich nicht einfach mal glücklich sein? Jemanden haben, der mich so liebt, wie ich bin?

Die Träne, die den Weg über meine Wange findet, schiebe ich auf meinen Ärger und wische sie ungeduldig weg. Im Moment will ich einfach nur nach Hause. Da gibt es nur ein Problem, stelle ich gleich darauf fest, als ich im Auto sitze. Mein sonst so zuverlässiger alter Golf springt nämlich nicht an. Nein, nein, nein! Mir wird gerade alles zu viel. Hilflos lehne ich die Stirn aufs Lenkrad und kann nicht verhindern, dass weitere Tränen fließen. Neben mir öffnet sich die Tür, eine Hand fasst sanft nach meinem Arm.

»Marco.« Nur dieses eine Wort und Udos Stimme klingt so weich.

Einen Moment lang wehre ich mich dagegen, aber dann gebe ich dem Drängen nach und lasse mich aus dem Wagen ziehen. In Udos Arme, die mich festhalten und mir Trost geben. Genau die Arme, in denen ich jetzt sein will.

Udo

Etwas läuft total schief. Als wir endlich aus der Herrentoilette raus sind und ich Marco frage, ob alles okay ist, macht er sich los und geht. Die Frage hätte ich mir wohl sparen können. Nein, es geht ihm nicht gut. Offenbar hängt er immer noch ziemlich an diesem Idioten, der ihn betrogen und mit Worten nieder gemacht hat.

Ich kann es zwar nicht nachvollziehen, aber Marcos Gefühlen ist es wohl egal, dass dieser Typ ein Arschloch ist. Liebe kann man nicht ein- und ausschalten, auch wenn das manchmal besser wäre. So viel dann also zu meiner Hoffnung, dass Marco mich vielleicht auch mag. Körperlich hat er auf mich reagiert, aber mehr ist es scheinbar nicht.

Schade. Da stellt sich für mich die Frage, ob mir das reicht. Eigentlich nicht, aber verzichte ich lieber ganz als das zu nehmen, was ich vielleicht bekommen kann? Nein, mit Sicherheit nicht. Immerhin besteht ja auch die Möglichkeit, dass sich seine Gefühle irgendwann ändern, oder? Ich hoffe es für ihn, denn unabhängig davon, was ich von Marco möchte, wünsche ich ihm, glücklich zu sein. Das kann er aber nicht, solange er in diesen Kerl verliebt ist.

Als Marco sich sein Zeug schnappt, seufze ich innerlich. Svens fragender Blick trifft mich, aber ich schüttle nur den Kopf. Während ich Marco nachschaue, ziehe ich meinen Geldbeutel hervor. Ein Fünfer landet neben dem 10 Euroschein, den er auf den Tisch gelegt hat. »Keine Zeit für Erklärungen«, flüstere ich Sven zu.

»Viel Glück«, höre ich ihn leise antworten und bin gleich darauf auf dem Weg zur Tür. Kaum zu fassen, wie viel Vorsprung Marco schon hat. Er geht wirklich schnell, ich sehe gerade noch, wie er um die Ecke verschwindet. Wenn ich mich nicht beeile, ist er weg, bevor ich den Parkplatz erreiche.

Als ich um die Ecke biege, seufze ich erleichtert auf. Er sitzt zwar in seinem Auto, macht aber keine Anstalten wegzufahren. Allerdings verfliegt die Erleichterung gleich wieder, als er den Kopf auf das Lenkrad sinken lässt. Die Begegnung mit diesem Kerl scheint ihn noch mehr mitgenommen zu haben, als ich befürchtet habe.

Er bemerkt mich nicht, als ich neben dem Golf stehen bleibe. Es versetzt mir einen heftigen Stich, als ich die Tränen sehe, die über sein Gesicht laufen. Es tut mir richtig weh, dass er unglücklich ist. Ohne nachzudenken, öffne ich die Tür und lege die Hand auf seinen Arm. »Marco.«

Er schaut mich nicht an und als ich versuche, ihn sanft aus seinem Auto zu ziehen, sträubt er sich im ersten Moment. Aber dann gibt er nach, steigt aus und lässt sich in die Arme nehmen. Die Art, wie er sich eng an mich schmiegt, würde mir unter anderen Umständen sehr gut gefallen. Doch im Moment sucht Marco wohl einfach nur Trost.

Minutenlang lässt er sich so halten, dann atmet er tief durch und bringt ein paar Zentimeter Abstand zwischen uns. Dass er sich nicht komplett meiner Umarmung entzieht, erleichtert mich.

»Tut mir leid, ich …« Er bricht ab, sucht scheinbar nach Worten.

»Muss es nicht. Komm, ich bringe dich nach Hause. Du solltest jetzt besser nicht fahren, glaube ich.«

»Kann ich auch gar nicht. Die Karre springt nicht an.«

Darauf antworte ich nicht direkt, denn wegen des Autos ist er bestimmt nicht so fertig. Das werde ich ihm aber mit Sicherheit nicht unter die Nase reiben. Mein Wagen steht nur ein paar Plätze weiter. Schweigend steigt Marco ein und gibt mir seine Adresse. Für mich ist es kein Umweg, ich wohne zwar einige Minuten entfernt, fahre aber ohnehin durch seine Straße.

»Wenn du willst, kannst du auf meinem Stellplatz parken und noch auf ein Bier oder einen Kaffee mit rauf kommen«, überrascht er mich, als wir fast da sind. Mir ist vollkommen klar, dass es nicht diese Art der Einladung ist, aber mein Herz schlägt trotzdem schneller. Noch etwas Zeit mit ihm verbringen, das möchte ich wirklich gerne.

Fünf Minuten später sitzen wir in seinem Wohnzimmer, jeder eine Flasche Bier in der Hand. Marco pult an dem Etikett herum, dann seufzt er. »Eigentlich sollte ich immer noch sauer auf dich sein.«

Wie bitte? »Sauer? Auf mich? Was habe ich denn gemacht?«

Er schnaubt. »Mich wie eine hilflose Tussi behandelt. Was sollte das? Sehe ich aus wie eine Jungfrau, die vor dem bösen Drachen gerettet werden muss?«

Das macht mich nun irgendwie sauer. »Jungfrau? Du? Bestimmt nicht! Aber der Kerl ist ein gutes Stück größer und breiter als du! Der hätte dich doch platt gemacht!«

»Ja, klar. Du bist doch sogar noch kleiner als ich! Wie kommst du auf den Gedanken, dass du mit ihm fertig geworden wärst, wenn er auf dich los gegangen wäre? Und was sollte der Scheiß, von wegen, wir sind verheiratet? Spinnst du?«

Ruhig bleiben! Das fällt mir im Moment allerdings schwer. Also tief durchatmen. »Bessere Chancen als du hätte ich auf jeden Fall gehabt, denn ich mache seit meiner Kindheit Karate. Und ich hab ihm nicht erzählt, dass wir verheiratet sind. Auf den Gedanken ist er wegen des Nachnamens ganz allein gekommen. Du hättest es ja richtig stellen können!«

Mist, jetzt bin ich doch laut geworden! Aber mein letzter Satz hat ihm offenbar den Wind aus den Segeln genommen. Jedenfalls sagt er erst einmal nichts, und zwar so lange, dass ich mich frage, ob er jetzt überhaupt noch mit mir redet.

Doch dann seufzt er. »Ja, hätte ich. Wollte ich aber nicht. Erik hat mir damals an den Kopf geworfen, dass ich im Bett eine Niete bin, und irgendwie … Ich wollte nicht, dass er weiß, dass ich niemanden habe. Tut mir leid, dass ich dich angemotzt habe.«

»Mir tut es auch leid, dass ich laut geworden bin. Es war ganz schön fies von ihm, dir so was zu sagen. Völlig egal, ob es stimmt oder nicht, und dass es nicht so ist, hat er ja selbst zugegeben. Also irgendwie doppelt fies. Um so weniger verstehe ich, dass du noch an ihm hängst.«

»Tu ich doch gar nicht! Wie kommst du denn auf den Blödsinn?«

Darauf sage ich lieber nichts, ich will ihn nicht daran erinnern, dass er wegen dem Kerl geweint hat. »Schon gut, habe ich mich halt geirrt. Und was die andere Sache anbelangt – sollte ich vielleicht warten, bis er auf dich losgeht? Mann, ich habe mir Sorgen gemacht!«

Ein überraschter Blick trifft mich. »Um mich? Wieso?«

Shit! Hätte ich doch bloß den Mund gehalten! Anlügen will ich ihn nicht, die Wahrheit kann ich ihm aber auch nicht sagen. Wenn Marco raus bekommt, dass ich ihn mag, wirklich sehr mag, verspiele ich damit vielleicht die einzige Chance, ihm näherzukommen.

»Weil du mein Kollege bist?«, bringe ich schließlich hervor. Dann, etwas überzeugender: »Ich hätte das für Sven auch gemacht.« Das entspricht sogar den Tatsachen, immerhin ist Sven ein guter Freund. Da würde ich bestimmt nicht zuschauen, wie ein Muskelprotz ihm auf die Pelle rückt.

»Okay«, meint Marco schließlich und seufzt. »Du hast ja recht.« Er hebt den Kopf, schaut mich an und lächelt sogar. »Danke.«

Puh! Gerade nochmal gut gegangen!

Marco

Irgendwie bin ich innerlich völlig zerrissen. Je länger wir in meinem Wohnzimmer sitzen und reden, desto stärker wird dieses Gefühl. Udo ist noch weitaus netter und klüger, als ich vermutet habe, und von Minute zu Minute verliebe ich mich mehr in ihn. Einerseits möchte ich ihn gar nicht mehr gehen lassen, andererseits wünsche ich mir, dass er endlich abhaut. Denn wenn er noch eine Weile hier sitzt, mit mir über Gott und die Welt redet und Scherze macht, dann bin ich rettungslos verloren.

Aber vielleicht bin ich das schon längst. Dieser Kerl ist so … er ist wirklich unglaublich. Wenn ich nur wüsste, warum er ganz allgemein etwas gegen feste Beziehungen hat. Denn dass er auf mich steht, ist in den letzten zwei Stunden sogar mir klar geworden. Mittlerweile sitzen wir ziemlich dicht nebeneinander. Es sind zwar immer noch ein paar Zentimeter Abstand zwischen uns, aber unsere Arme oder Hände berühren sich ziemlich häufig.

Außerdem flirtet Udo immer offener mit mir. Ich mag es, wie er mich dabei anschaut, oder wie er mir manchmal lächelnd zuzwinkert. Jetzt gerade, als er sich vorbeugt und seine Bierflasche auf dem Tisch abstellt, streift er mich wieder mit dem Arm. Unsere Blicke treffen sich und mein Herz fängt an, schneller zu schlagen. Diesmal kommt kein verschmitztes Zwinkern, er wendet auch den Blick nicht ab. Eine halbe Ewigkeit schauen wir uns einfach nur an, dann wandern seine Augen zu meinem Mund.

Wohlige Gänsehaut überläuft mich, als er sich zu mir neigt. Jetzt rast mein Puls geradezu – und gleich darauf durchflutet mich herbe Enttäuschung, als er sich mit einem Seufzen zurücklehnt, den Abstand zwischen uns damit deutlich vergrößert.

»Fahren kann ich nicht mehr. Entweder rufe ich mir jetzt ein Taxi oder ich bleibe über Nacht hier.« Auf den ersten Blick wirkt Udo bei diesen Worten ziemlich gelassen. Aber es entgeht mir nicht, dass er tief Luft holt, bevor er hinzusetzt: »Dann werde ich aber nicht auf der Couch schlafen.«

Einen Moment lang bin ich nicht dazu fähig, überhaupt etwas zu sagen. Er will mit mir ins Bett. Ich mit ihm auch, aber mehr als eine kurze Affäre ist für ihn nicht drin. Das ist aber nicht das, was ich will. Kann ich mich damit zufrieden geben? Wahrscheinlich nicht. Aber ich kann und will gerade nicht darüber nachdenken. Mein Kopf ist wie leergefegt und es ist mir egal.

Udo hat mein Schweigen wohl missgedeutet, denn er seufzt erneut und greift nach seinem Handy, das auf dem Tisch liegt. Die Bewegung reißt mich aus meiner Starre. Entschlossen nehme ich ihm das Handy weg und schüttle den Kopf. »Du brauchst kein Taxi.«

Wie sehr ich mich wirklich danach gesehnt habe, ihn zu küssen, wird mir erst klar, als sein Mund sich auf meinen legt. Sekundenlang schmusen seine festen und doch so weichen Lippen einfach nur sanft über meine. Aber das reicht uns beiden nicht, der Kuss wird schnell leidenschaftlich. Wahnsinn! Der Kerl kann unglaublich gut küssen. Innerhalb von Sekunden werde ich hart, was in der engen Jeans nicht gerade angenehm ist.

Udos Atem geht genauso schnell wie meiner, als ich den Kuss abbreche und aufstehe. Gleich darauf schmiegt er sich in voller Länge eng an mich und küsst mich wieder. Kein Zweifel, er ist genauso hart wie ich. Entschlossen löse ich meinen Mund von seinem, greife nach seiner Hand und ziehe ihn mit mir.

Als wir neben dem Bett stehen, fliegen die Klamotten achtlos durch die Gegend. Innerhalb von Sekunden sind wir nackt. Ein sanfter Schubs und er landet auf meinem breiten Bett, ich gleich darauf direkt neben ihm. Meine Hände gleiten fieberhaft über seinen Körper und er steht mir da in nichts nach. Fast gleichzeitig umschließen wir den harten Schwanz des anderen und Udo stöhnt laut in den Kuss. Oder war ich das? Völlig egal, genauso wie die Tatsache, dass es bei der ersten Runde nur für einen Handjob reichen wird.

Wir sind beide viel zu angeheizt für was anderes. Unsere Bewegungen werden schneller und fester. Mein ganzer Unterleib scheint sich zu verkrampfen, es ist fast schmerzhaft. Als Udo laut stöhnt und sich zwischen uns ergießt, komme ich unglaublich heftig. Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal einen so intensiven Höhepunkt hatte, aber ich genieße es mit allen Sinnen.

Es dauert eine ganze Weile, bis mein Atem wieder ruhiger wird, und Udo geht es da wohl auch nicht besser. Eng umschlungen küssen wir uns immer wieder. Es fühlt sich immer noch verdammt gut an, seinen Mund auf meinem zu spüren, doch jetzt sind unsere Küsse sanfter. Die fast grobe Leidenschaft von vorhin ist weg.

Keine Ahnung, wie lange wir so daliegen, aber irgendwann seufzt Udo. »Das war so verdammt gut.«

»Ja, das war es.« Noch ein sanfter Kuss. »Was hältst du von einer Dusche?«, murmele ich dann an seinen Lippen.

Er schmiegt sich noch enger an mich. »Eigentlich viel, aber ich will jetzt nicht aufstehen.«

Grinsend knabbere ich an seiner Unterlippe. Er klingt herrlich schläfrig, und ich bin auch ziemlich müde. Außerdem ist es wirklich viel zu schön, um jetzt aufzustehen. Ich greife über ihn hinweg nach der Box mit den Papiertüchern. Nur ungern löse ich mich weit genug von ihm, um unser Sperma mit ein paar Tüchern wegzuwischen. Sie landen achtlos auf dem Boden, als wir uns wieder eng aneinander kuscheln. Was soll's, duschen können wir auch später. Oder morgen früh, geht es mir noch kurz den Kopf, dann fallen mir die Augen zu.

Udo

Als ich irgendwann mitten in der Nacht aufwache, weil meine Blase drückt, bin ich einen Moment lang ziemlich orientierungslos. Neben dem fremden Bett verbreitet eine Nachttischleuchte schummriges Licht. Das Bett und Zimmer sind mir zwar fremd, der Mann neben mir ist es nicht. Marco.

Die Erinnerung ist mit einem Schlag wieder da und ein breites Lächeln gleitet über mein Gesicht, während ich mich vorsichtig von ihm löse. Er brummelt etwas, tastet mit der Hand nach mir, aber dann schläft er weiter. Im Flur ist es nicht völlig dunkel, denn aus dem Wohnzimmer dringt Licht. Keiner von uns hat daran gedacht, es auszumachen, als wir wie die Wilden übereinander hergefallen sind.

Wo das Bad ist, weiß ich zum Glück vom Vorabend, und erleichtere mich erst einmal. Während ich mir dann am Waschbecken die Hände wasche, fällt mein Blick auf mein Spiegelbild und ich muss grinsen. Obwohl ich es ja eigentlich nicht bin, sehe ich so richtig glücklich durchgefickt aus. Genauso fühle ich mich auch.

Ja, okay, ich weiß. Es war nur ein Handjob, aber … Es fühlt sich nach so viel mehr an mit Marco, und es war heißer und schöner als so vieles andere, was ich bisher erlebt hatte. Klar hatte ich schon tollen Sex, aber mit Marco ist es … Keine Ahnung. Irgendwie war das wirklich etwas Besonderes. Zumindest für mich.

Ob Marco das genauso sieht? Ich habe keinen blassen Schimmer. Aber wenn ich an seine Reaktion auf den Zusammenstoß mit Erik denke … Scheiße. Das Hochgefühl ist schlagartig verflogen, als ich mich selbst im Spiegel betrachte. Mit diesem Erik kann ich nicht mithalten. Ich sehe mit Sicherheit nicht schlecht aus, aber der … Im Gegensatz zu dem Kerl bin ich ein spindeldürrer Spargeltarzan.

Am Abend vorher habe ich Marco doch noch kurz auf ihn angesprochen, während wir auf seinem Sofa über Gott und die Welt geredet haben. Das war dieser Erik offenbar mal für Marco. Seine Welt, und ein Gott. Ist das zu fassen? Die beiden waren drei Jahre zusammen!

Marco hat zwar ziemlich schnell das Thema gewechselt, wofür ich in diesem Moment auch dankbar war, aber seine Worte habe ich immer noch im Ohr. Es sind nicht nur seine knackigen Muskeln, Erik ist auch sehr gebildet und klug. In ein hirnloses Muskelpaket hätte ich mich bestimmt nicht so verliebt.

Na toll. Offenbar hat er immer noch ziemlich viel für diesen Erik übrig. Und nun? Was war das gestern Abend für Marco? Ein kurzes Intermezzo, das keine Bedeutung hat? Druckabbau? Keine Ahnung, und in diesem Augenblick will ich es auch nicht wissen. Ich muss erst einmal dringend Abstand zwischen Marco und mich bringen. In seiner Nähe bin ich im Moment zu keinem klaren Gedanken fähig. Da setzt mein Hirn aus und mein Schwanz übernimmt die Führung.

Denn der will definitiv nur eines: Marco, ohne Rücksicht auf Verluste. Dummerweise wird mir das wahrscheinlich endgültig das Herz brechen. Noch mehr Nähe und Intimität zuzulassen, das wäre ziemlich unklug. Nein, es wäre saublöd. Marco liebt Erik, und ich … Shit! Mich selbst kann ich nicht belügen. Ich liebe Marco.

Keine Ahnung, wie das so schnell passiert ist, und ausgerechnet mir, wo ich doch in dieser Hinsicht mehr als vorsichtig bin seit der Sache mit meinem Ex. Ich halte mich ja nicht umsonst von festen Beziehungen fern. Und ausgerechnet bei Marco, mit dem ich nun mal nichts Festes haben kann, breche ich diese Regel. Mit ihm will ich mehr. Aber was ich will, spielt keine große Rolle, solange er einen anderen will.

Jetzt erreicht meine Laune den Tiefpunkt, und das kann ich mir im Spiegel selbst ansehen. Das Strahlen ist plötzlich aus meinen Augen verschwunden. Ich könnte im Moment echt heulen, so weh tut es. Weg hier, nach Hause, wo ich in Ruhe nachdenken kann. So sehr es mich auch zu Marco ins Bett zurückzieht, ich muss gehen.

Als ich mich im Schlafzimmer leise anziehe, gerät mein Entschluss ins Wanken. Er sieht so hübsch aus, und ich würde am liebsten zu ihm ins Bett kriechen, ihn wach küssen und Liebe mit ihm machen. Aber genau das wäre es eben nicht, sondern nur Sex. Zumindest für ihn, und wenn er mich anschließend bitten würde zu gehen, dann würde mir das mein Herz in tausend Stücke reißen.

Deshalb ziehe ich mich leise an, so schwer es mir auch fällt. An der Tür bleibe ich nochmal stehen und schaue ihn an. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Wahrscheinlich werde ich nie wieder die Gelegenheit haben, ihn so zu sehen: Schlafend, nackt in einem Bett. Trotzdem gehe ich und ziehe leise die Wohnungstür hinter mir zu.

Als ich wenig später zuhause bin, bereue ich es schon, einfach abgehauen zu sein. Aber ich brauche wirklich Zeit, um nachzudenken. Tja, die habe ich reichlich. Den Rest der Nacht liege ich grübelnd in meinem Bett und sehne mich nach Marco. Egal, wie oft ich mir auch sage, dass es richtig war, ein wenig Abstand zu bekommen, ich wünschte wirklich, ich wäre dageblieben. Bei ihm. Marco hingegen wird bestimmt froh darüber sein, dass ich nicht mehr in seinem Bett liege, wenn er aufwacht. Ich bin nun mal nicht Erik.

Marco

Es ist kurz nach sieben, als ich aufwache. Allein. Das Bett ist leer, und so sehr ich auch lausche, ob ich aus dem Bad vielleicht etwas höre – kein Ton. Udo ist offenbar weg. Habe ich etwas anderes erwartet? Ja, ich habe wirklich gehofft, dass er heute Morgen noch da ist. Shit! Mir war doch klar, dass er nichts Festes will! Ich Idiot wusste doch, dass es für ihn nur um Sex geht. Trotzdem habe ich gehofft, dass er bleibt.

Echt, ich bin so blöd! Deutlicher könnte die Botschaft doch gar nicht sein, da brauche ich nicht extra einen Zettel auf dem etwas steht wie »War schön, mach es gut«. Für ihn war es nur Sex, das wird mir jetzt gerade richtig deutlich klar. Ich würde am liebsten heulen, denn es macht mich traurig und tut weh, aber ich bin auch wütend. Auf ihn und noch viel mehr auf mich selbst.

Weil ich es wusste und doch irgendwie nicht wahrhaben wollte. Weil ich mir die ganze Sache schön geredet habe. Weil ich es einfach nicht sehen wollte. Weil ich mich trotz allem in ihn verliebt habe. Weil, weil, weil … Hier zu liegen, und mir selbst all die Gründe aufzuzählen, weshalb ich wütend auf mich selbst bin, bringt nichts. Komm in die Gänge, Marco!

Denn einer dieser Punkte ist nicht nur ein Anlass, wütend zu sein. Der ist vor allem ein Grund, etwas zu unternehmen. Wenn ich dabei dann richtig auf die Schnauze falle, ist es halt so. Das wird vielleicht noch mehr weh tun, aber das nehme ich in Kauf. Denn wenn es gut ausgeht, haben wir eine echte Chance auf eine gemeinsame Zukunft. Da werde ich doch den Teufel tun und einfach die Füße stillhalten und vor mich hin leiden! Nicht mit mir!

Ich bin in Udo verliebt, bis über beide Ohren. Daran kann und will ich nichts ändern, aber vielleicht – nur vielleicht – kann ich an Udos Einstellung was ändern. Er will nur Sex? Nun, ich will mehr und so leicht gebe ich nicht auf. Das werden wir ja noch sehen, ob zwischen uns wirklich nicht mehr sein kann!

Doch dazu muss ich herausfinden, warum er keine feste Beziehung will. Denn so viel weiß ich inzwischen über ihn: Er ist definitiv keiner dieser oberflächlichen Typen, denen die Gefühle anderer egal sind. Wenn ich daran noch Zweifel hatte, sind die spätestens seit gestern Abend verschwunden. Dass er mich vor Erik in Schutz genommen hat, und alles, was er danach gesagt und getan hat, ist dafür Beweis genug. Mal ganz abgesehen von den liebevollen Zärtlichkeiten nach dem Sex.

So reagiert doch niemand, der nur auf einen schnellen Fick aus ist! Rede ich mir da jetzt wieder was schön? Kann sein, aber scheiß drauf! Ich will Antworten, ich will wissen, warum er keine feste Beziehung will, was dahinter steckt. Daran können wir zusammen arbeiten. Wenn es trotzdem schief geht? Dann haben wir es wenigstens versucht.

Zieh dich besser warm an, Udo Hagen, denn so einfach mache ich dir diese Sache zwischen uns nicht. So leicht kommst du mir nicht davon, das Spielchen spiele ich nicht mit. Nein, nicht mit mir! Ich werde mir meine Antworten holen.

Erst einmal ins Bad. Klo, Zähneputzen, Duschen. Es tut mir leid, die eingetrockneten Spuren unserer Lust abzuwaschen. Aber wenn es nach mir geht, werde ich Udos Sperma noch ganz oft auf meinem Körper haben. Haare föhnen, anziehen und dann einen Kaffee. Während ich den Wachmacher trinke, rufe ich bei Sven an.

Florians Stimme ist ziemlich verschlafen, als er das Gespräch annimmt. Kein Wunder, es ist erst acht Uhr an einem Samstagmorgen. Da schlafen die meisten Leute gerne etwas länger.

»Marco?« Die tiefe Stimme ist ungehalten. »Schon mal auf die Uhr geschaut?«

»Morgen, Florian. Tut mir leid, aber es ist wirklich wichtig. Gib mir mal bitte Sven.«

Ich höre nur ein unverständliches Brummeln und ein Rascheln, dann »Schatz, für dich. Marco will dich sprechen.« Gleich darauf dringt Svens Stimme nicht minder verschlafen an mein Ohr.

»Morgen Marco. Ich hoffe, du hast einen Grund, um diese Uhrzeit anzurufen.«

»Morgen. Sorry, aber ja, den habe ich. Was ist mit Udo los?«

Kurzes Schweigen, dann deutlich wacher »Wieso? Ist was passiert?«

»Ja, allerdings.« Ich fange an zu reden, erzähle alles, was am vergangenen Abend passiert ist und lasse nur die intimen Details aus. Aber die kann Sven sich bestimmt denken, denn ich mache keinen Hehl daraus, dass Udo und ich im Bett gelandet sind.

»Ich bin bis über beide Ohren in ihn verliebt und muss wissen, warum er so gegen eine feste Beziehung ist«, schließe ich den ziemlich langen Monolog ab.

»Wow«, kommt es von Sven. »Das solltest du besser Udo fragen.«

»Ja, sollte ich, aber ob er mir die Antworten gibt, die ich brauche?«

»Marco, im Ernst, darüber solltest du mit ihm reden, nicht mit mir.«

»Wie gesagt, das weiß ich. Aber gib mir doch bitte wenigstens einen Tipp. Er ist so ein netter und warmherziger Kerl, ich möchte eine Chance für uns. Bitte, Sven.« Es macht mir nichts aus, zu betteln.

Ich höre Svens Seufzen am anderen Ende und einen Moment lang ist es völlig still. Doch dann beginnt er zu reden. Erzählt von Udos Ex und wie der ihn behandelt hat. Von der völlig überzogenen Eifersucht, davon, wie der Typ Udo am liebsten eingesperrt hätte. Von Situationen, in denen Udo nicht mehr ein noch aus wusste. Einiges davon erinnert mich in gewisser Weise an mein Verhalten auf Svens Silvesterparty. Shit! Kein Wunder, dass Udo so reagiert hat!

Zähneknirschend höre ich zu, und als Sven schließlich schweigt, hole ich tief Luft. »Dieses verfluchte Arschloch!«, bricht es aus mir heraus. »Das war keine Liebe, sondern nur Besitzdenken!«

»Ja, das stimmt. Aber es hat bei Udo so einige Wunden hinterlassen. Egal, was du nun machst, Marco: Tu ihm nicht weh. Wenn es dir nicht ernst ist, lass bitte die Finger von ihm.«

»Aber es ist mir ernst.«

»Du bist wirklich in ihn verliebt, oder?«

»Ja, bin ich.«

»Dann viel Glück. Ich drücke euch die Daumen.«

Minuten später habe ich aus dem Telefonbuch Udos Adresse. Da mein Auto noch an der Firma steht, schnappe ich mir mein Rad und mache mich auf den Weg zu ihm. Was Sven mir da erzählt hat, ist alles andere als schön. Das wird nicht einfach, und ich habe das dumme Gefühl, dass das leider auch nicht der einzige Grund ist, warum Udo abgehauen ist. Aber das werde ich hoffentlich bald herausfinden.

Udo

Es geht mir ziemlich beschissen, und das liegt nicht daran, dass ich nicht mehr einschlafen konnte. Ich hatte völlig vergessen, wie sich Liebeskummer anfühlt. Alles in mir sehnt sich nach Marco. Meine eigenen Vorbehalte gegen eine Beziehung sind vergessen. Ich weiß, dass Marco nicht so ist wie mein Ex. Ja, ich habe Andreas geliebt, aber diese Liebe hat er systematisch zerstört. Am Ende war nichts mehr davon übrig. Sogar von mir selbst war nicht mehr viel übrig.

Mehr als Sex wollte ich seitdem nicht mehr. Bis Marco aufgetaucht ist. Mit ihm will ich mehr, so viel mehr. Zigmal hatte ich an diesem Morgen schon das Telefon in der Hand, um ihn anzurufen. Aber ich habe es gelassen. Er will nicht mich, sondern Erik. Keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll. Zurück zu der kollegialen Freundschaft, die wir aufgebaut haben? Ich glaube nicht, dass ich das kann.

Als es gegen neun Uhr an der Tür klopft, reißt mich das Geräusch aus meinen trüben Gedanken. Viele Besucher kommen nicht in Frage, schon gar nicht so früh an einem Samstagmorgen. Wahrscheinlich ist es meine quirlige Nachbarin und Freundin Marie. Ich mag sie wirklich, und sie hat immer gute Laune, aber im Moment habe ich echt keinen Bock auf so viel Fröhlichkeit. Also reagiere ich erst einmal nicht. Manchmal geht sie dann einfach wieder. Doch offenbar nicht heute, denn es klopft wieder, diesmal energischer.

Genervt stehe ich auf und tapse zur Tür. Mir ist völlig egal, dass ich wahrscheinlich genauso abgerissen aussehe, wie ich mich fühle. Meine Jogginghose ist schlabberig weit, und das alte graue Shirt hat ein paar kleine Löcher. Egal, denke ich mir, während ich die Tür aufmache. Meine mürrische Begrüßung bleibt mir im Hals stecken, als ich unerwartet Marco gegenüber stehe.

»Darf ich reinkommen?« Er hält mir eine Papiertüte hin, aus der es nach frischen Brötchen duftet. Marco duftet genauso verlockend, und mir wird klar, dass ich noch nicht einmal geduscht habe. Unser eingetrocknetes Sperma klebt immer noch an mir. Aber der Gedanke wird durch einen anderen verdrängt: Was will er hier?

Sein Lächeln wirkt irgendwie unsicher, als er langsam die Tüte sinken lässt. »Ich dachte, ich bringe etwas zum Frühstücken mit.«

Hastig greife ich nach der Tüte, und unsere Finger streifen sich dabei. Ohne darüber nachzudenken, nehme ich die Tüte in die andere Hand und greife mit der rechten nach Marcos Fingern, ziehe ihn langsam zu mir. Noch näher, bis er ganz dicht vor mir steht. Unsere Blicke lassen sich nicht los. Was ich in seinen Augen sehe, lässt mein Herz schneller schlagen. Ein warmes Gefühl durchströmt mich, aber vielleicht irre ich mich. Vielleicht ist das einfach nur Freundschaft in seinem Blick.

Ich muss es einfach wissen. »Liebst du Erik noch?«

Erstaunt zieht Marco die Augenbrauen hoch. »Wie kommst du denn auf den Gedanken? Ich habe dir doch gestern Abend schon gesagt, dass da nichts mehr ist.«

»Nein, du hast nur abgestritten, dass du noch an ihm hängst. Aber du warst in der Kneipe seinetwegen total durch den Wind, du hast wegen ihm sogar geweint. Wieso, wenn du nicht mehr -«

Weiter komme ich nicht, denn sein Mund verschließt ziemlich wirkungsvoll den meinen. Marcos Arme legen sich fest um mich und ich erwidere einfach diesen sanften Kuss. Jetzt bin ich genau da, wo ich sein möchte: In seinen Armen.

Viel zu schnell beendet er den Kuss und lässt mich los. Bevor ich protestieren kann, dreht er sich zur Tür. Will er jetzt im Ernst einfach gehen? Das kann er doch nicht machen! Aber zu meiner Erleichterung schließt er einfach nur leise die Tür, dreht sich wieder zu mir und schaut mich ernst an.

»Ich war deinetwegen völlig durch den Wind, nicht wegen Erik.«

»Aber …«

»Deinetwegen habe ich geheult, Udo, nicht wegen ihm. Ich bin total verliebt in dich. Ich will mehr als nur Sex, und ich möchte eine Chance. Sven hat mir erzählt, was dein Ex mit dir abgezogen hat, aber ich bin nicht wie er. Ja, ich weiß, das hat an Silvester so gewirkt, aber so bin ich nicht. Ich erwarte nicht, dass du mir das jetzt glaubst, aber ich hoffe, du gibst mir die Chance, es dir mit der Zeit zu beweisen.«

»Marco …« Das ist alles, was ich herausbringe, während die Brötchentüte unbeachtet auf dem Boden landet. Es ist auch für lange Zeit das einzige, was ich sage, denn mein Mund ist damit beschäftigt, Marco zu küssen, während wir uns eng aneinander schmiegen. Ich halte ihn fest in den Armen, und als wir irgendwann den Kuss beenden und uns anschauen, kann ich seine Gefühle für mich ganz offen in seinem Gesicht lesen.

»Marco, ich liebe dich.«

Es fühlt sich gut an, es zu sagen. Es fühlt sich auch gut an, dass diese wenigen Worte ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht zaubern. Noch besser fühlt es sich an, als wir endlich in meinem Bett sind und ich ihm zeigen kann, was ich für ihn empfinde. Irgendwann später werden wir reden. Dann werde ich ihm sagen, dass ich keine Angst mehr vor einer Beziehung habe, solange er der Mann ist, mit dem ich zusammen bin. Irgendwann später, denn jetzt … sorry, das geht nur uns etwas an.

 

Ende ...

 

... zumindest vorläufig, denn auch zu Marco und Udo wird es eine Fortsetzung geben.

Impressum

Texte: Christina McKay
Bildmaterialien: Pixabay.com, Covergestaltung: Christina McKay
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2015

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