Gedankt sei den amerikanischen Hotels! Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht, ein zweites Zimmer zu buchen. Zum Glück ist das Schlafzimmer der kleinen Suite mit zwei getrennt stehenden, sehr breiten Betten ausgestattet, wie es in den USA oft üblich ist.
»Ich kann auch auf der Couch schlafen«, sagt Markus hinter mir leise. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich schweigend im Zimmer stehe und die beiden Betten anstarre.
Hastig drehe ich mich zu meinem Freund um, lächle ihn an und schüttle den Kopf. »Ach, Quatsch! Du musst dich doch nicht mit der Couch begnügen, wenn hier ein zweites Bett steht. Mir ist nur gerade bewusst geworden, dass ich überhaupt nicht darüber nachgedacht habe. Das ist alles.«
Markus wirft mir einen forschenden Blick zu, schnappt sich den großen Rucksack, den er als Handgepäck dabei hat, und stellt ihn auf dem Bett ab, das der Tür am nächsten ist. »Kam ja auch ziemlich überraschend«, murmelt er und öffnet den Rucksack.
»Hm«, brumme ich nur und werfe meine Reisetasche auf das andere Bett. Überraschend kam das Ganze allerdings. Eigentlich wollte ich mit Holger in den Urlaub fahren, es sollte unsere Hochzeitsreise sein. Wieder steigt Wut in mir hoch, als ich an die Szene denke, die jetzt sechs Tage zurückliegt.
Wir hatten alles geplant. Die Trauung sollte gestern stattfinden, heute der Flug nach Philadelphia, wo die Übernachtung im Hotel ansteht. Morgen dann weiter nach St. Thomas. Nicht geplant war, dass ich Holger wenige Tage vor der Hochzeit mit einem anderen Kerl in unserem Bett erwische. An dem Tag habe ich überraschend früher Feierabend gemacht. Das mache ich sonst nie und ich hätte es auch am Montag besser bleiben lassen. Nein, so kann ich das nicht sehen. Es war gut so. Das hat mir noch rechtzeitig die Augen geöffnet.
Holgers vorwurfsvollen Blick kann ich aber nicht vergessen. Ja, vorwurfsvoll, auch wenn er derjenige war, der fremdgegangen ist. Seine Worte standen dem in nichts nach. Du hast mich doch nie geliebt. Wundert es dich da, wenn ich mir das, was du mir nicht gibst, woanders hole?
Als ich ihn gefragt habe, warum er dann überhaupt mit mir zusammen war, hat mich seine Antwort schon getroffen. Immerhin sei ich eine gute Partie, hat er höhnisch gemeint. Das war dann der Zeitpunkt, an dem ich ihn rausgeworfen habe. Seine Sachen hat unsere – meine – Haushälterin am nächsten Tag gepackt. Er hat sie mittags abgeholt, als ich in der Firma war. Beim Nachhausekommen abends fand ich seinen Schlüssel und den Ring auf dem Küchentresen. Keine Nachricht, nichts. Das hatte ich auch nicht wirklich erwartet.
Leider hat Holger recht. Geliebt habe ich ihn wirklich nicht. Warum ich ihn nach knapp einem Jahr Beziehung heiraten wollte? Ich dachte, das, was wir haben, reicht, um ein gemeinsames Leben zu führen. Da hab' ich mich wohl geirrt. Aber auch wenn ich ihn nie geliebt habe, ich mochte ihn und sein Verhalten hat mich verletzt, sehr enttäuscht und wütend gemacht. Mein Selbstbewusstsein und mein Stolz sind auch ziemlich angekratzt. Es war kein Zuckerschlecken, all die neugierigen Blicke zu sehen, nachdem meine Assistentin die Hochzeit in meinem Auftrag abgesagt hat.
Das war auch der Grund dafür, warum ich beschlossen habe, die Reise trotzdem zu machen, auch ohne Holger. Da ich nicht allein reisen wollte, habe ich Markus gefragt, ob er mitkommen möchte. Es spricht für meinen Freund, dass er nicht gezögert hat. Ich kenne ihn seit einer halben Ewigkeit, gut 31 Jahre dauert unsere Freundschaft nun schon. Damals waren wir sechs Jahre alt und wurden zusammen eingeschult. Er ist der beste Freund, den ich habe, und er ist ganz sicher nicht mitgekommen, weil er den kostenlosen Urlaub mitnehmen wollte, das weiß ich. Er hat es für mich getan.
Markus ist der Einzige, bei dem ich keine Zweifel habe, dass er nicht wegen der Kohle mein Freund ist. Er war schon mein bester Freund, als ich noch ein armer Schlucker war. Allen anderen gegenüber war ich schon immer etwas misstrauisch, und in den letzten Tagen erst recht. Zu viele schadenfrohe Blicke haben mich gestreift, es hat zu viel Getuschel gegeben, und ich bin schließlich nicht blöd. Was Holger anbelangt, war ich zwar lange Zeit blind, aber das wird mir so schnell nicht noch mal passieren.
Weg mit den Gedanken an Holger und meine angeblichen Freunde. Ich sollte mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Also erst einmal essen gehen, dann schlafen, denn so bequem die erste Klasse auch ist, es war ein langer Tag und der morgige wird es auch.
Obwohl ich todmüde bin, kann ich nicht schlafen. Mir geht zu viel im Kopf herum, und alles hat mit Daniel zu tun. Ich hab immer gewusst, dass er und Holger nicht zueinanderpassen, allerdings hätte ich nie damit gerechnet, dass Holger fremdgehen würde. Dieses kleine Aas! Der Gedanke, dass Daniel unglücklich ist, tut weh und ich würde Holger am liebsten eine verpassen, obwohl ich wirklich nicht gewalttätig veranlagt bin.
Aber was Daniel anbelangt, laufe ich schon seit langer Zeit neben der Spur. Es ist inzwischen sieben Jahre her, seit ich erkannt habe, warum keine meiner Beziehungen lange gehalten hat. Daniel. Er ist der Grund dafür, denn mit ihm kann sich in meinen Augen niemand messen. Ich liebe diesen Mann. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten ist mir seine Kohle völlig egal, obwohl ich es ziemlich sexy finde, dass er so erfolgreich ist.
Er hat diese ganz gewisse Ausstrahlung, die nichts mit Geld zu tun hat. Die hatte er schon als Teenager, und damals lebte er in eher ärmlichen Verhältnissen. Wenn Daniel einen Raum betritt, drehen sich alle nach ihm um. Das liegt nicht an seinem Äußeren, denn das ist eher durchschnittlich. Klar, er achtet sehr auf seinen Körper, der ist wirklich geil. Aber ansonsten ist Daniel ein Durchschnittstyp, wenn man objektiv ist. Bin ich aber nicht, ich liebe ihn nun mal, obwohl das völlig aussichtslos ist.
Sicher hat Daniel mich lieb, aber nicht als Mann. Ich bin sein bester Freund, ich bin wie ein Bruder für ihn. Das hält mein dummes Herz aber nicht davon ab, sich fest an ihn zu klammern. Ich wünschte wirklich, diese Gefühle würden einfach verschwinden, aber das tun sie nicht. Der Gedanke, auch in vielen Jahren noch in ihn verliebt zu sein, ist irgendwie erschreckend. Denn wie soll ich unter diesen Umständen mit einem anderen Mann eine Beziehung aufbauen? Das ist etwas, was mir wirklich fehlt.
Ich hab keine Probleme, in den Clubs Typen aufzureißen, jedenfalls noch nicht. Was Sex anbelangt, bin ich normalerweise ziemlich ausgelastet. Aber Sex ist nun mal nicht alles, und mein dummes Herz schreit nach Daniel. Das wird er allerdings nie erfahren, wenn es nach mir geht. Ich hab schon mal den Versuch gestartet, mich von ihm abzunabeln. Es hat nicht funktioniert. Ich kann nicht ohne diesen Mann, auch wenn er nie mehr als mein Kumpel sein wird.
Nicht auszudenken, wenn er jemals entdecken sollte, dass ich eben nicht nur den besten Freund in ihm sehe. Die Vorstellung, dass er mich deshalb aus seinem Leben wirft, ist das beste Mittel, um meine Erektion erschlaffen zu lassen. Dieser Gedanke tut so weh, dass mir alles vergeht. Gut so. Daniel liegt zwar nicht im gleichen Bett wie ich, aber die Gewissheit, dass er nur zwei Meter entfernt ist, hat meine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt.
Wahrscheinlich war es ein Fehler, diese Reise mit ihm zu machen. Solche Situationen wie jetzt – er und ich ganz allein – vermeide ich nach Möglichkeit. Das klappt zwar nicht immer, doch dann sind es höchstens mal ein paar Stunden, in denen ich mich bisher immer beherrschen konnte. Aber drei Wochen? Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Das wird eine verflucht harte Zeit für mich, so viel steht mal fest. Drei Wochen, in denen wir fast ständig allein sein werden. Wie zum Teufel soll ich das nur aushalten?
Ich hätte ablehnen sollen, ich hatte auch schon dazu angesetzt, als ich den Fehler gemacht habe, in Daniels schöne graue Augen zu schauen. Er hat mich so bittend und hoffnungsvoll angeschaut, dass ich einfach nicht nein sagen konnte. Diesem Mann kann ich nichts abschlagen. Das hat mich in eine prekäre Situation gebracht und nun muss ich sehen, wie ich klarkomme.
In der Dunkelheit des Hotelzimmers lausche ich auf jedes Geräusch von ihm. Er wälzt sich eine Weile unruhig im Bett hin und her. Am liebsten würde ich zu ihm gehen, ihn in den Arm nehmen und festhalten, bis er eingeschlafen ist. Wobei es mir lieber wäre, wenn er dann nicht einschläft, sondern mit mir … Nein, nicht dran denken! Aber das ist wie mit den rosa Elefanten. Jetzt stelle ich mir erst recht vor, wie er seine Arme um mich schlingt, mich küsst und streichelt. Nein, nein, nein! Kopfkino aus, bitte!
Es dauert sehr lange, bis ich das schaffe. Irgendwann wird mir bewusst, dass Daniel wohl eingeschlafen ist. Ich lausche auf seine ruhigen, tiefen Atemzüge. Als ihm ein leiser Schnarchlaut entkommt, muss ich unwillkürlich lächeln. Im nächsten Moment atmet Daniel wieder ganz ruhig.
Ich höre ihm zu, synchronisiere ganz bewusst meinen Atem mit seinem. Langsam dämmere ich weg und begrüße den Schlaf. Bestimmt werde ich wieder mal von Daniel träumen, aber daran kann ich nichts ändern. Will es auch nicht. Denn in meinen Träumen nimmt Daniel mich in die Arme, küsst mich, und noch viel mehr. In meinen Träumen habe ich das, was ich mir so sehr wünsche: ihn.
St. Thomas empfängt uns mit strahlend blauem Himmel und fast 30 Grad im Schatten. Es ist November, aber hier sind selbst um diese Jahreszeit solche Temperaturen normal. Karibik eben. Als wir vor einigen Stunden in Philadelphia gestartet sind, waren es dort gerade mal 5 Grad über Null. Es ist also eine ziemliche Umgewöhnung, vor allem für Markus. Ich wusste, was da auf uns zukommt, ich war schon ziemlich oft hier. Wie gerne hätte ich Holger alles gezeigt.
Nein, jetzt bloß nicht an diesen Arsch denken. Da zeige ich doch lieber meinem besten Freund all die schönen Flecken hier. Ich muss lächeln, als ich sehe, wie sich Markus staunend umsieht, während wir im Taxi zum Hafen von Charlotte Amalie fahren. Überall Palmen und bunt blühende Sträucher. Einer der urigen Inselbusse kommt uns entgegen und Markus schaut fasziniert hinterher.
Mehr oder weniger sind bei diesen Bussen einfach Sitzreihen auf die Ladeflächen von Kleinlastern geschraubt worden, darüber spannen sich gewölbte Dächer aus buntem Stoff oder manchmal auch aus Plastik, die die Passagiere vor Sonne und Regen schützen. An den Seiten sind die Busse offen, man kann also prima durch die Gegend schauen und es weht einem immer Frischluft um die Nase. Oft verzieren bunte Wimpel diese urigen Gefährte.
»Fahren wir mal mit so einem?«, fragt Markus begeistert, als er sich wieder zu mir umdreht.
»Wenn du willst.« Markus strahlt mich an und nickt. Ich kann gar nicht anders und lächle genauso zurück.
Ja, es war die richtige Entscheidung, ihn einzuladen. Groß darüber nachgedacht habe ich nicht, und das war ganz gut so, sonst hätte ich ihn vielleicht nicht gefragt. Aber ich bin wirklich froh, dass er hier ist. Markus tut mir gut, ich mag sein offenes Wesen sehr. Außerdem kann ich mich gut mit ihm unterhalten. Zum einen hat er wirklich viel Grips, zum anderen muss ich bei ihm nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.
Als wir beim Hafen ankommen, wartet Brady schon auf uns. Er ist mein Skipper und sehr zuverlässig. Das Boot habe ich vor knapp fünf Jahren gekauft und wenn ich nicht hier bin, fährt meine Crew Charter damit. Markus hat bisher keine Ahnung, dass die »Have a nice day« mir gehört, aber lange kann ich das nun nicht mehr vor ihm verbergen. Ich wollte mit Holger alleine sein, deshalb hat die Crew Urlaub. Brady ist auch nur zur Übergabe hier und wird nicht lange bleiben.
Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis und begrüßen uns mit einer kurzen Umarmung und Schulterklopfen. Dann streckt Brady die Hand aus und Markus ergreift sie, während ich die Männer einander kurz vorstelle. Schnell ist unser Gepäck auf den leeren Rollwagen geladen, den Brady vom Boot mitgebracht hat. Während wir den Steg hinuntergehen bis ans Ende, fragt mein Skipper, wie unsere Reise verlaufen ist. Ich antworte unkonzentriert, denn ich bin zu sehr auf Markus fixiert, auf seine Reaktion. Tja, was soll ich sagen? Staunend steht er vor dem Katamaran. Er dreht mir den Kopf zu, zieht verblüfft die Augenbrauen hoch und starrt dann wieder das Boot an.
Zum Glück fordert Brady ihn auf, an Bord zu gehen, und erst einmal drinnen, lasse ich Markus keine Gelegenheit, sich zu allem zu äußern. Das soll er bitte erst machen, wenn Brady weg ist, daher schiebe ich ihn durch den großen Wohnraum zur seitlichen Treppe und gleich darauf stehen wir in der Kabine, die für ihn vorbereitet ist. Den Koffer stelle ich neben das Bett, auf das Markus gerade seinen Rucksack legt.
»Lass uns nachher reden, okay? Ich kläre schnell alles mit Brady, dann haben wir Zeit. Es dauert höchstens 15 Minuten, du kannst ja schon mal mit dem Auspacken anfangen.«
Irgendwie habe ich Markus damit ziemlich überfahren, aber mein Freund nickt. »Ja, okay.«
Was soll er in diesem Moment auch anderes sagen? Ich habe ein ziemlich schlechtes Gewissen, aber so gut ich Brady auch leiden kann, er ist mein Angestellter, und ich habe keine Lust, vor ihm mit Markus über bestimmte Dinge zu reden. Um meinem Freund zu zeigen, dass ich es nicht böse gemeint habe, lächle ich ihn herzlich an und drücke kurz seine Hand, bevor ich gehe.
Brady wartet oben auf der Flybridge auf mich. Ich liebe diesen Ort, von dem aus man das gesamte Boot überblicken kann. Außerdem ist man hier oben relativ ungestört. Die Flybridge ist zwar rundum offen, aber wenn man leise redet, bekommt niemand etwas mit. Brady sitzt auf der rund um den Tisch laufenden Bank und schiebt mir ein Glas Eistee zu. Sofort ist mein schlechtes Gewissen noch größer, ich hätte Markus zuerst einmal was zu Trinken anbieten sollen!
»Die Tanks sind alle voll, sowohl Diesel als auch Wasser. Schalte den Wassermacher trotzdem ein, sobald ihr draußen seid, wir liegen immerhin schon einige Tage im Hafen. Proviant ist aufgefüllt, wir haben alles von deiner Liste besorgt. Die Wettervorhersagen sind für die nächsten Tage ganz gut, nachmittags die üblichen Regengüsse, du kennst das ja. Für morgen Abend ist ein kleines Sturmtief angesagt, aber mit einem richtigen Sturm ist nicht zu rechnen«, rattert Brady herunter. Viel mehr gibt es nicht zu sagen, zumindest nicht dazu.
»In echt ist Markus noch attraktiver als auf den Fotos«, setzt Brady nach kurzem Zögern hinzu. Das lässt mich die Stirn runzeln. Nicht, weil Brady sich herausnimmt, etwas so Privates zu sagen, sondern weil mir sein Blick nicht gefällt. Schon seit Langem weiß ich, dass Brady schwul ist. Wir hatten eine kurze Affäre, noch bevor er mein Skipper wurde. Seitdem ist nie wieder etwas gelaufen zwischen uns, aber Brady ist kein Kostverächter und Markus fällt genau in sein Beuteschema. »Finger weg von Markus«, sage ich betont leise.
Brady grinst mich breit an. »Das dachte ich mir schon. Ich habe lediglich eine Tatsache festgestellt. Keine Sorge, ich komme dir bestimmt nicht in die Quere. Und jetzt haue ich ab, wenn es für dich okay ist.«
Ich nicke nur und schaue ihm nachdenklich hinterher. Mir in die Quere kommen? Bei Markus? Als ob mit meinem besten Freund je etwas laufen würde. Diese Hoffnung habe ich schon vor langer Zeit aufgegeben.
Meine Gefühle sind im Moment ziemlich widersprüchlich. Zum einen dieses »Boot«. Pfff! Von wegen Boot, für mich ist das ein ausgewachsenes Schiff! Ich bin etwas erschlagen davon. Meine Sachen habe ich innerhalb von Minuten in dem – das muss man sich vorstellen! - begehbaren Kleiderschrank verstaut. Na ja, groß ist er nicht, aber so was auf einem Schiff? Den Luxus habe ich nicht mal zuhause. Das Bad ist nicht riesig, aber es gibt mehr als genug Platz. Ein geräumiger Waschtisch und Wandschränke mit flauschigen Handtüchern und allen möglichen Drogerieartikeln, eine große Duschkabine und eine abgeteilte Toilette.
Und dann diese Kabine! In meinem Kopf hatte ich diese kleinen Kabinen, die man manchmal auf Bildern sieht, mit einer schmalen, klappbaren Koje. Von wegen! Hier steht ein ziemlich breites, hohes Bett mit genug Platz, um bequem drum herumzulaufen, und weiter vorne, im Eingangsbereich, gibt es sogar einen Schreibtisch mit einem bequemen Sessel. Das alles hier ist ziemlich luxuriös.
Ich schaue auf die Uhr. Daniel wollte 15 Minuten, um mit dem Kapitän zu reden. Über was, frage ich mich. Was hat er zu besprechen, was ich nicht mitbekommen soll? Denn warum sonst hat er mir sozusagen Kabinenarrest erteilt? Ich nehme es ihm nicht übel, muss sogar darüber grinsen, wenn ich an sein betretenes Gesicht denke, als er mich quasi aufgefordert hat, in der Kabine zu bleiben. Aber neugierig bin ich schon. Und zwar verdammt neugierig.
Mein Blick fällt auf das breite Bett. Bewohnen wir diese Kabine gemeinsam? Daniel hat nur meinen Koffer mitgebracht, nicht sein eigenes Gepäck. Wahrscheinlich schläft er also nicht hier, und das ist gut so. Die Vorstellung, Daniel jede Nacht dicht neben mir zu haben, ist zwar sehr schön, aber auch sehr beunruhigend. Nein, das geht gar nicht. Da könnte ich nie die Finger bei mir behalten. Aber Daniel hat erzählt, dass wir das Boot für uns haben, und auf diesem Pott gibt es bestimmt noch weitere Schlafmöglichkeiten. Ich hoffe nur, dass er eine Kabine hat, die genauso bequem ist. Oder hat er mir die Luxuskabine überlassen und muss nun selbst mit etwas weniger Komfortablem Vorlieb nehmen? Das möchte ich auf keinen Fall.
Okay, die 15 Minuten sind um. Neugierig mache ich mich auf den Weg nach oben. Jetzt habe ich auch Gelegenheit, mich in dem – äh, Wohnraum? – umzuschauen. Hier herrscht der gleiche Luxus vor wie unten in der Kabine. Der Raum ist riesig, anders kann man es nicht sagen. Es gibt eine geräumige, u-förmige Küchenecke, die offenbar mit allem Pipapo ausgestattet ist und von einem Tresen mit Hockern zum Raum hin abgeteilt ist. Die große Polsterecke ist wohl auch zum Essen gedacht, an dem Tisch haben locker acht Leute Platz. Zwischen den Möbeln durchschlängeln muss man sich trotzdem nicht, da ist mehr als genug Platz.
Ich will gerade nach Daniel rufen, als er durch die breite Glasschiebetür von draußen hereinkommt. Keine Ahnung, wie man dieses »Draußen« im Fachjargon nennt. Terrasse? Denn das würde es gut treffen. Da ist jedenfalls mehr Platz als auf meinem Balkon zuhause.
»Willst du erst einmal was Kaltes trinken?«, fragt er mich und unterbricht damit meine Gedanken. »Einen Eistee vielleicht? Oder doch lieber einen Kaffee? Die Maschine macht auch Cappu, Espresso, Café Latte und noch einiges mehr. Ich kann auch mal schauen, was sonst noch im Kühlschrank ist. Wenn du lieber -«
»Daniel!«, unterbreche ich ihn und sehe mit Erstaunen, dass meinem Freund verlegene Röte in die Wangen steigt. Wieso plappert er so nervös? Das kenne ich gar nicht von ihm. »Ein Eistee oder kaltes Wasser. Und nun verrate mir mal, was das hier ist.«
Er holt tief Luft, wirft mir einen Blick zu, den ich absolut nicht deuten kann und geht an mir vorbei in den Küchenbereich. »Mein Boot«, murmelt er, während er den Kühlschrank öffnet und eine Packung Eistee herausnimmt. Habe ich richtig gehört? Sein Boot? Bis eben bin ich davon ausgegangen, dass er das Ding für den Urlaub gemietet hat! Ich bin total baff, aber vielleicht hab ich mich ja verhört.
»Was meinst du damit?«, hake ich vorsichtig nach.
Er hat inzwischen ein Glas aus dem Schrank genommen. Kein Zweifel, er kennt sich hier sehr gut aus. Daniel seufzt, als er das gefüllte Glas auf den Tresen stellt. »Setzt du dich bitte? Ich muss dir was gestehen.«
Okeee … Ich hab mich wohl doch nicht verhört. Puh! Um Himmels willen, ich wusste, dass Daniel sehr erfolgreich ist und inzwischen eine Menge Kohle verdient. Aber das? Von gut betucht kann da wohl keine Rede mehr sein. Steinreich trifft es dann wohl schon eher. Aber egal, das ist immer noch Daniel, mein bester Freund und der Mann, den ich liebe. Was mich allerdings total ärgert, ist die Tatsache, dass er noch nie etwas von diesem Schiff erzählt hat. Nein, das ärgert mich nicht nur, das tut auch weh. Ich dachte immer, Daniel vertraut mir.
»Zum Beispiel, warum du es bisher nicht für nötig gehalten hast, mir etwas von diesem Schiff zu erzählen?« Daniels Blick bei meinen harschen Worten spricht Bände. »Wann hast du es gekauft?«
»Vor fünf Jahren«, murmelt er. »Markus, es tut mir leid, ich -«
»FÜNF Jahre?!« Ich kann es echt nicht fassen. Das erklärt so einiges. Natürlich wusste ich, dass er die letzten Jahre im Winter immer Urlaub in der Karibik gemacht hat, ich hab' auch schon viele tolle Fotos von hier zu sehen bekommen. Einmal hat er mich sogar eingeladen, das ist sieben Jahre her. Das war kurz nach meinem 30. Geburtstag. Also kurz nachdem ich endlich erkannt habe, dass ich ihn liebe. Damals war ich ziemlich durch den Wind deswegen – ich meine, noch mehr als sonst – und habe mich damit herausgeredet, dass so ein Schickimicki-Urlaub nichts für mich ist. Bis zu dieser Woche hat er mich dann nie wieder gefragt.
Aber in den letzten Jahren ist er Fragen nach seiner Unterkunft immer ausgewichen. Einmal hat er erwähnt, dass er auf einem Boot war, aber das war auch alles. Ich hatte eigentlich immer den Verdacht, dass er hier einen Liebhaber hat, bei dem er die Zeit verbringt. Offenbar lag ich mit dieser Vermutung daneben.
Im Moment fühle ich mich ziemlich verarscht. Ich bin wütend, aber vor allem auch ziemlich verletzt. Fünf verschissene Jahre lang hat er mich angelogen! Das tut verflucht weh! Keine Ahnung, wie er mir das erklären will, das ist mir im Augenblick piepschnurzegal. Ich stürze den Eistee runter, rutsche vom Barhocker und weiche Daniels Hand aus, die er nach mir ausgestreckt hat.
»Markus, bitte …« Wieder lasse ich ihn nicht ausreden. Meine Stimme ist rau von den Tränen, die ich nur mit Mühe zurückhalten kann, aber die Blöße werde ich mir vor ihm bestimmt nicht geben.
»Ich dachte immer, wir sind Freunde. Aber du vertraust nicht mal mir. Was dachtest du, was ich tue? Mich dir an den Hals werfen, damit du mich mit auf dein tolles Boot nimmst? Steck es dir sonst wo hin, und den Urlaub gleich mit!«
Okay, bevor ich noch mehr sage, was ich später bereuen werde, mache ich mich lieber aus dem Staub. Dann muss ich Daniels verletzten Gesichtsausdruck auch nicht mehr sehen.
Ich habe befürchtet, dass Markus sauer sein wird. Aber ich hatte keine Ahnung, wie sehr, oder dass er es als Vertrauensbruch ansehen wird. Scheiße! Wie gelähmt starre ich ihm hinterher, als er auf der Treppe nach unten verschwindet, ohne mir noch einen Blick zu gönnen. Das erwartete Knallen der Kabinentür bleibt aus. Das leise Klacken, als er die Tür schließt, ist kaum zu hören und kommt mir dennoch wie ein Pistolenschuss vor. Die Kugel trifft mich sozusagen mitten ins Herz.
Ich kenne meinen besten Freund gut genug, um zu wissen, was er gerade tut: Seine Sachen packen und dann wird er aus meinem Leben verschwinden. Aber das kann ich nicht zulassen. Endlich kommt Bewegung in mich, und ich folge Markus. Ohne anzuklopfen öffne ich die Tür und bin erleichtert, dass meine Befürchtung nicht zutrifft.
Allerdings hält die Erleichterung nicht lange an. Markus sitzt auf dem Bett, den Kopf gesenkt und schaut mich nicht an. Er gibt keinen Laut von sich, aber der Tropfen, der von seinem Gesicht auf die helle Jeans fällt und dort einen kleinen Fleck hinterlässt, entgeht mir nicht. Da, noch einer. Scheiße, Markus weint und das meinetwegen! Dabei ist das Letzte, was ich wollte, diesem Mann wehzutun.
»Es tut mir so leid«, ist alles, was ich herausbringe und diese Worte sind so verflucht nichtssagend.
Langsam hebt Markus den Kopf, wischt die Tränen ab und schaut mich an. Dieser Blick geht mir durch und durch, mein Herz zieht sich zusammen. »Ja, mir auch«, erwidert er leise.
Das ist keine Versöhnungsgeste, ich kann es in seinen Augen lesen. Er drückt damit einfach nur sein Bedauern über das Ende unserer Freundschaft aus. Mir wird innerlich eiskalt. Hart schlucke ich den Kloß in meinem Hals hinunter, kämpfe aber vergeblich gegen die Tränen an.
»Lass es mich bitte erklären«, bringe ich heraus.
»Das würde im Moment nichts ändern. Vielleicht in einigen Wochen. Keine Ahnung. Im Moment will ich einfach nur weg von dir.« Seine Stimme ist leise, klingt so endgültig. Jedes Wort ist wie ein Stich in mein Herz.
»Bitte geh nicht. Du bist mein bester Freund, lass es nicht so enden.« Wenn ich betteln muss, dann werde ich das tun. Aber es hilft mir nichts, das sehe ich in seinen Augen.
»Es ist schon zu Ende, Daniel«, erwidert er leise, steht vom Bett auf und geht um mich herum auf die Tür des kleinen Ankleidezimmers zu. Ich strecke die Hand aus und berühre seine Schulter, doch er zuckt vor mir zurück. Diese Geste sagt alles. Verzweifelt schaue ich zu, wie Markus den begehbaren Schrank betritt.
Ich stehe immer noch am gleichen Fleck, als er Minuten später mit Rucksack und Koffer wieder herauskommt. Ich sehe ihn nur verschwommen, bin fast blind vor Tränen, die einfach nicht aufhören wollen zu fließen. »Lass es mich erklären, bitte. Ich will dich nicht verlieren.«
»Dann lass mich erst einmal eine Weile in Ruhe. Kapierst du nicht, dass ich im Moment einfach nur von dir weg will? Ich hab' keinen Bock auf deine Erklärungen, zumindest jetzt nicht!« Seine Wut hat die Oberhand gewonnen und ich kann es ihm nicht mal verdenken.
»Wo willst du denn jetzt hin?«, presse ich mühsam hervor.
»In ein Hotel, und dann kümmere ich mich um meinen Rückflug. Tu mir einen Gefallen und ruf mich nicht an. Ich melde mich bei dir, aber ich brauche Zeit.«
»Markus«, versuche ich ihn aufzuhalten und greife nach seiner Hand, doch er entzieht sie mir, wendet sich ab und geht. Da stehe ich nun, versuche zu begreifen, was passiert ist und kann es nicht. Wirft Markus über 30 Jahre Freundschaft wirklich einfach so weg? Bedeutet ihm diese Freundschaft denn gar nichts? Bedeute ich ihm nichts? Nun kocht auch in mir die Wut hoch, aber sie hält nicht lange an. Doch leider lange genug, denn als endlich Bewegung in mich kommt und ich Markus hinterherrenne, sehe ich gerade noch, wie mein Freund in ein Taxi steigt. Er ist wirklich weg. Mein Herz zerspringt in tausend kleine Splitter.
Ich funktioniere, aber mehr auch nicht. Eisern reiße ich mich zusammen, etwas anderes bleibt mir nicht übrig. Wenn ich diese Kontrolle auch nur ein wenig lockere, breche ich auseinander, das weiß ich. Ich schaffe es sogar, mich zu beherrschen, bis ich in meinem Hotelzimmer bin. Es ist nichts Besonderes, aber sauber. Meine Finger zittern, als ich die Nummer der Fluggesellschaft wähle, doch ich lege auf, noch bevor das Freizeichen ertönt.
Meine mühsam aufrechterhaltene Kontrolle geht gerade flöten. Nicht nur meine Hände zittern, mein ganzer Körper tut es. Haltlos strömen Tränen über mein Gesicht, während scheinbar alles über mir zusammenbricht. Zusammengerollt liege ich auf dem Bett und heule mich erst einmal aus. Die ganze Zeit sehe ich Daniels Gesicht vor mir, das nass von Tränen ist.
Scheiße, was mache ich hier eigentlich? Bin ich total bescheuert? Okay, ich habe jedes Recht, wütend auf ihn zu sein, aber ich habe ihm mit meinem Abgang und der Erklärung, unsere Freundschaft sei zu Ende, sehr weh getan. Das ist doch eigentlich das Letzte, was ich will! Ohne nachzudenken habe ich blindlings um mich geschlagen und dabei den Menschen tief verletzt, der mir am Wichtigsten ist. Daniel.
Wie ein Mantra habe ich nur seinen Namen und sein Gesicht im Kopf. Daniel, Daniel, Daniel. Ich bin ein solcher Idiot! Nichts war zu Ende, bis ich unserer Freundschaft vorhin den Todesstoß versetzt habe. Oder gibt es noch eine Chance? Wird er mir verzeihen? Das werde ich ganz sicher nicht herausfinden, wenn ich hier in diesem Hotel hocke und er auf seinem Schiff. Die Angst, dass er den Hafen inzwischen verlassen haben könnte, ist riesig. Keine Ahnung, wie ich ihn in diesem Fall finden soll. Vielleicht muss ich nun drei Wochen warten, bis ich versuchen kann, alles wieder hinzubiegen, und bis dahin könnte es zu spät sein.
Den Koffer lasse ich im Zimmer, im Rucksack ist das Nötigste, was ich brauche, falls Daniel mich auf dem Schiff bleiben lässt. Immer vorausgesetzt, dass er überhaupt noch da ist. Zum Glück stehen in der Nähe des Hotels Taxen. Mir kann es gar nicht schnell genug gehen, aber der Fahrer lässt sich Zeit. Endlich am Hafen angekommen, hetze ich zu dem Steg. Die Angst liegt wie ein eisiger Klumpen in meinem Magen, als ich den Steg hinunterrenne, ohne mich um die verwunderten Blicke zu kümmern, die mich von anderen Booten aus verfolgen.
Ich könnte vor Erleichterung heulen, als ich das Boot entdecke. Er ist noch da, das erste Hindernis ist aus dem Weg geräumt. Meine Schritte werden langsamer und einen Moment zögere ich, das Schiff zu betreten. Wie eine Mauer türmen sich meine Worte auf. Dieses Hindernis wird nicht so leicht aus dem Weg zu räumen sein, das ist mir klar. Aber versuchen muss ich es.
Die breite Glasschiebetür steht einladend offen, und ich trete zögernd ein, in der Erwartung, Daniel im Wohnraum vorzufinden. Aber er ist nicht da. Wie leichtsinnig ist das denn? Kopfschüttelnd schließe ich die Tür und lausche. Ich sollte nach ihm rufen, aber irgendwie … Vielleicht sollte ich mich einfach unten in der Kabine verkriechen, bis Daniel abgelegt hat. Er wird mich wohl kaum draußen auf dem Meer von Bord werfen. Jedenfalls sollte ich den Rucksack loswerden, also gehe ich leise nach unten und öffne die Kabinentür.
Die Welt scheint stehenzubleiben, als ich Daniel auf dem Bett entdecke, eng zusammengerollt. Ganz leise trete ich näher. Er schläft, aber es ist kein ruhiger Schlaf. Sein Gesicht ist fleckig, und trotz der geschlossenen Lider sieht man die Rötung seiner Augen. Daniel muss heftig und lange geweint haben. Meine Schuld und das Herz tut mir weh. Ob er mir verzeihen kann?
Was, wenn nicht? Scheiße, was habe ich da nur angerichtet? Ich habe keine Ahnung, was ich nun tun soll. Ihn wecken? Vielleicht sollte ich ihn schlafen lassen, er hat es offenbar nötig. Ich fühle mich auch völlig fertig. Ich werde einfach warten, bis er wach ist. Falls er mich wegschickt, habe ich dann wenigstens noch etwas Zeit mit ihm gehabt.
Das ist ein schöner Traum, denn Markus liegt neben mir und schläft. Ich will nicht aufwachen, also warum drückt jetzt im Traum meine Blase? So ein Mist! Aber halt mal … Ich kneife mich in den Arm. Okay, es zwickt, also bin ich wach. Und Markus ist wirklich da! Hier, bei mir! Keine Ahnung, warum er seine Meinung geändert hat, das ist im Moment auch völlig egal. Hauptsache er ist da! Ich könnte gerade platzen vor Glück, aber erst muss ich wirklich aufs Klo. Ich beeile mich, denn ich habe Angst, dass er in der Zwischenzeit verschwindet.
Als ich meine Hände wasche und mein Blick in den Spiegel fällt, erschrecke ich. Ach du Schande! Ein Wunder, dass er bei dem Anblick nicht laut schreiend wieder davon gerannt ist! Meine Augen sind geschwollen und rot, die Haut im Gesicht ist fleckig. Blöde Tränen, aber ich bin nicht dagegen angekommen, es tat einfach zu weh. Hastig wasche ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Es hilft nichts, aber das kann ich jetzt auch nicht ändern.
Als ich in die Kabine zurückkomme, schläft Markus immer noch. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen, schnell ablegen und raus aufs Meer fahren. Dann kann er nicht wieder einfach so abhauen. Aber das wäre ihm gegenüber nicht fair, und außerdem soll er freiwillig bleiben! Es ist doch schon mal ein gutes Zeichen, dass er wieder da ist. Zumindest hoffe ich das. Sein Rucksack steht neben dem Schreibtisch, den Koffer kann ich hingegen nicht entdecken. Warum hat er ihn nicht mitgebracht? Mache ich mir zu viel Hoffnung? Mir ist mulmig.
Ich brauche jetzt einen Kaffee, und er kann bestimmt auch einen vertragen. Leise verlasse ich die Kabine und gehe schnell nach oben. Zum Glück ist der Kaffeeautomat schnell aufgeheizt, es dauert keine fünf Minuten, bis ich wieder unten bin. Gerade rechtzeitig, denn Markus scheint langsam aufzuwachen. »Daniel?«, murmelt er, und mein Herz schlägt schneller.
Den Kaffee stelle ich auf dem Nachttisch ab und kann es mir nicht verkneifen, Markus sanft über die Wange zu streichen. Seine Haut fühlt sich erstaunlich weich an.
»Ich bin hier«, sage ich leise, und er macht die Augen auf. Den Ausdruck darin habe ich noch nie gesehen. Es verschlägt mir den Atem, freudige Hoffnung kocht in mir hoch. Kann es sein, dass Markus mehr für mich empfindet als nur Freundschaft?
»Hey«, flüstert er, doch dann wird er richtig wach. Der weiche, liebevolle Ausdruck in seinen braunen Augen verschwindet und macht etwas Anderem Platz. Bedauern? Nein, bitte nicht. Ist er vielleicht nur hergekommen, um mir mitzuteilen, dass unsere Freundschaft für ihn endgültig vorbei ist und ich nicht darauf warten soll, dass er sich meldet? Der Gedanke treibt mir wieder die Tränen in die Augen, ich kann nichts dagegen tun.
»Nein, nicht«, flüstert Markus, streckt die Hand aus und streicht über meine Wange. »Es tut mir leid. Ich bin ein solcher Idiot, Daniel.« Bevor ich darüber nachdenken kann, was er mir damit sagen will, setzt er sich auf und schlingt die Arme um mich, zieht mich ganz nah an sich. »Ich wollte dir nicht weh tun«, flüstert er dicht an meinem Ohr. »Ich möchte weiter dein Freund sein, wenn du das auch willst. Es tut mir leid, was ich gesagt habe, und noch mehr leid tut mir, dass ich einfach abgehauen bin. Verzeih mir bitte.«
Ihm verzeihen? Er ist doch derjenige, der mir verzeihen muss. Ja, er hat mich verletzt mit seinen Worten, aber ich weiß, dass das nur die Reaktion darauf war, dass ich jahrelang nicht ehrlich zu ihm war. Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus, und schließlich nickt er, während seine Hand sanft über meinen Rücken streicht. Wann war mir Markus zuletzt so nahe? Das ist Ewigkeiten her. Ja, klar hat er mich am Montag nach der Sache mit Holger kurz tröstend in den Arm genommen, aber diese Nähe wie jetzt, die hat es seit vielen Jahren nicht mehr gegeben.
»Darf ich bleiben?«, flüstert er an meinem Ohr.
Ich drücke ihn noch ein weniger fester an mich. »Natürlich darfst du bleiben, was denn sonst?« Ich atme tief durch und nehme meinen ganzen Mut zusammen. »Markus?«
»Hm?«
»Wenn wir gerade schon dabei sind, über alles zu reden … Kann ich vielleicht meinen Freund von früher zurück haben?«
Er erstarrt geradezu und will sich von mir lösen, aber ich halte ihn fest. »Siehst du, genau das meine ich. Früher durfte ich dich in den Arm nehmen, da haben wir auf der Couch gekuschelt beim Fernsehgucken. Dann hab ich plötzlich die große Kohle verdient, und alles hat sich geändert. Du bist immer noch mein bester Freund, aber ich möchte den Markus von früher zurück.«
Wieder will er sich losmachen, doch ich lasse ihn nicht. »Bitte. Ich bin doch noch der gleiche Mensch wie früher, oder? Ich hab immer gedacht, mein Geld ändert nichts an unserer Freundschaft, aber das hat es doch. Hab' ich dir irgendwann das Gefühl gegeben, dass ich unsere Freundschaft jetzt anders sehe? Wir waren uns mal so nahe, aber seitdem ich Erfolg habe, bist du so distanziert. Was habe ich falsch gemacht, Markus?«
Ich spüre, dass er ganz tief Luft holt. »Es liegt nicht an deinem Geld. Es liegt überhaupt nicht an dir.«
Ich brumme unwillig. »Ja klar. Ich hab dein verächtliches So ein Schickimicki-Urlaub ist nichts für Kerle wie mich noch deutlich im Ohr.«
Wieder höre ich ihn tief Luft holen. »So hab ich das doch nicht gemeint, Daniel. Hast du deshalb nichts wegen dem Schiff gesagt?«
Ich nicke bedrückt und jetzt bin ich es, der ein Stück wegrückt. Gerade weit genug, damit ich ihn anschauen kann. Er soll sehen, dass ich es ehrlich meine.
Ich bin wirklich ein Idiot. Das wird mir deutlich klar, als Daniel alles erzählt. Hab ich mich damals wirklich so herablassend und verächtlich verhalten? Könnte schon sein, ich habe mit aller Macht versucht, meine Gefühle vor ihm zu verbergen. Aber dass er das so auffassen könnte, war mir nie klar. Daniel schaut mich ganz offen an, während er redet.
»Ich hatte Angst, dass ich in deinen Augen auch so ein Angeber bin, deshalb hab ich das mit dem Boot lieber für mich behalten«, sagt er gerade und beißt sich dann auf die Unterlippe, bevor er ganz leise hinzusetzt: »Ich wollte in deinen Augen immer gut dastehen, ich wollte, dass du stolz auf mich bist. Aber irgendwie war es nie genug.«
»Daniel, das ist nicht wahr. Ich habe dich immer bewundert, ich war immer stolz auf dich.« Mehr, als er überhaupt ahnen kann. »Es tut mir sehr leid, dass ich dir dieses Gefühl gegeben habe.«
Daniel schluckt schwer. »Warum bist du dann so distanziert? Warum hältst du mich immer auf Abstand?«
Die Gedanken jagen sich in meinem Kopf. Gott, Daniel. Wie soll ich dir das sagen? Im Moment erscheint mir unsere Freundschaft so zerbrechlich. Ich hab es sieben Jahre lang nicht geschafft, dir das zu gestehen. Wenn ich es jetzt tue, dann ist unsere Freundschaft vielleicht wirklich vorbei. Ich kann es nicht.
»Ich weiß nicht genau«, weiche ich aus. Irgendwas muss ich ihm sagen, aber was? Zumindest einen Teil der Wahrheit kann ich ihm gestehen, denn bei der ganzen Sache haben nicht nur meine Gefühle für ihn eine Rolle gespielt. Da gab es auch noch was anderes, und das kann ich ihm sagen. »Vielleicht hatte ich einfach Angst, dass du glauben würdest, dein Geld wäre plötzlich wichtig für mich. Als du mich damals zu dem Urlaub eingeladen hast … Ich hätte ihn mir nicht leisten können und ich wollte nicht, dass du denkst, dass ich dich wegen der Kohle ausnutzen will«, gebe ich zu. Selbst das fällt mir sehr schwer.
Daniel seufzt tief und zieht mich wieder näher an sich. Wie sehr habe ich diese Nähe vermisst, aber gleichzeitig fürchte ich sie auch. Ich brauche die Distanz, um mich nicht zu verraten. Wie soll ich das in Zukunft durchstehen?
»Du kleiner Dummkopf«, flüstert Daniel, und ich bin froh, dass er mich gerade nicht anschaut. Ich genieße es so sehr, wie er mich umarmt, sehne mich so nach mehr, dass er diese Gefühle ganz bestimmt in meinen Augen sehen könnte. »Bei dir war ich mir immer sicher, dass es dir nicht um mein Geld geht. Du lässt dir ja nicht einmal ein Bier von mir ausgeben, ohne dich dafür zu revanchieren. Ich hab mich schon gewundert, dass du meine Einladung zu diesem Urlaub überhaupt angenommen hast.«
Tja, da sollte ich wohl besser beichten. »Das habe ich nur getan, weil ich nicht wollte, dass du hier ganz allein bist und diesem Arschloch hinterher trauerst.« Augen zu und durch. »Und nur damit du es weißt: Ich hab dir 2000 Euro auf das Konto überwiesen. Natürlich weiß ich, dass das für den Flug nicht reicht, aber nachdem ich das neue Auto gekauft habe, gibt mein Sparbuch nicht mehr her.«
Daniel weicht zurück und starrt mich ungläubig an. »Was hast du? Spinnst du?« Okay, der nächste Streit ist wohl vorprogrammiert. Shit! Doch dann holt er tief Luft und grinst, zieht mich an sich und umarmt mich ganz fest. »Du bist unglaublich. Das zweite Ticket hätte ich doch sowieso bezahlen müssen. Ich will dein Geld nicht und werde es dir zurücküberweisen. Nein, keine Widerrede! Du bist so ein toller Freund, lass mich doch einfach mal was Gutes für dich tun. Ich bin so froh, dass du mitgekommen bist und ich hier nicht alleine Trübsal blasen muss. Das ist so viel mehr wert, als du dir vorstellen kannst.«
Ich möchte ihm gerne widersprechen, aber ich lasse es. Darüber können wir noch mal reden, wenn wir wieder zuhause sind. Also nicke ich und genieße einfach für einen Moment noch diese Nähe in seinen Armen. Völlig unpassend knurrt mein Magen laut und vernehmlich.
Daniel lacht leise und lässt mich los. Einerseits bin ich froh darüber, aber andererseits bedauere ich es auch sehr.
»Lass uns was essen gehen. Heute ist es ohnehin zu spät, um noch rauszufahren. Nicht weit von hier ist ein schönes kleines Lokal, in dem das Essen gut und günstig ist.«
»Es tut mir leid, dass wir jetzt hier im Hafen festhängen, weil ich ausgerastet bin.«
Daniel schaut mich warm an. »Lass uns das einfach vergessen, okay? Wir können morgen ganz früh los. Auf die paar Stunden kommt es nicht an. Hauptsache, wir haben uns wieder vertragen.« Er deutet auf meinen Rucksack. »Wo ist dein Koffer?«
»Noch im Hotel. Ich wusste ja nicht, ob ich bleiben kann.«
Daniel schaut einen Moment ganz ernst, dann wuschelt er mir durchs Haar. »Du hast immer einen Platz bei mir, das weißt du hoffentlich. Deinen Koffer holen wir nach dem Essen. Ich geh noch schnell unter die Dusche. Treffen wir uns in einer halben Stunde oben? Und wenn du früher dran bist, nimm dir, was du möchtest. Fühl dich einfach wie zuhause, okay?«
Ich nicke zustimmend und schon ist er weg. Eine Dusche kann ich wirklich vertragen, obwohl es hier unten nicht wirklich heiß ist. Die Temperatur in der Kabine ist angenehm. Klimaanlage, stelle ich gleich darauf fest, als ich den Rucksack hole und neben dem Schreibtisch das Bedienfeld für die Anlage entdecke. Was auch sonst? So langsam überrascht mich nichts mehr. Zum zweiten Mal an diesem Tag räume ich meinen Rucksack aus und gehe dann unter die Dusche.
Es ist ein herrlicher Tag und damit meine ich nicht nur das Wetter. Es ist schön, dass Markus hier ist. So ganz verdaut habe ich die Sache von gestern noch nicht, dazu saß die Angst, dass unsere Freundschaft wirklich vorbei sein könnte, einfach zu tief. Umso mehr genieße ich es, dass er bei mir ist, und seine Begeisterung ist so ansteckend. Ich habe nicht vergessen, dass für heute Abend ein Sturmtief angekündigt ist, deshalb sind wir zur Lameshur Bay auf St. John gesegelt. Dort wird uns der Sturm nichts anhaben können, außerdem ist die Bucht sehr schön und es ist nie viel los.
Aus Markus könnte ein guter Segler werden, er lernt schnell und stellt viele Fragen. Als wir in der Bucht ankommen, liegen nur zwei andere Yachten dort und ich steuere das entgegengesetzte Ende an, weit weg von den anderen Schiffen. Markus erwischt die Leine der Boje schon beim ersten Mal und lacht dabei zufrieden. Er ist wirklich geschickt.
»Wie machst du das denn, wenn du alleine bist?«, will er wissen, als er zu mir auf die Flybridge kommt und sich auf die Bank fallen lässt.
»Motor aus und langsam in die Bucht treiben lassen. Hier ist immer wenig los, da geht das. Wenn viel Betrieb ist, wäre das zu gefährlich, da besteht dann die Gefahr, auf ein anderes Schiff zu treiben. In solchen Fällen halte ich Ausschau nach Bekannten und funke sie an. Es findet sich fast immer jemand, der mit dem Beiboot rüberkommt und eine Boje fischt, während ich am Steuer bleiben und auf die anderen Schiffe achten kann.«
Markus deutet ans andere Ende der Bucht, wo die zwei Yachten liegen. »Der Katamaran da scheint genauso groß zu sein wie deiner, aber die haben keinen Steuerstand oben. Ist das denn nicht üblich?«
»Nicht bei Segelyachten. Motorboote haben oft eine Flybridge, aber bei Segelbooten gibt es das nicht so häufig.«
»Also eine Spezialanfertigung?«
»Nein, das nicht. Es gibt zwar noch nicht viele Sunreef-Yachten, aber das ist Standard bei denen.«
»Sunreef ist der Hersteller, nehme ich mal an? Dein Schiff ist jedenfalls der Knüller, und hier oben gefällt es mir.«
»Mir auch. Aber jetzt sollten wir uns besser nach drinnen verziehen, es wird bald anfangen zu regnen.«
Wir sind noch keine fünf Minuten drinnen, als es anfängt, wie aus Kübeln zu gießen. Man hat das Gefühl, die Welt geht unter, draußen ist alles grau und man sieht nur noch ein paar Meter weit. Aber hier drinnen ist es angenehm und wir fangen in Ruhe mit dem Kochen an. Noch ein Vorteil, dass Markus dabei ist, er kann das nämlich wirklich gut, im Gegensatz zu mir. Normalerweise ernähre ich mich draußen von Sandwichs und Tiefkühlkost, und wenn ich im Hafen bin, gehe ich essen.
Ich bin echt froh, dass ich dem Drängen von Markus nachgegeben habe und wir heute Morgen noch mal im Supermarkt waren, nachdem er entdeckt hatte, dass eigentlich nichts da war, um richtig zu kochen. Er hat auf Gemüse, Kartoffeln, Salat, frischem Fleisch und einigem anderen bestanden. Jetzt stehen Körbe mit buntem Gemüse und Obst auf der Arbeitsfläche, ebenso wie einige Kräutertöpfe. Zum ersten Mal sieht die Küche irgendwie wohnlich aus. So wohl habe ich mich hier jedenfalls noch nie gefühlt.
Markus hat mich zum Kartoffelschälen verdonnert, aber das stört mich nicht, das bekomme ich sogar ganz gut hin. Mit ihm zusammen zu kochen macht wirklich Spaß. Vielleicht lerne ich es ja irgendwann doch noch. Als er meinen neugierigen Blick bemerkt, grinst er und erklärt ab diesem Moment den einen oder anderen Handgriff. Ob ich mir wirklich alles merken kann, wird sich dann irgendwann zeigen, aber ich gebe mir zumindest Mühe.
Nach dem Essen räumen wir gemeinsam auf, was zu zweit recht schnell geht. Zusammen ist eben manches einfacher, geht es mir durch den Kopf. Das war einer der Gründe, warum ich eine Beziehung wollte. Nur wollte ich sie mit dem falschen Mann, weil ich den, den ich eigentlich will, nicht haben kann. Aber jetzt im Moment ist Markus bei mir, und ich kann mich zumindest für eine Weile der Illusion hingeben, dass es vielleicht immer so sein könnte. Ich darf mich nur nicht zu sehr in diese Vorstellung verrennen.
Während wir gegessen haben, hat es aufgehört zu regnen. Die Luft ist angenehm warm, als wir uns mit einem kühlen Bier ins Cockpit setzen. Das Boot hat sich in der Dünung mit dem Heck zum Strand gedreht, der einsam und verlassen da liegt. Nur am anderen Ende der Bucht steht ein einsames Haus. Das ist die Station der Ranger, denn St. John ist zu fast zwei Drittel Naturschutzgebiet. Hier in diesem Abschnitt der Bucht sind wir ganz allein. Es ist kurz vor halb sechs, die Sonne wird gleich untergehen, aber hier im überdachten Cockpit werden wir davon nicht viel sehen.
Einer Eingebung folgend hole ich zwei der großen Strandtücher aus dem eingebauten Wandschrank und fordere Markus auf, mitzukommen. Vorne am Bug angelangt, breite ich die beiden Tücher auf dem großen Netz aus und gleich darauf liegen wir dort nebeneinander. Jetzt haben wir den Eingang der Bucht direkt vor uns und sehen der schnell sinkenden Sonne zu, die den Himmel in ein Meer von Farben taucht.
»Wow«, meint Markus leise. »Das war ein sehr schöner Sonnenuntergang. Danke.«
Ich drehe den Kopf und lächle ihn an. »Für den Sonnenuntergang kann ich nichts, das ist leider nicht mein Werk.«
Es ist ziemlich dunkel, weil uns um herum keine Lichter sind und der Mond noch nicht zu sehen ist. Aber an seiner Stimme höre ich, dass Markus auch lächelt. »Nein, dafür kannst du nichts, aber dank dir bin ich hier und darf das erleben.«
Es ist für lange Zeit das einzige, was wir sagen. Am jetzt wieder klaren Himmel blitzen unzählige Sterne. Da es so dunkel ist, wirken sie umso heller. Wir liegen einfach nur da und trinken unser Bier. Keiner von uns steht auf, um Nachschub zu holen. Keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht, aber irgendwann spüre ich, wie Markus neben mir erschauert. Es ist immer noch ziemlich warm, aber das Wasser unter uns hat sich abgekühlt, und das macht sich bemerkbar.
»Ist dir kalt?«, frage ich leise.
»Hm, ein bisschen. Ich sollte aufstehen und mir einen Pulli holen, aber ich hab' keine Lust.«
Ich auch nicht, aber das müssen wir gar nicht. »Rutsch mal ein Stück«, fordere ich ihn auf und lege mich zu ihm auf das Strandlaken. Mit meinem decke ich uns zu. Markus lässt zu, dass ich ihn dicht an mich ziehe. »So besser?«
»Viel besser«, murmelt er, und nach einigen Minuten rückt er noch näher und kuschelt sich an mich. Ja, so ist es viel besser, denke ich, genieße seine Nähe und schlafe irgendwann ein.
Keine Ahnung, was mich geweckt hat. Im ersten Moment weiß ich nicht, wo ich bin. Aber ich weiß, bei wem ich bin, denn Daniels angenehmen Duft würde ich überall erkennen. Es ist nicht mehr so stockfinster, da inzwischen ein heller Mond am Himmel steht. Meine Augen gewöhnen sich langsam an das diffuse Licht und nach einer Weile kann ich sogar Daniels schmale Gesichtszüge erkennen.
Er schläft und hält mich immer noch fest im Arm. Ich kann nichts dagegen tun, dass sich mein Herzschlag beschleunigt und mein Körper auf seine Nähe reagiert. Vorsichtig versuche ich mich auf den Rücken zu drehen, denn wenn er jetzt aufwacht, kann er an seinem Bein deutlich spüren, was seine Nähe in mir anrichtet. Die Bewegung scheint ihn aufzuwecken. Er schlingt den Arm noch fester um mich und murmelt meinen Namen.
Für einen kurzen Moment setzt mein Herz aus, um dann noch schneller weiter zu schlagen. Habe ich mir das nur eingebildet? Nein, habe ich nicht. Im Halbschlaf dreht sich Daniel zu mir und flüstert erneut meinen Namen. Mir war nicht klar, dass ich den Atem angehalten habe, bis ich ihn mit einem tiefen Seufzer entweichen lasse. Daniel schmiegt sich enger an mich, und ich spüre, dass sein Körper auf mich genauso reagiert wie umgekehrt.
Das könnte ich vielleicht als instinktive, rein körperliche Reaktion abtun. Aber nicht die Tatsache, dass er im Schlaf meinen Namen gemurmelt hat. Meinen, nicht den von Holger. Das bringt mich völlig durcheinander. Tief in mir war immer die Hoffnung, dass Daniel vielleicht irgendwann einmal meine Gefühle erwidert. Jetzt kocht sie an die Oberfläche, zusammen mit purem Glücksgefühl. Das will ich noch einen kurzen Moment genießen, bevor Daniel ganz aufwacht und uns die Realität wieder einholt.
Als er neben mir kurz erstarrt, weiß ich, dass er nun vollständig wach ist und die Situation erfasst. Ich habe das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen, obwohl ich nicht weiß, wieso. »Tut mir leid, dass ich dir auf die Pelle gerückt bin«, bringe ich heiser hervor und will mich von ihm lösen. Doch Daniel hält mich fest und seine Hand streicht sanft über meinen Rücken.
»Wenn ich das richtig sehe, bin ich dir auf die Pelle gerückt, nicht umgekehrt.« Seine Stimme klingt genauso heiser wie meine, die Hand kommt zwischen meinen Schulterblättern zur Ruhe. »Und mir tut es ehrlich gesagt gar nicht leid.«
Stille, während ich den Sinn seiner Worte erfasse. Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Also sage ich einfach gar nichts, stattdessen gebe ich dem sanften Druck seiner Finger nur zu gerne nach und schmiege mich fester an ihn. Überlasse mich dem Sturm meiner Gefühle, als unsere Lippen sich treffen. In jener Nacht vor sieben Jahren war ich zu beschwipst, um es mit allen Sinnen genießen zu können und Daniel … Er war so betrunken, dass er einen totalen Filmriss hatte. Aber jetzt sind wir beide nüchtern, und er genießt das hier ohne Zweifel genauso wie ich. Seine harte Erektion reibt sich an meiner, er stöhnt leise an meinem Mund.
Aus dem sanften Schmusen unserer Lippen wird schnell ein sehr leidenschaftlicher Kuss. Daniel dreht sich auf den Rücken, zieht mich dabei mit sich und ich folge der Bewegung bereitwillig. Genieße es, seinen harten, schmalen Körper unter mir zu spüren. Er reibt sein Becken an meinem und ich erwidere den Druck. Wenn das hier ein Traum ist, will ich nie wieder aufwachen. Aber Daniels Hand auf meinem Hintern ist real. Genauso real wie das Stöhnen, das mir entkommt, als er den Druck noch verstärkt, indem er die Beine um mich schlingt.
Unsere Bewegungen beschleunigen sich, wir reiben uns heftiger aneinander, und dann ist es viel zu schnell vorbei. Daniel bäumt sich unter mir auf und stöhnt laut in den Kuss, als er am ganzen Körper erschauert. Ich komme nur Sekunden nach ihm, mein Stöhnen mischt sich mit seinem. Ich breche den Kuss ab, um nach Atem zu ringen. Mein Herz schlägt hart und schnell gegen meine Rippen, als ich die Stirn auf Daniels Schulter sinken lasse. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir so daliegen. Unser Atem geht wieder ruhiger und dann höre ich Daniels leise Stimme an meinem Ohr.
»Markus?« Nur meinen Namen, aber ich höre darin alle Fragen, die auch mir durch den Kopf gehen, und auf die ich keine Antwort weiß. Zumindest weiß ich nicht, wie Daniels Antworten darauf lauten. Der Gedanke, dass das hier wirklich das Ende sein könnte, macht mir Angst. Es ist wohl an der Zeit herauszufinden, wie Daniel zu all dem steht. Aber bevor ich das tue, küsse ich ihn noch einmal, sanft und zärtlich. Vielleicht ist das für ihn Antwort genug.
Dieser zärtliche Kuss, den Markus mir gibt, macht mir Hoffnung, dass es auch für ihn mehr bedeutet, dass er nicht einfach nur Druck abbauen wollte. Ich wünschte, dieser Kuss würde nie enden, aber natürlich tut er das. Bedauernd gebe ich Markus frei, als er sich von mir löst.
»Ich gehe duschen und dann sollten wir reden«, höre ich ihn leise sagen. Ich weiß, dass wir reden müssen, aber ich habe Angst davor. Gestern hätte ich Markus fast verloren. Habe ich nun endgültig alles kaputt gemacht? Instinktiv fasse ich nach seiner Hand und bin froh, dass er den Druck sanft erwidert, bevor er sich losmacht und aufsteht. Ich höre seine leisen Schritte auf dem Seitendeck und bleibe noch einen Moment lang liegen, bevor ich ihm folge.
In meinem Bad ziehe ich mich aus und werfe die eingesaute Shorts und die Pants in den Wäschekorb. Minutenlang lasse ich das warme Wasser einfach über meinen Körper prasseln, bevor ich mich einseife. In Shorts und T-Shirt gehe ich schließlich mit einem flauen Gefühl im Magen wieder nach oben. Markus sitzt am Küchentresen und dreht einen Kaffeebecher in den langen Fingern.
Meine Hände waren auch schon mal ruhiger, stelle ich fest, als ich meine Tasse unter den Auslauf des Automaten stelle und zusehe, wie auf Knopfdruck der Café Latte in den Becher fließt. Viel zu schnell ist für meinen Geschmack die Tasse voll, denn nun muss ich mich umdrehen und mich dieser Sache stellen. So muss sich jemand fühlen, der hilflos auf ein Bahngleis gefesselt ist und den Zug herandonnern sieht.
Langsam drehe ich mich um, mache die paar Schritte zum Tresen und lehne mich dagegen. Gerade mal ein halber Meter trennt uns, als ich meine Tasse auf den Tresen stelle, bevor ich schließlich den Kopf hebe und Markus anschaue. In seinem Gesicht erkenne ich die gleiche Unsicherheit, die ich spüre, und das erleichtert mich, denn das ist allemal besser als Ablehnung.
»Ich spiele nicht gerne den Ersatz für jemanden«, eröffnet er frontal das Gespräch, und ich weiß genau, was er meint.
»Du bist kein Ersatz für Holger.«
Die dunklen Augenbrauen wandern ein Stück nach oben. »Was sonst? Eure Trennung ist gerade mal eine Woche her.«
»Stimmt, aber ich trauere ihm nicht hinterher. Ich habe ihn nicht geliebt. Er war der Ersatz, nicht du.«
Markus starrt mich ungläubig an, aber er sagt kein Wort. Ich bin es leid, meine Gefühle zu verstecken, das habe ich viel zu lange getan. Nach dem, was vorhin zwischen uns passiert ist, gibt es ohnehin keinen Weg mehr zurück zu der rein platonischen Freundschaft. Der Gedanke, Markus für immer zu verlieren, tut weh und macht mir schreckliche Angst, aber ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und die vergangene Stunde ungeschehen machen. Ich will es auch gar nicht. Ich bin schon länger auf diesen Punkt zugesteuert, ohne dass es mir klar war.
»Die völlig hirnverbrannte Idee, Holger zu heiraten, war ein letzter, ziemlich verzweifelter Versuch, über dich hinwegzukommen. Es hätte nicht funktioniert, das weiß ich jetzt. Ich bin so lange vor meinen Gefühlen weggelaufen, Markus. Jetzt kann und will ich es nicht mehr.« Er öffnet den Mund, keine Ahnung, ob aus Verblüffung oder um etwas zu sagen, aber ich lasse ihn erst gar nicht zu Wort kommen.
»Ich bin schon so lange in dich verliebt. In der Nacht nach deinem 30. Geburtstag hatte ich die Hoffnung, dass wir endlich zueinander finden würden. Wir haben uns wie verrückt geküsst, aber du warst so besoffen, dass du dich am nächsten Morgen nicht einmal daran erinnert hast. Aber ich konnte es nie vergessen und ich war schon davor in dich verliebt. Also sag mir nicht, dass ich in dir einen Ersatz für Holger sehe. All die Männer, mit denen ich in den letzten Jahren geschlafen habe, waren immer nur ein Ersatz für dich. Ich habe mir oft gewünscht, dass diese Gefühle einfach aufhören, aber das tun sie nicht. Ich kann es nicht ändern. Man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt. Und ich liebe nun mal dich.«
Ich sehe es nicht kommen und bin deshalb völlig überrascht, als Markus mich am T-Shirt packt und zu sich zieht. »Kerl, du machst mich wahnsinnig. Warum hast du mir das nicht schon längst gesagt? Wir haben sieben verflixte Jahre vergeudet!«
Ich bekomme keine Möglichkeit, darauf zu antworten, denn Markus küsst mich. Noch nie bin ich so geküsst worden und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Doch plötzlich ist sein weicher Mund weg, seine Hände auch. Protestierend öffne ich die Augen, da hat Markus den Tresen bereits umrundet, drückt mich gegen den Kühlschrank und küsst mich wieder, während er sich ganz eng an mich schmiegt. Oh ja, viel besser, voller Körperkontakt. Also, ich finde dieses verflixte 7. Jahr gerade ziemlich gut.
Küssen, Streicheln, einfach nur spüren und genießen, und das in vollen Zügen. Keine Ahnung, wie wir es die Treppe runter in seine Kabine geschafft haben, ohne zu stürzen. Es spielt keine Rolle. Eng umschlungen liegen wir auf seinem Bett und küssen uns, lassen uns nur kurz los, um die Klamotten auszuziehen. Endlich, seine warme Haut nackt an meiner. Ich kann nicht genug davon bekommen.
Küssend ziehe ich mit meinem Mund eine heiße Spur über Daniels Körper, höre sein leises Stöhnen und genieße es, wie er sich an mich drängt, als ich mit der Zunge über die pralle Eichel streichle. Er schmeckt so gut. Ich will mehr davon, nehme ihn tief in den Mund, spüre, wie er mir entgegenkommt.
»Markus.« Ich liebe es, wie er meinen Namen stöhnt, während ich ihm Lust bereite. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als er die Beine weiter öffnet und an seinen Körper zieht, sich völlig offen meinen Blicken preisgibt. »Mach schon«, flüstert er heiser, als ich bei dieser Einladung den Kopf hebe und sich unsere Augen treffen.
Er hält mir die Gleitcreme und ein Kondom hin. Meine Hände zittern, als ich die kleine Packung aufreiße und das Gummi über meine harte Erektion rolle. Daniel stöhnt leise, als meine Finger die Creme auf der kleinen Öffnung verteilen, sanfte Kreise ziehen und ich dann mit einem Finger vorsichtig eindringe. Ich spüre, dass er sich verspannt, lasse ihm Zeit, auch wenn es mir schwer fällt. Als Daniel sich an meine Hand drängt, schiebe ich den Finger weiter in ihn. Er zuckt mir entgegen, als ich die kleine Erhebung ertaste und darüber streichle, zuerst sanft, dann etwas fester.
Jedes Mal, wenn ich den Punkt treffe, zuckt sein harter Schwanz Das macht mich unheimlich an, genauso wie das heisere Stöhnen, das Daniel von sich gibt. Lusttropfen glitzern auf der prallen Eichel, ich lecke sie genüsslich ab. Als ich den zweiten Finger hinzunehme, setzt mir Daniels Körper kaum noch Widerstand entgegen, nimmt schließlich auch bereitwillig drei Finger auf.
»Mach endlich, ich komme gleich«, setzt er meinem lustvollen Spiel schließlich ein Ende.
Ich lecke noch mal über seinen harten Schwanz, genieße das Stöhnen, das er dabei von sich gibt. Dann halte ich es nicht mehr länger aus, drücke mich sanft gegen seinen Eingang und ziehe Daniels Hüften näher an mich. Er schlingt die Beine um mich, holt mich so ganz dicht an sich und mein Stöhnen vermischt sich mit seinem, als ich tief in ihn eindringe. Er ist so eng und heiß, das Gefühl lässt mich nach Luft schnappen.
Daniel bleibt nicht passiv, er gibt einen langsamen Rhythmus vor, den wir nach und nach zusammen beschleunigen. Meine Hände finden seine, unsere Finger verschränken sich, während sich unsere Blicke nicht mehr loslassen. Wieder und wieder versinke ich in ihm, reibe mit meinem harten Schwanz über seinen Lustpunkt. Daniel kommt heftig, ohne zusätzliche Stimulation, und als sich seine Muskeln eng um mich zusammenziehen, kann ich nicht mehr. Hitze überschwemmt meinen ganzen Körper, als ich tief in ihm komme.
Es dauert eine ganze Weile, bis ich wieder im Hier und Jetzt lande. Eng umschlungen liegen wir da, ich bin immer noch in ihm, aber es wird höchste Zeit, dass ich mich zurückziehe. Ich verknote das Kondom, lasse es achtlos neben das Bett fallen und nehme Daniel sofort wieder in die Arme. Dann spreche ich aus, was mir schon so lange auf der Zunge liegt und was ich nun endlich ohne Angst sagen kann. »Ich liebe dich.«
Seine Arme sind fest um mich geschlungen, er presst mich an sich. »Ich liebe dich auch.«
Ich hebe den Kopf, schaue Daniel an und küsse ihn zärtlich, bevor ich ihm erzähle, dass ich mich noch sehr gut an jene Nacht erinnern kann. Dass ich gedacht habe, er wäre so betrunken gewesen, dass er einen Filmriss hatte. Wir schauen uns an und müssen grinsen, aber gleichzeitig bedauern wir auch beide, dass keiner von uns in den letzten verflixten sieben Jahren den Mund aufgemacht hat.
Aber andererseits … das Warten hat sich gelohnt, und ich würde auch noch mal sieben Jahre lang auf ihn warten, wenn es sein müsste. Zum Glück muss ich das nicht. Ich halte ihn endlich in den Armen und nun lasse ich ihn nicht mehr los.
Ende
Texte: Christina McKay
Bildmaterialien: Pixabay.com, Coverdesign: Christina McKay
Lektorat: M. Kiess, Sitala Helki
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2015
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