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Florian und Sven sind seit vielen Jahren die besten Freunde. Mehr war da nicht, auch wenn sie beide schwul sind. Nie im Leben hätte Florian damit gerechnet, dass er sich nach all den Jahren in seinen besten Kumpel verliebt. Aber genau das ist passiert. Und nun?


~~***~~

Florian

„Hey, Romy. Alles klar bei dir?“ Ich hasse es, wenn Sven mich so nennt. Wir sind seit der achten Klasse die besten Freunde, das sind inzwischen 18 Jahre. Aber wenn er diesen Spitznamen benutzt, könnte ich ihm echt in den Arsch treten. Ein ziemlich hübscher Arsch übrigens. Klein und knackig. Der ganze Typ ist klein, aber sooo knackig. Und hat ein verdammt süßes Lächeln, das er mir nun zeigt, während er mich sanft mit der Schulter anstößt. Seine rotbraunen Haare sind verwuschelt und die grünen Augen funkeln mich fröhlich an. Eigentlich möchte ich wegen des Spitznamens sauer auf ihn sein. Aber wenn er mich so anschaut, kann ich das einfach nicht.

Wie war noch mal die Frage? Dieses Lächeln beamt mich dermaßen weg, dass ich einen Moment lang ernsthaft überlegen muss. Ach so, ja. Ob alles klar ist, will er wissen. Nein, nichts ist klar. Gar nichts. Seit Wochen – ach was, seit Monaten – schon nicht mehr. Das kann ich ihm aber nicht sagen, denn dann würde er so lange bohren, bis es mir irgendwann rausrutscht. Und das geht mal gar nicht. No way, keine Chance. Sven weiß mehr von mir als jeder andere Mensch – aber das darf er nicht erfahren. Lüge ich ihn also wieder einmal an, wie so oft in der letzten Zeit. Wann immer er mich fragt, wie es mir geht, egal wie er das nun ausdrückt, belüge ich ihn.

Kein schönes Gefühl, aber ich hab keine andere Wahl. Wenn ich ihm die Wahrheit sage, dann war es das mit unserer Freundschaft. Vielleicht wäre es sogar das Beste, wenn er den Kontakt zu mir abbrechen würde. Aber ihn nicht mehr in meinem Leben zu haben – unvorstellbar. Mit der Wahrheit rauszurücken ist also nicht drin.

„Ja, alles klar. Und selbst?“ Gutes Ablenkungsmanöver, Florian, klopfe ich mir innerlich auf die Schulter. Denn Sven redet gern und viel über die Dinge, die in seinem Leben passieren. Eigentlich will ich mir nicht anhören, wie toll der Sex mit dem Typen war, von dem er sich vor zwei Tagen hat abschleppen lassen. Aber lieber das, als zu riskieren, dass er doch bemerkt, was mit mir los ist.

„Mir geht es super.“ Schön für ihn. Dieses Grinsen geht mir durch und durch. Nicht unbedingt auf angenehme Art, denn ich ahne, warum es ihm so gut geht. Der Grund dafür taucht gerade neben ihm auf und schlingt den Arm um ihn. Es ist der Kerl aus dem Club. Na toll. Also wohl nicht nur ein One-Night-Stand. Das tut weh und innerlich knirsche ich mit den Zähnen. Nach außen hin lasse ich mir nichts anmerken. Bringe es sogar fertig, den Typen anzulächeln. „Hey, Mario.“

„Marco“, verbessert der südländische Kerl sofort.

„Sorry“, murmele ich, meine es aber nicht so. Mir doch egal, wie der heißt.

Sven wirft mir einen seltsamen Blick zu und zieht leicht die Augenbrauen hoch. Mir wird mulmig, denn das macht er immer, wenn ihm etwas nicht gefällt oder spanisch vorkommt. Haha, nettes Wortspiel. Sein neuer Stecher ist ja auch spanisch, oder? Dabei weiß ich nicht mal, ob dieser Marco Spanier ist.

Verdammt. Svens Augenbrauen wandern noch ein Stück höher. „Was ist denn los? Doch nicht alles klar?“

„Doch. Alles bestens.“ Ich wusste gar nicht, dass er die Brauen sooo weit hochziehen kann. Macht er aber, und ich würde mir am liebsten die Zunge abbeißen. Hätte ich mal besser gesagt, dass mir mein Chef auf die Nerven gegangen ist. Das wäre nicht mal gelogen gewesen. Ist immer noch eine gute Ausrede, wenn ich so darüber nachdenke.

„Na ja“, schiebe ich schnell hinterher. „Stress auf der Arbeit.“ Svens Augenbrauen senken sich ein Stück. Nicht ganz, aber immerhin.

„Hat das Arschloch wieder homophobe Sprüche geklopft?“ Damit meint er meinen Chef, und das hat der tatsächlich, daher nicke ich. Da muss ich wenigstens nicht lügen, denn das mach ich nicht gern, und kann es auch nicht gut. Es wundert mich eh schon eine ganze Weile, dass Sven nichts merkt.

„Du solltest dir wirklich einen anderen Job suchen. Das musst du dir nicht bieten lassen.“ Sven hat leicht reden. Stammt aus gutem Haus, wie man so schön sagt. Seinem Vater gehört eine große Werbeagentur, in der Sven arbeitet. Juniorchef, mit nicht einmal 30 Jahren. Aber nicht bloß, weil er der Sohn ist, sondern weil er es wirklich drauf hat.

Dennoch sind das ganz andere Voraussetzungen als bei mir. Ich bin ein armer Schlucker und auf meinen beschissenen Job leider angewiesen. Mediengestalter gibt es in Köln wie Sand am Meer, und lukrative Jobs wachsen nicht auf den Bäumen. Richtig gut bezahlte schon gar nicht. Klar, ich komme über die Runden, aber eben nur, weil ich diesen Job habe, und das weiß Sven auch. Was mich in diesem Moment ziemlich auf die Palme bringt. Der nächste Satz erst recht. „Ich habe dir schon so oft angeboten, für uns zu arbeiten.“

Hat er, ja. Aber ich will das nicht. Denn noch einen Mediengestalter brauchen sie in der Agentur eigentlich gar nicht. Auf den Mitleidsjob kann ich dann doch verzichten. Hab auch meinen Stolz. Ich bin in den letzten Monaten abhängig genug von ihm geworden.

Sven Baumann. Meine ganz persönliche Droge. Lässt mein Herz rasen, wenn ich ihn sehe und ruft Wahnvorstellungen hervor. Sven in meinem Bett. Unter mir. Über mir. Ganz egal, wie. Und wenn ich ihn mal ein paar Tage nicht sehe, bin ich auf Entzug und habe irrsinnige Sehnsucht nach ihm. Mir ist echt nicht zu helfen. Fuck! Schon tausendmal habe ich mich gefragt, wann ich mich in meinen besten Freund verliebt habe. Ich hab keine Ahnung, wann das passiert ist. Spielt auch keine große Rolle, glaub ich. Denn egal wann, es ändert nichts an den Tatsachen. Sven ist nicht interessiert, das war er nie und wird es auch niemals sein. Das macht mich gerade total fertig und gleichzeitig richtig sauer.

„Du kennst meine Meinung dazu“, bringe ich mühsam beherrscht hervor. In mir drin brodelt es gewaltig. Ich muss mich abregen. Dringend. Denn sonst platze ich. Mir wird das grad alles zu viel.

„Ja, und ich finde sie immer noch ziemlich bescheuert“, erwidert er ernst.

Okay, das war’s. Wenn ich jetzt nicht ganz schnell verschwinde, sage oder tue ich etwas, was ich später bereuen werde. Ich hab keinen blassen Schimmer, was ich darauf erwidern soll, ohne auszurasten. Also sage ich gar nichts, dreh mich einfach um und lass ihn mit seinem Marco stehen. Nicht die feine englische Art, ich weiß. Aber das ist mir in diesem Moment wirklich egal.

„Romy, jetzt warte doch mal!“, höre ich seine Stimme hinter mir.

Erneut diesen verhassten Spitznamen zu hören, das bringt das Fass zum Überlaufen. Ich kann nicht mehr, echt. Mir ist klar, dass ich gerade total die Kontrolle verliere, aber ich komme nicht dagegen an. Drehe mich ruckartig wieder zu ihm um und hab die kurze Distanz mit einigen schnellen Schritten überbrückt, bevor mir richtig klar wird, was ich da tue.

Sven schaut erschrocken, als ich ihn am Handgelenk packe und mit einem Ruck zu mir ziehe. Aus Marcos Armen direkt in meine. Die grünen Augen starren mich fassungslos an, aber in diesem Moment ist es mir total schnuppe. Ich hab es mir gerade anders überlegt. Es ist wohl doch besser, einen klaren Schlussstrich zu ziehen und ihn aus meinem Leben zu verbannen. Aber vorher … Nur einmal …

Nur ein Kuss. Ein einziger Kuss. Als ich meine Lippen auf seine presse und ihn hart küsse, weiten sich die grünen Augen. Es ist in diesem Moment das letzte, was ich sehe, denn meine Augen schließe ich. Will ihn küssen und dabei nicht sehen, was in ihm vorgeht. Der Kuss wird weicher, sanft. Sven steht wie erstarrt da, lässt den Kuss über sich ergehen, ohne ihn zu erwidern. Hab ich auch nicht erwartet, und trotzdem tut es weh.

Eine Hand gräbt sich in meine Schulter und reißt mich von Sven weg. „Spinnst du?“ faucht Marco mich an und holt mich endgültig in die Realität zurück. Eine Realität, die mir in diesem Moment den Boden unter den Füßen wegzieht. Schock und Unglauben in Svens Augen. Sein ganzes Gesicht drückt diese Gefühle aus.

„Ja, sieht so aus“, bringe ich heraus, ohne Sven aus den Augen zu lassen. Er starrt mich immer noch total fassungslos an. Wollte ich ihn wirklich aus meinem Leben verbannen? Spielt keine Rolle mehr, denn gerade habe ich es wohl getan. Ich hab’s vermasselt, und zwar gründlich. In zwei Stunden fängt das neue Jahr an, und ich werde es ohne meinen besten Freund verbringen müssen. Es tut irre weh, und Svens Gesicht verschwimmt vor meinen Augen.

Scheiße, ich fang hier an zu heulen! Ich spüre die Blicke der anderen Partygäste. Wir haben einen ziemlich großen Freundeskreis und in diesem Moment starren uns alle an. Ich möchte etwas sagen, mich entschuldigen, aber ich bringe kein Wort heraus. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, und ich mache das einzige, was mir noch bleibt.

Ich ergreife die Flucht. Drehe mich um, haste in den Flur und reiße meine Jacke von der Garderobe. Ich bin als einer der letzten auf der Party eingetrudelt, deshalb hängt sie ganz oben. Zum Glück, sonst müsste ich ohne die Jacke und damit auch ohne meine Schlüssel abhauen. Denn zum Suchen hätte ich keine Zeit. Weg hier, nur weg hier. Die Tür von Svens schicker Wohnung fällt hinter mir ins Schloss. Leise und irgendwie schrecklich endgültig.

Die Kölner Innenstadt ist voller Menschen, aber ich nehme sie nicht wirklich wahr. Eigentlich nehme ich in diesem Moment gar nichts richtig wahr. Ich will einfach nur weg. Eine Straße weiter ist ein Taxistand. Der Fahrer schaut mich ziemlich komisch an, während ich ihm fast tonlos meine Adresse nenne. Na ja, kein Wunder. Wahrscheinlich hat er nicht allzu oft weinende Männer im Taxi sitzen. In meinen Jackentaschen krame ich nach einem Papiertaschentuch. Keines dabei, shit! Gleich darauf reicht mir der Fahrer eine Packung nach hinten.

„Danke“, presse ich heraus und nehme mir eins.

„Schon gut“, erwidert der ältere Mann leise und wirft mir im Rückspiegel einen Blick zu. „Ist alles okay, Junge?“

Bei der Frage entkommt mir ein bitteres Lachen, und gleich darauf ein Schluchzen. Na toll, jetzt heule ich wirklich! Als ich nicht antworte, lässt der Fahrer mich in Ruhe. Ist auch besser so, denn ich versuche wirklich, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Als er vor dem Häuserblock stoppt, in dem meine kleine Wohnung liegt, schaue ich auf den Taxameter. Er ist abgestellt.

„Geht aufs Haus“, sagt der Fahrer, der meinen Blick bemerkt hat.

„Danke“, ist das einzige, was ich herausbringe. Er wünscht mir kein frohes neues Jahr, als ich aussteige. Hat wohl bemerkt, dass es gerade nicht so angebracht wäre.

Meine Hände zittern, als ich auf den Fahrstuhlknopf drücke. Sie zittern auch, als ich gleich darauf nach oben in den achten Stock fahre. Im Flur ist alles ruhig. Ungewöhnlich für Silvester, aber ich bin froh, dass ich niemandem begegne. Obwohl es mir eigentlich scheißegal ist, wenn mich jemand so sieht. Ich kenne meine Nachbarn ohnehin nicht. In diesem Moment wird mir klar, wie isoliert ich hier im Grunde genommen lebe. Ich könnte in meiner Wohnung verrecken, und es würde wahrscheinlich eine ganze Weile lang keinem auffallen. Sven wäre es aufgefallen.

Sven. Scheiße, das tut so verflucht weh. Irgendwie schaffe ich es, die Tür aufzuschließen. Ich betrete den dunklen Flur, lasse Schlüsselbund und Jacke achtlos fallen. Mir ist danach, mich zu betrinken, aber das werde ich nicht tun. Macht es auch nicht besser. Ich muss dringend ins Bad, und danach werde ich mich im Bett verkriechen. Diesem großen, einsamen Bett, das ich so gerne mit Sven teilen würde.

Ein Schluchzen entkommt mir. Ich wische mir übers Gesicht, gehe ins Bad und erleichtere meine Blase. Als ich mir die Hände wasche, begegne ich im Spiegel meinem eigenen Blick und betrachte mich einen Moment lang. Kein Wunder, dass mich der Taxifahrer komisch angesehen hat. Meine dunklen Haare sind einen Tick zu lang und stehen in alle Richtungen ab. Die braunen Augen sind trüb und rotgeweint. Der Dreitagebart lässt mich im Moment eher wie einen Penner aussehen.

Ich bin nichts Besonderes. Ein Durchschnittstyp, der in der Menge nicht weiter auffällt. Angebote hab ich trotzdem mehr als genug. Ich bin groß und halte mich fit. Viele Jungs stehen auf meinen schlanken Körper. Aber im Moment würde mich wohl grad keiner haben wollen. Ich seh scheiße aus, so verweint. Kann meinen Anblick selbst nicht ertragen und will mich nur noch verkriechen.

Das Schlafzimmer ist dunkel, die Jalousie hab ich heute Abend schon runter gelassen, bevor ich zu Sven bin. Es war ja geplant, dass ich bei ihm schlafe, wie schon so oft. Obwohl ich das in den letzten Monaten vermieden habe, nachdem ich eines Morgens aufgewacht bin und ihn eng umschlungen gehalten habe. Zum Glück hat er noch fest geschlafen und es nicht mitbekommen, und ich hab so getan, als ob nichts gewesen wäre. Diese Gelegenheit werde ich wohl auch nie wieder bekommen.

Der Gedanke treibt mir wieder die Tränen in die Augen, während ich mich mechanisch ausziehe und dann ins Bett krieche. Eigentlich möchte ich nur noch schlafen, und dann aufwachen und erleichtert feststellen, dass es nur ein schlimmer Traum war. Aber das war es nicht. In mir drin fühlt sich alles wund an. Es tut weh und ich ergebe mich in mein Elend. Ziehe die Decke über den Kopf, rolle mich eng zusammen und heule so richtig los.

Sven

Was war das denn??? Hat Florian mich im Ernst gerade geküsst? Ich starre meinen besten Freund, in den ich schon seit einer halben Ewigkeit verliebt bin, völlig entgeistert an. Wie oft habe ich mir schon gewünscht, dass er mich küsst? Aber jetzt, wo es passiert ist, kann ich es nicht fassen und bringe kein Wort heraus. Neben mir kocht Marco offensichtlich vor Wut. Das ist mir egal, ich kann einfach nur Florian anschauen.

Er erwidert den Blick, wartet scheinbar auf eine Reaktion von mir. Aber ich kann nicht reagieren, bin wie gelähmt. Florians Augen füllen sich mit Tränen, dann dreht er sich um und weg ist er. Und ich stehe immer noch wie festgenagelt da und bin unfähig, mich zu bewegen.

„Baby, bist du okay? Der tickt doch nicht mehr richtig!“, redet Marco auf mich ein. Er geht mir gerade ziemlich auf die Nerven. Als er heute Abend einfach so aufgetaucht ist, wollte ich keine Szene machen. Auf einen mehr oder weniger kommt es bei solchen Partys nicht an. Aber im Moment wünsche ich ihn weit weg.

„Er ist nicht dein Baby, sondern Florians“, bringt Frank, der neben mir aufgetaucht ist, es auf den Punkt. „Sven, geh ihm hinterher. Bring das in Ordnung. Jeder Blinde kann sehen, dass ihr ineinander verliebt seid. Bloß ihr beide nicht.“

Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt. Die ganze Zeit über habe ich zu niemandem etwas gesagt. Sind meine Gefühle für Florian so offensichtlich? Scheinbar schon. Aber halt mal – ineinander verliebt?

„Florian ist nicht in mich verliebt.“ Mein Protest ist nur halbherzig, weil ich mir so sehr wünsche, dass er es doch ist.

„Klar ist er das. Vielleicht noch nicht so lange wie du in ihn, aber dennoch schon eine ganze Weile. Ihr beide seid so damit beschäftigt, eure Gefühle zu verbergen, dass keiner von euch es rafft.“ Frank lächelt mich an und boxt mir ganz sanft mit der Faust gegen die Schulter. „Geh schon. Ich sorge dafür, dass hier alle verschwinden.“

Einen Moment lang zögere ich noch, aber Florians Blick und die Tränen in seinen Augen gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Mein Herz schlägt schneller, als ich überlege, ob Frank wirklich recht hat. In rascher Folge jagen mir verschiedene Begebenheiten aus den letzten Wochen und Monaten durch den Kopf. Florian, wie er schlecht gelaunt ist, wenn ich mir einen schnellen Fick suche. Dabei hat ihn das früher nie gestört. Wie ich ihn manchmal dabei erwische, dass er mich seltsam anschaut, dann aber schnell wegsieht, wenn er sich ertappt fühlt. Aber besonders jener eine Morgen vor ziemlich genau drei Monaten.

Da bin ich morgens in seinen Armen aufgewacht, den Rücken eng an seine warme Brust geschmiegt. Im Schlaf hat er mich fest umarmt und sein Gesicht in meinem Haar vergraben. Ich habe einfach nur dagelegen und diese Nähe genossen. Als er aufgewacht ist, habe ich so getan, als würde ich noch fest schlafen, obwohl mein Herz gerast hat wie verrückt. Habe ich damals darauf gewartet, dass irgendwas zwischen uns passiert? Gehofft habe ich es jedenfalls.

Florian lag einfach eine Weile da und hat gar nichts gemacht, außer seine Nase noch etwas tiefer in meinem Haar zu vergraben. Minutenlang, ohne sich zu bewegen. Ich bin zu feige gewesen, etwas zu unternehmen. Die Angst, dass Florian dahinter kommt, was ich für ihn empfinde, hat mich davon abgehalten. Schon vor langer Zeit habe ich beschlossen, dass es besser ist, ihn wenigstens als Freund in meinem Leben zu haben, als gar nicht. Unsere Freundschaft wollte ich nie aufs Spiel setzen, so sehr ich mich auch nach mehr sehne.

Ganz vorsichtig hat er sich an jenem Morgen von mir gelöst und nie ein Wort darüber verloren. Allerdings hat er dann lange Zeit nicht mehr bei mir übernachtet. Nur noch zweimal, um genau zu sein, und beide Male hat er auf dem Sofa geschlafen. Ich würde mich zu viel herum wälzen, hat er das begründet. Kann ich nicht beurteilen, beschwert hat sich vor ihm aber noch keiner. Was aber, wenn es gar nicht daran lag? Wenn er genauso mit seinen Gefühlen zu kämpfen hat wie ich?

„Sven!“ reißt Frank mich aus meinen Gedanken. Keine Ahnung, wie lange ich hier schon stehe und grübele, aber mein Freund holt mich in die Realität zurück. „Willst du ihn wirklich so gehen lassen?“

Darüber muss ich nicht nachdenken. „Nein, das will ich nicht, und ich werde es auch nicht. Ihr könnt hierbleiben und weiter feiern. Fackelt nur die Wohnung nicht ab.“

Frank lächelt. „Wir passen schon auf, keine Sorge.“

„Danke. Für alles.“ Mit diesen Worten wende ich mich zum Gehen, aber eine Hand hält mich auf.

Marco. Den hatte ich irgendwie völlig ausgeblendet. „Du willst jetzt nicht wirklich gehen, oder?“ Er sieht mich mit einer Mischung aus Ärger und Erstaunen an. „Hey, das ist doch deine Party. Du kannst nicht einfach abhauen!“

„Kann ich sehr wohl“, gebe ich genervt zurück. „Und zu der Party warst du nicht eingeladen, wie du dich vielleicht erinnerst? Außerdem geht es dich nichts an, was ich mache.“

Marco zieht wütend die Brauen zusammen. „Du haust wirklich ab? Zu diesem Kerl? Ist er der Grund, weshalb ich dich vorgestern nicht ficken durfte? Dieser Typ?“

Daher weht also der Wind. Ja, ich hab mit Marco geknutscht und auch gefummelt, aber zu mehr war ich nicht bereit. Das habe ich ihm allerdings vorher gesagt, und er hat es akzeptiert. Offenbar hat es an seinem Stolz gekratzt, dass ich nicht mit ihm ins Bett gehen wollte. Dass Marco sich in mich verliebt hat, halte ich für ziemlich ausgeschlossen. Er kannte die Regeln. Wenn er jetzt mehr will, kann ich es nicht ändern. Denn ich liebe Florian. Zum ersten Mal spreche ich es laut aus.

„Ja, genau. Florian ist der Grund, warum ich nicht mit dir schlafen wollte. Ich liebe ihn.“ Es tut gut, es endlich zu sagen. Sollen es ruhig alle wissen, aber das tun sie ja offenbar sowieso. Ich ziehe die Brauen hoch und starre auf die Hand, die noch immer meinen Arm festhält.

„Lass mich los.“ Er tut es tatsächlich, und im nächsten Moment bin ich schon im Flur. „Schnapp ihn dir, Tiger!“, ruft mir jemand hinterher, als ich schon meine Jacke überziehe. Keine Ahnung, wer mich da anfeuert, aber das ist auch egal.

„Werde ich!“ gebe ich zurück, ohne mich nochmal umzudrehen. Gleich darauf fällt die Tür hinter mir ins Schloss. Als ich wenig später auf der Straße stehe, frage ich mich, wo Florian sein könnte. Eigentlich überall, aber entweder sitzt er in einer Kneipe und betrinkt sich gerade, oder er ist nach Hause gefahren. Ich tippe auf letzteres, so schlecht, wie er drauf war. Florian ist keiner, der in so einer Situation in eine Kneipe geht. Wenn es ihm richtig mies geht, ist er am liebsten allein. Also werde ich es zuerst in seiner Wohnung versuchen.

Ich jogge bis zu dem Taxistand an der nächsten Ecke und lasse mich gleich darauf auf einen Rücksitz fallen. Etwas atemlos nenne ich dem Fahrer Florians Adresse. Es geht mir viel zu langsam, ungeduldig spiele ich während der Fahrt mit dem Schlüsselbund in meiner Jackentasche. Der Reserveschlüssel zu Florians Wohnung ist auch daran befestigt. Außer mir hat niemand den Schlüssel zu seiner Wohnung, und umgekehrt ist es genauso. Normalerweise klingele ich, aber heute Abend werde ich mir das sparen, beschließe ich, als das Taxi endlich vor dem Häuserblock hält, in dem Florian wohnt. Selbst wenn er zuhause ist, wird er sicher nicht öffnen.

Während ich mit dem schneckenlahmen Aufzug – Herrgott, kann das Ding nicht schneller fahren? – nach oben zuckele, sehe ich wieder Florians Gesicht vor mir. Die Tränen in seinen Augen. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Kann ich das wieder hinbiegen? Ich will meinen besten Freund zurück, aber ich will auch den Mann, den ich liebe. Hoffentlich hat Frank recht und Florian gibt mir – uns – eine Chance.

Vor der Wohnungstür bleibe ich stehen, atme kurz durch und versuche, mich zu beruhigen. Meine Hände zittern so sehr, dass ich Mühe habe, den Schlüssel ins Schloss zu schieben. Leise sperre ich auf und bin wahnsinnig erleichtert, dass Florian auch an diesem Abend nicht die Kette vorgelegt hat. Das macht er eigentlich nie, und oft genug habe ich ihm gesagt, wie leichtsinnig das ist. Jetzt bin ich einfach nur froh, dass er es nicht tut.

Die Wohnung ist dunkel. Ist Florian etwa doch nicht nach Hause gefahren? Aber als ich Licht anmache, sehe ich seine Jacke auf dem Boden liegen, achtlos fallen gelassen. Das ist sonst gar nicht seine Art. Um noch einen winzigen Moment Aufschub zu haben, bücke ich mich und hebe sie auf, vergrabe die Nase in dem warmen Futter. Der Stoff riecht nach ihm. So gut.

Ich habe keine Ahnung, was ich ihm sagen soll. Oder was ich tun soll. Was mich hier erwartet. Ein leises Geräusch dringt an mein Ohr. Das kam aus dem Schlafzimmer. Da ist es wieder, und als ich dieses Geräusch schließlich erkenne, bleibt mir fast das Herz stehen. Florian weint, und ich komme mir in diesem Moment unglaublich mies vor. Ich habe ihn verletzt, und dieses Wissen tut so weh, dass mir Tränen in die Augen steigen.

Ohne noch länger nachzudenken, stehe ich gleich darauf vor der Schlafzimmertür und öffne sie leise. Es ist dunkel im Zimmer und viel Licht fällt vom Flur nicht herein. Gerade genug, um zu erkennen, dass Florian sich unter der Bettdecke eng zusammen gerollt hat. Mir ist zumute, als würde jemand ein Messer in meinem Herz herum drehen, als er wieder ein Schluchzen von sich gibt. Die Tür lasse ich einen Spalt offen, als ich achtlos die Schuhe von den Füßen trete, zum Bett gehe und die Nachttischlampe einschalte.

Florian hat sich die Decke über den Kopf gezogen und bekommt nichts mit, bis ich mich neben ihn lege. Erschrocken fährt er zu mir herum, stößt dabei die Decke halb von sich und starrt mich an. Scheiße. Sein schmales Gesicht ist nass von den Tränen, und sein trauriger Blick geht mir durch und durch. Er rückt von mir weg, bringt mehr Abstand zwischen uns. Verdenken kann ich es ihm nicht, weh tut es trotzdem.

„Was willst du hier? Dein Mitleid kannst du dir sparen! Hau ab!“ Seine Stimme klingt rau, als er mich so anfaucht.

Hart schlucke ich den Kloß in meinem Hals hinunter und schüttele den Kopf. Mitleid? Glaubt er wirklich, ich bin deswegen hier? Klar tut es mir leid, dass ich ihn verletzt habe. Aber ich bin hier, weil ich ihn liebe, nicht weil ich Mitleid mit ihm habe. Das muss ich ihm wohl begreiflich machen. Es ist Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen.

„Ich liebe dich.“

Drei kleine Worte, die bei Florian offenbar wie eine Bombe einschlagen. Seine hellbraunen Augen weiten sich und starren mich fassungslos an. „Was?“

„Ich liebe dich“, wiederhole ich so ruhig, wie es mir möglich ist.

Er starrt mich immer noch an. Die Sekunden ziehen sich endlos in die Länge, während ich auf seine Reaktion warte. Es tut weh, als er schließlich den Kopf schüttelt und noch ein Stück zurückweicht. Aufgeben werde ich deshalb trotzdem nicht, jetzt nicht mehr. Es ist zu spät, um zu der kumpelhaften Freundschaft zurückzukehren, die uns seit 18 Jahren verbindet. Jetzt heißt es Alles oder Nichts. Ganz tief atme ich durch.

„Florian … Ich liebe dich schon sehr lange. Ich hatte nur nie den Mut, dir das zu sagen oder zu zeigen. Es tut mir leid, dass ich mich vorhin wie ein Idiot benommen habe. Ich habe so lange davon geträumt, dich zu küssen, aber ich dachte nie, dass es jemals passieren würde. Du hast mich mit diesem Kuss völlig überrumpelt. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass du mich nach all den Jahren wirklich küsst, nachdem ich mir das doch schon so lange wünsche.“

Immer noch starrt er mich ungläubig an, aber als ich langsam näher rücke und die Hand in seinen Nacken lege, weicht er nicht weiter zurück. Das ist ein Anfang. Hoffe ich jedenfalls. Sanft ziehe ich ihn näher und lasse seinen Blick dabei nicht los.

„Lass es mich dir zeigen. Ich möchte dich küssen. Nur einen Kuss, mehr verlange ich nicht.“

Sein Atem geht bei meinen Worten etwas schneller. „Nur ein Kuss“, flüstert er, während ich sanft seinen Nacken streichele und meinen Daumen über die zarte Haut hinter seinem Ohr gleiten lasse.

„Nur ein Kuss“, nicke ich und als ich die Entfernung zwischen uns überbrücke, kommt er mir ein winziges Stück entgegen.

Mit meinen Lippen schmuse ich sacht über seine, immer wieder, bis ich schließlich den Druck etwas verstärke. Nur ein winziges bisschen. Es ist Florian, der mit einem leisen Seufzer den Kuss vertieft. Ich gebe nur zu gern nach, lasse seine Zunge ein und lege alle Gefühle, die ich jahrelang in mir vergraben habe, in diesen Kuss.

Als er sich enger an mich schmiegt und meine Umarmung erwidert, fasse ich einen Vorsatz für das neue Jahr: Florian glücklich machen. Das ist ein Vorsatz, den ich gerne einhalten werde.


Florian

Seine Arme schlingen sich von hinten um mich. Svens warmer Körper kuschelt sich an den meinen. Ich mag es, wenn er mich so umarmt. Er ist einen halben Kopf kleiner als ich und schmiegt sein Gesicht zwischen meine Schulterblätter. Streckt sich dann ein wenig und haucht mir einen Kuss in den Nacken. Gänsehaut pur. Ich bin total verrückt nach ihm. Er nach mir auch, das weiß ich inzwischen.

„Hey, Romy. Alles klar bei dir?“ Mein Brummen lässt ihn leise auflachen. Verdammter Kerl. Er weiß, dass ich den Spitznamen inzwischen gerne höre. Er bezieht es gar nicht auf meinen zweiten Vornamen – Romulus, danke, liebe Eltern! – wie ich immer dachte.

„Ich konnte dir doch nicht sagen, dass du in meiner Vorstellung immer mein Romeo warst“, hat er mir erklärt.

Sein Romeo. Ich schmunzele bei dem Gedanken. Zum Glück ist es zwischen uns viel besser ausgegangen als zwischen dem tragischen Liebespaar. Heute sind wir genau ein Jahr zusammen. Es ist Silvester, und das letzte Jahr war das schönste meines Lebens. Bis jetzt jedenfalls. Das kommende Jahr wird genauso schön, davon bin ich fest überzeugt. In sechs Wochen ist Valentinstag. Ich freu mich so auf diesen Tag. Bin gespannt, wie Sven die Ringe gefallen, die ich ausgesucht habe.


~~~ Ende ~~~


Impressum

Texte: Christina McKay
Bildmaterialien: Pixabay.com, Covergestaltung: Christina McKay
Lektorat: M. Kiess
Tag der Veröffentlichung: 21.03.2015

Alle Rechte vorbehalten

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