Den bleichen Engel sah ich schweben,
Mein Kind, um deine Lagerstatt;
Noch rangst du um dein kleines Leben,
Dein Geist jedoch war irr und matt.
Du sah’st nicht, wie mit heißen Tränen
Die Mutter Kuss dir gab um Kuss,
Nicht, wie in Angst und Hoffnungswähnen
Ich stand an deines Bettchens Fuß.
Die Brust von Lieb’ und Weh durchdrungen,
Rief ich den teuern Namen laut –
Da hast du dich emporgerungen
Und hast noch einmal aufgeschaut.
Du hast mein Antlitz nicht gesehen;
Dein Auge folgte nur dem Schall,
Doch schiens dich freundlich zu umwehen
Wie süßer Tage Widerhall.
Hast du im wirren Traum empfunden,
Dass dir dieselbe Stimme klang,
Die einst in glücklich schönen Stunden
Dir traute Kinderlieder sang ? –
Ein letztes müdes Lächeln dankte –
Auf grauer Flur ein Sonnenblick! –
Das kleine, blasse Antlitz schwankte
Ins weiße Bettchen dann zurück.
Die großen, irren Augen sanken
Zum trüben Schlummer wieder ein –
Ich aber will dir ewig danken
Für diesen letzten Sonnenschein.
Der Engel Spielgenoss zu werden,
Gingst du hinauf in’s ew’ge Licht,
Doch ich vergesse hier auf Erden
Dein letztes, liebes Lächeln nicht.
Um die bunten Scheiben webet
Mailicht, dämmernd süß und bang,
Durch die Kemenate bebet
Lautenschlag und Minnesang.
Und die Maid mit holdem Zagen
Blickt zum Sänger still empor,
Wonnig wie aus allen Sagen
Tönt sein Lied ihr an das Ohr:
„Meines Schlosses lichte Wände
Spiegeln freundlich sich im Rhein
Und aus grünem Rebgelände
Schaut es weit ins Land hinein.
Diener hab ich und Vasallen,
In den Truhen edles Erz,
Säulenstolze, hohe Hallen
Und ein krankes, wundes Herz.
Aus den Ahnenbildern schauen
Ihres Stammes letzten Mann
Bange Augen schöner Frauen
Vorwurfsvoll und fragend all;
Dass ich nicht mehr einsam weile
Bei des Lenzes Hochzeitsluft,
So erhör mein Flehen, heile
Meine sehnsuchtskranke Brust!“
Mit dem letzten Ton der Laute
Schweigt des blonden Knaben Mund;
Enger schmiegt sich all die Traute
Kosend der getreue Hund;
Nach dem schönen Sänger wendet
Innig sie das Aug empor,
Und ein ganzer Himmel sendet
Seine Strahlen draus hervor.
„Nicht dein Schloss am grünen Rheine
Lockt mich, nicht dein edles Erz,
Nicht Gelände, reich an Weine,
Mich erbarmt dein wundes Herz.
Küssen will ich manche Stunde
Deinen Liedermund so warm,
Dass dein krankes Herz gesunde
In der Liebe weichem Arm.“
Ein kleiner Friedhof! An der Mauer
Stand Kreuz und Denkmal groß und klein,
Dazwischen auch ein altersgrauer,
Bemooster, helmgezierter Stein.
Mit Forscherlust begann zu schaben
Das Moos vom grauen Stein ich fort,
Und als ich lange schon gegraben,
Las endlich ich das ernste Wort.
„O forsche nicht!“
Da hielt ich tieferschrocken inne,
Ein Frevel schien mir, was ich tat;
Wehmütig ward es mir zu Sinne;
Der unbekannte Tote bat:
„O lasse ruhn mich müden Recken,
Den lange schon der Tod besiegt,
Und wolle nicht aus Neugier wecken,
Was mit mir hier begraben liegt –
O forsche nicht!
Was kanns Dir Nachgebornem frommen,
Wenn Dir mein Grabesstein verriet,
Wann ich in diese Welt gekommen
Und wann ich wieder von ihr schied?
Ob ich für Ehr und Pflicht gestritten,
Ob Treu und Eid ich brach entzwei,
Ob Unrecht ich getan, gelitten –
Was kümmerts Dich – es ist vorbei.
O forsche nicht!“
Seither vergingen Jahr und Stunden,
Ohn dass ich ihn vergessen kann,
Den stillen Ort, den ich gefunden
In Böhmen einst im grünen Tann.
Und treff’ ich auf ein Menschenwesen,
Dem schwere Zeit grub Runen ein,
Denk ich des Worts, das ich gelesen
Auf jenem übermoosten Stein:
„O forsche nicht!“
Wem gilt Dein Lied, Du schöner Knabe?
Dein Auge spricht; es schweigt Dein Mund,
Und Deiner reichen Liedergabe
Lauscht niemand, als Dein treuer Hund;
Es klingt so wunderseltsam süße,
So wehmutsvoll und doch so traut –
Wem bringst Du, Page, solche Grüße
Mit Deiner Mandoline Laut?
Dein Vater fiel im heil’gen Lande –
Ihn traf ein Sarazenenpfeil;
Am heißen, stillen Cydnusstrande
Ward ihm ein einsam Grab zuteil.
Dem besten Bruder war beschieden
Der Tod in der Mongolenschlacht,
Und wo die Ahnen ruhn in Frieden,
Ward Mütterchen zur Ruh gebracht.
Will um verlor’ne Tote klagen
Dein Lied so weich und goldig rein?
Willst Du in Tönen ihnen sagen,
Wie Du in weiter Welt allein? –
Allein! – Bist wirklich Du verlassen,
Schläft alle Deine Lieb im Grab,
Und will Dich niemand warm umfassen
Mit lindem Arm, Du schöner Knab? – –
Es steht, von Rebengrün umsponnen,
Am Oderstrand ein weißes Haus;
Im warmen Strahle sich zu sonnen,
Blickt dort ein blondes Haupt heraus.
Die süßen Augen blinzeln müde;
Die Locken wehen leicht im Wind;
Es ist, als lausche fernem Liede
Das wunderholde, liebe Kind.
Du kennst das Haus, schwarzlock’ger Knabe,
Und kennst der süßen Augen Stern;
Weit mehr als Deiner Lieder Gabe
Gäbst Du der Holden gar zu gern.
Still sehnend träumst Du noch vom Glücke
Wie von dem fernen Wunderland –
Getrost, Dein Lied baut Dir die Brücke,
Die sich von Herz zu Herzen spannt.
Noch einmal lass den Arm mich schmiegen
Um Deinen Hals und schau mich an!
Dann zieh mit Gott, er helf Dir siegen,
Du einziger, geliebter Mann!“
Er küsst der Trauten Mund und Wange,
Schlingt seinen Arm um ihren Leib
Und schaut sie an so heiß und lange:
„Behüt Dich Gott, herzgüldnes Weib!
Sieh nicht so trüb, Du sollst nicht zagen,
Mach mir das trotz’ge Herz nicht weich!
Wohl gehts hinaus zu ernstem Wagen,
Doch meine Seele bleibt bei Euch.
Leb’ wohl, mein Kind, mein kleinster Knabe,
Du spielst Großmütterchen im Arm,
Ahnst nicht, wie ich so lieb Dich habe,
Und fühlst noch nicht des Abschieds Harm.
Du aber streckst den Arm entgegen
Voll Bangen mir, mein Mägdlein mild;
Will meine Hand aufs Haupt Dir legen:
Bleib Deiner Mutter Ebenbild!
Und Du, mein Ält’ster in dem Reihen,
Des Vaters Stolz, mein mut’ger Schelm,
Gott lass Dich wachsen und gedeihen
In deutscher Art! – Nun reich’ den Helm!“
Von draußen ruft des Hiefhorns Tönen,
Der Knappe hilft ihm auf das Ross …
Im Tore hallt des Hufschlags Dröhnen
Und auf dem Burgweg jauchzt der Tross.
„Leb’ wohl, du meiner Väter Halle!“
So ruft er laut; die Tücher wehn
Im Torweg – „Gott beschütz euch alle! –
Ihr Hörner, blast! – Auf Wiedersehn!“
Die Bäume entlaubt des Herbstes Kuss;
Kühl weht sein Odem über den Fluss;
Da gleitet bei trüber Morgenglut
Ein Nachen durch die stille Flut.
Ein Mägdlein sieht aus verfall’nem Haus,
Die Letzte des alten Stammes, hinaus
In fremde Fernen, Gott weiß wie weit,
Die treue Lose als einzig Geleit.
Am andern Ufer legt der Kahn
Zwischen flüsterndem Schilf und Röhricht an;
Hier wendet die blonde Maid den Blick
Noch einmal zum Hause der Väter zurück.
Dort drüben liegts so still und müd;
Der Morgenschein an den Mauern glüht
Und über die grauen Türme hin
Nach Süden schweigende Vögel ziehn.
„Du Stätte, wo meine Wiege stand,
Wo ich der Jugend Freuden fand,
Wo meiner Ahnen Asche ruht.
Leb wohl und bleibe in Gottes Hut!
Ihr Wandervögel, gegrüßt seid mir!
Ich hab keine Heimat, gleich wie ihr;
Auf den Himmel, der euch das Nest wird baun,
Muss auch das Waisenkind vertraun.“
Da fasst die Gefährtin ihre Hand:
„Ihr geht nicht allein ins fremde Land;
Es schlägt für Euch in Luft und Schmerz
Getreu bis zum Tode mein armes Herz.“
Die Jungfrau zieht in Wehmut und Lust
Das Haupt der Genossin an ihre Gruft,
Aus ihrer Wimper quillt’s heiß hervor …
Die Wellen murmeln, es rauscht das Rohr.
Schlaflose Nacht! Kennst du sie nicht? –
Es losch des müden Tages Licht,
Die Nacht sinkt still und friedlich nieder,
Und schwer sind deine Augenlider;
Da ruhst du auf dem weichen Pfühl. –
Verstummt der Straßen laut’ Gewühl
Du hörst den Pendelschlag der Uhr,
Des eignen Herzens Pochen nur,
Vor deinem Fenster in den Bäumen
Rauscht es so leise – du willst träumen.
Doch weshalb kommt der Schlummer nicht?
Stört dich vielleicht das blasse Licht
Des Monds mit seinem matten Schimmer? –
Horch, eine Fliege summt durchs Zimmer;
Der unruhvolle, kleine Gast,
Er raubt dir die ersehnte Rast …
Du ärgerst dich – die Kissen drücken,
Du musst sie dir bequemer rücken –
Doch nun, aufs neu’ die Augen zu –
Rastlose Seele, halte Ruh!
Unklar verdämmern die Gedanken,
Und blasse Traumesbilder schwanken
Auf leisem Fittig schon herbei – –
Da tönt verhallend, fern ein Schrei.
War das im Traum, in Wirklichkeit?
Was soll der Schrei um diese Zeit?
Sucht sich ein Vogel noch sein Brot?
War es ein Mensch in Todesnot?
Du fährst empor, du lauschest still,
Ab sich nichts weiter regen will –
Doch stumm bleibt alles wie zuvor,
Und wieder legst du dich aufs Ohr.
Doch mit dem Schlafen ist’s vorbei.
Du hörst noch immer jenen Schrei,
Phantastisch spinnst du fort daran,
Und was Du sinnst, wird zum Roman.
Es fällt dir bei aus Jugendtagen,
Wie einen Wand’rer man erschlagen
Bei stiller Nacht im grünen Tann – –
So schrie wohl der unsel’ge Mann!
Und wenn du in die Jugendzeit
Dich erst verirrt, so frei und weit,
Dann will an dir vorüberschweben
Dein ganzes Leben.
Gestalten kommen auf Gestalten,
Du wehrst umsonst – sie müssen walten,
Die stille Nacht ist ja die Frist,
Da Geistern Macht gegeben ist!
Was dir an Lust und Leid beschieden
Seit Jahren war, stört dir den Frieden.
Lebendig wird, was längst verblich,
Verschlossne Grüfte öffnen sich,
Und groß erscheint die kleinste Schuld …
Da springst du auf in Ungeduld,
Dir ist so heiß – die Stirne brennt –
Die Fenster auf! – Am Firmament
Stehn mit dem lieben Licht die Sterne,
Die Erde schläft, nur aus der Ferne
Hallt leis der Schritt des Wächters wider
Du legst aufs neu’ zum Pfühl dich nieder.
Du denkst an das wogende Ährenfeld,
An des Meeres Welle, die steigt und fällt,
An alles, was dich beruhigen kann,
Umsonst, dein Schlaf kommt nicht heran.
Die Uhren scheinen still zu stehn,
Gleich abgelebten Greisen gehn
Die Stunden müden Ganges hin,
Und einen Wunsch nur hegt dein Sinn:
O, dass doch bald der Morgen käme
Und diese Nacht ein Ende nähme! …
Jetzt naht des Tages Dämmerschein,
Frührot erglänzt in das Zimmer herein,
Da weichen leise die Schatten der Nacht,
Die Geister schwinden still und sacht,
Und auf die müden Augenlider
Senkt sich ein sanfter Schlummer nieder …
Und du erwachst – schon ist es Tag,
Beruhigt ist des Herzens Schlag,
Das Leben zeigt dir neue Huld –
Wo bleibt, die dich gequält, die Schuld?
Dein Zimmer ist wieder voll Sonnenlicht…
Schlaflose Nacht! Kennst du sie nicht?
O heil’ge Nacht, voll Glück und Licht,
Du wundersamste aller Nächte,
Du bist das herrlichste Gedicht,
Wie Menschensinn es nie erdächte;
Dein Zauber füllt den ärmsten Raum,
Er klingt aus jeder Liedesweise,
Und duftend atmet ihn der Baum,
Der Baum mit seinem grünen Reise.
Aus längstverlornem, trautem Glück
Webt die Erinn’rung dir den Schleier,
Du führst den müden Greis zurück
Zu seiner Kindheit schönster Feier;
Du nimmst die Menschheit in den Arm,
Gleichwie die Mutter tut dem Kinde,
Dass Not und Elend, Sorg’ und Harm,
Sei’s auch für kurze Frist, entschwinde.
Wie heil’gen Friedens Unterpfand
Ertönt der Glocken festlich Grüßen,
Und durch das nächtlich stille Land
Ziehn Engel hin auf frommen Füßen;
Wo nur des Himmels Boten gehn,
Wird Licht und Liebe ausgegossen …
Doch Kindesang nur kann sie sehn.
Dem noch die Wunderwelt erschlossen.
Wir hören ihrer Botschaft Ton –
Doch lebt in uns der fromme Glaube?
Verscheucht nicht Zwietracht, Hass und Hohn
So oft des Friedens weiße Taube?
Die Menschheit ringt in Kampf und Streit,
Mit selbstgeschaffenen Beschwerden –
O hört das Wort voll Seligkeit,
Das Wort vom Frieden hier auf Erden!
O trinket aus der Liebe Born
In dieses Festes Feierstunden,
Vergesset Hass und Neid und Zorn
Und schlagt nicht, sondern heilet Wunden!
Zu euren Kindern lenkt den Blick,
Auf ihrem Antlitz stehts geschrieben:
Der Weihnachtsfeier reinstes Glück
Besteht im Geben und im Lieben.
O heil´ge Nacht, ersehnt in Kinderträumen,
Du Freudenfest für alle Christenherzen,
Du kamst und hell von tausend Tannenbäumen
Begrüßt dich der Glanz der Weihnachtskerzen:
Ihr Schein durchleuchtet mild die Winternacht,
In der in aller Welt die Liebe wacht.
Von allen Türmen ruft ein festlich Läuten,
Und durch die stille Nacht bei Schnee und Wind
Zum Haus des Herrn andächt´ge Menschen schreiten,
Zu grüßen dort das neugeborne Kind,
Das einst die sündenvolle Erdenwelt
Mit seines Lichtes Fülle hat erhellt.
Und frommer Sinn erblicket Betlehems Palmen,
Er sieht in Himmelsglanz die Engel schweben,
Er hört der armen Hirten Jubelpsalmen
Und schaut, wie sie mit andachtsvollem Beben
Sich beugen vor dem Kind auf Stroh und Heu-
Und Betlehems Wunder wird alljährlich neu.
O blick in deines Kindes Augensterne,
Wenn du den Glauben ihm nicht geraubt
Und hör aus seinem Munde, wie so gerne
Es an das Christkind und sein Kommen glaubt:
Dann fühlst du, wie dich still ein Weh erfasst,
Weil du nicht mehr den Kinderglauben hast.
Drum lasset froh bei lichtbestrahlten Bäumen
In dieser Nacht bei Klang der Weihnachtslieder
Noch lange harmlos euer Kindlein träumen,
Und werdet mit ihm selbst zum Kinde wieder,
Der Strahl, der fromm aus seinen Augen bricht,
Er birgt für euch der Weihnacht schönstes Licht.
O winterlich stille Einsamkeit!
Fern tönen verhallende Glocken,
Der Himmel ist grau und alles verschneit,
Und immer noch rieseln die Flocken.
Der Wind fegt rau durch Wald und Flur,
Hoch weht es den Schnee an der Hecke,
Und weder Pfad ist zu sehn, noch Spur,
Weithin nur die glitzernde Decke.
Die Zweige beugen sich unter der Last
Des blinkenden Flaumes nieder,
D’rauf halten Vöglein traurige Rast
Und schütteln den Schnee vom Gefieder.
Wie friert und hungert die kleine Schar
Am trüben Wintertage:
O, wärs wieder Lenz und der Himmel klar,
O, blühten die Rosen im Hage!
Und wo der Zufall ein Körnchen streut,
Verweht vom eisigen Winde,
Da fliegt es herbei, es piept und schreit
Und zankt und pickt so geschwinde.
Doch mancher muntere, kleine Gast,
Der im Sommer dir sang seine Lieder,
Sinkt kalt und tot vom verschneiten Ast
Und sieht den Lenz nicht wieder.
O, schaust du hinaus auf den schimmernden Schnee,
Behaglich, im Kreise der Deinen,
So denke daran: der Hunger tut weh -
Und vergiß nicht die frierenden Kleinen!
Das ist in eisiger Winterzeit.
Im Gebirge das Städtchen liegt tief verschneit,
Durch die nächtliche Gasse weht kalt der Wind,
Da huscht es auf eiligen Füßen geschwind
Mit dem Klöppelkissen unter dem Arm
Herein in den Raum so traulich und warm,
In die Hutzenstube.
Da sitzt der Mägdelein fröhlicher Kreis,
Sie regen die zierlichen Hände mit Fleiß,
Wie im Takte schlagen die Klöppel an –
Wer wohl am flinksten klöppeln kann?
Im alten Ofen die Flamme surrt,
Auf der Bank am Fenster das Kätzlein schnurrt
In der Hutzenstube.
Nun pocht es am Laden – herein, herein!
Das mögen die Burschen, die losen, sein;
Und bald zu der Klöppel emsigem Gang
Erschallt der Harmonika fröhlicher Klang,
Dann lacht es und singt es und scherzt in der Rund
Bis nah zur mitternächtlichen Stund
In der Hutzenstube.
Im engen Stübchen in stiller Nacht
Wird machnes Kunstwerk fertig gebracht;
Das schmücket dereinst ein Prunkgewand,
Doch arm bleibt, die es geschaffen, die Hand:
Die trägt die zierlichen Spitzen nicht,
Die einst sie geklöppelt bei müdem Licht
In der Hutzenstube.
Doch froh ist das Herz und leicht ist der Sinn –
Du Reichtum der Welt, fahr’ immer dahin!
Was nützt die köstlichste Spitze am Kleid,
Wenn das Beste dir fehlt – Zufriedenheit.
O du emsige Hand, o du lachender Blick,
Es wohnt auch für dich ein bescheidenes Glück
In der Hutzenstube.
Tiefverschneit, in müdem Schweigen
Ruht das Dörfchen – kein Sonnenschein!
Auf den schneebeladnen Zweigen
Ducken sich hungrige Vögelein.
Menschenleer ist Weg und Halde,
Schläfrig kräuselt der Rauch sich kaum,
Frierende Kinder nur schleifen vom Walde
Heimwärts den grünen Weihnachtsbaum.
Weihnacht! Das klingt wie süße Lieder,
Weht durch den Winter wie sonniger Hauch –
Hoffet, ihr Vöglein, der Frühling kehrt wieder,
Menschenherz, hoffe, dein Lenz kommt auch!
Der Lenz ist gekommen, die Erde erwacht,
Vorbei ist der Schlaf und die Winternacht,
Die Blumen sprossen am Bache, im Feld,
Der Himmel ist blau und sonnig die Welt.
Da wandern die Wichtlein aus engem Haus
In den lachenden Frühlingsmorgen hinaus,
’s bleibt Keiner zurück, selbst der lahme Ger
Trottiert auf einer Schnecke daher.
Sie ziehen schäkernd und singend waldein:
Zum Felsblock wird ihnen jeder Stein,
Das kleinste Rinnsal zur tiefen Schlucht,
Zur Keule des Eichbaums zierliche Frucht.
Da ragt es empor aus dem grünen Grund
So riesenhaft und weiß und rund.
Hei, wie sie erstaunt im Kreise steh’n!
Hat Keiner noch solche Eier geseh’n,
So blank, so glatt und gar so groß. –
Da ruft der Eine: „Ich schlage d’rauf los!“
Er hebt der Eichelkeule Schaft,
Sie saust hernieder mit Wucht und Kraft,
Schon splittert die Schale, da wächst der Mut
Auch der andern zaghaften kleinen Brut,
Sie kommen näher, die kühnsten Zwei
Erklimmen mit Mühe sogar das Ei –
Da brechen die Scherben – zur Öffnung, o Graus!
Sieht ein großes, behaartes Gesicht heraus,
Mit langen Ohren und weißem Zahn
Und mächtigem Schnurrbart angetan.
Da wird das Entsetzen der Wichtlein groß,
Sie purzeln durcheinander im Moos,
Sie tummeln sich eilig – husch, husch, husch!
Und verschwunden sind sie in Blattwerk und Busch;
Nur Ger im angsterfüllten Drang
Peitscht umsonst seine Mähre zu schnellerem Gang.
Aus dem Ei aber hüpft auf das junge Gras
Der lustige Schelm, der Osterhas’,
Und sieht den Frühling weit und breit
Und nickt und murmelt: „’s ist wahrlich Zeit!
Es geht ein Wehen wie Osterluft,
Da giebt es zu schaffen, die Jugend ruft,
Da heißt es, frisch in’s Zeug sich legen
Mit dem buntgefärbten Eiersegen!“ – –
Hei, wie er lustig von dannen springt!
Will hoffen, daß er auch mir etwas bringt.
Die Höhen umwebt ein blauer Duft,
Die Täler durchfächelt mild die Luft;
Es knospet und treibt mit stiller Macht –
Der Lenz ist gekommen über Nacht:
Es flüstert im Walde, es blüht im Hag,
Und Glocken verkünden den Ostertag.
Das Dörfchen ruht noch wie im Traum,
Doch ringsum grünt es an Strauch und Baum,
Und die Zweige klopfen ans Fensterlein
Und nicken in dumpfe Stuben hinein:
Und Menschenherzen, auf, erwacht,
Die Lerche singt, die Sonne lacht!
Die Blumen sind da und das Osterfest
Verjaget die Sorgen und vergisst
Des Lebens Mühe, des Winters Qual!
Das predigt der Frühling im blühenden Tal
Und hat seine Kirche sich gebaut,
So weit nur immer das Auge schaut.
Da drängen die Kinder zuerst hinaus
Aus engem, winterlichem Haus;
Sie springen so fröhlich im luft’gen Gewand
Und reichen dem Lenze die kleine Hand;
Sie pflücken Blüten im Sonnenschein
Und schauen so hell in die Welt hinein.
O folge still deines Kindes Spur
Und schmiege dich fromm ans Herz der Natur!
Was dich auch quält, verzage nicht,
Tu aus deine Seele dem Sonnenlicht!
Dann fühlst du in blühender Lenzeszeit
Des Kindes Osterseligkeit.
Es leuchtet sonnig der Frühlingstag,
Die Blüten duften im grünen Hag,
Da wandelt still durch des Gartens Au
Mit ihrem Knaben die bleiche Frau.
„Ach, Mutter, wie ist’s so schön ringsum
Und Du bist traurig, blass und stumm!“ –
„Wohl fächelt die Stirn mir der Frühlingswind,
Im Herzen ist’s Winter, mein armes Kind.
Es klang das Horn, das zum Streite rief,
Dein Vater hört’s nicht, er schläft so tief;
Sein Harnisch rostet, umflort ist sein Schwert,
Und Feinde bedräuen ihm Land und Herd.
Aus blühenden Gärten, aus fürstlichem Haus
Verjagt man die Seinen – ins Elend hinaus!“
Sie leitet weiter das schweigende Kind,
Umschlingt das Gewand ihm mit Blättergewind
Und reicht ihm die Rose mit schmerzlichem Kuss:
„Deiner Heimat letzter Blütengruß!“
Nun stehen sie still an der Mauer Rand
Und blicken hinaus ins sonnige Land;
Da schallt gedämpfter Rossestrab:
Ein Reiter sprengt den Hohlweg herab,
Auf braunem Hengste ein frischer Gesell,
Das Wamms von Sammet, die Waffen hell.
Die Frau an des Knaben Seite erschrickt,
Sobald sie des Ritters Antlitz erblickt:
Dem einstens das liebende Herz sie verletzt,
Der lang sie gemieden, er naht ihr jetzt.
Er hält an der Mauer sein edles Tier:
„Gertrudis, heut komm ich wieder zu Dir.
Wie ist Dein Antlitz so bleich wie Schnee,
Mir blutet das Herz, da ich Dich seh;
Du stehst mit Deinem Kinde allein –
Darf ich Dein Hort und Schützer sein?“ –
Es schweigt die Frau, doch der Knabe spricht:
„Du fremder Mann, so gut und licht,
Ja, schütze mich und mein Mütterlein,
Dann sollst Du so lieb wie der Vater uns sein!“
Die Herrin sieht bebend zum grünen Grund,
Sie schließt mit der Linken des Gnaden Mund,
Der aber reichet mit kindlichem Sinn
Dem Ritter das rote Röslein hin. –
Er nimmt es mit Hast aus der kleinen Hand:
„Das sei mir des Sieges Unterpfand!
Die Blüte werde des Helmes Zier,
Die rote Rose sei mein Panier!
Und kehre ich wieder aus glücklichem Streit,
Dann lege ab Dein Witwenkleid,
Dann komm ich, die weiße Rose zu frein;
Gertrudis, darf ich? – Du sagst nicht nein? –
Hinaus denn zum Streite, sei Gott mit mir.
Den Vater, mein Gnade, erkämpf ich Dir!“ – –
Er steckt die Rose an seine Brust,
Das Pferd trabt weiter durch Gras und Blust.
Die Frau sieht ihm nach in träum’rischer Ruh,
Dann küsst sie den Knaben und – lächelt dazu.
Maienzeit, o sel’ge Tage,
Weiß von Blüten Strauch und Baum –
Du mein süßes Mädchen, sage:
Scheint Dir’s nicht ein holder Traum?
Hoch vom Himmel Lerchenlieder,
Rings die Erde sabbatstill,
Und ich sinke vor Dir nieder –
Ahnst Du, was das werden will?
Selig schweift Dein Blick ins Blaue,
Trunken halt ich Deine Hand …
Lenz und Lust, soweit ich schaue,
Maienzeit in Herz und Land.
Der Sommer liegt auf dem waldigen Tal;
Durch die Blätter blitzt sein heißer Strahl.
Zwei Rosse traben selbander so sacht
Durch der Buchenhallen gründämmernde Pracht.
Es sitzt die Maid auf dem weißen Ross,
Auf dem dunkelfarb’nen der junge Genoss.
„Wie stumm, mein Knappe!“ – „Herrin, verzeiht,
Ich trage im Herzen gar heimliches Leid.“ –
„Und doch war allzeit beredt Dein Mund?
Erzähl mir ein Märchen zu dieser Stund!“ –
„Ihr habt zu gebieten; es sei Euch zu Dank
Die Märe, die Meister Gottfried einst sang!“ – –
Von den Lippen rollts ihm wie flüssiges Gold;
Er erzählt von Tristan und von Isold,
Und wie sie sich liebten so heiß und traut,
Obwohl sie von Cornewals König die Braut.
Wär die Seel’ auch verloren und himmlisches Glück,
Sie mussten sich lieben – das war ihr Geschick.
Sie konnten nicht lösen den süßen Bann,
Den ein Wundertrank ihnen angetan. –
Der Knab hat geendet: nun flüstert er bang:
„Glaubt, Herrin, Ihr an den Zaubertrank?“
Sie lächelt: „Ich wär ihn zu trinken gewillt,
Wenn er den Durst mir, den brennenden, stillt.“
Da späht er umher, und er sieht so hell
Von der Felswand sickern den silbernen Quell.
Er schwingt sich vom Sattel in glühender Hast,
Und Rosse und Reiterin halten Rast.
Statt des Bechers erfasst sein Barett er im Nu –
Die blonde Maid sieht ihm träumerisch zu.
Nun schlürft sie durstig mit rosigem Mund
Das glitzernde Nass vom sammtenen Grund;
Dann schaut sie dem Knaben ins Angesicht
Das leuchtet so seltsam; sein Auge spricht:
„O, wäre dies Wasser der Zaubertrank,
Der Isolde und Tristan zusammenzwang!“
Und wie sie es liest in des Blickes Glut,
Da wallt ihr wärmer zum Herzen das Blut;
Errötend hat sie sich zu ihm geneigt – –
Der Wald nur sieht es – der Wald, er schweigt.
Es keucht der Wind: die Möwe schreit
Um die felsigen Uferhöh´n;
Die Woge liegt blau und endlos weit,
Und weiße Segel weh’n. –
Nicht leben hier,
Nicht streben hier
Möcht ich zwischen Meer und Gestein,
Doch im Küstensand
Am weißen Strand
Möcht ich begraben sein.
Da sänge der Sturm seinen ewigen Sang
Mir um das tote Haupt,
Und trotz der donnernden Brandung Klang
Würd nicht, die Ruh mir geraubt. –
Durch die Buchen zöge der Vollmondschein;
Er zuckte am grauen Runenstein;
Dort stiegen Geister empor zur Nacht
Und hielten beim Göttermahle die Wacht;
Sie sängen ein altes, uraltes Lied,
Das grollend über die Düne zieht.
Doch weht vom Meere die Morgenluft,
Da stiegen sie wieder in ihre Gruft;
Um meinen Hügel wärs wieder still,
Wie´s Einer braucht, der schlafen will. –
Und käme des Weges ein Wandersmann
Und früher „Ihr Fischersleute, sagt an,
Wer fand am Strande hier die Ruh?“
Dann spräche wohl Einer und nickte dazu:
„Weiß nicht, welch Namen man ihm einst gab;
’s ist eines deutschen Sängers Grab.“
Texte: Anton Ohorn
Cover: Datore auf Basis einer Abbildung aus der "Gartenlaube"
Tag der Veröffentlichung: 02.09.2019
Alle Rechte vorbehalten