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Papa ist ne Tunte

 

Seit dem Tag, an dem meine Mutter meinen Vater zufällig in einem ihrer Frauenkleider erwischt hat, ist nichts mehr so wie es einmal war.

Mein Vater hatte an jenem Tag eine Marylin Monroe Perücke auf dem Kopf und war gerade dabei gewesen sich vor dem Badezimmerspiegel zu schminken. Meine Mutter ist völlig schockiert gewesen.

„Willst du mich etwa verarschen, Thomas?“ hat sie zu ihm gesagt.

Doch Papa hat ihr an den Kopf geworfen, dass sie ihn einfach nicht verstehen kann.

Und dann ist auf einmal alles ganz schnell gegangen: meine Mama hat viel geweint und wollte unbedingt die Scheidung. Aber Papa hat genauso viel geweint weil er sich eigentlich gar nicht scheiden lassen wollte. Was jedoch weder meine Mutter noch mein Vater wissen ist, dass auch ich viel geweint habe. Heimlich. Ich hätte in diesem Moment gerne einen Bruder oder eine Schwester gehabt. Dann hätte ich nämlich nicht so oft allein weinen müssen.

Es hat noch ein paar Monate gedauert bis mein Papa eines Tages plötzlich von zu Hause ausgezogen ist. Seitdem sehe ich ihn nur noch einmal in der Woche.

Eigentlich freue ich mich immer wenn ich ihn sehe. Auch wenn mir mein Vater oft peinlich ist und ich wegen ihm von manchen Mitschüler*innen in meiner Klasse gehänselt werde. Besonders beliebt bin ich zwar schon davor in meiner Klasse nie gewesen. Aber zumindest hatte man mich bisher in Ruhe gelassen. Doch letzten Sommer hatte mein Vater blöderweise ausgerechnet dann seinen freien Tag mit mir als unser Schulfest gewesen ist.

Er ist dort einfach in Frauenklamotten aufgekreuzt und somit zur großen Lachnummer meiner Schulkamerad*innen geworden. Ich habe mich für meinen Vater wirklich geschämt! Am liebsten wäre ich damals im Erdboden versunken.

„Wärst du lieber gar nicht erst hergekommen! Mir wäre Mama heute lieber gewesen!“ habe ich ihm vorgeworfen. Das musste ihn ziemlich hart getroffen haben, denn er hat mich nur sehr traurig angeschaut und ist dann in sein Auto eingestiegen. Als er an mir vorbeigefahren ist, habe ich gesehen wie er sich eine Träne aus den Augen gewischt hat. Danach hatte ich auch keine Lust mehr auf dieses blöde Schulfest und bin heimgegangen. Zu Mama.

Am darauffolgenden Tag ist mein Vater dann das Lieblingsthema in der Klasse gewesen. Immer noch haben meine Mitschüler*innen über ihn gelacht und daran hat nicht mal Frau Rosenberg, unsere Lehrerin, etwas ändern können. Obwohl sie sich ehrlich sehr viel Mühe damit gegeben hat meiner Klasse zu erklären, dass es Männer gibt die eben gerne lieber eine Frau sein wollen und sich deshalb auch so anziehen. Da haben sie nach der Schule aber nur noch mehr über meinen Vater gelacht und sogar zu mir gemeint, dass es ja sowieso allen klar gewesen sei, dass Frau Rosenberg mich verteidigt. Schließlich wäre ich ja der absolute Streber und obendrein noch der Lieblingsschüler von der Rosenberg.

Und der Lukas, einer der Coolsten in unserer Klasse hat mir dann, zu guter Letzt, noch einen Vogel gezeigt. Dabei hat er gemeint, dass doch bei meinem Papa eine Schraube locker wäre. Fast hätte ich mich deshalb noch mit ihm geprügelt!

Aber eben nur fast. Weil ich mich dann doch nicht getraut habe mich mit ihm anzulegen.

Schließlich ist der Lukas bei allen so beliebt, dass ganz sicher gleich drei andere Jungs ihm zur Hilfe geeilt wären um mit mir zu schlägern. Ich habe es also lieber sein lassen und bin dann in eine andere Richtung gelaufen.

„Dein Vater ist ‘ne Tunte, Leon! Und du, du bist ein Schisser!“ hat Lukas mir laut nachgerufen. „Hast du gehört, Leon? Du hast einfach keine Eier in der Hose! Genau wie dein Vater.“ habe ich sie alle wieder lachen hören.

Doch ich habe mich nicht mehr nach ihnen umgeschaut.

Ich wollte auf keinen Fall, dass sie es merken. Ich habe nämlich geweint.

 

 

Weihnachten ist tot

 

Wie gesagt, treffe ich mich mit meinem Vater eigentlich nur einmal in der Woche.

Aber in dieser Woche sehe ich ihn nun schon zum zweiten Mal.

Heute ist nämlich Heilig Abend und Mama hat Papa zu uns eingeladen damit wir zusammen Weihnachten feiern können. Zumindest heute haben meine Eltern mal vorgehabt einen auf „Superglückliche Familie“ zu machen. Doch leider ist ihnen das, wie immer, nicht gelungen.

Papa ist nämlich mal wieder als Frau verkleidet bei uns aufgetaucht und, obwohl ich mich wirklich auf meinen Vater gefreut habe, musste ich schlucken. Zumindest heute habe ich gehofft, dass er wenigstens mal so tun könnte als sei er ein ganz normaler Familienvater.

Ich wollte heute aber auf keinen Fall einen Streit vom Zaun brechen und so habe ich nichts gesagt. Ich habe so getan, als mache mir das nichts aus. Aber Mama muss es mir an meinem Gesicht angesehen haben wie enttäuscht ich war. Und schon hat sie meinen Vater angebrüllt: „Jetzt im Ernst? Das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein, Thomas! Ausgerechnet heute, an Weihnachten, wagst du es so bei uns aufzukreuzen? Du bist ja wohl völlig gaga! Hättest du dein bescheuertes Weibergetue nicht mal heute, wenigstens deinem Sohn zuliebe, bleiben lassen können? Wir haben doch schon genug Probleme wegen dir!“ Papa ist beleidigt und ich bin den Tränen nahe. Ich bin in mein Zimmer geflüchtet, habe mich an meinen Schreibtisch gesetzt und nun halte ich mir mit beiden Händen die Ohren zu.

Doch das bringt mir auch nicht viel. Die Stimmen meiner Eltern sind so laut, dass ich sie trotzdem noch hören muss! „Aber Tanja, ich bitte dich! Leon ist doch schon vierzehn Jahre alt und kein kleines Kind mehr. Irgendwann muss er es ja schließlich begreifen, was mit mir los ist. Ich will mich nicht mehr vor ihm verstellen oder ihn anlügen. Ihm etwas vorspielen, das ich nicht bin. Ich möchte von euch so akzeptiert werden wie ich jetzt bin.“ Papa fühlt sich also wieder einmal unverstanden. „Aber ich liebe euch doch! Trotzdem.“ höre ich ihn noch sagen. Jetzt höre ich meine Mutter laut losschluchzen: „Warum nur? Warum tust du uns das an? Hätte es dir denn nicht früher einfallen können, dass du eigentlich lieber eine Frau sein willst? Am besten noch bevor wir geheiratet haben? Dann hätte ich nie ein Kind mit dir gewollt!“

Als ich das höre, zieht sich in mir auf einmal der Magen zusammen, so dass es schmerzt.

Es tut mir sehr weh, dass mich Mama dann gar nicht erst gewollt hätte. Vielleicht hätten sie mich ja beide gar nicht gewollt… Ob ich vielleicht sogar daran schuld bin, dass die beiden unbedingt heiraten mussten? Doch plötzlich werde ich wütend. Nicht nur auf Papa weil er uns im Stich gelassen hat, sondern auch auf Mama. Wie kann sie nur so etwas sagen? Mama denkt doch auch nur an sich! Genauso wie Papa!

Angespannt lausche ich. Mit einem Mal ist es sehr still geworden, draußen im Wohnzimmer. Ob Mama wohl selber gemerkt hat, dass sie zu laut geschrien hat? Dass sie das eben lieber nicht hätte sagen sollen? Jetzt klopfen sie beide auf einmal an meiner Zimmertür.

„Alles klar, Leon? Komm doch bitte wieder zu uns ins Wohnzimmer. Schließlich ist doch Weihnachten und wir haben auch ein paar schöne Geschenke für dich.“ lädt Mama mich vielversprechend ein. „Wir streiten jetzt auch nicht mehr. Versprochen!“ beteuert mein Vater mit reumütiger Stimme.

Ich seufze und kämpfe immer noch mit den Tränen. Wenn ich ehrlich bin, dann ist mir die Weihnachtsfeier mit meinen Eltern total vergangen. Aber ich nehme mir vor, dass ich nicht weinen werde und setze eine gleichgültige Miene auf. „Von mir aus.“ sage ich nur und schlürfe lustlos aus dem Zimmer.

Immerhin haben sich meine Eltern ja wirklich voll ins Zeug gelegt mir heute einen schönen Abend zu bereiten. Auch der Tannenbaum im Wohnzimmer ist richtig festlich geschmückt. Papa verschwindet kurz ins Badezimmer. Als er wieder kommt, hat er sich umgezogen.

Er trägt jetzt wieder eine Hose und keine Perücke mehr und er hat sich sogar abgeschminkt. Jetzt sieht Papa wieder genauso aus wie früher, so wie ich ihn kenne. Für einen Moment schöpfe ich wieder neue Hoffnung. Vielleicht wird der Heilig Abend ja doch noch schön!

„Na, Leon? Dann wollen wir mal die Geschenke auspacken, was?“ lacht Papa auf einmal einladend und nickt zu mir herüber. Dankbar schaut Mama ihn an. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass Papa mir nur was vorspielt. Dass er sich nicht so ganz wohl fühlt. Sein Lachen wirkt so unecht. Wenn Papa früher immer gelacht hat, dann war sein Grinsen dabei so breit, dass ich sogar seinen Eckzahn sehen konnte. Doch heute sehe ich seinen Zahn nicht. Er schmunzelt nur und räuspert sich oft.

Auch Mama wirkt längst nicht mehr so wie früher. Sie ist so still geworden.

Früher hat sie viel mehr geredet. Vor allem an Weihnachten. Da hat sie Papa und mich immer aufgefordert zum Weihnachtsliedersingen. Doch heute müssen wir nicht singen.

Heute dürfen wir die Bescherung gleich machen.

Ich finde die ganze Situation schon etwas komisch und es fühlt sich irgendwie seltsam an. Gar nicht so richtig weihnachtlich. Meine Eltern sind so angespannt heute. Aber ich genieße es trotzdem, dass wir heute endlich mal wieder alle zusammen sind, so wie damals.

Unterm Weihnachtsbaum finde ich zwei Geschenke die ich auspacken darf:

eins von Mama und eins von Papa.

Zuerst packe ich Mamas Geschenk aus.

„Fröhliche Weihnachten, mein Großer!“ zwinkert Mama mir aufmunternd zu.

Ich freue mich und staune! Es ist die teure Play-Station die ich mir schon so lange gewünscht habe! Meine Mutter muss wirklich sehr viele Überstunden in ihrer Arbeit gemacht haben um mir die finanzieren zu können. Begeistert falle ich ihr um den Hals. Mama hat mich also doch lieb, sogar sehr!

Doch mein Papa scheint sich überhaupt nicht für mich zu freuen.

Er guckt irgendwie seltsam bedrückt aus und lehnt sich nun seufzend auf seinem Stuhl zurück. Vermutlich ist Papa jetzt neidisch auf Mama weil sein Geschenk nicht so teuer war. Aber ich will nicht, dass er sich deshalb schlecht fühlt. „Und jetzt packe ich mal deins aus, Papa. Bin schon gespannt was es ist!“ sage ich sofort und grinse ihm zu.

Doch als sein Geschenk zum Vorschein kommt, fällt nicht nur mir die Kinnlade runter sondern auch meiner Mama. Papa hat mir nämlich haargenau dieselbe Spielekonsole gekauft wie Mama! Während ich mir noch immer überlege wie ich jetzt am besten reagieren soll, wird Mamas, eben noch so friedliche, Gesicht sogleich wieder wütend.

„Typisch, Thomas! Weil du nie zuhören kannst! Ich habe dir doch am Telefon gesagt, dass ich die Konsole für Leon kaufe! Aber dir ist ja alles andere viel wichtiger als wir. Vor allem dein neues, ach so tolles Leben!“ zischt sie ihn böse an.

Noch ehe es zwischen meinen Eltern erneut zu eskalieren droht, mische ich mich ein:

„Auch dir Papa, vielen Dank. Ich weiß, ihr habt es beide gut gemeint. Weißt du was, Papa? Du tauschst die Konsole nach den Feiertagen einfach um und gibst mir das Geld. Ich könnte wirklich noch etwas mehr Taschengeld gebrauchen.“

„Naja“, meint Papa nachdenklich und nickt. „Das geht sicher. Ich habe ja noch den Kassenzettel daheim. Dann machen wir es halt so. Und im Sommer lade ich dich mal als Wiedergutmachung in den Freizeitpark ein, oder Leon?“ schlägt Papa dann vor und hebt seine linke Hand. „Geritzt!“ antworte ich zufrieden und schlage ein. Insgeheim hoffe ich aber, dass er sich dann im Freizeitpark nicht wieder wie eine Frau benehmen wird…

Versöhnlich wendet er sich nun an Mama. „Das ist doch nicht so schlimm, Tanja. Kann doch passieren, dass man mal was vergisst, oder?“

„Mal ist gut. Dir passiert so was doch ständig weil du nur dauernd andere, wirklich lächerliche Sachen im Kopf hast wie deine neuen und vollbekloppten Freundinnen zum Beispiel! Oder soll ich lieber Freunde zu so was sagen? Jedenfalls hörst du mir nie zu wenn ich dir etwas sage!“ mault Mama ihn beleidigt an. Jetzt reicht es meinem Papa aber auch und bevor ich noch etwas sagen kann, stänkern die beiden auch schon wieder munter drauflos.

„Jetzt hör schon auf, Tanja! Du weißt, dass meine Freunde Katja und Tina nichts dafür können. Es war ja alles meine eigene Entscheidung! Außerdem gebe ich mir doch wirklich Mühe auch weiterhin für euch beide da zu sein. Der ganze Spagat, den ich dabei ständig machen muss. Ständig muss ich dieses Doppelleben führen! Das strengt mich doch schon genug an! Da könntest du schon auch mal Verständnis zeigen und da darf man doch auch mal etwas vergessen!“

„Ich habe dir ja nicht gesagt, dass du unbedingt ein Doppelleben führen musst. Das wolltest du schon allein!“ schimpft Mama voller Genugtuung.

„Was soll ich denn noch alles tun, Tanja? Ich habe mich doch schon extra umgezogen um heute mal für meinen Sohn Familien-Papa zu spielen! Was verlangst du denn noch alles von mir?“ kontert Papa dramatisch. Sie sind beide so in Rage, dass sie mich gar nicht mehr bemerken. Als sei ich völlig Luft geworden für die beiden.

Ich bin den Tränen nahe und merke, wie enttäuscht ich von meinen Eltern bin. Papa spielt also nur noch Familien-Papa? Aber in Wahrheit ist er es nicht mehr. Nie mehr!

Ich habe nun endgültig die Nase von den beiden voll!

Ich stehe auf und knalle die beiden Spielekonsolen wütend auf den Boden.

„Wisst ihr was? Ich will eure scheiß Geschenke gar nicht! Lasst mich einfach nur in Ruhe, ihr beide seid einfach nur schrecklich!“ brülle ich meine Eltern an.

Erschrocken schauen sie mich nun an. Für eine kurze Zeit unterbrechen sie ihre dumme Zankerei.

„Sag mal, wie redest du eigentlich mit uns, Leon? Das geht so nicht!“ meint Papa in ruhigem Ton zu mir. Doch mir ist das jetzt egal. Mir sind die beiden nur noch zuwider.

„Von mir aus kannst du abhauen, Papa! Dann musst du dich auch nicht mehr so anstrengen ein Familien-Papa zu sein!“ höre ich mich heulend sagen.

Beschämt guckt Papa jetzt zu Boden. „Und du“, brülle ich aufgebracht meine Mutter an, „du kannst mich ja auch gerne allein lassen wenn du sowieso kein Kind mit Papa haben wolltest!“

„Aber Leon, wir haben dich beide doch wirklich sehr lieb.“ sagt Mama auf einmal ganz betroffen. „Ja, und egal was ist: wir bleiben doch immer deine Eltern.“ stimmt Papa ihr sogleich zu und lächelt dabei so friedlich wie ein frommes Lämmchen.

Ich bin jedoch mittlerweile stocksauer. Mein Herz klopft wie wild und sogar meine Hände zittern, so sehr hat mich ihr blöder Streit aufgeregt! Ich pfeife auf dieses gekünstelte und scheinheilige Weihnachtsgetue. Ich will sie nicht mehr sehen! Alle beide!

Darum lasse ich meine Eltern nun einfach im Stich, mitsamt ihren teuren Geschenken, und renne in mein Zimmer. Wütend knalle ich die Tür hinter mir zu und werfe mich aufs Bett.

Lange Zeit höre ich sie nicht mehr reden. Es scheint ganz still geworden zu sein im Wohnzimmer. Ob meine Eltern jetzt endlich mal ein schlechtes Gewissen haben und doch noch vernünftig geworden sind? Doch dann höre ich sie schon weiterstreiten!

„Das ist alles deine Schuld, Thomas! Weil du mit deinem Desinteresse und Egoismus immer alles kaputtmachen musst!“ höre ich meine Mutter meinem Vater vorwerfen.

„Es hätte ja so schön werden können heute. Aber du kannst ja einfach nicht Fünf gerade sein lassen und musstest ja unbedingt schon wieder einen Streit vom Zaun brechen! Und das wegen so einer dummen Lappalie!“ höre ich Papa entgegnen.

Nun wird Mutters Stimme aber erst so richtig schrill: „Lappalie? So etwas nennst du eine Lappalie, wenn man das Weihnachtsgeschenk für den eigenen Sohn verkackt? Hier ist der Beweis: und mal wieder nimmst du mich gar nicht ernst!“

So geht das noch eine ganze Weile weiter mit ihnen.

Dieses Weihnachten ist wirklich das beschissenste Weihnachten das ich jemals im Leben gehabt habe und ich hasse meine Eltern!

Doch dann, nach einer Weile, verfliegt der Hass und ich werde auf einmal so richtig traurig.

Plötzlich muss ich so oft schluchzen, dass ich meine Tränen nicht mehr länger zurückhalten kann und mein Kissen völlig nass weine. Dabei wird mir eines klar:

für mich ist Weihnachten dieses Jahr gestorben!

 

Auf den Hund gekommen

 

Meine Eltern müssen ernsthaft ein schlechtes Gewissen haben. Kaum zu glauben, wie sehr sie nach dem vermasselten Weihnachtsfest gegeneinander um mich buhlen.

Papa hat letztens großzügig seinen Geldbeutel gezückt, mir einen ganzen Fünfziger Extra-Taschengeld zugesteckt und mich obendrein noch zum Hamburgeressen eingeladen.

„Das lasse ich garantiert nicht auf mich sitzen, dass ausgerechnet dein Vater plötzlich den großzügigen Gönner spielt! Komm Leon, du kriegst jetzt endlich mal ein Paar neue Schuhe von mir!“ hat Mama daraufhin gemeint und ist mit mir gleich in das nächstbeste Schuhgeschäft gegangen. „Na, also. Die stehen dir doch gut!“ hat sie begeistert ausgerufen und dabei zufrieden in die Hände geklatscht während ich mit ihr, in meinen neuen Schuhen, aus dem Geschäft gelaufen bin.

Wieder zuhause hat sie dann sofort einen Apfelkuchen gebacken. Nur für mich allein!

Klar, ich könnte mich wirklich glücklich schätzen solche Eltern zu haben.

Sie tun viel für mich. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich zwischen den beiden Streithähnen in Wahrheit nur um einen Wettbewerb handelt und es ihnen hierbei eigentlich gar nicht um mich geht.

Einen Wettstreit, wer von ihnen mir mehr geben kann und wen ich lieber habe.

Wenn meine Eltern mich mal fragen würden was ich selber will, dann würde ich mir lieber mehr Zeit zusammen mit den beiden wünschen. Einen gemeinsamen Spieleabend vielleicht.

Aber ich weiß auch, dass sie so etwas ja nie hinkriegen ohne zu streiten.

Heute ist jedenfalls Silvester und, genau genommen, wäre heute mal wieder Papa-Tag.

Doch leider haben meine Eltern sich schon wieder vorgenommen den Jahreswechsel gemeinsam mit mir zu verbringen. Wenn das heute auch wieder so enden wird wie an Weihnachten, na dann Mahlzeit! Ehrlich gesagt graut es mir jetzt schon davor!

Immerhin hat Mama jedoch bisher ein festliches Gesicht aufgesetzt und sich heute extra schick angezogen. Sie trägt ein langes, schwarzes Abendkleid und belegt schon seit Stunden Brote mit Wurst und Käse für das kleine Buffet, das sie auf dem Wohnzimmertisch aufgebaut hat. Dabei summt sie vor sich hin und scheint heute besonders gut gelaunt zu sein.

So warten wir also auf Papa und ich liege auf dem Sofa und lese ein Buch, bis Mama mich plötzlich aus meinen Gedanken reißt: „Na, komm schon, Leon! Guck doch mal aus dem Fenster ob dein Vater schon kommt. Er müsste doch jeden Moment eintreffen. Gib mir bitte Bescheid sobald du ihn unten siehst!“

Eigentlich habe ich keine Lust mein Buch zu unterbrechen.

„Muss das denn sein? Gerade jetzt, wo die Geschichte spannend wird!“ nörgle ich lustlos. Mamas Stimme duldet keinen Widerspruch. „Jetzt mach schon, Leon! Ich will schließlich vorgewarnt sein bevor er klingelt!“ ruft sie nervös aus der Küche.

Ich verstehe nicht warum meine Mama unbedingt vorgewarnt sein will. So schlimm ist Papa doch auch wieder nicht! Doch ich lege seufzend mein Buch zur Seite und öffne das Fenster.

„Und? Siehst du ihn schon?“ will Mama aufgeregt wissen. „Nein. Noch nicht.“ gebe ich genervt zurück. „Sag mir einfach Bescheid sobald du ihn siehst!“ sagt sie nochmal. „Ja, ja. Ist gut.“ antworte ich gähnend.

Eine Zeit lang beobachte ich wie sich ein paar von unseren Nachbarn murmelnd unterhalten. Sie geben sich dann die Hand und wünschen sich einen guten Rutsch.

Doch von Papa noch immer keine Spur und Mama, die sich inzwischen auf das Sofa gehockt hat, wird allmählich ungeduldig. „Mensch, dass dein Vater aber auch nie pünktlich sein kann!“ meckert sie nun wieder. „Vielleicht ist er in einen Stau gekommen.“ verteidige ich Papa und hoffe, dass er bald kommt. Sonst wird es heute bestimmt noch Streit geben und das Silvester wird dann sicherlich auch so mies werden wie Weihnachten!

Aber ich habe Glück, denn in der nächsten Minute sehe ich Papas roten Audi in den Hof einbiegen. Gespannt starre ich auf das parkende Auto. Wird Papa heute als Frau oder als Mann aussteigen? Ob Mama deshalb will, dass ich sie vorwarne?

Schon geht die Autotür auf und ich atme erleichtert auf. „Papa ist da.“ gebe ich meiner Mama Bescheid. „Und?“ fragt Mama schnell. Mehr muss sie nicht sagen weil ich schon weiß was sie meint. „Er ist ganz normal angezogen.“ sage ich und Mama ist beruhigt.

„Puh!“, sagt sie, „Na, Gott sei Dank! Dann hole ich schon mal den Kaffee. Mach du ihm dann auf wenn er klingelt, Leon!“ Sie steht jetzt vom Sofa auf und geht wieder in die Küche.

Erneut gucke ich aus dem Fenster.

Da wir im Erdgeschoss wohnen entdeckt Papa mich auch gleich am Fenster und winkt mir zu. Dabei grinst er so breit, dass ich wieder seinen Eckzahn sehen kann.

„Hallo, Leon! Ich komme gleich. Ich hab‘ da nämlich noch jemanden mitgebracht…“ ruft Papa und geht um sein Auto herum um die Beifahrertür zu öffnen.

Ich erschrecke. Oh nein! Hoffentlich hat Papa nicht einen seiner Freunde namens Katja oder Tina mitgebracht! Genauso wie Papa verkleiden die sich nämlich auch gerne als Frauen und Mama kann sie nicht leiden. Dann wird es heute ganz bestimmt wieder Streit geben!

Doch als Papa die Autotür öffnet stelle ich zu meinem Erstaunen fest, dass weder Katja noch Tina aussteigen. Stattdessen hat Papa auf einmal einen großen, weißen Hund an der Leine. Vor lauter Staunen kriege ich meinen Mund nicht mehr zu.

„Ist das nicht ein Prachtkerl, Leon? Das ist ein Golden Retriever. Ein echt toller Hund!“ ruft Papa mir stolz zu.

Immer noch traue ich meinen Augen kaum und habe auf einmal ziemlich viele Fragen.

Woher hat Papa denn auf einmal so einen Hund?

Ob er einen seiner Freund*innen gehört? Dieser Katja vielleicht? Oder Tina?

Dann denke ich an Mama und mein Herz beginnt vor Aufregung sofort wie wild zu klopfen. Oh nein! Was wird bloß Mama dazu sagen, dass Papa einen Hund mitgebracht hat?

Sicherlich wird sie sich aufregen und dann werden meine Eltern wieder streiten!

Mein Vater wollte nämlich schon früher mal einen Hund haben. Ich hätte auch gern einen gehabt. Aber meine Mutter ist immer schon streng dagegen gewesen. „Ein Hund kommt mir gar nicht ins Haus und damit basta! Ein Hund macht nur Dreck!“ hat sie damals gesagt.

Damit ist das Thema Hund ein für alle Zeiten erledigt gewesen. Es klingelt.

Tja, so wie es ausschaut, wird Mama heute mal wieder von Papa vor vollendete Tatsachen gestellt…

Doch zu meiner großen Verwunderung scheint Mama gar nicht großartig überrascht zu sein als Papa, mitsamt dem Hund, in die Wohnung kommt.

„Ach, wie schön dass ihr da seid. Der Kaffee ist auch gleich fertig!“ meint sie nur zu Papa und zwinkert mir vergnügt zu. Ich verstehe die Welt nicht mehr! Was ist denn auf einmal mit Mama passiert? Doch bevor ich mich noch weiterwundern kann, begrüßt mich Papas Hund so stürmisch, dass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte und zu Boden gefallen wäre. „Er mag dich!“ schmunzelt Papa und zieht sich ein Paar Gästehausschuhe an. Ich muss jetzt lachen und streichele den übermütigen Vierbeiner. Sein Fell ist so flauschig, dass es sich wie Watte anfühlt. „Komm, jetzt aber aus! Es ist genug!“ befiehlt Papa seinem Hund lachend und nimmt ihn von der Leine. Dann geht Papa ins Wohnzimmer, wo Mama schon mit einer Kaffeekanne wartend auf dem Sofa sitzt, und ich folge ihm mit dem Hund.

Als Papa und ich mich neben Mama auf dem Sofa niederlassen, bleibt der Hund noch unsicher vor uns stehen und hängt hechelnd seine Zunge raus.

„Gut erzogen ist er ja, nicht wahr Tanja? Nicht nur, dass er stubenrein ist. Er geht nicht eher auf das Sofa bis man es ihm ausdrücklich erlaubt.“ meint Papa triumphierend zu Mama.

„Ist ja gut, von mir aus darf er auf das Sofa. Er ist ja sauber.“ erwidert Mama gnädig.

Papa grinst und gibt dem Hund ein einladendes Handzeichen. Das lässt sich die Fellnase nicht zweimal sagen und, mit einem Satz, springt der Vierbeiner auch schon auf das noch freie Plätzchen zwischen Papa und mir.

Grinsend beugt sich Mama zum Hund rüber und krault ihn am Ohr. „Ein echt lieber Kerl!“ lächelt sie. Sie gießt dann Papa nochmal Kaffee ein und schaut mich dann fröhlich an. „Wir müssen dir was sagen, Leon.“ meint sie mit feierlicher Miene.

Ich platze fast vor Neugier und merke wie mein Herz gleich höher schlägt!

Was werden meine Eltern mir gleich sagen? Ob sie sich wieder versöhnt haben? Ob Papa nun doch wieder bei uns einziehen wird und wir sogar den Hund behalten werden?

Wie toll das wäre!

Papa räuspert sich. „Gefällt dir der Hund?“ will Papa nun von mir wissen. Eifrig nicke ich. „Ja. Der Hund ist echt cool!“ antworte ich und schaue meine Eltern hoffnungsvoll und zugleich gespannt an. Sicher werden sie gleich die Bombe platzen lassen und mir sagen, dass wir den Hund behalten werden. Und auch, dass sie wieder zusammenziehen werden.

„Also, wenn du willst, dann darfst du den Hund behalten. Papa und ich haben uns schon längst abgesprochen.“ lüftet Mama großzügig das Geheimnis. „Hurra!“ schreie ich.

Freudestrahlend schaue ich Papas großen Retriever an. Das soll also ab jetzt mein Hund sein? Ich bin selig vor lauter Glück! „Wau!“ kläfft der Vierbeiner nun laut. So, als hätte er gerade genau zugehört und wäre ebenfalls einverstanden mit mir als neues Herrchen.

Alle brechen wir in Gelächter aus. „Das ist doch ein richtiger Clown, oder?“ amüsiert Papa sich über meinen neuen Hund. „Und? Gibt es sonst noch was das ihr mir zu sagen habt?“ hake ich hoffnungsvoll nach. Jetzt sagt es doch schon, dass ihr wieder zusammenkommen wollt!

Meine Eltern schauen sich verdutzt an. „Nö, das war’s auch schon was wir dir zu sagen hatten. Wieso? Sollte es da noch was geben?“ wundert Papa sich ein wenig verwirrt über meine Frage. Meine Mutter scheint meine Frage sogar ziemlich unpassend zu finden. Wahrscheinlich ahnt sie schon worauf ich eigentlich hinaus wollte.

„Ähm… Leon, du hast gerade von Papa und mir einen eigenen Hund gekriegt. Gib dich doch mal mit dem zufrieden was du hast und höre endlich damit auf immer noch mehr zu wollen!“

Ja, ja, schon kapiert. Mit anderen Worten: ich soll ja nicht mehr über das Thema Scheidung sprechen und auch nicht mehr weiterfragen. Da habe ich mich vorhin wohl zu früh gefreut!

Ein bisschen frustriert versuche ich vom Thema abzulenken.

„Wie heißt der Hund denn eigentlich?“ will ich wissen. Etwas hilflos lächelt Papa. „Naja, Hund eben.“ sagt er nur und zuckt dabei mit den Schultern. Ich wundere mich sehr darüber, dass der Hund noch keinen Namen hat. Schließlich ist er ja kein kleiner Welpe mehr bei dem man sich erst noch einen Namen ausdenken muss. „Hat er denn wirklich keinen Namen?“ frage ich meinen Papa nochmal ungläubig.

„Na ja, “ beginnt Papa mir zu erzählen, „der Hund kommt eigentlich aus dem Tierheim. Ein Kumpel von mir hatte Mitleid mit dem Hund gehabt und ihn dann aus dem Tierheim geholt. Dort hat man ihm gesagt, dass das frühere Herrchen nicht gut zu dem armen Tier gewesen sei und er den Hund manchmal sogar geschlagen hat.“ Sofort tut mir der Hund leid. Oh je, der arme Kerl! „Mein Kumpel hat ihn dann adoptiert und zuerst hatte der Hund es richtig gut bei ihm. Doch nun hat mein Freund eine neue Arbeit und kann sich deshalb nicht mehr so gut um den Hund kümmern. Den ganzen Tag war der Hund dann immer nur allein zu Hause und sehr traurig. Darum habe ich ihm den Hund abgekauft.“ erzählt Papa weiter.

Mein Vater erklärt mir, dass er den Hund eigentlich für sich gekauft hat weil er sich in seiner neuen Wohnung ohne mich und Mama einsam gefühlt hätte. Doch Papas Vermieter sei furchtbar spießig und erlaubt keine Haustiere. „Tja, und darum habe ich mit Mama eben ausgemacht, dass du den Hund haben solltest.“ seufzt Papa.

„Ist doch toll, oder? Jetzt bist du nicht mehr so alleine und außerdem lernst du dabei auch gleich was es bedeutet Verantwortung zu übernehmen.“ gibt Mama ihren Senf dazu.

Ja, ja. Verantwortung. Ausgerechnet die beiden Streithähne wollen mir etwas von Verantwortung erzählen! Der Golden Retriever gähnt gelangweilt. Wahrscheinlich ahnt der auch schon wo er da gelandet ist…

Mit seinen traurigen Hundeaugen guckt er mich jetzt an. Ich habe Mitleid mit ihm. Der Hund hat also auch noch nie ein richtiges Zuhause gehabt! Den wollte wahrscheinlich auch keiner haben. Der Hund scheint auf einmal zu spüren wie leid er mir tut. Er beginnt nämlich herzzerreißend zu jaulen und stupst mich mit seiner Schnauze an. Papa grinst.

„Der weiß also schon, dass du sein neues Herrchen bist. Was, Leon?“

Liebevoll tätschele ich über den pelzigen Wuschelkopf. „Ist ja alles gut, mein Lieber!“ tröste ich ihn, so dass er sich nun wieder beruhigt und seinen Kopf gähnend auf mein Bein legt.

„Willst du noch einen Kaffee, Thomas?“ wendet sich Mama an Papa. Und ob Papa noch Kaffee will! „Klar, Tanja. Ich muss doch wach bleiben. Wir wollen ja noch um Mitternacht ein paar Raketen hochjagen, was Leon?“ zwinkert er mir schmunzelnd zu.

Papa scheint sich heute bei uns sichtlich wohl zu fühlen. Genüsslich lehnt er sich auf dem Sofa zurück sobald Mama in der Küche verschwunden ist um neuen Kaffee zu kochen.

Lachend beobachtet er mich dabei wie ich eine von Mamas Buffetkarotten an meinen Hund verfüttre und schlüpft aus seinen Socken. „Schau mal, Papa. Der ist aber ganz schön gierig!“ grinse ich zu Papa herüber, nachdem der Hund mir die ganze Karotte aus der Hand gerissen hat und sie jetzt in seinen Pfoten hält um sie laut schmatzend zu verspeisen. Dabei fällt mein Blick plötzlich auf Papas rotlackierte Zehennägel… Ich schlucke.

Er muss sich also kürzlich doch mal wieder heimlich als Frau verkleidet haben und hat wohl vergessen, dass seine Fußnägel immer noch angemalt sind! Was für ein Fettnäpfchen!

Erschrocken guckt Papa mich an als er es selbst bemerkt. Sogleich schaue ich wieder zu meinem Hund und tue so, als hätte ich seine roten Fußnägel erst gar nicht gesehen.

Während Papa keine Minute verliert sich seine Socken sofort wieder hastig über die Füße zu stülpen, schafft er es gerade noch rechtzeitig damit fertig zu werden bevor Mama, mitsamt der Kaffeekanne, schon wieder ins Wohnzimmer kommt.

Eins ist klar: meine heute so gutgelaunte Mama hätte bei Papas rotlackierten Nägeln ganz sicher wieder rot gesehen!

Doch glücklicherweise verläuft das heutige Silvester, im Gegensatz zu Weihnachten, recht friedlich. Meine Eltern sind heute alles andere als streitsüchtig, was wohl nicht zuletzt auch der Verdienst unseres neuen Familienmitglieds ist, der uns mit seiner lustigen und leicht tollpatschigen Art immer wieder zum Lachen bringt.

Nachdem der Hund fast alle Karotten vom Buffet leergegessen hat und ja eigentlich Papas Tag mit mir ist, gehen mein Vater und ich noch mit dem Hund Gassi. Und um Mitternacht gehen wir dann alle vor die Tür und Papa zündet seine Raketen in den bunten Himmel, genauso wie früher.

„Ein frohes neues Jahr, mein Großer!“ wünscht mir Mama und küsst mich auf die Backe. Eigentlich mag ich das ja nicht mehr, denn so klein bin ich ja auch nicht mehr. Aber heute lasse ich mir Mamas Kuss gerne gefallen. Heute sind wir endlich wieder mal eine richtige Familie! Fast hätte ich dabei vergessen, dass meine Eltern geschieden sind.

Doch dann sagt Papa mal wieder was, dass mich prompt daran erinnert, dass in Wahrheit alles nur eine Show ist die sie heute mir zuliebe abziehen.

„Ich glaube, dass ich im neuen Jahr wahrscheinlich doch in die WG zu meinen Freund*innen Katja und Tina umziehen werde. Alleine wohnen, das ist einfach nichts für mich.“ höre ich Papa nach dem Feuerwerk zu Mama sagen. Mama nickt ihm verständnisvoll zu.

Dann verabschiedet Papa sich von uns. Als er in sein Auto steigt, bin ich schon wieder den Tränen nahe. Ich verstehe nicht warum das so sein muss. Von mir aus hätte dieser Tag heute ewig dauern können! „Bis bald, Leon. Und ein frohes Neues! Wir sehen uns ja nächste Woche!“ sagt Papa aufmunternd und winkt mir aus dem Auto. Und dann ist er wieder weg.

Ich gehe in mein Zimmer und mache die Tür zu.

Meine Eltern haben sich heute mit dem Silvester so viel Mühe gegeben, dass ich nicht vor Mama weinen will. Ich will sie nicht enttäuschen.

Ich lege mich aufs Bett und merke plötzlich, dass ich nicht allein im Zimmer bin. Der Hund ist mir gefolgt! Er springt zu mir aufs Bett und lässt sich neben mir nieder. Mit treuen Augen guckt er mich mitleidig an und ich vergrabe mein Gesicht in seinem dichten Fell.

Sein Körper fühlt sich ganz warm an während er geduldig wartet bis ich aufgehört habe zu weinen. Ich merke, wie froh ich bin, dass ich ihn habe und dass er jetzt bei mir ist! Als ich selber ganz ruhig geworden bin, stehe ich nochmal auf um das Licht auszumachen. Dabei merke ich, dass mein Hund mich nicht aus den Augen lässt und mir besorgt nachschaut.

Er kommt mir schon vor wie ein Polizist der einen Täter nie aus den Augen lässt und ich muss lachen. „Weißt du, dass du ausschaust wie ein richtiger Polizeihund?“ frage ich ihn und hätschele seinen Kopf. „Wau!“ stimmt mir der Hund wie selbstverständlich zu und schüttelt sich dann. „Ja, wie ein echter Polizeihund.“ wiederhole ich nochmal nachdenklich. „Ich werde dich Mr. Cop nennen! Ja, Mr. Cop! Das klingt doch ziemlich cool, oder? Wie findest du das?“ will ich von ihm wissen. Mr. Cop hat nichts dagegen und stimmt mir nur laut bellend zu. „Siehst du, jetzt hast du endlich auch einen Namen.“ sage ich zu ihm und mache das Licht aus. Mr. Cop, der mir tatsächlich schon wieder gefolgt ist, macht es sich nun neben mir im Bett erst recht so richtig gemütlich.

Während ich mit Mr. Cop kuschele muss ich an meinen Vater denken.

Ich bin sauer auf mich weil ich bis heute wirklich noch geglaubt habe, dass er und Mama das mit der Familie wieder hinkriegen werden. Ich habe wirklich gehofft, dass sie das für immer schaffen und nicht nur für einen Tag wie heute.

Doch ich habe mich geirrt und mir ist nun klar, dass wir nie mehr eine richtige Familie sein werden.

Als hätte Mr. Cop meine Gedanken gelesen, stupst er mich vorsichtig an als möchte er mir damit sagen, dass ich nicht mehr traurig darüber sein muss. Weil ich doch jetzt ihn habe.

„Du hast Recht, Mr. Cop.“ sage ich dankbar zu ihm und kraule ihn dabei am Hals, „Vielleicht bist du ja jetzt der Bruder, den ich mir immer gewünscht habe.“

Wenigstens werde ich seit diesem Tag nie mehr allein weinen müssen.

 

Wenn zwei sich streiten

 

Ich bin echt froh, dass ich Mr. Cop jetzt habe.

Wir beide sind inzwischen die allerbesten Freunde geworden.

Das ist aber auch kein Wunder, denn Mr. Cop ist bisher mein erster, bester und einziger Freund. Darum macht es mir auch nicht mehr so viel aus, dass eine Woche nach Silvester die Weihnachtsferien vorbei sind und ich leider wieder zur Schule gehen muss.

Nach wie vor bin ich zwar in meiner Klasse nicht sonderlich beliebt, aber ich lasse den Schultag einfach über mich ergehen. Ich weiß nämlich, dass wenigstens mein Hund mich mag und sich freut, dass es mich gibt. Bestimmt wartet er schon längst, direkt an der Haustür, sehnsüchtig auf mich. Sicherlich freut er sich schon darauf, mich bald schwanzwedelnd begrüßen zu können. Und so ist es auch!

Wie ein richtiger Polizeihund hatte er unsere Wohnung bewacht und sobald ich nach Hause komme und die Haustür aufgesperrt habe, springt er mir auch schon aufgeregt entgegen.

„Na, Mr. Cop? Was hast du denn den ganzen Vormittag so gemacht?“ frage ich ihn lachend und kraule ihn dabei ausgiebig, was mein Hund wirklich sehr genießt. Doch schon gähnt er gelangweilt. Oha, das war deutlich! „Mach‘ dir nix draus, armer Mr. Cop. Mir ging’s in der Schule nicht anders. Die ist auch ziemlich langweilig gewesen heute.“ tröste ich ihn.

Sofort bellt Mr. Cop schimpfend los als möchte er mir damit sagen, dass er in punkto Schule ganz meiner Meinung ist. „Na, komm, Kumpel. Jetzt essen wir erst mal was. Du musst ja auch schon sehr hungrig sein um diese Uhrzeit!“ sage ich zu ihm und marschiere in die Küche.

Tja, das Wort ESSEN hat er gleich verstanden. Hungrig schleckt er sich mit der Zunge über das Maul und folgt mir eilig.

Auf dem Herd finde ich einen Topf voll Spaghetti zum Aufwärmen.

Daneben liegt noch ein handgeschriebener Zettel von Mama und etwas Geld, das sie mir dagelassen hat. Ich lese, dass sie mal wieder bis abends arbeiten muss und ich doch bitte einkaufen gehen soll, da wir mal wieder kein Hundefutter im Haus haben. Mich wundert das ja nicht großartig. Ich kenne meinen gefräßigen Hund ja mittlerweile recht gut und mir ist schon längst klargeworden, dass Mr. Cop mit einem gesunden Appetit gesegnet worden ist…

Entschuldigend schaue ich meinen pelzigen Freund an. „Oh je, Mr. Cop. Ich fürchte, dass wir beide wohl doch zuerst noch Gassi gehen müssen bevor wir zu Mittag essen können.“ Immer noch blickt Mr. Cop mich erwartungsvoll an. „Wau!“ beschwert er sich nun ungeduldig weil noch immer kein Futter in seinem Napf ist.

Zunächst schaut er ein wenig enttäuscht drein, doch als ich die Leine hole begreift er: jetzt wird noch nicht gegessen sondern erst mal Gassi gegangen! Sofort ist Mr. Cop wieder Feuer und Flamme und springt mehrmals spielend an mir hoch. Ein Spaziergang vor dem Essen scheint also auch nicht schlecht zu sein. Nun hält er endlich still und lässt sich willig die Leine anlegen. Doch dann ist er nicht mehr zu bändigen!

Er zieht voller Vorfreude an seiner Leine und ich habe Mühe damit gerade noch meine Jacke anzuziehen, Mamas Geld, sowie meinen Hausschlüssel einzustecken und die Haustür hinter mir zuzumachen. „Hey, Mann! Jetzt warte doch mal! Bleib mal cool!“ fluche ich genervt.

Allerdings denkt Mr. Cop gar nicht dran locker zu bleiben und stürmt, mit mir am Seil, die Treppen herunter. Erst draußen, auf dem Gehweg, ist er wieder leichter zu handeln und beginnt auf einmal neugierig überall auf dem Boden herumzuschnüffeln. Ich brauche viel Kraft um ihn weiterzuziehen.

„Jetzt komm schon, trödle doch nicht so herum!“ schimpfe ich mit ihm. Manchmal kann mein Hund mich schon echt wahnsinnig machen!

Nach einer Weile erreiche ich mit ihm schließlich den, noch immer schneebedeckten, Park der direkt zum Einkaufscenter führt. Dort angekommen, nehme ich seine Leine ab und lasse ihn frei herumspringen während ich weitergehe. Vergnügt wetzt Mr. Cop hin und her und muss alles erforschen was ihm vor die Augen kommt.

Besonders eine kleine Pudeldame scheint es ihm schwer angetan zu haben, denn diese wird von meinem Hund genauestens unter die Lupe genommen. Schwanzwedelnd und eifrig bellend läuft er auf die Hündin zu und schnüffelt interessiert an ihrem Hinterteil. Dabei werden alle anderen Hundeinteressenten, die sich der Pudeldame ebenfalls nähern, sofort böse von ihm angeknurrt.

„Ganz schön stürmisch, dein Hund!“ meint die alte Dame kichernd zu mir, die auch das Frauchen von der Pudeldame ist. Mir ist die ganze Show, die Mr. Cop da veranstaltet, eher peinlich.

„Tut mir leid, ich kann wirklich nichts dafür. Er ist leider manchmal schwer erziehbar.“ entgegne ich ihr mit schuldbewusster Miene.

Die Dame ist immer noch amüsiert. „Das macht doch nichts. Ich finde deinen Hund wirklich süß! Schau mal, wie verliebt er in meine kleine Hündin ist!“

Ich möchte aber endlich weitergehen. Denn so langsam knurrt mir der Magen und ich will so schnell wie möglich heim um Mamas Spaghetti zu essen. Hektisch pfeife ich nach ihm.

Ein bisschen widerwillig gehorcht Mr. Cop dann und schon läuft er wieder hechelnd neben mir her, aber nicht ohne hier und da mal kurz anzuhalten.

So treffen wir auf unserem Weg noch auf ein kleines Mädchen mit einem Chihuahua, von dem Mr. Cop sogleich wütend angekläfft wird. Das lässt sich mein Hund natürlich nicht gefallen und beginnt unfreundlich zu knurren. „Pass mal bitte auf deinen Hund auf!“ zischt mich das Mädchen verärgert an. „Pass du lieber mal auf Deinen auf!“ entgegne ich grimmig, aber ich zerre meinen Retriever auch schon vom kleinen Chihuahua weg.

Trotzdem bin ich der Meinung, dass Mr. Cop nichts dafür kann.

Mir ist schon länger aufgefallen, dass ausgerechnet die kleinsten Hunderassen so ziemlich größenwahnsinnig sind und meistens mit meinem großen Hund zum Stänkern anfangen.

Je mehr wir uns dem Ende des Parks nähern, umso eher treffen wir auf weitere Leute die mit ihren Hunden hier Gassi gehen.

Manche von ihnen kennen mich schon von anderen Spaziergängen, die ich dort mit meinem Hund gemacht habe. Sie grüßen mich freundlich. Dabei muss ich mich schon über mich selbst wundern. Früher habe ich nämlich kaum mit fremden Leuten gesprochen.

Doch seit ich Mr. Cop habe ist das anders geworden.

Mittlerweile kenne ich fast schon jeden in dieser Umgebung der einen Hund hat.

So erreichen wir zu guter Letzt doch noch den Parkausgang. Allerdings sträubt sich Mr. Cop dagegen als ich ihn wieder an die Leine nehmen will.

Gespannt beobachtet er nämlich drei Raben, die auf einem Mülleimer sitzen und sich erregt um ihre Beute streiten. Ihre Beute besteht aus einer Tüte mit harten Brezen die jemand weggeworfen hat.

In der Tat muss es einer der Raben geschafft haben, diese Tüte aus dem Müll zu fischen. Denn nun liegen die Brezeln, mitsamt der Tüte, auf dem blanken Boden herum.

Noch immer krächzen sie lautstark untereinander, picken aufeinander ein und zerren sich gegeneinander an den Flügeln. Immer noch scheint noch nicht geklärt zu sein, wem von den Dreien diese tolle Beute nun gehören soll.

Auf einmal, so schnell kann ich gar nicht schauen, nimmt Mr. Cop Anlauf und rennt direkt auf die Brezen zu. Dann hebt er sein Bein und, zum überaus großen Entsetzen aller Raben, pinkelt er nun einfach auf die Tüte!

Zufrieden schnüffelt er noch dran, wedelt anschließend glücklich mit dem Schwanz und kehrt dann, stolz wie Oskar, zurück zu mir.

Immer noch schauen die Raben ihm völlig verdutzt nach. Dann beginnen sie laut mit ihm zu schimpfen, aber das interessiert meinem Hund nicht die Bohne.

Während ich Mr. Cop nun die Leine anlege frage ich mich, ob das wohl seine Antwort darauf gewesen sein könnte einen dämlichen Streit zu schlichten oder ob Hunde vielleicht tatsächlich genauso schadenfroh sein können wie wir Menschen.

Wahrscheinlich schon.

Tja, wenn zwei sich streiten dann freut sich nun mal der Dritte.

In diesem Fall eben der Vierte…

 

Plötzlich Freunde

 

Ich habe Mr. Cop an einem Fahrradständer angebunden von wo aus er mir wirklich sehr herzergreifend hinterherjault.

Höchstwahrscheinlich denkt sich der Arme, dass ich ihn einfach so aussetze! Dass ich ihn verlassen will, genauso wie seine anderen Herrchen davor, und dass er nun wieder in einem Tierheim landen wird. Ergriffen von Mitgefühl, kehre ich nochmal um und rede ihm gut zu.

„Nun entspann‘ dich doch mal, Kumpel! Ich will dich doch gar nicht verlassen. Aber im Geschäft sind Hunde nun mal nicht erlaubt.“ versuche ich ihn zu beruhigen.

Ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat. Aber er gibt nun Ruhe, macht brav Sitz und hängt hechelnd seine Zunge raus. Also gehe ich auf das Einkaufscenter zu und drehe mich noch einmal nach ihm um. Wie gewohnt lässt mein Hund mich nicht aus den Augen…

Ich nehme mir vor mich zu beeilen damit Mr. Cop nicht so lange auf mich warten muss.

Auf dem Weg zur Tierfutterabteilung merke ich erst wie hungrig ich inzwischen schon bin. Denn um dorthin zu gelangen, muss ich an allerlei Regalen mit leckeren Sachen wie Schokolade und Pasta vorbei. Jetzt fallen mir Mamas Spaghetti wieder ein, die zu Hause auf mich warten und ich laufe gleich noch viel schneller. Ich schnappe mir rasch ein paar Dosen mit Hundefutter und schon geht’s auf zur Kasse. Dort angekommen, dreht sich mir gleich der Magen um! Oh nein, das darf doch nicht wahr sein!

Vorne, an der Kasse, sehe ich nämlich ein paar Leute aus meiner Klasse.

Es sind ausgerechnet Lukas und sein Freund Felix, die haben mir gerade noch gefehlt!

Mir reicht es ja schon wenn ich die beiden täglich in der Schule sehen muss.

Sie haben sich eine Cola und ein paar Energydrinks gekauft und ich wundere mich darüber, dass auch Katharina dabei ist in die ich mal am Anfang des Schuljahres voll verknallt war.

Für mich ist sie das schönste Mädchen in unserer Klasse und ich frage mich ernsthaft was sie nur an diesen beiden Blödmännern findet, so dass sie unbedingt mit denen abhängen muss.

„Guck mal Felix, unser Witzbold ist auch hier!“ ruft Lukas plötzlich laut und kickt Felix an.

So ein Mist, sie haben mich entdeckt! Und das, obwohl ich mich extra unsichtbar machen wollte und mich direkt hinter einem großen, dicken Mann angestellt habe der mich eigentlich verdecken hätte sollen!

Natürlich lachen die beiden mich mal wieder lautstark aus und Katharina scheint die beiden ja so cool zu finden, dass sie dämlich mitgrinst. Was für eine alberne Kuh!

Auf einmal finde ich sie gar nicht mehr so hübsch.

Obwohl die beiden Jungs längst bezahlt haben, bleiben sie nun direkt neben der Kasse stehen. Neugierig gaffen sie auf das Kassenband um zu sehen was ich kaufe.

„Schau mal, der kauft Hundefutter! Wahrscheinlich für seinen Vater.“ prustet Lukas los. „Vielleicht bildet sich sein Vater ja neuerdings ein, dass er keine Frau mehr ist sondern ein Hund!“ kichert Felix blöd. Sogar Katharina scheint das ziemlich lustig zu finden.

Ich ignoriere die drei Idioten einfach.

Trotzdem schütteln einige Leute schon verächtlich den Kopf über uns und ich schäme mich auf einmal. Auch wenn Lukas und Felix es sind, die dauernd laut herumblödeln und mich anfeixen, ist mir die ganze Situation total peinlich weil die Leute auch mich angucken.

Gott sei Dank ist mittlerweile auch der Supermarktkassierer völlig genervt von ihnen.

„Jetzt reicht’s mir aber! Ihr stört hier, also haut endlich ab!“ schnauzt er die drei an.

Erfreulicherweise verlassen sie endlich den Laden. Doch nicht ohne, dass Lukas sich nochmal nach mir umdreht um mir frech ins Gesicht zu grinsen. Aber das bin ich ja von ihm gewohnt.

Als ich mit Zahlen dran bin, beeile ich mich so schnell ich kann mit dem Einpacken.

Ich habe nämlich wirklich keine große Lust weiterhin die mitleidsvollen Blicke der Leute zu ertragen. Wahrscheinlich ahnen sie jetzt alle, dass ich ein Außenseiter bin!

Na super, ganz großes Kino!

Sobald ich durch die Einkaufscentertür nach draußen komme, atme ich erleichtert auf. Geschafft! Jetzt nur noch Mr. Cop losbinden und auf nach Hause um endlich was zu essen!

„Haha, guckt mal, da kommt ja das Tunten-Söhnchen schon!“ höre ich schon wieder Lukas Stimme. Ich schaue mich um und sehe die drei schon wieder.

Sie stehen am Centerparkplatz und müssen dort auf mich gewartet haben.

Sie lassen mich einfach nicht in Ruhe!

Erneut versuche ich die Nervensägen einfach zu ignorieren und laufe schnurstracks auf meinen Hund zu, der mich bereits schon schwanzwedelnd erwartet. Ich habe Mr. Cops Leine gerade losgemacht, da stehen sie auch schon breit grinsend neben mir.

Ein feindseliges Knurren ist Mr. Cops unverzügliche Antwort darauf.

„Hey, hey, wow, ist schon okay. Wir machen ja nichts!“ schreckt Felix auf einmal ängstlich zurück. Lukas bleibt lieber gleich auf Abstand.

„Hey, sag mal, ist das dein Hund? Seit wann hast du einen Hund?“ staunt er ungläubig.

Seine Stimme klingt sogleich versöhnlicher und nicht mehr so herablassend wie vorhin.

Er lässt einen Pfiff los um seine Bewunderung auszudrücken.

„Wow, was für ein Riesenköter!“ meint er anerkennend. „Junge, Junge. Das ist aber echt ein toller Köter! Der schaut so richtig gefährlich aus.“ wiederholt er nochmal.

„Das ist er auch! Also verzieht euch lieber, sonst werde ich meinen Hund auf euch hetzen!“ drohe ich stolz. Dank meinem pelzigen Freund habe ich endlich auch mal das Sagen. Augenblicklich hebt Felix ergebend die Hände hoch. „Ist ja schon gut“, murmelt er scheu, „wir wollten sowieso gerade gehen. Du langweilst uns eh!“

„Ist ja gut, Leon. Nichts für ungut. Wir hauen ab!“ beschwichtigt Lukas mich und gibt Katharina ein Handzeichen, dass sie gehen wollen. Doch Katharina bleibt stehen.

Sie lächelt mich freundlich an und scheint total begeistert von meinem Hund zu sein.

Im Gegensatz zu den beiden Jungs wirkt sie viel mutiger und kniet sich vor Mr. Cop hin um ihm ihre Hand entgegenzustrecken. „Ist der aber süß. Darf ich den mal streicheln?“

Neugierig schnuppert Mr. Cop an ihrer Hand und hört zu Knurren auf. Unsicher schaut er mich dann an. Doch noch ehe ich auf Katharinas Frage eine Antwort geben kann, genießt mein haariger Kumpel auch schon ihre Streicheleinheiten.

Tja, Mr. Cop scheint eben als unverbesserlicher Charmeur gut bei den Mädels anzukommen! Und das scheint nicht nur bei den Pudeldamen zu gelten…

„Wie heißt er denn?“ fragt Katharina mich freudestrahlend.

„Mr. Cop.“ antworte ich nur kurz und merke auf einmal, wie ich rot werde. Mein Herz beginnt plötzlich schneller zu klopfen und ich fühle einen Kloß im Hals.

Obwohl ich Katharina vorhin an der Kasse noch für eine alberne Kuh gehalten habe, merke ich jetzt, dass ich immer noch in sie verliebt bin.

Mir gefällt einfach alles an ihr!

Ich finde sie sehr hübsch mit ihrem langen, blonden Pferdeschwanz.

Ich mag auch ihre Bernsteinaugen, die immer so schön funkeln wenn sie lacht.

Und diese zwei netten Grübchen, die sie dann beim Lachen an den Mundwinkeln hat, die man aber sonst kaum sieht. Vor allem aber mag ich, wie sie meinen Hund streichelt.

„Mr. Cop ist ein echt cooler Name, nicht schlecht! Das klingt so nach einem coolen Gangsterjäger.“ meldet Lukas sich nun wieder zu Wort.

Vorsichtig wagt er sich nun näher an Mr. Cop heran um ihn ebenfalls zu streicheln nachdem er gesehen hat, dass Katharina ja doch noch lebt seit sie meinen Hund angefasst hat.

Nur Felix ist immer noch der Einzige dem der Hund nicht ganz geheuer ist.

„Kommt, lasst uns endlich abhauen!“ meint er missmutig zu den anderen beiden.

„Ja, gleich. Ich will den Hund nur nochmal kurz drücken!“ entgegnet Katharina ihm und lacht schon wieder weil Mr. Cop ihr über übermütig die Wange schlecken will. Mein Hund scheint Frauen wirklich besonders gern zu mögen. Nur Lukas vertraut er noch nicht so ganz und guckt mich immer wieder forschend an sobald Lukas ihn tätschelt. Sogar Lukas lacht auf einmal. Aber es ist das erste Mal, dass ich ihn nicht aus Schadenfreude lachen sehe.

„Ein echt toller Hund! Der hängt wohl sehr an dir und hält voll zu dir. Der ist absolut treu!“ gesteht er mir ehrlich. „Ja. Das stimmt. Seit mein Vater ihn mir geschenkt hat verfolgt er mich auf Schritt und Tritt.“ erwidere ich spontan ohne nachzudenken.

Oh je, habe ich gerade meinen Papa erwähnt? Am liebsten hätte ich mir jetzt sofort auf die Zunge gebissen! Bestimmt geht das Gelächter gleich wieder los! Doch zu meinem Erstaunen lacht Lukas mich diesmal gar nicht aus. Er guckt mich stattdessen nur ernst an.

„Dein Vater ist aber echt korrekt wenn er dir einen Hund erlaubt. Ich hätte auch gerne einen Hund. Aber meine Eltern erlauben mir keinen.“

Lukas schaut nun ziemlich nachdenklich aus. Fast schon traurig, finde ich.

„Naja, sobald ich mal volljährig bin werde ich mir einfach einen Hund anschaffen. Da haben meine Eltern dann eh nichts mehr zu sagen! Sind ja nur noch ein paar Jahre bis dahin.“ sagt er dann und grinst auch schon wieder verwegen.

„Hey, Mann! Lass uns mal gehen! Wir wollten heute doch zocken solang ich noch sturmfrei hab‘!“ mischt Felix sich, mittlerweile erheblich ungeduldig, ein.

„Ach ja, richtig. Ihr wolltet ja noch zocken bis ich meine Hausaufgaben gemacht habe.“ stimmt ihm Katharina zu und steht auf. Lukas zögert noch und schaut mich prüfend an.

„Sag mal, Leon, hast du heute schon was vor?“ will er von mir wissen.

Nicht nur Felix guckt recht blöd, auch ich bin ein bisschen verwundert, dass er mich das fragt.

„Ähm…nein.“ sage ich und warte überrascht ab was er mir gleich sagen wird.

„Na, dann komm doch um 16 Uhr zum Park wenn du Bock hast! Dort treffen wir uns nachher nämlich wieder und dort liegt noch immer ‘ne Menge Schnee rum. Wir wollen Tüten rutschen. Wird bestimmt voll lustig!“ schlägt Lukas mir vor. Damit hätte ich nie gerechnet! Ich bin immer noch völlig sprachlos. „Ja, klar! Komm ruhig mit!“ nickt Katharina mir ermutigend zu. „Okay.“ meine ich nur knapp weil ich schon wieder merke, wie ich rot werde. „Und bring den Hund mit!“ ruft Lukas mir noch winkend nach.

Nachdem sie gegangen sind wundere ich mich noch immer.

Das ist ja mal was ganz Neues das die Drei ausgerechnet mit mir abhängen wollen!

Und was, wenn das alles nur wieder eine von Lukas zahlreichen, gemeinen Verarschungen ist? Wenn er mich nur zum Park hinlockt weil er dort schon was Fieses geplant hat?

Beklommen schaue ich Mr. Cop an.

„Wau!“ meint der nur und stupst mich, nachdem wir beide Zuhause endlich was gegessen haben, mehrmals an. Als ob er mir versichert, dass schon alles gutgehen wird.

Warum auch nicht? Schließlich haben die Jungs ja eine Menge Respekt vor meinem Hund!

Da werden sie sich schon nicht trauen mich auf den Arm zu nehmen, geschweige denn es überhaupt wagen sich Gemeinheiten auszudenken. Außerdem wird auch Katharina dabei sein. Sie mag meinen Hund und würde sicherlich nicht bei so etwas mitmachen.

Das hoffe ich zumindest… Also nehme ich Mr. Cop, sobald ich meine Hausaufgaben gemacht habe, an die Leine und mache mich mit ihm pünktlich auf den Weg zum Park.

Als ich mit Mr. Cop dort ankomme, sehe ich die drei schon von weitem.

Sie rutschen auf ihren Plastiktüten den schneebedeckten Hügel des Parks hinunter und lachen dabei. Lukas sieht mich als Erster und winkt mir freundschaftlich zu und ich traue mich näher zu kommen. „Cool, dass du gekommen bist und den genialen Hund mitgebracht hast!“ freut er sich und tätschelt Mr. Cop auch gleich. Mein Hund scheint ihm jetzt doch zu vertrauen und bellt ihn begeistert an.

„Hey, Leon, super, dass du jetzt auch da bist! Komm, mach mit beim Tütenrutschen! Das macht total Spaß! Echt mega!“ winkt Katharina mich zu sich rüber und ich merke wie ich schon wieder rot werde wie eine Tomate. Beschämt schaue ich zu Boden.

Hoffentlich hat es keiner gesehen!

Katharina lacht mir zu und läuft hastig den Hügel wieder rauf.

„Ja, Mann! Sie hat vollkommen Recht! Probier’s mal aus. Hier, ich hab noch eine Tüte für dich!“ bietet Lukas mir an. „Danke.“ sage ich und muss mich schon wieder wundern warum er auf einmal so nett zu mir ist.

Liegt das wirklich nur an Mr. Cop? Oder kann Lukas mich doch gut leiden?

Es ist auf einmal als sei nie etwas zwischen uns gewesen. Als hätten wir uns schon immer so gut verstanden. Der Einzige, der ein bisschen komisch dreinschaut ist Felix.

Aber den habe ich sowieso nie besonders gemocht weil er, ich kenne ihn schon seit der ersten Klasse, ein richtiger Angeber ist.

Wir steigen immer wieder von neuem den Berg rauf und rutschen dann vergnügt auf unseren Tüten runter. Mr. Cop folgt uns dabei ständig und jagt dann hastig den Hügel hinunter, uns auf den Tüten hinterher. Wir müssen über ihn lachen.

„Hey, Mann! Ich hab‘ da gerade ’ne voll geile Idee! Machen wir doch ein Wettrutschen gegeneinander und gegen den Hund!“ schlägt Lukas plötzlich vor. Die Idee ist stark!

„Warte mal, Leon! Ich will mit dir zusammen auf einer Tüte sitzen. Dann haben wir mehr Gewicht und sind schneller!“ zwinkert Katharina mir oben zu.

Ich schlucke und mein Herz klopft auf einmal furchtbar schnell. „Okay.“ antworte ich nur und habe plötzlich einen Kloß im Hals. Warum will sie unbedingt mit mir zusammen herunterrutschen? Steht sie vielleicht auch auf mich?

„Haha, das ich nicht lache! Glaubst du tatsächlich, dass du so eine Chance gegen mich hast? Guck dir doch mal Leons Hund an! Sogar der ist schneller als ihr beide zusammen!“ gibt Lukas selbstbewusst kontra.

Felix sagt nichts dazu. Überhaupt ist er sehr still seit ich da bin und sagt kaum etwas.

Das fällt auch Lukas auf. „Oder, Felix? Die beiden machen wir schon fertig! Was meinst du dazu, Digga?“ wendet sich Lukas aufmunternd an Felix. Doch der zuckt nur mit den Achseln. „Mir doch egal wer gewinnt! Ich finde das Ganze sowieso ziemlich kindisch.“ meint er und rutscht schon mal voraus. „Hey, Alter! Was geht ab mit dir?“ schreit Lukas ihm ratlos nach.

„Mir ist das jetzt zu dumm mit denen, komm, mach’ mal los!“ flüstert Katharina, die hinter mir auf der Tüte sitzt und sich mit beiden Armen an mir festhält, mir jetzt genervt ins Ohr.

Ihre Wange hat sich gerade ganz weich an meiner Backe angefühlt und ihr langes Haar hat mich am Gesicht gestreift. Ich bin total nervös in ihrer Nähe und es kribbelt, aber ich finde es auch schön. „Klar, Katharina.“ sage ich und stoße uns mit den Händen ab.

Rasant geht es bergab und auch Mr. Cop läuft schon bellend neben uns her.

„Hey, wartet doch auf mich! So gilt das Wettrutschen aber nicht!“ hören wir Lukas noch gekränkt hinterherrufen.

Katharina und ich, wir sind zu zweit so schnell unterwegs nach unten, dass wir nun Felix Fahrbahn streifen und so das Unvermeidliche passiert: wir kollidieren mit ihm!

„Spinnst du? Pass‘ bloß mal besser auf!“ schnauzt Felix mich an, steht auf und staubt sich genervt den Schnee von der Hose. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ihm irgendwas an mir nicht passt. Ob er vielleicht eifersüchtig auf mich ist wegen Katharina?

„Mann, Felix! Krieg‘ dich wieder ein! So was kann doch passieren!“ entgegnet Katharina ihm augenrollend. Inzwischen ist auch Lukas wieder unten angekommen.

„Hey, alles klar bei euch?“ will er besorgt wissen.

„Nein! Überhaupt nix ist klar!“ herrscht Felix Lukas an. Mr. Cop beginnt warnend zu knurren und Felix nicht aus den Augen zu lassen. Selbst mein Hund kann Felix nicht leiden!

„Wisst ihr was? Ich gehe jetzt heim! Mir reicht es für heute!“ blafft Felix uns nun an und dreht sich vorsichtig um. Ich merke, dass er Schiss hat vor Mr. Cop.

Ganz langsam geht er zuerst und dann, als er sich schon weiter von uns entfernt hat, läuft er schneller davon. „Der ist heute aber komisch drauf!“ meint Lukas entschuldigend zu uns. „Ach, der kriegt sich schon wieder ein.“ winkt Katharina gelangweilt ab. Irgendwie freut es mich, dass sie mich scheinbar lieber mag als Felix…

Allmählich ist es längst dunkel geworden und ich bin mir sicher, dass sich meine Mutter schon darüber wundert wo ich und der Hund so spät noch sein könnten.

Bestimmt ist sie schon längst von der Arbeit gekommen und sitzt jetzt allein daheim.

„Ich muss dann auch mal los.“ sage ich und verabschiede mich von Katharina und Lukas.

Katharina wirkt betrübt. „Schade.“

„Naja, wir sehen uns ja morgen in der Schule.“ meint sie dann und streichelt nochmal zum Abschied meinen Hund, der sich das von ihr natürlich gerne gefallen lässt. Dann geht sie. Obwohl ich eigentlich zuerst gehen wollte, stehe ich noch immer mit Lukas im Park herum. Lukas zögert und scheint noch nicht so schnell nach Hause zu wollen.

„Na, toll! Und ich kann jetzt wieder nach Hause zu meinen zwei Alten gehen! Hoffentlich zanken die sich heute nicht schon wieder! Das ist echt ätzend! Ich kann es kaum noch erwarten bis ich endlich 18 bin und von zu Hause ausziehen darf!“ seufzt Lukas.

Ich habe gar nicht gewusst, dass Lukas Eltern auch so oft streiten wie Meine.

„Mach‘ dir nix draus. Meine Eltern streiten sich auch andauernd.“ rutscht es mir heraus ohne dass ich groß überlegt hätte. Überrascht schaut er mich an. „Echt? Oh Mann, mein Beileid!“

Wir schweigen beide und gehen in dieselbe Richtung. Mr. Cop rennt uns ein wenig voraus, aber er bleibt immer wieder stehen um auf uns zu warten.

„Na ja, “ meint Lukas dann nach einer Weile nachdenklich, „bei deinem Vater ist das aber auch kein Wunder. Ich glaube, dass keine Frau einen Mann mit Frauenklamotten haben will.“

Mist, da haben wir das blöde Thema schon wieder! Hätte ich ihm lieber nichts von meinen Eltern erzählt!

„Aber immerhin ist dein Vater cool drauf. Ich meine, er kauft dir sogar einen Hund!“ sagt Lukas dann drauf, „Mein Vater hingegen ist einfach nur ein Vollidiot. Ich würde den sofort gegen deinen Vater eintauschen wenn ich könnte. Lieber ein Vater in Frauenfummel als ein Vater der säuft!“ Lukas Gesicht wirkt auf einmal sehr ernst. So ernst habe ich den sonst so spöttischen und obercoolen Lukas wirklich noch nie gesehen.

„Wahrscheinlich werden sich meine Eltern scheiden lassen. Alles nur weil mein Vater so ein Idiot ist! Er hat so viel gesoffen, dass er meine Mutter in die Fresse geschlagen hat. Ich hasse meinen Vater!“ erzählt Lukas mir noch mit finsterem Gesicht.

„Das ist echt scheiße. Naja, lieber sollen sie sich scheiden lassen als zu streiten. Ich habe die Scheidung meiner Eltern schon hinter mir. Immerhin kriechen sie dir danach beide total in den Arsch weil sie sich dann bei dir voll einschleimen wollen. Ist auch nicht so schlecht!“ erwidere ich. Das ist alles was mir dazu einfällt. Was soll man auch dazu sagen?

Lukas tut mir auf einmal echt leid.

Dem geht’s mit seinen Eltern anscheinend genauso wie mir, zumindest so ähnlich wie mir. Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet er, der beliebteste Typ in unserer Klasse, zu Hause solche Probleme hat.

Ich bin zwar auch wütend auf meinen Vater.

Aber Gott sei Dank hat mein Vater meine Mutter noch nie geschlagen.

Mein Vater trinkt auch keine harten Sachen.

„Bist echt cool, Mann!“ sagt Lukas plötzlich und klopft mir anerkennend auf die Schulter. „War verdammt lustig heut mit dir, Leon! Ich glaube, dass ich dich immer total falsch eingeschätzt habe.“ So, wie Lukas das auf einmal sagt, klingt es wie eine Entschuldigung.

„Ist schon okay, Lukas. Du bist auch cool, Mann!“ sage ich schnell und versuche dabei besonders cool zu klingen. Ich will nicht, dass er merkt wie sehr ich mich über sein Kompliment freue. Trotzdem meine ich das, was ich gerade zu ihm gesagt habe, ehrlich.

Auf die eine oder andere Weise sind wir ja nun schließlich Verbündete, denn beide haben wir sehr komplizierte Eltern.

„Tschüss! Ich muss jetzt da abbiegen. Bis morgen dann, in der Schule!“ verabschiedet Lukas sich an einer Weggabelung. „Ja, ciao.“ winke ich ihm nach.

Mr. Cop ist ganz weit vorausgelaufen. Ich pfeife jetzt nach ihm. „Wauwau!“ bellt er von ferne und wedelt eifrig mit dem Schwanz. Das soll wohl so viel heißen wie: „Komm endlich, ich mag nach Hause! Ich habe Hunger!“ „Ist ja schon gut, Mr. Cop. Ich beeile mich ja!“ gebe ich lachend zurück.

Während ich mit meinem haarigen Freund nach Hause gehe, denke ich über Lukas nach.

Ich bin mir absolut sicher, dass er mich seit heute nicht mehr in der Klasse mobben wird. Hoffentlich lassen mich dann die anderen auch endlich für immer in Ruhe!

Irgendwie finde ich, dass Lukas heute anders gewesen ist als sonst. Aber auch an Katharina muss ich denken. Sie ist heute die ganze Zeit nur in meiner Nähe gewesen. Vielleicht ist sie ja wirklich genauso verliebt in mich wie ich in sie!

Ich freue mich schon darauf sie morgen wieder zu sehen in der Schule.

Bestimmt werden die anderen dumm gucken, dass ausgerechnet das schönste Mädchen der Klasse jetzt mit so einem Einzelgänger wie mir redet!

Ich glaube schon, dass ich heute ein paar neue Freunde gefunden habe.

Nur Felix ist mir ein Rätsel. Ich frage mich ernsthaft was er gegen mich hat…

 

Lukas Geburtstag

 

Keiner wagt es mehr über mich zu lachen als ich am nächsten Morgen in die Schule komme.

Sie gaffen mich nur alle staunend an als Lukas mich sofort an der Klassenzimmertür abpasst um mir einen Zettel in die Hand zu drücken.

„Hier, Leon! Ich habe dir meine Adresse aufgeschrieben und die Uhrzeit. Ich würde mich echt freuen, wenn du heute Nachmittag auch zu meinem Geburtstag kommst. Ich hab‘ nämlich sturmfrei!“ lädt mich Lukas zu sich nach Hause ein. Ich bin total überrascht.

„Wow, coole Sache! Danke, das geht klar!“ sage ich gleich zu und gratuliere ihm noch.

Damit hätte ich niemals gerechnet! Gehöre ich jetzt tatsächlich zu den Coolsten in der Klasse?

Heimlich schiele ich zu Katharina herüber um mich zu vergewissern ob sie es mitbekommen hat. Zu meiner Überraschung muss ich feststellen, dass sie mir direkt ins Gesicht schaut.

Lächelnd zwinkert sie mir jetzt zu und ich kann nun wieder ihre wunderschönen Grübchen erkennen. Sofort bekomme ich schon wieder Herzklopfen und schaue rasch in die Richtung von Felix. Doch der starrt mich nur unbehaglich an und rollt dabei heftig mit den Augen sobald sich unsere Blicke treffen.

Immer noch scheint er seit gestern wegen irgendetwas auf mich sauer zu sein.

Ob es wegen Lukas und Katharina ist? Ach, der kann mich mal! Er wird wohl damit leben müssen, dass ich mich jetzt mit den beiden eben genauso gut verstehe wie er!

 

Zuverlässig, wie immer, erwartet mich Mr. Cop bereits schon sehnsüchtig an der Tür sobald ich nach Hause komme. Wie gewohnt möchte er sofort Gassi gehen.

„Gleich, Kumpel!“ verspreche ich ihm und gehe in die Küche um Mama einen Zettel zu schreiben damit sie weiß wo ich später bin. Schade, dass sie mal wieder in der Spätschicht ist.

Ich hätte ihr gern persönlich gesagt, dass ich endlich auch mal auf einer Geburtstagsfeier eingeladen bin und dabei gern ihr verwundertes Gesicht dazu gesehen.

Na ja, jedenfalls hat sie ein paar Sandwiches für mich gemacht. Die schnappe ich mir jetzt und gehe dann mit meinem Hund nach draußen.

Es ist wirklich höchste Zeit dafür gewesen, denn Mr. Cop hat sich schon nicht genügend beachtet gefühlt und mir zwischenzeitlich bereits quengelnd seine Leine vor die Füße gelegt…

Während Mr. Cop sich vergnügt im Park austobt, mache ich mir Gedanken um Katharina.

Ich bin total aufgeregt! Sicherlich wird sie auch auf Lukas Party sein.

Ich möchte ihr unbedingt gefallen und nehme mir vor, meine Haare nachher noch mit etwas Gel zu stylen und mir auf jeden Fall noch ein schickes Hemd anzuziehen.

Wie viel Zeit mir dafür noch bleiben wird?

Ich blinzle auf die Kirchturmuhr und stelle fest, dass die Zeit heute rennt!

Ungeduldig rufe ich meinen Hund. „Komm, Mr. Cop! Auf geht’s nach Hause! Ich hab’s heute echt eilig, Sportsfreund!“

Doch Mr. Cop jault nur kurz enttäuscht, kommt aber nicht.

Er hat gerade Besseres zu tun. Immerhin hat er nämlich soeben ein schickes Loch in den Schnee gebuddelt und dafür möchte er von seiner Pudeldame ausgiebig bewundert werden.

Aber er wäre ja nicht mein Hund wenn ich nicht wüsste wie ich ihn umstimmen kann.

„Nun komm‘ schon, du Schnarchnase! Komm, es gibt gleich etwas zu Fressen!“ rufe ich ihm zu. Das Wort FRESSEN wirkt bei Mr. Cop immer. Das hat er kapiert. Schneller als ich gucken kann kommt er sofort angewetzt und lässt sich brav an die Leine nehmen.

Während wir gehen bellt ihm seine Hundedame noch beleidigt hinterher. Doch meinem gefräßigen Hund scheint es nichts auszumachen, sie nun einfach so unhöflich sitzen zu lassen.

Ich muss lachen wenn ich mir vorstelle, dass wenn ich so mit einem Mädchen wie Katharina umgehen würde, sie mir sicherlich was husten würde!

 

Wieder zurück vom Spaziergang, serviere ich meinem Hund auch gleich eine von seinen heiß ersehnten Hundefutterdosen die ich gestern gekauft habe und flitze spontan ins Badezimmer, ohne noch weitere Zeit zu verlieren.

Ich schmiere mir extra viel Gel ins Haar, benutze dann auch noch mein Lieblingsdeo und sprühe mir sogar noch etwas von Papas Parfüm drauf, das er mir dagelassen hat weil er es ja sowieso nicht mehr benutzt seit er eine Frau sein will.

„Jetzt schau’ doch nicht so traurig, Mr. Cop. Abends bin ich ja wieder da und dann gehen wir nochmal raus. Außerdem bist du ja nicht lange allein weil Mama bald kommt.“ tröste ich meinen überaus anhänglichen Hund der mich sehr ungern gehen lassen will.

Tja, begeistert ist er ganz und gar nicht. Immer noch bellt er mir laut nach obwohl ich die Tür schon längst hinter mir zugemacht habe.

Na ja, der wird sich schon wieder beruhigen.

Schließlich muss gerade mein Hund es doch am besten verstehen, dass ich Katharina auf der Party dringend wiedersehen muss!

Immerhin ist er doch selbst ständig am Flirten mit den Weibern…

„Hey, gut dass du hergefunden hast! Die Party ist schon im vollen Gang, wir spielen Flaschendrehen!“ begrüßt Lukas mich strahlend nachdem ich bei ihm geklingelt habe.

Dann rümpft er plötzlich angewidert die Nase. „Sag‘ mal, du hast dich ja vielleicht ins Zeug gelegt, Digga! Mit wie viel Parfüm hast du dich denn eingenebelt? Und, vor allem, wie viel Haargel hast du denn verwendet? Die ganze Packung oder was? Schaust total schmierig aus!“

Ich werde auf einmal unsicher. Vielleicht findet Lukas mich jetzt doch nicht mehr so cool!

Ob er es schon bereut mich überhaupt eingeladen zu haben?

Doch dann grinst er augenzwinkernd. „Sicher hast das wegen der Mädels gemacht, oder? Tja, jeder tut halt was er kann um denen zu gefallen. Na, komm rein Mann!“

Erleichtert atme ich auf als er zur Seite geht und mich reinlässt.

„Schnapp dir ruhig eine Cola aus dem Kühlschrank und bediene dich selbst! Dort vorne, auf dem Tisch, gibt’s Chips, Schokolade und Torte. Zahlen eh alles meine Alten!“ zeigt Lukas mir frech grinsend.

Er drückt mir dann, großzügiger Weise, doch selbst eine Cola in die Hand und ich folge ihm ins Wohnzimmer, wo sich bereits schon alle beim Flaschendrehen amüsieren.

Ich werde ein bisschen nervös, denn er hat fast die ganze Klasse eingeladen!

Doch zum Glück sagt keiner von ihnen was zu mir. Alle tun sie so, als sei ich schon immer dabei gewesen.

Ausgerechnet Katharina ist nun dran mit Flaschendrehen. „Wahrheit oder Pflicht?“ fragt Katharina mich plötzlich obwohl ich mich gerade erst dazu gehockt habe. Alle schauen mich neugierig an. „Ähm…was?“ stammele ich etwas unbeholfen.

„Mann, das ist doch nicht so schwer zu checken! Die Flasche zeigt doch auf dich. Also, was ist jetzt?“ meldet Felix, der neben Katharina sitzt, sich schon zu Wort und guckt mich ziemlich grimmig an. Ich denke angestrengt nach.

Wenn ich jetzt Pflicht sage, dann muss ich Katharina vielleicht küssen! Vor allen anderen! Das wäre mir wirklich voll peinlich, denn ich habe noch nie ein Mädchen geküsst.

„Ich glaube, ich nehme Wahrheit.“ sage ich darum entschieden.

Bilde ich mir das nur ein oder schaut Katharina tatsächlich gerade sehr enttäuscht drein?

Vielleicht wollte sie mich ja tatsächlich küssen? Die anderen verdrehen die Augen.

„Oh, Mann. Was für ein Loser! Ich hätte Pflicht genommen an deiner Stelle!“ gibt Felix erneut seinen Senf dazu. Mir fällt auf, dass er keine einzige Gelegenheit auslässt mich vor den anderen niederzumachen. Katharina seufzt nun und muss mir also eine Frage stellen.

„Bist du schon mal mit einem Mädchen gegangen?“ will sie von mir wissen und schaut mich dabei so ernst an, als ob es ihr dabei um Leben oder Tod ginge.

Ich will gerade antworten als mich Felix schon wieder unterbricht. „Natürlich hatte der noch keine einzige Freundin! Schaut ihn euch doch nur mal an, der ist doch total verklemmt!“

„Schnauze, Felix! Leon ist jetzt dran und nicht du!“ herrscht Lukas ihn auf einmal an. Dankbar schaue ich Lukas an der mir aufmunternd zunickt. Ich kann’s kaum glauben, dass er mich gerade tatsächlich vor seinem besten Freund verteidigt hat! Auch die anderen sind auf einmal absolut still geworden.

Ich schaue wieder zu Katharina, die mich immer noch ernst anschaut. Mir fällt auf, dass ihr diese Frage wirklich sehr wichtig zu sein scheint. Das gibt mir Mut mich doch zu outen.

„Um ehrlich zu sein, ihr habt alle schon Recht. Nein, ich hatte noch keine einzige Freundin bisher.“ löse ich Katharinas Spannung. Schon kichern sie alle los, auch Katharina.

Aber ich merke, dass sie nicht wie die anderen über mich lacht.

Ich bin mir sicher, dass sie jetzt nur deshalb lacht weil sie geradezu erleichtert ist, dass ich noch kein anderes Mädchen habe.

„Jetzt dreh‘ schon endlich! Du bist jetzt dran.“ drängt Felix mich genervt und unterbricht damit die lachende Runde.

Ich tue wie er mir geheißen hat und zufälligerweise zeigt die Flasche nun genau auf Lukas!

„Na, also dann frag‘ mich schon etwas!“ lacht der belustigt und zuckt nur cool mit den Schultern. Also frage ich ihn. „Wahrheit oder Pflicht?“

„Pflicht!“ kommt es aus seinem Mund wie aus der Pistole geschossen.

Während ich überlege was Lukas tun könnte, schweift mein Blick zu dem Tisch mit den Süßigkeiten rüber und bleibt an der Torte hängen. Dabei kommt mir eine lustige Idee!

„Okay, Lukas. Dann musst du zwei Stücke von deiner Geburtstagstorte in nur einer Minute essen!“ sage ich zu ihm und stelle mir schon vor wie verschmiert er danach im Gesicht aussehen wird. Ob die anderen auch schon schmunzeln bei dieser Vorstellung?

Erwartungsvoll gucke ich die anderen an. Doch keiner scheint meinen Humor zu teilen.

Felix verdreht mal wieder nur die Augen. Aber er sagt nichts mehr. Stattdessen meldet sich Nico, der neben ihm sitzt und auch in unsere Klasse geht, zu Wort:

„Hey, das ist doch nicht cool genug! Er sollte schon ein Mädchen küssen!“

Aufgeregt gackern die Mädels los. „Ja, am besten Katharina!“ rufen sie alle laut und klatschen plötzlich auffordernd in die Hände. „Küssen, küssen, küssen…“ fordern sie alle nun ohne Ende, bis auf Felix und mir.

Lukas steht auf und gibt nun beschwichtigende Handzeichen.

„Na schön, na schön! Ich werde also Katharina küssen!“ sagt Lukas und geht auch schon sofort auf sie zu. Dabei wird mir ganz flau im Magen!

Augenblicklich ist da so ein komisches Gefühl in mir, so, als schnürt man mir gerade die Kehle zu! Mir passt es ganz und gar nicht, dass Lukas gleich mein Mädchen küssen wird.

Ohne es zu wollen, muss ich mir nun mitansehen wie Lukas seine Lippen spitzt und Katharina auf ihre weichen, vollen Lippen küsst. Am schlimmsten finde ich dabei, dass Katharina währenddessen nur lacht und seinen Kuss anschließend auch noch erwidert!

„Ja, hey! Ihr geht aber ran!“ amüsieren sich die anderen glucksend.

Mir wird schlecht und ich wende meinen Blick von den beiden ab!

„Na, nun bin aber ich dran mit Drehen!“ höre ich Lukas dann sagen, der sich endlich von Katharina gelöst zu haben scheint.

Ich traue mich wieder aufzuschauen und sehe wie Lukas sich nun wieder dem Flaschendrehen zuwendet. Was wohl Felix von dem Kuss zwischen Katharina und Lukas hält?

Verstohlen schiele ich zu ihm herüber. Ich bemerke, dass Felix soeben ziemlich schweigsam geworden ist und kaum noch mit den anderen lacht. Zumindest scheint er die Aktion eben von den beiden auch nicht gerade besonders toll gefunden zu haben…

Es vergeht einige Zeit und wir spielen dieses dämliche Spiel weiter, das ich inzwischen nur noch blöd finde. Gott sei Dank komme ich aber schon lange nicht mehr dran und tüftele derweil insgeheim schon an einer Ausrede damit ich heimgehen kann.

Doch Lukas scheint plötzlich immer unruhiger zu werden.

Immer wieder guckt er auf die große Uhr die in seinem Wohnzimmer hängt. Wie von einer Tarantel gestochen springt er auf einmal, aus heiterem Himmel, auf.

„Okay, alles klar Leute! Die Party ist vorbei. Mein Alter kommt gleich aus der Arbeit darum müsst ihr jetzt gehen. War aber ein geiler Tag mit euch heute!“

Ich bin froh darüber aber die Begeisterung der anderen hält sich in Grenzen.

„Das kann doch nicht dein ernst sein! Gerade jetzt, wo es doch erst so richtig lustig wird!“ meckern einige Jungs aus meiner Klasse.

„Na, kommt schon! Wir können doch noch irgendwo anders abhängen.“ schlagen ein paar Mädels ihnen gutmeinend vor. Auch ich will mich von Lukas verabschieden.

„Danke nochmal, war nett von dir mich einzuladen.“ sage ich und ziehe schon meine Jacke an. „Hey, du doch nicht, Leon! Du kannst ruhig noch bleiben. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen beim Abräumen.“ bittet Lukas mich. „Okay.“ antworte ich und wundere mich darüber, dass er nicht seinen besten Freund Felix um Hilfe bittet.

„Puh, na endlich! Ich hatte schon befürchtet ich werde die nicht mehr rechtzeitig los!“ stöhnt Lukas als ich mit ihm alleine bin.

„Magst du die anderen eigentlich gar nicht?“ erkundige ich mich irritiert.

Lukas seufzt. „Die anderen sind ja nicht das Problem. Das Problem ist mein alter Herr. Du weißt ja, der säuft die letzte Zeit wie ein Loch! Meistens kommt er betrunken heim. Ich will auf keinen Fall, dass ihm irgendjemand von denen jemals so begegnet. Dann wäre ich wahrscheinlich bald die Lachnummer in der Schule… Aber du weißt ja, wie so was ist.“

Wir räumen gemeinsam den Tisch ab und dann nimmt Lukas einen nassen Lappen in die Hand um nochmal drüber zu wischen.

„Du könntest noch die leeren Cola Flaschen in eine Tüte einsammeln. Kannst sie dann in die Küche stellen, die gibt meine Mutter dann morgen ab!“ weist er mich an.

Wir schweigen beim Aufräumen eine Weile und ich denke darüber nach was Lukas gerade gesagt hat. Erst jetzt begreife ich, dass er sich für seinen Vater genauso schämen muss wie ich für meinen Vater und dass er mich in der Schule vermutlich nur deshalb ständig fertig gemacht hat um von seinem peinlichen Vater abzulenken, damit er nicht selber zur Lachnummer werden könnte. Scheinbar hat er große Angst, dass er plötzlich nicht mehr der Coole sein könnte für den ihn alle halten wenn das mit seinem Vater rauskommt…

Trotzdem finde ich es nicht besonders nett von ihm, dass er mich deshalb so lange Zeit vor den anderen niedergemacht hat. Und außerdem regt es mich immer noch auf, dass er vorhin Katharina geküsst hat!

Ob er ebenfalls ernste Gefühle für sie hegt? Ich muss es unbedingt wissen!

„Sag‘ mal, Lukas, die Sache vorhin mit Katharina…“ spreche ich das Thema vorsichtig an, werde dabei aber gleich von ihm unterbrochen. „Ach ja, Katharina. Ja, sie ist ein echt schönes Mädchen! Aber das ist es auch schon. Sie ist absolut nicht mein Typ. Das vorhin war ja nur ein Spiel! Auf mich stehen viele Mädels, das bin ich schon gewohnt.“

Mir fällt ein Stein vom Herzen während Lukas sich suchend umschaut.

„Hast du meinen Rucksack gesehen?“ fragt er mich beiläufig.

„Keine Ahnung, wie schaut er denn aus?“ will ich wissen.

„Ach, vergiss‘ es! Sehe ihn schon!“ sagt er schnell und greift nach einem schwarzen Rucksack der abseits, in einem Eck, steht.

„Also, los! Lass‘ uns abzischen!“ fordert er mich auf.

Ich verstehe nicht ganz. „Abzischen? Wohin willst du denn gehen?“

„Wir fahren zu meiner Oma. Ich leih‘ dir auch mein zweites Bike! Oder glaubst du, dass ich etwa heute, an meinem Geburtstag, noch großen Bock drauf habe meinem besoffenen Alten zu begegnen und mich von ihm nerven zu lassen?“ meint Lukas wie selbstverständlich.

Ich verstehe zwar immer noch nicht warum er ausgerechnet mich bei seiner Oma dabeihaben will. Aber ich freue mich, dass er noch gern was, nur mit mir allein, unternehmen will und hake deshalb nicht weiter nach.

Feierlich übergibt er mir draußen sein altes Klapprad vom Keller, während er sich ein cooles Mountainbike schnappt. „Also, los! Du fährst mir am besten einfach hinterher! Meine Oma wohnt nicht so weit von hier weg.“ sagt Lukas noch und flitzt auch schon los.

Ich habe schon etwas Mühe ihn mit dem alten Gestell, das er mir gegeben und das nicht mal eine Gangschaltung hat, einzuholen.

Trotzdem finde ich, dass ich ganz gut mit seinem Tempo mithalte.

Ich schätze, dass wir vielleicht knappe zwanzig Minuten gefahren sind, als wir in eine ländlichere Gegend kommen. Vor einem kleineren Haus mit Garten hält Lukas an.

„Da wären wir schon! Kannst das Bike ruhig an den Zaun anlehnen, so wie ich es gemacht habe. Das klaut hier sowieso keiner!“ sagt Lukas zufrieden und klingelt auch schon.

Sofort kommt eine kleinere, weißhaarige Frau auf uns zu die uns beide aufrichtig anstrahlt.

„Ich hab‘ mir schon gedacht, mein Junge, dass du heute noch kommst. Alles Gute zu deinem Geburtstag, mein Junge!“ begrüßt sie Leon herzlich und umarmt ihn sogleich.

Neugierig mustert sie mich dann. „Na, und wer bist du?“ will sie von mir wissen und gibt mir ihre Hand. „Das ist Leon, mein bester Freund! Wir gehen in dieselbe Klasse.“ antwortet Lukas sofort für mich. „So, so, Leon. Na, kommt doch schon beide rein! Ich habe einen Kuchen gebacken und es gibt Kakao!“ lädt sie uns ein.

Während ich den beiden ins Haus folge, bin ich immer noch baff. Hat Lukas das eben gerade wirklich ernst gemeint?

Ich dachte bisher immer, dass eigentlich Felix sein bester Freund wäre…

„Na, dann puste mal, mein Junge. Und wünsch‘ dir was Schönes!“ sagt Lukas Oma zu ihm, die sich mächtig für ihn ins Zeug gelegt hat um groß aufzutischen. Nicht nur, dass der selbstgebackene Marmorkuchen auf dem Tisch mit fünfzehn Kerzen bestückt ist, sondern es gibt auch noch eine riesige Schüssel mit Kartoffelsalat und einen Topf mit heißen Würstchen!

Mit diesem liebevoll gedeckten Tisch und den vielen Kerzen finde ich es gleich so richtig gemütlich bei seiner Oma.

„Du solltest auf jeden Fall was vom Kuchen probieren! So einen guten Marmorkuchen wirst du dein ganzes Leben lang nie wieder essen." verspricht Lukas mir grinsend nachdem er die Kerzen ausgeblasen hat.

„Aber Lukas, “ winkt seine Oma bescheiden ab, „jetzt hör‘ schon auf, mein Junge! Es ist doch nur ein einfacher Marmorkuchen, so wie immer halt. Ich werde ja noch ganz rot vor Verlegenheit wenn du mich so vor deinem Freund Leon lobst.“

Doch Lukas besteht darauf. „Ehre dem, wem Ehre gebührt! Oder kennst du sonst noch irgendjemanden der heutzutage noch einen Marmorkuchen, mit richtig fetten Schokoladenstücken drin, bäckt? Also, ich kenne da niemanden!“

Echte Schokoladenstückchen? Da muss ich doch gleich zulangen und reinbeißen! „Ja, der schmeckt wirklich super!“ lobe nun auch ich seine Oma, die verlegen zur Seite sieht.

„Na, mein Junge, wie geht’s denn deinen Eltern so?“ wendet sie sich an Lukas, der gerade mampft als wäre er ein halbverhungerter und gestrandeter Seeräuber.

„Ganz gut. Sie arbeiten zurzeit viel. Aber das ist gut für mich. Dann sehen sich die beiden nicht mehr so oft und kommen so weniger zum Streiten. Und ich muss sie auch nicht die ganze Zeit ertragen.“ erzählt Lukas schmatzend.

„Tja, das ständige Gezanke deiner Eltern ist sicher nicht schön für dich, mein Junge.“ seufzt seine Oma anteilnehmend und lächelt mir dann wieder zu.

„Ich bin echt froh wenn ich meinen versoffenen Vater nicht mehr so oft sehen muss! Und Mama stichelt auch nur immer rum. Die geht mir vielleicht so was von auf den Sack!“ gesteht Lukas seiner Oma ehrlich als er endlich den Mund wieder frei hat.

Seine Oma ist entsetzt. „Aber Lukas, wie sprichst du denn vor Leon über deine Eltern!“

Lukas bleibt gelassen. „Wegen Leon musst du dir keinen Kopf machen, Oma. Seine Eltern streiten ja selber auch ständig wie die Kesselflicker, der kennt das schon! Leons Vater trägt nämlich Weiberklamotten, deshalb.“ plaudert Lukas gedankenlos aus, was mir ziemlich peinlich ist. Ich bin überhaupt nicht begeistert, dass er das so offen seiner Oma erzählt.

Besorgt schaut seine Oma mich an. „Wirklich? Oh Gott, dann hast du es sicherlich auch nicht sehr leicht mit deinen Eltern. Trinkt denn dein Vater auch zu viel?“

Schnell schüttele ich den Kopf. „Ne, er verkleidet sich nur manchmal gerne als Frau und darum hat er uns auch verlassen. Aber das ist auch schon alles.“ spiele ich herunter.

„Ja, ja. Eltern können ganz schön anstrengend sein.“ beendet Lukas Oma das Thema und schaut ganz komisch dabei drein. Gott sei Dank sagt sie dann nichts mehr dazu.

Sie steht nun vom Tisch auf und geht in ein anders Zimmer.

„Hast du das unbedingt erzählen müssen?“ fahre ich Lukas beleidigt an.

„Mensch, Leon, krieg‘ dich wieder ein. Meine Oma gehört nicht zu den Klatschbasen, die sagt garantiert niemandem etwas. Die ist verschwiegen wie ein Grab!“ beschwichtigt er mich.

Kurz darauf kommt seine Oma wieder ins Zimmer, mit einem Briefumschlag in der Hand, den sie an Lukas weitergibt. „Hier, mein Junge. Ich wusste ja nicht was du in deinem Alter so magst. Darum habe ich auf deinen Geburtstag gespart. Kauf‘ dir also lieber selber was du willst!“ strahlt sie ihren Enkel an. Lukas ist begeistert.

„Wow, danke Oma!“ meint er als er den Umschlag öffnet und eine nette Geburtstagskarte, auf der eine Torte abgebildet ist, herauszieht. Doch nicht nur Lukas, sondern auch ich, staune nicht schlecht als wir sehen was in der Karte steckt: gleich drei 100 Euro-Scheine!

„Mensch, Oma, das ist ja megastark! So viel Geld!“ freut Lukas sich.

„Das ist schon okay, mein Junge. Schließlich hast du es mit deinen Eltern ja echt nicht sehr leicht im Leben und machst viel mit. Jetzt bist du fünfzehn Jahre alt geworden und sollst dir ruhig auch mal was gönnen!“ zwinkert ihm seine Oma aufmunternd zu.

Ich merke wie ich ein bisschen neidisch auf Lukas bin.

Ich hätte auch gerne so eine nette Oma gehabt, der ich alle meine Probleme erzählen kann und die mir Geld schenkt. Aber leider leben meine Großeltern schon lange nicht mehr.

Seine Oma will sich gerade wieder zu uns an den Tisch setzen, doch plötzlich, verdreht sie aus heiterem Himmel ihre Augen und ihr ganzes Gesicht verzieht sich!

Ihre Mundwinkel hängen nach unten und sie fängt wie Espenlaub zu zittern an!

Erschrocken springen Lukas und ich auf. „Schnell, hilf mir!“ sagt er flehend.

Hastig stützten wir die alte Dame, die beinahe hingefallen wäre, gerade noch rechtzeitig und ziehen sie zusammen, ganz langsam, auf ihren Stuhl. Immer noch zittert sie und kann nicht mehr reden. „Wir müssen einen Krankenwagen rufen!“ schreie ich panisch.

Lukas schüttelt den Kopf und streichelt fürsorglich die Hand der alten Frau. „Nein. Ihr wird es gleich wieder besser gehen. Wirst sehen.“ meint er nur ruhig.

Ich kapiere nicht wie Lukas so ruhig bleiben kann, doch ich warte mit ihm noch einige Minuten geduldig weiter ab.

Seine Oma hört allmählich langsam zu Zittern auf und bemüht sich schon wieder zu lächeln.

„Jetzt habt ihr aber einen Schrecken gekriegt, Kinder, was? Aber keine Sorge, ich lebe ja noch!“ scherzt sie mit erschöpfter Stimme. „Sei doch bitte so lieb und bring‘ mir aus der Küche ein Glas Wasser. Das brauch ich jetzt nämlich.“ bittet sie Lukas anschließend.

„Keine Sorge, Leon. Das ist nur der Krebs. Mit dem muss ich leider schon eine ganze Weile leben.“ klärt sie mich dann auf und seufzt. Ich wage es nicht, sie noch weiter zu fragen sondern nicke nur verständnisvoll.

Lukas kommt nun mit einem Glas Wasser zurück. „Hier, Oma. Aber trink‘ bitte langsam!“

Seine Oma nimmt ihm das Glas dankbar aus der Hand.

„Ich glaube, ich lege mich jetzt lieber ein bisschen ins Bett. Ihr könnt beide aber gerne noch bleiben. Macht nur bitte das Gartentor zu wenn ihr wieder geht.“ sagt sie freundlich.

„Ist gut, Oma.“ antwortet Lukas und schaut mich an. „Komm, Leon. Lassen wir meine Oma allein. Sie muss sich erholen. Lass‘ uns in den Garten gehen. Ich will dir was zeigen!“

Ich folge Lukas in den verschneiten Garten wo er direkt auf einen Baum zugeht.

„Schau mal, Leon. Der Stamm ist hier hohl. Mein Geheimversteck!“ grinst er verstohlen und holt von dort eine Flasche Bier hervor. „Die hab‘ ich gestern Abend meinem alten Herrn geklaut.“ zwinkert er mir zu und steigt damit auf einen der vielen, dicken Äste.

„Komm‘ auch rauf!“ winkt er mir von oben zu.

Mehrmals rutsche ich am schneebedeckten Stamm ab, bevor ich endlich neben ihm sitze.

Lukas greift jetzt in seine Jackentasche und zieht ein kleines Taschenmesser heraus das er mir stolz zeigt. „Guck mal, das hab‘ ich mir letztens selber gekauft. Da ist sogar ein Flaschenöffner mit bei! Praktisch, oder?“

Kurzerhand öffnet er die Bierflasche und trinkt daraus. „Möchtest du auch mal?“ bietet er mir an. Ich bin unsicher. Noch nie habe ich Alkohol getrunken. Wenn meine Mutter das wüsste, dann würde sie mir das ganz sicher verbieten weil ich noch keine Sechzehn bin…

„Na, nimm‘ schon! Ein Schluck wird dich schon nicht gleich umbringen.“ meint Lukas lachend und streckt mir die Flasche hin.

Ich will kein Spielverderber sein und gebe mir einen Ruck. „Mann, das schmeckt ja widerlich! Wie Pisse!“ finde ich nachdem ich probiert habe und gebe ihm die Flasche lieber wieder zurück. Er zuckt nur mit den Achseln und trinkt noch ein bisschen davon.

„Meine Oma ist sehr krank.“ sagt er plötzlich leise und schaut mich traurig an.

Dabei schaut er genauso traurig aus wie gestern, als wir zusammen Tütenrutschen waren und er mir von seinem Vater erzählt hat.

„Ja, ich weiß. Sie hat Krebs. Sie hat es mir gesagt.“ nicke ich mitfühlend.

„Meine Oma ist die Einzige zu der ich immer gehen kann. Immer wenn meine Eltern mich nerven gehe ich zu ihr. Manchmal übernachte ich auch bei meiner Oma weil ich nicht mehr nach Hause will. Aber ich mache mir große Sorgen um sie, dass sie bald sterben könnte wegen ihres Gehirntumors. Ich hoffe nur, dass sie wenigstens noch so lange lebt bis ich endlich erwachsen bin und von zu Hause ausziehen kann.“ erzählt Lukas mir und nippt nachdenklich an seinem Bier.

Lukas sieht so betrübt aus, dass ich angestrengt überlege was ich ihm Aufbauendes sagen kann. „Bestimmt macht deine Oma es noch lange. Wirst sehen!“ sage ich und klopfe ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Überhaupt, wer kann schon sagen wie lange einer lebt? Es gibt Menschen, die sind total gesund und sterben dann plötzlich an einem Unfall. Du solltest dir also keine Sorgen machen. Sterben müssen wir ja alle einmal. Aber das bedeutet nicht, dass jemand der krank ist automatisch auch schneller sterben muss wie ein Gesunder.“

Lukas nickt dankbar. „Ja, du hast Recht. So habe ich das noch gar nicht betrachtet.“

„Du kannst wirklich froh sein, dass du überhaupt noch so eine nette Oma hast. Ich habe längst keine Großeltern mehr. Ich kann nicht einfach abhauen wenn meine Eltern mich nerven.“ füge ich noch hinzu.

„Aber dafür hast du ja wenigstens deinen Hund. Ich hätte auch so gerne einen Hund.“ seufzt Lukas und hält mir wieder brüderlich sein Bier hin.

Ich weiß seine Geste der Verbundenheit zu schätzen und nehme diesmal auch einen tiefen Schluck, obwohl es mir nicht schmeckt.

„Ja, Mr. Cop. Der ist mein einziger Freund.“ stimme ich ihm nickend zu und merke plötzlich, dass ich meinen Hund ein bisschen vermisse.

„Ja, Mann. Dein Mr. Cop ist echt ein toller Hund!“ sagt Lukas ernst und nimmt mir das Bier wieder aus der Hand um selbst daraus zu trinken. Mir wird so langsam etwas komisch im Kopf und ich nehme mir vor, doch lieber kein Bier mehr zu trinken.

„Leon, ich würde dir gerne was anvertrauen. Aber du musst mir versprechen, dass du es niemanden erzählen wirst, schwöre!“ sagt Lukas auf einmal mit bitterernster Miene.

Ich gebe ihm mein Ehrenwort drauf. „Ich habe dir doch erzählt, dass mein Vater meine Mutter schon mal im Suff geschlagen hat.“ fängt Lukas zu erzählen an.

„Ja, ich weiß. Und das ist total scheiße!“ nehme ich Anteil an seinen Problemen.

Er nimmt jetzt nochmal einen großen Schluck aus der Flasche und guckt mich finster an.

„Das ist aber nur die halbe Wahrheit gewesen.“, gesteht er mir dann, „Mein Vater hat im Suff nicht nur sie geschlagen, sondern auch mich. Mehrmals.“

Bestürzt schaue ich Lukas an. Das ist ja schrecklich! Ich kann mir so was gar nicht richtig vorstellen, denn mein Vater hat mich noch niemals geschlagen.

„Das Jugendamt war neulich bei uns. Sie wollten mich mitnehmen in ein Kinderheim oder zu Pflegeeltern. Ich will das aber nicht! Ich will nicht zu fremden Leuten! Darum hab‘ ich gelogen. Ich habe denen gesagt, dass mein Vater mich nicht schlägt. Aber das ist eine Lüge. Er hat es getan und tut es manchmal immer noch.“ redet er weiter.

Er wischt sich mehrmals mit dem Ärmel über seine Augen um cool zu bleiben.

Doch auf einmal fängt er an zu heulen. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich ausgerechnet Lukas, den stets unerschrockenen Klassenheld, mal heulen sehe!

„Scheiße, dein Vater ist echt ein Arschloch!“ ist alles, was mir dazu noch einfällt.

Schnell wischt Lukas sich die Tränen ab. „Naja, jetzt werden sich meine Eltern eh scheiden lassen. Endlich! Ich werde dann bei meiner Mutter bleiben und dann hoffentlich Ruhe von meinem Vater haben.“ schnieft Lukas noch zaghaft.

„Naja, mein Vater ist auch nicht leicht.“ gebe ich nun offen zu.

„Kannst mir glauben, Lukas. Ständig blamiert er mich vor anderen und checkt es einfach nicht mal! Er kapiert einfach nicht, dass er das beschissene Verkleiden lassen soll! Manchmal tut er so rum als wäre er tatsächlich eine Frau! Das fühlt sich so ätzend an! Fast so, als wäre er auf einmal ein anderer Mensch, als wäre er eine Frau die mir meinen Vater gestohlen hat. Neulich hat mein Vater gesagt, dass er auch noch mit ein paar anderen Männern zusammenwohnen will, Männer die ebenfalls so tun als wären sie Frauen. Ich bin so sauer auf meinen Vater! Ich glaube, die anderen Männer sind ihm wichtiger als ich und meine Mutter. Darum hat er uns auch verlassen. Und den Hund hat er mir wahrscheinlich auch nur gekauft weil er ein schlechtes Gewissen hat!“

Ich bremse mich. Ich merke, wie ich vor Wut bebe und wundere mich, dass ich auf einmal so offen über meine Gefühle sprechen kann, die ich eigentlich sonst nur runterschlucke.

Das muss wohl am Bier liegen!

Doch zum Glück hat Lukas es jetzt leergetrunken während er mir aufmerksam zugehört hat.

„Okay, halten wir mal fest: dein Vater ist ein Freak. Richtig?“ gibt Lukas seinen Kommentar ab. „Richtig.“ stimme ich ihm von ganzem Herzen zu.

„Und mein Vater ist ein Arschloch. Auch richtig?“ fasst Lukas zusammen.

„Ja, richtig.“ gebe ich entschieden zu.

„Aber ich glaube, dass ein harmloser Freak zumindest noch erträglicher ist wie ein Arschloch. Lieber ein Freak als ein Arschloch als Vater!“ kommt Lukas zur abschließenden Erkenntnis des Abends.

Das hat mich echt nachdenklich gemacht. Ich finde nämlich, dass er absolut Recht damit hat, denn mit ihm tauschen würde ich auch nicht gern.

„Mit dir kann man echt gut reden, Leon. Weißt du, dass du seit gestern mein bester Freund bist?“ gibt Lukas anerkennend zu. „Du bist auch mein bester Freund neben Mr. Cop. Noch nie habe ich bis jetzt mit jemanden über meine Probleme geredet.“ erwidere ich ehrlich.

Das scheint Lukas zu freuen, denn er lächelt jetzt wieder ein bisschen.

„Mir geht’s mit dir ganz genauso. Mit Felix kann man nicht über so was reden. Dem seine Familie ist wie aus einem Bilderbuch und coole Geschwister hat er auch noch. Sogar einen älteren Bruder hat der Felix, der ihm meistens Freikarten besorgt weil der in einem Kino arbeitet. Ne, der Felix versteht so was nicht.“ gibt Lukas geradlinig von sich.

Nun weiß ich sicher, dass Felix noch nie sein bester Freund gewesen ist.

Zwischenzeitlich ist es dunkel geworden und so langsam sollte ich nach Hause gehen.

„Eins musst du mir aber schon noch versprechen.“ meint Lukas besorgt, „Zu niemandem ein Wort darüber, dass ich heute geweint habe! Auch nicht, dass mein Vater ein Alkoholiker ist!“

„Natürlich nicht. Die Sache bleibt unter uns, selbst wenn wir mal streiten sollten!“ antworte ich hoch und heilig. Zufrieden grinst Lukas nun.

„Aber du musst mir auch was versprechen.“ sage ich dann ernst, „Verarsch‘ mich nie wieder vor den anderen und mach‘ dich über meinen Vater lustig! Das tut nämlich verdammt weh.“

„Geht klar! Tut mir echt leid, dass ich mal so zu dir war.“ gibt er beschämt zu.

Auf dem Rückweg schieben wir unsere Fahrräder weil uns vom Bier immer noch leicht schwindelig ist. Vereinzelt stehen schon Sterne am Himmel.

„Irgendwo gibt es ein Sternbild, das man Großer Hund nennt. Das hat mir mein Vater mal erzählt, früher, als er noch nicht so viel getrunken hat. Angeblich sieht man es im Januar.“ sagt Lukas und beide gucken wir suchend in den Himmel. Doch wir finden es nicht.

Irgendwann entdecken wir aber ein paar Sterne, die immerhin annähernd so ausschauen wie ein Hund, wenn man sie gedanklich miteinander verbindet.

„Das könnte er schon sein, der große Hund! Der guckt sogar tatsächlich so aus wie deiner!“ meint Lukas und lacht. „Schon irgendwie. Nur dass mein Hund sehr viel dicker ist als das Sternbild. Der frisst nämlich auch ziemlich gern!“ ist meine Meinung dazu.

Obwohl wir zurück gelaufen sind, kommt uns der Weg viel kürzer vor als vorhin und so erreichen wir schon bald die Straße in der Lukas wohnt. Dort angekommen, helfe ich ihm noch seine beiden Fahrräder in den Fahrradkeller zurück zu tragen.

„Danke, das war heute echt ein toller Geburtstag mit dir!“ sagt Lukas nochmal wertschätzend als wir uns verabschieden und ich nach Hause aufbreche.

Auf dem Nachhauseweg fällt mir auf einmal ein Spruch ein, den ich mal irgendwo gelesen habe: Freundschaft muss nicht perfekt sein, nur echt.

Ich glaube seit heute, die Freundschaft zwischen Lukas und mir ist absolut echt.

Genauso echt, wie zwischen mir und Mr. Cop.

 

Krach unter Freunden

 

Ich hätte nicht geglaubt, dass Lukas und ich jemals wieder streiten werden.

Lukas ist jetzt nämlich, neben Mr. Cop, mein bester Freund.

Ich habe auch das Gefühl, dass sogar Mr. Cop ihn neuerdings gut leiden kann.

Immerhin begrüßt er Lukas ständig schwanzwedelnd sobald er ihn sieht.

Nicht nur nach der Schule trifft sich Lukas fortan mit mir, sondern auch die Schulpausen verbringen wir gemeinsam.

Lukas scheint es gar nichts auszumachen, dass Felix seitdem kaum noch mit ihm redet.

Auch, dass die anderen Jungs aus unserer Klasse ihn jetzt wegen mir meiden weil sie immer noch keinen so guten Draht zu mir Eigenbrötler haben.

„Mir ist das ehrlich gesagt voll egal was die anderen von mir halten. Wir beide sind jetzt Freunde und ich steh‘ zu dir!“ sagt Lukas eines Tages entschlossen zu mir als wir mal wieder allein auf dem Pausenhof herumstehen.

„Find‘ ich echt stark von dir!“ sage ich daraufhin und weiß es zu schätzen.

Dennoch habe ich ein schlechtes Gewissen wegen Felix.

„Ich wollte aber deine Freundschaft mit Felix nicht kaputtmachen, ich hoffe, du weißt das. Mir tut es echt leid, dass er dich nun kaum noch beachtet.“ gebe ich betroffen zu.

Lukas winkt gelangweilt ab. „Ach, lass‘ mal! Der Felix muss eben erst kapieren, dass er nicht mein einziger Freund auf der Welt ist. Der ist selber schuld wenn er sich so rar macht. Das ist ja nicht mein Problem, dass er sich so kindisch benehmen muss.“

Damit ist das Thema Felix für Lukas vorerst abgehakt.

Es gibt da schließlich ein Thema, das viel interessanter für uns beide ist…

„Guck‘ lieber mal zu den Mädels rüber!“ grinst Lukas und nickt mit seinem Kinn in deren Richtung. „Die stehen schon seit mehreren Tagen immer in unserer Nähe, gucken dauernd zu uns herüber und kichern so dämlich. Ist dir das denn noch gar nicht aufgefallen?“

Klar, ist mir das schon lange aufgefallen. Vor allem, weil Katharina dabei ist.

Aber ich habe mir nichts anmerken lassen, auch nicht vor Lukas.

Seit mehreren Tagen tauschen Katharina und ich heimliche Blicke aus und ich bestaune ihre schönen Grübchen und ihre strahlenden Bernsteinaugen wenn sie mit den anderen Mädchen lacht. Doch dann werde ich immer rot im Gesicht und muss beschämt wegschauen.

„Ich glaube, die fliegen alle total auf mich!“ ist Lukas selbstbewusster Kommentar darauf, „Aber das ist mir ja nicht neu. Vor allem Katharina scheint meinen Kuss, den ich ihr beim Flaschendrehen gegeben habe, noch immer nicht so ganz verkraftet zu haben. Die hat echt noch nicht gecheckt, dass der tolle Kuss nur ein Teil des Spiels war… Sicherlich hat sie sich in mich verguckt und schaut deshalb andauernd lachend in meine Richtung.“

Ich bin ein bisschen genervt von seinem Ego. „Vielleicht lachen Mädels ja aber auch generell sehr gern und es muss nichts bedeuten!“ gebe ich ein wenig schnippisch zurück.

Doch auf einmal bleibt mir vor Staunen der Mund offenstehen stehen.

Völlig überrascht beobachte ich, wie Katharina plötzlich direkt auf uns beide zugeht.

Mein Herz klopft nun so wild vor lauter Aufregung, so dass ich fast befürchte ich kriege jetzt gleich einen Herzkollaps!

„Na, bitte. Was hab‘ ich dir gesagt? Sie muss total auf mich abfahren! Oh Mann, höchstwahrscheinlich bittet sie mich jetzt gleich um ein Date!“ meint Lukas siegessicher und guckt angestrengt zur Seite.

„Wir müssen mal reden, bitte!“ sagt Katharina mit schüchternem Blick, als sie nun plötzlich neben uns steht. Obwohl ihre Stimme unsicher klingt und sie uns beide, scheu wie ein Reh, anlächelt, steht sie doch ganz aufrecht da.

Dabei kann ich erkennen, wie sich die Form ihres wohlgeformten Busens auf dem Pulli abzeichnet, den sie unter ihrer geöffneten Jacke trägt. Wie weiblich und schön sie ist!

Augenblicklich finde ich keine Worte, aber Lukas ist nicht gerade auf den Mund gefallen.

„Okay, Katharina, kein Problem. Ich hab’s mir schon gedacht. Wo wollen wir denn hingehen um zu reden?“ will er von ihr wissen und streicht sich über sein Haar. Dabei rollt er heimlich mit den Augen um mir anzudeuten, dass er es ja geahnt hätte dass es so kommt.

Katharina schüttelt den Kopf. „Nö, Lukas. Dich meine ich ja gar nicht. Ich möchte gerne mit Leon unter vier Augen reden.“ Sie schaut mich flehend an. „Was ist, kommst du kurz mit?“

„Okay.“ antworte ich schnell und merke, wie Lukas uns noch misstrauisch nachschaut.

Er scheint ziemlich gekränkt zu sein aber er nickt mir zu als ich mich nochmal nach ihm umdrehe.

„Lass‘ uns zum Schulbrunnen laufen, dort können wir uns in Ruhe unterhalten!“ schlägt Katharina mir vor. Alles, was ich noch rausbringen kann, ist ein „Äh…okay. Wie du willst.“

Mir wird auf einmal ganz heiß und auch meine Hände beginnen zu schwitzen. Schweigend gehen wir zum Brunnen der mitten auf dem Pausenhof steht. Dort, an einem stillen Plätzchen setzen wir uns. Katharina wirkt auf einmal ebenso nervös wie ich und räuspert sich zuerst mehrmals bevor sie mir einen Vorschlag macht. Dabei wagt sie kaum mich anzusehen sondern guckt nur immerzu auf den Boden…

„Okay, Leon. Ich wollte dich eigentlich nur fragen ob du heute schon was vorhast? Ich meine, falls du Zeit hast, dann könnten wir zusammen doch in den Zoo gehen. Ich habe nämlich noch zwei Freikarten übrig und du könntest ja Mr. Cop mitbringen. Hunde sind dort nämlich auch erlaubt. Was hältst du davon?“

„Gute Idee. Klar, gerne gehe ich mit dir in den Zoo.“ bringe ich gerade noch so aus mir heraus und muss schlucken weil ich so angespannt bin. Ich bin völlig hin und weg! Ausgerechnet die tollste Frau in unserer Schule will mich daten! Natürlich ist das ein gewolltes Date!

Ich glaube nämlich nicht wirklich, dass sie ausgerechnet zwei Freikarten für den Zoo zuhause rumliegen hatte. Bestimmt muss sie die extra gekauft haben damit sie mich heute fragen kann!

Sie wagt es nun doch mich direkt anzuschauen. „Prima!“ strahlt sie mich an und atmet erleichtert auf. Oh Mann, dieses wunderschöne Funkeln in ihren Augen! Ich kriege ganz weiche Knie davon und muss nun doch wieder schnell woanders hinschauen…

„Wir könnten davor ja noch was essen gehen. Ich kenne da so ein geiles Dönerrestaurant, das erst kürzlich aufgemacht hat. Die haben dort sogar vegane Döner! Es liegt direkt auf dem Weg zum Tierpark.“ schlägt Katharina atemlos vor. „Klar, klingt gut.“ erwidere ich.

Ich habe zwar noch nie einen veganen Döner gegessen aber ich finde, dass es verlockend klingt. Außerdem interessiert mich im Moment sowieso nicht was wir essen werden.

Das einzige Wichtige ist für mich, dass Katharina, das tolle Mädchen, mit mir ihre Zeit verbringen will! Katharina freut sich schon drauf. „Also, treffen wir uns dann nach der Schule vor dem neuen Dönerladen? Sagen wir mal um drei Uhr?“ „Abgemacht.“ sage ich und dann erklärt sie mir noch eilig den genauen Weg wie ich dorthin komme.

„Also, bis dann!“ zwinkert sie mir mit ihrem typisch sonnigen Blick zu und eilt dann wieder zurück zu ihren Freundinnen. Ich schaue mich suchend nach Lukas um. Doch der ist schon in die Klasse zurückgegangen da die Pause gerade zu Ende gegangen ist.

Jedoch werde ich während des Unterrichts das Gefühl nicht los, dass Lukas wegen irgendwas beleidigt sein könnte.

Immer wieder guckt er zu mir her und schaut so ziemlich grimmig aus…

Auch Katharina schaut öfters zu mir her aber, im Gegensatz zu Lukas, lächelt sie mich fröhlich dabei an.

 

„Sag‘ doch mal endlich, was Katharina von dir wollte! Ich platze fast vor Neugier!“ überfällt Lukas mich gleich nach der Schule als wir aus dem Gebäude gehen.

„Naja…sie hat mich heute eingeladen mit ihr in den Zoo zu gehen.“ gebe ich ihm stolz Bescheid. Ungläubig starrt er mich an.

„Was? Im Ernst jetzt? Sag‘ mal, steht die etwa auf dich? Ich hatte ja keine Ahnung…“ erwidert er völlig geschockt. „Und du? Hast du zugesagt?“ will er nun wissen.

„Ja, schon.“ gebe ich zu und zucke gleichgültig mit den Schultern.

Lukas ist irritiert. „Aber eigentlich wollten wir doch heute wieder was zusammen machen. Du wolltest doch mitfahren zu meiner Oma. Sie hat doch heute Geburtstag! Und den Hund wollten wir doch auch mitnehmen.“ meint er dann enttäuscht.

Oh je! Er hat Recht. Das habe ich ja ganz vergessen…

„Sorry, ich hab‘ gar nicht mehr drangedacht. Können wir das denn nicht verschieben? Ich glaube nicht, dass es deiner Oma viel ausmacht ob ich heute mitkomme oder erst morgen.“ bitte ich ihn entschuldigend. „Du stehst also auch total auf sie, stimmt‘s?“ stellt er nun fest. „Ja, schon, wenn ich ehrlich bin. Bin total verknallt in sie, schon länger.“ gebe ich zu.

Was soll’s, jetzt ist es heraus! Immerhin ist er ja mein bester Freund und eigentlich müsste er sich jetzt ja für mich freuen. Doch er reagiert vollkommen anders als ich es erwartet habe.

„Du will mich also versetzen, wegen einer Tussi? Klasse! Echt klasse!“ fasst er zusammen und wirkt niedergeschlagen. Ich erschrecke.

Oh Mann, ich wollte Lukas doch nicht vor den Kopf stoßen!

„Lukas, ich bitte dich! Versteh‘ mich doch. Schon seit Wochen hoffe ich darauf, dass ich mich endlich mit Katharina allein treffen kann. Wir können das andere doch verschieben, deine Oma läuft uns doch nicht weg!“ vertröste ich ihn versöhnlich.

Lukas schaut trotzdem ziemlich wütend aus und schnauft ärgerlich.

„Nein, weglaufen tut meine Oma sicher nicht! Aber sie hat nur einmal im Jahr Geburtstag, den wir zusammen feiern wollten! Du weißt, was meine Oma mir bedeutet und wie schwer krank sie ist. Vielleicht ist es heuer auch ihr letzter Geburtstag. Aber du lässt mich einfach eiskalt hocken wegen dieser blöden Zicke! Das hätte ich nicht von dir gedacht. So viel zum Thema Freundschaft!“ tadelt er mich, „Na ja, geh‘ ruhig zu deiner Katharina! Viel Spaß euch beiden noch!“

Beleidigt wendet er sich von mir ab und wendet sich nun Felix zu, der gerade an uns vorbeigeht. „Hey, Felix! Warte mal, Alter!“ schreit er ihm nach.

Ich beobachte wie Felix stehen bleibt und Lukas ihn zutextet. Dann drehen sich die beiden nochmal nach mir um und verziehen sich zusammen.

Ich finde seine Reaktion völlig übertrieben und frage mich warum Lukas denn auf einmal so abgeht. Dass ich ihn heute mal versetze kann ja nicht wirklich der Grund dafür sein!

Und seit wann findet er eigentlich, dass Katharina eine Tussi und blöde Zicke ist?

Das Einzige, was mir logisch erscheint so eine Show abzuliefern wäre, dass er vielleicht selber auf Katharina steht und darauf gehofft hat, dass sie ihn heute anspricht.

Stattdessen hat sie aber mich angesprochen und das passt ihm jetzt einfach nicht.

Immerhin ist er sich heute ja geradezu siegessicher gewesen, dass sie bei ihm landen wolle…

Aber mir fällt plötzlich ein, dass Lukas doch eigentlich an seinem Geburtstag gesagt hatte, dass er gar nichts von Katharina will und dass der Kuss für ihn nur ein Teil des Spiels gewesen wäre.

Also kann er ja gar nicht in Katharina verknallt sein! Vermutlich ist er also nur gekränkt.

Sicher fühlt er sich nun in seiner Ehre verletzt weil er tatsächlich geglaubt hatte, dass alle Mädels nur auf ihn stehen würden!

Ich nehme mir vor gleich morgen Früh, in der Schule, auf ihn zuzugehen und ihn darauf anzusprechen. Ich hoffe, dass er sich dann wieder einkriegen wird.

Schließlich sind wir doch immer noch beste Freunde…

Ich hoffe es zumindest.

Jedenfalls wird Lukas miese Laune mich nicht davon abhalten, dass ich mich heute noch mit Katharina treffen werde!

 

Die Welt retten

 

Wie verabredet, warte ich schon ruhelos mit Mr. Cop vor dem neuen Dönerrestaurant dessen Weg mir Katharina heute Vormittag genauestens beschrieben hatte.

Rein optisch habe ich mich, seit Lukas Geburtstag, wieder einmal mächtig ins Zeug gelegt. Jedoch habe ich diesmal extra besser darauf geachtet, dass ich es mit Papas Parfüm auch ja nicht mehr so übertreibe…

Es dauert keine fünf Minuten als Mr. Cop schon aufgeregt los bellt und ungeduldig an seiner Leine zerrt. Längst hat er Katharina bereits von weitem erspäht, die jetzt um die nächste Ecke gebogen kommt.

„Sorry Leon, ich habe mich wohl etwas verspätet!“ lächelt sie entschuldigend und streichelt zur Begrüßung erst mal ausgiebig meinen Hund, der fast vor lauter Aufregung einen Herzkasper kriegt weil er sich so freut Katharina endlich wiederzusehen.

„Ach, die paar Minuten. Ich warte auch noch nicht so lange.“ sage ich großzügig und stelle staunend fest, dass Katharina ihr Haar diesmal offen trägt. Es ist das erste Mal, dass ich sie mit offenem Haar sehe und sie gleich noch schöner finde als ich es ohnehin schon tue.

Doch ich stelle fest, dass Katharina mir im Moment sowieso nicht so richtig zuhört:

Mr. Cop tut wirklich alles um ihre ganze Aufmerksamkeit zu kriegen.

„Na, du Süßer! Hast mich wohl vermisst, nicht wahr?“ stellt Katharina entzückt fest und strahlt mich an.

Aber ich merke schnell, dass sie damit nicht mich gemeint hat. Sondern meinen Hund.

Jetzt hat sich Mr. Cop auch noch auf den Rücken geworfen um sich von ihr genussvoll den Bauch kraulen zu lassen, na super! Leise seufze ich vor mich hin.

Eigentlich ist Katharina ja mein Date aber mein eigener Hund muss sie mir ausspannen…

Sie muss mein leises Seufzen wohl trotzdem gehört haben.

„Komm, Leon. Lass‘ uns reingehen!“ schlägt sie nun endlich vor.

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Um ehrlich zu sein, platze ich schon fast vor Hunger.

Nach der Schule habe ich nämlich zuhause extra nichts gegessen weil ich genug Appetit für den Döner haben wollte.

Sobald wir im Lokal sind zieht Katharina ihre Jacke aus, unter der sie einen engen und schneeweißen Winterpullover trägt.

Ich finde, dass ihr der Pullover verdammt gut steht weil er ihre makellosen Brüste noch viel besser zur Geltung bringt als sonst. Sogar geschminkt hat sie sich heute für unser Date!

Tatsächlich schaut Katharina jetzt wie ein echtes Modell aus und ich bin richtig stolz, dass ich mit ihr an einem Tisch sitzen darf!

Während wir beide die Speisekarten lesen bemerke ich die vielen neidischen Blicke der anderen Typen, die ebenfalls im Restaurant sitzen und ständig zu uns rüber gaffen.

Auch der Inhaber des Lokals, ein freundlicher Türke, scheint total angetan zu sein von Katharina und kommt sofort zu uns an den Tisch.

„Guten Tag, schöne Frau! Was darf ich denn bringen?“ spricht er Katharina an und grinst dabei wie ein glücklicher Lottogewinner.

„Ich möchte gern den veganen Döner probieren.“ meint Katharina.

„Gerne! Einen besonders schönen Veggie-Döner für eine besonders schöne junge Dame!“ flirtet der Türke mit ihr und Katharina beginnt zu lachen.

Dann erst wendet sich der Kerl an mich. „Und du?“ will er nur beiläufig wissen.

Ich überlege. Eigentlich habe ich vorgehabt in einen originalen Döner, mit extra viel Fleisch und Soße, reinzubeißen. Dazu wollte ich mir noch eine Portion Chili-Cheese-Fries bestellen, natürlich mit extra viel Käse obendrauf.

Aber da habe ich ja auch noch nicht geahnt, dass Katharina Veganerin ist!

„Ich komme gleich nochmal wieder. Dann kannst du noch in Ruhe überlegen.“ schlägt mir der Türke geduldig vor und geht in seine Küche.

Katharina schaut mich unsicher an. „Was hast du denn? Magst du etwa keinen Döner?“

„Eigentlich schon…“ druckse ich herum. „Aber ich wusste ja nicht, dass du Veganerin bist. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen wenn ich Fleisch esse.“ gestehe ich ehrlich.

Katharina lächelt. „Du bist echt süß!“ meint sie.

„Ne, bestell‘ dir ruhig einen Döner. Ich hab‘ echt kein Problem damit. Ich bin nicht einer von denen, die andere Leute verurteilen weil sie nicht so denken wie ich. Nur für mich persönlich ist es halt die richtige Lebensweise mich vegan zu ernähren.“ erklärt sie mir selbstbewusst.

„Und dir macht das ehrlich nix aus?“ vergewissere ich mich sicherheitshalber nochmal.

„Absolut nicht.“ schmunzelt sie und guckt mir keck ins Gesicht.

„So, ich bin wieder zurück! Und, hast du dich entschieden?“ fragt der Türke wieder und stellt zwei Näpfe für meinen Hund auf dem Boden ab, auf die sich Mr. Cop sofort schmatzend draufstürzt.

„Ein bisschen Fleisch und etwas Wasser. Geht auf das Haus!“ zwinkert er uns beiden zu.

„Das ist wirklich sehr nett von Ihnen.“ sage ich dankbar und bestelle nun doch das, was ich auch ursprünglich essen wollte.

„Ich finde es toll, dass hier Hunde nicht unerwünscht sind. In anderen Restaurants sind Hunde ja meistens nicht erlaubt. Da hängen immer so Schilder vorne dran, dass Hunde draußen bleiben müssen.“ merkt Katharina an.

„Das stimmt.“ gebe ich ihr Recht und stelle fest, dass ich nun gar nicht mehr so schüchtern bin wie am Anfang des Dates.

„So, meine lieben Gäste! Hier kommt euer Essen!“ trällert der nette Türke vergnügt durch den Laden und stellt jedem sein Wunschgericht hin.

„Jetzt nur noch reinbeißen und genießen!“, sagt er lachend, „Ich bin übrigens der Mustafa. Wenn ihr noch was braucht, dann schreit einfach nach mir!“

„Okay, das werden wir tun!“ gebe ich lachend zurück.

„Alles klar, Chef!“ scherzt Mustafa weiter und verschwindet wieder.

„Ein echt sympathischer Mensch!“ stellt Katharina fest und beißt herzhaft in ihren veganen Döner. „Mhm! Sehr lecker! Du solltest den echt mal probieren!“ bietet sie mir an und hält ihn mir hin.

Ich will ihr den Wunsch nicht abschlagen und koste mal vorsichtig, auch wenn ich ja nicht so ganz der Fan von Gemüse bin. Doch dann bin ich baff!

Obwohl ich Zucchini eigentlich hasse, schmecken sie in Katharinas Gemüsedöner, zusammen mit den Paprikas und Auberginen, wirklich wahnsinnig lecker! Vor allem die würzige Dönersoße auf dem Gemüse ist der absolute Hammer!

„Geil, die Soße, was? Die ist aus Sojajoghurt. Hättest nicht gedacht, oder?“ triumphiert Katharina. „Ich hab’s dir ja gesagt. Das ist der beste Türke weit und breit! Der mixt aus stinknormalem Sojajoghurt die besten Soßen für Veganer!“

„Wirklich der Hammer! Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass vegan so gut schmecken kann.“ lobe ich ihren Döner. „Kannst übrigens gern auch bei meinen Chili-Cheese-Fries mitessen, wenn du magst.“ biete ich ihr als Gegenleistung an.

„Ach, ne, lass‘ mal. Da ist Käse drauf. Trotzdem danke.“ verneint Katharina und verzieht kurz angewidert das Gesicht. Das macht mich neugierig.

„Sag‘ mal, wieso isst du denn kein Käse? Ich meine, Käse ist doch kein totes Tier?“

„Das nicht.“ erklärt Katharina mir, „Vegetarier essen ja auch Käse. Aber wenn, dann essen sie nur Käsesorten ohne Lab. Lab wird nämlich aus zerkleinerten Kalbsmägen gewonnen und ist somit natürlich nicht vegetarisch. Aber ich bin ja keine Vegetarierin, sondern Veganerin. Und wir Veganer*innen essen überhaupt keinen Käse, nicht mal den ohne Lab.“

Ich muss zugeben, dass Katharina mir allmählich den Appetit versaut.

Ich bin vollkommen überrascht, dass in Käse etwas drin sein könnte das aus zerkleinerten Kalbsmägen gewonnen wird!

Das hört sich echt eklig an.

Trotzdem esse ich tapfer weiter an meinen Chili-Cheese-Fries und versuche nicht mehr daran zu denken. Sie schmecken einfach viel zu gut!

„Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Vegetariern und Veganern?“ muss ich sie nun doch noch fragen. Denn das habe ich noch nie so richtig kapiert.

„Na ja, “ meint Katharina achselzuckend, „eigentlich ist es ganz leicht zu verstehen. Vegetarier essen fast alles, nur nichts was mit toten Tieren zu tun hat. Wir Veganer sind genauso wie die Vegetarier. Nur dass wir eben nicht nur tote Tiere beim Essen meiden, sondern obendrein auch Produkte die mithilfe von Tieren gewonnen werden. Du weißt schon, Produkte wie Käse, Milch, Butter oder auch Eier.“

„Ja, aber warum das denn?“ frage ich nun etwas dämlich.

Ich kann echt nicht kapieren was denn so schlimm daran sein soll Milch zu trinken.

Immerhin melkt man Kühe doch ganz einfach und tut ihnen dabei doch nicht weh oder tötet sie. Oder irre ich mich da etwa?

„Tja, das ist ein langes Thema. Und leider wissen es viele nicht. So wie du.“ antwortet Katharina mit traurigen Augen. Es tut mir leid, sie auf einmal so betrübt zu sehen.

„Sorry, vielleicht hätte ich lieber nicht fragen sollen…“ entschuldige ich mich.

„Nein, nein.“ winkt Katharina entschlossen ab, „Es ist wichtig, dass du fragst. Nur so verstehst du mich besser.“

Sie erzählt mir jetzt, dass sie deshalb keine Milch trinken würde weil die Kühe erst schwanger werden müssen um Milch zu haben.

„Sobald die Kühe aber ihre Babys gekriegt haben, werden die Baby-Kühe, also die kleinen Kälber, sofort von der Kuhmutter weggenommen. Damit wir Menschen die Milch bekommen und nicht ihre Babys.“ erzählt mir Katharina bedrückt.

Entsetzt starre ich sie an. „Oh Gott, das ist ja schrecklich! Dann haben die kleinen, armen Kälber ja gar keine Milch zum Trinken!“ begreife ich. Katharina nickt.

„Ja. Und darum füttert man die Kälber dann mit künstlicher Milch, die überhaupt keine Vitamine hat. Oder sie bringen die Babys der Kühe einfach um und machen Kalbsschnitzel aus ihnen! Darum mag ich keine Milch mehr trinken. Verstehst du das, Leon?“

Ich nicke betroffen. Ich hatte ja keine Ahnung! Beide schweigen wir nun eine Weile traurig und ich denke darüber nach, ob ich lieber auch keine Milch mehr trinken sollte.

„Haha, dein Hund ist eingeschlafen!“ höre ich Mustafa plötzlich lachen.

Ich gucke unter den Tisch und sehe, dass Mr. Cop in der Zwischenzeit seine beiden Näpfe geleert hat und ein gemütliches Nickerchen hält.

Das bringt uns augenblicklich wieder zum Lachen und rettet unsere miesgewordene Stimmung.

„Der Hund hat schon Recht. Man sollte sich lieber nicht so viele Gedanken im Leben machen.“ sagt Mustafa. „Ich habe euer Gespräch zufällig gehört. Meine Tochter ist nämlich auch Veganerin. Sie isst nur Dinge aus Soja.“ erzählt er uns kopfschüttelnd.

„Ja, das ist doch gut.“ lobt Katharina seine Tochter.

„Gut? Das ist doch nicht gut!“ meckert der Türke jetzt.

„Wegen dem Anbau von Soja werden ganze Regenwälder abgeholzt und arme Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. Soja ist auch umweltschädlich weil die Böden beim Einpflanzen von Soja leiden. Das kann doch nicht gut sein!“ seufzt Mustafa. „Wie ihr seht, können nicht mal die Veganer etwas gegen das Unrecht auf der Welt tun. Alles hat seine guten Seiten und schlechten Seiten. Tja, am besten sollte man wohl ein Frutarier werden!“

Dann lacht Mustafa wieder.

Ich gebe zu, dass mir das Thema Weltretten so langsam zu hoch wird und ich kaum noch so richtig durchblicke. „Ein Frutarier? Was ist das denn schon wieder?“ staune ich.

Selbst Katharina, die scheinbar fast alles über Ernährung weiß, guckt wie ein Auto.

„Ach, das sind Leute die nichts anderes essen als nur Obst, das von selbst von den Bäumen heruntergefallen ist. Frutarier glauben, dass sie so niemandem wehtun, weder den Tieren noch den Pflanzen. Weil die Natur ihnen das Obst ja freiwillig gegeben hat.“ sagt Mustafa, während er nebenbei ein paar Tische putzt.

„Für mich klingt das aber auch nicht wirklich logisch. Wenn nämlich tatsächlich alles um uns herum Gefühle hat und Schmerzen fühlen kann, egal ob Pflanzen oder Tiere, dann kann doch vielleicht auch ein heruntergefallener Apfel Schmerz erleiden. Wer kann mit Sicherheit sagen, dass ein Apfel keine Gefühle hat?“ entgegne ich ihm.

Mustafa zuckt mit den Schultern. „Tja, das ist eine gute Frage. Ihr seht schon, das Thema ist unendlich. Da könnte man stundenlang drüber reden… Aber leider hab‘ ich keine Zeit!“

Der Türke geht jetzt wieder an seine Arbeit da ein neuer Kunde hereingekommen ist.

„Tja“, meint Katharina seufzend, „anscheinend kann man das Leid auf der ganzen Welt leider nicht komplett verhindern. Aber ich glaube schon, dass ich als Veganerin wenigstens ein bisschen was Gutes tun kann für die armen Tiere.“

„Ganz bestimmt.“ sage ich zu ihr und mag sie gleich noch sehr viel lieber weil sie so ein gutes Herz hat. Bei Katharina stimmt einfach alles! Sie ist nicht nur megaschön, sondern hat auch noch einen richtig klasse Charakter!

Trotzdem hat es mich sehr traurig gemacht, dass man das Leid auf der Welt scheinbar nicht ganz verhindern kann, egal wie gut man ist.

Nachdenklich schaue ich auf meinen immerzu gefräßigen Hund herunter, der inzwischen aufgewacht ist und uns nun hechelnd um ein paar Dönerreste anbettelt.

Selbst mein Hund, der doch auch ein unschuldiges Tier ist, frisst gerne Fleisch!

Aber ich finde, wenn man die Welt schon nicht retten kann, dann sollte man wenigstens versuchen so viel Leid wie möglich zu verhindern.

So wie die indianischen Völker über die ich mal was gelesen habe.

Ich habe nämlich mal gelesen, dass die Ureinwohner von Australien, die man Aborigines nennt, immer im Einklang mit der Natur leben.

Wenn sie Hunger haben und deshalb Tiere jagen müssen oder Pflanzen essen, dann versuchen sie ihnen möglichst wenig Leid dabei zuzufügen.

Und wenn sie ein Tier getötet haben um es zu essen, dann machen sie es wieder gut indem sie als Gegenleistung einem anderen Tier helfen. Auch wenn sie eine Pflanze ausgerissen haben, dann pflanzen sie dafür sofort wieder eine andere Pflanze in den Boden ein.

So leben sie immer im Gleichgewicht mit der Natur.

„Du bist so still geworden, Leon. Alles okay?“ reißt Katharina mich plötzlich aus meinen Gedanken. Ich nicke und erzähle ihr über was ich gerade nachgedacht habe.

„Das ist auch ein wunderschöner Gedanke, Leon.“ meint sie dazu und lächelt mich an,

„Mit dir kann man wirklich gut reden. Ich mag dich, Leon.“

 

Ein Geständnis

 

Auf dem Weg zum Zoo, kommen Katharina und ich an einem Klamottengeschäft vorbei.

Dabei fällt Katharinas Blick auf eine Schaufensterpuppe, die einen roten Strickpulli mit glitzernden Pailletten trägt.

„Ich bin schon so oft an diesem Geschäft vorbeigelaufen, aber irgendwann kauf‘ ich mir diesen Pulli noch! Das blöde ist nur, dass ich diesen Monat kaum noch Taschengeld habe.“ seufzt Katharina und bleibt mit sehnsüchtigen Augen davor stehen.

Ich finde es schade, dass sie sich den Pulli nicht leisten kann. Die rote Farbe, mit den vielen bunten Flittern, würde echt super gut zu ihren wunderschönen Bernsteinaugen passen.

Ich weiß nicht wieso, aber ich muss auf einmal sofort an meinen Vater denken. Ihm hätte dieser Pulli garantiert auch gefallen! Aber ich will jetzt lieber nicht an ihn denken…

Stattdessen rechne ich mir insgeheim aus, wie viel Taschengeld ich noch übrig haben werde wenn ich Katharina jetzt den Pulli kaufe, da ich ihr gerne eine Freude machen würde.

Ich muss mir eingestehen, dass Katharinas Wunsch nicht gerade billig ist und wahrscheinlich werde ich, bis zum nächsten Monat, kaum noch Geld übrig haben für Hundefutter.

Meine Mutter hat vor einigen Tagen nämlich mein Taschengeld extra erhöht, damit ich in Zukunft das Hundefutter selber kaufen kann.

„Komm, lass‘ uns reingehen.“ höre ich mich dennoch zu ihr sagen und spiele gleichzeitig mit dem Gedanken, meine Eltern nach diesem Date um einen Vorschuss zu bitten.

„Und du wartest hier ein paar Minuten, okay?“ sage ich zu Mr. Cop, den ich draußen anbinde weil Hunde in diesem Geschäft nicht erlaubt sind.

Katharina ist erstaunt. „Echt jetzt? Du bist der erste Junge, der freiwillig mit mir in einen Klamottenladen gehen will!“

Aber natürlich folgt sie mir ohne Widerrede hinein, während Mr. Cop im Hintergrund laut bellend protestiert weil er nicht mal für fünf Minuten allein sein will und, vermutlich, viel lieber auch mitreingegangen wäre.

Wir gehen zum Kleiderständer wo die Schaufenstersachen angeboten werden und ich sage Katharina nicht gleich was ich vorhabe.

„Willst du den Pulli mal anprobieren?“ fordere ich sie auf. Sie freut sich. „Klar, gerne. Wenn du noch so viel Geduld hast?“ Doch sie wartet nicht darauf, dass ich noch was erwidere.

Unverzüglich schnappt sie sich das besagte Oberteil in ihrer Größe und verschwindet damit in einer Umkleidekabine. „Und? Steht er mir?“ will sie lobwartend von mir wissen sobald sie wieder aus der Kabine kommt. „Klar, total!“ sage ich begeistert.

Glücklich posiert sie damit vor einem Spiegel. „Na ja… Ich hoffe, dass ich mir den bald leisten kann.“ meint sie dann seufzend und geht sich wieder umziehen.

Sie will ihn gerade wieder zurückhängen als ich die Bombe platzen lassen will: „Komm, gib ihn mir. Den kaufe ich dir jetzt nämlich!“

Überrascht schaut sie mich mit großen Augen an. „Dein Ernst? Das ist aber lieb von dir! Ich zahle es dir auch zurück, sobald ich kann!“ verspricht sie mir jubelnd.

„Nein, Katharina. Das ist nicht nötig. Den schenke ich dir doch!“ winke ich ab und gehe mit dem Objekt ihrer Begierde schnurstracks zur Kasse.

Noch nie habe ich mein Taschengeld für jemand anderen ausgegeben, außer für Mr. Cop. Da bin ich eigentlich viel zu geizig. Aber Katharina ist es mir wert! Auch, wenn ich nun von meinem Taschengeld kaum noch was übrig habe.

Dafür leuchten Katharinas Augen jetzt so strahlend vor lauter Freude, dass sie mich doch tatsächlich auf die Backe küsst!

Auf meine Backe! Dabei fühle ich mich so wunderbar wie noch nie! Katharina mag mich! Ich fliege direkt auf Wolke sieben! Ein wahnsinnig geiles Gefühl…

„Du bist mein absoluter Prinz! Das werde ich dir niemals vergessen, Leon! Du hast ja keine Ahnung wie lange ich mir schon diesen Pulli gewünscht habe!“ lobt sie mich dankbar.

Mr. Cop ist heilfroh, als wir ihn endlich wieder losbinden und uns mit ihm auf in den Zoo machen, wo Katharina mir kaum noch von der Seite weichen will seit ich ihr den teuren Pulli gekauft habe. Stolz trägt sie ihn in der Klamottentüte, so wie eine Gangsterin eine äußerst wertvolle Beute, neben sich her.

Dabei müssen wir ständig über Mr. Cop lachen, der von den vielen Tieren ganz aufgeregt ist.

Besonders lustig finden wir es als mein Hund mutig einen Tiger anbellt der sofort sein Fell sträubt und zurückfaucht. Damit hat Mr. Cop wohl nicht gerechnet! Sofort legt er seine Ohren an und jault uns, mit eingezogenem Schwanz, wehleidig an.

„Das war aber ziemlich mutig von ihm, was?“ gibt Katharina lachend von sich und krault meinen armen Hund am Ohr.

„Tja, Mr. Cop überschätzt sich manchmal gern. Es schadet ihm wohl nicht, wenn er auch mal zurechtgewiesen wird.“ lasse ich sie wissen. Abrupt hört Katharina zum Lachen auf und schaut mich auf einmal todernst an. Meine Knie werden weich und ich bin verunsichert.

Ob ich gerade etwas Falsches gesagt habe?

„Du, Leon, ich muss dir jetzt aber mal was sagen…“ meint Katharina plötzlich.

Oh je, jetzt kommt’s! Wenn das schon so anfängt! Ich schlucke.

„Ja, was denn?“ höre ich mich kleinlaut fragen.

Aber es kommt ganz anders als ich befürchtet habe…

„Ich…“ Katharina ringt nach Worten und guckt, peinlich berührt, auf den Boden.

„Okay, ich werde dir jetzt was sagen. Aber bitte lach‘ mich nicht aus!“ sagt sie nun und räuspert sich nervös. „Okay?“ sage ich und lausche, gespannt was sie mir gleich zu sagen hat. Dabei klopft mein Herz schon wieder wie wild.

„Ich hab‘ dir doch vorhin im Restaurant gesagt, dass ich dich mag. Aber das stimmt nicht.“ gesteht sie mir ernst. Augenblicklich rutscht mir mein Herz in die Hose!

Ich bin furchtbar enttäuscht! Sie mag mich also gar nicht? Hab‘ ich mich denn so in ihr getäuscht? Hab‘ ich mir das alles nur eingebildet, dass sie auf mich stehen könnte?

„Ich… mag dich nicht nur.“ redet sie weiter, „Ich glaube nämlich, dass ich verknallt in dich bin. Und zwar schon seit langem. So, jetzt ist es raus!“ Erleichtert atmet sie auf.

Geradewegs fällt mir ein Stein von Herzen. Doch gleichzeitig bin ich sprachlos!

Dass Katharina auf einmal so direkt wird, hätte ich nicht gedacht! Aber ich freue mich!

„Wenn ich ehrlich bin… ich bin auch schon lange verknallt in dich.“ gestehe ich ihr und wage kaum noch ihr in die Augen zu schauen. Meine Wangen glühen und ich bin mir vollkommen sicher, dass mein Kopf im Moment so rot sein muss wie eine Tomate!

„Nein, das gibt’s nicht! Da bin ich jetzt aber echt froh!“ freut Katharina sich und grinst mir direkt ins Gesicht.

„Weißt du, ich hab‘ dich immer schon gemocht! Weil du so ein Stiller bist und nicht so großmäulig wie die anderen Jungs in unserer Klasse. Du bist so verständnisvoll und ruhig. Man kann so gut mit dir reden. Das taugt mir!“ sagt Katharina ehrlich.

Ich fasse neuen Mut und wage es wieder aufzuschauen. Immer noch bin ich ein wenig gehemmt. „Ich…ich mag dich doch auch.“ antworte ich schüchtern.

„Ich wollte ja eigentlich schon früher was von dir. Aber da bin ich noch mit Felix gegangen…“ plaudert Katharina aus.

„Was? Mit Felix? Das hatte ich ja gar nicht gemerkt!“ ungläubig starre ich sie an.

Jetzt macht auf einmal alles einen Sinn! Darum also kann Felix mich nicht leiden!

Weil er eifersüchtig ist.

„Ach, wegen Felix musst du dir keinen Kopf machen. Wir haben schon lange Schluss gemacht. Ich hab‘ keinen Bock mehr gehabt auf ihn weil er so arrogant ist! Außerdem war Felix ständig nur beleidigt wegen Kleinigkeiten. Der hat aus einer Mücke einen Elefanten gemacht.“ bemerkt Katharina gelangweilt.

Sie geht jetzt näher an mich heran und kommt mir mit ihrem Gesicht so nahe, dass ihre weichen Wangen meine Backe streifen.

Sie ist mir gerade so nahe, wie schon letztens beim Tütenrutschen. Ehe ich mich versehe, spüre ich auch schon ihre vollen, weichen Lippen an meinen.

Mein Herz klopft wie wild und ich fühle mich, mit einem Mal, ganz leicht an.

Das ist mein allererster Kuss! Und er ist toll! Sie will sich nun wieder von mir abwenden, doch ich ziehe sie sanft zu mir her und erwidere ihren Kuss nochmal. Sogar in meiner Hose kribbelt es auf einmal und es spannt. Es tut ein bisschen weh und mir das peinlich…

Ich löse mich von ihr aber lege, stattdessen, meinen Arm um ihre Schulter.

Zuerst schaut sie mich verwundert an, aber lehnt ihren Kopf dann gemütlich an mich.

Mit schief angelegtem Kopf und lauschenden Ohren, hat Mr. Cop alles neugierig beobachtet.

Jetzt guckt er uns beide zufrieden hechelnd an und beginnt begeistert zu bellen.

„Das klingt ja wie Zugabe, Zugabe!“ lenke ich Katharina nun breit grinsend und mit feuerrotem Kopf von mir ab.

„Tja, da könnte er schon Recht haben. Eine Zugabe wäre nicht schlecht. War nämlich verdammt schön gerade! Weißt du eigentlich, dass du gut küssen kannst?“ erwidert Katharina augenzwinkernd.

„Nein, das habe ich nicht gewusst.“ sage ich ehrlich und fühle mich ganz schön geehrt.

„Und? Was ist? Gehen wir jetzt zusammen?“ will sie von mir wissen und lächelt mich keck an. Ich nicke. „Ja. Aber sicher doch!“ Zufrieden hakt sie sich bei mir ein.

Ich kann es kaum fassen! Ich bin überglücklich weil Katharina jetzt mein Mädchen ist!

Eine ganze Weile gehen wir beide noch händchenhaltend, mit Mr. Cop an der Leine, schweigend und frischverliebt durch den Tierpark. Wir wollen uns gar nicht trennen!

Doch dann wird es allmählich dunkel und ein Zoowärter will uns, so langsam aber sicher, loswerden um den Tierpark zu schließen.

„Na, ihr Lieben, morgen ist auch noch ein Tag!“ muntert er uns auf nachdem er uns drei, zusammen mit ein paar anderen Besuchern die noch da waren, vor die Tür gesetzt hat.

Also tausche ich nun mit Katharina noch die Handynummern aus, und Mr. Cop und ich begleiten sie dann nach Hause. Vor ihrer Haustür küsst sie mich nochmal.

„War echt schön heute mit dir! Danke auch nochmal für den Pulli!“

„Ist schon okay. Gern geschehen.“ gebe ich bescheiden zurück.

 

Am Abend kann ich noch lange nicht einschlafen.

„Sie ist ja so toll! Ich bin ja so was von total verknallt in Katharina!“ schwärme ich Mr. Cop pausenlos vor, der im Bett neben mir liegt und mir aufmerksam zuhört.

Er scheint sich für mich zu freuen und legt verständnisvoll den Kopf auf meinen Schoss als plötzlich mein Handy piept. Sofort springe ich auf um nachzuschauen.

Dabei ernte ich von Mr. Cop nur ein leises, unzufriedenes Knurren weil er es sich doch gerade so gemütlich gemacht hatte. Eine Nachricht von Katharina!

Ein kleiner Kuss geschickt von mir, macht sich auf den Weg zu dir.

Er trifft dich sanft und flüstert sacht: Ich liebe dich und gute Nacht!

Aufgeregt setze ich mich vor meinen Rechner und suche im Internet ebenfalls nach einem geeigneten Spruch während Mr. Cop mir nur gähnend nachschaut.

Ich entscheide mich für diesen:

Mein Bett ist warm, das Licht ist aus. Träum was Schönes, meine Maus!

Eine Weile warte ich noch, vor mir das Handy. Aber es kommt keine weitere Nachricht mehr.

Also lege ich mich wieder zu Mr. Cop zurück ins Bett, das er in der Zwischenzeit schön vorgewärmt hat. Erleichtert seufzt mein Hund nun zufrieden und schleckt mir über die Backe.

Wie wild kreisen meine Gedanken immer noch nur um Katharina!

Ich kann es gar nicht mehr erwarten, sie morgen in der Schule wiederzusehen!

Doch dann wird mir mulmig zumute. Ich muss plötzlich an Lukas denken.

Ob er sich bis morgen wieder eingekriegt hat? Auch an Felix macht mir zu schaffen.

Ich frage mich, wie er wohl darauf reagieren wird wenn er erfährt, dass ich jetzt mit Katharina, seiner Exfreundin, zusammen bin…

 

Geheimniskrämerei

 

Vielleicht ist es ja im Leben so, dass man immer zuerst jemanden verlieren muss bevor man jemanden Neuen bekommt. Genauso ist es ja auch mit Mr. Cop gewesen.

Ihn habe ich auch erst gekriegt nachdem mein Vater von Zuhause ausgezogen ist.

In der einen Woche, seit ich nun mit Katharina gehe, hat Lukas kein Wort mehr mit mir geredet! Obwohl ich schon mehrmals versucht habe mit ihm zu reden, blockt er mich immer wieder ab und ignoriert mich nur noch.

Ich verstehe immer noch nicht warum er so sauer auf mich ist.

Aber vielleicht könnte es ja damit zu tun haben, dass er jetzt wieder mit Felix abhängt.

Felix scheint nämlich alles andere als begeistert darüber zu sein, dass ich ihm sein Mädchen ausgespannt habe. Wahrscheinlich habe ich damit sein Ego verletzt.

Immer wieder bemerke ich wie er mich, während des Unterrichts, finster anstarrt und dann sein Blick Katharina streift. Manchmal schaut Katharina ihn dann immer so komisch an.

Dann wird mir ganz flau im Magen weil mir das nicht gefällt, obwohl ich eigentlich weiß dass zwischen den beiden nichts mehr läuft.

Jedenfalls mobben Felix und Lukas mich nicht mehr.

Denn seit ich mit dem schönsten Mädchen der Klasse zusammen bin, sind alle anderen auf einmal total nett zu mir. Trotzdem finde ich es schade, dass Lukas nicht mehr mein Freund ist. Irgendwie fehlt er mir.

„Mach‘ dir nichts draus, Leon. Lukas und Felix, die beiden werden auch noch erwachsen.“ tröstet Katharina mich als wir nach der Schule noch ein Stück gemeinsam laufen.

„Felix ist mir eigentlich egal.“ gebe ich ehrlich zu, „Aber die Freundschaft mit Lukas, die war schon geil! Wir konnten über alles reden.“

„Na ja, solange warst du mit Lukas ja auch wieder nicht befreundet. Vielleicht hast du ihn einfach nur falsch eingeschätzt, ihn in für etwas gehalten was er in Wirklichkeit nicht ist.“ meint Katharina.

„Nichts gegen Lukas! Der ist schon okay!“ verteidige ich ihn plötzlich energisch und wundere mich über mich selbst. Warum geht mir dieser blöde Streit mit ihm nur so nah?

Vielleicht, weil er bisher der einzige menschliche Freund gewesen ist den ich jemals hatte?

„Wow, ist ja schon gut, reg‘ dich wieder ab, Leon!“ besänftigt Katharina mich erschrocken.

„Sorry, Katharina. Ich wollte nicht so heftig reagieren. Es ist nur… ich habe irgendwie ein schlechtes Gewissen. Ich meine, auch wenn ich Felix nicht leiden kann, ich kann’s ja verstehen, dass er mich wegen dir auf dem Kieker hat. Und Lukas hat mich dann automatisch auch auf dem Kieker weil er eben mit Felix befreundet ist. Verstehst du?“

Katharina straft mich mit einem beleidigten Blick. „Verstehen? Nicht so wirklich! Wie meinst du das denn genau? Willst du damit sagen, dass ich schuld an eurem Streit bin, oder was?“

Ich gebe ihr schnell einen Kuss auf die Backe. „Aber Katharina, so hab‘ ich es doch gar nicht gemeint. Ich wollte dir damit nur sagen, dass Lukas doch vor kurzem noch mein bester Freund gewesen ist. Und wenn du und ich nicht zusammengekommen wären, dann wäre er sicherlich schon längst nicht mehr sauer auf mich. Aber jetzt muss er eben weiterhin so tun als wäre er sauer auf mich weil er ja sonst Felix vor den Kopf stoßen würde. Kapierst du jetzt?“

„Ja meinst du denn, dass wir nur wegen den beiden lieber nichts miteinander hätten anfangen sollen?“ will Katharina mit strengem Gesicht wissen.

„Ich weiß nicht...“ gebe ich unsicher von mir, „Aber vielleicht hätten wir unsere Beziehung lieber noch eine Weile geheim halten sollen vor den anderen. Wenigstens eine gewisse Zeit lang bis Felix wirklich ganz über dich hinweg ist. Denn auf mich macht er nicht gerade den Eindruck als wäre er über dich hinweg…“

Diese Idee hätte ich gut gefunden.

Doch ich verstumme, denn Katharina schaut gerade echt wütend aus.

Hoffentlich hat sie das, was ich eben gesagt habe, nicht schon wieder in den falschen Hals gekriegt! Aber schon zu spät…

Katharinas Lippen beben und ihre, sonst so süßen Augen, funkeln vorwurfsvoll.

„Erstens Mal interessiert mich die bescheuerte Meinung von Felix überhaupt nicht! Kann schon sein, dass er eifersüchtig ist. Aber es ist doch meine Sache mit wem ich gehe, findest du nicht? Und zweitens, es kann doch nicht dein Ernst sein, dass wir hätten so tun sollen als seien wir kein Paar! Ich frage mich im Augenblick wirklich, ob du den beiden lieber in den Arsch kriechen würdest als zu mir und unserer Beziehung zu stehen! Weil wenn das so ist, dann können wir ja gleich Schluss machen! Dann hast du mich los und musst dir keine Gedanken mehr darüber machen wie du unsere Beziehung vor den beiden vertuschen kannst!“

Ich zucke zusammen.

Ich trete wohl in jedes Fettnäpfchen in das man so treten kann!

Aber dass Katharina auch gleich so abgehen muss…

Vielleicht sind Mädchen einfach so.

Mein Vater hat auch oft gemeint, dass Frauen generell schnell beleidigt sind wenn er, mal wieder, mit meiner Mutter gestritten hatte. Er hat dann immer gesagt, dass er selbst ja ganz anders als Frau wäre…

„So war das doch echt nicht gemeint, Katharina. Komm, vergessen wir das Thema einfach.“ sage ich mit versöhnlicher Stimme.

Katharina sieht nun ein, dass sie ein wenig übertrieben hat.

„Sorry, ich bin einfach nur allergisch wenn es um Felix geht. Ich finde, der sollte endlich mal erwachsen werden und aufhören ständig zu schmollen. Und du Leon, mach‘ doch nicht so dumme Vorschläge. Ihr Jungs könnt manchmal echt kindisch sein. Ich meine, Felix muss eben kapieren, dass zwischen uns nichts mehr läuft und dass ich jetzt deine Freundin bin. Und das ist weder dein Problem, noch meins.“

„Tja, im Grunde genommen hast du ja Recht, Katharina.“ antworte ich gedankenverloren.

„Und was Lukas angeht…“, sie klopft mir aufmunternd auf die Schulter, „Der ist doch selber schuld wenn er lieber zu Felix hält als zu dir, oder? Du hast mir doch erzählt, dass Lukas von Anfang an dagegen gewesen ist, dass wir uns treffen. Auf so jemanden als Freund kannst du doch verzichten! Steh‘ lieber zu mir als zu ihm.“

Ich entscheide mich daraufhin lieber nichts mehr zu sagen.

Dennoch frage ich mich so langsam, ob Lukas eine Zeit lang nur ein Lückenbüßer gebraucht und er unsere Freundschaft gar nicht so ernst gemeint hat wie ich.

Vielleicht hat er mich ja nur gebraucht weil Felix auf seinem Geburtstag so ein Spielverderber gewesen ist und, aus Eifersucht, ständig miese Stimmung verbreitet hat.

Ich lenke jetzt vom Thema ab. „Und? Wollen wir heute mal ins Kino gehen und diesen lustigen Film anschauen, den wir vorgestern in der Fernsehwerbung gesehen haben? Ich lade dich natürlich ein!“ biete ich Katharina an.

Schon seit Tagen haben wir uns vorgenommen, dass wir die neue Komödie im Kino anschauen wollen, eng aneinander gekuschelt auf einem sogenannten Kuschelsitz versteht sich. Katharina zieht eine besinnliche Schnute.

„Hm. Heute geht’s leider nicht, tut mir leid. Du hast mir doch letztens den Pulli geschenkt… naja, ich hab‘ den Pulli meiner Mutter gezeigt und sie hat ein schlechtes Gewissen bekommen weil sie doch so viel arbeiten muss und sie schon lange nicht mehr mit mir Klamottenkaufen gegangen ist. Darum hat sie mir vorgeschlagen heute mit mir mal wieder shoppen zu gehen.“

Ich gebe mich geschlagen. Gegen Klamottenshoppen kommt man als Typ bei den Mädchen eh nicht an. „Okay, macht ja nichts. Aber wie wär’s denn mit morgen?“

Doch anstatt mir eine Antwort zu geben macht sie mir, ganz spontan, einen Vorschlag.

„Ach, weißt du was? Komm doch am besten gleich mit zu mir! Du kannst ja bei mir was essen und wir könnten noch ein bisschen Zeit zusammen verbringen, bis meine Mutter Feierabend hat und mich mit dem Auto abholt. Was meinst du?“

Ich zögere da ich an Mr. Cop denken muss.

„Naja, ich weiß nicht... Jetzt gleich? Ich meine, mein Hund ist allein daheim und ich muss ihn noch füttern und mit ihm rausgehen.“

„Verstehe, “ nickt sie, „naja, macht ja nix. Wir sehen uns ja morgen eh in der Schule wieder.“

„Aber könnte ich danach nicht immer noch für eine Stunde zu dir kommen? Ich meine, dass mit Mr. Cop dauert ja nicht so lang...“ biete ich ihr rasch an.

„Das wird leider zeitlich zu knapp. Bis du wieder fertig bist mit dem Hund wird meine Mutter schon längst da sein. Das rentiert sich nicht. Naja, macht ja nix.“ winkt Katharina ab und will sich von mir verabschieden.

Soeben haben wir die Abzweigung erreicht, wo sich unsere Nachhausewege trennen und Katharina immer nach links abbiegen muss wohingegen ich immer geradeaus weiterlaufe.

Ich bin unzufrieden und möchte nicht, dass sie so einfach geht.

Ich möchte sie heute unbedingt noch ein bisschen für mich allein haben, da sie in der Schule ständig ihre Freundinnen um sich herum hat.

In Gedanken spiele ich durch was Mr. Cop wohl machen wird wenn ich erst zwei Stunden später nach Hause kommen werde. Ich finde, er könnte eigentlich ruhig noch etwas auf mich warten, denn solange werde ich heute ja eh nicht bei Katharina bleiben…

„Ach, weißt du was? Ich komme doch gleich mit dir mit. Die zwei Stunden wird mein Hund schon verkraften.“ höre ich mich auch schon sagen.

Katharina zuckt mit den Schultern und hakt sich bei mir ein. „Wie du meinst. Schließlich kennst du deinen Hund ja besser im Gegensatz zu mir.“

 

„Hast du Bock auf Pizza? Ich hab‘ in der Gefriertruhe gerade noch eine tiefgekühlte Salamipizza gefunden. Die kann ich dir gern warmmachen.“ fragt Katharina mich beiläufig sobald wir bei ihr Zuhause sind.

„Klar, gerne.“ antworte ich.

Eigentlich bin ich mir ja sicher, dass Mama bereits schon für mein Mittagessen gesorgt und mir zuhause was dagelassen hat. Aber so langsam knurrt mir doch schon der Magen und bis ich nach Hause komme dauert es ja noch ein wenig.

„Puh! Bin ich froh, dass meine Mutter mal endlich wieder ein bisschen Geld locker machen will heute. Mein Taschengeld reicht mir einfach nie! Obwohl ich schon fast zwei Hunderter im Monat kriege.“ seufzt Katharina unglücklich.

Ich bin überrascht das zu hören. Immerhin bekommt sie dann ja viel mehr Taschengeld als ich! Und trotzdem ist sie darauf angewiesen gewesen, dass ich ihr den Pulli gekauft habe.

Als hätte sie meine Gedanken gelesen lacht sie nun verlegen.

„Um ehrlich zu sein, ich kann so schlecht mit Geld umgehen. Du hast ja keine Ahnung was Mädchensachen so kosten! Schon allein die Schminke und mein Friseur kosten mich im Monat ein Vermögen!“ rechtfertigt sie sich.

„Aha.“ antworte ich daraufhin und versuche gleichgültig zu klingen.

Ich hatte ja wirklich keine Ahnung, dass Weiberkram so viel Geld kostet.

Ob mein Vater wohl auch mehr Geld ausgeben muss als früher, seit er sich als Frau verkleidet?

Immerhin würde das erklären, warum er demnächst lieber mit seinen seltsamen Freundinnen in eine WG ziehen will. Bestimmt kann er sich deswegen nämlich keine eigene Wohnung mehr auf Dauer leisten. Den Grund, dass er sich nur einsam fühlt und deshalb mit diesen Mannfrauen zusammenziehen will, halte ich, ehrlich gesagt, für eine seiner billigen Ausreden.

„Hier hast du noch Salz, falls es dir zu fade schmeckt.“ meint Katharina und stellt mir, neben der ofenwarmen Pizza, noch einen Salzstreuer hin. Ich möchte ihr nichts wegessen.

„Und was isst du?“ sorge ich mich um sie. „Ich könnte die Pizza ja mit dir teilen. Dann puhlen wir einfach noch auf deiner Seite den Käse und die Salami weg.“

Katharina schüttelt den Kopf. „Ne, lass‘ mal, Leon. Ich weiß, das ist nett gemeint von dir. Aber mir wird schon schlecht wenn ich mir nur vorstelle, dass auf der Pizza Salami und Käse drauf waren. Ich werde mir lieber ein veganes Sandwich machen, iss‘ du nur!“

Während ich also genüsslich in die Pizza beiße, beobachte ich verwundert wie Katharina schweigend auf ihrem Smartphone herumspielt, das schon mehrmals einen Piepser von sich gegeben hat. Dabei schaut sie ziemlich besorgt aus. Ja, fast schon ein wenig betrübt, finde ich.

„Alles in Ordnung?“ frage ich sie besorgt.

Verträumt starrt sie mich an. „Wie? Ach so, ja natürlich, alles in Ordnung. Und? Schmeckt dir die Pizza auch gut?“ lenkt sie vom Thema ab. „Ja, danke. Die ist echt spitze!“ lobe ich sie.

„Dann ist ja gut.“ meint sie nur leise und widmet sich wieder ihrem Handy.

So langsam werde ich neugierig. Mit wem chattet sie denn gerade?

Irgendwie fühle ich mich nun schon ein bisschen vernachlässigt, denn eigentlich wollte sie doch mit mir ihre Zeit verbringen. Dafür bin ich ja auch schließlich extra mitgekommen!

Nachdenklich tippt Katharina weiter auf ihrem Handy herum, das immer wieder piept sobald sie darauf eine Antwort erhält. Immer noch schaut sie ziemlich mitgenommen aus.

„Wohl schlechte Nachrichten, was?“ will ich nun doch endlich mal wissen.

Sie schaut kurz auf und schaut mich fragend an. „Hm? Hast du eben was gesagt?“

Ich wiederhole meine Frage nochmal und zeige mit dem Kinn auf ihr Handy.

„Schlechte News, oder?“

„Nur eine Freundin von mir. Sie hat Probleme mit ihren Eltern.“ sagt Katharina schnell und ist schon wieder voll vertieft im Schreiben.

„Das wundert mich nicht. Probleme mit unseren Eltern haben wir wohl alle.“ fällt mir dazu ein. Katharina antwortet darauf nichts.

Sie wirkt völlig geistesabwesend und ich fühle mich gerade wie Luft.

„Die Arme. Sind ihre Probleme denn arg schlimm? Welche Freundin ist es denn?“ hake ich noch einmal interessiert nach. Erneut guckt sie mich fragend an.

„Keine, die du kennst!“ sagt sie dann eilig.

So langsam bekomme ich ein echt seltsames Gefühl.

So habe ich mir jedenfalls unseren gemeinsamen Nachmittag nicht vorgestellt.

Ich habe auf einmal den Eindruck, dass sie mir etwas verheimlicht…

Katharina wird plötzlich ungeduldig. „Iss mal lieber deine Pizza etwas schneller als mir Löcher in den Bauch zu fragen, Leon. Ich hab‘ wirklich nicht mehr viel Zeit, meine Mutter holt mich gleich mit dem Auto ab!“

Ich wundere mich zwar über sie, nehme mir aber vor lieber nicht mehr groß nachzufragen.

Ich komme auch nicht mehr dazu. Denn im Nu klingelt auf einmal mein eigenes Handy los.

Während ich an mein Handy rangehe, scheint Katharina davon nicht mal Notiz zu nehmen. Stattdessen tippt sie nur still und leise weiter auf ihrem herum.

„Du Leon, mein Junge, ich bin’s.“, es ist mein Papa, „Morgen ist ja wieder unser Tag und ich wollte dich fragen, ob du mit mir irgendwo eine Kleinigkeit essen gehen willst wenn ich dich abholen komme?“

Oh je, Papa-Tag! Den hätte ich doch glatt vergessen!

„Puh, Papa, das ist gerade echt ungünstig! Ich habe doch jetzt eine Freundin, wie ihr wisst. Eigentlich wollte ich mit Katharina morgen vielleicht ins Kino gehen…“ bedauere ich.

Papa scheint überhaupt nicht enttäuscht darüber zu sein, dass ich ihn so vor den Kopf stoße. „Oh, kein Problem. Klar, verstehe ich doch!“ meint er gnädig.

„Aber so sicher weiß ich das auch noch nicht ob es klappt. Ich muss erst nochmal mit Katharina reden. Aber wenn sie morgen keine Zeit haben sollte, dann können wir ja in das neue türkische Restaurant gehen, in dem ich vor einer Woche mit meiner Freundin gefuttert hab‘. Der Inhaber ist echt voll nett!“ schwärme ich meinem Vater vor.

Papa klingt begeistert. „Gute Idee! Dort wollte ich auch schon mal hinschauen, meine Freund*innen haben mir auch schon davon erzählt!“

„Okay, Papa. Ich ruf‘ dich nachher nochmal an und gebe dir dann Bescheid wegen morgen. Ansonsten verschieben wir es eben.“ beende ich das Gespräch.

„Alles klar. Mach‘ dir keinen Stress mein Junge, zur Not gehe ich da morgen auch allein hin. Freue mich ja für dich, dass du eine Freundin hast. Kannst sie mir echt mal vorstellen! Ich verspreche dir auch, dass ich mich dann nicht verkleiden werde…“ schwört er.

„Ja, ja. Alles klar. Tschüss!“ hänge ich ihn ab. Erstens habe ich keine Lust mich jetzt schon wieder über sein Identitätsproblem zu unterhalten und zweitens packt Katharina gerade hastig ihre Handtasche zusammen und gibt mir ein Handzeichen, dass ich mich beeilen soll.

Als ich so plötzlich aufgelegt habe tut es Katherina leid. „Sorry, Leon, aber ich muss jetzt los! Meine Mutter hat mir gerade eine SMS geschrieben. Sie wartet schon draußen, im Auto.“

„Sorry, Leon Schatz. Ich weiß, heute ist alles so stressig.“ wiederholt sie nochmal entschuldigend und ich schlinge noch rasch mein letztes Stück Pizza herunter.

„Kein Problem. Gehen wir also dann morgen Nachmittag ins Kino?“ will ich noch endlich von ihr wissen. „Na klar, das machen wir!“ verspricht sie mir und schon stehen wir draußen und sie sperrt die Haustür ab.

„Okay, gut.“ freue ich mich und will sie noch zum Abschied küssen...

Ich hätte sie wirklich noch gerne geküsst, so wie wir das schon seit einer Woche machen wenn wir uns verabschieden. Aber diesmal komme ich nicht mehr dazu.

Eilig rennt Katharina zum Parkplatz, wo schon ein schwarzes Auto auf sie wartet.

Das ist das erste Mal, dass sie mir davongerannt ist! Irgendwie werde ich das dumpfe Gefühl nicht los, dass sie mich heute besonders schnell loshaben wollte…

Aber sicher irre ich mich nur.

Sicherlich ist sie nur deswegen so schnell gerannt weil sie es kaum noch erwarten kann, mit ihrer Mutter so schnell wie möglich shoppen zu gehen. Frauen sind vermutlich so.

Ich bleibe noch solange stehen, bis sie an mir vorbeifahren und winke ihr dann nach.

Katharina winkt nicht zurück. Bestimmt hat sie mich nicht gesehen.

Dann ziehe ich mein Handy hervor und wähle die Nummer von meinem Vater.

Ich werde unseren morgigen Vater-Sohn-Tag absagen.

 

Ein hundsmiserabler Tag

 

Auch wenn ich heute mit Katharina ins Kino gehen wollte, treffe ich mich heute nun doch mit Papa. Katharina hat nämlich am Telefon kurzfristig abgesagt.

„Ich fühle mich heute nicht so besonders, Leon. Dauernd muss ich aufs Klo. Ich hab‘ wohl irgendwas mit dem Magen…“ hat sie gejammert.

„Du Arme! Ich werde nach dir schauen.“ habe ich daraufhin besorgt erwidert.

„Nein, nein.“, hat sie verständnisvoll erwidert,

„Das ist wirklich absolut unnötig. Wirst sehen, morgen wird es mir sicherlich schon wieder besser gehen. Triff‘ dich ruhig mit deinem Vater heute. Musst dir wegen mir echt keine Umstände machen. Wir sehen uns ja morgen in der Schule!“

Also habe ich spontan meinen Vater angerufen. „Das trifft sich gut!“, hat er sich sofort gefreut, „Ich sitze nämlich gerade in diesem türkischen Restaurant, das du mir gestern empfohlen hast. Und was soll ich sagen? Du hast voll Recht! Es ist wirklich prima! Komm‘ doch einfach auch hierher, ich warte hier auf dich!“

So habe ich mich direkt auf den Weg gemacht.

Aber sobald ich das Restaurant betrete, spüre ich auch schon einen Kloss im Hals denn mein superpeinlicher Vater sticht mir sofort ins Auge!

Papa ist doch tatsächlich mal wieder als Frau verkleidet!

Diesmal trägt er eine rothaarige Perücke und ein gelbes Kleid mit vielen, bunten Punkten.

Wie ein bunter Hund, denke ich mir, einfach nur vollkommen durchgeknallt.

Das Schlimmste aber ist, dass er nicht allein ist.

Ausgerechnet Katja, sein Transenfreund mit der blondgelockten Perücke, sitzt neben ihm!

Als sie mich sehen, schwenken sie beide zur Begrüßung eine alberne Regenbogenflagge die gerade noch auf ihrem Tisch gelegen hat. Oh Gott, das kann ja heiter werden! Hätte ich gewusst, dass Papa heute schon wieder so drauf ist, dann wäre ich sicher nicht gekommen. Wieso habe ich Papa auch ausgerechnet unser neues Lieblingsrestaurant vorgeschlagen!

„Na, komm schon, Junge! Trau‘ dich nur her zu uns. Wir beißen ja nicht.“ winkt Katja mir zu und grinst mir dämlich ins Gesicht. Merken die beiden denn gar nicht wie bescheuert sie sind?

Vorsichtig schaue ich mich um. Bevor mich noch irgendwer erkennt, könnte ich mich jetzt noch umdrehen und abhauen. Aber zu spät!

Der türkische Inhaber Mustafa hat mich schon entdeckt und mich auch gleich wiedererkannt.

„Na, junger Mann? Wo hast du diesmal denn deine hübsche Freundin gelassen?“

„Sie ist leider krank geworden.“ sage ich schnell und überlege, wie ich es vermeiden kann mit Papa und Katja in Verbindung gebracht zu werden. Doch da bringt mir Mustafa auch schon einen Stuhl damit ich mich zu den beiden an den Tisch setzen kann.

Jetzt muss ich wohl oder übel da durch, abhauen ist jetzt nicht mehr drin...

Als ich mich setze, schiele ich immer noch mit einem Auge, peinlich berührt wegen meines Vaters, zu Mustafa rüber. Was er nun über mich denkt?

Doch wider meine Erwartung scheint der es auch noch lustig zu finden, dass in seinem Restaurant Transen verkehren!

„Also, Transen sehe ich ja wirklich nicht oft hier in der Stadt. Das ist mal was ganz Besonderes! Darf ich euch nochmal einen aufs Haus spendieren?“ bietet Mustafa ihnen an.

„Klar, gerne. Da sagen wir nicht nein!“ antwortet mein Vater lächelnd und ich muss mir auch noch mitansehen, wie Papa mit Katja einen Schnaps auf Bruderschaft trinkt.

Ich könnte kotzen! Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.

Ich kann diese blöde Katja nicht ausstehen! Zuerst hat sie mir meinen Vater weggeschnappt und heute muss sie noch obendrein, ausgerechnet an unserem Papa-Tag, mit dabei hocken!

„Freut mich echt, dass du noch zu uns gestoßen bist. Du hast mir wirklich nicht zu viel versprochen. Vor allem dieser Mustafa ist ein echt lieber und toleranter Kerl!“ fängt Papa an belanglos mit mir zu plaudern.

An seinem glasigen Blick und seiner leicht lallenden Stimme erkenne ich, dass er schon ein bisschen zu viel von Mustafas gutem Hausschnaps intus hat.

Angestrengt sehe ich auf die Karte. Vielleicht esse ich nur schnell was und sage ihm, dass ich wieder gehen muss weil ich noch Hausaufgaben habe…

„Und? Wie findest du deinen Papa denn heute? Schaut er nicht toll aus mit diesem bunten Kleid und den roten Haaren? Die habe ich ihm heute geliehen, schick was?“ quatscht Katja mich amüsiert an.

Wenigstens muss Papa gemerkt haben, dass mir das Thema unangenehm ist.

Ich merke, dass er Katja anschaut und mit seinen Augen rollt was bei ihm so viel heißt wie: lieber nicht darauf ansprechen! Worauf Katja betroffen verstummt.

Aber nur für eine Minute. Denn sie will einfach keine Ruhe geben!

„Ja, aber, ich versteh‘ das nicht! Was ist denn so verkehrt daran, dass wir so rumlaufen? Hast du etwa ein Problem damit, Leon? Das ist doch gar nicht schlimm… Ich meine, wir töten ja niemanden.“ spricht sie mich nun ganz direkt darauf an.

Sie merkt einfach gar nicht wie sehr sie mich mit diesem, für mich sehr unangenehmen Thema, bedrängt.

Vielleicht will sie es auch gar nicht merken und macht das alles mit purer Absicht!

Wer weiß das schon? Mir gefällt jedenfalls die ganze Situation sowieso nicht.

Aber jetzt macht mich Papas Katja mit ihrer dämlichen Fragerei auch noch richtig wütend!

„Wenn du es genau wissen willst: ja! Ja, das ist ein Problem für mich! Ich finde es ätzend, dass mein Vater so tut als sei er eine Frau!“ entgegne ich ihr angriffslustig.

Dabei muss ich an Mama denken. Ich bin mir sicher, dass sie Katja in meiner Situation ebenfalls angeschnauzt hätte.

Katja guckt mich beleidigt an. Ihr Gesicht ist schon ganz rot von dem vielen Schnäpsen, die Mustafa ihr aufs Haus spendiert hat.

Doch sie will nicht aufgeben mit mir weiter zu diskutieren.

„Aber das ist doch heutzutage was ganz Normales. Heutzutage darf sich doch jeder so geben, wie er eben ist. Das ist doch nichts Schlechtes. Ich verstehe wirklich nicht, warum manche Leute heutzutage immer noch so intolerant wie du sind. Liebst du deinen Vater gar nicht? Oder warum gönnst du ihm seinen guten Geschmack nicht? Schau dir doch nur mal sein hübsches Kleid heute an…“ Diese bescheuerte Katja!

Ich bin den Tränen nahe.

„Nein! Das ist überhaupt nicht normal, dass mein Papa kein Mann sein will! Ihr seid doch alle geisteskrank! Und du blöde Zicke, hast ihm das alles doch nur eingeredet!“ greife ich Katja nun unverblümt an.

Erschrocken sucht sie Schutz bei meinem Papa. „Ja, aber Thomas… Was hat dein Sohn denn nur gegen mich? Der ist aber ganz schön verklemmt.“

Endlich mischt Papa sich auch mal ein. Wird aber auch Zeit!

Doch anstatt zu mir zu halten, mault er mich an.

„Leon“, zischt er mich sauer an, „es reicht jetzt! So kannst du mit erwachsenen Menschen nicht reden! Ein bisschen mehr Respekt wenn ich bitten darf! Immerhin bist du mein Kind und nicht umgekehrt! Du entschuldigst dich jetzt bei Katja!“

Ich bin bitter enttäuscht von ihm. Mich entschuldigen? Bei der? Das sehe ich nicht ein!

Wenn sich hier einer entschuldigen sollte, dann doch wohl die beiden. Und zwar bei mir. Dafür, dass sie meine Familie zerstört haben und dafür, dass ich immer wieder von anderen Leuten wegen Papa ausgelacht und komisch angeguckt werde!

„Sehe ich ja gar nicht ein!“ kontere ich. Katja schüttelt provozierend den Kopf über mich.

„Tz, tz, tz. Diese Intoleranz. Das muss er wohl von der Mutter haben. Von dir, Thomas, kann er es ja gar nicht geerbt haben.“

Nun kritisiert Katja also auch noch meine Mutter!

Jetzt reicht es mir aber endgültig!

Ich springe so energisch von meinem Platz auf, dass dabei mein Stuhl mit einem lauten Krachen nach hinten umkippt und Mustafa auf mich aufmerksam wird.

„Alles okay bei euch?“ fragt er uns besorgt.

„Nein!“, schreie ich den verblüfften Mustafa an, „Gar nichts ist okay! Das hier ist nämlich mein Vater, der es so super findet in Frauenklamotten herumzulaufen. Und ihr alle findet das auch noch cool! Ihr spinnt doch alle! Ich verzieh‘ mich jetzt!“

„Jetzt mach‘ aber mal halblang, mein Sohn!“, brüllt Papa mich an, „Immerhin wolltest du heute erst gar nicht herkommen, sondern doch mit deiner Freundin ins Kino gehen, wenn ich nicht irre. Sonst hätte ich mich sicher anders gegeben und nichts mit Katja ausgemacht. Aber nur, weil du dann plötzlich doch Zeit für mich hast, ändere ich doch nicht meine Pläne und versetze meine Freundin! Du hättest dich ganz einfach nur dazusetzen können, ohne einen Streit anzufangen, dann wäre alles nicht so eskaliert. Aber du bist manchmal eben doch wie deine Mutter…“

„Was rechtfertigst du dich denn überhaupt, Thomas?“, meldet Katja sich schon wieder zu Wort und wendet sich an meinen Vater, „Was soll das denn heißen, dass du dich sonst anders angezogen hättest? Dein Sohn soll lieber mal nicht so intolerant sein. Diese Intoleranz ist doch das eigentliche Problem hier und nicht du oder wer mit wem verabredet war!“

Im Restaurant ist es totenstill. Mustafa und die anderen Gäste starren längst auf uns.

Ich kann meine Tränen nicht mehr länger zurückhalten, so verraten fühle ich mich von Papa! Ich bin verstört. Verzweifelt renne ich aus dem Restaurant.

Sobald ich draußen bin, renne ich einfach nur, wie kopflos, weiter.

Ich weiß nicht wie lange ich gerannt bin, aber irgendwann bleibe ich dann doch stehen um zu verschnaufen und Luft zu holen. Ich will mich beruhigen.

Denn ich habe Katharina plötzlich entdeckt.

Sie sitzt an einem Tisch, draußen, vor einem Café und trinkt etwas. Es muss ihr wieder besser gehen.

Ich freue mich sie jetzt zu sehen! Gerade jetzt, wo ich jemanden zum Reden brauche nach der beschissenen Aktion von Papa.

Als ich näherkomme und sie mich bemerkt, sieht sie mich überrascht, fast schon erschrocken, an. „Oh, Leon. Was machst du denn hier? Du wolltest dich doch mit deinem Vater treffen…“

Mehr sagt sie nicht. Gerade kommt Felix aus dem Café und trägt eine Platte mit Hörnchen, die er vor Katharina, auf den Tisch abstellt. Felix hat mich schon bemerkt und ignoriert mich einfach. „Was will der denn hier?“ stellt er stattdessen Katharina zur Rede.

„Nix.“, stammelt Katharina auf einmal, „Felix, bitte, du musst mir glauben! Ich habe ihn gerade hier ganz zufällig getroffen, ehrlich!“

„Ja, ja. So ein Zufall aber auch!“ meint Felix mit ironischem Tonfall zu ihr.

So langsam checke ich es erst. Das hier scheint also kein zufälliges Date zwischen Katharina und Felix zu sein! Der Einzige, der hier wohl unerwünscht zu sein scheint, bin natürlich ich. Aber schließlich ist Katharina meine Freundin und sie ist mir eine Erklärung schuldig!

„Was soll das, Katharina? Ich dachte, du bist krank?“

„Äh…ja, das war ich ja auch.“, druckst sie herum, „Aber jetzt geht es mir wieder besser und da wollte ich nicht allein Zuhause rumsitzen.“

Nun scheint es auch Felix allmählich zu bunt zu werden mit ihrem Gestotter.

„Warum sagst du es ihm denn nicht einfach?“ meckert er sie an. Ich erschrecke. Mir was sagen? Was könnte Felix nur wissen das ich noch nicht weiß?

Aber irgendwie ahne ich es schon, dass es nichts Gutes für mich bedeutet!

Es fühlt sich an wie ein Stein im Magen, einfach nur schwer und weh tut es auch.

„Spar‘ dir deine Erklärung!“ motze ich sie enttäuscht an und gehe, bevor ich noch vor ihr losheule. Sie also auch noch! Alle sind sie nur Verräter! Ich will niemanden mehr sehen!

Ich will nur noch nach Hause, zu Mr. Cop. Auf ihn ist wie immer Verlass, denn gleich an der Haustür erwartet mich mein treuer Freund auch schon.

„Du bist mein einziger Freund!“ sage ich zu ihm und vergrabe mein tränenüberströmtes Gesicht in seinem weichen Fell. Ich weine immer noch, als mein Handy klingelt.

Eine Nachricht von Mama.

Sie ist bei einer Freundin und kommt heute etwas später als sonst weil ich ja sowieso noch bei Papa bin. Das denkt sie zumindest.

Ich bin todtraurig. Die ganze Welt scheint gegen mich zu sein. Außer Mr. Cop...

„Ich glaube, du bist echt der Einzige auf der Welt, der sich für mich interessiert.“ sage ich ehrlich zu Mr. Cop, der mir nun ganz mitleidsvoll in die Augen schaut und mir, mit seiner feuchten Zunge, behutsam meine Tränen aus dem Gesicht leckt.

 

Abserviert

 

Eigentlich hatte ich heute vorgehabt den Schultag zu schwänzen.

Ich wollte weder Felix, noch Lukas und ganz bestimmt nicht mehr Katharina sehen.

Doch Katharina hat mir, gleich in der Früh, eine Nachricht auf mein Handy geschickt:

Tut mir leid, wie das gestern gelaufen ist. Leon, wir müssen unbedingt miteinander reden! Könnten wir uns bitte, noch vor der Schule, am Schulbrunnen treffen? Lg, Katharina

Ich habe ein schlechtes Gewissen. Vielleicht habe ich Katharina Unrecht getan.

Vielleicht habe ich gestern ein bisschen überreagiert nach dem beschissenen Treffen mit Papa.

Sicherlich hat sie es nicht böse gemeint und sich nur aus Langeweile mit Felix getroffen weil sie gedacht hatte, dass ich noch was mit meinem Vater mache.

Also warte ich jetzt hoffnungsvoll, schon um halb acht, am Brunnen auf sie und überlege mir, wie ich mich am besten bei ihr entschuldigen könnte. Es dauert auch nicht lange und ich sehe sie schon, von weitem, auf mich zukommen.

Sie trägt heute sogar wieder, unter der offenen Jacke, den Pulli den ich ihr geschenkt habe. Sie scheint sich ja wirklich Mühe damit gegeben zu haben mir zu zeigen, wie sehr sie mich mag.

Schüchtern grinst sie mich an, sobald sie vor mir steht. „Hi, Leon.“

„Hi.“ sage ich und warte herzklopfend ab, was sie mir zu sagen hat.

„Leon, das wegen gestern…“ fängt sie zögernd an.

Ich falle ihr ins Wort weil ich schon merke, wie schwer es ihr fällt darüber zu reden.

Darum will ich ihr entgegenkommen. „Ja, ich weiß schon. Ich habe überreagiert. Es tut mir echt leid, Katharina.“

Ich bin mächtig stolz auf mich. Wenigstens habe ich mich zuerst entschuldigt.

Nun wird sie sicherlich auch den Mut haben mir das Treffen mit Felix vernünftig zu erklären und sich wohl auch bei mir entschuldigen. Dann wird alles wieder gut sein zwischen uns.

Katharina winkt ab. „Ach, Leon. Nein, du hast überhaupt nicht überreagiert. Du hast ja völlig Recht. Es war echt nicht schön von mir dir nicht gleich zu sagen, dass ich vorhatte mich mit Felix zu treffen und dich stattdessen angeschwindelt habe. Ich bin gestern nämlich gar nicht krank gewesen.“

„Nicht?“ frage ich erstaunt. Na ja, immerhin gibt sie es jetzt zu.

Doch gerade als ich ihr sagen will, Schwamm drüber, ich bin dir nicht mehr böse und will eigentlich nur wissen, warum du dich heimlich mit ihm getroffen hast, da presst sie mir ihren Zeigefinger auf die Lippen.

„Pscht.“, macht sie, „Sag‘ jetzt bitte nichts, Leon. Es ist eh schon schwer genug für mich dir das zu sagen. Ich muss dir nämlich etwas beichten und es fällt mir wahnsinnig schwer, das kannst du mir schon glauben. Aber die Sache ist die, dass Felix seit der einen Woche, in der wir miteinander gehen, wieder angefangen hat um mich zu kämpfen. Er hat mir sogar Blumen geschickt, musst du dir vorstellen! Naja, und… jetzt wollen Felix und ich es nochmal miteinander probieren.“

Ich bin völlig geschockt! Es fühlt sich so an, als würde mir jemand augenblicklich die Brust zusammenschnüren, so dass ich kaum noch atmen kann. „Wie probieren?“ höre ich mich dämlich fragen obwohl ich doch schon längst gecheckt habe was sie mir damit sagen will.

„Glaube mir, ich wollte Felix am Anfang ignorieren. Ich hatte nie vor dich zu verletzen! Aber dann habe ich selber gemerkt, dass ich noch Gefühle für ihn habe. Ich habe wirklich nicht gewusst, dass ich noch Gefühle für ihn habe, ehrlich!“ stammelt Katharina verzweifelt.

„Lass‘ mich raten. Dann war das neulich am Telefon auch er, mit dem du herumgeschrieben hast, oder?“ höre ich mich, eins und eins zusammenreimend, sagen.

Sie gibt es zu und schaut beschämt zu Boden. „Ja.“

Verbittert schaue ich sie an. Wie kann sie mir das nur antun? Nach alledem, was zwischen uns passiert ist! „Katharina…Ich fasse es nicht!“ rufe ich enttäuscht aus.

„Heißt das, dass du jetzt Schluss mit mir machst, oder was?“ begreife ich so langsam.

„Ja, Leon. Es tut mir leid. Aber du verdienst eine andere, die besser zu dir ist als ich.“ sagt sie nun heldenhaft. Wie gnädig von ihr! Sie tut tatsächlich so als würde sie ein großes Opfer erbringen mich freizugeben. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen! Sie soll auf keinen Fall wissen, wie sehr sie mich verletzt hat!

„Weißt du was, Katharina? Es macht mir nichts aus. Geh’ ruhig mit Felix. Du hast mir eh nicht so viel bedeutet.“ sage ich gleichgültig und drehe mich von ihr weg.

Blöderweise schaue ich jetzt genau in das Gesicht von Herrn Schmidt, unserem Mathelehrer, der gerade an uns vorbeigeht. „Na, guten Morgen! Schön, dass ihr schon so früh da seid!“ freut er sich über uns und geht dann weiter.

So ein Mist, dass er mich jetzt schon gesehen hat! Jetzt ist es endgültig zu spät um wieder abzuhauen und die Schule doch noch zu schwänzen und einen auf krank zu machen!

Echt klasse, was Katharina mir da eingebrockt hat! Auf dieses blöde Treffen hätte ich verzichten können!

Ich räuspere mich kurz und gehe dann Herrn Schmidt, im langen Abstand, hinterher.

Dabei lasse ich Katharina eiskalt stehen.

„Leon!“, ruft sie mir hinterher, „Du checkst das nicht! Du verstehst das falsch! Ich musste mich doch für Felix entscheiden. Er war wirklich ziemlich fertig weil ich mit dir gegangen bin. Er hat sogar geweint!“

Die blöde Kuh! Was interessiert es mich denn ob Felix geweint hat?

Jedenfalls ist es ihr scheißegal gewesen, dass ich gestern geweint habe!

Ich nehme mir vor cool zu bleiben und den verdammten Schultag einfach nur mutig über mich ergehen zu lassen. Keiner soll merken, wie traurig ich mich fühle!

Vor allem nicht Lukas und Felix. Ganz besonders nicht Felix!

Die Pausen sind am Schlimmsten. Kaum noch ertrage ich es mir mitansehen zu müssen, wie Katharina und Felix frischverliebt und händchenhaltend durch den Schulhof schlendern.

Ich ärgere mich. Was muss die dumme Henne auch ausgerechnet heute den Pulli tragen, den ich ihr bezahlt habe und der ihr so verdammt gut steht!

Ich finde das total geschmacklos von ihr!

Ich bin mir sicher, dass wenn ich das nächste Mal irgendeinem Mädchen einen Pulli oder mein Herz schenke, dann erst wenn sie mindestens ein Jahr mit mir geht! Man kann im Leben wirklich niemandem vertrauen. Nur meinem Hund. Aber der ist jetzt leider nicht bei mir.

Vorsichtig schiele ich zu Lukas rüber. Mich interessiert es was er davon hält, dass Felix nun nur noch mit Katharina rumhängt und weniger mit ihm. Ob es ihn genauso stört?

Doch ihm scheint es egal zu sein, denn er steht nun eben mit den anderen Jungs aus unserer Klasse im Pausenhof herum. Nun ja, im Gegensatz zu mir, ist er nicht allein...

Ich hoffe wirklich nur noch inständig, dass dieser beschissene Schultag bald vorbei ist!

„Hey, Leon. So ganz allein heute?“ ertönt eine Stimme hinter mir.

Überrascht drehe ich mich um. Ich wundere mich. Hinter mir steht Timo, ein Klassenkamerad mit dem ich bisher so gut wie noch nie geredet habe.

Ich weiß nicht ob ich ihm trauen kann oder ob er sich nur einen Spaß aus mir machen will und sich an meinem Schicksal ergötzt.

Aber ich stelle fest, dass seine Frage eher neugierig und mitleidig klingt als sarkastisch oder schadenfroh. Trotzdem traue ich ihm nicht so richtig.

Immerhin ist Timo schon länger als wahre Plaudertasche bekannt.

Alles, was man ihm erzählt, weiß am nächsten Tag die ganze Schule!

„Ich bin froh, dass ich Katharina loshabe, wenn du darauf hinaus willst. Sie hat nämlich ein paar komische Angewohnheiten mit denen ich nicht so gut klargekommen bin.“ sage ich deshalb und versuche cool zu klingen.

Ich weiß, dass es nicht besonders nett ist über Katharina so ein Gerücht zu verbreiten.

Aber ich sehe auch nicht ein, dass ich mich jetzt wegen ihr als Loser abstempeln lassen soll!

Schließlich hat sie mir es ja eingebrockt, dass ich wahrscheinlich nun so behämmert vor den anderen Jungs dastehe!

Erstaunt hebt Timo eine Augenbraue. „So?“ fragt er gespannt.

Ich habe aber keine Lust noch weiter zu lügen.

„Tja, Timo. Geht dich nix an. Passt schon!“ versuche ich ihn schnell abzuwimmeln.

Aber Timo haut nicht ab. „Ist ja auch egal, oder? Mädels kommen und Mädels gehen. Sie können sowieso nie treu sein.“ meint er seufzend und beißt dann in sein Pausenbrot.

Hört sich ja fast so an, als hätte er auf diesem Gebiet schon selbst so seine eigenen Erfahrungen gemacht… Unschlüssig stehe ich neben ihm und frage mich allmählich, was er denn noch von mir wollen könnte.

„Du und Lukas, ihr ward doch mal kurz befreundet, richtig?“ vergewissert er sich neugierig. „Ja, und?“ entgegne ich gelangweilt und lasse es mir nicht anmerken, dass mich unser Krach immer noch belastet. Außerdem geht Timo diese Sache ganz bestimmt nichts an!

„Naja…“ druckst er herum, „wir haben gehört, dass seine Eltern sich scheiden lassen wollen. Und, da wir aus Lukas nichts rauskriegen, haben wir jetzt gewettet warum sie sich scheiden lassen wollen. Ich glaube nämlich, dass Lukas Vater ein krasser Alkoholiker ist. Und das wird auch der Grund sein warum seine Mutter die Scheidung will. Aber die anderen glauben mir das nicht. Sie denken, dass Lukas Eltern einfach nur keinen Bock mehr aufeinander haben, so wie die meisten Eltern eben. Darum habe ich mir gedacht, naja…vielleicht weißt du ja was darüber. Hat Lukas dir da mal was erzählt?“ Ach, daher weht der Wind also!

Sie haben hinter Lukas Rücken doch tatsächlich gewettet, ob sein Vater alkoholkrank ist.

Ich finde das absolut widerlich von ihnen!

Erneut schiele ich heimlich zu Lukas rüber, der mit ein paar Jungs am anderen Ende des Pausenhofs steht und unser Gespräch beobachtet hat.

„Nein.“ höre ich mich zu Timo sagen, „Darüber weiß ich nichts. Frag‘ ihn doch am besten selber!“ „Ach so? Schade. Tja, okay dann…“ meint Timo enttäuscht und zieht endlich ab.

Gerade ist die Pause zu Ende und ich will in die Klasse zurück, als Lukas plötzlich angerannt kommt. „Leon! Warte mal, bitte!“ ruft er. Verdattert bleibe ich stehen.

Will er etwa wieder mit mir reden?

„Es geht um Timo. Was hat er von dir gewollt?“ will er atemlos von mir wissen.

Also sage ich es ihm.

„Und du? Was hast du gesagt?“ stellt er mich sofort, mit auf einmal sehr ängstlich klingender Stimme, zur Rede.

„Na, was wohl?“ frage ich und schaue ihn triumphierend an.

Doch Lukas schaut mich so dermaßen flehentlich an, dass ich ihn schließlich erlöse.

„Natürlich hab‘ ich nichts verraten!“ sage ich, schon fast beleidigt, dass er mir das überhaupt zugetraut hätte. Erleichtert atmet Lukas auf.

„Okay. Gut so. Danke, dir.“ sagt er anerkennend und geht dann auch schon an mir vorbei.

Was war das denn eben? Sind wir also doch noch Freunde?

Jedenfalls habe ich mich an mein Versprechen gehalten das ich ihm an seinem Geburtstag gegeben habe.

Selbst wenn wir mal Streit haben sollten, ich werde nichts verraten.

Ich habe auch nichts verraten.

 

Eine Welt zerbricht

 

Noch am selben Tag, ich komme gerade aus der Schule, sehe ich von fern Papas Auto vor unserer Einfahrt stehen.

Ich bin etwas irritiert darüber, dass mein Vater sich auch mal an einem Tag unter der Woche bei uns blicken lässt obwohl heute doch gar nicht Papa-Tag ist. Doch dann fällt mir unser blöder Streit, den wir vorgestern im Restaurant gehabt haben, wieder ein.

Ganz bestimmt ist Papa deshalb jetzt bei uns, weil er sich mit mir versöhnen will.

Doch je näher ich komme, umso deutlicher kann ich die lauten Stimmen meiner Eltern vernehmen. Toll, sie streiten mal wieder! Ich lasse mir nun Zeit und gehe langsamer.

Wenn ich jetzt über die Straße gehe, dann bin ich nämlich gleich daheim und darauf habe ich noch keine besonders große Lust.

Lieber warte ich noch ein bisschen, bis sich ihre erregten Stimmen wieder beruhigt haben.

Doch dann höre ich auf einmal noch was: ein freudiges Begrüßungsbellen! Mr. Cop muss mich wohl schon gehört haben. Trotzdem wundere ich mich, dass mein Hund mich von der Entfernung schon wittern kann. Ich bin ja noch nicht mal über die Straße gelaufen!

Plötzlich sehe ich ihn.

Voller Vorfreude kommt Mr. Cop schwanzwedelnd auf mich zu gerannt.

Meine Eltern müssen wohl beim Streiten die Haustür aufgelassen haben…

Gerade will er die Straße überqueren. „Mr. Cop, nein! Das ist gefährlich!“ schreie ich ängstlich und renne nun los um die Straße noch vor ihm zu überqueren.

Doch dann passiert es!

Alles geht so superschnell, dass ich nur noch zitternd und mit weit aufgerissenen Augen stehenbleiben kann um alles zu beobachten!

Wie aus dem Nichts hat sich auf einmal ein rasendes Auto genähert.

Entsetzt und mit klopfenden Herzen wende ich meinen Blick von der Straße ab.

Ich höre nur noch ein lautes Hupen und dann die quietschenden Reifen. Dann ist es mit einem Mal totenstill. So still, dass sich eine schlimme Vorahnung in mir breitmacht und ich große Angst habe nochmal hinzuschauen. Doch ich muss es einfach tun!

Ganz langsam überwinde ich mich und wage es, meine Augen wieder zu öffnen.

Völlig steif vor Schreck, blicke ich starr auf den zitternden Körper meines armen Hundes, der vor den Reifen eines grauen Autos liegt. Daneben steht ein Mann mit Brille.

Er trägt einen schwarzen Anzug und eine Krawatte.

Seine Hände zittern wie Espenlaub und er starrt mich erschrocken an.

„Oh Gott! Das…das wollte ich nicht! Du musst mir glauben. Ich…ich wollte gerade noch rechtzeitig bremsen, aber…plötzlich war der Hund schon auf der Straße!“ stottert er hilflos.

Wortlos starre ich zurück. Seine Lippen beben und seine Stimme zittert.

„Nein! Nein! Das darf nicht wahr sein!“ schreie ich aus Leibeskräften und renne auf die Straße, wo ich mich neben meinen Hund niederknie. Schluchzend hebe ich, mit beiden Händen, seinen wuscheligen Kopf.

„Mr. Cop, bitte bleib‘ bei mir! Bitte, mein lieber Hund, bitte nicht sterben!“

Noch nie in meinem Leben habe ich einen so großen Wunsch gehabt wie nur diesen einen!

Erschöpft schaut mich mein Hund an und jault dann kläglich. Er lässt dabei seinen Kopf auf mein Knie sinken. Ich spüre, dass er große Schmerzen hat!

„Um Himmels Willen, was ist denn nur passiert?“ ertönt die aufgeregte Stimme meiner Mutter, die aus dem Haus gerannt kommt. Obwohl ihr das eigentlich, spätestens jetzt, klar sein müsste. Der verdatterte Mann erklärt es ihr nochmal stotternd.

Aber ich höre nicht mehr zu. Ihre Stimmen scheinen ganz weit weg zu sein.

Schluchzend vergrabe ich mein weinendes Gesicht in das weiche Fell meines allerbesten und einzigen Freundes.

„Bitte, halte durch! Mr. Cop, bitte verlass‘ mich nicht!“ bettele ich schniefend.

In meiner Verzweiflung bete ich leise zu Gott. Er soll meinen Hund unbedingt wieder gesund machen! Aber ich weiß ja nicht mal, ob es Gott wirklich gibt…

„So etwas kommt dabei heraus, Tanja! Weil du auch andauernd zanken musst mit mir! Sonst hätten wir nämlich nicht vergessen diese beschissene Tür zuzumachen! Dann wäre das alles nicht passiert!“ bekomme ich den vorwurfsvollen Tonfall meines Vaters mit, der inzwischen dazugekommen ist. Ich könnte kotzen!

Sogar jetzt noch fällt meinen Eltern nichts Besseres ein als zu streiten!

Aber ich habe keine Kraft mehr ihnen das jetzt vorzuwerfen. Ich bin nur noch tieftraurig und kann einfach nicht mehr damit aufhören, wie ein Wahnsinniger Mr. Cops schweren Kopf zu streicheln. Dabei regt er sich schon lange nicht mehr.

Ich spüre aber, dass sein Herz immer noch wie wild von der ganzen Aufregung schlägt…

Das macht mir Hoffnung!

Der fremde Mann scheint sich nun gefasst zu haben und steigt in sein Auto.

Er fährt es an den Randstein, wo er parkt.

Dann steigt er wieder aus und schaltet die Warnblinkanlage ein.

Derweil hat Papa mich sanft von Mr. Cop losgerissen und ihn dann in eine Decke gewickelt.

„Komm, Leon! Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren!“ sagt Papa zu mir.

Während Papa hastig sein Auto holt, soll ich mit dem eingewickelten Hund auf ihn warten.

„Ich weiß auch nicht wie wir das nun regeln sollen. Mein Auto hat ja auch paar Kratzer abgekriegt. Jedenfalls habe ich eine Kfz-Haftpflichtversicherung. Aber eigentlich sind Sie ja schuld. Weil Sie nicht besser auf den Hund aufgepasst haben…“ höre ich den Mann mit meiner Mutter schimpfen.

„Das werden wir dann ja sehen, wer Schuld hat, wenn die Polizei da ist. Ich denke wohl eher, dass Sie sich nicht ans Tempolimit gehalten haben. Sonst hätten Sie ja noch rechtzeitig bremsen können! Vielleicht sind Sie es ja, der uns einen Schadensersatz zahlen muss!“ pflaumt meine Mutter ihn nun an.

Mich widern die Erwachsenen an! Ständig geht es ihnen nur um das blöde Geld. Was interessiert es mich wer schuld hat oder wer den Schaden bezahlen soll? Ich will nur, dass mein Hund überlebt!

Während Mama und der Fremde diesen Unsinn regeln wollen, legt mein Vater jetzt Mr. Cop, mitsamt der Decke, auf den Rücksitz seines Autos. Dann fahren wir, so schnell es geht, zur nächstbesten Notfall-Tierklinik.

Während der ganzen Fahrt reden wir nichts miteinander. Aber ich stelle jetzt erst fest, dass mein Vater heute wieder ganz normal gekleidet ist. Doch seltsamerweise ist mir das im Moment gar nicht mehr so wichtig. Von mir aus hätte er heute auch ein Kleid tragen können! Hauptsache, er fährt so schnell er kann und gibt ordentlich Gas!

Als wir bei der Tierklinik ankommen, rennt uns der Tierarzt auch schon entgegen.

„Ja, um Gottes willen! Das arme Tier! Los, helfen Sie mir es hereinzutragen!“ schreit er.

Als sie alle verschwunden sind, stehe ich immer noch ganz allein neben dem Auto und warte. Ich fühle mich furchtbar und mache mir Vorwürfe. Ich hätte auf dem Heimweg wohl doch nicht so trödeln sollen. Dann hätte ich ganz sicher noch rechtzeitig die Straße überquert!

Ich muss wieder losheulen. Hoffentlich überlebt Mr. Cop! Er darf nicht sterben! Er darf mich nicht alleine lassen! Ich habe doch sonst niemanden außer ihm!

Doch plötzlich kann ich nicht mal mehr weinen. Ich habe nur noch Angst! Angst um meinen besten Freund! Ich sehe jetzt Papa aus der Praxis herauskommen. Er geht direkt auf mich zu.

Sein Gesicht wirkt ernst. Viel zu ernst, nach meiner Meinung. Sogar ernster als nur ernst…

So ernst habe ich meinen Vater noch nie gesehen!

Ich ahne auf einmal Schreckliches. „Und?“ kriege ich gerade noch ein Wort aus mir heraus.

Papa schaut mit einem Mal traurig aus. Todtraurig. Langsam schüttelt er den Kopf.

„Es tut mir leid. Das wird nichts mehr, Leon. Dein Mr. Cop ist jetzt im Hundehimmel. Er hatte so große Schmerzen und innere Blutungen, dass wir ihn einschläfern mussten. Ist wohl besser so für deinen Freund. Der Tierarzt hat auch nicht mehr viel für ihn tun können. Mein Junge, du musst jetzt sehr tapfer sein…“

Ungläubig starre ich meinem Vater ins Gesicht während mir vor inneren Schmerzen gerade das Herz stehen bleibt. Für mich bricht eine Welt zusammen!

Ich kann einfach nicht glauben was ich da gerade gehört habe! Ich will es auch nicht glauben!

Ich wiederhole es immer wieder in meinen Gedanken, solange, bis ich es endlich glauben kann. Mein bester Freund ist tot! Mausetot! Er hat mich für immer verlassen! Nie wieder wird er auf mich vor der Haustür warten! Nie wieder mit mir zusammen im Bett einschlafen!

Keine halbe Stunde ist es her, dass mein Hund noch quicklebendig gewesen ist und mir entgegenlaufen wollte!

Ich beginne auf einmal zu Schreien weil es so unerträglich weh tut in mir drinnen.

„Nein! Nein! Das ist nicht wahr!“

Papa umarmt mich. „Ist schon gut, mein Junge. Lass‘ es raus! Ich bin da für dich.“

Doch ich reiße mich unsanft von ihm los. „Lass‘ mich in Ruhe! Das ist alles nur wegen euch passiert! Weil ihr immer streiten müsst!“ brülle ich ihn böse an.

„Aber, Leon…“ höre ich ihn noch sagen. Doch er kommt nicht mehr dazu noch mehr zu sagen. Ich renne plötzlich los. Irgendwohin, in irgendeine Richtung!

Einfach nur noch weg von hier! Weg von diesem schrecklichen Ort, wo ich meinen lieben Hund nur noch ein letztes Mal lebend gesehen habe!

Ich renne und renne, so schnell ich nur kann. Als ob ich damit die Zeit zurückdrehen könnte. Aber das klappt nicht!

Ich muss wohl schon sehr lange gerannt sein, denn auf einmal komme ich am Park vorbei wo ich mit Mr. Cop täglich Gassi gegangen bin. Außer heute. Denn jetzt ist er ja tot.

„Tot!“ brülle ich mir meinen Schmerz laut von der Seele. Dann bleibe ich abrupt stehen.

Ich frage mich, warum ich ausgerechnet und, scheinbar ganz zufällig, in unseren Lieblingspark gerannt bin. Obwohl ich es nicht geplant habe, habe ich es ganz unbewusst getan. Hat mich etwa Mr. Cops Geist hierher gelotst? Vielleicht mithilfe meiner Gedanken?

Jedenfalls fühle ich mich hier meinem Hund auf einmal sehr nahe.

Viel näher, als vorhin in der Tierarztpraxis. Es fühlt sich fast so an als wäre er noch da.

Alles fühlt sich auf einmal so wie immer an.

Als wäre ich nur mit ihm hierher Gassi gegangen und als würde er gleich wieder auf mich zu gerannt kommen, nachdem er mal wieder mit seiner heißgeliebten Pudeldame geflirtet hätte.

Und doch fühlt es sich gleichzeitig auch anders an.

Weil ich weiß, dass ich mir nur falsche Hoffnungen mache, wenn ich jetzt hier weiter stehenbleibe und darauf warte, dass er gleich, wie üblich, angerannt kommt.

Weil ich weiß, dass ich diesen schönen Augenblick mit ihm nie mehr erleben werde.

Denn er kommt nicht mehr. Nie mehr!

 

Aussprache

 

Pausenlos gehe ich weiterhin den Park entlang.

Solange, bis ich staunend erneut stehenbleibe.

Auf einer der Bänke sitzt jemand, der mir bekannt vorkommt. Es ist Lukas! Und er heult.

Ganz langsam, fast wie in Trance, laufe ich auf ihn zu. Da sieht er mich auch schon und wischt sich eilig mit seinem Ärmel seine Tränen aus dem Gesicht.

„Hallo, Lukas.“ sage ich nur und lasse mich schweigend auf seiner Bank nieder.

Ich habe keine Kraft mehr weiterzugehen. Außerdem tut es gut, dass ich nicht der Einzige bin der heute niedergeschlagen ist. „Gib dir keine unnötige Mühe. Ich habe schon gesehen, dass du geweint hast. Aber tröste dich, ich habe auch geweint.“ sage ich mit schwacher Stimme.

„Was machst du denn hier? Und… wo ist dein Hund?“ wundert Lukas sich.

„Tot.“ sage ich nur. „Vom Auto überfahren.“ füge ich noch nach einer Schreckensminute hinzu und starre ins Leere. Völlig entgeistert schaut Lukas mir nun direkt ins Gesicht.

„Was? Nein! Scheiße!“ antwortet er schockiert. „Wann?“ fragt er dann traurig.

„Heute, vor etwa zwei Stunden.“ antworte ich leise. „Wie?“ fragt er seufzend weiter.

„Na, ganz einfach!“, antworte ich achselzuckend,

„Meine tollen Eltern haben mal wieder gestritten und dabei vergessen, die Haustür zuzumachen. Mein Hund wollte mir entgegenlaufen und dann kam ein Auto angerast.“

„Aha.“ sagt Lukas betroffen. Mehr muss ich gar nicht sagen. Lukas ist alles sofort klar.

„So ein Mist!“, schimpft er nun völlig entrüstet, „Tut mir echt leid für dich, Leon. Das war doch so ein toller Hund!“ Dann schweigen wir Langezeit.

Was soll man dazu auch schon groß sagen? Es tut einfach nur weh. Verdammt weh!

„Das Leben ist manchmal einfach echt beschissen, oder?“ fängt Lukas dann wieder an.

„Naja, es hat auch was Gutes. Immerhin reden wir wieder miteinander.“ sage ich, obwohl ich mir vorkomme als wäre ich in einem Albtraum gelandet, aus dem ich mir nur noch wünsche endlich wieder aufzuwachen. Aber leider ist das hier die pure Realität und ich werde nie mehr aus diesem Albtraum aufwachen! Ich werde lernen müssen darin zu leben.

„Ich war sauer auf dich. Weil du auf einmal mit diesem tollen Mädchen gegangen bist. Das habe ich einfach nicht verkraften können.“ gesteht Lukas mir plötzlich.

Überrascht schaue ich ihn an. „So? Davon hatte ich ja keine Ahnung. Du hast doch an deinem Geburtstag zu mir gesagt, dass du nichts von Katharina willst!“

„Naja, “ meint er zögerlich, „um ehrlich zu sein wollte ich nur einen auf cool machen. Verstehst du? Ich wollte vor niemandem zugeben, dass ich auf sie stehe. Vor allem nicht vor Felix.“

„Verstehe. Weil Felix zuerst mit ihr gegangen ist. Du wolltest ihm nicht in den Rücken fallen.“ fasse ich zusammen. Lukas nickt.

„Ja. Darum dachte ich, dass ich einfach warte bis sie mich anspricht. Weil dann wäre es von ihr aus gegangen und dann wäre Felix nicht auf mich sauer gewesen, sondern auf sie. Ich war mir nämlich echt sicher, dass sie auf mich steht. Aber dann habe ich gecheckt, dass sie auf dich steht. Ich glaube, ich war neidisch auf dich.“

„Hey, Mann! Schließlich hast du mir nicht nur Katharina vor der Nase weggeschnappt, sondern auch meinen Part gestohlen! Ich meine, zuerst war ich der Klassenliebling und auf einmal, nur weil du mit Katharina gegangen bist, haben sie alle nur noch dich bewundert!“ rechtfertigt er sich noch. Ich bin verblüfft.

Ich bin vor einer Woche noch Klassenliebling gewesen?

„Davon habe ich ja gar nichts gemerkt, dass ich tatsächlich so beliebt gewesen sein soll!“

„Warst du aber.“ bestätigt Lukas mir nochmal und kickt mir neckisch in die Rippen.

„Naja, danke übrigens.“ meint er dann. „Für was?“ hake ich nach.

„Dass du beim Timo nichts über meinen Vater ausgeplaudert hast. Der Timo ist nämlich ein Arsch. Der ist doch nur beliebt weil er sich auf Kosten von anderen einen Spaß macht. Eigentlich wäre er sonst in der Klasse eine absolute Nullnummer!“

„Ich weiß. Darum habe ich ihm auch nichts gesagt. Sonst hätte er deinen Vater zur Lachnummer gemacht.“ sage ich. Lukas hält mir dankbar seine Hand hin. „Freunde?“ fragt er.

„Ich habe nie aufgehört dein Freund zu sein, Lukas. Na klar, Freunde.“ schlage ich darauf ein.

Auf einmal grinst er schelmisch. „Weißt du, das ist schon komisch. Beide wollten wir Katharina haben und darum haben wir beide nichts mehr miteinander geredet. Und was ist jetzt? Jetzt hat Felix sie uns beiden ausgespannt und beide haben wir verlost. Was für eine Arschkarte, oder?“

Obwohl ich todtraurig bin, muss ich auf einmal mit ihm darüber lächeln.

„Tja, wie heißt das so schön? Wenn zwei sich streiten, dann freut sich der Dritte.“ gebe ich altklug von mir. Dabei muss ich auf einmal an den Tag mit Mr. Cop denken, als er die Beute der streitenden Raben einfach angepinkelt hat. Bei dieser Erinnerung hätte ich fast wirklich loslachen können. Aber nur fast. Wenn nur nicht alles so traurig wäre!

„Jedenfalls kannst du ja jetzt, ganz im Gegensatz zu mir, zu Recht behaupten, dass du mal mit dem tollsten Mädchen der ganzen Klasse gegangen bist. Immerhin! Mit dieser Tatsache wird Felix wohl leben müssen…“ meint Lukas nachdenklich.

Trotzdem gibt mir das keine Genugtuung.

„So toll finde ich das gar nicht, Lukas. Darauf hätte ich lieber verzichten können. Wie du dir vorstellen kannst, hat sie mir das Herz gebrochen! Dir ist das zumindest erspart geblieben.“ entgegne ich mit gekränkter Stimme.

„Was soll’s! Einigen wir beide uns einfach darauf, dass wir beide mit der Tussi gewaltig auf die Fresse gefallen sind.“ stellt Lukas fest.

Kann schon sein, dass er Recht hat. Aber Katharina ist mir im Moment wirklich vollkommen egal. Ich vermisse einfach nur meinen Hund. So stark, dass es richtig weh tut.

Und auch Lukas kommt mir heute besonders traurig vor. „Vorhin“, fange ich an ihn zu fragen, „warum hast du überhaupt geheult?“

„Na ja, weil zurzeit eben alles bei mir zusammenkommt. Mir wird alles einfach zu viel! Zuerst habe ich den Krach mit dir, dann Liebeskummer wegen Katharina und jetzt steht auch noch die nächsten Tage die Scheidung meiner Eltern an.“ teilt er mir sorgenvoll mit.

Das mit dem Liebeskummer kann ich schon verstehen. Bei mir ist das ja nicht anders. Aber dass er nicht froh darüber ist, dass sich seine Eltern nun endlich scheiden lassen, verstehe ich nicht. „Sag‘ mal, du hast doch selber gesagt, dass du froh bist wenn sich deine Eltern endlich mal scheiden lassen. Das wolltest du doch. Warum belastet dich das jetzt auf einmal?“

Er zuckt mit den Schultern.

„Ich weiß es auch nicht so genau. Aber es fühlt sich trotzdem irgendwie total bescheuert an. Ich meine, klar bin ich froh, dass mein versoffener Vater endlich von zu Hause auszieht. Aber gleichzeitig hänge ich irgendwie an ihm. Ich meine, er ist doch schließlich immer noch mein Vater! Die Frau vom Jugendamt hat aber gesagt, dass es wohl schwer sein wird für ihn, ein Umgangsrecht für mich zu kriegen. Er darf mich wahrscheinlich erst wiedersehen, wenn er sein Alkoholproblem in den Griff bekommt. Aber da sehe ich schwarz! Ich glaube nämlich nicht, dass mein Vater das schafft, so wie der drauf ist. Bestimmt nicht so schnell wie die sich das alle vorstellen. Vielleicht werde ich meinen Vater nie wiedersehen!“

Lukas kommen nun wieder die Tränen.

„Auch meine Oma fehlt mir so!“ schluchzt Lukas weiter, „Ihr gesundheitlicher Zustand wird immer schlechter. Ständig will sie jetzt allein sein und ich darf sie kaum noch besuchen. Ich habe echt Angst, dass sie es nicht mehr lange macht!“

Er schnäuzt sich nun und guckt mich ganz verweint an. „Leon“, bittet er mich, „ich brauche die nächsten Wochen einen besten Freund der mir beisteht. Einen Freund, so wie dich. Ich pack‘ das sonst alles nicht mehr!“

„Ja.“ verstehe ich und nicke, „Ich auch.“

Indessen ist es dunkel geworden und am Himmel kann man schon die ersten Sterne sehen.

Eine Weile sagen wir nichts mehr, sondern schauen nur noch andächtig in den Sternenhimmel. Jeder von uns beiden geht dabei seinen eigenen Gedanken nach und denkt an seinen eigenen Schmerz.

„Wo gehen sie nur alle hin?“ reißt Lukas mich plötzlich aus meinen Gedanken.

„Wen meinst du?“ frage ich.

„Na, alle eben.“ meint Lukas,

„Mr. Cop, du, ich… Oder meine Oma, wenn sie mal sterben wird.“

„Das möchte ich auch gern wissen.“ gebe ich ratlos zu.

„Glaubst du, dass es Gott gibt?“ fragt Lukas mich nun ganz direkt.

„Keine Ahnung.“ sage ich. „Jedenfalls glaube ich nicht so ganz an ihn. Ich habe heute nämlich leise zu ihm gebetet, dass er meinen Hund wieder gesund macht. Aber er hat mir nicht geholfen. Er hat meinen Hund einfach sterben lassen.“ meine ich dann verbittert.

„Aber vielleicht hat er ihn ja gesund gemacht. Nur, dass er jetzt nicht mehr hier ist.“ grübelt Lukas nach. Für mich gibt sein Satz keinen logischen Sinn.

Prompt daraufhin schluchze ich auch schon los. Jetzt wird es mir wieder bewusst:

mein Hund wird nicht mehr da sein, wenn ich jetzt nach Hause gehe! Mr. Cop ist tot!

Verständnisvoll klopft Lukas mir auf die Schultern.

„Ist schon okay, Leon. Du bist nicht allein. Jetzt bin ja ich wieder für dich da. Nochmal streiten wir uns garantiert nicht mehr, schon gar nicht wegen eines Mädchens.“

 

So bunt wie das Leben

 

Es ist schon Nacht geworden, als ich mich endlich heimtraue.

Weil ich weiß, dass Mr. Cop mich zum ersten Mal nicht mehr an der Haustür erwarten wird.

Doch dafür empfangen mich meine besorgten Eltern, gleich hinter der Tür.

„Na endlich, wir haben uns schon große Sorgen um dich gemacht! Papa ist deshalb gar nicht erst nach Hause gegangen.“ sagt meine Mama erlöst.

Wortlos komme ich herein und mir kommen sofort wieder die Tränen. Ich bin es nicht mehr gewöhnt ohne meinen Hund zu sein! Ich fühle mich so hilflos ohne ihn.

Tröstend nehmen mich Papa und Mama in die Arme, so, als sei ich gerade wieder ein erst fünfjähriger, kleiner Pimpf. Doch genauso verloren fühle ich mich im Moment ja auch!

Ob dieser Schmerz mal wieder aufhören wird?

Ob ich jemals wieder im Leben fröhlich sein werde?

„Wo ist er? Habt ihr ihn begraben?“ höre ich mich leise fragen, so als erlebe nicht ich das alles gerade, sondern irgendjemand anderer. Aufrichtig guckt Papa mich an.

Er hat mal zu mir gesagt, dass ich von ihm immer mit einer ehrlichen Antwort rechnen kann wenn ich eine ernste Frage an ihn stelle. „Er war noch eine Zeit lang beim Tierarzt, ist dann aber dort von einem Tierbestattungsunternehmen abgeholt worden.“ sagt er.

Aber seine Antwort stellt mich nicht zufrieden. Sie ist mir zu kurz, zu unpersönlich. „Aber…wo ist Mr. Cop denn jetzt?“ wiederhole ich meine Frage hartnäckig und mit kläglicher Stimme.

Papa schluckt und schaut hilfesuchend Mama an.

„Der tote Körper von Mr. Cop“, beginnt sie langsam, „naja, der ist jetzt eingefroren worden. Aber seine Seele ist jetzt woanders. Sie ist über die Regenbogenbrücke gegangen und jetzt an einem wunderschönen Ort. Dort ist Mr. Cop wieder gesund und kann mit vielen Haustieren spielen.“ Mama behandelt mich tatsächlich so, als wäre ich noch sechs Jahre alt. Sie denkt, wenn sie mir ein nettes Märchen auftischt, dann werde ich wohl nicht mehr so traurig sein.

Das Einzige, was mir von Mamas Erklärung eben im Kopf hängen geblieben ist, ist das Wort Einfrieren. Und es macht mir Angst!

Mr. Cop hatte es doch immer so gern warm und gemütlich mit mir im Bett. Am liebsten hatte er dazu immer seine kuschelige Decke, vor allem, wenn es draußen mal wieder geschneit hat.

Auch wenn ich weiß, dass er jetzt nichts mehr spüren kann mache ich mir Sorgen um ihn. Hoffentlich friert er nicht zu sehr… „Warum musstet ihr seinen Körper einfrieren? War das wirklich nötig? Er wird so schrecklich frieren!“ schluchze ich von Neuem los.

Papa geht in die Hocke. Er will mit mir auf Augenhöhe sein, da ich mich gerade in den Sessel gesetzt habe.

„Leon, mein großer Junge. Guck‘ mich mal an!“, meint er geduldig und mit ruhiger Stimme, „Es klingt jetzt nicht besonders schön wie ich dir das sagen muss. Aber Mr. Cop musste doch eingefroren werden. Damit seine Leiche nicht so schnell verfault. Aus diesem Grund werden alle toten Haustiere eingefroren. Solange, bis genügend tote Haustiere zusammengekommen sind. Erst dann werden alle verstorbenen Haustiere, natürlich einzeln, verbrannt. Damit sie zur Asche werden.“

Ich bin absolut entsetzt.

Mein geliebter Hund soll verbrannt werden?

Warum kann man ihn denn nicht einfach ganz normal beerdigen, so wie man es bei uns Menschen auch macht! Dann hätte er ein schönes Grab, das ich immer besuchen könnte.

„Leider können wir ihn nicht beerdigen. Es ist verboten, tote Tiere zu beerdigen.“ seufzt Papa.

Mama nickt verständnisvoll. „Ja, leider. Nur wenn wir einen Garten gehabt hätten wäre es erlaubt gewesen ihn dort zu begraben. Aber wir haben ja bedauerlicherweise keinen Garten. Und einen Tierfriedhof gibt’s auch nicht in der Nähe.“

Ich werde wütend weil ich das ungerecht finde. Warum dürfen nur Leute, die in einem Haus mit Garten leben, ihre Hunde begraben? Ein dummes Gesetz ist das!

„Aber schau‘ mal, Leon“, besänftigt mich Papa, „es ist doch immer noch besser ihn zu verbrennen als das man Pflanzendünger aus ihm macht. Denn das machen sie sonst aus toten Haustieren.“ Ich bin völlig geschockt. Wenn ich mir das nur vorstelle! Mr. Cop könnte auch zu Dünger verarbeitet werden? Wie grausam ist diese Welt denn eigentlich noch?

Papa verstummt. Er weiß scheinbar nicht mehr so genau, was er mir sonst noch Tröstendes sagen könnte. Darum übernimmt Mama wieder das Kommando.

„Wenn Mr. Cop verbrannt wird, dann kommst seine Asche in eine schöne Urne. Dein Vater hat schon eine hübsche Urne für deinen Hund ausgesucht. Die wird dir sicherlich gefallen, Leon. Die kannst du dann als Andenken aufheben und dich immer an Mr. Cop erinnern.“

Mir ist klar, dass Mama es gut mit mir meint.

Dennoch dreht sich mir der Magen um bei dem Gedanken, dass Mr. Cop, der große Hund, plötzlich zu einem kleinen Häufchen Asche werden soll um dann in ein winziges Gefäß reinzupassen. Außerdem brauche ich keine Urne um mich an ihn zu erinnern!

Was für ein Blödsinn! Als könnte ich meinen Hund eines Tages einfach so vergessen, wenn ich keine Urne habe. Nein, Mr. Cop ist viel zu tief in meinem Herzen drin.

So tief, dass es nur noch unerträglich schmerzt. Wie sollte ich ihn also jemals vergessen?

Papa merkt, dass ich skeptisch bleibe.

„Du kannst ja dann mit der Urne an einen schönen Ort gehen, wenn du magst. An einen ganz besonderen Ort, der nur euch, nämlich dir und deinem Hund viel bedeutet hat. Dort kannst du seine Asche verstreuen. Dann wird dein Mr. Cop für immer dort sein und du kannst ihn dort garantiert auch spüren. Das ist doch auch eine gute Alternative zu einem Grab, was meinst du dazu?“

Diese Idee finde ich gar nicht mal so schlecht. Mir fällt auch schon sofort der Ort ein, wo ich seine Asche verstreuen werde. Im Park!

Es ist der einzige Ort, an dem ich mich heute Mr. Cop nahe gefühlt habe. Und das tröstet mich jetzt sogar ein bisschen. „Wann kann ich das machen? Gleich morgen?“ erkundige ich mich.

Ich kann es wirklich kaum erwarten das zu tun! Auch an Lukas muss ich denken. Er ist jetzt mein einziger Freund, der Einzige, der mir noch geblieben ist. Ihn werde ich mitnehmen, wenn ich Mr. Cops Asche verstreuen werde. Das ist schon beschlossene Sache!

„Du musst dich noch etwas gedulden.“ vertröstet mich Mama, „Der Tierbestatter hat nämlich angerufen und gesagt, dass die Urne mit Mr. Cops Asche uns mit der Post zugeschickt wird. Und das kann dauern.“

Sie stellt mir einen Teller mit Suppe hin. Ich habe aber keinen Hunger heute.

„Du musst aber etwas essen, Leon. Du hattest schon kein Mittagessen heute. Lass‘ dich jetzt doch bitte nicht so hängen!“ redet Mama auf mich ein, in einem Ton der keinerlei Widerspruch duldet. Ihr zuliebe schaufele ich hastig noch ein paar Löffel in mich hinein, aber ich habe wirklich keinen Appetit heute.

„Mensch, Tanja, lass‘ ihn doch!“ mischt Papa sich ein, „Leon braucht seine Zeit um zu trauern. Das geht doch nicht von heute auf morgen.“

Dankbar schaue ich Papa an und lasse die Suppe stehen.

Mir ist plötzlich echt egal ob er heute ein Mann oder eine Frau ist. Ich stelle fest, dass er einfach nur ein toller Kerl ist und das Herz am rechten Fleck hat!

Überhaupt ist es nicht schlecht so einen lieben Papa zu haben. Wenn ich da nur an den Vater von Lukas denke…

Ich glaube auf einmal, es ist gar nicht mal so wichtig ob man einen Vater und eine Mutter hat, oder ob man manchmal auch gleich zwei Mütter hat, wenn der Vater gerne eine Frau sein will. Hauptsache die Eltern sind für einen da. Und das sind sie ja auch.

Erst jetzt, da es mir so schlecht geht, merke ich das!

Und ich weiß es auf einmal auch zu schätzen.

Ich möchte meinem Vater gerne auch was Gutes tun und für ihn da sein.

Ihm das Gefühl geben, dass ich ihn akzeptieren will, so wie er ist.

Dabei denke ich an vorgestern, als er mit Katja zusammen im Restaurant war und sie eine Regenbogenflagge dabei gehabt haben.

„Sag‘ mal, Papa“, frage ich ihn ganz unverblümt, „was bedeutet diese Regenbogenflagge eigentlich für dich? Warum ist die euch so wichtig?“

Erstaunt guckt er mich an.

Aber ich erkenne an seinen Augen, dass er sich darüber freut weil ich mich mal für ihn interessiere. Nur Mama ist nicht gerade begeistert über dieses Thema und rollt seufzend mit den Augen. Das bedeutet so viel wie: Muss das jetzt sein?

Doch Papa achtet nicht auf sie und erklärt mir stolz, dass die Regenbogenflagge für ihn ein Symbol für Freiheit ist. „Jede Farbe auf der Flagge hat eine ganz bestimmte Bedeutung.“ sagt Papa. Nun wird sogar auch Mama neugierig. „Ach, echt?“

Also erklärt uns Papa alles ganz genau und Mama und ich hören ihm zu.

Es ist wohl das erste Mal, dass meine Mutter und ich ihm so aufmerksam zuhören und Papa scheint dabei erst so richtig aufzublühen.

Wir erfahren, dass die Regenbogenflagge ein Symbol dafür ist, das jeder Mensch frei geboren ist um das zu tun, was ihm Freude macht ohne dabei andere Menschen zu verletzen oder ihnen weh zu tun.

„Die Farbe Pink steht dafür, dass jeder Mensch das sein darf, was er auch tief in seinem Inneren ist. Ob man sich als Frau oder Mann fühlt.“

„Lass‘ mich raten, Thomas. Und du fühlst dich natürlich als Frau! Wie kann das auch anders sein!“ stichelt Mama schon wieder herum.

Ich wünschte, sie könnte das endlich mal sein lassen!

Papa nickt ernst. „Ja, Tanja. So ist es. Schon immer ist es so gewesen bei mir. Aber damals durfte man so etwas nicht sagen. Aber ihr könnt mir beide glauben, schon als Kind habe ich mich immer als Mädchen gefühlt.“

Plötzlich weint Papa! „Ich habe sehr lange, ja Jahrzehnte lang darunter gelitten, dass andere Menschen mir deshalb ständig eingeredet haben, dass ich nicht normal sei!“

Bestürzt schauen Mama und ich uns an.

Es ist das erste Mal seit einer Ewigkeit, dass Mama nett zu ihm ist.

„Ja, aber Thomas! Ich hatte ja keine Ahnung…“

Papa wischt sich die Tränen aus den Augen und spricht weiter.

„Aber dann kam die Freiheitsbewegung der Transgender und ich checkte, dass ich mit diesem Problem nicht alleine bin. Auf einmal gab es da Tausende auf den Straßen, die es leid waren sich ständig verstecken zu müssen und von der Gesellschaft verurteilt zu werden, nur weil sie eben anders sind. Endlich durfte man auch mal sein Maul aufmachen und so habe ich den Mut bekommen, auch endlich mal dazu zu stehen, vor allen anderen. Zu mir selbst zu stehen. Versteht ihr?“ Schluchzend schaut Papa uns an und Mama umarmt ihn plötzlich herzlich.

„Mensch, Thomas. Jetzt verstehe ich dich erst so richtig!“ sagt sie betroffen.

„Ich war so fertig als du die Scheidung wolltest, Tanja. Nur weil du herausgefunden hast wie ich wirklich ticke. Aber dich und Leon, ich liebe euch beide immer noch und habe niemals aufgehört euch zu lieben! Dass ich euch liebe hat nämlich gar nichts damit zu tun wer ich sein will. Aber dass hast du einfach nicht kapiert, Tanja.“ gesteht Papa schluchzend.

„Aber jetzt verstehe ich es.“, sagt Mama nachdenklich. „Vielleicht sollten wir uns das mit der Scheidung doch nochmal überlegen. Es war wirklich überstürzt von mir.“ sieht Mama auf einmal ein.

Wenn ich nicht immer noch so traurig wäre, hätte ich im Moment losjubeln können!

So wie es aussieht, wird Papa wieder bei uns einziehen!

Der Streit zwischen meinen Eltern ist also nur ein blödes Missverständnis gewesen.

Wenn sie gleich von Anfang an so ehrlich miteinander geredet hätten, dann hätte Papa niemals ausziehen müssen! Aber heute spricht Papa sich endlich aus.

All die Ungereimtheiten machen auf einmal einen Sinn.

Papa erklärt uns auch noch die anderen Farben der Regenbogenflagge.

So steht die Farbe Rot für das Leben und die Farbe Orange bedeutet Heilung.

„Rot zeigt uns, dass man den Mut haben soll so zu leben wie man es für richtig hält. Auch wenn man von den anderen ausgelacht wird.“ meint Papa.

Aber mir gefällt die Farbe Orange besser. Papa meint, dass ihn das nicht wundert.

„Die Farbe Orange steht für die Heilung und gerade das brauchst du jetzt, Leon. Orange soll dich daran erinnern, dass das Leben nicht nur aus Schmerz besteht.“

Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann bin ich schon öfter glücklich im Leben gewesen. Ich bin nicht nur immer traurig gewesen. Ich denke dabei an solche Tage, als Lukas auf einmal mein Freund sein wollte oder als ich Mr. Cop bekommen habe.

Ach ja, mein lieber Mr. Cop…

Bei dem Gedanken schnürt es mir sofort wieder die Kehle zu.

Ich glaube, dass ich wohl noch ganz schön lange warten muss bis die Farbe Orange bei mir wirkt und ich nicht mehr traurig bin.

„Dann gibt es noch die Farbe Gelb. Gelb ist die Sonne.“ fährt Papa mit seiner Erklärung fort, „Man darf nie vergessen, dass jeder Tag schön sein kann. Wenn man es nur zulässt! Auch, wenn man gerade traurig ist…“

Ja. Mit der Farbe Geld liegt Papa goldrichtig bei mir.

Vielleicht brauche ich erst eine Zeit lang die Farbe Geld, damit ich die Farbe Orange irgendwann für mein weiteres Leben zulassen kann.

Vielleicht muss ich Freude erst wieder in meinem Leben zulassen, damit ich von meinem Schmerz geheilt werde…

Papa redet weiter und zwinkert mir dabei aufmunternd zu.

„Grün ist die Farbe der Natur. Sie zeigt, dass wir mit allen Wesen der Natur verbunden sind, auch mit unseren Haustieren. Selbst nach dem Tod! Alle sind wir eins.“

Diesen Gedanken finde ich sehr schön und ich glaube, dass Grün meine neue Lieblingsfarbe wird.

Ich erfahre dann noch von Papa, dass die Farbe Türkis die Farbe der Kunst und Kreativität ist.

„Egal, was auch ist.“ sagt Papa, „Welchen Schmerz du auch immer im Leben spüren magst. Vergesse niemals, dass du in dir selbst die Kraft hast dich von diesem Schmerz zu befreien. Du hast nämlich die Kreativität in die Wiege gelegt bekommen, mit diesem Schmerz umzugehen. Zum Beispiel, wenn du die nächsten Tage Mr. Cops Asche an eurem gemeinsamen Lieblingsort verstreuen wirst. Dann ist das auch eine Art der Kreativität mit deinem Verlustschmerz umzugehen. Verstehst du?“

Ich nicke staunend. Ich habe bisher nicht gewusst, dass mein Vater sich so gut mit der Wirkung von Farben auskennt. „Wirklich ein schöner Gedanke, Thomas. Du bist ein so gefühlvoller Mensch. Das ist ja auch der Grund, warum ich dich geheiratet habe.“ schmeichelt Mama ihm, die sehr still geworden ist.

Zuletzt erklärt uns Papa noch die beiden Farben Blau und Lila.

„Die Farbe Blau steht für die Harmonie und den Frieden. Sie ist gegen Krieg und Streit.“ lächelt Papa und zwinkert Mama humorvoll zu. Sie versteht sofort was er meint.

„Dann sollten wir wohl künftig im Alltag mehr blaue Sachen tragen, was Thomas?“ scherzt Mama lachend.

Dann erzählt Papa noch, dass die Farbe Lila für ihn eigentlich die wichtigste Farbe im Leben ist. „Die Farbe steht nämlich für den Glauben. Das kann der Glaube an einen Gott sein, aber auch die Hoffnung an ein Leben nach dem Tod. Sie symbolisiert die Freiheit, dass jeder Mensch an das glauben darf was ihm Kraft gibt und was er persönlich für richtig hält.“

„Wow. So habe ich deine Regenbogenflagge noch nie gesehen. Jetzt kann ich auch verstehen was sie dir bedeutet.“ beteuert Mama ihm.

„Ja!“ stimme ich schnell zu, „Ich kann dich jetzt auch viel besser verstehen!“

Das freut meinen Vater.

Er grinst seit langem mal wieder so breit, dass ich auch seinen lustigen Eckzahn sehen kann.

„Ich bin echt froh, dass ihr beide mich endlich versteht. Denn ihr beide bedeutet mir wahnsinnig viel!“ sagt Papa.

Dann wendet er sich an mich.

„Leon, was ich dir eigentlich erklären wollte ist, dass die Regenbogenflagge so bunt ist wie der Regenbogen eben auch ist. So bunt, wie das Leben nur sein kann. Der Regenbogen symbolisiert das Leben. Es gibt nicht nur schwarz oder grau. Alles ist bunt! Manchmal ist man fröhlich und manchmal ist man traurig. Aber manchmal ist man weder fröhlich noch traurig sondern man kann auch irgendwas dazwischen sein. Und auch die Menschen sind bunt. Manche Menschen sind anders als andere. Das Bunt zu akzeptieren, das bedeutet tolerant zu sein.“

„Ja.“, sage ich, „Ich verstehe was du mir damit sagen willst.“

Heute habe ich verstanden, dass das Leben bunt ist und sich auch ständig ändern kann, von heute auf morgen.

Aber ich habe auch kapiert, dass sich Meinungen ändern können.

Nämlich Meinungen, die man über andere Menschen hat. Auch Meinungen sind bunt!

Ich habe meine Meinung über Papa geändert.

Er ist nämlich in Wahrheit gar kein Freak. Er ist nur anders.

Und das ist auch völlig in Ordnung.

 

Engel

 

Es hat fast drei Wochen gedauert, bis der Paketbote endlich bei uns klingelt.

Die Urne, die er uns gebracht hat, gefällt mir.

Es ist ein viereckiges Holzkästchen, mit einem Foto von Mr. Cop drauf. Wenn man es aufmacht, dann kann man seine Asche sehen.

Auch eine kleine Holztafel ist noch im Paket gewesen.

Auf der Tafel ist ein Gipsabdruck von Mr. Cops Pfote und sogar ein kleines Büschel von seinem Fell. Darüber steht ein Spruch:

Als ich die Hand eines Menschen brauchte, da reichte er mir seine Pfote.

Als ich das lese, muss ich gleich wieder weinen. Obwohl ich seit einer Woche nicht mehr geweint habe. Aber jetzt merke ich wieder, wie sehr mein Hund mir immer noch fehlt.

 

Es ist nachts als ich mich mit Lukas im Park treffe.

Wir wollten nämlich unbedingt allein sein, ohne von anderen Spaziergängern gestört zu werden. Beide haben wir schwarze Klamotten an.

„Na, also. Packen wir’s an!“ meint Lukas sobald er mich mit der Urne sieht.

Ich zeige ihm die Wiese, auf der Mr. Cop immer am liebsten mit seiner Pudeldame gespielt hat. Dort verstreuen wir gemeinsam seine Asche und reden dabei kein Wort miteinander.

Es ist leicht windig und so weht die Asche auch woanders hin, so dass ich das Gefühl habe, dass Mr. Cops Geist hier überall ist!

Danach setzen wir uns auf eine der vielen Bänke und beobachten die Sterne.

„Vielleicht ist dein Hund ja jetzt einer von den vielen Sternen dort droben. Vielleicht schaut er jetzt gerade auf uns herab und freut sich, dass wir seine Asche hier verstreut haben und dass wir beide uns wieder so gut verstehen.“ meint Lukas plötzlich gedankenverloren.

Ich finde den Gedanken schön. Vielleicht gibt es ja doch einen Gott und wir alle sind ein Teil von ihm. Dann kommt mir aber noch was anderes.

„Vielleicht war Mr. Cop ja auch kein stinknormaler Hund, sondern ein Engel, der sich nur als Hund verkleidet hat.“

Interessiert schaut Lukas mich an. „Meinst du?“

„Irgendwie schon. Ich meine, Mr. Cop ist ja eigentlich genau dann in mein Leben getreten, als ich einsam gewesen bin und einen Freund gebraucht habe. Aber jetzt bin ich nicht mehr so einsam wie früher. Jetzt habe ich ja dich, Lukas. Auch meine Eltern verstehen sich wieder fast so gut wie vor ihrer Scheidung, so dass mein Vater nun wieder bei uns wohnt.“ sage ich nachdenklich.

„Du glaubst also, dass Mr. Cop in Wahrheit nur zu dir gekommen ist um eine Mission zu erfüllen?“ vergewissert sich Lukas und ich nicke.

„Ja. Und als in meinem Leben wieder alles gepasst hat, da ist er wieder dorthin gegangen wo er hergekommen ist.“ denke ich laut weiter.

„Hm. Das kann schon sein. Man sagt ja, dass Engel immer dann gehen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Wenn sie ihren Job erledigt haben, wofür sie auf die Erde gekommen sind.“ teilt Lukas meine tiefsinnige Meinung.

„Ob alle Haustiere so was wie Engel sind?“ überlegt er dann.

„Ich glaube schon.“ sage ich.

Je länger ich darüber nachdenke desto überzeugter bin ich davon, dass Mr. Cop nicht nur mein erster, bester Freund gewesen ist, sondern in der Tat auch ein Engel gewesen sein muss.

Mir fällt auch ein, dass ich erst angefangen habe mich mit Lukas und den anderen zu verstehen seit Mr. Cop bei mir gewesen ist. Ohne meinen Hund hätten Lukas und ich vermutlich niemals miteinander geredet und uns auch niemals angefreundet.

Dann wäre ich immer noch allein. Eigentlich hat Mr. Cop uns ja zusammengebracht.

Auch meine Eltern haben sich erst wieder vertragen als wir gemeinsam um Mr. Cop getrauert haben. Da haben sie sich erst so richtig ausgesprochen.

Das alles jetzt so ist wie es ist, das habe ich nur Mr. Cop zu verdanken.

Letztendlich ist er es gewesen, der mir gezeigt hat, dass das Leben auch bunt sein kann und nicht nur schwarz oder weiß. Und dass ich es verdiene, gemocht und geliebt zu werden. Jetzt kann ich ihn auch gehen lassen.

Sicher freut mein pelziger Freund sich nun, dass er mich endlich beruhigt hier auf der Erde zurücklassen kann. Während er jetzt über seine eigene, bunte Regenbogenbrücke geht.

In eine ganz neue, spannende Welt…

 

Etwas später, ich bin wieder Zuhause, stelle ich die leere Urne auf dasselbe Regal, wo auch schon die Holztafel, mit Mr. Cops Pfoten Abdruck, auf einem kleinen Sockel steht.

Beide Dinge werde ich als Andenken für immer aufheben, um mich an ihn zu erinnern.

Damit ich meinen allerbesten Freund auch wirklich nie vergessen kann.

Aber das werde ich sowieso nicht. Niemals im Leben!

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Impressum

Texte: Tina Singh
Lektorat: Martina Körber
Tag der Veröffentlichung: 07.01.2023

Alle Rechte vorbehalten

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