WENN NARZISSTEN MORDEN
Krimi nach einer wahren Begebenheit
Lara Labchir
Wo das Aas ist, da sammeln sich auch die Geier.
(Lukas 17,37)
„Jeder muss einmal sterben. Das ist total normal und auch legitim. Im Krieg juckt es ja schließlich auch keinen ob nur einer stirbt oder Hunderte!“ sagte er sich immer wieder laut vor, während er dabei einen großen Schluck Whiskey zu sich nahm.
„Manche Leute wollen ja nicht mal Kinder, doch trotzdem entstehen sie nach dem vögeln einfach…Was ist also so ein mickriges Menschenleben schon wert wenn wir alle doch nicht mehr als Ratten sind? Wir sterben wie die Ratten und vermehren uns eben auch wie Ratten! So ist eben das Leben…“
Nur die Beziehung zu ihnen macht uns verwundbar…
Verstohlen starrte er dabei auf das glückliche Familienfoto in seiner Hand, auf dem er selbst nicht drauf war und das er heimlich aus ihrem Wohnzimmer gestohlen hatte. Dabei ließ er seinen Tag nochmal gedanklich in Revue passieren.
Heute erst hatte er schon wieder einen Patienten sterben sehen noch bevor er ihn überhaupt in den Wagen schaffen konnte. Menschen sterben täglich, das war er ja schon längst gewohnt.
Es war also nichts Neues für ihn.
Und überhaupt:
wer konnte ihm denn schon sagen ob der Tod für solche Patienten nicht erlösend gewesen sei, also tausendmal besser als ein Weiterleben voller Leid und Sorgen?
Er nahm jetzt eines seiner Passfotos, das er schon auf die passende Größe zugeschnitten hatte, aus der Schublade hinter sich und klebte es auf das Familienfoto, direkt auf den Kopf des Familienvaters.
„Ene mene mek und du bist weg! Haha!“ lachte er nun zufrieden als sei er irre geworden.
Es könnte ja alles so einfach sein! Nur dieses schlechte Gewissen machte ihm zu schaffen, hatte ihn bis jetzt zögern lassen...
Doch dieses Gewissen hatte ihn schon viel zu lange davon abgehalten das längst Beschlossene zu tun!
Aber hätte Gott denn Verständnis dafür?
Es gibt eben Menschen die anderen Menschen im Wege stehen! Dafür musste Gott doch Verständnis haben! redete er sich ein.
Vor allem wenn er diesen Störenfried auf humane Art und Weise beseitigen würde, da konnte er doch kein schlechter Mensch vor Gott sein.
Er war sich sicher gewesen dass er auch nur dann fähig war einen Menschen umzubringen wenn er dazu imstande wäre ein Insekt zu töten.
Nur mit Ekel erinnerte er sich daran wie er vorgestern erst eine Küchenschabe in seinem Zimmer mit Essigreiniger besprüht hatte.
Wie leidvoll das Vieh verreckt und wie qualvoll es verstorben war…
Immer wieder hat sich das Tier vor Schmerzen gewunden und er fand es gut, dass Insekten nicht schreien können.
Sonst hätte er es wahrscheinlich vor Mitleid nicht mehr ausgehalten und womöglich selbst noch mitgelitten…
Daher beruhigte es ihn umso mehr, dass er seinem morgigen Opfer einen so grausamen Sterbeprozess sicherlich ersparen können würde…
Plötzlich klopfte es an seiner Tür.
„Schön, dass du schon zu Hause bist. Möchtest du nicht auch mitessen? Du bist doch so mager…“ hörte er seine Mutter von draußen rufen.
„Nein, danke. Lass mich doch bitte einmal in Ruhe!“ schimpfte er. Seine Eltern nervten ihn schon lange. Ständig drängten sie sich ihm auf nur weil er noch bei ihnen wohnte. Schließlich war er doch schon lange kein kleines Kind mehr! „Du musst es ja wissen!“ hörte er seine Mutter nun seufzen.
Wie sehr er das hasste!
Wieder starrte er auf das Familienfoto, das ihn jetzt als Familienvater zeigte.
„Bald ist es soweit! Ich habe alles Nötige besorgt und bin bereit!“ murmelte er zufrieden vor sich hin.
Und dann werde ich endlich von meinen Eltern ausziehen und meine Familie haben! freute er sich.
Es wird alles klappen, so wie geplant! Es muss klappen!
Ich bin nämlich weder ein Feigling noch ein Schlappschwanz!
Für morgen hatte er sich extra frei genommen.
Noch ein letztes Mal nahm er vor dem Schlafengehen einen großen Schluck aus seinem Whiskyglas.
„Auf dich, guter Junge!“ prostete er dem neuen Familienvater auf dem Foto zu.
Er war nun zutiefst überzeugt dass er dazu fähig sei es zu tun.
Er würde morgen früh nur noch den entscheidenden Anruf abwarten…
München, 28. Mai 2011
Ich habe es mir wirklich nicht ausgesucht, dass ich mich vor knapp zwei Jahren ausgerechnet in einen verheirateten Mann verlieben musste.
Aber Tobias hat eines Tages mein Herz einfach im Sturm erobert!
Da liegt er nun also in meinem Bett, ganz nackt in seinem göttlichen Adamskostüm, während ich neben ihm sitze und genüsslich, nach dem absolut befriedigenden Liebesakt eben, an meiner Zigarette ziehe. Dabei mustere ich seine gutbehaarte, männliche Brust und bewundere sein bestes Stück: eine wahre Fleischpeitsche um die mich wohl nicht gerade wenige Frauen beneiden würden.
Keine Frage: trotz seiner fortgeschrittenen Vierundfünfzig hat Tobias sich noch sehr gut gehalten und hat fast immer noch einen Adonis-Körper bei dem sogar so manche Männer meines Alters neidisch werden könnten.
Der einzige Makel an seinem Körper ist jedoch sein etwas aus der Form geratener Bauch, der vermutlich von seiner gelegentlichen Biertrinkerei gekommen ist und der seiner Eitelkeit manchmal zu schaffen macht.
Als Tobias bemerkt wie mein Blick kurz über seinen Bierbauch streift versteckt er ihn sofort unter der Bettdecke was mich amüsiert grinsen lässt.
„Kommst du wieder zu mir, Kim? Ohne dich ist das Bett so kalt.“ sagt Tobias jetzt und zieht enttäuscht einen übertriebenen Schmollmund. Trotzdem schaut er aber zugleich auch sehr befriedigt aus, was mich nicht gerade wundert nach dem tollen Sex eben.
„Gleich, Schatz. Ich rauche nur noch den Stummel da zu Ende.“ gebe ich zurück und beeile mich mit dem Rauchen. Verträumt schaut Tobias mir ins Gesicht.
„Weißt du noch? Vor genau zwei Jahren haben wir uns in diesem Rock-Café unten an der Ecke kennengelernt.“ erinnert er sich.
Ich muss lachen. „Und ob ich mich daran erinnere! Du warst ganz schön betrunken damals und hast mich direkt angesprochen sobald ich mit meiner Freundin da reingekommen bin.“
Tobias grinst vielsagend.
„Jetzt tu doch nicht so brav, Kim! Du und deine Freundin hatten doch auch schon einige Drinks intus. Und außerdem warst du es die mich sofort frech angegrinst hat sobald du ins Café gekommen bist, da konnte ich doch nicht widerstehen!“
Ich drücke die Zigarette aus und kuschele mich zu ihm ins Bett. „Okay, ich gebe es zu. Schuldig der Anklage!“ scherze ich und drücke ihm einen dicken Schmatzer auf den Mund.
„Und dann sind wir zusammen noch am selben Abend im Bett gelandet, weißt du noch?“ fährt Tobias fort. „Wie könnte ich das nur vergessen!“ lächele ich ihn an und spreize gewagt meine Beine während sein Blick neugierig auf meine Lust-Zone wandert.
„Du Luder! Du treibst mich wirklich in den Wahnsinn, Kim!“ haucht er und überhäuft mich nun mit seinen Küssen.
„Mann, hast du mir vielleicht einen geblasen damals… Das war wirklich der Wahnsinn!“ erinnert er sich seufzend und legt seinen Arm um mich. „Naja“, gebe ich selbstbewusst zurück, „der Sex mit dir hatte es danach ja auch ganz schön in sich!“
Tobias nickt. „Oh ja, ich kann mich noch gut daran erinnern wie du in dieser Nacht das ganze Haus zusammengeschrien hast. Sogar die Bullen haben damals bei dir geklingelt…“
„Aber erst nachdem wir schon fertig waren.“ helfe ich seinen Erinnerungen auf die Sprünge.
Ich lege mich auf den Bauch und Tobias streichelt nun sanft über meinen Rücken.
Ich atme tief durch und genieße die gemeinsame Zeit mit ihm.
Es könnte alles ja so perfekt sein wäre Tobias nicht noch immer verheiratet.
Sofort merke ich wieder wie sich ein Schmerz in meiner Brust entlangbahnt. Tobias merkt es.
„Was hast du, Kim?“ fragt er mich.
„Naja, es ist mal wieder dieses alte Thema das mich beschäftigt und über das du nie wirklich reden willst.“ fange ich an. Tobias seufzt. „Meine Frau?“ Ich nicke.
Er nimmt mich in den Arm.
„Kim, wie oft muss ich dir das denn noch sagen? Ich liebe nur dich allein und meine Kinder. Aber sonst niemanden, das schwöre ich dir!“
Ich reiße mich aus Tobias Umarmung und setze mich auf.
„Und warum regelst du das dann nicht endlich mit der? Warum lässt du dich denn nicht endlich mal scheiden von der Tussi wenn du sie doch sowieso nicht mehr liebst? Ich werde auch nicht jünger und ich habe es satt ständig nur deine Geliebte zu sein und damit nur eine Nebenrolle zu spielen wohingegen sie immer noch die Hauptrolle als Ehefrau spielen kann! Seit fast zwei Jahren sind wir jetzt schon zusammen und du bringst es einfach nicht fertig!“ hake ich beleidigt nach.
Tobias wirkt auf einmal ziemlich nachdenklich.
„Das ist nicht so leicht, Kim. Immerhin haben Angelika und ich zwei Kinder. Dann gehört mir auch noch das komplette Haus in dem wir wohnen und ich glaube nicht, dass Angelika so schnell eine eigene Wohnung finden wird bei der Wohnungsnot, die wir gerade in Deutschland haben.“
Ich bin enttäuscht.
„Du versteckst dich doch ständig nur hinter deinen Kindern!“ schreie ich ihn an.
Außerdem verstehe ich wirklich nicht warum er sich überhaupt noch um seine Ehefrau sorgt und sich Gedanken um deren Zukunft macht, bei alledem was er mir immer wieder erzählt hat was seine Frau ihm so alles angetan hat.
„Du hast mir doch mal erzählt, dass Angelika dich doch schon mehrmals betrogen hat. Außerdem hat sie doch schon länger eine Affäre, noch vor dir. Warum also willst du ihr nicht endlich einmal den Laufpass geben? Ihr führt doch beide sowieso schon längst keine richtige Ehe mehr, alles ist doch nur mehr Schein als Sein!“ dränge ich ihn.
Ich begreife das einfach nicht und habe absolut kein Verständnis für seine Ausrede.
Hatte mir Tobias doch letztens nicht selbst erzählt, dass seine Frau Angelika schon längst getrennt von ihm lebt und mit ihrem neuen Stecher, einem Sanitäter, herumpoppt?!
Tobias seufzt.
„Ich weiß ja auch nicht so genau wie Angelika sich das vorgestellt hat und vielleicht habe ich ja auch insgeheim immer wieder gehofft, dass sie eines Tages doch wieder ganz zu mir zurückkommt. Ich bin eben ein Gewohnheitstier und irgendwie kam ich bis jetzt auch nicht so richtig los von ihr…“ gesteht Tobias mir ehrlich.
Er guckt mich nun ernst an.
„Aber du hast schon Recht, jetzt ist alles irgendwie anders geworden. Der Grund bist nämlich du, Kim.“
Er schweigt nun eine Weile und legt sich wieder auf den Rücken.
„Hätte ich damals gewusst, dass du verheiratet bist dann hätte ich mich sicherlich nicht auf dich eingelassen und einfach weggeschaut als ich dir im Rock Café begegnet bin!“ komme ich ihm mit der Moralkeule.
„Das darfst du nicht sagen, Kim. Solche Gefühle wie für dich hatte ich bisher wirklich niemals für eine andere Frau empfunden. Ich habe damals ja selbst nicht geahnt wie sehr ich mich in dich verlieben würde, es hätte ja eigentlich nur ein One-Night-Stand werden sollen… und heute bin ich echt froh darüber, dass ich dir begegnet bin. Ich könnte ohne dich nicht mehr leben, Kim, ehrlich.“
„Weißt du, “ gesteht er mir dann nach einer Weile, „je öfter ich dich seitdem gesehen habe umso mehr habe ich mich in dich verliebt. Ich hatte auf einmal einfach große Angst davor dass du mich verlassen könntest wenn ich dir beichte dass ich eigentlich noch verheiratet bin.“
„Letztendlich hast du ja dann doch noch mit offenen Karten gespielt, aber da war es bereits schon zu spät. Denn da war ich dir dann ebenfalls schon längst verfallen.“ stelle ich fest.
Er nimmt meine Hand und blickt mich jetzt ernst an.
„Du hast Recht, Kim. So kann es wirklich nicht mehr weitergehen und vielleicht verstecke ich mich ja tatsächlich nur hinter meinen beiden Kindern. Ich muss endlich mal für klare Verhältnisse sorgen und ich werde es morgen tun, mit dir zusammen. Wirst du mir dabei helfen, Kim?“
Ich bin überrascht und kann es kaum glauben. „Ehrlich?“
„Ehrlich, Kim! So sicher war ich mir schon lange nicht mehr. Ich will ein neues Leben beginnen mit dir und alles Alte hinter mich lassen. Es war schon lange mal nötig diesen entscheidenden Schritt endlich zu wagen. Und nach der Scheidung werde ich dich endlich heiraten und zu meiner Frau machen. Dann werden wir endlich unseren langgehegten und gemeinsam geplanten Traum vom Auswandern leben. Ich werde mein Haus in Deutschland verkaufen und mit dem Geld kaufen wir beide uns dann auf Mallorca eine hübsche Finka und fangen ein neues Leben an. In Spanien ist es nämlich immer schön warm.“ lächelt Tobias versonnen und gibt mir nochmal einen Kuss.
„Au ja, Mallorca. Davon träumen wir ja schon lange… Das klingt schön.“ stimme ich ihm zu.
Tobias hat ja schon mehrmals gemeint, dass er gerne mit mir nach Mallorca auswandern würde um dort ein neues Leben zu beginnen.
Als Abteilungsleiter einer großen Firma, die mittlerweile auch nach Spanien und Mallorca expandiert hat, würde er sicherlich auch im Ausland schnell wieder Fuß fassen.
Ich male mir diesen Traum in den schönsten Farben aus. „Ich möchte dann auch gerne ein Kind von dir. Schließlich bin ich nun fast Dreißig und es wird langsam echt Zeit für mich endlich mal Mutter zu werden…Traust du dir das zu, Tobias?“
Er streichelt mir sanft über die Wange.
„Und ob! Ich will es nochmal wagen und ganz von vorn anfangen, ein gemeinsames Kind mit dir klingt wirklich toll. Du wirst sicher eine richtig tolle Mutter werden!“
Er schweigt dann eine Weile, bevor er weiterredet.
„Aber wir wollen dabei auch nicht meine anderen beiden Kinder vergessen. Sicherlich wird meine Frau das Sorgerecht für sie beantragen und ich will ihr die Kinder nicht wegnehmen. Aber du musst dir dann auch im Klaren darüber sein, dass ich jederzeit für meine beiden Kinder da sein werde wenn sie mich brauchen, ihnen monatlich Unterhalt zahlen werde und sie auch regelmäßig sehen will.“
Ich nicke verständnisvoll.
„Das verstehe ich doch. Das werden wir schon irgendwie hinkriegen mit dem Patch-Work!“
Erleichtert atmet Tobias jetzt auf.
„Also gut, dann werde ich morgen mit Angelika reden und ich hoffe du kommst dann mit und leistest mir etwas Halt dabei.“ meint Tobias.
Ich zögere. „Muss das denn sein? Kannst du das Scheidungsthema mit deiner Frau denn nicht allein regeln? Ich mische mich ungern in eure Familienangelegenheiten rein, das kommt ja dann gerade so als hätte ich dich dazu angestachelt.“
Tobias grinst. „Na ja, irgendwie hast du mich ja auch dazu angestachelt, oder?“
„Sagen wir es mal so: ich habe dir endlich mal einen Ruck gegeben, den Weg der Trennung habt ihr beide aber doch schon lange selbst beschritten! Und es ist ja nur fair dass du diesen Schritt endlich einmal wagst wenn du schon so lange mit mir zusammen bist.“
„Ist ja gut, Kim. Hast ja Recht, mein kleiner Engel.“ zärtlich tätschelt Tobias nun meine Hand.
„Es ist nur so, dass morgen sicherlich wieder Angelikas Stecher ebenfalls wieder zu Besuch sein wird und so käme ich mir nicht gar so allein vor mit den beiden.“ bittet Tobias mich noch einmal eindringlich. Also gebe ich mich geschlagen.
„Na schön, dann werde ich morgen auch anwesend sein. Überlege dir aber schon mal wie du es ihr am besten sagen willst ohne dass es unnötigen Krach gibt.“
Tobias nickt zustimmend und steht auf um sich anzuziehen.
Bevor er geht küssen wir uns nochmal leidenschaftlich.
„Also, ich bereite Angelika jetzt schon mal auf das morgige Gespräch vor damit sie sich dafür Zeit nimmt, und dann klären wir alle die Sache. Lass mich also nicht hängen und komm also morgen gegen Mittag bei mir vorbei, ja? Dann bin ich sicherlich auch mutiger…“ macht Tobias mit mir aus.
„Versprochen.“ sage ich und winke ihm nach sobald er aus der Tür herausgegangen ist.
Was tut man nicht alles aus Liebe!
Aber wer hätte sich schon gedacht dass meine neue Beziehung so dermaßen kompliziert werden könnte…
Dennoch bin ich nun aber heilfroh darüber, dass Tobias endlich den Mut dazu gefunden hat diese verzwickte Dreiecks-Beziehung zwischen mir und seiner Ehefrau ein für alle Mal zu beenden.
Trotzdem werde ich jetzt schon leicht nervös wenn ich nur daran denke, dass ich morgen seiner Ehefrau gegenübersitze und für sie höchstwahrscheinlich auch den zu Fleisch und Blut gewordenen Trennungsgrund darstellen werde…
Wie seine Ehefrau morgen die Entscheidung von Tobias wohl auffassen wird?
Wie sie auf mich reagieren wird?
„Gut dass du jetzt da bist. Komm doch rein!“ begrüßt mich Tobias am nächsten Tag nachdem ich mit gemischten Gefühlen bei ihm geklingelt habe und nun das erste Mal in seinem riesigen Haus stehe.
„Wow, ganz schön groß eure Bude…“ stelle ich staunend fest.
Mein Blick fällt dabei auf die luxuriös eingerichtete Innenausstattung und mehrere teure Porzellanvasen, die hier fast überall vereinzelt im Haus herumstehen. „Darf ich?“ frage ich etwas besorgt als Tobias mich ins Wohnzimmer führt und ich vor einem roten Sofa aus Samt stehe, das auch noch mit einer edlen Satindecke, ebenfalls in Rot, belegt ist. Tobias grinst.
„Jetzt hab dich doch nicht so, Kim. Das hier gehört alles mir, natürlich darfst du! Meine Frau ist nur mal kurz raus, sie wollte noch Klamotten shoppen glaube ich… Die wird auch gleich kommen und dann klären wir das Ganze endlich! “ informiert er mich und setzt sich neben mich.
„Und, bist du schon nervös?“ will ich wissen.
Er zuckt mit den Schultern.
„Na, irgendwie schon. Aber schließlich muss es ja mal sein, so kann es doch auch nicht weitergehen.“
Knapp hat Tobias das gesagt hören wir wie von draußen jemand mit den Schlüsseln raschelt und die Haustür aufsperrt.
Erschrocken zucke ich zusammen.
Tobias nimmt meine Hand.
„Beruhig dich Kim, das schaffen wir beide schon.“
Plötzlich steht eine ziemlich attraktive Frau mit blonden Locken und in einem aufreizenden Minirock gekleidet im Wohnzimmer.
Sie trägt dazu noch ein hautenges Oberteil das einen ziemlich tiefen Einblick genehmigt…
Zuerst mustert sie mich etwas neugierig, dann stöckelt sie gekonnt wie ein Model mit ihren hohen Absätzen quer durchs Wohnzimmer auf mich zu und streckt mir mit einem makellosen Lächeln ihre Hand entgegen. „Hi, du musst also Kim sein, oder? Ich bin Angelika.“ stellt sie sich vor und lässt sich auf einem Stuhl vor uns beiden nieder.
Ich bemerke wie Tobias Blick bewundernd an ihren Beinen kleben bleibt während sie diese übereinander schlägt, kurz dramatisch ihre blonde Mähne schüttelt und ihr wirklich ziemlich gewagtes Dekolleté zur Show stellt. Ich muss schlucken.
Auf so etwas bin ich nun wirklich nicht gefasst gewesen, habe ich mir verheiratete Ehefrauen generell immer alt und eher hausbacken vorgestellt.
Sofort fühle ich mich total unsicher und frage mich warum sich Tobias wohl für mich entschieden haben könnte wenn er doch einen so heißen Feger zu Hause hat…
Tobias muss mir meine Zweifel wohl regelrecht ansehen, denn nun errötet er schnell als er merkt dass ich ihn beim Gaffen ertappt habe und senkt sofort seinen Blick.
„Ihr wolltet also mit mir reden? Hier bin ich.“
fängt Angelika an und schaut uns nacheinander erwartungsvoll ins Gesicht.
Tobias ist der Erste, der seine Worte wiederfindet.
„Ja, Angelika. Wir müssen schon lange mal reden.“ Überrascht hebt Angelika ihre Augenbrauen.
„Weil du eine neue Beziehung mit der hier hast? Aber Schatz, das weiß ich doch schon längst. Ich habe doch auch schon lange eine neue Beziehung, das macht doch gar nichts.“ unterbricht sie ihn.
Angelika wendet sich jetzt wieder freundlich lächelnd an mich, viel zu freundlich eher scheinheilig aufgesetzt freundlich wie ich finde….
„Ach Kim, das ist doch toll dass Tobias nun auch endlich einmal sein Glück gefunden hat. Ich freue mich doch für euch beide, ehrlich! Aber du bist noch ziemlich jung, Kim. Wie alt bist du denn eigentlich?“ Ich schlucke.
„Ich bin Neunundzwanzig.“ antworte ich und komme mir dabei etwas blöd vor.
Ich fühle mich seiner Frau gegenüber, die so viel Weiblichkeit ausstrahlt, auf einmal wie ein kleines und unsicheres Kind. Angelika grinst siegessicher.
„Nichts gegen dich, Kim. Aber das ist ja wieder mal so was von typisch für Tobias! Er steht einfach auf Frischfleisch. Ich bin nämlich ebenfalls jünger als Tobias. Als wir uns vor knapp fünfzehn Jahren kennengelernt haben da war er damals schon fast Vierzig und ich zarte Vierundzwanzig.“
Sie seufzt jetzt theatralisch und schaut Tobias dabei sehnsuchtsvoll an.
„Weißt du noch, Tobias? Als wir uns damals kennengelernt haben da warst du völlig hin und weg von mir…“
Tobias nickt nur schnell und räuspert sich etwas verlegen.
„Ich bin nämlich Krankenschwester und er war mal mein Patient. Er hatte einen Motorradunfall damals und ich habe ihn dann gesund gepflegt. Ständig hat er mir Avancen gemacht bis wir dann letztendlich geheiratet haben.“ klärt Angelika mich auf und seufzt dabei wie ein frischverliebter Teenager.
„So war es doch, nicht wahr Tobias?“ wendet sie sich nun wieder an ihn.
Ich blicke zur Seite und rolle heimlich mit den Augen. Ich frage mich warum diese Frau jetzt auf einmal so eine aufgeblasene Show vor mir abzieht.
Was nur will sie denn damit bezwecken?
Will sie Tobias etwa in alte Erinnerungen einlullen und ihn so halten?
Ich kneife Tobias heimlich in die Rippen als sie kurz wegsieht.
Endlich spricht Tobias ein Machtwort.
„Angelika, ja ich weiß wie es damals war. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Wir wollen doch beim Thema bleiben!“
Verwundert schaut seine Frau ihn an.
„Beim Thema bleiben? Ja hatten wir denn soeben ein Thema?“
Tobias räuspert sich.
„Angelika, wir leben jetzt doch schon eine ganze Zeit lang getrennt, oder? Jeder von uns beiden macht doch im Endeffekt schon lange sein eigenes Ding und hat eine neue Beziehung. Und ich finde, dass es nun an der Zeit ist endlich einmal klare Verhältnisse zu schaffen. So wie wir gerade leben ist es einfach nicht fair gegenüber unseren neuen Beziehungen und es ist auch ziemlich konfus, vor allem auch für die Kinder.“ fährt Tobias bestimmend fort.
„Wieso? Konfus? Ich verstehe dich nicht, Tobias. Es ist doch alles völlig in Ordnung: Du hast doch deine Kim, ich habe meinen Sascha. Wir schlafen auch nicht mehr miteinander und unser Verhältnis ist eher so als seien wir Bruder und Schwester. Ich helfe dir eben weiterhin mit deinem Papierkram, kümmere mich um den Haushalt und du tust auch deine Pflicht und schleppst das Geld nach Hause. Gerade so ist es ja auch gut, gerade wegen der Kinder! Also ich sehe da nichts was geklärt werden muss, es läuft doch alles genauso weiter wie wir es wollen.“ entgegnet ihm seine Frau.
„Nein, eben nicht. Sondern es läuft alles schon seit längerer Zeit nur so wie DU es willst. Aber damit ist jetzt Schluss, Angelika. Ich will endlich die Scheidung!“ kommt Tobias endlich mutig auf den Punkt.
Dafür hätte ich ihn glatt küssen können, denn ich bin schon längst irgendwie eingeschüchtert von Angelikas viel zu selbstbewusstem Auftritt.
„Jetzt reg dich doch nicht so auf Tobias, denk doch an dein schwaches Herz.“ kommt seine Frau jetzt auf einmal völlig fürsorglich herüber.
Dabei nimmt sie keinerlei Rücksicht auf mich oder meine Gefühle.
„Tobias“, sagt sie jetzt mit einem gespielt sanftem Ton, „denk doch daran, dass eine Ehe ein Leben lang hält und Beziehungen kommen und gehen.“
Nun reicht es mir aber endgültig mit ihrem scheinheiligen Getue!
Ich ahne insgeheim schon längst warum Tobias dieses entscheidende Gespräch immer wieder solange aufgeschoben hat und von dieser Frau vermutlich bis heute noch nicht so richtig losgekommen ist!
„Angelika“, mische ich mich nun entschieden ein, „bei allem Verständnis. Aber auch ich bin der Meinung, dass ihr eure Scheinehe so nicht mehr länger aufrechterhalten solltet. Außerdem habe ich schließlich auch Gefühle und dein Mann und ich wir lieben uns nun einmal. Wir wollen auch endlich heiraten. Du musst ihn also endlich mal freigeben, das ist nur fair! Ihr müsst wegen der Kinder eine andere Lösung finden.“
Etwas giftig schaut Angelika mich jetzt an.
Ihre Augen glitzern dabei.
„Die Kinder, die Kinder, höre ich immer von euch! An sie denkt ihr doch natürlich am wenigsten, wie? Was eine Scheidung so alles anrichten kann! Das weiß ich noch von meinen Eltern früher und das möchte ich meinen Kindern ersparen! Außerdem müsste ich mir auch erst eine eigene Wohnung suchen und das geht auch nicht so mir nichts, dir nichts, wie ihr beide es gerne hättet!“
Diese Frau ist eine wahre Hexe!
Sie zieht jetzt doch tatsächlich noch ihre Kinder mit rein und macht einen auf Mitleid! Tobias schweigt nun eine Weile und scheint mir mit einem Mal sehr nachdenklich.
„Aber Angelika, wenn du willst dann kannst du ja noch solange bei mir wohnen bis du eine Wohnung für dich gefunden hast. Wir reichen einfach nur schon mal die Scheidung ein und du hast ja dann noch immer ein ganzes Trennungsjahr lang die Zeit dir was Eigenes zu suchen. Unsere Kinder können derweil natürlich weiterhin bei mir bleiben damit sie nicht mit ihrem Leben durcheinander kommen. Doch irgendwann müssen wir das mit den Kindern dann auch klären, denn ich will das Haus auf jeden Fall baldmöglichst verkaufen um mit Kim auf Mallorca ein neues Leben anzufangen.“ versucht Tobias sich zu einigen. Ergrimmt schaut Angelika mich wieder an.
„Du bist mir vielleicht eine, einfach ankommen und dich ins gemachte Nest hocken! Und mich wollt ihr einfach so aus meinem jahrzehntelangen Zuhause rauswerfen!“
Tobias besänftigt sie.
„Gar so dramatisch ist es doch nun auch wieder nicht wie du das nun mal wieder darstellst, Angelika. Außerdem solltest du mich doch gut genug kennen dass ich dich nicht einfach so rauswerfen werde, aber ich möchte dass du dir immerhin mal Mühe gibst bald etwas Eigenes zu finden. Könnte denn nicht dein Sascha mal von seinen Eltern ausziehen, immerhin ist dein Geliebter ja mittlerweile auch schon Sechsunddreißig, er könnte doch auch endlich einmal mannsgenug sein und für dich Verantwortung übernehmen und für dich ruhig mal sorgen! Immerhin hat der Typ ja meine Ehefrau ausgespannt und meine Ehe damit zerstört!“
„Heißt das also mit anderen Worten dir gefällt es auf einmal nicht mehr, dass mein Sascha mich hier besucht?“ regt Angelika sich auf.
„Besucht? Das ist ja noch gelinde gesagt. Dein Stecher hängt doch ständig hier in meinem Haus herum!“ meint Tobias mit allmählich lauter werdender Stimme. Er erntet dabei einen enttäuschten Blick von seiner Frau.
„Tu doch nicht so, Tobias! Sascha und du, ihr kommt beide doch immer gut miteinander klar und du hast letztens doch selber zu mir gesagt, dass du in ihm einen guten Freund gefunden hast und mit ihm gut reden kannst. Wie oft trinkt ihr beide nach Feierabend hier gemeinsam ein Bier und lacht zusammen?“ widerspricht Angelika.
„Natürlich, da hast du ja recht. Aber irgendwie ist das doch…naja, es ist doch irgendwie seltsam dass ein Ehemann, den seine Frau mit ihrem Geliebten betrogen hat nun ständig mit diesem Geliebten im gemeinsamen Wohnzimmer herumhockt und sie alle Drei einen auf Super-WG machen nur um nichts ändern zu müssen an der Wohnsituation, den Gewohnheiten und für die Kinder. Das ist nicht normal Angelika und wenn du ehrlich bist, dann weißt du das auch.“ redet Tobias seiner Frau ins Gewissen.
„Normal, normal! Was ist schon normal auf der Welt? Jeder Mensch gestaltet doch seine eigene Realität, oder?“ entgegnet ihm seine Frau entschieden.
„Außerdem hat Sascha auch noch immer keine eigene Wohnung wie du weißt obwohl er schon seit Jahren intensiv sucht! Aber für einen armen Sanitäter ist es einfach schwerer eine geeignete Bude zu finden als für einen Abteilungsleiter eines reichen Unternehmens, der auch noch zufällig geerbt hat!“ spielt sie jetzt auf Tobias an. „Du glaubst doch selber nicht, dass wir uns ständig bei Saschas Eltern treffen wollen, die ständig an seiner Zimmertür klopfen, uns nachspionieren und uns wie Kleinkinder behandeln!“ verteidigt Angelika ihren Macker.
Immer noch schweigend verfolge ich das Gespräch und komme mir dabei ziemlich überflüssig vor.
So langsam bin ich sogar etwas wütend auf Tobias weil ich mich frage warum er unbedingt wollte dass ausgerechnet ich als Anstandsdame bei diesem eskalierenden und intimen Ehe-Gespräch dabei sein sollte: denn wer es mit wem treibt und warum oder wer von wem etwas geerbt hat und auch deren Kinder, das geht mich doch nun im Endeffekt wirklich nichts an und ich will all diese Dinge ehrlich gesagt eigentlich auch gar nicht wissen!
So bin ich umso froher als es jetzt glücklicherweise an der Tür klingelt und Angelika wie von einer Tarantel gestochen aufspringt.
Sie verlässt nun kurzzeitig den Raum.
Tobias nimmt meine Hand.
„Ihr Macker bestimmt wieder.“ sagt er etwas abfällig. Ich antworte ihm nicht sondern starre beleidigt auf den Boden.
„Hey, Kim. Es tut mir wirklich total Leid dass du das alles mitmachen musst. Aber vielleicht verstehst du auch jetzt warum ich mich so lange davor gedrückt habe für klare Verhältnisse zu sorgen.“
Ich schaue ihn mit großen Augen an.
„Ja, ich verstehe schon. Du hast einfach Angst vor disharmonischen Gesprächen und lässt dir dann eben alles von dieser Tussi gefallen. Aber nicht mit mir! Mir reicht es langsam. Ich möchte dass du dich nicht mehr auf etliche Wortverdreherei einlässt und die Scheidung durchziehst!“
Tobias sagt nichts dazu. Ich will mal kurz raus, mir wird es zu viel. Ich stehe auf.
„Ich muss mal!“
„Auf dem Gang, linke Tür.“ zeigt er mir kurz.
Also gehe ich erst mal aus dem Zimmer um mich etwas frisch zu machen und mich wieder zu beruhigen.
Als ich wieder zurück ins Wohnzimmer komme sitzt da ein junger Kerl mit auf dem Sofa, der Tobias gerade ein Bier anbietet.
„Endlich Feierabend! War ein harter Tag heute. Trinkst doch sicher auch eins mit Tobi, oder?“ sagt der Typ und packt ein paar Bierflaschen aus seinem Rucksack aus.
„Hallo.“ sage ich etwas schüchtern und setze mich wieder neben Tobias.
Erstaunt schaut der Kerl mich an.
„Das ist Kim, die neue Freundin von Tobias.“ stellt Angelika mich gelangweilt vor.
„Hallo, Kim. Ich bin Sascha.“ nickt der Kerl mir freundlich zu und öffnet dabei sein Bier.
„Hatte letztens ständig Nachtschichten, heute endlich mal wieder Frühdienst. Ich hab jetzt endlich Feierabend. Ich bin nämlich Sanitäter“, stellt er sich kurz vor, „und der Freund von Angelika.“
Ich nicke. „Hab ich mir schon gedacht.“
Er bietet mir auch ein Bier an. „Willst du?“
Gerne nehme ich es an, denn es kommt im Moment wie gerufen. Nach der ganzen Diskussion zwischen Angelika und Tobias erscheint mir das Bier wie eine erfrischende Wohltat.
Während ich es genüsslich herunterschlürfe frage ich mich wie lange das klärende Gespräch zwischen dem etwas unsicheren Tobias und seiner resoluten Frau heute wohl noch andauern wird…
Nach einer Weile steht Angelika auf.
„Ich muss Tom mal schnell aus dem Kindergarten abholen. Ich borg mir eben kurz dein Auto, Tobias. Ist doch okay, oder?“
„Na klar, aber tank doch bei der Gelegenheit gleich nochmal auf.“ meint Tobias gutmütig und überreicht seiner Frau den Autoschlüssel.
„Und lass dir das bitte nochmal in Ruhe alles durch den Kopf gehen, okay?“ bittet er seine Frau dann noch.
„Na, meinetwegen.“ verspricht Angelika nachgiebig.
Als seine Frau endlich gegangen ist atme ich erleichtert auf.
„Wollen wir nicht auch endlich mal abhauen? Du hast ihr doch jetzt alles gesagt.“ sage ich zu Tobias.
Für mich ist das Thema nämlich nun ein für alle Mal erledigt und ich erwarte in den nächsten Tagen Taten von Tobias. Außerdem fühle ich mich in seinem Haus wirklich nicht besonders wohl, gerade wenn auch seine Noch-Ehefrau sich hier aufhält…
Noch weniger habe ich, nach der ganzen Ehedebatte, auch noch große Lust dazu seine Kinder zu sehen und damit Angelika ein zweites Mal zu begegnen.
„Bitte warte doch noch ein wenig ab, Kim. Ich bin mir sicher dass Angelika und ich uns nachher doch noch gütlich einigen werden und außerdem möchte ich dir noch meine Kinder vorstellen. Wenn schon, denn schon!“ meint Tobias entschieden.
Da ist ja das von mir gefürchtete Thema auch schon: seine Kinder! Genau darauf hätte ich ja heute wirklich verzichten können, jetzt muss ich auch noch seine Kinder kennenzulernen!
Doch schließlich hat Tobias heute ja mir zuliebe diesen entscheidenden Schritt endlich gewagt und wenn ich jetzt einen Rückzieher mache dann würde er sicherlich enttäuscht sein von mir.
Also lass ich mich von ihm dazu überreden noch ein Weilchen zu bleiben, ich will ja auch kein Kameradenschwein sein.
Die ganze Zeit über hat Sascha nichts gesagt, so dass wir ihn komplett ausgeblendet hatten.
Doch jetzt schaut Sascha uns beide verwundert an.
„Ihr wollt euch einigen? Angelika soll nochmal in Ruhe nachdenken? Klärt mich hier bitte auch mal einer auf um was es überhaupt geht?“
Ich hab es mittlerweile jedoch satt, dass in Tobias Wohnung scheinbar ständig alles wiederholt werden muss und bin so langsam aber sicher auf 180!
Darum schieße ich wütend sofort verbal los, noch bevor Tobias ihm antworten kann.
„Wir wollen endlich dass Tobias sich von Angelika scheiden lässt! So kann das doch nicht mehr weitergehen, oder? Ich meine, hast du denn etwa kein Problem damit dass die beiden noch verheiratet sind obwohl wir längst eine neue Beziehung mit ihnen führen?“
Es gelingt mir dabei leider nicht ganz den vorwurfsvollen Unterton in meiner Stimme komplett zu unterdrücken. Für mich ist dieser Sascha genauso schuld daran dass die beiden noch immer nicht geschieden sind: schließlich hätte er Angelika ja auch mal zu einer Scheidung drängen können!
Entgegen meiner Erwartung sieht Sascha jedoch auf
einmal ziemlich nachdenklich aus und seufzt sogar.
„Im Grunde eigentlich… schon.“ stammelt Sascha etwas unbeholfen, „Mir passt das ja eigentlich auch nicht, dass die beiden noch verheiratet sind. Aber Angelika will scheinbar nicht, obwohl ich sie auch schon mehrmals darauf angesprochen habe. Sie sagt es ist wegen der Kinder und dass sie sonst im Alltag durcheinander kämen… Das muss man auch einsehen.“
„Alles faule Ausrede! Ich glaube ihr kein Wort!“ schimpfe ich wütend, „Ich glaube vielmehr dass es deiner Angelika um Bequemlichkeit geht!“
So, jetzt ist es endlich draußen was ich mir schon die ganze Zeit lang denke und es geht mir innerlich schon etwas besser.
Die beiden Männer schauen mich erstaunt an.
„Wie habt ihr beide euch eigentlich kennengelernt?“ lenkt Sascha nun auf ein völlig anderes Thema. Wie typisch! Scheinbar ist es Männern generell unangenehm über ernste Angelegenheiten zu sprechen und ich wundere mich daher wirklich nicht darüber dass eine Frau wie Angelika es so lange geschafft hat von beiden Männern zu profitieren!
Was für Hampelmänner, diese beiden, denke ich mir wütend. Ich bin auch wütend auf Tobias, dass er Angelikas Spielchen die ganze Zeit lang einfach so widerstandslos mitgemacht hat! Wie kann ein Mann wie Tobias, der im Job eine ganze Abteilung leitet, denn so ein Trottel sein?
Hab ich mich in diesem Mann etwa so getäuscht?
Auf jeden Fall betrachte ich Tobias nun aus einem etwas anderen Blickwinkel, irgendwie nicht mehr als richtigen Mann der mit beiden Beinen im Leben steht und auch mal ordentlich auf den Tisch hauen kann, sondern eher als Opfertypen, eine Art Memme!
Damit wird er für mich momentan sogar etwas ab-turnend…
„Wir haben uns im Rock-Café kennengelernt und hatten danach ziemlich heiße Stunden… Oder Kim?“ erzählt Tobias nun Sascha und tut dabei gerade so als sei er ein absolut verwegener Hengst gewesen, ein Typ, der mich gleich auf Anhieb aufgetrieben hätte.
„Gar so einfach war es aber auch wieder nicht,“ widerspreche ich Tobias in einem bestimmenden Ton, „immerhin dauerte es ja Ewigkeiten bis du endlich mal einen richtigen Ständer bekommen hattest nach dem vielen Alkohol den du an jenem Abend gesoffen hast! Dabei hab ich mir fast schon den Kiefer ausgekugelt…“
Amüsiert fängt Sascha zu lachen an und geht dann kurz aufs Klo.
„Was soll das?! Warum stellst du mich bloß vor dem ollen Stecher meiner Frau?“ zischt Tobias mich an.
Weil ich heute nur noch genervt bin von dir und deiner arroganten Ehefrau, denke ich giftig.
Aber ich sage es ihm nicht sondern ignoriere seine Frage einfach. Soll er doch endlich mal checken dass mich alles gerade nur noch ankotzt!
Als Sascha zurück ist und zwischen mir und Tobias so allmählich dicke Luft herrscht, versuche ich Sascha in ein belangloses Gespräch zu verwickeln.
„Und? Wie hast du seine Frau so kennengelernt?“
Sascha erzählt mir nun wie er eines Tages auf Angelika gestoßen ist.
„Es war vor fast sechs Jahren, da hab ich einen Herzinfarktpatienten in die Klinik gebracht und da sah ich diese bezaubernde Krankenschwester zum ersten Mal.“ schwärmt Sascha.
„Vielen Dank, Sascha. Aber es reicht nun. Den Rest kann ich mir schon denken! Hinter meinem Rücken habt ihr eure heimliche Beziehung jahrelang geführt bis ich endlich mal dahinter gekommen bin!“ unterbricht Tobias ihn und winkt beleidigt ab.
Sascha scheint ein schlechtes Gewissen zu haben.
„Es tut mir wirklich leid, Tobias. Ich habe Angelika ja immer wieder gesagt dass sie mit dir klar Schiff machen soll aber sie hat sich immer wieder gesträubt dir unsere Affäre zu beichten!“
„Schwamm drüber, es ist jetzt nun einmal so wie es ist und ich will endlich die Scheidung!“ ruft Tobias entschieden. Sascha nickt verständnisvoll und nippt nun wieder schweigend an seinem Bier.
„Na, alles klar bei euch?“ ertönt plötzlich die Stimme von Angelika die schon wieder zurück ist.
„Papa, Papa!“ schreit ein kleiner Junge und rennt direkt auf Tobias zu um ihn zu umarmen.
Der Kleine hat ganz blonde Löckchen und ist seiner Mutter total aus dem Gesicht geschnitten.
Doch seltsamerweise kann ich in dem Gesicht des Kindes keinerlei Ähnlichkeiten mit Tobias entdecken, was ich schon recht komisch finde…
Ich mustere den kleinen Jungen immer wieder genau aber suche vergebens bei ihm nach irgendeiner Auffälligkeit. Doch das Einzige das mir auffällt ist seine dicke Stupsnase, mit der er wirklich völlig aus der Art schlägt! Denn die kann er auf keinen Fall von seiner Mutter geerbt haben, aber selbst Tobias hat keine Stupsnase. Sascha allerdings schon…
Könnte es denn tatsächlich sein, dass Tobias gar nicht der richtige Vater des Kindes ist?
Schnell schiebe ich den Gedanken wieder zur Seite.
Ach was, meine ausgeprägte Fantasie geht mal wieder völlig mit mir durch! Ich schaue womöglich einfach nur zu viele Talkshows… rede ich mir sofort ein.
„Das ist mein kleiner Tom!“ stellt Tobias mir stolz seinen Sohn vor während ich mich noch über diese kleine Stupsnase wundere.
„Hallo, kleiner Mann. Ich bin Kim, die Freundin von deinem Papa.“ stelle ich mich vor und schüttele dem Kleinen übertrieben die Hand, wahrscheinlich weil ich wegen meines schlechten Gewissens besonders nett zu ihm sein will nachdem ich eben so schlecht über Angelika und ihren Sascha gedacht habe.
Doch der kleine Tom interessiert sich gar nicht erst für mich, sondern rennt sofort auf Sascha zu.
„Onkel Sascha, guck mal was ich heute im Kindergarten gemalt habe!“ ruft der Kleine fröhlich und wedelt aufgeregt mit einem Blatt Papier herum.
„Du bist auch noch da?“ wundert Angelika sich als sie ins Zimmer kommt. Doch sie geht nicht länger auf mich ein sondern packt ein paar Döner aus einer Tüte aus. „Ich hab auch gleich was zu essen mitgebracht, aber mit Kim hatte ich nun wirklich nicht mehr gerechnet. Dachte sie wollte auch bald wieder gehen. Jetzt hab ich nur fünf Döner gekauft…“ entschuldigt Angelika sich bei Tobias.
Doch ich ahne schon, dass das ein weiterer, hinterlistiger Schachzug von Angelika sein muss um mir deutlich zu zeigen, dass sie mich als Störenfried empfindet und mich nicht mag.
Beruht auf Gegenseitigkeit, dito, denke ich mir gleichgültig.
Nun beginnt Angelika die Aufopfernde zu spielen: „Ich habe eine Idee! Die Kinder sollen sich einfach einen Döner teilen, soviel isst der kleine Tom ja sowieso nicht. Dann kann Kim ja auch einen haben!“
Zu gütig, denke ich mir.
Ich habe ehrlich gesagt keine Lust ihren Döner anzunehmen und sie dadurch vor den Männern glänzen zu lassen. Es missfällt mir, denn dann ist sie ja wieder die fürsorgliche Hausfrau und ich bleibe weiterhin einfach nur die Geliebte, die nun auch noch ihre Almosen annimmt anstatt selbst an der Seite des Mannes zu stehen und für ihn zu sorgen!
„Danke, Angelika. Aber ich habe keinen Hunger. Ich habe schon gegessen bevor ich gekommen bin.“ „So?“ fragt Angelika, „Aber das ist doch nun auch schon länger her. Da war es doch erst Mittag, jetzt ist Abend.“ erinnert sie mich als sei ich ein dummes Kind und sie die sich ach so sorgende Mutter. Gönnerhaft überreicht sie mir den Döner und da ich mittlerweile tatsächlich Hunger habe, werde ich schwach und nehme das türkische Sandwich also doch an.
Und genauso wie ich es von dieser hinterhältigen Frau erwartet habe muss sie sich natürlich auch gleich wieder vor den Männern als Übermutter profilieren. „Wusste ich es doch, dass du Hunger hast, Kim. Bei mir soll schließlich jeder satt werden. Das wäre ja noch schöner wenn du dabei zuschauen müsstest wie wir essen.“
Ihr übertrieben selbstloses und gönnerhaftes Getue bleibt mir fast schon im Hals stecken: nun bereue ich es schon den Döner angenommen zu haben!
„Ich wusste doch dass du ein guter Kerl bist, Angelika!“ sagt Tobias anerkennend zu Angelika als sie ihm den Autoschlüssel wieder zurückgibt.
Dafür könnte ich Tobias doch glatt Eine runterhauen!
Wie blöd sind die Männer eigentlich dass sie diese gut getarnten, fiesen Zicken-Spielchen zwischen uns Frauen nicht durchschauen?!
„Hallo. Ich bin wieder zu Hause!“ ruft jemand nachdem die Haustür erneut aufgegangen ist.
Ein Mädchen im Teenageralter erscheint nun in der Wohnzimmertür. Als sie mich sieht bleibt sie etwas unschlüssig an der Tür stehen.
„Na, komm schon rein, Miriam!“ winkt Tobias das Mädchen zu sich. „Das ist Kim, meine neue Freundin.“ stellt Tobias mich dem Mädchen vor.
Sie mustert mich kurz neugierig und kommt dann doch etwas näher.
„Aha.“ meint das Mädchen nur gleichgültig und setzt sich dann wie selbstverständlich neben ihren Vater.
Dabei wirft sie mir einen leicht triumphierenden Blick zu als wolle sie mir zeigen, dass der Platz neben ihrem Vater immer schon ihr gehöre und nicht mir.
„Gibt’s auch was zu essen?“ murrt sie.
„Wolltest du heute denn nicht bei deiner Freundin zu Abend essen?“ fragt Angelika ihre Tochter.
„Ach, vergiss es. Den Fraß den ihre Eltern heut gemacht haben kann doch keiner essen!“ winkt Miriam entschieden ab.
„Wie gut dass ich heut Döner mitgebracht habe!“ meint Angelika und überreicht ihrer Tochter einen halben Döner.
Die schaut nur verächtlich auf das Sandwich und dann ihre Mutter an.
„Sag mal, ist das alles? Warum krieg ich nur einen Halben?!“ will das scheinbar verzogene Gör jetzt wissen. Sie zeigt nun auf Sascha. „Und der kriegt wohl einen Ganzen, oder?“
„Ist schon gut, sie kann meinen haben. Ich hab noch nicht angefangen zu essen.“ meint Sascha schlichtend und überreicht dem Mädchen nun seinen Döner.
„Und was isst du dann?“ will Angelika besorgt wissen. Was für ein Drama, schießt es mir durch den Kopf.
Ich bereue wirklich dass ich den Döner von Angelika angenommen habe ohne davor zu wissen was für eine Hungersnot ich damit in dieser Familie auslösen werde!
„Ich finde schon noch was im Kühlschrank, keine Sorge.“ meint Sascha zuversichtlich.
„Du kannst ihm ja meinen halben Döner geben wenn er davon satt wird!“ antwortet Miriam ihrer Mutter trotzig. Es ist wirklich kaum zu übersehen wie eifersüchtig das Mädchen auf den Freund ihrer Mutter sein muss. Aber ich wundere mich auch wie heimisch sich Sascha in Tobias Wohnung fühlt, dass er einfach so an den Kühlschrank gehen darf…
Ich gucke Tobias an.
Doch anscheinend findet Tobias es völlig normal dass er schon lange nicht mehr der einzige Herr in seinem Haus ist! Irgendwie empfinde ich auf einmal Mitleid mit ihm. Wie lange er wohl dieses Dreiecksverhältnis mit seiner Frau und deren Geliebten noch mitgemacht hätte wenn ich ihm nicht begegnet wäre?
Tröstend nehme ich seine Hand.
Miriam sieht es und wirft mir einen verächtlichen Blick zu.
„So, Papa hat mittlerweile also auch schon jemanden gefunden, also dich! Das wird ja immer bunter hier!“ stellt das Mädchen fest und kaut dabei an ihrem Döner.
Sie wirkt nicht gerade begeistert über mich.
Ich weiß im Moment wirklich nicht was ich dazu sagen soll, noch wie ich am besten auf das Mädchen reagieren könnte.
„Ja, das ist Kim. Und du wirst dich sicherlich gut mit ihr verstehen!“ kommt Tobias mir zur Hilfe.
“Danke, aber ich verzichte. Meine Freundinnen suche ich mir dann doch schon selber aus!“ entgegnet ihm das Mädchen genervt.
Als wäre die Situation nicht schon unangenehm genug muss Angelika nun noch gleich eins obendrauf setzen.
„Also, Tobias, ich habe nachgedacht. Und ich finde du hast völlig recht.“ fängt seine Frau völlig harmlos an. Dabei merke ich wie sie dabei heimlich auf ihre Tochter schielt.
„Papa hat Recht? Mit was denn?“ wird Miriam aufmerksam.
Übertrieben seufzt Angelika bevor sie weiterredet. „Papa will sich von mir scheiden lassen.“
Völlig entgeistert starrt das Mädchen zuerst ihren Vater und dann mich an.
„Ist das dein ernst, Papa?! Wegen der da?“
Tobias schüttelt den Kopf.
„Nicht wegen der da! Sondern weil deine Mutter schon länger mit dem Sascha zusammen ist. Kim hat damit überhaupt nichts zu tun, Miriam!“
Das Mädchen schaut mich nun mit solch einer Abneigung an, dass ich am liebsten aufgestanden wäre um aus der Wohnung zu flüchten.
Aber ich fühle mich im Moment wie gelähmt...
Wütend wirft Miriam auf einmal ihren Döner auf den Tisch.
„Da vergeht einem ja der Appetit! Warum kann ich denn nicht genauso normale Eltern haben wie meine Freundinnen?! Ich hasse euch, vor allem hasse ich dich, Papa!“
Enttäuscht springt das Mädchen auf und rennt aus dem Raum, kurz darauf hören wir wie eine Tür zuknallt. Tobias wirkt auf einmal seltsam ruhig auf mich. „Wenigstens ist es jetzt draußen, sie wird sich schon noch an dich gewöhnen, Kim.“
Ich muss schlucken.
Ob ich mich aber jemals an sie gewöhnen kann?
Sascha zögert eine Weile und scheint zu überlegen ob er sagen soll was ihn auf der Zunge brennt.
Man sieht ihm regelrecht an, dass er mit sich selbst ringt. Schließlich sagt er doch was.
„Mensch, Angelika. War das jetzt nötig? Das mit der Scheidung hättest du deiner Tochter doch auch schonender beibringen können, nicht vor allen Leuten! Klar, man muss für klare Verhältnisse sorgen aber kann man so etwas denn nicht humaner lösen?“
Doch Angelika zuckt nur gleichgültig mit den Schultern. „Mir ist es aber so lieber, kurz und schmerzlos. Ohne viel Tam-Tam! Meine Tochter soll nicht so verweichlicht sein wie andere Kinder. Sie muss früher oder später ja doch lernen dass das Leben hart ist und kein niedlicher Ponyhof!“
„Trotzdem war das sehr taktlos. Denk doch mal an Kim, du hast sie vor unserer Tochter dastehen lassen als sei es ihre schuld, dass wir uns scheiden lassen!“ stimmt Tobias Sascha zu.
„Ja, das war echt nicht sehr nett sondern wirklich beschissen und unfair!“ melde ich mich jetzt auch mal zu Wort. In mir brodelt es mittlerweile schon längst gewaltig! Was bildet sich diese dumme Kuh eigentlich ein hier solche fiesen Spielchen abzuziehen?!
Angelika hebt ergebend ihre Arme hoch.
„Okay, okay. Ich entschuldige mich vielmals dafür, dass ich meiner Tochter die Wahrheit gesagt habe!“
Das haut doch dem Fass den Boden raus!
Tatsächlich scheint sie jetzt auch noch tatsächlich beleidigt zu sein weil wir ihr Verhalten gerade vollkommen taktlos finden!
„Um ehrlich zu sein hat Miriam ja auch nicht Unrecht damit dass Kim dich zur Scheidung angestiftet hat!“ verteidigt sich Angelika.
Ich frage mich was diese Frau wohl für ein Gerechtigkeitsempfinden haben mag wenn sie nun auch noch die Wahrheiten verdreht!
Sieht sie denn immer noch nicht ein, dass ihre Ehe längst aus ist? Dass sie selbst zu diesem Ende beigetragen hat noch bevor Tobias und ich ein Paar geworden sind?
Glaubt sie denn tatsächlich, dass sie damit bei ihrer Tochter durchkommt wenn sie Tobias und mich als die Buhmänner für die von ihr zerstörte Ehe dastehen lässt? Ich hätte noch gerne was zu dieser Tussi gesagt, aber selbst mir fehlen bei dieser Dreistigkeit die Worte! Tobias seufzt.
Ich blicke zu Sascha herüber, der sich nun schon das sechste Bier aufmacht.
Sicherlich geht dem armen Sascha das komplette, von Angelika inszenierte Drama hier längst schon ebenso auf den Sack wie Tobias. Mir jedenfalls geht es gewaltig auf die Eierstöcke!
Erschrocken bemerke ich plötzlich den kleinen Tom, der neben Sascha auf dem Boden an einem neuen Bild malt und völlig verstört zu sein scheint.
„Das arme Kind.“ nicke ich Tobias zu.
„Ich bringe ihn jetzt ins Bett. Komm schon, Tom!“ sagt Angelika sofort und verlässt mit dem kleinen Tom an der Hand eilig das Zimmer.
„Du tust mir leid, Sascha. Ich beneide dich wirklich nicht um Angelika. Ständig ihre Launen… Ich glaube, dass ich auch ohne Kim irgendwann auf die Scheidung gekommen wäre.“ flüstert Tobias Sascha zu. „Na ja, Angelika hat ja auch ihre guten Seiten…“ nimmt Sascha seine Freundin sofort in Schutz.
Mir reicht es auf jeden Fall endgültig.
„Du, Tobias, lass uns doch nun endlich gehen. Oder ich gehe eben allein nach Hause!“ dränge ich ihn.
„Ist okay, Kim. Ich trink nur noch schnell das Bierchen aus und dann gehen wir, in Ordnung?“ stimmt Tobias mir zu. Ich nicke dankbar.
Als Angelika wieder zurück ins Zimmer kommt wirkt sie seltsam gefasst.
„Kim, kann ich mal kurz mit dir reden? So von Frau zu Frau?“ bittet sie mich recht freundlich.
Überrascht schauen sich die Männer an.
Ich habe eigentlich wirklich keine Lust und zögere.
Angelika schaut mich eindringlich an. „Bitte, Kim.“
„Na gut.“ meine ich und folge ihr dann doch ins nebenliegende Schlafzimmer.
„Ich möchte mich bei dir entschuldigen, Kim.“ fängt Angelika an und schaut mir dabei ehrlich in die Augen. Ich bin mir unsicher ob sie das mit der Entschuldigung wohl wirklich ernst meint oder ob das auch wieder nur so eine neue Taktik von ihr ist…
„Was willst du?“ lenke ich darum direkt ein.
Auf einmal fängt Angelika zu weinen an.
Darauf war ich echt nicht gefasst!
„Ich muss dir was gestehen, Kim. Die Wahrheit ist, ich liebe Tobias immer noch. Aber das kann ich doch Sascha nicht sagen.“ schluchzt sie.
„Wow…ehrlich?“, ich bin baff, „Und warum hast du dich dann nicht längst von Sascha getrennt?“ will ich von ihr wissen.
„Weil ich… Sascha auch liebe. Ich kann ohne Sascha einfach nicht mehr leben!“ meint Angelika.
„Du spinnst doch! Wie stellst du dir das Ganze nur vor, Angelika? Du kannst doch nicht mit zwei Männern zusammen sein!“
Ich kann ihr Verhalten den beiden Männern gegenüber absolut nicht verstehen und finde es ziemlich egoistisch von ihr.
Doch sie widerspricht mir.
„Doch, es ist möglich! Bisher war es jedenfalls für mich möglich beide Männer zu besitzen. Aber seit du mit meinem Mann eine Beziehung angefangen hast hat er sich immer mehr von mir entfernt und jetzt will er auch noch die Scheidung. Verstehst du denn nicht dass ihr mich beide damit völlig überrumpelt habt?“
Ich hab absolut kein Verständnis für diese dämliche Begründung und daher hält sich mein Mitleid auch in Grenzen.
Auch wenn Angelika gerade dasteht wie ein weinender Bettler dem man sein letztes Hemd geraubt hat…
„Du weißt ja längst nicht alles, Kim. Tobias hat nämlich zwei Gesichter, das kannst du mir glauben! Ich bin damals nicht umsonst ausgezogen und habe mir eine Zeit lang ein eigenes Zimmer gesucht. Tobias kann gelegentlich nämlich ziemlich viel trinken und wird dann aggressiv. In Sascha habe ich damals eben einen Halt gefunden, aber jetzt komme ich von Sascha auch nicht mehr los. Hast du denn noch gar nicht bemerkt dass Tobias häufig über den Durst trinkt?“
Erschrocken starre ich sie an.
Ich kann nicht glauben was sie da sagt!
Tobias soll ab und zu so viel trinken dass er aggressiv wird? Vielleicht hat Tobias ja gelegentlich nur deshalb zu viel getrunken weil er einfach nicht mehr mit der Dreieckssituation zu Recht gekommen ist, sinne ich noch darüber nach, während Angelika schon weiterredet.
„Na ja, ich habe Tobias doch trotzdem immer geliebt und darum bin ich damals dann doch wieder zu ihm zurückgekommen und habe das eigene Zimmer wieder aufgegeben. Tobias braucht mich nämlich. Ohne mich ist er nämlich verloren gewesen! Tobias hat nämlich schon einen Herzinfarkt hinter sich und öfters auch Bluthochdruck, es geht ihm eigentlich gesundheitlich sehr, sehr schlecht. Auch eine verschleppte Grippe hatte er schon mal. Ich habe ihn immer wieder gesund gepflegt und zu ihm gehalten, verstehst du?“
„Also, das mit dem Herzinfarkt ist schon krass. Das wusste ich tatsächlich nicht.“ stelle ich fest.
Angelika guckt mich verweint an.
„Das ist es ja eben, Kim. Tobias hat dir längst noch nicht alles erzählt weil er wahrscheinlich vor dir den starken Helden markieren will. Aber er muss unbedingt mal wieder zum Arzt gehen, doch er sträubt sich einfach dagegen wenn ich was sage und hört schon lange nicht mehr auf mich.“
„Dann werde ich ihn eben zum Arzt schubsen müssen.“ meine ich.
„Ja, das solltest du wirklich. Nicht das er wieder einen Herzinfarkt bekommt, du weißt ja einen zweiten Infarkt überlebt kaum einer.“ nickt Angelika.
Ich bin entsetzt. Dass Tobias so krank ist habe ich nicht geahnt!
Angelika schaut mich ernst an.
„Liebst du ihn wirklich, Kim? Weil dann gebe ich ihn gerne frei. Ich will ja auch, dass Tobias wieder glücklich wird. Aber du musst mir versprechen dass du dich immer gut um seine Gesundheit kümmern wirst, bitte.“
Ich verspreche es ihr und sie scheint nun beruhigt zu sein. Sie schnieft noch einmal in ein Taschentuch und nickt mir dankbar zu.
Dann gehen wir beide wieder zurück ins Wohnzimmer.
Fragend schaut Tobias mich an als ich mich wortlos wieder neben ihm auf das Sofa setze.
Er beginnt mir zu zuflüstern.
„Und?“ will er neugierig wissen.
„Ach, erzähl ich dir später.“ meine ich.
Während Tobias noch immer an seinem fast leeren Bier nuckelt beobachte ich ihn ganz genau.
Ob er wohl wirklich ein größeres Alkoholproblem hat? Falls er wirklich so todkrank ist wie Angelika sagt, dann muss ich ihm das Trinken auf jeden Fall abgewöhnen!
Vielleicht wollte er sich deswegen auch vor dem Scheidungsgespräch drücken weil er sich eigentlich wegen der Herzprobleme nicht aufregen darf…, kommt es mir auf einmal. Fast tut es mir schon leid ihn so sehr dazu gedrängt zu haben!
Sascha jedenfalls scheint schon ziemlich viel intus zu haben, denn er torkelt mittlerweile und fällt fast von seinem Stuhl.
„Angelika ist meine Frau, Tobias. Merk dir das! Du hast wirklich schon genug Leid über sie gebracht!“ fängt er plötzlich aus heiterem Himmel zu streiten an als er Angelikas verweintes Gesicht bemerkt.
„Ich will mich ja scheiden lassen falls es dir heute entgangen sein sollte.“ antwortet Tobias ruhig und trinkt nun hastig in einem Zug sein Bier leer damit wir aufbrechen können.
Doch Sascha knallt aggressiv seine Bierflasche auf den Tisch und kommt mit torkelnden Schritten auf Tobias zu. „Ich hasse dich, du bist ein richtiges Arschloch! Und ich hasse es dir ständig schön ins Gesicht tun zu müssen, nur weil deine Frau das so will. Ich will aber, dass du endlich aus unserem Leben verschwindest!“
„Ist gut, Sascha. Du bist betrunken. Wir werden uns schon scheiden lassen, diese Woche noch, versprochen.“ erwidert Tobias weiterhin ruhig und steht nun auf.
„Nein!“ brüllt Sascha entschlossen, „Ich meine nicht nur die Scheidung! Du sollst auch endlich die Kinder in Ruhe lassen! Du sollst ihnen aus dem Weg gehen! Ich weiß, dass du sie misshandelst!“
Jetzt wird Tobias wütend.
„Also, Sascha! Dass du mir meine Ehefrau ausgespannt hast hab ich ja noch geschluckt. Aber meine Kinder sind immerhin mein Fleisch und Blut! Da hast du gar nichts mitzureden!“
„Sascha, ich bitte dich, hör doch endlich auf und lass es gut sein!“ mischt sich Angelika nun ein. Doch Sascha beachtet seine Geliebte nicht und starrt immer noch gebannt auf Tobias.
„Und ob ich da was mitzureden habe, Tobi! Du lässt sie zufrieden, hast du mich verstanden? Du fasst meine Frau und meinen Tom nicht mehr an!“ brüllt Sascha Tobias weiterhin aggressiv an.
Jetzt gehe ich dazwischen, es reicht.
Ich wundere mich wie es nur möglich sein kann, dass der ausgerechnet vorhin so schweigsame Sascha gleichzeitig auch diese provokative Seite hat!
„Lass ihn in Ruhe!“ zische ich Sascha wütend an. Auch Angelika mischt sich erneut ein und zieht ihren Geliebten energisch von Tobias weg.
„Sascha, du bist völlig betrunken. Tobias und ich, wir werden uns doch scheiden lassen, hast du das denn nicht gehört?“
Sascha hebt den Zeigefinger und schreit weiterhin auf Tobias ein. „Ich meine es ernst, du Arschloch! Lass meinen Jungen in Ruhe!“
Tobias scheint es zu reichen und er wird ebenfalls laut. „Deinen Jungen? Tom ist ja wohl mein Junge!“
Laut lacht Sascha jetzt höhnisch.
„Das glaubst aber auch nur du, du Depp! Ich werde bald der Vater von dem Jungen sein, du Arsch!“
„Still jetzt, es reicht! Du gehst jetzt sofort ins Bett, Sascha!“ zischt Angelika ihn nun an und nickt uns entschuldigend zu.
Während Angelika ihn zurück hält drängele ich mich mit Tobias an ihm vorbei in den Flur.
„Der Typ spinnt doch total!“ regt Tobias sich auf und zieht seine Jacke an.
„Komm, wir gehen jetzt!“ sagt er und öffnet entschieden die Tür.
„Bitte wartet!“ ruft Angelika uns nach und holt uns schnell ein.
„Es tut mir leid, dass das alles so blöd enden musste heute.“ entschuldigt sich die Frau von Tobias.
„Am liebsten würde ich den Kerl jetzt aus meiner Bude werfen! Aber ich tu es nicht, dir zuliebe Angelika! Schließlich will ich es fair beenden.“ höre ich Tobias zu ihr sagen.
„Danke, Tobias, ich weiß es auch zu schätzen. Sascha soll sich den Rausch ausschlafen und er wird sich sicherlich morgen bei dir dafür entschuldigen.“ meint Angelika seufzend und winkt uns noch nach.
„Das will ich auch hoffen sonst kann dein Kerl mich mal richtig kennenlernen! Ich kann nämlich auch ganz anders, immerhin gehört mir das Haus!“ murrt Tobias.
„Kim“, ruft Sascha mir aus dem Fenster nach als wir gerade aufbrechen, „du weißt gar nicht auf was für ein Untier du dich eingelassen hast! Tobias ist ein wahres Monster! Ich rate dir dringend dir einen anderen Partner zu suchen, verlasse Tobias solange du noch kannst! Noch ist es nicht zu spät!“
„Das musst du schon mir überlassen, Sascha!“ brülle ich genervt zurück.
Ich schüttele über ihn den Kopf. „Wie kann man nur so besoffen sein, das ist ja ekelhaft!“ schimpfe ich.
Tobias nimmt meine Hand und stimmt mir zu.
„Ich frage mich ehrlich wie meine Frau ihn nur aufgabeln konnte. Was findet sie bloß an dem?“
„Was hat meine Frau dir eigentlich so alles erzählt als ihr zusammen im Nebenzimmer wart?“ fragt mich Tobias nachdem wir später endlich bei mir Zuhause im Bett liegen.
Ich zucke mit den Schultern.
„Dass du sehr krank bist hat sie mir gesagt und auch, dass du schon einen Herzinfarkt hattest.“
„Oh…“ erschrocken starrt Tobias an die Decke.
Ich richte mich auf.
„Stimmt das denn, Tobias?“ will ich nun ehrlich besorgt von ihm wissen.
Tobias atmet tief ein. „Also das schon wieder! Angelika macht sich also mal wieder Sorgen um mich. Ich kann es, ehrlich gesagt, einfach nicht mehr hören! Einbildung ist auch eine Bildung und dass bei meiner Frau die Einbildungen ja typisch sind solltest du heute allerdings auch schon gemerkt haben, Kim. Aber das wundert mich ja nicht, schließlich war Angelika ja mal meine persönliche Krankenschwester…“
Wie romantisch, seine persönliche Krankenschwester… Genauere Details über seine vergangene Beziehung wollte ich heute eigentlich nicht nochmal hören!
Eindringlich schaue ich Tobias an.
„Also, hattest du schon einen Herzinfarkt?“ wiederhole ich nochmal. Er zuckt mit den Achseln.
„Ja, hatte ich. In meinem Alter haben schon viele Leute mal so Wehwehchen gehabt. Das ist doch nichts Seltenes. Und? Ich habe es überlebt wie du siehst! Unsere heutige Medizin macht es möglich.“
Mir gefällt es hingegen gar nicht, dass er so etwas auf die leichte Schulter nimmt!
„Bitte versprich mir, dass du die nächsten Tage mal mit mir zum Arzt gehst um dich ordentlich durchecken zu lassen.“
Tobias rollt mit den Augen.
„Wenn es sein muss, also von mir aus! Wenn es dich beruhigt… Aber können wir jetzt endlich schlafen? Mir reicht es nämlich für heute total!“
„Ja, mir auch.“ gebe ich zu. „So stressig hab ich mir das Ganze heute wirklich nicht vorgestellt. Deine Frau und dieser Macker von ihr, die sind doch beide irgendwie völlig kirre, oder?“
Tobias stimmt mir lachend zu.
„Vielleicht verstehst du jetzt auch endlich warum ich mir solange Zeit gelassen habe das alles zu klären.“ seufzt Tobias dann. Plötzlich grinst er mich schelmisch an.
„Außerdem soll ich mich doch nicht aufregen wegen meinem Herz, zumindest hat mir mein Dok das ja nach dem letzten Herzinfarkt gesagt.“
Tobias dreht sich jetzt zu mir um und nimmt mich liebevoll in seine Arme. Zärtlich haucht er mir seinen warmfeuchten Kuss auf meine Lippen.
„Du machst dir viel zu viele Gedanken, Kim. Freu dich doch lieber dass wir das heute endlich mal alles geklärt haben und die nächsten Tage reiche ich dann noch die Scheidung ein. Und ehe du dich versiehst: bald schon sind wir auf Malle und beginnen dort ein neues Leben, nur wir beide!“ freut sich Tobias verträumt.
„Ja, das klingt schön.“ hauche ich und küsse ihn auf die Wange. „Was ist los? Hast du was?“ wundere ich mich als er sich auf einmal abrupt von mir abwendet.
„Meine Kinder, sie tun mir leid.“ macht sich Tobias Gedanken. „Der Kleine versteht dass alles immerhin noch nicht aber für meine Tochter ist die komplizierte Situation nicht leicht.“
Liebevoll schlinge ich mein Bein um seins.
„Du wirst sehen, auch dafür finden wir eine Lösung. Irgendwann wird Miriam auch mal erwachsen und aus der Pubertät draußen sein. Sicher wird sie es einmal, im Nachhinein, verstehen.“
„Das beruhigt mich. Wäre ja schlimm wenn die Pubertät ewig dauern würde… Miriam ist mittlerweile schon genauso zickig wie ihre Mutter!“ lacht Tobias und atmet bei dem Gedanken erleichtert auf.
Wir schweigen eine Weile.
„Tobias?“ flüstere ich dann noch.
„Hm?“
„Sag mal, hast du wirklich schon mal deine Frau geschlagen?“
Erstaunt dreht er sich nun zu mir her.
„Wie? Hat dir etwa Angelika so was erzählt?“ mault er gelangweilt.
„Ja. Sie hat gemeint du hättest sie öfter geschlagen und darum sei sie auch schon mal von dir ausgezogen.“
Jetzt setzt sich Tobias auf einmal auf.
„Das ist doch unglaublich! Was verzapft die Alte nur für eine verquirlte Scheiße?! Du glaubst den Dreck doch nicht etwa?“
Ich schüttele langsam den Kopf. „Eigentlich nicht…“
„Eigentlich? Na, vielen Dank auch!“ meint Tobias beleidigt. Er wird nun richtig wütend.
„Jetzt erzähle ich dir mal was, Kim. Sie hat MICH damals verlassen weil sie ihren Sascha kennengelernt hat und das ist eben rausgekommen. Darum habe ich Angelika auch damals aus der Bude geworfen. Ungefähr ein Jahr später ist sie dann reumütig zurückgekommen weil sie drei Monatsmieten im Rückstand war und ihre Bude verloren hat. Aus Mitleid habe ich sie dann doch wieder aufgenommen, immerhin ist sie ja die Mutter unserer Kinder! Ich wollte ihr noch eine Chance geben… Sie hat mir damals hoch und heilig beteuert dass es mit Sascha aus sei, bis ich die beiden dann zufällig eines Morgens in unserem Ehebett überrascht habe… Und das habe ich damals auch nur durch Zufall aufgedeckt weil ich mal früher von der Arbeit nach Hause gekommen bin!“ Tobias atmet nun tief ein und aus.
Ich bemerke wie erregt er ist.
„Beruhig dich, ich glaube dir doch, mein Liebling!“ sage ich und tätschele beruhigend seine Hand.
„Ich schlage auch meine Kinder nicht, ich schwöre es dir!“ beteuert Tobias ziemlich aufgebracht.
„Ja, ich glaube dir. Komm, lass uns nun einfach schlafen und dann werden wir uns die nächsten Tage mal einen geeigneten Rechtsanwalt suchen wegen der Scheidung. Zusammen schaffen wir das schon.“ rede ich ihm gut zu. Tobias wird allmählich wieder ruhiger.
„Danke, Kim.“
Er gibt mir nochmal einen Kuss und dreht sich dann auf die andere Seite.
Während Tobias kurz darauf schon eingeschlafen ist muss ich noch lange über den heutigen Tag nachgrübeln.
Einer lügt, das ist mir klar: entweder Angelika oder Tobias. Aber ich möchte Tobias glauben.
Ich traue ihm wirklich nicht zu, dass er gewalttätig werden kann! Schon allein wie behutsam er heute auf Saschas fiese Anmache reagiert hat zeigt doch, dass Tobias eigentlich ein sanftmütiger Kerl ist.
Außerdem hat seine Frau doch heute schon die ganze Zeit diese Psychospielchen getrieben, damit wirkt sie auf mich unglaubwürdiger als Tobias.
Ich weiß echt nicht was ich von Angelika halten soll! Ob das vielleicht mit ihrer Tränendrüse auch nur so eine Taktik von ihr war um mich gegen Tobias aufzuhetzen weil sie will dass ich ihn verlasse?
Auch weitere Fragen spuken mir noch im Kopf herum: wenn da wirklich nichts dran ist an Angelikas Gerede warum ist Sascha dann heute so ausgeflippt und hat mich vor Tobias gewarnt?
Und warum hat Sascha später im Suff auf einmal behauptet dass eigentlich er der Vater von Tom ist?
Ob da tatsächlich etwas dran ist dass der kleine Tom eine ähnliche Stupsnase wie Sascha hat?
Gleich am nächsten Morgen mache ich mit Tobias einen Termin bei einem Scheidungsanwalt aus.
„Ich bin echt froh, dass du mir den Arschtritt dazu gegeben hast. Ich glaube ich hätte das mit Angelika sonst wohl noch eine ganze Weile so mitgemacht!“ atmet Tobias nach dem Telefonat mit dem Anwalt erleichtert auf.
Angestachelt von Tobias neuer Motivation gebe ich ihm nun einen weiteren Arschtritt.
„Komm schon, jetzt gib dir auch noch einen weiteren Ruck und wir machen auch gleich einen Arzttermin aus damit du dich mal so richtig durchchecken lassen kannst, Tobias.“ rate ich ihm.
Ungläubig schaut er mich an.
„Eigentlich sehe ich überhaupt keinen Grund warum ihr euch alle so sehr um mich sorgt. Aber bitte, wenn es dich beruhigt…“
„Oh ja, Tobias, das würde es. Bitte tu es für mich, ja?“
„Na schön. Also, gib mir schon das verdammte Handy!“ meint er und ruft dann auch noch seinen Hausarzt an.
„Zufrieden, Kleine?“ lächelt er mich danach verschmitzt an und legt das Handy beiseite.
„Oh ja, sehr!“ beharre ich drauf und belohne ihn mit einem Kuss.
„So Kim, “ sagt Tobias nun, „ich werde jetzt also nach Hause gehen. Schließlich möchte ich noch unbedingt mit meiner Tochter reden nachdem meine Frau sie so taktlos mit der bevorstehenden Scheidung überrumpelt hat. Das arme Kind muss ja völlig verstört sein!“
„Klar, das verstehe ich.“ stimme ich ihm zu.
„Also sehen wir uns dann morgen?“ vergewissere ich mich noch.
„Ja. Morgen Mittag ist ja auch der Arzttermin und du willst ja auch unbedingt mitkommen?“
„Ja, will ich. Ich möchte gerne dabei sein wenn dein Arzt dich mit ein paar Piksen schikaniert. Das lass ich mir doch nicht entgehen!“ ziehe ich ihn auf und grinse ihn dabei etwas schadenfroh an.
„Freches Huhn, du!“ lacht er daraufhin und wir verabschieden uns dann noch einmal voneinander indem wir innig miteinander schmusen…
Doch als sich Tobias am nächsten Tag nicht wie abgemacht meldet werde ich stutzig.
Seit Stunden sitze ich nun schon da und starre wie gebannt auf mein Smartphone.
Was hat das nur zu bedeuten?
Der heutige Arzttermin ist nun futsch und für morgen haben wir doch den Termin beim Scheidungsanwalt ausgemacht!
So langsam bin ich wirklich richtig sauer auf Tobias…
Mehrmals habe ich jetzt schon versucht ihn telefonisch zu erreichen aber ständig ist sein Handy ausgeschaltet und immer wieder muss ich mir das Geschwätz seines Anrufbeantworters geben, den er für meinen Geschmack ziemlich einfallslos eingerichtet hat: „Hallo, hier ist die Mailbox von Tobias Bader. Bitte hinterlassen Sie mir doch eine Nachricht nach dem Signalton!“
Ich kann es nicht mehr hören!
In einem Anfall von Zorn knalle ich mein Handy achtlos in ein Eck von wo ich unmittelbar danach den Plastikdeckel des Akkufachs aufspringen höre.
Ich habe es satt! Erst versetzt mich der Kerl und nun ist er nicht mal Manns genug an sein Handy zu gehen!
Was bildet der Depp sich bloß ein?!
Nur gut dass ich gerade Urlaub habe sonst hätte ich mir heute wegen ihm ganz umsonst die Zeit genommen!
Ich schwanke zwischen Wut und Verwunderung.
Eigentlich sieht es Tobias ja so ganz und gar nicht ähnlich sich einfach nicht mehr zu melden und ich frage mich allmählich ob er mittlerweile vielleicht doch kalte Füße gekriegt haben könnte und sich das mit der Scheidung womöglich doch nochmal überlegt hat: vielleicht ist es seiner Frau ja gelungen ihn erneut einzulullen und jetzt hat er ein schlechtes Gewissen mir gegenüber…
Vielleicht hat aber auch seine Tochter an ihn hin gejammert, so dass er sich nun nicht traut mir reinen Wein einzuschenken und sich deshalb so respektlos mir gegenüber verhält?
Jedenfalls finde ich sein Verhalten mir gegenüber wortwörtlich unter aller Sau!
Wenn Tobias schon die Seiten gewechselt hat dann sollte er doch wenigstens den Mut dazu haben mir davon zu erzählen und unsere Beziehung ordentlich beenden anstatt sich wie ein bescheuerter Schuljunge aufzuführen! Mir reicht es jedenfalls.
Ich möchte endlich wissen was los ist mit ihm!
Also packe ich kurzerhand schnell meine Handtasche zusammen und möchte gerade meine Wohnung verlassen als mein Stolz sich bemerkbar macht.
Warum sollte ich ihm nachlaufen nachdem er mich heute so eiskalt abserviert hat?! Das sehe ich doch nicht ein! Also gehe ich nun doch wieder zurück ins Zimmer, krame im nächsten Moment das vorher unachtsam weggeschleuderte Smartphone aus dem Eck hervor und baue es wieder zusammen.
Während ich das mache versuche ich mich gedanklich zu beruhigen. Sicherlich gibt es eine logische Erklärung für Tobias heutiges Verhalten, ich werde einfach noch bis morgen abwarten, vielleicht meldet er sich ja noch!
Doch meine Hoffnungen sollen sich nicht bestätigen…
Als Tobias sich auch am folgenden Tag nicht bei mir meldet und somit auch noch den Anwaltstermin sausen lässt, entscheide ich mich nun doch dazu der Sache nachzugehen.
Ich bin mittlerweile schon mehr als nur wütend, ja vielmehr schon furchtbar enttäuscht, als ich mein Apartment verlasse und eilig die Treppen hinunterstürme.
Na warte Freundchen, nicht mit mir, so behandelt man mich nicht! Und das nach dem ganzen Scheiß den ich vorgestern bei euch mitgemacht habe nachdem ich dir so zur Seite gestanden habe! Das habe ich einfach nicht verdient!
Ich will ihn endlich zur Rede stellen!
Eigentlich wollte ich die nervige Frau von Tobias ja so schnell nicht wieder sehen, außer einmal noch bei seiner Scheidung vielleicht…
Aber ich habe ja im Moment keine andere Wahl als zu seinem Haus zu fahren und zu hoffen Tobias dort anzutreffen!
Knapp dort angekommen klingele ich sturm.
Mein Klingeln klingt genauso wütend wie ich es innerlich schon seit gestern bin…
Als sei ich nicht schon genug aufgeregt muss es natürlich auch noch ausgerechnet Angelika sein, die mir die Tür öffnet!
Doch ich nehme keine Rücksicht auf sie und lasse meiner Wut freien Lauf.
„Hallo, Angelika. Also, wo ist er?“ harsche ich sie an und gucke an ihr vorbei um einen Blick vom Inneren des Hauses zu erhaschen.
„Er…er ist im Klinikum. Es steht sehr schlecht um Tobias!“ höre ich Angelika schluchzen.
Abrupt wandert mein zuvor fernschweifender Blick nun doch wieder zurück zu ihr. Erst jetzt fällt mir auf dass Angelikas Gesicht völlig tränenaufgelöst ist und sie, wahrscheinlich aufgrund von Schlafmangel, ganz tiefe Augenränder hat. Ich schlucke erschrocken.
Auf einmal klopft mein Herz mir bis zur Brust, die sich mit einem Schlag völlig zusammenzieht so dass ich kaum noch atmen kann.
„Er ist was?“ höre ich mich etwas dämlich fragen obwohl sie es mir ja gerade gesagt hat.
Aber ich bin augenblicklich wie gelähmt.
Angelika bemerkt meinen ratlosen Zustand und winkt mich nun zu sich ins Haus hinein.
Sie scheint wohl ganz allein zu Hause sein und wir setzen uns beide im Wohnzimmer auf das Sofa.
„Er ist jetzt auf der Intensivstation, es steht ganz schlimm um ihn.“ schnieft sie und schnappt sich ein neues Taschentuch aus dem Papierstapel, den sie direkt unter dem Tisch vor dem Sofa platziert hat.
Wahrscheinlich hat sie schon mehrere Stunden einfach nur durchgeweint, jedenfalls sind Angelikas Augen schon ganz rot von ihren Tränen…
„Auf der Intensivstation?“
Ich kann es noch immer nicht begreifen, es ist alles so plötzlich! Es kommt mir alles so unwirklich vor, als sei ich in einem schlechten Traum…
Langsam nickt Angelika.
„Er ist in einem wirklich sehr kritischen Zustand, wir wissen nicht mal ob er es…überleben wird!“
schluchzt sie schmerzvoll aus sich heraus und bricht sofort wieder in Tränen aus.
Immer noch kann ich es nicht fassen und fühle mich wie in einem schlechten Film.
Ich stehe wohl im Augenblick unter Totalschock!
Angelika redet jetzt so als sei Tobias schon verstorben: „Ich habe ihn so geliebt, genauso wie du ihn jetzt wahrscheinlich geliebt hast!“
Hilfesuchend lehnt sie ihren Kopf an meine rechte Schulter. „Nicht doch, Angelika. Er ist ja noch nicht gestorben, sicherlich wird alles wieder gut.“ versuche ich sie zu trösten obwohl ich jetzt eigentlich selbst jemanden gebrauchen könnte der mir gut zuredet.
„Die Kinder waren schon weg: Miriam in der Schule und Tom habe ich gerade erst zum Kindergarten gebracht. Als ich dann zurückgekommen bin war Tobias gerade dabei aufzubrechen. Er wollte zu dir und hat mir erzählt, dass er in ein paar Stunden einen Arzttermin hätte.“ erfahre ich von Angelika.
„Ja, das stimmt. Das war ja auch so ausgemacht.“ nicke ich.
„Ich habe schon länger einige Dinge mit Tobias zu besprechen gehabt, vor allem steuerliche Angelegenheiten. Aber nie hatte Tobias Zeit dafür, entweder war er in der Arbeit oder eben bei dir.“ erzählt sie weiter. „Also habe ich ihn darum gebeten noch wenigstens eine Stunde zu bleiben damit wir diesen Papierkram endlich mal erledigen, den er ständig aufgeschoben hat.“
„Ja, ich verstehe dich schon. Und weiter?“ bohre ich nach. Angelika erzählt mir nun, dass sie auch gerade dabei gewesen sei mit Tobias alles zu besprechen als es plötzlich an der Tür geklingelt habe.
„Es war Sascha der spontan vorbeischauen wollte.
Da ich nun eh schon aufgestanden war und zur Tür gegangen bin, habe ich mir dann gedacht dass ich dabei auch gleich mal eben schnell in den Garten gehe um die fertige Wäsche aufzuhängen, während Sascha in der Zwischenzeit eben zu Tobias ins Wohnzimmer geht und ihn solange unterhält.“ erklärt sie mir weiter.
„Ja und dann?“ will ich aufgeregt wissen.
Dann verfinstert sich Angelikas Gesicht wieder.
„Plötzlich ist Sascha Hals über Kopf zu mir hinausgestürmt, immer wieder hat er aufgeregt gerufen dass es Tobias auf einmal nicht mehr gut ginge und dass er ziemlich verwirrt zu sein schien. Sofort habe ich alles stehen und liegen gelassen und bin ich mit Sascha zurück ins Wohnzimmer gerannt!
Doch da war Tobias längst schon zusammengeklappt und wir fanden ihn bewusstlos auf dem Boden liegend.“ schluchzt Angelika bei dem Gedanken schon wieder los. Ich bin immer noch völlig reaktionslos als ich ihr weiterhin zuhöre.
„Ich habe es gleich geahnt, dass es sich bei ihm um einen Herzinfarkt handeln muss! Schließlich hatte Tobias ja schon einen Herzinfarkt hinter und leidet schon länger an einer Herzmuskelschwäche. Das hab ich dir ja auch vor ein paar Tagen erzählt.“ erinnert sie mich daran.
„Ja hast du.“ nicke ich fast automatisch.
„Ich stand erst mal total unter Schock wie du dir wohl vorstellen kannst! Hab nach dem kurzen Zögern dann sofort den Notarzt gerufen. Es dauerte eine ganze Weile bis der Krankenwagen endlich da war, sag ich dir! Doch zum Glück war ja Sascha da. Der wusste als Erste-Hilfe-Sanitäter genau was zu tun ist: er hat keine weitere Sekunde gezögert um Tobias erste Hilfe zu leisten und hat ihm sofort einen Venenzugang angebracht um den Kreislauf von Tobias zu stärken. Nur so ist es dem Notarzt später, der Tobias zuerst für tot erklärt hatte, dank einer weiteren Infusion möglich gewesen den Kreislauf von Tobias zu reanimieren.“
„Gott sei Dank war Sascha zur Stelle!“ stimme ich ihr zu. Kaum zu glauben dass Tobias ohne Saschas erste Hilfe wahrscheinlich sofort gestorben wäre!
„Ich bin Sascha ja so dankbar! Hätte er nicht sofort gehandelt, dann wäre Tobias wahrscheinlich jetzt nicht im Klinikum gelandet sondern lege jetzt ein paar Meter tiefer… Ach Kim, du kannst dir ja gar nicht vorstellen was ich so alles mitgemacht habe!“ weint Angelika schon wieder los. Die Ärmste! Ich halte ihre zitternde Hand und rede positiv auf sie ein.
„Gott sei Dank war Sascha in diesem Moment zur Stelle. Es wird sicher alles gut werden.“ murmele ich vor uns hin.
Angelika nickt. „Ja, Gott sei Dank! Aber trotzdem ist der Zustand von Tobias nach wie vor kritisch, bis jetzt hat er immer noch nicht sein Bewusstsein erlangt!“ seufzt seine Frau und schnieft wieder ins Taschentuch, das sie nun schon völlig zerknüllt in der Hand hält.
„Die Kinder habe ich jetzt für die nächsten Tage zu meiner Mutter gebracht weil ich im Moment einfach nicht …funktionieren kann.“ vertraut mir Angelika an. „Ich verstehe.“ sage ich verständnisvoll und tätschele tröstend ihre Hand.
Trotz aller Anteilnahme komme ich mir allmählich schon etwas dämlich und hilflos dabei vor Angelika zu trösten.
Bin denn mittlerweile nicht ich immerhin schon viel zu lange die neue Partnerin von Tobias? Müsste da nicht vielmehr ich es sein die getröstet werden sollte?!
Als hätte sie gerade meine Gedanken gelesen schaut Angelika mich jetzt mit ihren verweinten Augen an. „Du bist echt eine ganz Liebe, Kim. Ich kann mir schon vorstellen was Tobias an dir findet. Du musst ihn ja wirklich nicht weniger lieben als ich es tue. Wir sind in dieser Hinsicht wohl Leidensgenossinnen und das verbindet…“ stellt sie anerkennend fest und tätschelt freundschaftlich meine Schulter um mir ihre Sympathie zu zeigen.
In diesem Moment geht auf einmal die Haustür auf.
Es ist Sascha, der auf einmal vor uns steht:
ich wundere mich warum er auf einmal einen Hausschlüssel besitzt…
„Oh, hallo Liebling.“ begrüßt Angelika ihn überrascht und richtet sich rasch auf.
„Ich habe ihm derweil den Hausschlüssel von Tobias gegeben weil ich zurzeit ungern vor die Tür gehe.“ meint Angelika dazu als sie bemerkt dass ich darüber verwundert bin, dass Sascha einfach so mir nix dir nix plötzlich so einfach ins Haus spaziert ist.
Noch mehr aber wundere ich mich darüber, dass Sascha ziemlich nervös wirkt als er mich sieht.
„Was macht die den hier?“ zischt er Angelika an, dabei wandert sein Blick aufgeregt zu meinem Platz Richtung Sofa und dann etwas tiefer, an eine bestimmte Stelle neben dem Sofa.
„Was soll diese Frage, Sascha? Natürlich wollte sie erfahren was mit Tobias los ist und ist vorbeigekommen!“ entgegnet Angelika ihm verständnislos.
„Ach so, ja klar.“ meint Sascha und wirkt mit einem Mal wieder völlig friedfertig und entspannt.
Er setzt sich nun auf einen Stuhl gegenüber.
„Danke, Sascha. Ich habe von Angelika erfahren was du alles an Hilfe geleistet hast gestern.“ fange ich mit ihm ein Gespräch an.
Seltsam, Sascha wagt es kaum mich anzusehen und spielt nervös an seinen Fingern herum während er auf den Boden starrt… Der Typ ist mir einfach nur suspekt!
Mit einem Mal steht er dann doch wieder, völlig abrupt wie ich finde, auf.
„Na ja, jetzt weißt du ja was gestern passiert ist. Aber du solltest nun wirklich gehen, Kim! Angelika braucht…viel Ruhe um das alles zu verarbeiten.“ meint er plötzlich. Mir fällt auf wie eindringlich er dabei Angelika anschaut…
Ich fühle mich gekränkt, denn etwas mehr Anteilnahme hätte ich mir von ihm schon erwartet.
„Nun zappele doch nicht so herum, Sascha!“ sagt Angelika genervt. „Immerhin ist das Ganze ja auch für Kim ein absoluter Schock!“ verteidigt sie mich vor ihm. Entschuldigend wendet sie sich dann wieder an mich. „Tut mir leid, Kim. Männer eben! Na ja, Sascha hat den ganzen Schock wahrscheinlich auch noch nicht so richtig verarbeitet. Es ist wohl wirklich besser wenn du jetzt gehst, Kim. Sascha hat recht ich bin wirklich erschöpft und brauche nun etwas Ruhe. Schließlich muss ich das alles ja auch irgendwie verarbeiten, genau wie du.“
Sie bringt mich zur Tür.
„Gib mir doch mal deine Telefonnummer, Kim. Ich informiere dich gerne sobald ich was Neues von Tobias weiß.“ bietet Angelika mir versöhnlich an.
Auch wenn es mir eigentlich überhaupt nicht passt, dass Angelika als Noch-Ehefrau von Tobias vermutlich vom Krankenhaus mehr Informationen über Tobias Zustand erhalten wird als ich, so sehe ich es doch ein dass ein vorübergehender Kontakt mit ihr nötig ist um über den weiteren Zustand von Tobias benachrichtigt zu bleiben.
Also gebe ich ihr meine Nummer, die sie sich sofort in ihr Handy eintippt. „Hätte ich deine Nummer schon eher gehabt, dann hätte ich dich natürlich gestern noch angerufen, Kim.“ entschuldigt sie sich und sieht dabei recht traurig aus.
„Kopf hoch, Angelika, der wird schon wieder! Tobias ist ein Kämpfer, wie du weißt.“ sage ich noch zu ihr und gehe dann.
Sobald ich zu Hause bin rufe ich sofort im Klinikum an.
„Darf ich fragen wer Sie sind?“ ertönt die Stimme eines Krankenpflegers am anderen Ende.
„Ich bin seine Lebensgefährt…, eigentlich bin ich ja seine Freundin.“ stammele ich etwas unbeholfen. Warum muss Tobias denn auch unbedingt noch verheiratet sein?!
Schließlich bin ich ja schon seit fast zwei Jahren die engste Vertraute und Partnerin von Tobias!
Aber das weiß der Krankenpfleger natürlich nicht. Für diesen Menschen zählt eben nur was auf dem Papier steht und darauf steht blöderweise eben, dass er noch immer mit Angelika verheiratet ist…
„Es tut mir leid Ihnen mitzuteilen, dass sich Herr Bader leider immer noch in einem sehr kritischen Zustand befindet und bewusstlos ist. Leider darf ich Ihnen auch nicht mehr Auskunft geben da Sie nicht zu seinen engsten Angehörigen gehören.“
„Kann ich…ihn sehen?“ versuche ich es weiter.
„Leider sind zurzeit für Herrn Bader keine Besuche möglich, bitte verstehen Sie.“
Genau wie ich es befürchtet habe!
Doch ich will nicht aufgeben und lasse mich nicht einfach abwimmeln.
Ich bitte ihn mich wenigstens zur Stationsärztin durchzustellen, was er dann endlich aus Mitleid doch noch tut.
„Ich darf Ihnen wirklich keinerlei Auskunft geben. Aber ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass Herr Bader seinen Zustand wahrscheinlich nicht überleben wird.“ knallt mir die Stationsärztin völlig nüchtern und trocken, ohne jegliche Sensibilität, einfach so hin.
Ich bin völlig geschockt und muss schlucken.
Ohne noch etwas zu sagen lege ich einfach auf.
Dann lege ich mich ins Bett und versuche meine Gedanken zu ordnen, die sich immer nur wieder im Kreise drehen: Tobias wird sterben und unser gemeinsamer Traum von eigener Familie und Mallorca mit ihm!
Alles ist so plötzlich geschehen!
Schluchzend breche ich auf einmal zusammen und schreie den inneren Schmerz des Verlustes in mein Kissen.
Irgendwann höre ich zu Weinen auf.
Um mich herum ist es ganz still und dunkel geworden.
Irgendwas war seltsam heute, irgendwas stimmt hier nicht! kommt es mir mit einem Mal als ich nochmal über Saschas Verhalten nachsinne.
Nun fällt mir auch sofort wieder der Streit ein, den Sascha und Tobias letztens hatten.
Hat Sascha Tobias denn letztens nicht damit gedroht ihn umzubringen?
Dieser Streit ist doch gar nicht mal solange her... Irgendwie finde ich es schon recht merkwürdig dass Tobias ausgerechnet gestern, nur zwei Tage nach diesem Streit, den Herzinfarkt erlitten hat!
Ich spüre dass hier irgendetwas nicht stimmen kann, das sagt mir allein schon mein Bauchgefühl obwohl ich diesen Gedanken von meinem Verstand her auch gleichzeitig für unlogisch halte.
Denn warum sollte Sascha so etwas tun, ausgerechnet nachdem Tobias doch erklärt hatte sich scheiden zu lassen? Er hätte daher doch keinerlei Gründe mehr gehabt Tobias beseitigen zu wollen…
Ob ich mir das komische Verhalten von Sascha nur deshalb einrede weil ich mich einfach nicht damit abfinden kann, dass Tobias so plötzlich und völlig unerwartet im Sterben liegt?
Trotzdem finde ich es ziemlich dreist von Sascha dass er gleich so schnell an Tobias Hausschlüssel gekommen ist!
Mir wird bei dem Gedanken sofort auch bewusst, dass Angelika als die Noch-Ehefrau von Tobias nach Tobias Tod dann auch das gesamte Haus erben wird. Ob das vielleicht sogar ein möglicher Grund sein könnte an dem Sascha interessiert hätte sein müssen? Er könnte nämlich nach der Heirat mit Angelika sich nicht nur als Toms Vater aufspielen, sondern auch in dem Haus wohnen, dass Tobias sonst nach der Scheidung verkauft hätte… Also durchaus ein gutes Motiv für solch eine grausame Tat!
Ein unguter Film spielt sich auf einmal in meinem Kopf-Kino ab, der mir im wahrsten Sinne des Wortes den Magen umdreht und mich augenblicklich erschaudern lässt!
Dieser Gedanke ist so ekelhaft, dass ich ihn kaum zu Ende denken will aber es gelingt mir einfach nicht ihn abzutun: Was ist wenn Tobias gestern also gar keinen Herzinfarkt gehabt hatte sondern tatsächlich von Sascha ermordet worden ist weil er ihm im Weg gestanden hätte?
Jedenfalls würde das für mich rückblickend zumindest logisch erklären warum sich Sascha heute auch so nervös verhalten hat…
Schließlich kommt mir dieser Gedanke ja nicht mal so abwegig vor, denn während Angelika sich ja im Garten noch eine Weile um die Wäsche gekümmert hat hatte Sascha doch immerhin genug Zeit gehabt Tobias was anzutun!
Wie auch immer er es angestellt haben könnte er hätte auf jeden Fall unerwartet und blitzschnell reagieren müssen um einen starken Kerl wie Tobias zu überwältigen. Und danach hatte er einfach nach Angelika gerufen und konnte sich dann als Erste-Hilfe-Held aufspielen um seine Tat zu vertuschen und es wie einen Herzinfarkt aussehen zu lassen…
Doch würde mir Angelika glauben wenn ich ihr meine Vermutungen mitteile?
Sicher nicht! Sie würde ihren Sascha höchstwahrscheinlich in Schutz nehmen und so etwas niemals glauben!
Ich frage mich wer mir überhaupt glauben würde wenn ich doch rein gar nichts beweisen kann.
Mir wird auf einmal schlecht und ich renne aufs Klo um mich zu übergeben.
Die zwei nächsten Tage bin ich ständig darum bemüht wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
Immer wieder schwanke ich zwischen Trauer und der Hoffnung, dass Tobias es doch noch schafft zu überleben. Dabei zweifele ich immer mehr daran dass Tobias tatsächlich schon so krank gewesen sein könnte und einen plötzlichen Herzinfarkt erlitten hat.
Irgendwann halte ich diese Ungewissheit einfach nicht mehr länger aus!
„Wen wollen Sie sprechen, sagen Sie? Einen Herrn Tobias Bader?“ ertönt die Stimme der Rezeptionsdame verwundert als ich die Ungewissheit über Tobias weiteren Zustand nicht mehr länger aushalte und im Klinikum anrufe.
„Es tut mir Leid aber für diese Person habe ich hier keinen Eintrag vorliegen…“ bedauert die Dame.
Dennoch verbindet sie mich meinen Angaben nach anschließend freundlicherweise mit der Intensivstation. Doch auch dort kennt man auf einmal keinen Tobias Bader mehr.
„Tobias Bader? Haben wir hier keinen, kennen wir nicht. Tut uns leid.“ beteuert mir ein Krankenpflegers auf der Intensivstation anschließend.
„Aber…er lag doch noch vor ein paar Tagen auf Ihrer Station!“ empöre ich mich.
„Wie gesagt, es tut mir leid. Wir haben hier wechselndes Personal und außerdem eine Menge kranker Leute die kommen und gehen. Wir können uns daher ja auch nicht an jeden einzelnen erinnern!“
wird die Stimme des gestressten Pflegers etwas unfreundlicher.
„Okay. Danke.“ sage ich und lege auf.
Für einen kurzen Moment habe ich wieder neue Hoffnung. Ob nun doch wieder alles gut wird?
Vielleicht geht es Tobias ja wieder gut und sie haben ihn entlassen? Jedenfalls muss ich es herausfinden, ich muss ihn unbedingt sehen!
Hastig will ich meine Tasche zusammenpacken und bei ihm zu Hause vorbeifahren als plötzlich mein Handy klingelt.
„Ja? Hier Kim Wagner? Tobias bist du es?“ melde ich mich fast atemlos.
Doch auch meine letzte Hoffnung löst sich sofort in Luft auf als ich Angelikas Stimme höre.
„Kim?“ fragt sie ruhig nach.
Ich bin auf das Schlimmste gefasst! „Ja?“
„Er ist…Tobias ist gestern Abend an Organversagen auf der Intensivstation verstorben. Es tut mir leid.“ höre ich sie langsam sagen.
„Was? Nein!“ Ich falle aus allen Wolken!
Nach all der neuen Hoffnung die ich in den letzten fünf Minuten noch gehabt hatte falle ich nun in ein tiefes Loch…
Jetzt spüre ich ihn sofort wieder, diesen tiefen Schmerz in meiner Brust der mir mit einem Mal die ganze Kehle zuschnürt.
„Ich habe nun seinen Totenschein. Es war also ein Herzinfarkt, genauso wie ich es vermutet habe.“ redet Angelika weiter und macht dann eine kurze Pause in der ich sie am anderen Ende in ein Taschentuch schnäuzen höre.
Dann, nachdem ich einfach nichts darauf zu sagen weiß, ergreift sie doch wieder das Wort.
„Ich melde mich dann selbstverständlich wieder bei dir wenn ich weiß wann der Beerdigungstermin steht. Es tut mir leid, Kim. Ich bin nun…selbst total fertig und muss mich erst einmal wieder fangen. Aber ich wollte dich unbedingt noch benachrichtigen, schließlich weinen wir beide ja um den gleichen Mann…“
„Okay. Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast. Auch dir mein herzliches Beileid.“ sage ich und lege auf.
Die nächsten Minuten sitze ich einfach nur so da und starre gegen die Wand.
Ich kann es einfach noch nicht so richtig fassen was ich da gerade erfahren habe obwohl ja laut der Stationsärztin eigentlich damit zu rechnen gewesen ist. Aber die Hoffnung stirbt eben immer erst zuletzt… Nun ist sie also gestorben und ich darf ganz bewusst um Tobias trauern.
Trotzdem frage ich mich in diesem Moment ob ein Ende mit Schrecken wirklich besser für einen Trauernden ist als ein Schrecken ohne Ende in dem er wenigstens noch hoffen konnte…
So schnell kann man im Leben also wieder völlig unverhofft allein dastehen und nicht nur dem Menschen, sondern auch den damit zerplatzten Träumen nachtrauern.
Ich fühle mich hilflos und vor allem auch machtlos weil ich mir immer noch denke, dass das alles einfach nicht so passiert sein kann wie es mir weisgemacht worden ist!
Immer mehr zweifele ich daran, dass Tobias so mir nichts dir nichts ganz plötzlich an einem Herzinfarkt abgekratzt sein soll!
Immer deutlicher sehe ich in Gedanken das nervöse Gesicht von Sascha vor mir, das sich zu einer bösen Fratze vollendet und scheinheilig grinst.
Jetzt wird er nicht mal mehr die Scheidung abwarten müssen und Angelika sicherlich bald heiraten und mit ins große Haus einziehen.
Doch wenn er Tobias an jenem Tag tatsächlich etwas angetan hat, wie sollte ich das nur beweisen zumal ich es ja selbst nicht genau weiß und es auch nur vermuten kann?
Wer würde mir schon glauben, ausgerechnet nachdem nun ja auch die Krankenhausärzte im Totenschein ja schwarz auf weiß bestätigt haben, dass Tobias an einem natürlichen Tode gestorben ist?
Außerdem bin ich ja gesetzlich nur die Freundin von Tobias gewesen und damit auch keine Familienangehörige.
Damit sind mir allein schon die Hände gebunden in dieser Sache ermittlungstechnisch irgendetwas in die Wege zu leiten.
Wenn, dann müsste das eigentlich schon seine Ehefrau machen. Aber die würde mich wahrscheinlich für eine übertriebene Spinnerin halten wenn ich ihr mitteilen würde, dass ich vermute dass Sascha Tobias etwas angetan haben könnte während sie im Garten gewesen ist.
Schließlich glaubt Angelika ja ausdrücklich dass ihr Sascha ein wahrer Held ist der an Tobias immerhin gute erste Hilfe geleistet hat so dass der Notarzt seinen Körper sogar kurzzeitig wiederbeleben konnte…
Mir bleibt also nichts übrig als weiterhin im Ungewissen darüber zu bleiben ob Sascha etwas mit dem Tod von Tobias zu tun haben könnte oder nicht. Ich muss es eben hinnehmen und wenigstens so tun als glaube ich an den Herzinfarkttod.
Aber irgendwie kann ich das nicht, so sehr ich mich auch bemühe es einfach nur zu akzeptieren:
es widerstrebt mir innerlich!
Wenn mein Bauchgefühl stimmt dann bin ich es Tobias schuldig der Sache nachzugehen und für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen! Dann MUSS Sascha dafür bestraft werden und darf nicht einfach so davon kommen!
kommt es mir immer wieder hoch.
Mir ist auch bewusst, dass ich auf keinen Fall weitere Zeit verstreichen lassen darf wenn ich wirklich noch die ganze Wahrheit über seinen unerwarteten Tod herausfinden will, da sonst mögliche Beweise für einen Mord mit einer baldigen Beerdigung wohl sonst niemals mehr ans Tageslicht kommen werden!
Erneut angetrieben, diesmal aber nicht von Enttäuschung sondern von einer massiven Wut gegen Sascha im Bauch, fasse ich mir ein Herz:
Entschieden stehe ich auf, wische mir meine Tränen aus dem Gesicht und greife nach meiner Handtasche.
Unverzüglich mache ich mich auf den Weg zur Polizei.
Ich atme nochmal tief durch als ich vor der Polizeistation stehe.
Auf einmal zweifele ich ob es das Richtige ist was ich da tue. Was ist, wenn ich mich irre und doch einen falschen Verdacht habe?
Ob ich mich dann strafbar mache? Ich schlucke.
Aber was habe ich denn noch schon groß zu verlieren?
Habe ich denn nicht schon mit Tobias längst alles verloren?
Ich wische mir die Tränen aus den Augen. Eigentlich wäre ich im Gegenteil doch vielmehr froh darüber wenn dabei herauskommt, dass an meinem Verdacht nichts dran ist. So könnte ich zumindest in Frieden mit Tobias Tod abschließen und hätte diese Ungewissheit nicht länger. Ich könnte es einfach nicht ertragen diese Ungewissheit bis zu meinem Lebensende mit mir herumzuschleppen!
„Okay. Du tust es jetzt einfach! Für Tobias!“ sage ich laut zu mir selbst und klingele schnell an der Sicherheits-Tür, bevor ich es mir doch noch anders überlegen könnte.
„Das geht nicht so einfach, Frau Wagner. Wie stellen Sie sich das denn vor? Sie können doch nicht einfach so eine Behauptung aufstellen ohne jegliche handfeste Beweise dafür zu haben. Wenn jeder so einfach daherkommen würde, dann müssten wir ja jeden Toten obduzieren lassen! Das kostet nämlich auch nicht gerade wenig.“ ist die Meinung des Polizeibeamten, dem ich mich nach einer kurzen Wartezeit anvertraut habe.
„Aber Tobias kann unmöglich auf diese Weise gestorben sein!“ entgegne ich dem Beamten eindringlich. Als der Beamte sich räuspert und mir nur ungläubige Blicke schenkt werde ich deutlicher.
Mir ist es auf einmal egal ob ich mich strafbar machen könnte weil ich eventuell zu viel rede.
Ich packe nun alles aus was ich über Tobias weiß und letztens auch durch meinen Besuch über seine Ehe mitgekriegt habe.
Ich erkläre dem Polizeikommissar, dass ich nicht an einen Herzinfarkt glaube da ich seit fast zwei Jahren mit Tobias eine Beziehung führe und er immer völlig gesund gewesen sei.
Ich sage ihm auch, dass ich es recht seltsam finde dass Tobias ausgerechnet ein paar Tage nach dem besagten Besuch, bei dem wir auf die Scheidung angesprochen haben, so plötzlich verstorben sei.
„Finden Sie das denn etwa nicht verdächtig?“ versuche ich den Polizeibeamten auf meine Seite zu ziehen.
Der zuckt nur mit den Achseln. „Alles reiner Zufall eben. Sie haben immerhin keine Beweise, das sind nur Vermutungen, verstehen Sie?“
Ich merke wie ich wütend werde. Ohne mich weiterhin unterbrechen zu lassen lege ich nun auch noch die anderen Karten auf den Tisch:
ich erzähle von dem seltsamen Dreiecksverhältnis mit dem Geliebten seiner Frau und der schon länger recht komischen, nicht alltäglichen Wohnsituation, die Tobias aus purer Gutmütigkeit und der Liebe zu seinen Kindern lange Zeit einfach so hingenommen hatte.
„Ja, verstehen Sie das denn nicht?“ versuche ich dem Polizisten begreiflich zu machen, „Tobias Tod ist doch praktisch für diesen Sascha ein gefundenes Fressen! Er kann ja nun seine Ehefrau heiraten und das Haus gleich miterben! Er profitiert ja jetzt von seinem Tod! Das werden Sie doch einsehen!“
Mir fällt auf, dass der Beamte die ganze Zeit schon an seinem Kugelschreiber herumspielt während er mir mit halbem Ohr zuhört. Ich fühle mich von ihm nicht wirklich ernst genommen...
„Das mag ja alles sein, Frau Wagner. Aber Sie begeben sich da auf gefährliches Terrain… Wenn nämlich keine triftigen Gründe für Ihre Behauptung vorliegen, dann kann man Sie wegen übler Nachrede anzeigen.“ ermahnt mich der Beamte.
Ich bin auf einmal wahnsinnig enttäuscht von seinen Aussagen und zweifle augenblicklich auf solch einem Rechtsstaat! Ich denke nicht mal dran einen Hehl daraus zu machen meine Enttäuschung dem Beamten auch augenblicklich mitzuteilen.
„Das darf doch einfach nicht wahr sein! Zählt denn Zivilcourage in unserem Land gar nichts mehr? Mal angenommen ich habe recht, dann darf ein Mörder einfach weiterhin so frei herumlaufen ohne dass dieser Sache nachgegangen wird? Unglaublich!“
Ich schnaube vor Entrüstung.
Meine Hände sind ganz feucht vor Erregung und mein Herz klopft mir inzwischen schon bis zum Hals.
Mir ist bewusst, dass ich mich schnell wieder beruhigen muss wenn ich weiterhin angehört werden will, denn die Geduld des ohnehin schon gelangweilten Beamten scheint allmählich ganz zu schwinden…
„Nun, Sie müssen auch die Polizei verstehen.“, redet der Beamte nun beruhigend auf mich ein, „Wir müssten eine richterlichen Beschluss anordnen, in diesem Falle übernimmt dann der Staat die Kosten für eine Leichenöffnung. Aber nur mit reinen Behauptungen kommen wir hier nicht sehr weit…“
„Wenn die Polizei sowieso nie etwas tut, wofür werden Sie denn dann noch bezahlt?“ wimmere ich mit frustriertem Ton weiter.
Der Kommissar hebt ermahnend den Zeigefinger. „Immer sachte, gute Frau! Aufpassen, so können Sie mit der Executive nicht reden!“
Augenblicklich fange ich mich wieder.
„Es ist ja nicht so, dass ich eine vorsätzlich falsche Behauptung hier tätige. Immerhin sage ich doch nur dass ich eine Vermutung habe…“ versuche ich es nochmal im Guten.
Ich will nicht einfach so aufgeben!
Glücklicherweise fällt mir nun auch der Streit ein, den Sascha und Tobias letztens hatten.
Ich erzähle ihm, dass Sascha damit gedroht habe Tobias umzubringen wenn er sich noch einmal seinen Kindern nähern sollte. Der Polizist schaut mich dabei nachdenklich an.
Ich breche plötzlich in Tränen aus und will nun doch aufgeben. Mir wird klar, dass ich bei der Polizei kein bisschen weiterkomme und den Tod von Tobias wohl doch einfach so hinnehmen muss. Ohne auch noch ein Wort zu sagen drehe ich mich um und will gerade gehen, als der Beamte mich plötzlich zu sich zurück winkt. Ob er doch Mitleid mit mir hat?
Sein Gesicht wirkt jedenfalls auf einmal recht zufrieden…
„Moment mal, Frau Wagner. Heißt das, dass Sie in diesem Gespräch zwischen Herrn Bader und diesem Sascha als Zeugin diese Erpressung mit Todesdrohung live mitgekriegt haben?“
Ich schöpfe sofort neuen Mut.
Nickend komme ich näher.
„Na, das ist doch schon mal etwas handfestes womit die Staatsanwaltschaft was anfangen kann…“ meint der Polizist tröstend und fängt nun damit an auf seiner Computertastatur herum zu tippen.
Während ich die nächsten Tage mit gemischten Gefühlen das Ergebnis der Obduktion abwarte, meldet Angelika sich telefonisch bei mir.
Ihre Stimme klingt enttäuscht und sie macht auch keinen Hehl daraus mir mitzuteilen wie sinnlos und unnötig sie meine Aktion findet.
„Das du uns das antun musst, Kim! Ich bin wahnsinnig enttäuscht von dir! Würdest du Sascha so etwas wirklich zumuten, nach alledem was er für Tobias an erster Hilfe geleistet hat, schon vergessen?“ schreit sie mich am Telefon zusammen.
Ich versuche sie emotional aufzufangen.
„Angelika, wenn da wirklich etwas dran ist, dann muss es doch auch in deinem Sinne sein dass die Sache nochmal untersucht wird. Womöglich bist du mit einem Mörder zusammen!“
„Wirst sehen, sie werden nichts finden. Da bin ich mir ziemlich sicher! Ganz einfach weil es eine Lüge von dir ist! Sascha könnte so etwas doch niemals tun, ich vertraue ihm. Wie kommst du eigentlich auf so einen Blödsinn, Kim? Es graut mir ja schon allein der Gedanke dass sich nun die Beerdigung verschiebt und Tobias auch noch von irgendwelchen Ärzten aufgeschlitzt wird. Das ist doch absolut unmenschlich!“
Immer noch ist Angelika ziemlich aufgebracht.
„Angelika, erinnere dich doch bitte daran dass Sascha ihn vor ein paar Tagen sogar angedroht hat ihn umzubringen! Das kann man doch nicht einfach so abtun.“ versuche ich ihr ins Gewissen zu reden.
Doch Angelika will es nicht glauben.
Klar, dass sie blind vor Liebe ihren Sascha in Schutz nimmt und über ihn nichts kommen lassen will.
„Du weißt doch dass Sascha betrunken war! Er ist Sanitäter. Solche Menschen können doch gar nicht andere Leute umbringen, schon allein von ihrer Moral her! Sie helfen anderen Menschen nämlich.“ beharrt sie darauf. Dann macht sie eine kurze Redepause in der ich sie schluchzen höre.
„Sascha sollte dich wirklich wegen übler Nachrede anzeigen! Aber ich bin so fertig von Tobias Tod, dass ich einfach nur noch meine Ruhe haben will und nicht noch weiteren Papierkram um den ich mich kümmern muss. Ich will wirklich nur noch die Beerdigung überstehen und dich dann nie wieder sehen, Kim! Denn was du mir alles angetan hast in dieser kurzen Zeit geht wirklich nicht auf eine Kuhhaut! Nicht nur, dass du alles durcheinander gebracht hast in meiner Beziehung, sondern auch jetzt bringst du nur Unheil und unnötigen Stress ins Haus! Nicht mal vor dem Tod hast du Respekt. Also wirklich, ich bin echt so enttäuscht von dir! Was hast du dir denn nur dabei gedacht?“ Fast schon schafft sie es, dass ich ein schlechtes Gewissen kriege.
„Aber Angelika, du musst mich doch auch verstehen…“ versuche ich noch einmal an ihr Verständnis zu appellieren.
Doch sie fängt jetzt an mich anzuschreien.
„Du sollst aus meinem Leben endlich verschwinden! Hörst du, Kim? Lass mich bitte ein für alle Mal in Ruhe! Tobias ist tot, das ist für mich schlimm genug. Was also willst du mir sonst noch alles abverlangen?“
Sie hat sich inzwischen so hochgeschaukelt, dass sie abrupt auflegt.
Mir ist nun bewusst dass ich mit meiner Anzeige mir also nicht nur Sascha zum Feind gemacht habe, sondern jetzt auch noch Angelika mich auf dem Kicker hat. Obwohl sie mir Leid tut ist mir das aber im Moment vollkommen gleich.
Umso schlechter ist mein Gewissen dann aber ihr gegenüber als ich, wider meine Vermutungen, nach knapp einer Woche erfahre dass die durchgeführte Leichenöffnung ins Leere verlaufen ist.
Bei der Obduktion hätten sich keinerlei Hinweise darauf ergeben dass Tobias einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sei, somit wird auch der Leichnam von Tobias nun unmittelbar für die anstehende Beerdigung freigegeben.
Darüber bin ich zwar nun sehr erleichtert, gleichzeitig gesellt sich aber nun neben meiner Trauer ein sehr schlechtes Gewissen gegenüber Sascha dazu.
Noch schlimmer wird mein schlechtes Gewissen gegenüber Sascha und auch Angelika, als ich eines Morgens die Traueranzeigen in der Zeitung lese und dabei auf die Traueranzeige von Tobias stoße...
Wenn die Liebe einen Weg zum Himmel fände und Erinnerungen Stufen wären, würden wir zu Dir hinaufsteigen und Dich zurückholen.
Nach einem plötzlichen Herzinfarkt verstarb: Tobias Bader: geliebter Ehemann, Familienvater und bester Freund.
Es trauern um ihn seine Ehefrau Angelika Bader mit beiden Kindern und sein bester Freund Alexander Kaas.
Nachdenklich lege ich die Zeitung beiseite.
Ich wusste ja gar nicht, dass Sascha angeblich so ein super Freund für Tobias war, obwohl er ihm doch eigentlich seine Ehefrau weggeschnappt hat!
Auch wenn mich die Traueranzeige, die Angelika in der Zeitung aufgegeben hat, sehr berührt so finde ich die ganze Wortwahl etwas zu übertrieben und aufgetrumpft. Aber vielleicht irre ich mich ja doch wieder und die Freundschaft zwischen Sascha und Tobias war tatsächlich so tief…
Schließlich kann man in einen Menschen ja nicht hineinsehen und ich habe Sascha ja auch nur einmal gesehen und kenne ihn eigentlich so gut wie gar nicht.
Ich habe auf einmal das Verlangen mich bei den beiden unbedingt für die Unannehmlichkeiten wegen der Strafanzeige entschuldigen zu müssen.
Gleichzeitig möchte ich mich innerlich von meinem geliebten Tobias bei der Beerdigung noch ein letztes Mal bewusst verabschieden.
Ich bin mir sicher dass ich dann erst, nach der Beerdigung, soweit sein werde mich an einen Psychologen zu wenden und Schritt für Schritt mit der Trauer fertig zu werden…
Obwohl ich mich nun eigentlich bei Angelika und vor allem Sascha für die unnötige Belastung, die ich den beiden angetan habe schäme, fasse ich neuen Mut und entnehme aus der Traueranzeige den Termin für die Beisetzung Tobias.
Gedanklich bereite ich mich schon mal auf die Beerdigung vor. Nicht nur dass ich es kaum ertrage mir vorzustellen wie sie Tobias Sarg hinunterlassen werden, auch das Kopfzerbrechen darüber wie ich Angelika und Sascha bei der Beerdigung am besten begegnen sollte ohne sie noch ein weiteres Mal unnötig zu kränken, macht mir zu schaffen.
Ich werde ihnen einfach meine Hand entgegenstrecken, mich bei den beiden entschuldigen und ihnen mein Beileid aussprechen, bereite ich mich gedanklich auf die mir bevorstehende, unangenehme Situation vor.
Und nach der Beerdigung werde ich dann wohl wirklich besser aus dem Leben der beiden verschwinden!
Eigentlich habe ich bisher immer alle Leute die mit Sonnenbrillen auf einer Beerdigung aufkreuzen für äußerst geschmacklos gehalten.
Nie hätte ich von mir gedacht, dass ich gar jemals selbst mal in eine solche Situation kommen werde in der ich nicht unbedingt sofort auf einer Beerdigung erkannt werden will...
Doch jetzt bin ich gerade dabei mir selbst eine Sonnenbrille aufzusetzen bevor ich vor die Tür gehe.
Ich möchte auf keinen Fall gleich erkannt werden von den beiden, insgeheim hoffe ich sogar dass sie mich überhaupt nicht erkennen werden!
Denn etwas mulmig ist mir ja schon zumute als ich mit Sonnenbrille und völlig in schwarz gekleidet meine Wohnung verlasse.
Ich rechne ja schon damit, dass ich bei der Trauerfeier nicht gerade erwünscht sein werde nach meiner Fehlanzeige. Jedoch war Tobias immerhin auch mein Lebenspartner, obwohl er noch mit Angelika verheiratet gewesen ist!
„Wird schon alles gut gehen, Kim. Schließlich gehst du ja für Tobias dorthin, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Da kann es dir ja egal sein was Sascha oder Angelika nach dem Ganzen noch von dir halten!“ rede ich mir selbst Mut zu.
Als ich, ganz nach meinem Plan, etwas verspätet am Friedhof ankomme um mich heimlich dazu zu schleichen, ist der Trauermarsch schon in vollstem Gange. So gelingt es mir mich einfach unter die Trauergäste zu mischen nachdem ich zuvor noch ein wenig abseits gestanden bin.
Es dauert nicht lange und ich sehe die weinende, arme Angelika, die liebevoll von ihrem Sascha gestützt wird. Auf einmal völlig ergriffen von Mitleid und dem geteiltem Leid bei diesem Anblick, fasse ich mir nun doch ein Herz und gehe direkt auf die beiden zu.
Vor allem weil mir angesichts der bedrückenden Atmosphäre nun selbst wieder die Tränen kommen.
„Du? Ausgerechnet du? Du hast ja Nerven nach alledem was du Sascha und auch meinen Nerven angetan hast mit deiner Polizei!“ schluchzt sie laut auf als ich auf sie zukomme.
„Angelika, es…tut mir ja alles so von Herzen leid, ehrlich! Meine Fantasie muss wohl in der Trauer mit mir durchgegangen sein. Bitte verzeiht mir beide.“ stammele ich schuldbewusst und halte ihnen versöhnlich meine Hand hin.
Doch Angelika dreht sich beleidigt von mir weg und ignoriert mich ab sofort nur noch.
„Verstehe,“ ergreift nun Sascha netterweise das Wort, „nicht nur was du uns damit angetan hast, Kim. Du hast unserem Ruf vollkommen geschadet und den armen Tobias hast du damit ja sogar noch, nach seinem Tod wohlgemerkt, zum Laborkaninchen verdonnert und damit seine Totenruhe gestört! Das ist wirklich nicht sehr schön von dir gewesen, Kim!“ entgegnet Sascha mir beleidigt.
Ich will gerade noch etwas dazu sagen aber da hat auch Sascha sich schon umgedreht und reiht sich nun, neben Angelika, wieder in den Trauerzug ein.
Okay, sie wollen nicht mehr mit mir sprechen. Dann stehe ich das eben jetzt nur noch durch und haue dann ab, denke ich mir und wische mir die Tränen aus dem Gesicht.
Trotzdem stelle ich mich direkt hinter die beiden und versuche mir nicht anmerken zu lassen wie sehr mich das Verhalten der beiden gekränkt hat.
Während Sascha und Angelika mich weiterhin nicht mehr länger beachten starre ich, mit weitaufgerissenen Augen, nach vorne:
Die Trauergäste reichen sich nun, nacheinander, eine Schaufel und jeder wirft der Reihe nach ein Häufchen Erde auf den Sarg, der sich zwei Meter tief in einer offenen Stelle im Boden befindet.
Je näher ich dem Sarg komme umso intensiver wird meine Trauer und ich muss an Tobias denken, wie er gelacht hat, wie grandios unser Sex gewesen war und an unsere Träume die wir gehabt hatten…
Angelika ist nun bereits vor mir dran und bricht auf einmal unter ihren Tränen zusammen.
„Ich werde dich immer lieben, Tobias!“ schreit sie aus Leibeskräften und wirft nicht nur etwas Erde auf den Sarg, sondern kniet sich nun direkt davor.
Aus ihrer Tasche zieht sie eine weiße Rose heraus und einen verschlossenen Briefumschlag auf den sie lauter Herzen draufgemalt hat.
Schluchzend und mit letzter Kraft wirft sie die beiden Sachen nun ebenfalls auf den Sarg und überreicht dann Sascha die Schaufel.
Sascha wirft nun ebenfalls etwas Erde auf den Sarg und hilft danach Angelika auf, die immer noch völlig am Boden zerstört ist.
Als die beiden anschließend an mir vorbeigehen übergibt Sascha mir die Schaufel ohne mich nochmals eines Blickes zu würdigen. Dann geschieht alles so schnell: plötzlich stolpert Angelika und fällt dabei etwas unsanft gegen mich. Beinahe wäre ich in das offene Loch vor mir gefallen, hätte mich glücklicherweise der junge Mann hinter mir nicht gerade noch aufgefangen!
„Hoppla! Gerade nochmal gut gegangen, junge Frau!“
„Sorry.“ sagt Angelika nur völlig emotionslos und geht dann mit Sascha weiter.
Mein Herz klopft wie wild, immer noch bin ich völlig auf Adrenalin. Fast wäre ich auf den Sarg gefallen!
Doch ich fasse mich schnell wieder und werfe nun auch eine Schaufel Erde drauf, dann gebe ich die Schaufel rasch an den Mann weiter der mich gerade eben aufgefangen hat.
„Danke, Ihnen.“ hauche ich dabei nochmal leise, während er die Schaufel ergreift und mich freundlich anlächelt.
Neugierig suche ich nun mit meinen Augen nach Angelika und entdecke sie etwas weiter vorne mit Sascha neben der Kapelle.
Die beiden Kinder stehen jetzt ebenfalls daneben. Miriam heult und Sascha tätschelt ihr tröstend die Schulter, wohingegen der kleine Tom scheinbar noch nicht genau begreifen kann was da eigentlich gerade um ihn herum geschieht.
Als Angelika mich bemerkt, wirft sie mir nur einen verächtlichen Blick zu und unterhält sich dann mit einer Frau weiter, die ich nicht kenne und die ihr nun beileidsvoll die Hand schüttelt.
Während ich und Angelika weitere Blicke austauschen werde ich einfach das ungute Gefühl nicht los, dass sie eigentlich vorhin gar nicht wirklich gestolpert ist.
Ich frage mich auf einmal ob Angelika vorhin tatsächlich nur versehentlich oder aus purer Absicht gestolpert ist… Irgendwas in mir sagt mir, dass da eine pure Boshaftigkeit im Spiel gewesen ist!
„Das ist ja gerade nochmal gut gegangen!“ höre ich auf einmal jemand neben mir sagen.
Als ich mich umdrehe erkenne ich sofort den netten Mann wieder, der mich vorhin gerade noch aufgefangen hatte. „Vielen Dank, nochmal. Sie haben echt schlimmeres verhindert.“ sage ich anerkennend. „Holger. Und du kannst mich übrigens schon Duzen, so alt bin ich ja auch noch nicht!“ stellt er sich vor und reicht mir seine Hand.
„Kim.“ stelle ich mich ihm nun ebenfalls vor.
Neugierig mustert er mich.
„Hast du den Tobias denn gut gekannt?“ will er von mir wissen.
„Ich war seine Lebensgefährtin.“ antworte ich traurig. „Oh, das tut mir leid.“ sagt er jetzt schnell und sieht mich nun ziemlich mitleidig an.
„Und du, Holger?“ frage ich nun um von mir abzulenken weil es mir etwas unangenehm ist.
„Ich bin nur ein flüchtiger Bekannter von Tobias. Eigentlich habe ich Tobias nur einmal gesehen als ich eine Party gegeben habe. Ich habe Tobias durch Saschas Freundin Angelika kennengelernt.“ gibt Holger Auskunft.
„Ich bin nämlich ein guter Kollege und Freund von Sascha. Wir arbeiten beide beim Bayerischen Roten Kreuz und sind Sanitäter.“ fügt Holger noch erklärend hinzu als ich ihn etwas verwundert anschaue. „Ach so.“ nicke ich und schweige dann. Mir fällt nichts mehr ein was ich sonst noch zu ihm sagen könnte.
„Das ist schon komisch“, fängt Holger plötzlich an, „als ob Sascha eine Vorahnung gehabt hätte…
Er muss Tobias wohl sehr nahe gestanden haben.“ Dabei schüttelt er ungläubig den Kopf.
Sofort werde ich hellhörig.
„Nahe gestanden? Vorahnung? Wie meinst du das?“ hake ich augenblicklich nach.
Holger zuckt mit den Schultern.
„Naja, ausgerechnet ein paar Tage bevor Tobias seinen Herzinfarkt hatte ist Sascha noch zu mir gekommen. Er hat mich darum gebeten unbedingt seinen Notfallkoffer neu aufzufüllen. Ich habe ihm dann noch auf seinen Wunsch hin einige Medikamente in seinen Koffer gegeben. Schon seltsam. Als ob Sascha es vorhergesehen hat dass er bald schon diesen Notfallkoffer brauchen würde. Wahrscheinlich liegt das aber auch einfach jedem Sanitäter im Blut, dass wir schon vorher wissen wann wir gebraucht werden. Sascha ist eben ein Sanitäter mit Leib und Seele musst du wissen.“ lächelt Holger. Dann verstummt er wieder und schaut mich betroffen an. „Tut mir wirklich aufrichtig Leid, dass selbst Sascha es trotzdem nicht verhindern konnte, dass Tobias so plötzlich verstorben ist.“ sagt Holger dann, „Aber manchmal sind selbst wir Sanitäter und auch die besten Ärzte leider machtlos.“
Ehrlich und mitfühlend mustert er mich mit seinen grünen Augen. „Tja, so ist das wohl im Leben.“ stimme ich ihm seufzend zu und verabschiede mich von ihm. Ich fühle mich total unwohl: diese seltsame Andeutung gerade eben, der Sarg mit dem toten Tobias und die verachtenden Blicke von Sascha und Angelika sind für mich heute mehr als genug.
Ich möchte jetzt einfach nur noch so schnell wie möglich nach Hause weil ich diesen Ort hier nicht mehr länger aushalte! Ich rufe mir ein Taxi…
Sobald ich zu Hause angekommen bin lässt mich der Zweifel nicht los, dass Angelika heute angeblich nur gestolpert ist. Wäre ich tatsächlich auf den Sarg gefallen dann hätte das einfach nur als ungeschickter Unfall ausgesehen...
Ob Angelika mich absichtlich verletzen wollte weil sie mich so sehr verachtet?
Ob mein erster Eindruck, den ich von Angelika hatte, wohl doch nicht so verkehrt war und sie im Grunde doch eine hinterlistige Schlange ist?
Wenn mein Bauchgefühl mich nicht trügt dann habe ich heute gemerkt wie boshaft sie auf einmal sein kann! Auch über Holgers Worte muss ich ständig nachsinnen: was ich heute von Holger erfahren habe klingt für mich auf einmal sehr alarmierend!
Warum hat Sascha denn ausgerechnet ein paar Tage vor Tobias Herzinfarkt diesen Holger aufgesucht um seinen eigenen Notfallkoffer aufzurüsten?
Je länger ich darüber nachdenke umso mehr kommt es mir, dass es wohl ziemlich genau am Tag nach dem Streit zwischen Sascha und Tobias gewesen sein muss, dass Sascha seinen Kollegen Holger aufgesucht hat!
Als ob Sascha alles geplant hätte…
Erneut steigt in mir dieses miese Gefühl auf dass mit Tobias plötzlichen Tod etwas nicht stimmen kann.
Ich bin mir sogar auf einmal absolut sicher, dass ich den beiden, weder Angelika noch Sascha vertrauen kann!
Irgendetwas ist da eindeutig faul an der Sache und ich bin mir sicher, dass ich es schon noch herausfinden werde! denke ich mir trotzig.
Dazu muss ich unbedingt diesen Holger nochmal sprechen und ihn genauer ausquetschen!
Ob er vielleicht noch mehr weiß?
Ich nehme mir vor gleich in den frühen Morgenstunden zum Bayerischen Roten Kreuz zu fahren um diesen Holger aufzusuchen.
Recht früh, gleich am nächsten Morgen, tauche ich beim Roten Kreuz auf.
„Sie müssen schon entschuldigen, Fräulein, aber wir haben hier mehrere Holgers. Welchen von denen meinen Sie denn genau?“ will einer der Mitarbeiter vom Bayerischen Roten Kreuz von mir wissen und kratzt sich nachdenklich am Kopf als ich einen Holger sprechen will.
Etwas hilflos versuche ich Holger zu beschreiben. „Na ja, er dürfte so in etwa um die Ende Dreißig, Anfang Vierzig sein und er hat…so braunes, halblanges Haar…“
Der Typ mustert mich etwas verwundert doch dann scheint ihm eine Erleuchtung zu kommen.
„Ach, Sie meinen wahrscheinlich den ehemaligen Schichtkollegen von Herrn Alexander Kaas!“ kommt es ihm. Aufgeregt nicke ich.
„Ja, ja, genau. Von Herrn Alexander Kaas!“
Ich bin mir ziemlich sicher dass das der richtige Holger sein muss, da ja nur jemand in Frage kommen kann der eine Verbindung zu Sascha aufweist.
„Hm“, winkt der Mitarbeiter geduldig ab, „da muss ich Sie leider enttäuschen. Der Holger, den Sie sprechen wollen, der ist gerade in einem Einsatz. Wenn Sie aber solange warten wollen…“
„Ja, ich warte. Vielen Dank.“ unterbreche ich den Mann hartnäckig.
„Ich könnte ihm aber auch etwas ausrichten oder Sie könnten mir ja Ihre Telefonnummer hinterlassen…“ schlägt der Mann mir entgegenkommend vor.
Ich schüttele energisch den Kopf.
„Nein, ich warte lieber. Vielen Dank nochmal.“
Also zuckt er mit den Schultern und geht wieder ins Gebäude während ich mich draußen auf eine Bank setze von woher aus ich genau den Parkplatz beobachten kann. So würde mir kein eintreffender Rettungswagen entgehen.
Es dauert auch nicht lange und ein Krankenwagen kommt angefahren, der direkt neben mir zum Stillstand kommt. Zu meinem Glück steigt Holger aus ihm aus, ich erkenne ihn gleich wieder und springe unmittelbar auf.
Verwundert blickt Holger mich an und kommt überrascht auf mich zu sobald er mich sieht.
Etwas nervös fährt Holger sich dabei übers Haar und streckt mir dann zur Begrüßung seine Hand entgegen.
„Kim? Die Welt ist klein…Was machst du denn hier?“ „Tja, so schnell sieht man sich wieder!“ versuche ich es mit Humor zu nehmen um die Ernsthaftigkeit meines Besuches ein wenig herunter zu spielen und nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. „Na ja…“ Holger weiß nicht so recht was er sagen soll und schaut mich gespannt an.
Also komme ich nun doch gleich auf den Punkt.
„Ich gestehe, es ist kein Zufall dass ich hier bin. Holger, ich weiß nicht so genau wie ich anfangen soll aber wir müssen dringend reden.“
Holger nickt verständnisvoll und gibt mir ein Zeichen kurz zu warten.
Er verschwindet mit einer Patientenmappe im Gebäude und kommt nach knapp zehn Minuten wieder heraus zu mir auf den Parkplatz, in seiner Hand zwei Becher Kaffee.
„Danke, Holger.“ lächele ich ihm zu und nehme gerne einen der mir angebotenen Becher an.
„Also, die Sache ist die…“ beginne ich etwas zögernd, nachdem er sich neben mich auf die Bank gesetzt hat.
„Du hast doch da gestern auf der Beerdigung so eine Anmerkung gemacht, dass Sascha kurz vor dem Tod von Tobias seinen Notfallkoffer noch bei dir aufgefüllt hätte…“ fahre ich fort.
Erwartungsvoll schaut Holger mich an.
„Ja? Und?“
Ich komme mir im Moment ziemlich dumm vor:
da ist ein Typ, den ich noch nie zuvor gesehen habe, den ich eigentlich überhaupt nicht kenne und dem ich begreiflich machen will, dass ich vermute dass sein Arbeitskollege meinen Partner ermordet haben könnte. Gleichzeitig möchte ich ihm das so schonend beibringen ohne auf ihn hysterisch oder irgendwie völlig durchgeknallt zu wirken!
Holgers grüne Augen wirken auf einmal gütig und sanft.
Er schaut mir jetzt direkt ins Gesicht.
Also werde ich mutiger und lasse es ganz unverblümt heraus was ich mir denke.
„Ich weiß, dass klingt jetzt etwas strange, aber ich habe die Vermutung dass Tobias nicht einfach an einem Herzinfarkt gestorben ist, sondern… dass er ermordet wurde.“
Holgers Augen werden augenblicklich grösser.
Er starrt mich jetzt vielmehr erschrocken an, anstatt wie vor kurzem sanftmütig...
„Sag mal, heißt das du verdächtigst Sascha als Mörder?“ begreift Holger meine verblümte Anspielung sofort.
Aber so wie er es sagt klingt das so als sei ich richtig fies.
„Das möchte ich auch nicht unbedingt behaupten. Aber ich…ich weiß es nicht.“ verteidige ich mich schnell. Holger schaut mich jetzt verachtend an und steht auf. „Wie bist du denn drauf? Sag mal, guckst du zu viele Thriller oder was? Sascha ist mein bester Freund, schon seit Schulzeiten kennen wir uns. Wir haben alles gemeinsam gemacht, schon immer! Ich kenne Sascha und lege meine Hand dafür ins Feuer, dass er kein schlechter Mensch ist. Der ist niemals dazu fähig einen Mord zu begehen! Bei allem Respekt Kim, ich verstehe schon wie traurig der Tod deines Freundes für dich sein muss aber du solltest dir lieber einen Therapeuten suchen anstatt hier Fantasy-Geschichten aufzutischen, nur weil du mit dem Tod von Tobias nicht klarkommst!“ schimpft er und will gerade gehen.
Verzweifelt halte ich Holger am Ärmel fest.
„Bitte hör mir zu, Holger, ich bitte dich!“ schluchze ich los und mir kommen auf einmal die Tränen. Holger zögert etwas und seufzt dann. Aus seinem verachtenden Gesichtsausdruck wird jetzt ein mitfühlender Blick.
„Also gut, aber mach schnell weil ich habe Dienst!“ meint er und setzt sich nun doch noch einmal hin.
Nun sprudelt es aus mir heraus. Ich erzähle ihm alles was sich bis zu Tobias plötzlichem Tod zugetragen hat und auch dass ich bereits schon eine Obduktion eingeleitet hatte, die aber leider ins Leere verlaufen sei. Als ich fertig bin, schweigt Holger nachdenklich. „Ich gebe zu, dass das Ganze schon irgendwie recht seltsam klingt so wie du es mir gerade erzählt hast. Aber Sascha ein Mörder…Das kann ich nicht glauben!“ wiederholt Holger nochmal, diesmal aber so als würde er selbst allmählich daran zweifeln.
Er zündet sich nun nervös eine Zigarette an.
„Wenn ich aber genauer nachdenke, irgendwie komisch ist Sascha die letzte Zeit ja schon geworden…“
„Wie meinst du das?“ frage ich sofort.
Erst zögert er, doch dann packt Holger aus und erzählt mir, dass Sascha, seit er mit Angelika zusammen ist, nur noch unter ihrem Pantoffel stehen würde.
„Es ist als sei er die letzte Zeit ein anderer Mensch geworden…Ständig hatte ich die letzte Zeit das Gefühl als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders, immer wieder sah Sascha nur auf seine Uhr und betonte fast täglich, dass Angelika auf ihn warten würde und er keine Zeit hätte. Es schien für mich fast schon so als hätte er Angst vor ihr, als beherrsche sie ihn vollkommen und würde ihn ständig kontrollieren…“
Ich werde hellhörig. „Angst?“
Holger nickt. „Ja, schon. Es ist, als hätte seine neue Freundin Besitz von ihm ergriffen. Er traute sich nicht mal mehr mit mir nach Feierabend noch auf ein Bier in eine Kneipe zu gehen, da Angelika ihn ständig anrief und ihm drohte, dass sie mit ihm Schluss machen würde wenn Sascha nicht so springt wie sie es will.“
„Ja, genauso schätze ich Angelika auch ein. Seit ich sie das erste Mal gesehen habe.“ nicke ich zustimmend. Holger vertraut mir jetzt sogar an, dass er mal eine Party gegeben hatte und Sascha mit seiner neuen Freundin eingeladen hätte um sie besser kennen zu lernen. „Stell dir vor, Kim, kaum war Sascha betrunken und auf dem Klo verschwunden, da baggerte mich Angelika ganz unverfroren an! Sie hatte zwar auch einen kleinen Schwips damals, aber trotzdem gehört sich das einfach nicht. Schließlich ist sie ja mit meinem besten Freund zusammen!“
Holger erzählt mir wie Angelika ihn einfach in eine Ecke gezogen hat und ihr T-Shirt hochgehoben hätte. „Sie trug nicht mal einen BH! Sie sagte: Die zwei Dinger sind doch süß, oder? Die kannst du gerne haben…“ wiederholt Holger voller Abneigung Angelikas damalige Anmache.
Ich schüttele empört den Kopf.
„Was für ein Flittchen! Unfassbar!“ schimpfe ich auf Angelika. Ich bin fassungslos! Tobias Ehefrau schien ja noch sehr viel gerissener zu sein als ich es vermutet habe! Da hat Angelika schon mit zwei Männern gespielt, die alle beide hoffen sie würde sich endlich einmal ganz für sie entscheiden und die sie beide jahrelang hingehalten hat und dann wollte sie sich mal auch noch an den Freund von Sascha ranmachen?!
Was um Himmels willen geht bloß im Kopf von Angelika vor?!
Was denkt diese blöde Kuh eigentlich wer sie ist?!
„Ich bin darauf natürlich nicht eingegangen und hab mich dann einfach im Laufe des restlichen Abends von ihr abgewendet.“ erzählt Holger weiter.
„Was hat Sascha denn dazu gesagt?“ will ich von ihm neugierig wissen.
„Selbstverständlich habe ich ihm nichts davon gesagt und es für mich behalten. Immerhin waren an dem Abend alle betrunken und ich wollte keinen unnötigen Unfrieden zwischen den beiden stiften.“ meint Holger.
„Verstehe. Aber vielleicht hättest du es Sascha lieber trotzdem sagen sollen, ich glaube, dass Angelika nämlich gerne mit Männern spielt.“ sage ich. „Vielleicht hätte ich.“ wirft sich Holger nun nachdenklich vor. Nun kommt ihm ein Gedanke.
„Wenn du Recht hast, dann steckt Sascha sicherlich nicht hinter einem Mord, eher denke ich dass das raffgierige Weibsstück damit zu tun haben muss, sollte es tatsächlich zu einem Mord gekommen sein…“ nimmt Holger seinen Freund erneut in Schutz. „Du hast Recht. Vielleicht hat sie ja Sascha dazu angestiftet…“ kommt es mir auf einmal.
Holger hebt mahnend seinen Zeigefinger.
„WENN dein Tobias ermordet wurde, wohlgemerkt. Das weißt du aber nicht sicher, Kim.“
„Immerhin erbt sie ja jetzt das Haus und kriegt eine gute Witwenrente, hab ich gehört.“ sagt Holger dann nachdenklich und zündet sich eine weitere Kippe an. Bei dem Gedanken trauere ich erbost meinen zerbrochenen Traum von einem gemeinsamen Leben mit Tobias auf Mallorca hinterher.
„Die Kinder tun mir auf jeden Fall am meisten leid.“ seufzt Holger und bläst dabei mit seinem ausatmenden Zigarettenrauch gedankenverloren Ringe in die Luft.
„Was genau wollte Sascha denn von dir für seinen Notfallkoffer?“ hake ich nach, da ich merke dass Holger sich mir gerade völlig geöffnet hat.
„Das ist eigentlich schon seltsam…hauptsächlich wollte Sascha starke Narkosemittel von mir, wie Dormican. Aber auch Ketanest und Hypnomidate…“
Ich verstehe nicht. „Was ist das genau?“
„Das sind ebenfalls starke Narkotika. Ich habe ihn aber nicht genau gefragt wofür er die unbedingt braucht. Wir fragen uns so etwas untereinander nicht.“ erklärt mir Holger und fährt sich wieder nervös durch die Haare.
„Kann man damit einen Menschen auch umbringen?“ will ich jetzt ganz direkt wissen. Holger nickt langsam. „Ja, schon. Wenn man zu viel davon nimmt…“
Er dreht sich nun mit seinem Gesicht direkt zu mir hin. „Du, das ganze kommt mir auch so langsam etwas spanisch vor!“ gesteht Holger mir endlich.
„Würdest du bitte mit mir zur Polizei gehen und denen das sagen? Vielleicht kann man doch noch etwas herausfinden…“ bitte ich ihn ohne zu zögern.
Doch Holger zögert. „Sascha ist mein bester Freund, ich kann doch nicht gegen ihn… Sollte ich denn nicht lieber zuerst mal mit Sascha persönlich reden? Es ist ja alles immerhin doch nur Spekulation…“
„Bitte, Holger! Ich habe Tobias geliebt! Du glaubst doch wohl nicht dass Sascha einen Mord zugeben würde!“ bettele ich ihn eindringlich an.
„Na ja, “ beginnt Holger, „immerhin möchte ich da aber auch nicht reingezogen werden, sollte dein Tobias tatsächlich eines unnatürlichen Todes gestorben sein. Ich möchte mit solchen Dingen wie Mord wirklich nichts zu tun haben, schließlich bin ich Sanitäter, ich helfe Menschen!“ überlegt Holger laut.
Holger wirkt auf einmal sehr unsicher.
Sofort wittere ich meine Chance.
„Sollte da doch noch was rauskommen dann bist du aber auch fett! Und ich werde nicht aufgeben die Wahrheit herauszufinden!“ drohe ich Holger jetzt entschieden.
„Ich habe eine kranke Mutter, die ich pflege. Die braucht mich! Ich kann nicht ins Gefängnis…“ entgegnet Holger mir plötzlich ängstlich.
Dann steht er auf. „Also gut, Kim. Lass uns zur Polizei fahren! Ich werde denen sagen was ich weiß. Dann bin ich wenigstens aus dem Schneider sollte da was dran sein, ich will nichts damit zu tun haben!“
Dankbar schaue ich Holger an.
„Immerhin ist es ja auch deine menschliche Pflicht als verantwortungsbewusster Sanitäter, oder?“ rede ich ihm nochmal ins Gewissen.
„Okay. Ich muss nur nochmal kurz reingehen und dem Chef Bescheid geben.“ nickt Holger und verschwindet wieder kurz im Gebäude.
Als er wieder herauskommt winkt er mich zu sich. „Komm, dort vorne steht mein Auto. Wir fahren sofort los!“
Sobald wir die Polizei erreicht haben und der Kommissar vom letzten Mal mich eintreten sieht, rollt er genervt mit den Augen.
„Sie schon wieder? Sie haben mir doch schon genug unnötige Zeit gekostet!“
Ich lasse mich aber von ihm auch diesmal nicht einfach so abwimmeln.
„Diesmal habe ich aber noch einen Zeugen!“ sage ich laut und zeige auf Holger, der etwas hilflos neben mir steht und sich laut Gesichtsausdruck vermutlich frägt ob er gerade richtig handelt.
Der Beamte hebt eine Augenbraue. „So?“
Ich nicke Holger aufmunternd zu und so erzählt er dem Beamten davon, dass Sascha noch vor ein paar Tagen vor Tobias Tod bei ihm seinen Notfallkoffer hauptsächlich mit Narkosemitteln aufgefüllt hätte.
„Und damit kann man jemanden umbringen?“ fragt der Beamte ihn etwas dämlich.
Holger nickt. „Wenn Sie einem Menschen zu viel davon geben schon!“
„Immerhin hat Sascha Tobias ja eine Injektion gegeben, noch bevor der Krankenwagen eingetroffen ist. Gibt Ihnen das denn nicht zu denken?“ mische ich mich wieder ins Gespräch ein.
„Das war aber zur Stärkung des Kreislaufes!“ entgegnet mir der Polizist rechthaberisch.
„Und was macht Sie da so sicher? Ist das denn untersucht worden?“ hake ich nach.
Missmutig schaut der Beamte zuerst mich und dann Holger an.
Dann greift er seufzend zum Telefonhörer.
„Also gut“, sagt der Polizist nun, „wir werden der Sache nochmal nachgehen. Verhalten Sie beide sich aber solange ruhig.“
„Ich weiß nicht ob Sascha mir das jemals verzeihen wird, dass ich einfach so hinter seinem Rücken eine Polizeiaussage gemacht habe. Ich hoffe nur, dass die zweite Obduktion negativ verläuft und Sascha nichts damit zu tun hat.“ macht sich Holger Vorwürfe als wir wieder draußen sind.
„Das hoffe ich auch. Aber du hast das Richtige getan, glaube mir.“ rede ich ihm gut zu.
Wir tauschen noch unsere Telefonnummern aus für den Fall, dass einer von uns zuerst etwas Neues weiß.
Dann verabschiedet sich Holger wieder von mir und geht zurück zu seinem Dienst.
Während ich nach Hause gehe ist mir bewusst, dass es nun wieder Warten heißt.
Laut dem Beamten muss die Polizei nun einen weiteren gerichtlichen Beschluss erwirken, dass das bei der ersten Obduktion sichergestellte Blut von Tobias nun gezielt nach Medikamenten untersucht werden soll…
Auch wenn es mir für Holger Leid tut, dass ich ihn zu diesem entscheidenden Schritt gegen seinen Freund Sascha drängen musste so verspüre ich, zum ersten Mal seit Tobias Tod, wieder so etwas wie ein Glücksgefühl:
durch meine Hartnäckigkeit ist es mir gelungen dass die Polizei die Ermittlungen doch wieder aufnimmt.
Denn falls ich mit meinen Vermutungen richtig liege, dann habe ich es heute ein weiteres Mal geschafft den aussichtslos zu scheinenden Kampf gegen Windmühlen voranzutreiben. Denn wenn mein geliebter Tobias tatsächlich das Opfer eines heimtückischen Mordes gewesen ist, dann bin ich gerade dabei ihm die Gerechtigkeit wieder zurück zu bringen und das Fiese ans Tageslicht zu zerren!
Für einen kurzen Moment kommen mir nochmal Zweifel und ich muss ich dabei an Angelika und Sascha denken… Wenn schon wieder nichts dran ist, dann hab ich es mir diesmal wohl ganz und gar mit Angelika und Sascha verschissen! kommt es mir.
Doch dann schiebe ich den Gedanken auch gleich wieder zur Seite.
Ach, egal! Immerhin ist mein Ruf bei den beiden ja eh schon verspielt… Außerdem: was jucken mich denn die beiden Egoisten? Allein nur um Tobias geht es mir!
Mit kreidebleichem Gesicht starre ich einfach nur fassungslos aus dem Fenster, alles kommt mir vor wie ein böser Albtraum.
Ich bin völlig geschockt.
Soeben habe ich das befürchtete Ergebnis erfahren, dessen grausame Wahrheit ich zwar vermutet, aber trotzdem niemals so richtig für möglich gehalten hätte! Meine ganze Realität, so wie ich sie bisher immer gekannt habe, verschwimmt mit einem Mal zu einem mir vollkommen unrealistisch erscheinenden Film in welchem ich auf einmal die Hauptrolle spiele… Hatte ich doch bis zuletzt doch gehofft, dass ich mit meinen Vermutungen falsch liege.
Nur das Klingeln meines Handys holt mich unmittelbar wieder zurück auf den grausamen Boden der Tatsachen und zeigt mir, dass ich mich doch immer noch in der Wirklichkeit befinde.
„Ich bin’s!“ ertönt die fast atemlose Stimme von Holger als ich rangehe. „Es…es tut mir ja so leid, Kim. Ich habe es gerade erst erfahren. Ich bin…fassungslos, echt!“
„Ich weiß, ich habe es selbst soeben erfahren. Tobias ist wirklich ermordet worden. Bei der Autopsie wurden tatsächlich die Narkotika im Blut gefunden.“ höre ich mich fast tonlos sagen. „Ich wusste es, ich wusste es, ich habe es geahnt!“ flüstere ich immer wieder völlig aufgelöst in den Hörer rein. Holger räuspert sich. „Auch ich bin…total geschockt. Dass Sascha tatsächlich zu so etwas fähig ist… Ich glaubte ihn zu kennen und dann merkt man plötzlich dass der beste Freund ein eiskalter Mörder ist!“ höre ich Holger enttäuscht sagen.
„Ich glaube es ja nicht! Das ist doch total psycho!“ schluchze ich. „Ja, das ist es. Ich kann es selbst einfach nicht glauben, will es nicht glauben. Doch es ist wahr!“ haucht Holger nervös ins Telefon.
„Die beiden sitzen jetzt in Untersuchungshaft. Beide sind verdächtig und in den nächsten Tagen wird die offene Gerichtsverhandlung sein.“ bringe ich meine restlichen Informationen auf den Punkt.
„Ja. Ich weiß. Ich werde unbedingt hingehen und mir diese Verhandlung geben. Ich muss wissen was Sascha dazu bewogen hat solch eine Tat zu begehen…“
„Und ich will sehen dass dieser Mistkerl die gerechte Strafe kriegt! Und von mir aus auch diese Angelika, sollte sie etwas davon gewusst haben und ihn gedeckt haben!“ sage ich mit boshaftem Unterton.
Mehr weiß im Moment keiner von uns zu sagen. Einfach noch viel zu frisch und zu schockierend ist dieses Thema für beide von uns um damit richtig umgehen zu können. Also legt Holger auf.
Immer wieder kreisen meine Gedanken nur noch um das eine Thema: Mord! Es war Mord! So etwas gibt es in Wirklichkeit doch nicht, darf es eigentlich nicht geben!
Nicht in MEINEM Leben!
Bisher war mein Leben doch immer vollkommen normal, zumindest habe ich es so betrachtet.
Und nun stürzt auf einmal das Gebäude einer völlig heilen Realität vollkommen ein, man befindet sich in einer total unrealen Situation wider, die aber dennoch so real ist dass sie meine ganzen Träume von einer heilen Welt mit einem Mal zerstört hat!
Gerne wäre ich jetzt schadenfroh, dass ich so hartnäckig geblieben bin um einen Mord aufzudecken.
Doch ich kann mich nicht daran erfreuen, weil ich ihn völlig unsinnig finde und mein geliebter Tobias dafür sterben musste!
Nicht mal Hass empfinde ich in diesem Moment sondern ich spüre im Augenblick nur noch diese tiefe Trauer, diese Unfassbarkeit…
Das einzige was mich noch tröstet ist, dass ich es geschafft habe die Gerechtigkeit letztendlich siegen zu lassen und Tobias Tod nun bald schon gerächt wird. Die nächsten Tage bereite ich mich emotional immer wieder darauf vor dem Mörder von Tobias nochmal direkt und diesmal triumphierend ins Auge zu schauen. Mögen er seine gerechte Strafe erhalten!
Dabei lässt mich aber die eine Frage nicht mehr los: ob Saschas Motiv wirklich nur die pure Eifersucht gewesen ist oder ob es noch einen anderen Grund dafür gegeben hat, dass er Tobias so abgrundtief gehasst hat?
Und welche Rolle spielt Angelika dabei sofern sie überhaupt davon gewusst hat? Ist sie wirklich so unschuldig wie sie sich immer gegeben hat und hat mit der Sache rein gar nichts zu tun?
Oder hat sie Sascha gar die ganze Zeit dabei geholfen den Mord zu vertuschen und sich so ebenfalls mitstrafbar gemacht?
„Du dumme Hure! Das ist alles deine schuld! Ist es das, was du wolltest, mich als Verbrecherin in Handschellen zu sehen?“ fährt mich Angelika forsch an sobald sie mich im Publikumsbereich des Gerichtssaals sieht.
Gerade eben ist sie von einem Beamten in Handschellen hereingeführt worden und nimmt jetzt auf der Anklagebank Platz.
„Also, ich muss doch schon sehr bitten!“ mischt sich der Richter ein und Angelika bricht sofort in Tränen aus. „Ich bin unschuldig, ich schwöre es! Ich habe meinen Mann doch geliebt!“ brüllt sie jetzt in den Saal.
Dabei schaut sie mir hilfesuchend in die Augen.
„Kim, ich bin wirklich unschuldig! Warum nur tust du mir das an?! Ich weiß gar nicht was ich hier soll! Ich wusste doch nicht dass Sascha…“ sie verstummt.
Sascha der eben ebenfalls auf der Anklagebank, etwas weiter weg von Angelika, Platz genommen hat schaut nur kurz auf und blickt dann wieder, schweigend und traurig zugleich, zu Boden.
Angewidert würdigt Angelika ihm einen Blick von der Seite. „Ich weiß wirklich rein gar nicht was ich hier überhaupt soll! Ich bin ja selbst völlig schockiert darüber dass ich erfahren musste, dass mein geliebter Mann von dem da ermordet worden ist!“ wiederholt Angelika nochmals und verweist mit einem leichten Nicken auf Sascha, der immer noch beschämt und wortlos mit gesenktem Kopf dasitzt.
Nochmals muss sich der Richter zu Wort melden obwohl die Verhandlung noch gar nicht begonnen hat. Er wirkt mittlerweile schon ziemlich genervt über Angelikas ständige Zwischenrufe.
„Meine Dame, das wollen wir ja eben herausfinden ob Sie etwas damit zu tun haben oder nicht und wie sich alles zugetragen hat! Immerhin ist ein Mensch um die Ecke gebracht worden, da kenn ich keinen Spaß! Also, ich darf doch schon sehr bitten, dass Sie endlich Ihren Mund halten damit ich anfangen kann!“
Angelika nickt ihm daraufhin schluchzend zu und schnäuzt dann kläglich in ihr Taschentuch.
„Ist gut, Herr Richter, ist gut. Ich bin ja schon ruhig.“ sagt sie nun leise und nickt auch mir nun entschuldigend zu.
Fast schon tut sie mir jetzt wieder Leid…
„Wir verhandeln heute den Giftmord, dem Tobias Bader zum Opfer gefallen ist. Hiermit rufe ich den ersten Zeugen auf, Herrn Holger Meisner!“ fängt der Richter endlich mit der Verhandlung an.
Die Saaltür öffnet sich und Holger kommt nun herein. Als sich unsere Blicke treffen, nickt er mir nur kurz zu, seufzt und tritt dann eilig vor den Richter.
„Sie können also bestätigen, dass Sie es waren der Herrn Alexander Kaas die Narkosemittel verschafft hat?“ will der Richter von Holger wissen.
Holger nickt schuldbewusst.
„Ja, aber ich hatte ja keine Ahnung was Sascha, ich meine, Herr Kaas damit vorhatte. Schließlich sind wir schon lange Zeit Kollegen und es ist nichts Neues, dass wir Sanitäter unsere Koffer jederzeit mit Medikamenten auffüllen.“
Der Richter nickt verständnisvoll und macht eine Notiz.
Ich bemerke wie Sascha seinen Freund enttäuscht anstarrt. „Sorry, Sascha. Aber ich kann das nicht, einfach lügen um eine Ungerechtigkeit zu vertuschen.“ sagt Holger zu ihm und Sascha nickt nur wortlos, bevor er wieder zu Boden starrt.
„Sie können Platz nehmen!“ befiehlt der Richter nun und Sascha setzt sich direkt neben mich.
„Das ist wirklich hart, Kim.“ flüstert er mir kurz zu. „Ich weiß. Für mich auch.“ stimme ich ihm zu.
„Was also haben Sie nun dazu zu sagen, Herr Kaas? Waren Sie eifersüchtig auf Herrn Bader, vielleicht weil er noch immer der Ehemann Ihrer Geliebten war?“ will der Richter nun von Sascha wissen.
Doch Sascha schweigt einfach weiter.
„Herr Kaas?“ ermahnt der Richter ihn nochmals.
„Ich habe dazu nichts zu sagen.“ antwortet Sascha mit ruhiger Stimme. Nun mischt sich Saschas Anwalt ein und bittet den Richter um das Wort. Dieser gibt ihm statt und so wendet sich Saschas Anwalt direkt an Angelika.
„Frau Bader? Können Sie mir sagen warum Ihr Ehemann sterben musste? Ging es darum, dass Ihr Mann sich endlich von Ihnen scheiden lassen wollte und geplant hatte das Haus zu verkaufen? Ging es Ihnen um das Erbe bei dem Sie wohl leer ausgegangen wären wenn Ihr Mann seine neue Freundin geheiratet hätte?“
Angelika schnieft immer noch in ihr Taschentuch. „Das ist alles nicht wahr! Ich bin unschuldig!“ beteuert sie schon wieder.
Angelika streitet nun alle Anschuldigungen ab.
„Ich habe davon nichts gewusst, ehrlich. Ja es stimmt, mein Mann und ich wollten uns scheiden lassen, das kann Kim ja bestätigen! Klar, war ich zwar nicht erpicht darauf aber ich habe es letztendlich doch auch eingesehen. Nicht wahr, Kim?“
Hilfesuchend schaut Angelika mich nun an.
Nun wird der Richter auf mich aufmerksam.
„Sind Sie also die neue Lebensgefährtin von Herrn Bader gewesen?“ Ich nicke.
„Können Sie etwas dazu sagen?“ will der Richter nun von mir wissen. Ich zucke mit den Achseln. Auch wenn Angelika mir Leid tut möchte ich ausschließlich bei der Wahrheit bleiben, denn mir geht es nur noch um Tobias und darum seinen Tod zu sühnen.
„Ich weiß es nicht, Herr Richter. Aber ich habe nur mitgekriegt, dass Frau Bader sich anfangs absolut dagegen wehrte sich scheiden zu lassen.“ bekräftige ich nochmals.
„Das ist doch eine freche Lüge, Kim! Du bringst mich hier wirklich in eine Bredouille!“ jammert Angelika und schenkt mir einen beleidigten Blick.
Augenblicklich versucht sie sich zu rechtfertigen.
„Natürlich, Herr Richter, welche Frau will nicht noch ihre Ehe retten und ist alles andere als begeistert wenn der Mann sie für eine Andere verlassen will? Aber dafür mordet man doch nicht! Ich habe Tobias doch geliebt, wir haben immerhin zwei Kinder! Trauen Sie mir so etwas denn wirklich zu?“
„Das sehe ich ein.“ gibt der Richter verständnisvoll zu. „Doch eines ist mir nicht so ganz klar, Frau Bader…“ meint der Richter plötzlich, „Wenn Sie Ihren Mann doch so sehr geliebt haben warum haben Sie dann schon so lange ein Verhältnis mit Herrn Kaas?“
„Herr Kaas?“ wiederholt Angelika staunend, „Ach was, das ist doch einfach nur eine Affäre! Kennen Sie das denn nicht? Nicht alles verläuft doch immer glücklich in eine Ehe, da kann doch eine Seitenbeziehung schon mal ein Ausgleich sein. Wer ist denn schon immer treu nach jahrzehntelanger Ehe? Aber trotzdem bin ich doch mit Herrn Bader weiterhin verheiratet geblieben, schon allein der Kinder wegen und aus Liebe!“ beteuert Angelika.
„Ich muss schon zugeben, eine sehr moderne Auffassung von Ehe haben Sie da, Frau Bader!“ murmelt der Richter nachdenklich.
Ich schaue zu Sascha herüber.
Er starrt jetzt nicht mehr zu Boden sondern direkt auf Angelika. An seinem empörten Blick bemerke ich wie sehr ihn Angelikas Aussage eben gekränkt haben muss. Doch ohne auf Saschas Gefühle Rücksicht zu nehmen redet Angelika weiter.
„Glauben Sie, dass ich etwa gewusst habe was für einen Soziopathen ich mir da angelacht habe? Sanitäter!“ murmelt sie abfällig, „Da glaubt man doch nie im Ernst daran, dass ein hilfsbereiter Mensch so ein eiskalter Mörder sein kann!“
Sie schenkt Sascha einen weiteren, abfälligen Blick. Sofort senkt Sascha wieder beschämt seinen Kopf.
„Ich find es echt unfair wie sie Sascha behandelt!“ flüstert mir Holger kopfschüttelnd zu.
„Na hör mal“, entgegne ich ihm, „zuerst bringt Sascha Tobias um und dann muss sich Angelika hier auch noch verantworten, das ist doch allerhand! Sie hat doch völlig recht!“ stelle ich mich auf Angelikas Seite, da ich mittlerweile auch von ihrer Unschuld überzeugt bin.
„Ich weiß nicht“, murmelt Holger unter vorgehaltener Hand, „irgendetwas sagt mir, dass sie da auch ihre Finger mit im Spiel hat...“
Angelika erzählt nun wie sie ihren Ehemann bewusstlos am Boden vorgefunden hätte nachdem Sascha schon eine ganze Weile mit Tobias allein im Wohnzimmer gewesen sei, während sie noch im Garten die Wäsche aufgehängt hätte.
„Dann ist Sascha plötzlich zu mir in den Garten hinaus gestürmt und hat davon gefaselt dass Tobias bewusstlos zusammengesackt sei.
Sofort habe ich den Krankenwagen gerufen, es ging ja alles so schnell… Währenddessen hat Sascha ihm zur Kreislauf-Stärkung eine Injektion verabreicht, ich wusste ja nicht dass er meinen Mann damit umbringt!“ schluchzt Angelika erneut los.
Wütend starre ich Sascha an.
Du Bastard, du hast Tobias vergiftet!
„Was sagen Sie dazu, Herr Kaas?“ will der Richter nun wieder von Sascha wissen.
„Nichts, ich…ich gebe ja alles zu. Ich war eifersüchtig.“ antwortet Sascha schnell.
„Da hörst du es! Das Schwein gibt es sogar selbst zu!“ sage ich triumphierend zu Holger.
„Also haben Sie Herrn Bader ganz allein auf dem Gewissen?“ fasst der Richter zusammen.
Sascha nickt schuldbewusst. „Ja.“
Nun ergeht ein aufgeregtes Getuschel im Gerichtssaal und ich sehe wie Saschas Anwalt nun seufzend aufgibt seinen Mandanten weiterhin zu verteidigen.
„Seht Ihr? Ich habe damit wirklich nichts zu tun!“ wimmert Angelika erneut in den Saal hinein.
„Ruhe!“ ruft der Richter entschieden und sofort hört das Getuschel im Saal wieder auf.
Ein Polizeibeamter geht nun auf den Richter zu und flüstert ihm etwas ins Ohr. Daraufhin winkt der Richter Saschas Anwalt zu sich, der dem Richter zustimmend zunickt.
„Ich habe soeben erfahren, dass es noch weitere Zeugen gibt die jetzt unbedingt noch angehört werden wollen.“ sagt der Richter.
Erschrocken blickt Angelika auf.
„Muss das denn noch sein? Ich habe doch jetzt schon gestanden…“ meckert Sascha. Doch der Richter besteht darauf.
Nun wird eine Krankenschwester aufgerufen.
Sie sagt aus, dass sie eine ehemalige Kollegin von Angelika ist und dass Angelika sie noch einige Tage vor dem Mord aufgesucht hätte.
„Sie wollte starke Schlaftabletten von mir haben. Das war schon recht seltsam…“ meint die Krankenschwester. Ich bemerke die plötzliche Angst in Angelikas Augen.
„Also, das ist doch die Höhe! Ich habe nun mal eben schlecht durchgeschlafen nachts, ist das denn ein Verbrechen?“ verteidigt sich Angelika und straft die ehemalige Kollegin mit einem verachtenden Blick.
„Herr Richter, die ist schon immer neidisch auf mich gewesen weil sie selbst mal was von Tobias wollte. Die will sich doch jetzt nur damit rächen!“ verteidigt sich Angelika vehement. Doch der Richter winkt ab.
„Jeder Zeuge hat das Recht angehört zu werden!“ stellt er laut klar. Angelika seufzt und schaut zu Sascha, der nur mit den Schultern zuckt.
Nun folgen nacheinander weitere Rettungssanitäter, Wasser-Wächtler, Gutachter, Vorgesetzte und weitere ehemalige Kollegen der ebenfalls angeklagten Angelika. Alle wollen die Witwe von Herrn Bader schon länger gut kennen und legen nicht gerade ein gutes Wort für sie ein. Eher im Gegenteil:
Immer mehr von Angelikas ehemaligen Bekannten beschimpfen sie als Matratze und verlogen.
„Bei der Angelika hat doch jeder mal gedurft der nett zu ihr war.“ ist die entrüstete Aussage eines Kollegen. „Diese Schlampe ist besessen von Sex!“ stimmt ihm ein anderer zu. Doch dann kommt ein junger Sanitäter in den Saal, der das komplette Bild von Angelika in Frage stellt und der Gerichtsverhandlung eine ganz neue, unerwartete Wendung gibt…
„Lange habe ich geschwiegen, aber es geht nicht mehr!“ mischt sich der junge Mann ein.
„Bitte, Karl, nein! Tu mir das nicht an!“ schreit Angelika plötzlich erschrocken.
Doch der junge Mann atmet tief durch und schaut den Richter dabei ernst an.
„Ich bin der richtige Vater von Frau Baders Tochter Miriam. Ich hatte mit Frau Bader damals einen One-Night-Stand gehabt. Die hat ja öfters mal ihren Mann betrogen, das war kein Geheimnis bei uns Jungs…
Na jedenfalls hatte ich eben Pech gehabt! Da Frau Bader und ich aber beide verheiratet waren, haben wir das geheim gehalten. Jeder von uns beiden wollte weiterhin seine eigenen Wege gehen…“
Nicht nur das Publikum, so auch ich, ist entsetzt über dieses plötzliche Geständnis des Unbekannten, auch der Richter wirkt empört.
„Also, das haut ja jetzt dem Fass noch den Boden raus!“ murmelt er und wischt sich mit seiner linken Hand den Schweiß von der Stirn.
„Ja, es ist wahr. Sie können gerne einen Vaterschaftstest machen.“ gibt der fremde Mann nochmal zu. Neben mir ist Holger ganz leise geworden und starrt nur noch, mit weit geöffneten Augen, zu seinem Freund Sascha, der jetzt schweigend zu Angelika herüberschaut, die auf einmal völlig verstört wirkt.
„Das ist ja interessant…“ findet der Richter wieder seine Worte. Angelika schluchzt los.
„Das kann doch mal passieren, oder? Als ob noch niemand fremdgegangen ist im Leben! So etwas kommt mal vor. Ich wollte doch nur dass das Kind nicht in ungeregelten Verhältnissen aufwachst, das werden Sie doch wohl verstehen!“ verteidigt Angelika sich.
„Und Ihr armer Ehemann durfte die ganze Zeit für Ihr Kuckuckskind zahlen?! Wie dreist!“ schüttelt selbst der Richter empört den Kopf.
„Na und? Es ist ja auch alles gut gelaufen bis die da gekommen bist und unsere Familie zerstört hast!“ schimpft Angelika lauthals und zeigt erbost auf mich.
Sascha schüttelt nur mit dem Kopf und sagt noch immer nichts.
„Außerdem geht es hier ja eigentlich nun wirklich nicht darum wer der Vater von meiner Tochter ist, sondern darum ob ich schuldig oder unschuldig am Mord meines Manns bin!“ erinnert Angelika nun den Richter aufgebracht.
Nun meldet sich auch Sascha wieder zu Wort.
„Das stimmt, Herr Richter. Das tut wirklich nichts zur Sache. Also, lassen Sie mich nun verhaften? Angelika ist wirklich unschuldig am Mord von Herrn Bader.“ Doch der junge Mann, der sich gerade eben als richtiger Vater von Angelikas Tochter zu erkennen gegeben hat, schneidet Sascha nun das Wort ab.
„Oh doch, ich glaube schon dass dieses Thema durchaus etwas zur Sache tut! Denn ich habe mich nämlich auch mit dem leiblichen Vater von Frau Baders zweitem Kind in Verbindung gesetzt!“
Auf einmal wird Angelikas Gesicht kreidebleich als der eben genannte Mann, ein ebenfalls recht junger Kerl und Wasser-Wächtler, den Gerichtssaal betritt.
„Na, wenn es schon mal draußen ist, dann werde auch ich mal reinen Tisch machen! Dieser egoistischen Frau muss ja einmal das Handwerk gelegt werden!“ sagt der junge Mann von der Wasserwacht.
Auch er gibt zu, dass er ein uneheliches Kind mit Angelika gezeugt hat: Den kleinen Tom!
Dabei entgeht mir nicht wie entsetzt Sascha auf einmal Angelika anstarrt, die nun ihr Gesicht in ihren Händen vergräbt und fortan nichts mehr sagt.
„Ich war damals noch nicht volljährig und wusste nicht was ich nun tun sollte. Angelika ist aber auch eine heiße Frau, sie hat mich einfach eines Abends verführt... Doch sie hat mir versprochen dass das nicht herauskommt wenn ich schweige. Verstehen Sie doch, ich bin einfach noch viel zu jung für ein Kind und Angelika war immerhin schon verheiratet und eine reife Frau… Aber als ich davon hörte, dass sie ihren Mann umgebracht haben soll, da musste ich unbedingt hier zur Verhandlung erscheinen.“ rechtfertigt sich der junge Kerl.
„Heißt das also ich bin nicht der Vater von Tom?“ schreit der bisher sehr schweigsame Sascha plötzlich aufgebracht in die Runde.
Überrascht verstummen nun alle und beobachten das weitere Spektakel. „Du bist nicht nur eine Lügnerin, Angelika, sondern ein richtig berechnendes Biest! Du hast mich also auch betrogen, nicht nur Tobias!“ wird es Sascha sofort klar.
Immer noch hat Angelika ihr Gesicht in ihren Händen vergraben und schweigt.
Jetzt erhebt sich Sascha entschieden von seinem Platz und wendet sich an den Richter.
„Ich möchte jetzt ein ehrliches Geständnis machen und endlich auspacken, Herr Richter. Und zwar ganz! Es gibt für mich keine Familie mehr die ich decken müsste!“ Dann schaut Sascha in unsere Richtung. „Ich möchte mich auch bei dir entschuldigen, Kim. Auch wenn ich weiß, dass du mir das niemals verzeihst was ich dir und Tobias angetan habe. Auch dich, Holger, möchte ich um Vergebung bitten.“ Dann beginnt Sascha zu reden.
So nach und nach gesteht Sascha nun vor allen wie sich der Mord von Tobias an jenem Morgen tatsächlich abgespielt hatte:
Sobald Angelikas jüngstes Kind im Kindergarten und Miriam in der Schule war, hat Angelika ihrem Ehemann noch einen koffeinfreien Milchkaffee serviert mit der Bitte, dass er noch eine Weile bleiben möge um mit ihr gemeinsame Steuerangelegenheiten zu besprechen.
„Es war alles zwischen mir und Frau Bader längst ausgemacht wie es geschehen soll, seit dem Tag an dem Tobias damit herausgerückt ist, dass er endlich die Scheidung will. Es war klar dass er nun sterben musste. Frau Bader hat in diesem Milchkaffee eine Menge Schlaftabletten aufgelöst, nachdem sie Tobias dazu überredet hat noch eine Weile wegen dem Papierkram zu bleiben. Während also Tobias zunehmend müder geworden ist, hat sie ihrem Mann dann vorgeschlagen mich anzurufen, genauso wie sie es mit mir zuvor ausgemacht hatte. Ich habe bereits schon auf den Anruf von ihr gewartet.
Sie hat Tobias nämlich weisgemacht, der sich nicht erklären konnte warum er auf einmal so schlapp wurde, dass ich ihm eine Infusion legen könnte zur Stärkung seines herzerkrankten Kreislaufes. Daher also auch der kleine Picks an Tobias rechtem Handrücken…“ Sascha macht eine kurze Pause um tief durchzuatmen, bevor er dann mit geschlossenen Augen, so als wolle er sich genauestens an jedes noch so kleine Detail erinnern, weiterredet.
„Ich habe dann den willigen Herrn Bader statt einem kreislaufstärkendem Mittel die komplette Narkotika injiziert, während seine Frau derweil in den Garten gegangen ist um sich etwas abzulenken und abzuwarten, bis ich sie wieder hereinrufe. Als dann bald die Atmung von Tobias schließlich ausgesetzt hat habe ich den Venen-Katheter entfernt und sie wieder dazu gerufen. Gemeinsam haben wir dann den Kot und den Urin, der von Tobias abgegangen ist sofort vom Tatort entfernt und ihn dann an seinen Beinen von dem Sofa auf den Boden herunter gezogen.
Nachdem wir auch noch die letzten Spuren am Tatort entfernt haben, hat Angelika dann den Notarzt gerufen.“
Nun verstummt Sascha und schaut beschämt zu Boden.
Im ganzen Gerichtssaal ist es mucksmäuschenstill.
Voller Fassungslosigkeit und Entsetzen starren wir alle auf die beiden Angeklagten.
Doch dann bricht Angelika die gruselige Stille.
„Das stimmt alles nicht, es ist nicht wahr! Sascha lügt! Er allein hat Tobias umgebracht, er will sich doch jetzt nur an mir rächen weil das Kind nicht von ihm ist!“ klagt Angelika laut.
Angriffslustig schaut Sascha sie an. „Ach ja? Ich habe dich geliebt, du dumme Kuh!“ stöhnt er laut.
Dann wendet Sascha sich wieder an den Richter. „Ständig hat sie mich unter Druck gesetzt! Sie hat mir ständig vorgeheult, dass Tobias gerne trinkt und sie und die Kinder verprügeln würde. Sie hat mir vorgelogen, dass der Kleine, also der Tom, von mir wäre. Verstehen Sie? Dass ich der Vater des Kleinen wäre, hat sie gesagt!“
Sascha schüttelt angewidert den Kopf und fährt nun fort. „Darum habe ich das Ganze ja auch mitgemacht, lange Zeit! Immer wieder habe ich ihr zur Scheidung geraten aber aus irgendeinem Grund wollte sie das nie. Später sagte sie mir, dass sie sich nicht scheiden lassen wollte wegen dem Haus, das dann ihrem Mann allein zugesprochen werden würde und ich sei schuld wenn die Kinder in Armut aufwachsen müssten weil ich ja noch nichts erreicht hätte und immer noch bei meinen Eltern lebe. Darum könnte sie sich noch im Moment unmöglich scheiden lassen zur ihrer finanziellen Sicherheit. Sie wollte das Problem des Ehemannes, der ihrer Meinung nach der einzige Grund sei der unserem Familienglück im Weg stünde, anders lösen…“
„Mit Mord.“ ergänzt der Richter nun fast tonlos Saschas Monolog. Sascha nickt.
„Ja, mit Mord. Sie hat mich ständig unter Druck gesetzt, mich als Schlappschwanz und Feigling beschimpft weil ich es nicht endlich täte. Sie hat mir sogar gedroht, dass ich meinen Sohn nie wieder sehen würde wenn ich ihr nicht dabei helfe Tobias endlich zu beseitigen.“
„Das stimmt nicht, er lügt! Das denkt er sich doch alles gerade aus!“ entgegnet Angelika brüllend. „Schweigen Sie!“ raunt der Richter sie bestimmt an und ermutigt dann Sascha wieder dazu weiterzureden.
„Alles, was ich jemals wollte war doch nur von Herzen endlich meine Familie für mich zu haben und dass Tobias aufhört die Kinder zu quälen! Jetzt weiß ich aber, dass alles eine Lüge von dieser unbeschreiblich narzisstischen Frau gewesen ist und es tut mir alles so sehr von Herzen leid!“ beteuert Sascha.
Er bricht jetzt in Tränen aus und sagt, dass er den Mord gerne rückgängig machen würde wenn er es könnte und dass er für den Rest seines Lebens damit leben werden müsse, dass er einen unschuldigen Menschen umgebracht habe.
„Ich habe es doch gewusst, dieses verdammte Flittchen hat ihn dazu gebracht! Sascha war nur ihr Handlanger!“ raunt Holger neben mir bitter.
„Ich glaube ich habe nun genug gehört! Abführen, aber alle beide!“ befiehlt der Richter und wischt sich nervös mit einem Taschentuch über seine mittlerweile ziemlich schweißige Stirn. Dabei wirft er Sascha noch einen mitfühlenden Blick zu.
Sofort kommen zwei Polizeibeamte und legen beiden Handschellen an. Noch immer protestiert Angelika und brüllt dass sie unschuldig sei. „Ich werde mich wehren, ich werde Revision einlegen, verlassen Sie sich drauf!“ ruft sie dem Richter im Vorbeigehen wütend zu. Doch Sascha sieht man sein schlechtes Gewissen richtig an. „Bitte vergebe mir, Holger, ich habe das alles wirklich nicht so gewollt! Auch dass ich dich da fast mit reingezogen hätte…“ ruft Sascha seinem Freund ihm im Vorbeigehen zu und senkt dann beschämt den Kopf als ich mich nach ihm umdrehe.
„Ist okay, Sascha. Ich werde dir ins Gefängnis schreiben.“ ruft Holger ihm noch eilig hinterher.
„Unglaublich, diese Frau!“ murmelt Holger mir dann empört zu. „Ja, du hattest von Anfang an Recht. Diese Frau ist ein wahrer Teufel und sie hat nicht mal ein Gewissen so wie dein Sascha, der seine Tat inzwischen bereut.“ stimme ich ihm leise zu.
Ich schlucke. Verzweifelt versuche ich meine Tränen zurückzuhalten. Angelika, dieses Miststück!
Fast wäre Angelika mit ihrem grausamen Plan durchgekommen und hätte nicht nur das Haus geerbt sondern auch noch weiterhin den armen Sascha verarscht, den sie als Handlanger missbraucht hatte und der für sie allein sogar noch die Strafe auf sich genommen hätte! Fahr zur Hölle, Angelika!
Heute habe ich gesehen wie dreist manche Frauen doch sein können um ein schönes Leben auf Kosten anderer Menschen zu führen indem sie ihnen nicht nur einfach Kinder und Verantwortung aufdrängen, sondern auch manipulative Spielchen betreiben. Immer wieder habe ich mich gefragt warum manche Männer nur so viel Scheu davor zu haben scheinen sich jemals richtig auf eine Frau einzulassen, mittlerweile kann ich sie sogar verstehen!
Ich fühle mich völlig erschöpft und wundere mich auch darüber wie leicht jemand, der in einem Pflegeberuf arbeitet, einen Mord einfach so vertuschen kann nur weil ihm jeder bedingungslos glaubt- aber auch wie hektisch und unprofessionell die Ärzte aus Zeitmangel bei einer Leichenschau arbeiten ist einfach nur erschreckend…
Nur durch meine Hartnäckigkeit allein habe ich es fertiggebracht, dass diese grausame Tat heute ans Tageslicht gekommen ist und jeder seine gerechte Strafe bekommen hat.
Doch trotzdem bin ich nicht zufrieden obwohl ich mir das von der Verhandlung erwartet hatte.
Denn selbst die Genugtuung, dass Angelika höchstwahrscheinlich jahrelang dafür sitzen muss bringt mir Tobias nicht wieder zurück.
Sogar Monate nach der Gerichtsverhandlung begleitete mich Tobias Tod noch lange Zeit wie ein unsichtbarer Schatten:
der Mord an ihm hat in meiner Seele eine tiefe Spur hinterlassen und mir fällt es heute schwer fremden Menschen zu vertrauen obgleich ich früher immer ein sehr vertrauensseliger Mensch gewesen bin.
Nur mithilfe eines Therapeuten habe ich es geschafft seinen Tod allmählich hinter mir zu lassen und mein Augenmerk wieder auf das Leben zu richten.
Dabei empfinde ich für Sascha nur noch Mitleid, ist er doch selbst das Opfer einer narzisstischen Person gewesen: einer Person, die sogar über eine Leiche gegangen ist…
So ist es schon länger her, dass ich mich meiner Trauer wegen wieder unter Menschen gewagt habe. Umso glücklicher bin ich nun es mir endlich einmal gegönnt zu haben wieder ausgiebig shoppen zu gehen. Mit einem Einkaufswagen voll Klamotten, Süßigkeiten und sonstigen begehrenswerten Kleinkram stehe ich, ziemlich stolz auf mich, in der Warteschlange einer Kasse inmitten eines großen Münchener Einkaufszentrums.
Die Schlange ist lang und die Zeit vor der Kasse scheint mir ewig, so dass ich zu grübeln beginne:
Werde ich jemals wieder einen anderen Menschen vertrauen und bedingungslos lieben können?
Es trifft mich wie ein Blitz als ich plötzlich eine bekannte Stimme höre, die mich augenblicklich aus meinen Gedanken reißt:
es ist die Stimme eines laut auflachenden Teenagers und sie gehört einem der drei jungen Mädchen, die etwas weiter vorne an der Kasse anstehen: Miriam!
Damit habe ich nicht gerechnet!
Fieberhaft beginne ich zu überlegen wie ich mich diesem Mädchen gegenüber am besten verhalten könnte… Ob ich sie lieber ignorieren sollte?
Doch aus unerklärlichen Gründen habe ich auf einmal ein sehr schlechtes Gewissen gegenüber dem Kind… Nein, sie einfach zu ignorieren, das wäre doch zu feige! verbiete ich mir. Immerhin bin ich doch die Ältere von uns beiden und sollte daher auch die Vernünftigere sein. Außerdem empfinde ich auch Mitleid mit Tobias Tochter und möchte doch gerne erfahren wie es ihr mit alledem ergangen ist.
Als ich endlich mit dem Bezahlen an der Reihe bin sehe ich die Mädchen inzwischen schon in der Nähe des Ausgangs, neben einem Plüschtier-Automaten, stehen wo sie sich lachend amüsieren.
Hastig packe ich also mein Zeug in den Einkaufswagen zurück und beeile mich mit dem Bezahlen um dann endlich direkt auf die drei Teenager zuzugehen.
„Ja, hallo Miriam! Na so was!“ spiele ich überrascht. „Wie geht es dir denn?“ frage ich dann mitfühlend.
Doch das Mädchen scheint alles andere als erfreut darüber zu sein mich wiederzusehen.
Völlig überrumpelt schaut sie mich nun an.
Als unsere Blicke sich treffen verfinstert sich sofort das Gesicht des Teenagers und ich erkenne dahinter einen so großen Schmerz, der mich direkt ins Herz trifft… „Wie soll es mir wohl gehen, was denkst du dir denn?“ zischt sie mich giftig an.
Offenbar war es keine so gute Idee das Mädchen anzusprechen… Ich könnte mich dafür ohrfeigen!
Jetzt werden auch die beiden anderen Mädchen auf mich aufmerksam. „Wer ist die denn?!“
Noch ehe ich mich den beiden anderen vorstellen kann gibt Miriam auch schon Auskunft.
„Das ist die blöde Kuh, die meine gesamte Familie zerstört hat!“
Angriffslustig mustert sie mich nun.
„Dreimal darfst du raten wie es mir geht!“, kommt das Mädchen nun wieder darauf zurück.
Etwas perplex schaue ich sie an. Ich weiß beim besten Willen nicht wie ich mich momentan am besten verhalten soll, denn mit dieser Reaktion von ihr hätte ich wirklich nicht gerechnet! Nie hätte ich gedacht, dass das Mädchen mich so abgrundtief hasst.
Mir ist ja bewusst gewesen, dass das Mädchen einiges durchgemacht haben musste seitdem ihr Vater, der eigentlich gar nicht wirklich ihr Vater gewesen ist, ermordet wurde und die Mutter im Knast sitzt.
Aber dass sie mich jetzt für all das Leid verantwortlich macht kann ich nicht begreifen.
„Wir haben das Haus verloren, es ist verkauft worden. Meine Mama hast du ja ins Kittchen gebracht und ich und Tom müssen jetzt bei meinen Großeltern leben. Aber sonst ist alles ja bestens!“ disst Miriam mich weiter und verschafft ihrer Frust so Luft.
Das kann ich so einfach nicht hinnehmen.
„Miriam, das tut mir wirklich alles sehr Leid, ehrlich. Es ist wirklich sehr traurig.“ beginne ich beruhigend auf das Mädchen einzureden.
„Glaub mir, auch mir fehlt dein Vater sehr. Aber du weißt doch, dass nicht ich sondern deine Mutter für das Ganze hier verantwortlich ist, oder? Du bist doch schließlich kein kleines Kind mehr, dass du das nicht begreifst.“ verteidige ich mich.
Doch für Miriam bleibe ich der Sündenbock dieser Geschichte. Verächtlich schaut sie mich jetzt an.
„Es wäre alles nie so weit gekommen! Hättest du dich nur nicht in unsere Familie eingemischt! Du bist echt das Letzte, Kim und ich will dich nie wieder sehen! Ich hoffe mein Vater hat es dir wenigstens gut besorgt als er dich gevögelt hat… Damit nicht alles umsonst war!“ schreit sie jetzt aus Leibeskräften.
Peinlich berührt drehe ich mich um und bemerke die neugierigen Blicke der anderen Kunden im Kaufhaus. „Miriam!“ sage ich und merke, dass das Mädchen auf einmal schon längst zu weinen angefangen hat.
Eilig wischt sie sich nun mit dem Ärmel über die Augen und schenkt mir noch einen letzten, kurzen Blick, der nun vielmehr traurig ist als wie zuvor provozierend.
„Kommt, ich will weg hier!“ sagt sie nun zu ihren beiden, ebenso besorgt dreinschauenden Freundinnen, „Die Alte hier stinkt nämlich!“
Nachdenklich schaue ich den Mädchen nach wie sie nun abzischen während ich wie angewurzelt stehen bleibe. Ich schäme mich auf einmal und atme tief durch um mich langsam wieder zu fangen.
Was war DAS denn gerade eben?
Als ich mich wieder einigermaßen gefasst habe bemerke ich die versammelte Kleingruppe von Schaulustigen um mich herum, die vermutlich schon länger unser Gespräch belauscht haben und sich nun kopfschüttelnd wieder auflöst. Einige unter ihnen tuscheln sogar jetzt noch unter vorgehaltener Hand, andere starren mich amüsiert an… Wie sehr mich Menschen doch manchmal an Affen erinnern! Denn nur Affen gaffen affig! erinnere ich mich insgeheim an den Song aus dem Film König der Löwen. Ich mache dass ich schnellstens aus diesem Einkaufscenter herauskomme und packe eilig meine Tüte zusammen.
Sobald ich draußen bin schlendere ich grübelnd und ziellos die nächste Straße entlang bis ich am Stadtbrunnen vorbeikomme, vor dem ich mich erst mal niederlasse.
Ich brauche jetzt wirklich dringend eine Zigarette nach dem Schock!
Nachdem ich den ersten Zug gemacht habe sehe ich mit gemischten Gefühlen dem Rauch nach und bin nicht mehr so aufgebracht wie vorhin.
Nein, ich bin nicht böse auf Miriam! sage ich mir.
Scheinbar ist es nun mal so, dass die Kinder immer zu den eigenen Eltern halten. Selbst wenn die eigene Mutter eben eine Mörderin ist. Sicherlich hätte ich mich als Teenager auch nicht anders verhalten.
Miriam begreift das alles einfach noch nicht so ganz, tröste ich mich. Wie sollte sie auch?
Selbst ich, als Erwachsene, kann vieles noch immer nicht so wirklich begreifen… Vielleicht ist es ja so dass, was wir als Erwachsene als Recht oder Unrecht empfinden, für Kinder nicht existiert.
Denn für ein Kind gibt es scheinbar nur eine einzige Ungerechtigkeit: nämlich wenn man ihnen weh tut, egal wie das Ganze auch von Statten gegangen sein mag. Und das gilt vermutlich auch noch mehr für einen Teenager, der gerade selbst mitten in seiner eigenen Identitätskrise steckt…
„Ja, Kim! So ein Zufall aber auch!“ höre ich plötzlich eine vertraute Stimme neben mir.
Überrascht schaue ich auf und blicke direkt in das lächelnde Gesicht von Holger.
„Holger? Was machst du denn hier?“ frage ich völlig überrascht und versuche ebenfalls zu lächeln.
Nach alledem was ich bisher durchgemacht habe freue ich mich auch endlich einmal wieder in ein freundliches Gesicht zu sehen.
„Wahrscheinlich das Gleiche was du hier machst.“ antwortet er nur kurz und steckt sich ebenfalls eine Zigarette an, bevor er sich auf den Brunnenrand neben mich setzt. „Ich habe gerade meine Mutter im Pflegeheim besucht.“ gibt er mir Auskunft, „Wie geht es dir denn Kim?“ fragt er mich nun etwas besorgt. Gleichgültig zucke ich mit den Schultern.
„Na ja, wie schon…Ich habe lange gebraucht mit dem Tod von Tobias klarzukommen, mich wieder aufzuraffen. Doch so langsam komme ich aber wieder mit meinem Leben zurecht…“ sage ich und drücke dabei am Boden meine Kippe aus.
Holger nickt zustimmend.
„Ja, ich auch. Es ist einfach nur unglaublich was sich da abgespielt hat! Manchmal kann ich es immer noch nicht so richtig fassen…“
Wir schweigen beide eine Weile.
„Eigentlich haben wir beide etwas gemeinsam: beide haben wir einen wertvollen Menschen verloren. Du hast eine Liebe verloren und ich meinen besten Freund.“ stellt Holger dann fest.
„Du und Sascha, habt ihr denn nichts mehr miteinander zu tun?“ will ich wissen.
Holger winkt ab.
„Ein paarmal geschrieben habe ich ihm schon noch. Aber irgendwas zwischen uns ist einfach kaputt gegangen. Ich kann Sascha einfach nicht mehr vertrauen, ich glaube, dass ich ihm wohl nie mehr ganz vertrauen können werde.“ meint Holger traurig.
„Es ist schon krass, dass eine narzisstische Person es fertig bringt aus einem ihrer Opfer sogar noch einen Mittäter zu machen. Wie weit bei manchen die Liebe wohl geht…“ wundere ich mich.
„Ja, das frage ich mich auch. Manchmal geht scheinbar die Liebe über den Verstand hinaus und überschreitet sogar das eigene Gewissen.“
Sascha schnippt nun seine Kippe weg bevor er weiterredet. „Ich versuche mir immer wieder einzureden dass Sascha sie nur zu sehr geliebt hat und deshalb dazu fähig gewesen ist einen Mord zu begehen. Für mich ist Sascha einfach nur ein viel zu gutmütiger Mensch der scheinbar zur solch einer übergroßen Liebe fähig war, dass er dann blind für Recht und Unrecht geworden ist.“ versucht Holger sich laut einzureden. Doch dann schüttelt er plötzlich entschieden den Kopf.
„Nein, Kim. Egal wie ich es auch drehe, schönrede und wende und versuche meinen Freund zu rechtfertigen, wie ich es auch hinstelle, es bleibt so wie es ist: Sascha ist und bleibt für mich ein Mörder und ich kann mir ja doch einfach nicht mehr vorstellen ihm jemals wieder zu vertrauen!“
Holger atmet auf einmal schwer und scheint völlig aufgebracht. Ich ahne wie nah ihm der Bruch mit Sascha gehen muss und wie schwer enttäuscht er von seinem ehemals besten Freund ist.
„Verstehe.“ nicke ich mitfühlend.
„Aber ich kann Sascha nicht mal hassen, er tut mir einfach nur leid. Er hat einfach die falsche Frau kennen gelernt. Das hätte vielleicht jedem passieren können.“ fährt Holger dann fort.
„Meinst du?“ frage ich nachdenklich.
Er zuckt dabei nur mit den Achseln.
„Na ja,“ fange ich wieder an, „im Grunde genommen sucht ja eigentlich jeder Mensch nur nach Liebe und je nachdem wie er selbst Liebe erfahren hat, hat ein Mensch seine ganz eigene Art und Weise dabei um etwas Liebe zu ergattern. Ein Narzisst versucht es mit Intrigen, ein Psychopath mit Aufmerksamkeit und Kinder indem sie fordern…“
Sascha hört mir zu und schweigt dabei.
„Das Haus von Tobias ist übrigens vom Staat verkauft worden.“ versucht Holger nun auf ein anderes Thema zu lenken.
„Ja, ich weiß. Ich habe gerade davon erfahren.“ sage ich nur kurz und muss dabei sofort wieder an die unendlich traurigen Augen von Miriam denken.
„Angelika ist nämlich für erbunwürdig erklärt worden. Das einzige Gute daran was mich wirklich freut!“ gesteht mir Holger ehrlich.
„Gehört denn das Haus jetzt dem Staat?“ will ich wissen. Erneut zuckt Holger mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich denke vorläufig schon, wahrscheinlich bis die Kinder von Tobias achtzehn sind und das Erbe antreten dürfen. Ich denke, dass es ihnen dann in Form von Geld ausbezahlt wird. Das sind ja nicht mal seine Kinder, wie du weißt. Aber ich finde es schon richtig so. Schließlich können die Kinder ja nichts dafür, dass sie nicht von ihm sind. Immerhin war dein Tobias ja offiziell und auf dem Papier dennoch der Vater.“
„Das ist schön und auch gut so. Dann haben wenigstens seine Kinder etwas davon.“ versuche ich mich dennoch für Miriam und den kleinen Tom zu freuen, obwohl mir das sehr schwerfällt weil ich dabei gleichzeitig auch wieder an meine zerbrochenen, wüstenroten Mallorca-Träume denken muss…
„Es ist nur so schwer für mich das zu begreifen…“ gebe ich ihm gegenüber ehrlich zu.
„Denn auch meine Träume sind nun geplatzt und ich fange nun wieder ganz von vorn im Leben an.“
Obwohl ich es eigentlich für mich behalten wollte erzähle ich Holger nun doch von dem gemeinsamen Traum, den ich mit Tobias gehabt habe:
von Mallorca, der eigenen Finka und meinem unerfüllten Kinderwunsch.
Ich hatte dabei schon ganz vergessen wie gut es tut dass mir mal jemand, der im Gegensatz zu meinem Therapeuten nicht dafür bezahlt wird, so richtig von Herzen zuhört und wie schön es ist dass ich mir alles endlich einmal von der Seele reden kann.
Während ich mich Holger ganz und gar anvertraue und er mir geduldig zuhört muss ich auf einmal weinen. Zärtlich legt Holger nun seinen Arm um mich und reicht mir ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. „Ich kann dich verstehen, Kim. Es ist niemals leicht neu anzufangen. Gerade wenn man vor einem kompletten Scherbenhaufen steht und auch ein langgehegter Traum nicht in Erfüllung gegangen ist.“ seufzt Holger verständnisvoll und streicht mir dabei tröstend eine Strähne aus dem Gesicht.
Ausgerechnet in diesem Augenblick fängt es plötzlich zu regnen an. Doch Holger lächelt jetzt.
„Aber gerade deshalb sollte man im Leben ja auch mehr Träume haben als die Realität zerstören kann.“ ermutigt er mich auf einmal.
Ich verstehe nicht.
„Wie meinst du das, Holger?“ frage ich etwas dämlich, während es nun längst schon in Strömen regnet und wir beide immer noch am Brunnen sitzen. Auf einmal springt Holger auf.
Er grinst mich frech und vielsagend an.
„Wenn einer allein träumt, bleibt es eben nur ein Traum. Wenn aber zwei Menschen, die beide allein sind, zusammen träumen dann kann das aber auch der Beginn einer neuen Wirklichkeit sein…“
„So?“ frage ich.
Holger nickt und grinst einfach weiter.
„Kim, ich weiß...es ist wahrscheinlich noch immer viel zu früh für dich, aber ich kann dich wirklich gut leiden, Kim. Ich…“ er stockt auf einmal und zögert. Neugierig blicke ich ihm ins Gesicht.
Unsere Blicke treffen sich und er bekommt sofort neuen Mut und beginnt wieder zu lächeln.
„Ich möchte dich gerne auf ein leckeres Orangeneis einladen. Ich mache nämlich das beste Orangeneis weit und breit und es ist auch nicht sehr weit von hier wo ich wohne. Ich meine…falls du Lust drauf hast?“ unsicher schaut er mich jetzt an.
„Oh…“ begreife ich ihn nun doch und zögere ein wenig hilflos. Mein Herz klopft auf einmal wie wild und ich merke dass ich rot werde…
Hab ich mich tatsächlich soeben etwa neu verliebt?!
Ein kurzer Blitz fährt plötzlich auf und dann donnert es gewaltig.
„Ein Eis? Bei dem Regen?“ erwidere ich fragend und bin immer noch etwas gehemmt.
Holger lacht. „Warum denn nicht? Ein Eis ist gerade bei Regen das beste Mittel um von Mallorca zu träumen!“ entgegnet er mir keck.
„Du solltest dich jedenfalls bald entscheiden, Kim. Denn ich habe wirklich keinen Bock mehr noch länger nass zu werden!“ ruft Holger mir dann laut lachend zu. Er hält mir jetzt seine Hand hin um mir aufzuhelfen und schaut mir dabei tief in die Augen.
Jetzt erst bemerke ich, dass seine Augen nicht nur furchtbar liebevoll und einfach nur grün, sondern eigentlich fast schon türkisfarben sind, fast so wie ein türkisfarbener Ozean voller Geheimnisse...
Was für ein toller Mann! Und er hat sogar Orangeneis gemacht… Jetzt gib dir doch endlich mal einen Ruck, Kim! sage ich mir selbst, während mein Herz doch schon längst zur selben Melodie schwingt wie das Seine.
Ja, ich werde seine Hand ergreifen, die er mir so geduldig entgegenstreckt…
Sobald er meine Hand sanft mit der Seinigen umklammert hat lächelt er mich so zärtlich an, dass ich es spätestens jetzt begreife:
Ich habe soeben einen neuen Traum im Leben geschenkt bekommen!
Zutaten
3 EL und 1 TL Saft von 1 Bio-Orange, sowie etwas abgeriebene Schale davon
2 Tassen Kondensmilch oder Milch
Eine halbe Tasse Zucker
1 Becher Sahne
1 TL Orangen-Aroma
4 Tropfen Lebensmittelfarbe in Orange
Zubereitung
Zuerst wird die Kondensmilch mit dem Zucker in einem Topf erhitzt und aufgekocht.
Dann wird die Hitze reduziert und die Milch solange weitergekocht bis sie zu einem Drittel reduziert ist.
Anschließend lässt man die Milch etwas abkühlen.
Nun fügt man den Orangensaft sowie etwas abgeriebene Orangenschale hinzu und schlägt die Orangenmilch mit einem Mixer oder Schneebesen leicht auf. Danach schlägt man ebenfalls noch die Sahne cremig auf und hebt dabei die Orangenmilch nach und nach unter.
Die Eiscreme wird dann noch mit 1 TL Orangen-Aroma und 4 Tropfen Lebensmittelfarbe verrührt und anschließend nochmals aufgeschlagen bevor man die Masse dann in eine geeignete Plastikbox mit Deckel füllt und für mindestens 10 Stunden ins Gefrierfach stellt.
Ich bin unschuldig! Das ist doch wahrlich eine bodenlose Frechheit, dass ausgerechnet ich arme Frau hier drin sitzen muss und das nach alledem was man mir angetan hat! dachte sie bitter und starrte an die Zellentür.
Meine Kinder hat man mir weggenommen und dann musste auch noch der arme Tobias beseitigt werden wegen dieser beschissenen Kuh! Wäre sie nicht aufgekreuzt dann hätte ich auch nicht zu solchen Mitteln greifen müssen, eigentlich müsste ja diese Kim hier drinnen hocken statt mir! Und beraubt hat man mich auch noch um mein Zuhause…
„Das Leben ist eben einfach nur ungerecht!“ seufzte sie schließlich und ist zumindest froh darüber, dass sie immerhin eine Einzelzelle gekriegt hat.
Wenigstens bin ich hier drinnen alleine und so gibt es auch keine nervigen Zeuginnen oder rivalisierende Weiber, die mir sowieso nicht das Wasser reichen können! freute sie sich.
Plötzlich schreckte sie hoch:
von draußen war gerade jemand dabei ihre Zellentür aufzusperren.
Aber das nächste Mal werde ich mir nicht so einen Volltrottel wie Sascha anlachen, der hat ja nur alles vermasselt! nahm sie sich fest vor und lächelte mit ihren makellosen Zähnen den alten Wärter an, der gerade in ihre Zelle gekommen war.
„Bezaubernd von Ihnen, Ottfried. Vielen lieben Dank. Sie sind ja ein richtiger Schatz!“ flirtete sie mit ihm als der alte Wärter gerade für sie unter seiner Jacke eine herein geschmuggelte Flasche Rotwein und zwei Schachteln Zigaretten hervorzog.
Dabei grinste der alte Mann stolz wie ein kleiner Schulbub der gerade von seiner Mutter wegen guter Noten gelobt worden war.
„Ach, wenigstens Sie, lieber Ottfried, Sie haben ja Mitleid mit mir, wenn sich sonst schon die ganze Welt gegen mich verschworen hat.“ seufzte sie theatralisch und nahm dankend die Luxusgüter entgegen.
„Sie sind so etwas wie mein Retter in der Not, wissen Sie das?“ zwinkerte sie ihm gekonnt zu während er nur dämlich grinste.
„Sagen Sie, warum hat man Sie als so tolle Frau nochmal dazu verdonnert so viele Jahre abzusitzen?“ wollte der Wärter von Mitleid ergriffen von ihr wissen. Dramatisch seufzte sie wieder und winkte ab.
„Ach, stellen Sie sich nur mal vor: ich habe mich doch tatsächlich in den falschen Mann verliebt! Leider war ich noch verheiratet und da hat mein Neuer einfach meinen Ehemann umgebracht. Aber stellen Sie sich das vor, ausgerechnet ICH muss jetzt dafür mit büßen und das obwohl ich immer so gut zu meinem armen, herzkranken Tobias gewesen bin! KEINER will mir glauben dass ich mit dem Mord nichts zu tun habe.“ beharrte sie auf ihre Meinung.
Aufmerksam hatte der frischverliebte Wärter ihr zugehört.
„Aber eines kann ich Ihnen versprechen: wenn ich mal wieder draußen bin, dann werde ich mich bei Ihnen garantiert für all Ihre Nettigkeiten hier bedanken.“ versprach sie dem Alten und hob dabei feierlich die Flasche Wein hoch, bevor sie sich davon einschenkte. Erneut grinste der Wärter wie ein naiver Teenager, der gerade erst seine erste Liebe kennengelernt hatte. Gewagt beugte sie sich dann nach vorne und strich sich über ihre Busen. Dabei sah sie ihn mit geilen Blicken an und leckte sich gekonnt mit ihrer Zunge über ihre Lippen. „Alles werden Sie von mir haben können, niemals werde ich Ihre Freundlichkeit vergessen…“ wiederholte sie noch einmal.
Mit hochrotem Gesicht senkte der Wärter seinen Blick. Wahrscheinlich hat er schon längst einen Ständer, dachte sie siegessicher.
„Sagen Sie Ottfried, was haben Sie mir noch vor ein paar Tagen erzählt? Sie besitzen eine Villa und fühlen sich trotzdem so einsam?“ Der Wärter nickte traurig. „Ja. Seit dem Tod meiner Frau bin ich Witwer. Ich habe alles, aber eigentlich auch nichts.“
„Oh, Sie armer, armer Mann. Das ist schlimm wenn man sein Glück nicht mit anderen teilen kann, nicht wahr?“
Wieder nickte der Alte und versuchte mit vorgehaltener Hand heimlich seine Erektion zu verbergen.
„Aber das macht nichts, denn Sie haben ja jetzt mich. Denn jeder hat es doch verdient glücklich zu sein, gerade so ein netter Mann wie Sie!“ meinte sie.
Sofort lächelte der Wärter wieder wie ein Honigkuchenpferd.
Selig grinsend winkte er ihr noch einmal bevor er die Zelle wieder hinter sich absperrte.
Triumphierend lachte sie in sich hinein.
Wie blöde die Männer eigentlich sind! Mit ein bisschen Freundlichkeit und weiblicher Sexualität fressen sie dir alle, ausnahmslos alle, aus der Hand!
Aber immerhin: eine eigene Villa und ein alter Witwer…
Der alte Sack könnte bald schon schwerkrank werden und ich könnte mich rührend um ihn kümmern…
Vielleicht komme ich ja dann eines Tages über den Verlust von Tobias Haus hinweg wenn ich dann eine riesige Villa habe!
Verträumt schaute sie in den Spiegel.
Es gibt ja so viele arme Männer auf der Welt die nach ein bisschen Aufmerksamkeit lechzen: Männern, denen ich HELFEN kann, im wahrsten Sinne des Wortes… Und sie alle fressen mir aus der Hand! Ich bin ja so toll, ich hab es verdient reich zu werden!
Stolz betrachtete sie ihr Spiegelbild während sie ihr Weinglas anhob und sich damit selbst verliebt zuprostete. „Prost dir, du wunderschönes Weib du! Auf ein gutes Gelingen, du schönste Frau der Welt!“
Dann trank sie das Glas in einem Zuge aus.
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Texte: Martina Körber
Cover: Martina Körber
Tag der Veröffentlichung: 27.08.2021
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
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