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Muscheln und Seetang

Endlich Sommerferien. Vanessa warf ihre Tasche in die Ecke und schleppte sich zur Küche. Letzter Schultag und draußen herrschten Temperaturen wie im Dschungel von Afrika. Na das passte wenigstens und schrie förmlich nach einem Freibad oder Kiessee. Die letzten Stunden Mathe waren aber auch eine echte Qual gewesen und ihr eigener Akku war jetzt mehr als im roten Bereich. Auf dem Küchentisch hatte ihre Mom schon drei flache Teller platziert und mit großen Bewegungen zog sie ein Blech Pizza aus dem Ofen. Natürlich war die Form streng aufgeteilt. Mom hatte ihr Drittel mit allem möglichen aus dem Meer bestückt. Algen, Muscheln und Seetang oder wie das grässliche grüne labbrige Zeug hieß. Die Mitte gehörte Vanessa, bedeckt mit Ananas und Tomaten sowie Salami und Käse. Das größte Drittel von allen, bekam wie immer Zwillingsbruder Lukas. Sein Anteil ersoff förmlich in Ketchup und scharfen Soßen. Vanessas Mutter warf das Blech auf den Herd und wischte sich mit der flachen Hand die Stirn.

„Hey, Schnuckel, du bist ja schon da. Ich hab überhaupt nichts gehört." Strahlend nahm sie ihre Tochter in den Arm. „Mom, du sollst mich doch nicht mehr Schnuckel nennen. Ich bin siebzehn, fast achtzehn!", genervt löste sie sich aus den Fängen ihrer Mutter und warf sich auf die Bank am Küchentisch. Nachdem Vanessa eine Nase voll Pizza eingesogen hatte, fischte sie ihr Handy aus der Jeans.

„Was willste denn jetzt schon wieder mit dem Ding? Hol lieber Besteck aus der Schublade."

„Ich will nur Jasmin wegen schwimmen schreiben."

„Warum habt ihr das denn nicht schon in der Schule geklärt? Ihr hängt doch den ganzen Tag zusammen wie die Lästerschwestern.“ Vanessas Mutter stückelte die Pizza, verteilte sie und füllte Gläser mit Apfelschorle.

„Wo Lukas schon wieder bleibt? Seid ihr nicht zusammen los?" Dorena Bussmann sah fragend aus dem Küchenfenster und klopfte Mehl von ihren Fingern.

„Doch Mom, aber du weißt doch dass er immer noch bei seiner Rollergang, diesen Spakken, rumhängt." Vanessa stopfte sich ein Stück vom herrlichen italienischem Teig in den Mund und wartete auf die Antwort ihrer Freundin. „Hier dein Messer und deine Gabel, alles muss ich hier alleine machen." Ihre Mutter reichte ihr die Werkzeuge und begann die Pizza ihres Bruders aufzuschneiden. Seit Vanessas Vater vor drei Jahren verunglückte, war ihre Mutter leicht genervt, vor allem, wenn sie nach dem Mittagessen noch zum Dienst ins Krankenhaus musste.

Draußen auf der Einfahrt war kurz ein lautes Dröhnen zu hören das sofort danach erstarb. Lukas, war fast pünktlich und würde sich die Pizza gleich in den Mund schieben ohne sich zu setzen. Wenn Vanessa Glück hatte verschwand er gleich darauf in seinem Zimmer oder in die Garage. Den Gedanken hatte sie kaum zu Ende geträumt, da stand der Zwilling auch schon in der Terassentür der Küche. Seinen Helm warf er achtlos auf eine kleine Anrichte und quetschte sich wortlos neben seine Schwester. Vanessa musste sich jetzt mit dem Essen beeilen, wollte sie nicht, dass Lukas ihre Stücke noch mit verschlang oder was fast noch schlimmer war, heimlich auf die Pizza spuckte. Er wusste nur zu gut, dass sie den Teig dann nicht mehr anrührte, natürlich ohne dass ihre Mutter davon etwas mitbekam und wenn sie sich mal beschwerte, wurde alles mit einer Handbewegung abgewunken. Einem dem man die Pizza mundgerecht zurechtschnitt und der noch nicht einmal zwei Worte der Begrüßung rausbrachte, den konnte nichts wirklich jucken.

„Hallo, pflegen wir zu sagen. Schön dass du es auch noch einrichten konntest." Vanessas Mutter hatte es aufgegeben ihren Sohn groß anzupfeifen, eigentlich war sie froh das er überhaupt zur Schule ging und hin und wieder  zum Essen bei ihr aufschlug.

„Mann, Moin,“ brachte Lukas trocken hervor.
Gierig schlang er die Teigstücke hinunter, da lag sein Blick auch schon auf dem Teller seiner Schwester.

„Gehst du schwimmen? Ich komm mit." Seine Frage kam einem Befehl gleich.

„Warum? Wir wollen allein. Wir brauchen dich dazu nicht."  Vanessa gab sich kämpferisch, trank einen großen Schluck und rutschte ein Stück weiter von Lukas  weg, so dass sie fast am Ende der Bank saß.

„Mit wem gehst du? Mit der Jasmin?" Lukas Augen blitzten. Wichtig  zog er mit seinen Fingern an seinem T-Shirt und deutete damit den Busen ihrer Freundin an. Grinsend sah er an sich herunter um dann festzustellen dass er sich mit Ketchup vollgeschmiert hatte.

„Lass mich in Ruhe“, keifte Vanessa bissig.

„Lukas, lass sie zufrieden“, bekam sie zusätzliche Unterstützung, von der anderen Seite des Tisches.

„Klar, Ärger kann ich mir nicht leisten und eine echte Strafzahlung auch nicht, brauch mein Taschengeld." Der Junge griff nach dem letzten Stück auf dem Teller seiner Schwester, kniff kurz ein Auge zu und verschwand in die Garage. Vanessa begann die Teller abzuräumen und wischte den Tisch ab.

Es war einfach zu heiß, um sich über irgend etwas aufzuregen, dachte Vanessa. Doch als sie auf dem Weg nach oben war, wurde sie von ihrer Mutter abgefangen.

„Sag mal, ihr geht doch sicher ins Freibad? Da ist wenigstens eine Aufsicht.“

Vanessa antwortete nicht, sprang die Stufen hinauf und als sie in ihrem Zimmer die Rollos herunter ließ, hörte sie wie die Außentür ins Schloss fiel. In einer Stofftasche, die mit hellen Sommerblumen bemalt war, stopfte sie alles für den See zusammen. In Sekunden hatte sie ihren neuen türkisfarbenen Bikini angezogen und ihre lange blonde Mähne darüber fallen lassen. Aus ihrem Schrank fischte sie noch eine gelbe Capri und ein weißes T-Shirt.

Unten in der Garage hatte Lukas seine „Mühle“ angeworfen und mit lautem Dröhnen schoss er die Auffahrt hinunter bis zur Straße. Er wartete kurz, dann gab er Gas und wenig später wurde er vom Verkehr verschluckt.

Vanessa schlenderte zur Küche und schob den Helm ihres Bruders zur Seite, damit ihr Zeugnis auch noch Platz auf der Anrichte finden konnte. Als sie ihr Fahrrad bepackte, spürte Vanessa wie die Hitze ihre zarte Haut streichelte. Das Wasser würde herrlich erfrischend sein und echte Abkühlung schenken. Sie dachte an Phillip, den hübschen Jungen aus der zwölften. Er war noch nicht lange auf ihrer Schule, knapp sechs Wochen erst und sie wusste nicht viel von ihm, außer das er verdammt gut aussah. Er hatte eine sportliche Figur und trug stets Top- Klamotten, meistens Designerjeans und schicke weiße Hemden. Er hatte noch nicht den großen Anschluss gefunden. Die anderen Schüler aus seiner Klasse schienen ihn fast zu meiden. Phillip war er eher der ruhige Typ und hatte nicht so ein Machogehabe an sich wie ihr Bruder und seine Rollergang. Vanessa hatte sich vorgenommen ihn mal in der Pause anzusprechen, dann aber den Mut dazu nicht gefunden. Da er immer mit dem Rad zur Schule fuhr, versuchte Vanessa in letzter Zeit, auch ihr Fahrrad neben seins zu stellen. Mehr hatte sie bisher nicht erreicht, keine Handynummer, keine Adresse, kein Kontakt und nur einmal schlich ein kleines Lächeln über sein Gesicht als sie ihn angesehen hatte. Seine blonden Haare schien er morgens nicht bändigen zu können, jedenfalls würde das seine lockere Surfer Frisur erklären. Sie nahm sich vor ihn von jetzt an nur noch Sunny zu nennen, also im Stillen für sich und ohne das Jasmin davon wusste. Jetzt jedoch waren Ferien und schwimmen mit Jasmin angesagt.

Vanessa schwang sich aufs Rad, setzte ihre fesche Sonnenbrille auf und schoss los.

An der großen Kreuzung wartete ihre Freundin schon ungeduldig auf sie. Die Beiden kannten sich schon eine halbe Ewigkeit und teilten alles miteinander.

„Links oder rechts?" Jasmin sah Vanessa fragend an.

„Meine Mom sagte Freibad."

„Dann müssen wir links runter und wenn wir da sind können wir uns den ganzen Tag das Geschrei der kleinen Gööören anhööören". Jasmin sah gespielt verächtlich an Vanessa herunter. „Hast deine Schwimmhilfen mit und hat Mutti dir auch gesagt dass du dich eincremen sollst..?" Oberlehrerhaft hob Jasmin den Zeigefinger und versuchte dabei so dunkel wie möglich zu reden.

Vanessa lachte leise.

„Hab ich dir schon erzählt, das mein Rad kaputt ist? Es hat so einen komischen Rechtsdrall....Egal was ich mache, es zieht immer nach rechts." Jasmin fuhr ein paar Meter um ihrer Freundin das große Elend mit dem Rad zu demonstrieren.

„Siehst du, ich kann echt nichts machen, immer fährt das Scheißding nach rechts."

Fast zur Entschuldigung hob Jasmin ihre Hände.

„Ist ja schon gut, hast gewonnen. Also zum Baggersee, von mir aus“, gab sich Vanessa geschlagen.

„Yes.“ Jasmin machte die Siegerfaust und trat in die Pedale.

Mit dem Fahrrad brauchten die Beiden nur wenige Minuten bis sie das kleine Wäldchen erreichten. In dem lockeren Waldboden konnten sie die Räder nicht abstellen und so lehnte Vanessa ihres an einem mächtigen Baum der schönen Schatten spendete und Jasmin parkte  an einem Schild, das fast vollständig von grünem Efeu bedeckt war.

„Baden verboten", stand wohl in großen Buchstaben drauf. Die Teenager schenktem dem keine Beachtung. Das Schild stand schon so lange da wie der See alt war, wenn nicht sogar noch länger.

Sie suchten sich ein schönes Fleckchen am Wasser, etwas abseits von den anderen Sonnen- hungrigen und breiteten ihre Decken aus. Brav begann Vanessa sich einzucremen und als sie fast fertig war, gab sie die Tube weiter. Jasmin drückte einige Perlen heraus und verteilte diese auf dem Rücken ihrer Freundin.

„Siehst gut aus, meine Hübsche, zum anbeißen", fauchte Jasmin und ihre weißen Zähne blitzten wie die einer Katze vor dem Sprung. Sie selbst brauchte keine Creme mit dem hohen Lichtschutzfaktor, ihre Haut hatte eindeutig die Farbe ihres Vaters. Einem farbigen Major aus den Staaten, dessen Einheit in Deutschland stationiert war. Da hatte sie eindeutig Vorteile. Das ihr Daddy sein Armeegehabe auch zu Hause auslebte, war jedoch ein absoluter Nachteil. Er regierte mit strenger Hand und war auch im Privaten sehr um seinen guten Ruf bedacht. Vanessa checkte den Body ihrer Freundin und obwohl sie ihn fast so gut kannte wie ihren eigenen, dachte sie jedes mal das der Busen von Jasmin wieder ein Stückchen grösser geworden war. Sie war wirklich gut „bestückt" wie ihr Bruder sagen würde. Vanessa hasste das Wort „bestückt", ein typisches Männerwort, wie sie fand. Das knallgelbe Oberteil jedenfalls hatte Mühe alles in Form zu behalten.

„Ach hör auf damit, für dich bin ich doch keine Konkurrenz." Vanessa deutete auf den Bikini ihrer Freundin und machte es sich auf der Decke bequem. Die Beiden kannten sich seit der Grundschule, aber „Neid“ war ihnen fremd.

„Wenn du wüsstest, was für eine Überraschung ich noch für dich habe...Du wirst mich dafür umarmen, Vani." Verführerisch wedelte Jasmin mit ihrem Handy vor dem Gesicht von Vanessa herum.

„Echt, was soll das denn sein, Kinofreikarten? oder vielleicht Bonuspunkte für so´ n blödes Handyspiel? Du weißt doch dass ich die hasse." Vanessa spielte die Genervte, ihre Gedanken hingen immer noch an dem Körper ihrer Freundin.

„Besser, viel besser." Wie eine Zigeunerin, die in den Augen ihrer Freundin eine rosarote Zukunft gesehen hatte, lachte Jasmin und ihr ganzes Gesicht strahlte dabei.
Jetzt war Vanessa doch neugierig geworden und sie versuchte nach dem Handy ihrer Freundin zu greifen. Die zog das Objekt der Begierde jedoch flink zurück.

„Haaaaalt, nicht so schnell, junges Frollllein." Jasmin gab die Aufseherin einer Schwesternschule und zeigte sich gespielt streng.

„Nichts ohne Gegenleistung, meine Dame."

„Jetzt gib schon her". Vanessa fischte an den Armen ihrer Freundin hoch, doch Jasmin streckte sich noch weiter zurück und ihre Freundin ließ sich auf ihren Po fallen.

„Okay, was willst du, und wo her weiß ich das meine Gegenleistung nicht zu wertvoll ist?"  Vanessa gab sich halb geschlagen.

„Küss mich, auf den Mund." Jasmin schloss ihre Augen und schob ihre vollen Lippen leicht hervor.

„Spinnst du? Hier vor den anderen Leuten?  Vergiss es." Vanessa kniete vor Jasmin und verschränkte die  Arme vor ihre Brust. Natürlich hatten sie sich schon geküsst und beide standen auf Jungs, nur auf Jungs. Doch Vanessa war manchmal schon verwundert, was ihre Freundin alles so ausprobierte. Jasmin hatte schon mit mehreren Jungs geschlafen und machte auch kein Geheimnis daraus. Im Gegenteil, jedes mal erzählte sie immer und alles in allen Einzelheiten. Vanessa dagegen brauchte diese Art von Bestätigung nicht und dieses Thema war ihr auch nicht so wichtig, als dass sie damit angeben musste.

„Na guuuuut, aber dann bist du halt ein anderes mal fällig. Und denk bloß nicht ich würd´s vergessen“, lachte Jasmin. Sie sah sich kurz um, beinahe so als durften die anderen Badegäste nichts von dem Geheimnis erfahren.

„Vani, dafür schuldest du mir echt was...oh ja."

Vanessa verlor langsam die Geduld und verzog das Gesicht indem sie ihre Augen zusammen kniff.

„Ich hab seine Nummer. Ich hab ihm ne whats app geschickt und er will herkommen. Dein, dein Beachboy oder wie ich ihn nennen soll. Und Vani was soll ich dir sagen, ich meine du kennst mich.......es wird noch besser: er ist hiiiiier."

Jasmin versuchte besonders cool zu wirken und grub in ihrer Tasche nach Zigaretten, aber eigentlich wollte sie diesen Moment  für immer festhalten. Sie hatte ihrer besten Freundin, die nie einen Jungen ansprach, ein Date mit einem heißen leckeren Typen besorgt. Einfach so. Und wenn Vanessa ihr nicht zuerst von ihm erzählt hätte, wäre sie auf die Jagd gegangen. Als er das erste mal in der Schule aufgetaucht war, lag sie mit einem fetten Virus im Bett. Vielen Dank ihr Bazillen. Jetzt hatte Vanessa halt die Chance. Hoffentlich vermasselte sie es nicht.

„Du spinnst komplett. Das glaub ich dir nicht. Du verarscht mich." Vanessa wusste nicht wie sie reagieren sollte.

„Sicher nicht. Er ist hier und ich habe ihn auch schon gesehen." Stolz zündete Jasmin sich eine Zigarette an und blies ihrer Freundin den Rauch ins Gesicht, als wäre sie eine Agentin von Scotland Yard.

„Wo, wo ist er, du spinnst, echt."

Vanessa sah sich um....Plötzlich schienen am Wasser nur noch Jungs zu sitzen und alle starrten sie an.

„Du bist echt bescheuert. Was hat er denn gesagt...Ruft er dich an?" Vanessa fühlte sich hilflos.

„Wieso mich, hier geht`s doch um dich. Siehst du da hinten den Typen, unter dem blauen Handtuch?" Jasmin deutete auf einen jungen Mann der sich fast komplett eingewickelt hatte.

„Ja klar", kam prompt die Antwort.

„Also der ist es schon mal nicht." Jasmin lief Gefahr, den Bogen zu überspannen, darum legte sie nach.

„Pass auf Kindchen, dreh die Äuglein mal nach links. Ich hab ihn gerade angeschrieben. Der Typ mit dem Sonnenhut, der jetzt die Hand hebt, das ist er Baby, dein Hauptgewinn." Wieder zog Jasmin lässig an ihrer Zigarette.

Vanessa hatte plötzlich das Gefühl als würde sie vollkommen nackt dasitzen und suchte in Gedanken nach einem Handtuch. Dann sah sie verstohlen in die Richtung die Jasmin angedeutet hatte und tatsächlich, Phillip.

„Das verzeih ich dir nie."

Vanessa sah ihre Freundin nicht an und auch das Handtuch war ihr jetzt egal. Sie nahm all ihren Mut zusammen und vorsichtig als würde sie auf Muscheln treten, schlich sie über den weißen Sand in seine Richtung. Auch Phillip hatte sich jetzt aufgesetzt und säuberte seine Decke vom Dreck der überhaupt nicht vorhanden war. Es war der vermutlich längste Weg, den Vanessa je in ihrem Leben in einem Bikini zurückgelegt hatte. Auf jeden Fall, kam es ihr so vor. Dann stand sie vor ihm.

Für so schön hatte Phillip Vanessa in der Schule überhaupt nicht eingeschätzt. Das lag vielleicht auch daran dass sie  jetzt direkt auf ihn zu gekommen war. Beinahe wie bei einem Fotoshooting am Strand. Philip schluckte leise und brachte nur ein „Hallo" hervor.

„Hi, meine Freundin..."

„Ich weiß, zum Glück. Komm setzt dich doch.“ Phillip blinzelte in die Sonne.

Vanessa setzte sich direkt bei seinen Füssen in einen Schneidersitz. Ihre Hände legte sie dabei in ihren Schoß. Zu viele Einblicke wollte sie Phillip dann doch nicht gewähren.

„Wie ist das Wasser", fragte Vanessa mehr aus Verlegenheit.

„Im Winter ist es kühler", lächelte Phillip.

Sie saß ihm jetzt schräg gegenüber und nutzte den kurzen Moment um ihn zu „scannen" wie es Jasmin formulieren würde. An ihm passte alles, selbst seine Augen hatten dieses Erfrischende, wie Eiswasser.

Um den Hals hatte er eine Kette mit kleinen spitzen Steinchen gebunden Es konnten jedoch auch winzige weiße Hai Zähne sein. Seine Brust  zeichnete sich mit klaren Linien und seine Muskeln waren athletisch.

Er trug eine steingraue Shorts,  die seine gesunde Bräune noch unterstrich.

„Was meinst du eigentlich mit diesem „zum Glück?" Vanessa dachte sich, wenn sie schon mal im Gespräch waren dann konnte sie ihn auch richtig ausquetschen.

„Zum Glück hat deine Freundin für dich gefragt und nicht für sich selbst." Er griff nach einem Stein und warf ihn im hohen Bogen ins Wasser. Kleine beinahe durchsichtige Fische tauchten davon.

„Wie meinst du das?" Vanessa wollte nicht glauben, dass ein solch heißer Typ mehr an ihr interessiert war, als an ihre Freundin, die doch so gut „bestückt“ war.

„Na, Jasmin ist mir zu stressig. Ich weiß auch nicht, so als ob sie fünf Kaffee zu viel trinkt, jeden morgen."

„Hm, vielleicht hast du recht, sie ist halt so. Die ändert niemand mehr. Ich schätze wir gleichen uns ziemlich gut aus. Ich könnte mir keine bessere Freundin vorstellen."

„Kann schon sein, die Ruhigen sind mir trotzdem lieber!" Phillip klopfte feinen Sand von seinen Schultern.

„Ach, die Ruhigen, gibt es da so viele von?" Vanessa reagierte eine Spur zu schnippisch wie sie jetzt selber fand und darum rollte sie auffällig mit den Augen um alles ein wenig zu überspielen.

„Naja, so habe ich das natürlich nicht gemeint. Es ist nur so, das ich auch eher der Sachliche bin und ich brauche halt keine die mich ausgleicht, das ist alles."

Vanessa lächelte zufrieden, einen solchen Freund hatte sie sich immer gewünscht. Darum hatte sie allen anderen eine Absage erteilt, so energisch, dass sie in der Schule sogar als eiserne Jungfrau verspottet wurde. Die Imagepflege von Jasmin sah dagegen ganz anders aus. Ihre beste Freundin lies nichts anbrennen und genoss es sichtlich von vielen Männern begehrt zu werden. Doch Vanessa war anders. Sie wollte immer einen Mann als ersten Mann haben, der ruhig, gelassen und ausgeglichen war. Einen Freund zum Reden, zum Träumen, der auch mal ein Geheimnis für sich behalten konnte und ganz bestimmt wollte sie keinen, der damit vor den Jungs angeben wollte, dass er sie geknackt hatte. Phillip war genau der Richtige, das spürte sie tief in ihrem Herzen. Noch steckte er zwar voller Geheimnisse, doch Vanessa wollte alle ergründen, alle. Natürlich wusste sie es nicht, doch sie hoffte, dass er der Mann war, mit dem sie auch mal lange Spaziergänge in den Sonnenuntergang machen konnte, der sich vielleicht für Tiere und die Natur interessierte und nicht nur für getunte Roller und Gewichtheben.

Vanessa setzte sich aus dem Schneidersitz heraus etwas hoch und schob ihren Oberkörper nach vorne, um dadurch etwas weiblicher zu wirken.

Sie schloss ihre Augen und fühlte sich wie in einem Roman. Sie wollte die Zeit vergessen und einfach nur ihr Glück genießen.

„Na, wen haben wir denn hier? Wenn dass nicht meine kleine Schwester ist!"

Vanessa fuhr erschrocken herum. Auch Phillip drehte sein Gesicht vom Wasser weg.

Vor ihnen hatte sich Lukas aufgebaut. Seine Arme hatte er lässig über die Brust verschlungen. Das dreckige Shirt trug er immer noch… Seine Rollerkumpels hatten sich zwischen den Bäumen hindurch ran geschlichen und grinsten schmierig. Alle waren dabei, auch Christoph, der von allen nur „Chris" gerufen wurde und Andy, der von allen Frauen gemieden wurde. Wahrscheinlich war seine linke Art daran schuld, ganz bestimmt aber lag es an seinen Bildern und Aufnahmen.

Chris war von stabiler Natur, nicht der Größte, dafür aber sehr kräftig. Sein Kumpel Andy war eher der schlaksige Typ, drahtig und fein.

„Was willst du denn hier, du Arschloch, hau ab Mann", aufgeregt sprang Vanessa hoch und versuchte sich vor Lukas aufzubauen.

„Willst du was von meiner Schwester? Vielleicht ohne mich  vorher zu fragen?" Ihr Bruder beachtete sie überhaupt nicht. Seine Augen waren nur auf Phillip gerichtet.

„Ich habe dich etwas gefragt oder biste stumm. So wie die Fische hier im Wasser?"

Lukas trat noch näher an die Decke heran, so dass er einen Fuß draufstellen konnte. In dem friedlichen Badewäldchen entstand eine Mischung aus Aggression und Machtgehabe.

Jetzt stand auch Phillip auf und Vanessa konnte sehen, dass Beide so ziemlich die gleiche Größe hatten. Die Jungs um Lukas herum zogen ein langes „Ooooohhhhh" im Chor und schienen sich diebisch zu freuen.

„Mensch Lukas, fang hier keinen Stress an. Ich sag´ s  Mom", giftig sah Vanessa ihren Bruder an.

„Ich mach keinen Stress. Außerdem kann der da mir ja wohl eine Antwort geben." Lukas sah nur in das Gesicht von Phillip. Um sie herum waren alle anderen aufgestanden und bildeten einen Kreis. Jetzt drückte sich auch Jasmin in die Gruppe. Sie trat an Lukas heran und sprach ihn von der Seite an.

„Was soll der Scheiß? Was willst du?"

Die Jungs um Lukas stimmten wieder ein. "Oooohhhhhh."

Vanessa griff die Hand von Phillip, sie wollte ihn zur Seite ziehen. Doch der blieb fest auf dem Boden stehen und sah ebenfalls nur Lukas an.

„Müsst ihr Händchen halten? Ach nee wie süß." Es war Chris, der versuchte die Spannung etwas zu lösen. Seinen Blick hatte er auf Jasmin gerichtet und jeder der Älteren  konnte buchstäblich seine schmutzigen Gedanken lesen.

„Der Tag ist doch viel zu schön, zu wertvoll, um ihn mit Blut zu besiegeln." Chris gab sich bewusst dramatisch und sah dann in die Runde. Die Menge wartete anscheinend auf eine Lösung, wie immer sie auch aussehen mochte.

„Was?" genervt hob Lukas die Hände.

„Na das", sagte Chris und deutete auf einen großen gelben Bagger, der festgezurrt mitten auf dem Wasser trieb.

Alle sahen ihn ungläubig an und Chris wusste, dass er mehr Infos bringen musste.

„Ihr seht doch alle dieses Ungetüm, oder nicht? Der hat doch diesen herrlichen Turm, ist so, hmm ich schätze so acht Meter hoch, wenn nicht sogar mehr. Also die Sache ist ganz einfach. Ihr springt im Wechsel, dann werden wir ja sehen, wer von euch beiden die größten Eier hat.“

„Was ist los, bist du völlig bescheuert?" Wütend versuchte Vanessa, die Wette abzuwürgen.

„Ja, völlig schwachsinnig. Auf so etwas können auch nur Kerle kommen", wurde sie von Jasmin unterstützt.

„Komm, wir verschwinden." Zum zweiten mal zog sie an seinem Arm und wieder blieb Phillip stehen.

„Jederzeit", hauchte Phillip, in das Gesicht von Lukas.

„Na bitte und reden kann er auch, sogar auf deutsch." Lukas Augen funkelten und mit einer kleinen Verbeugung lud er Phillip zum Wettkampf ein.

„Was ihr da vorhabt ist der Wahnsinn. Nicht umsonst ist der Bagger gesperrt. Ihr kommt da gar nicht rauf." Jasmin wollte sich den Beiden in den Weg stellen, doch Chris hinderte sie daran indem er versuchte seine Hände auf ihren Busen zu legen.

Als die Beiden ins Wasser sprangen versuchte jeder aus der Gruppe einen möglichst guten Platz zu erwischen. Einige stiegen auf Bäume, andere schoben Sand unter ihren Füßen zusammen um eine Erhöhung zu bauen.

Die beiden Freundinnen stellten sich direkt ans Ufer. Chris stand jetzt genau neben Vanessa und sah auf den See hinaus. "Sie werden bald den Bagger erreicht haben, sind ja nur knapp fünfzig Meter und beide scheinen gut in Form zu sein. Das wird das Highlight der Saison und das schon am Anfang der Ferien“, sagte er laut.

„Du bist so ein Wichser." Jasmin schickte tausend Blitze in seine Richtung.

Vanessa war nicht fähig einen klaren Gedanken zu fassen. Sie kam sich vor wie in einem schlechten Film und hatte kaum die Worte ihrer Freundin gehört.

„Die kommen schon auf den Bagger. Das Vorhängeschloss vom Zaun ist verrostet. Kein Ding, ich war schon drauf",  nickte Chris triumphierend.

„Ach, tatsächlich? Und bist du auch gesprungen, Arschloch." In Vanessa kroch die pure Verzweiflung hoch.

„Was ich? Seh ich so bescheuert aus?" Chris klopfte sich abfällig mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.

„Keine Braut auf der Welt ist es Wert das man sich die Kronjuwelen bricht", er deutete auf seine Badeshorts und hoffte Jasmin würde zusehen. Doch diese drückte die Hand ihrer Freundin und zusammen sahen sie wie die Jungs sich an dem Drahtzaun  zu schaffen machten, der teilweise um den Bagger gezogen worden war. Eigentlich war es nur ein Moment, doch Jasmin kam es vor wie eine Ewigkeit.

„Bitte springt nicht", flüsterte Vanessa. Ihre Angst galt Beiden.

Phillip und Lukas stiegen auf das Dach vom Führerhaus und Lukas grüßte die Zuschauer als wären alle Fans von ihm, indem er sich winkend um die eigene Achse drehte. Phillip versuchte sich zu konzentrieren und spannt die Muskeln an. Auf ihn machte Lukas nicht den Eindruck als ob er einen Rückzieher machen wollte und er selbst war fest dazu entschlossen nicht als Verlierer zurück zu schwimmen. Langsam rutschte Lukas von der Kabine und bewegte sich vorsichtig zum Turm, der seitlich am Bagger angebracht war. Er war riesig, viel länger als man vom Ufer aus vermuten konnte. Viereckig und komplett mit Eisenstreben versehen und in der Mitte führte ein dicker Schlauch von oben ins Wasser.

„Jetzt geht dir die Düse oder?" Lukas riss sich sein Shirt herunter und schlug Phillip mit der flachen Hand auf die Schulter, als dieser sich zu ihm stellte. "Wenn du willst, dann spring ich zuerst, mach mal Platz für Papi." Lukas drückte seinen Konkurrenten zur Seite und griff mit fester Hand an die Streben. Kleine Rostplättchen lösten sich und segelten langsam aufs Deck.

„Selbst wenn du jetzt aufgeben willst, ich springe trotzdem, Weichei." Lukas stieg an den Sprossen nach oben, die in einem Abstand von knapp einem halben Meter an den Rahmen geschweißt waren. Auf der sechsten Sprosse blieb er stehen und sah ins Wasser.

„Ich denke das reicht, drauflegen kann ich immer noch, ganz schön hoch hier." Lukas brüllte nach unten ins Gesicht von Phillip, als würde er mitten in einem Orkan stehen.

Vanessa konnte kaum hinsehen und vergrub ihr Gesicht in die Schulter von Jasmin.

„Die Höhe ist nicht das Entscheidende, das machen Achtjährige mit verbundenen Augen und rückwärts. Das schlimme daran ist, dass du im Wasser fast nichts erkennen kannst. Es ist dort längst nicht so klar und ab einem Meter…Ist fast wie russisches Roulette, nur mit Badeshorts." Chris redete ruhig und gelassen.

„Mensch halt endlich die Fresse", auch Jasmin war starr vor Anspannung.

Die Gruppe konnte sehen wie Lukas gefeiert werden wollte indem er zu klatschen begann.

„Spring endlich, mein Vater schmeißt nachher noch den Grill an." Jetzt hatte auch Andy das Fieber gepackt. Chris hatte sich schon gewundert, das sein Kumpel so lange nichts zum großen Kino beigetragen hatte.

Vom Kran sprang sein Clanchef mit den Händen voran ins kühle Nass. Die Gruppe wartete einige Sekunden dann sahen sie wie Lukas halbhoch aus dem Wasser schoss und eine Siegerfaust in ihre Richtung drückte. Mit schnellen Schlägen schwamm er zurück zum Ungetüm. Die Gruppe jubelte und rief mehrmals seinen Namen.

Vanessa hatte sich nicht getraut hinzusehen und auf die Reaktion ihrer Freundin gewartet.

„An der Haltung muss er noch arbeiten, das gibt höchstens  fünfzig Prozent in der B-Note." Chris grinste Andy an, in der Gewissheit das Lukas das Duell für sich und damit auch für sie als Gruppe entscheiden würde.

Jasmin nahm Vanessa in den Arm. Jetzt war Phillip an der Reihe. Sie überlegte kurz ob sie jemanden anrufen sollte, ihren Vater vielleicht oder sogar die Polizei. Dann verwischte sie den Gedanken denn das würde Ärger für alle bedeuten und der Beach Boy hatte das Duell schließlich auch angenommen.

„Kannst ruhig ins Wasser springen oder hast du ein Problem damit, weil Fische drin ficken?" Lukas hatte Phillip erreicht und stellte sich genau neben ihm. Das Wasser perlte in langen Bahnen an seinem Körper herab und verteilte sich aufs Deck. Mit einer Hand wischte er sein Haar zurück und sein Gesicht trocken.

„Kein Problem damit“, antwortete der Angesprochene und mit schnellen Griffen zog er sich den Mast hinauf.

In Sekunden hatte er die sechste Sprosse erreicht, stoppte kurz, dann stieg Phillip höher. Siebte, achte bis rauf zur sechszehnten, dort blieb er stehen. Gute acht Meter über dem Wasser, von hier oben glich die Oberfläche einer Betonplatte, glatt und hart. Phillip sah sich um, die grünen Kronen der Bäume waren fast auf gleicher Höhe. Ein zarter, warmer Windhauch streichelte seine Haut.

„Dem Engelchen werden seine Flügel wenig nutzen. Wenn er da runter segelt, mit einem Bauchklatscher, dann werden seine Gedärme als Fischfutter dienen.“ Chris schien seine Wette jetzt nicht mehr so lustig zu finden. Er verzog das Gesicht und spuckte trocken auf den Boden.

„Jip, mir wäre das auch zu hoch, aber das gibt natürlich tolle Bilder, egal wie es ausgeht." Andy ließ sich nichts entgehen. Eigentlich filmte er immer alles, den Scheiß anderer Leute, am liebsten.

„Sunny, komm da wieder runter", flüsterte Vanessa und ging langsam ins Wasser, doch Chris ergriff ihren Oberarm und drückte fest zu und zog sie zurück. „Du willst deinem Bruder doch nicht die Tour versauen und dem Andy die großartigen Bilder". Chris sprach dunkel und heiser, wie ein Mafiaboss. „Dein Spinner ist so hoch rauf, soll er selbst sehen wie er das regelt." 

„Jip, da hat er wohl zu hoch gepokert, doch mir wird er tausende Klicks verschaffen." Andy drückte Jasmin ein Stück zu Seite um die Szene besser einfangen zu können. „Von dir Tittenmonster mache ich ein anderes mal hübsche Bilder, warts nur ab", dachte Andy und ein schmieriges Lächeln durchzog sein Gesicht.

Lukas stand auf der Plattform und biss sich auf die Unterlippe. So glänzend war seine Lage nicht, wenn der Typ wirklich sprang, hatte er die Arschkarte. Die Höhe auszugleichen war dann nicht genug. Er müsste dann noch mindestens eine Sprosse drauflegen. Ein Unentschieden war wie eine Niederlage. Sein Magen zog sich zusammen und in seiner Verachtung mischte sich jetzt auch ein hässlicher Respekt.

„Hast dich wohl übernommen was, das kommt davon wenn man vor Mädchen den Helden spielen will. Bist halt noch grün hinter den Ohren. Kein Problem, steig runter und du bleibst, was du immer warst, ein Looooser". Lukas zog das letzte Wort lang um es stark zu verdeutlichen.

„Und sowas will mit meiner Sister bumsen." Lukas hob die Arme wie ein Prediger und sah zu seiner Gemeinde als Phillip kopfüber ins Wasser sprang.

„Fuck", flüsterte Chris leise.

„He, alle Achtung", pfiff Andy und hielt mit seiner Kamera auf die Stelle in der Phillip eingetaucht war.

Vanessa, Jasmin und alle anderen starrten gebannt aufs Wasser.

Ewige Sekunden verstrichen, die Wellen legten sich nur langsam. Ein paar Enten schwammen in schnellen Bahnen davon und lauten Geschnatter, um woanders ihre Ruhe zu finden.

„Und lange Luft anhalten kann er auch." Chris spielte seine Anerkennung heraus.

„Sogar sehr lange", pflichtete Andy ihm bei.

Wieder vergingen einige Sekunden und auf dem Deck begann Lukas damit das Wasser abzusuchen. Erst direkt beim Turm dann weiter um den Bagger herum. Das Wasser war geschlossen und hatte Phillip verschluckt.

„Ich, ich kann ihn nicht sehen", rief er entschuldigend zur Gruppe.

„Ach das gibst doch nicht, der verarscht dich doch. Sieh doch mal auf der Rückseite nach, da hängt er bestimmt". Chris rief genauso laut zurück, ohne jedoch überzeugend zu wirken.

„Oh mein Gott". Vanessa wurde von einer Kälte ergriffen und musste sich an ihrer Freundin festhalten. Ihre Gedanken stellten immer wieder die gleiche Frage, „Warum habe ich es zugelassen?“

„Hier ist er auch nicht, komisch oder?", fragend sah Lukas wieder zum Strand.

„Ja dann such ihn", schrie Jasmin und zog Vanessa fest an sich.

„Ja wo denn in dieser Brühe, kannst du mir das vielleicht mal sagen?" Lukas fuchtelte mit den Armen und versuchte Luftblasen zu entdecken.

„Der kratzt ab und ich bin Live dabei", für Andy war es die reinste Show.

„Scheiße, Scheiße, Scheiße", fluchte Chris und sprang ins Wasser. Mit schnellen Zügen schwamm er zum Ungetüm.

„Ich rufe jetzt die Feuerwehr, ist mir scheißegal." Jasmin hatte inzwischen ihr Handy von ihrer Decke geholt und wählte den Notruf. Andy ließ sie machen, das gab der Story noch die richtige Würze. Schön mit Alarm und Blaulicht. Das würde richtig Kohle bringen.

Lukas sah sich auf dem Bagger um. Suchte nach einem Seil oder einem Ruder, vielleicht gab es auch einen Ring. Chris stieg durch den Zaun und lief direkt zum Turm.

„Jasmin hat die Rettung informiert. Hast du was gefunden?" fragte er Lukas ohne ihn dabei anzusehen. Sein Blick war aufs Wasser gerichtet und mit seinen Augen starrte er ins Trübe.

„Nein, nur ein altes Seil, Scheiße Mann." Lukas hielt ein armdickes Tau in der Hand und wusste eigentlich nicht was er damit so richtig anstellen sollte. Auf dem Kahn war nichts zu hören. Die völlige Stille kroch wie Nebel an ihnen hoch. Der Atem des Todes schien sie zu fangen. Es war so, als würde sich die Zeit nicht verändern.

Kalt wie im Oktober. Chris wollte irgendwas tun, er stieg langsam vier Sprossen am Turm hoch und sah von oben am Saugrohr hinunter. In der Tiefe hatte sich anscheinend ein Tuch oder eine helle Matte am Rohr verfangen. Er konnte es nicht genau erkennen, darum stieg er runter bis ans Wasser.

„Komm mal her, da ist was", rief er nun Lukas zu sich.

„Lukas sah jetzt ebenfalls am Saugrohr hinab und nickte stumm.

„Was könnte das sein, vielleicht ein Stück Folie, was meinst du?“

„Spring rein und hol es rauf, dann wirst du es wissen", antwortete Lukas im leichten Befehlston.

Chris sprang in Wasser, tauchte kurz und schwamm in sekundenschnelle wieder an die Oberfläche.

„Das ist der Typ, hilf mir mal", schrie er jetzt aufgeregt und tauchte wieder ab.

„Wir haben ihn", rief Lukas zur Gruppe und folgte seinem Kumpel.

„Gott sei dank." Dachte Vanessa und sah zum Weg hinauf der zur Straße führte. Noch war nichts zu sehen oder hören.

Jasmin suchte ein Versteck für ihr Handy in einem Baumstumpf am Ufer. Dann zog sie Vanessa ins Wasser. Zusammen schwammen die Frauen zum Ungetüm. Andy filmte alles und die anderen Zuschauer redeten aufgeregt durcheinander.

Chris schlug seinen Arm um den Hals von Phillip und zog ihn nach oben. Lukas schob von unten nach während er sich mit einer Hand am Saugrohr festhielt. Phillip hatte seine Augen nicht geschlossen, bewegte sich aber nicht. Sein Mund war halb geöffnet und kleine Luftblasen hatten sich in seinen Haaren verfangen.

Endlich schafften sie es seinen Kopf über Wasser zu halten. Jetzt ging es darum ihn aus dem Wasser zu ziehen, allein fast unmöglich, da die Bordwand ca. einen halben Meter hoch über der Wasseroberfläche stand. „Schöne Scheiße", rief Lukas doch Chris deutete auf die beiden Frauen. Vanessa und Jasmin hatten die Jungs erreicht und voller entsetzen versuchten sie irgendwie behilflich zu sein.

„Ist er tot?" fragend sah Vanessa die Jungs an und schnappte dabei nach Luft.

„Ich weiß es nicht, wir müssen ihn aufs Deck ziehen", schrie Lukas.

„Wir gehen rauf und dann alle zusammen". Chris stand als erster an Bord, Lukas folgte ihm. Jeder fasste einen Arm, dann schleppten sie Phillip an Bord. Sofort drehte Chris den leblosen Körper auf die Seite damit das Wasser aus dem Mund heraus spülen konnte. Phillip lag da wie ein gestrandeter Robinson und Lukas drückte auf seinen Rücken.

„Was machst du da für einen Blödsinn?", fragte Vanessa die jetzt auch aus dem Wasser gestiegen war und ihren Bruder leicht wegschubste. Sie kniete sich hin und nahm den Kopf von Phillip in ihre Hände. Auch Jasmin war ihr gefolgt und als sie zum Strand sah, konnte sie sehen wie die Feuerwehr ein Boot zu Wasser ließ.

„Sie sind da", rief sie laut und begann mit den Armen zu winken.

Andys Reich

 

Andy wusste, der Tag hatte sich gelohnt. Kaum zu Hause, hatte er sich drei Dosen Bier aus dem Kühlschrank gefischt und war in sein Zimmer im Erdgeschoß verschwunden. Er verschloss die Tür, zog sich komplett aus, legte die Klamotten auf einen Stuhl und fuhr seinen Laptop hoch. Das Fenster hatte er zusätzlich mit einem blauen Laken verdunkelt, musste ja nicht jeder von seinen Hobbies erfahren. Andy platzte fast vor Energie. Die Dinge entwickelten sich gut. Erst das Drama um den Nichtschwimmer. Das hätte schon als absolutes Highlight für die ganzen Ferien gereicht, doch zum Schluss war ihm auch noch der Supercoup gelungen. Er trommelte vergnügt auf dem Schreibtisch und riss das erste Bier auf. Von der Wand grüßte „Miss Juli" mit einer Wahnsinns Oberweite und Andy prostete ihr zu als wären sie auf einer Party. Und genau das würde es werden, eine Megaparty und er wäre der Gastgeber. Eine weitere weibliche Person, würde auch dabei sein, wenn auch nicht freiwillig. Andy packte seinen Penis und rieb ihn. Jasmin würde eine geile „Miss August" abgeben dachte er und nahm einen tiefen Schluck. Nur nicht für jeden, wie auf dem Kalender, sondern nur für ihn.

Sein dunkles Zimmer hatte er zu einer Festung ausgebaut, mit allem technischen Schnick-Schnack versehen, den man legal oder illegal für Geld kaufen konnte. Das war ihm die Schufterei im Supermarkt wert, wenn er nur seine Zentrale immer auf den neuesten Stand halten konnte. Die Mädels waren nicht an ihm interessiert? Auch gut, das konnte er jetzt ändern. Draußen war er ein niemand, im eigenen Haus lungerte der alkoholkranke Vater herum und seine Mutter war ein echtes Misstück. Egal, ab heute wurden die Karten neu verteilt und er bekam die Asse zugespielt.

Die Bilder von der bekloppten Wette hatte er schnell hochgeladen und seine Fans würden sich bald melden. Vielleicht war ja auch die örtliche Presse daran interessiert oder die Polizei. Obwohl, die besser nicht, dachte Andy und lächelte schmierig.

Nachdem der Pflichtteil erledigt war, konnte er jetzt zum besten Event des Abends kommen. Einige Bilder hatte er sich noch nicht genau angesehen, doch die Vorfreude brachte ihn fast um. Wieder nahm er einen tiefen Schluck, bis die Dose nichts mehr hergab. Dann drückte er sie zusammen und warf sie in einem hohen Bogen in den Mülleimer, den er am Bett stehen hatte. Jasmin, Gott wie schön sie war. Niemals würde sie sich mit einem Typen wie ihn abgeben, niemals, nicht freiwillig. Doch wenn alles glatt gelaufen war, dann hatte er jetzt den Schlüssel um sie zu zwingen. Einen Schlüssel zum Paradies, zum feuchten Paradies. Er rieb sich wieder und sein Penis gehorchte. Andys Kamera hatte brav alles aufgezeichnet, auch den ganzen langweiligen Scheiß, kein Problem. Bei Vanessa musste er vorsichtig sein, da wäre Lukas bestimmt nicht begeistert, aber kein Problem. Es gab ja Jasmin, in ihrem Bikini, der wie eine zweite Haut auf ihr lag und die schönsten Teile versteckte, noch.

Andy spulte vor und zurück, dann hatte er seinen Treffer. Jasmin beim telefonieren mit der Feuerwehr. Er hatte keinen Ton an, das Gequatsche interessierte ihn nicht. Der Bruchteil vorher, darauf kam es an.

Andy beugte sich näher an den Bildschirm. Vor Aufregung wischte er sich mit beiden Händen durchs Gesicht und hielt kurz den Atem an. Und tatsächlich, groß und deutlich war es zu erkennen. Er brauchte noch nicht einmal die Zeitlupe, Jasmin entsperrte ihr Handy mit einem „V." V, wie Vanessa oder wie „vögeln."

Das zweite Bier musste dran

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Johann Erdmann
Bildmaterialien: Finisia Moschiano
Tag der Veröffentlichung: 31.08.2017
ISBN: 978-3-7438-3092-9

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