Cover

No. 1 - Homecoming

Bevor ich Zoe sehen kann, höre ich schon, wie sie laut ruft.

»Da bist du ja!«, schreit sie quer durch das Terminal.

Ich drehe mich um.

Sie kommt mit ausgestreckten Armen angerannt.

»Hi Zoe!«, sage ich und drücke sie fest.

»Mann, du hast mir gefehlt!«, sagt sie. Ihre grünen Augen strahlen mich an.

»Wir haben uns erst vor zwei Wochen gesehen«, sage ich und grinse schräg.

»Ja, aber jetzt sehen wir uns jeden Tag!« Sie hüpft vor Freude in die Höhe. »Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich freue! Du bist meine beste Freundin! Ich habe dich jeden Tag vermisst.«

»Ich dich doch auch!« Ich nehme Zoe noch einmal in den Arm. Ihre krausen, braunen Locken kratzen mich an der Wange.

Ja, sie hat mir gefehlt. Ein ganz klein wenig freue ich mich sogar darauf, wieder bei meinen Eltern zu wohnen. Bei meinen Freunden aus Kindertagen.

Auch wenn der Grund für diesen Umzug kein schöner ist.

Mein Freund hat mich verlassen. Ärgerlicherweise haben wir nicht nur zusammengewohnt, sondern auch zusammen gearbeitet. Gleiche Firma, gleiche Abteilung.

Erst habe ich noch überlegt, ob ich nicht einfach einen neuen Job in der Stadt suchen sollte. Aber das Problem ist, dass mich die ganze gottverdammte Stadt an den Mistkerl erinnert hat. An ihn und daran, dass er mich betrogen hat …

 

Zoe hilft mir mein Gepäck zu ihrem Wagen zu bringen. Kaum sind wir eingestiegen, stellt sie die Klimaanlage an. Draußen hat es wenigstens 30 Grad.

Ich ziehe meine Strickjacke aus. Im Flugzeug war es angenehm kühl gewesen. Aber nun reichen die blaue Bluse und der schwarze Rock vollkommen aus.

Zoe steckt in voller Sommermontur: Trägershirt, Hotpants, Flip-Flops.

Ich komme mir overdressed vor.

»Wir können nachher eine Runde Schwimmen gehen«, schlägt Zoe vor.

»Im See«, sagte ich genießerisch. Ja, den See habe ich auch vermisst.

»Genau!«, sagt Zoe lachend. »Alle warten schon auf dich! Mein Bruder hat vorgeschlagen, dass wir heute Abend ins Rust gehen.«

»Mal sehen«, sage ich. Der siebenstündige Flug steckt mir noch den Gliedern. Ich fingere das Haarband aus meiner Handtasche. Dann binde ich mir meine langen, dunkelblonden Haare zurück. »Wie geht’s deinem Bruder?«

»Ach, Leo geht es irgendwie immer gut«, sagt Zoe lachend. »Er ist übrigens mit Tammy zusammen.«

»Tammy?«, frage ich verwundert. Früher in der Schule habe ich diese eingebildete Zicke nicht leiden können. Eigentlich hatte niemand sie leiden können – außer den anderen Zicken.

»Ja.« Zoe zieht den Mund schief. Anscheinend ist Tammy noch immer ziemlich nervig. »Wir hoffen alle, dass es nicht lange hält.«

»Und bei dir gibt’s nichts neues?«

»Nein. Immer noch Single«, erzählt sie. »Eine Zeitlang habe ich mich öfter mit Will getroffen. Aber das hat nicht gut funktioniert. Will hängt einfach zu oft mit Aiden um. Du kannst dir ja vorstellen, was das bedeutet.«

Allein von diesem Namen bekomme ich eine Gänsehaut.

Ich drehe mein Gesicht weg. Ich tue, als schaue ich mir die Landschaft an. Aber eigentlich will ich nur nicht, dass Zoe sieht, was in mir vorgeht.

»Hm«, mache ich ganz beiläufig.

Aiden war das Erste, an das ich gedacht habe, nachdem mein Ex und ich uns getrennt haben. Wenn ich ehrlich bin, ist in den vergangenen acht Jahren wohl kein einziger Tag vergangen, an dem ich nicht an ihn gedacht habe.

Ich denke an ihn, wenn ein Motorrad an mir vorbeiprescht.

Ich denke an ihn, wenn ich gut gebaute Männer in engen T-Shirts sehe.

Ich denke an ihn, wenn ich Flugzeuge am Himmel sehe. Früher wollte er Pilot werden.

Ich denke an ihn, wenn ich Kirschen esse. Er hat sie immer mit Kern heruntergeschluckt. Und ihm ist nie was passiert.

Ich denke an ihn, wenn es draußen gewittert. Ich erinnere mich dann daran, wie er als kleiner Junge mit einem Metallstab draußen spazieren ging, als ein Unwetter heraufzog. Angeblich habe er nur herausfinden wollen, ob diese ganze Sache mit den Blitzableitern stimme. Aber ich weiß es besser.

Normale Menschen haben ein Gespür für Gefahren. Aber Aiden nicht. Ich weiß nicht, ob er einfach keine Angst hat. Oder ob wir anderen einfach zu viel davon haben.

 

Ich habe jedenfalls Angst davor, ihn wiederzusehen. Aber ein Teil von mir kann es kaum erwarten.

Irgendwie wünsche ich mir, dass er fett geworden ist oder eine Glatze bekommen hat. Irgendwann muss sein ungesunder Lebensstil ihm doch zusetzen.

No. 2 - Ein erstes Wiedersehen

 

Meine Eltern stehen im Garten neben der Einfahrt. Sie fangen an zu winken, sobald Zoes kleiner Chrysler in Sicht kommt.

Gestern Nacht habe ich wachgelegen. Ich habe mich gefragt, ob alle hinter meinem Rücken sagen würden, ich hätte versagt. Ich sei in diese große, weite Welt hinausgezogen und wäre dort gescheitert.

In gewisser Weise war ich gescheitert. Nicht an der Welt, sondern an meinem Ex.

 

Das herzliche Lächeln im Gesicht meiner Eltern lässt mich meine schlechten Gedanken vergessen. Sie freuen sich ehrlich, mich zu sehen. So wie auch Zoe.

Ich fühle mich willkommen.

Als erstes falle ich meinem Dad um den Hals. Er und ich haben uns schon immer gut verstanden.

Meine Mom und ich hatten immer schon Schwierigkeiten. Sie ist verdammt streng. Sie will einfach nicht einsehen, dass ich erwachsen bin.

Ganz ehrlich, ein wenig Schiss habe ich schon davor, mit ihr wieder unter einem Dach zu wohnen.

Mein Dad tätschelt mir den Rücken.

»Gehen wir doch rein. Du bist bestimmt müde«, sagt er. »Und es ist heute ja so warm.«

»Geht schon, Dad«, sage ich und umarme dann meine Mom.

»Die Wärme wird ihr gut tun«, sagt sie. »Und die Sonne. Du bist so blass!« Sie nimmt mich an den Schultern und mustert mich. »Warst du auch mal draußen?«

»Ja, war ich«, seufze ich.

Zu viert schaffen wir meine Koffer und Taschen nach innen.

Nichts hat sich verändert. Das hat etwas Beruhigendes.

»Wir haben dein altes Zimmer nicht angetastet«, sagt mein Dad. »Du kannst gleich hochgehen.«

»Mach ich.«

Ich komme mir wieder ein bisschen vor wie ein kleines Kind. Als ich meine Handtasche auf das schmale Bett lege, komme ich ins Grübeln. Ich sollte mir wohl demnächst ein größeres anschaffen.

Mein Blick fällt hinunter auf die Straße. Auf die Häuser gegenüber. Auf jenes mit dem verrosteten Briefkasten im Vorgarten und dem verbrannten Rasen und der abbflätternden Fassade.

Es sieht noch schäbiger aus als damals. Früher haben die Nachbarn nur vom ›Schandfleck‹ gesprochen. Und damit meinten sie nicht nur dieses Hauses. Sondern die ganze Familie Hart.

Zoe ist hinter mich getreten.

»Der alte Hart ist vor drei Jahren gestorben«, sagt Zoe. »Miss Hart wohnt jetzt ganz allein.«

Ich kann meinen Ohren kaum trauen. »Allein?«

»Ja.« Zoe nickt.

Ich sehe mich knapp nach ihr um. »Was ist aus Holly geworden?«, frage ich. Holly ist Aidens jüngere Schwester.

»Angeblich ist sie Bedienung in einer Bar, irgendwo. Ich weiß nicht genau. Andere sagen aber, sie wäre bei ihrem jüngeren Bruder.« Sie lüftet die Lider.

»Oh«, mache ich. Das würde bedeuten, sie wäre in der Psychiatrie gelandet.

»Und … Aiden?« Sein Name kommt mir kaum über die Lippen. In meinem Innern tobt ein Sturm. Aber rein äußerlich bleibe ich ganz gelassen.

»Er sieht manchmal bei seiner Mutter vorbei. Aber nicht oft. Er war nicht mal bei der Beerdigung seines Vaters. Wahrscheinlich ist er froh, dass er tot ist. Das kann ich ihm nicht mal verdenken.«

Es ist kein Geheimnis, dass der alte Hart ein wahres Monster gewesen war. Er hatte sich betrunken und dann seine Frau und ihre vier Kinder verdroschen.

Der älteste Sohn, Greg, war mit 19 Jahren gestorben. Angeblich ein Autounfall. Aber man munkelte, er hätte seinen Wagen absichtlich vor einen Baum gesetzt. Der jüngste Sohn lebte seit Jahren in einer Einrichtung und Holly vermutlich auch. Nur Aiden war unbeschadet dort herausgekommen. Nun, einigermaßen unbeschadet.

Immerhin bedeutet Zoes Antwort, dass Aiden noch immer in der Nähe wohnt.

In meiner Fantasie trete ich mir fest vors Schienbein.

Es sollte mir eigentlich egal sein, wo er ist.

Oder was er tut.

Oder ob ich ihn je wiedersehe.

 

Das ändert nichts.

Gar nichts.

 

Meine Mutter hat uns Mittagessen gemacht. Wir sitzen in der Küche. Ich an meinem angestammten Platz gegenüber meinem Dad. Wir reden über alte Geschichten und über die Dinge, die sich hier in den Jahren verändert haben. Einige Leute sind gestorben und nur wenige neu zugezogen. Ein paar Kinder wurden geboren, ein paar Paare haben geheiratet.

Ich nicke und lache an den richtigen Stellen, aber eigentlich höre ich nicht richtig zu. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie mein Blick aus dem Küchenfenster schweift. Hinüber zur anderen Straßenseite.

Ich habe ihn so oft dort drüben gesehen.

Meine Mom wollte nie, dass ich etwas mit den Kindern der Harts zu tun hatte. Aus Prinzip habe ich natürlich gegen diese Regel verstoßen. Aber je älter ich wurde, umso seltener schlich ich mich hinüber. Und mit 11 oder 12 habe ich die Harts gar nicht mehr besucht.

Natürlich bin ich ihnen begegnet, habe sie begrüßt, bin mit ihnen im Schulbus gefahren. Aber ich hatte nichts mehr mit ihnen zu tun. Freiwillig.

Erst mit den Jahren habe ich verstanden, dass man sich von dieser Familie wirklich besser fernhalten sollte. Sofern man eine halbwegs normale Jugend erleben wollte. Sofern man nicht ins Gerede kommen wollte.

 

»Fahren wir zum See?«, fragt Zoe nach dem Essen.

Ich sehe an mir hinab. »Ich muss mich erst umziehen, schätze ich.«

»Ich warte draußen.«

 

Keine zehn Minuten später steige ich in einem leichten Sommerkleid in den Wagen. Ich habe mein Bikini schon drunter. Ich kann die Erfrischung kaum noch abwarten.

»Ich muss noch schnell tanken«, sagt Zoe.

»Klar, kein Problem.«

Wir fahren über die Hauptstraße, an all den vertrauten Häusern vorbei. Dann biegen wir rechter Hand ab, zu der kleinen Tankstelle, gleich neben der Werkstatt.

Ich bleibe sitzen, während Zoe das Auto betankt.

Ich sehe ich verstohlen um, ob ich ein bekanntes Gesicht entdeckt. In meinem Viertel kenne ich jeden einzelnen mit Namen, aber es ist nicht so, dass ich alle 9.000 Einwohner kenne.

Ganz zufällig fällt mein Blick auf einen Oldtimer, der im Hof der Werkstatt steht. Ein alter Caddy. Rostrot.

Die Motorhaube steht offen.

Ein Mechaniker macht sich am Innenleben zu schaffen.

Während ich so darüber nachdenke, dass diese Arbeitskleidung – weißes Shirt und Jeans – garantiert nicht vorschriftsmäßig ist, wird mir bewusst, wen ich da ansehe.

Mein Atem setzt aus.

Ich presse mich in den Sitz.

Mein Körper beginnt zu Glühen.

 

Ich hätte ihn unter allen Menschen auf der Erde wiedererkannt. Auch jetzt. Von hinten. Nach so vielen Jahren.

 

Dieser knackige Po, dieser breite Rücken, diese sagenhaft muskulösen Arme.

Er muss es einfach sein.

Aiden.

 

Knarrend zieht Zoe die Fahrertür auf.

Sie lässt sich in den Sitz plumsen.

»Puh!«, prustet sie. »Ist das heiß!«

»Ja«, hauche ich.

»Ich hab dir ein Eis mitgebracht.« Sie hält mir ein Orangeneis entgegen.

Wie mechanisch nehme ich es ihr aus der Hand.

»Alles klar bei dir?«, fragte sie irritiert. Prüfend betrachtet sie mein Gesicht.

»Ja, wieso?«, erwidere ich teilnahmslos.

»Du bist knallrot.«

»Hm. Das … muss an dem Wetter liegen.«

»Ok.« Zoe zuckt die Achseln. Dann startet sie den Motor.

Ich schaue stur geradeaus. Mit zitternden Fingern nestele ich an der Eispackung.

Gerade als sie losgefahren ist, wirft Zoe einen Blick in den Rückspiegel. »Ach, schau an. Aiden Hart.« Ein schiefes Grinsen taucht auf ihrem Gesicht auf. »Zu Schade, dass er so ein Freak ist. Was für eine Verschwendung. Er ist sieht aus wie ein Gott.«

No. 3 - Abkühlung

 

Der See glänzt in der Sommersonne. Das Ufer besteht aus Kieselsteinen, dahinter liegt eine Wiese. Noch weiter außen stehen alte Bäume ringsumher.

Zoe und ich sind nicht die einzigen, die auf die Idee gekommen sind, sich hier Abkühlung zu verschaffen.

Außer einigen Jugendlichen haben sich auch drei alte Bekannte hier eingefunden.

Sie erkennen mich schon aus der Entfernung.

»Seht mal, wen ich mitgebracht habe!«, sagt Zoe lachend, während wir nebeneinander auf die Gruppe zugehen.

»Hey Ella!«, ruft mir eine vertraute Stimme zu.

Es ist Topher, eigentlich Christopher. Er ist mit seiner jüngeren Schwester Sara gekommen und mit seinem besten Freund Phil.

Früher hatte ich mit den dreien häufiger zu tun. Wir sind auf die gleiche Schule gegangen. Aber sie wohnen weiter im Süden der Stadt, in einer besseren Wohngegend. Tophers und Saras Eltern sind beide Anwälte und Topher ist in ihre Fußstapfen getreten. Sara ist erst 23 und studiert noch.

Topher schenkt mir sein blendendes Strahlen.

Zum letzten Mal habe ich ihn vergangenes Weihnachten gesehen, aber nur kurz. Er sieht wirklich gut aus, sehr smart, sehr gepflegt. Sein ohrlanges, braunes Haar hat er heute nicht zurückgekämmt und so steht es ihm eindeutig besser.

Während ich ihn so in der Badehose betrachte, verwundert es mich, dass er neben seinem Job so viel Zeit hat, zu trainieren. Er ist sehr athletisch, sehr schlank. Mit seinen 1,90 wirkt er fast ein wenig schlaksig.

»Schön dich zu sehen, Ella!«, sagt Topher, als er mich in die Arme nimmt.

Meine Wange berührt seine nackte Brust. Es fühlt sich komisch an. Nicht schlecht. Aber komisch.

Ich weiß nicht, was ich mit meinen Händen tun soll. Ich finde, wir haben schon genug Körperkontakt.

Als er mich loslässt, grinse ich ziemlich verdattert. »Hey Topher«, murmele ich.

Die Umarmung mit Phil lässt mich wieder cooler werden. Phil ist so gar nicht mein Typ. Ein wenig speckig und auch insgesamt sehr soft. Ein guter Zuhörer, ein Kumpeltyp, aber nicht mehr.

Sara ist eine hellblonde, feenhafte Erscheinung. Sie ist so zierlich, dass ich Angst habe, sie zu zerbrechen.

Ich bin auch schlank, aber nicht dürr. Ich habe durchaus einige Pölsterchen, aber zum Glück überwiegend an den richtigen Stellen.

»Ich habe gehört, wir werden uns jetzt wieder häufiger sehen«, sagt Topher. Seine grau-braunen Augen glänzen fröhlich.

Er ist bestimmt ein verdammt guter Anwalt, denke ich bei mir. Keine Jury dieser Welt könnte seinem Charme widerstehen. Frauen verfallen ihm und Männer halten ihn für einen Gewinnertyp.

Ja, Topher ist ein Gewinnertyp, eindeutig.

»Ja.« Etwas hilflos schlenkere ich die Arme. Ich hoffe nur, dass nicht die Frage nach dem ›Warum‹ aufkommt. Es ist so ein herrlicher Tag. Ich will ihn nicht mit Geschichten über meinen Ex verderben.

»Macht es euch bequem«, sagt Topher.

Wir breiten unsere Picknickdecke aus und stellen unsere Taschen daneben.

Ich kann es kaum noch erwarten, endlich in das kalte Wasser zu tauchen.

Als ich mir mein Kleid über den Kopf gezogen habe, bemerke ich, wie Topher mich interessiert mustert. Ich erwidere seinen Blick. Daraufhin schenkt er mir ein eindringliches Grinsen.

»Wir sind wirklich froh, dich wieder hier zu haben«, sagt er frech und zwinkert mir zu.

 

Zoe ist die Erste, die komplett untertaucht.

Ich war schon immer eine Frostbeule.

Schrittchen für Schrittchen taste ich mich voran. Als das Wasser dann so hoch ist, dass es meinen Bauch erreicht, presse ich instinktiv die Arme an den Körper.

»Nur nicht so schüchtern!«, ruft Topher und lässt sich direkt neben mir ins Wasser fallen.

Ich werde von oben bis unten nassgespritzt. Ich muss lachen. Aber mir ist wirklich arschkalt.

Schließlich gebe ich mir einen festen Ruck und lasse mich langsam ins Wasser gleiten.

Nach den ersten paar Schwimmbewegungen fühlt sich die Kälte sehr angenehm an. Ich drehe mich auf den Rücken und schaue zum Himmel hinauf. Ich lasse mich treiben. Ein makelloses Blau über mir.

Blau. So unendlich tief, so unergründlich, so wunderschön.

Aiden hat himmelblaue Augen.

Himmelblau.

 

Plötzlich spüre ich eine Hand an meinem Fuß.

Ich schreie erschreckt auf und stelle mich hin.

Topher steht da und lächelt mich an. Zoe steht an seiner Seite. Lässig hat er den Arm um sie gelegt.

»Wir sind doch nicht hier, um zu schwimmen!«, sagt er lachend.

»Sondern?«, frage ich kichernd.

»Nur weil wir erwachsen sind, müssen wir ja nicht erwachsen tun!«

Mit diesen Worten tunkt Topher Zoe unter. Sie strampelt wie wild, hat aber keine Chance. Kaum hat er sie auftauchen lassen, probiert sie das Gleiche mit ihm. Ebenso chancenlos.

 

Ich bleibe nicht lange verschont.

Fast eine Stunde lang jagen wir lachend durchs Wasser. Mal auf der Flucht. Mal als Jäger.

Mir kommt es so vor, als jage Topher mich besonders gerne. Angeblich weil ich so schön laut schreie. Mir fällt auf, wie vorsichtig er seine Arme um mich legt. Wie er darauf achtet, nicht zu grob zu sein.

Einmal packt er mich von hinten. Ich höre sein Lachen in meinem Nacken. Doch anstatt mich ins Wasser zu werfen, hält er mich einfach fest. Seine weiche Haut schmiegt sich an meinen Rücken. Ich spüre seine Atemzüge. Für einen kurzen Moment werden wir beide ganz still.

 

Ich fühle mich tatsächlich wieder ein bisschen wie ein Teenager. Und ja, manchmal habe ich es wirklich satt, erwachsen zu tun. Wem will ich da etwas beweisen? Im meinem Kopf bin ich wohl kaum älter als 18. Verträumt, ein bisschen naiv, ein wenig gutgläubig. Das sind nicht die schlechtesten Charaktereigenschaften. Denn das Gegenteil ist nicht besser: abgestumpft, realistisch, misstrauisch.

 

Als wir wieder aus dem Wasser kommen, habe ich vor lauter Lachen Bauchmuskelkater. Ich setze mich auf die Decke und strecke die Beine aus. Dann reicht mir Phil sogar noch eine gekühlte Limo.

Ja, das ist ein wirklich fast perfekter Tag.

»Hast du schon einen neuen Job hier?«, will Phil wissen.

»Nein«, sage ich. Ich bin so gut gelaunt, dass nicht einmal diese Frage mir etwas anhaben kann. Ich lache sogar, als ich sage: »Ich schätze, hier herrscht kein hoher Bedarf an Mediendesignerinnen.«

»Ich weiß, dass in der Konditorei eine Aushilfe gesucht wird«, erzählt Phil.

Als Konditorin habe ich mich eigentlich nie gesehen. Aber im Moment sollte ich nicht so wählerisch sein.

»Danke für den Tipp.«

»Sara hat mal eine Zeitlang im Diner gejobbt«, sagt Topher von der Seite. »Um sich einen Europatrip zu finanzieren. Sie hat monatelang wie alte Pommes gerochen.« Er lacht laut.

»Aber es war toll in Europa!«, sagt Sara und reckt das Kinn.

»Ich würde so ziemlich alles machen, um meinen Eltern nicht auf der Tasche zu liegen«, sage ich.

»Dann käme natürlich noch das Rust in Frage.« Topher klingt amüsiert. »Die haben ja immer Verwendung für junge, hübsche Damen.«

Ich richte mich auf. »Als ich sagte ›so ziemlich alles‹, da bezog sich das auf das Rust.«

»Trotzdem bin ich dafür, dass wir der guten, alten Bar noch einen Besuch abstatten«, sagt Zoe grinsend in die Runde.

 

Erst als die Sonne zu sinken beginnt, machen wir uns auf den Weg.

Ich fahre mit Zoe in ihrem Kleinwagen. Topher ist mit seinem Audi A6 gekommen. Ich habe den Eindruck, er ist sehr stolz auf sein teures Gefährt.

Er fährt voraus. Natürlich. Einer wie Topher muss immer an erster Stelle sein.

No. 4 - Bloß nicht umdrehen

 

Das Rust ist eine richtige Absteige. Man kann dort Billard und Darts spielen, sich billig betrinken, mit zugedröhnten Kerlen tanzen und die örtliche Trinkerszene bestaunen. Der perfekte Ort, um sich daneben zu benehmen. Der nächste Club ist gut 45 Fahrminuten entfernt. Außer dem Rust gibt es noch eine Kneipe in der Innenstadt, die etwas gemütlicher ist. Aber wir haben ja nicht vor, es uns gemütlich zu machen.

Topher geht direkt an den Tresen.

»Eine Runde Whiskey!«, ruft er dem Barkeeper zu.

»Ich sehe schon, wir müssen nachher laufen«, sagt Zoe zu mir.

Der Weg dauert zu Fuß gut eine halbe Stunde. Ich bin ihn schon oft gegangen. Immer angetrunken.

Plötzlich vergeht Zoes gute Laune. »Da hinten ist Will«, flüstert sie mir zu.

So unauffällig wie möglich sehe ich mich nach ihm um.

Will steht an einem der Billardtische. Er hat einen Anglerhut auf dem Kopf und kaut auf einem Zahnstocher herum. Er sieht aus wie ein richtiger Redneck.

Außerdem trägt er einen dichten Bart, der ihm fast bis zur Brust reicht. Er sieht ein wenig heruntergekommen aus.

»Wie lange wart ihr zusammen?«, frage ich zweifelnd.

»Wir waren nicht richtig zusammen«, erwidert sie. »Jedes Mal wenn ich ihn sehe, sieht ein wenig mehr aus wie ein Penner.«

Ich nicke zustimmend.

»Ich hatte gehofft, er ist nicht hier«, fährt Zoe fort. »Er und Aiden sind normalerweise immer in irgendwelchen Bars im Umland unterwegs. Hier kennt man sie schon zu gut. Da kriegen sie keine mehr rum.«

Unwillkürlich sehe ich zu Sara, die direkt neben mir steht.

Jeder in der Stadt weiß, wer sie entjungfert hat – und wo. Oder ›ihre Unschuld geraubt‹, wie Tophers Eltern das damals bezeichnet haben. Es war Stadtgespräch. Wochenlang.

Die schöne, grazienhafte, liebliche Sara, damals noch zarte 17: richtig ordentlich rangenommen auf dem Parkplatz des Supermarkts, zwischen leeren Pappkisten und Müllcontainern. Entdeckt vom Sheriff höchstpersönlich, nachdem verstörte Anwohner wegen ›schrecklicher Schreie‹ die Polizei verständigt hatten.

Und wer hatte sie so zum Schreien gebracht?

Aiden Hart natürlich.

Das war nicht seine einzige stadtbekannte Eroberung. Aber mit Abstand die spektakulärste.

Sara hatte mir schon leid getan. Allerdings bezweifele ich, dass dieses Abenteuer wirklich so bedauernswert war.

Außerdem bin ich mir nicht so sicher, dass Aiden ganz ohne Hintergedanken ausgerechnet Sara dort auf diesem Parkplatz entjungfert hat. Für mich hat es immer wie ein Akt der Rache ausgesehen. Sara war gedemütigt worden, um Topher zu treffen.

Vielleicht rede ich mir das auch nur ein. Vielleicht will ich einfach nicht wahrhaben, dass Aiden einfach nur ein Arschloch ist. Vielleicht will ich lieber glauben, dass Sara eigentlich gar nicht sein Typ ist, sondern … eher so ein Mädchen wie ich.

 

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Topher hält mir mein Schnapsglas entgegen.

Mit den Worten »Auf Ellas Heimkehr!« stürzt er seinen Whiskey hinunter.

Ich proste den anderen zu. Dann nippe ich vorsichtig.

»Gabs bei euch etwa nichts zu trinken?«, fragt Phil lachend.

»Nicht oft«, gebe ich zu. Ich will den vieren jetzt nicht erzählen, dass ich die vergangenen vier Jahre wie ein braves Hausmuttchen verbracht hatte. Ich hatte zwar gearbeitet und auch viele Überstunden gemacht. Aber meine Freizeit hatte ich voll und ganz in meinen beschissenen Ex-Freund investiert. Damit es ihm auch ja gut ging.

Ich war ja so dämlich.

Bei der Erinnerung daran, kippe ich den Whiskey in mich hinein.

»So gefällt mir das schon besser!«, lacht Topher und ordert gleich die nächste Runde.

 

Gerade als wir in Stimmung kommen, gerät der ausgelassene Abend in ernste Gefahr. Aus einem einzigen Grund. Einem unübersehbaren Grund. Einem unausweichlichen Grund.

Draußen auf dem Parkplatz fährt ein schwarzer Pick Up vor.

Topher stellt sich auf die Zehenspitzen. Er macht große Augen.

»Ach, wen haben wir denn da?« Sein Blick wird stechend.

Ohne nachzufragen, weiß ich genau, um wen es geht. Ich drehe meinen Rücken Richtung Tür. Ich will ihn nicht sehen. Denn ich ahne, was das in mir auslösen wird. Der Alkohol tut sein Restliches. Nein, in diesem Zustand sollte ich ihm besser nicht begegnen.

Ich höre, wie draußen die Autotür zugeschlagen wird.

Ich halte die Luft an.

»Unser großer Soldat kommt! Der Stolz der ganzen Stadt!«, ruft Topher. Er salutiert.

»Lass das!«, zischt Zoe. Sie schlägt ihm den Arm runter.

Gerade noch rechtzeitig.

Ich schaue in die Gesichter meiner Freunde. Und ich weiß genau, dass er gerade hereingekommen ist.

Saras Miene verändert sich. Ihre Abwehrhaltung bekommt erste Risse. Zurück bleibt nichts als Kränkung. Sie senkt die Lider.

Mein Atem geht nur noch ganz flach.

Ich betrachte, wie Zoes Blicke ihm folgen. Erst als sie mich wieder ansieht, blinzele ich wieder.

»Tja, hier trifft sich eben der Abschaum«, meint sie und verschränkt die Arme. Dann schaut sie sich nach den anderen um. »Wieso genau sind wir nochmal hier?«

»Scheiß auf den!«, zischt Topher und greift demonstrativ nach dem nächsten Whiskey. »Wir waren zuerst hier!«

Zoe gluckst belustigt. »Ich finde ja auch, dass niemand hier den Erwachsenen geben muss – aber ein bisschen weniger kindisch würde mir besser gefallen.«

»Wir sind hier, um zu feiern!«

»Die Stimmung ist im Arsch.«

»Eure vielleicht nicht, unsere nicht.« Topher stößt Phil an. Dieser wankt nur ein wenig.

»Trinken wir einfach noch eine Runde und dann gehen wir, ok?«, schlage ich vor.

Am Liebsten wäre ich sofort hinausgestürmt. Aber ich will mich nicht verraten. Ich habe so viele Jahre tapfer durchgehalten. Da werde ich auch noch diese paar Minuten überstehen.

Ich gehe zum Tresen und nehme ein weiteres Glas.

»Tut mir echt leid.« Zoe steht direkt hinter mir, als sie mich anspricht.

Ich zögere.

Ich will mich nicht umdrehen.

Wenn ich mich umdrehe, dann kann ich ihn sehen. Und eigentlich will ich das nicht.

»Alles ok?«, fragt Zoe überrascht.

Widerwillig wirbele ich herum. Ich schenke ihr ein nichtssagendes Lächeln. »Sicher.«

Ich kann es nicht verhindern. Mein Blick gleitet zielsicher in seine Richtung.

 

Früher war Aiden ein hagerer Junge mit einem trotzigen Gesicht und schmutzigen Fingernägeln. Dann wurde er ein trotziger Teenager, weniger hager, umso aggressiver. Und der Trotz ist immer noch da.

Ich weiß noch, wie es damals auf der Schule war. Alle haben über die Hart-Kinder gespottet. Sie sind als Asoziale, als Missgeburten, als Bettler beschimpft worden. Aber das war nie die ganze Wahrheit.

Niemals hat es eine von uns ausgesprochen. Niemals hat es eine von uns zugegeben. Aber in unseren dunklen, einsamen Stunden haben wir uns weder nach Topher noch dem Quarterback der Schul-Footballmannschaft gesehnt. Sondern nach Aiden Hart. Diesem unberechenbaren, hartherzigen, draufgängerischen Einzelgänger.

Es sind seine Augen.

Sie sind so sanft. So unendlich tief. Es ist, als könnte man bis auf den Grund seiner Seele schauen.

Davon abgesehen hat er so gar nichts Sanftes an sich.

Seit ich ihn das letzte Mal vor gut fünf Jahren flüchtig gesehen habe, ist er noch kräftiger geworden. Muskelbepackt, nicht dünn, aber auch kein Gramm Fett zu viel. Das weiße T-Shirt spannt um seine mächtigen Schultern. Sein Hals ist breiter als sein Kiefer.

Diese Lippen … so voll, so weich. Wirklich tragisch, dass immer nur so ein Bullshit aus diesem Mund kommt.

Sein kurzgeschorenes, dunkelblondes Haar ist kaum länger als die Stoppeln seines Dreitagebarts.

Er hat ein markantes Gesicht, so männlich. Mit dem spitzen Kinn, den hohen Wangenknochen, den tiefsitzenden Brauen.

Man könnte ihn stundenlang einfach nur ansehen. Das wird nie langweilig. Das weiß ich aus Erfahrung.

Er steht an einem der Billardtische. Als er den Queue ausrichtet, betrachte ich das Muskelspiel der Unterarme. Unter seiner braungebrannten Haut erkennt man jede Sehne, jeden Muskelstrang.

Und dann versuche ich das Tattoo auf dem rechten Unterarm zu entziffern.

Was steht da?

Tor ---

Torture.

Folter.

 

»Was machst du da?«, fragt Zoe irritiert.

Erst jetzt bemerke ich, dass ich ganz gedankenverloren den Kopf schief gelegt habe.

Ich schrecke zusammen.

»Nichts!«, pruste ich.

»Ach?« Zoe sieht sich nach Aiden um. »Wie gesagt: eine riesige Verschwendung. An Platz. An Luft.«

Ich nicke stumm.

»Vielleicht sollten wir wirklich gehen«, meint sie.

Als sie sich nach mir umwendet, nicke ich noch immer.

»Na komm.« Sie hakt sich bei mir ein. »Wir Ladys machen jetzt einen Abgang«, verkündet sie.

Kurz bevor wir die Tür erreichen, riskiere ich einen letzten, verstohlenen Blick.

Doch Aiden beachtet uns gar nicht.

Ob er mich wohl überhaupt bemerkt hat? Ob er mich überhaupt bemerken will?

No. 5 - Lust

 

»Wir müssen noch einkaufen«, sagt meine Mutter, als wir zu dritt am Frühstückstisch sitzen. So wie früher.

»Das kann ich doch machen!«, sage ich schnell.

»Du hast kein Auto.«

»Eure beiden stehen in der Einfahrt«, erwidere ich kopfschüttelnd.

»So«, macht meine Mutter. Geradezu sorgenvoll sieht sie zu meinem Dad. »Bist du denn in den letzten Jahren überhaupt selbst gefahren? Du hast doch bestimmt immer die U-Bahn genommen, oder Liebes?«

»Ich werde es schon schaffen, Mom«, sage ich und halte ihr die Hand hin.

Nur widerwillig gibt sie mir die Autoschlüssel.

»Danke«, brummele ich. Dann stecke ich mir den letzten Bissen des Marmeladenbrötchens in den Mund und gehe nach draußen.

Ich winke Miss Tabert von gegenüber, ehe ich in den alten Dodge meines Vaters steige.

Es ist schon wieder sehr warm. Dieser Wagen hat leider keine Klimaanlage.

 

Die Fahrt verläuft ereignislos. Hier ist nie viel los. Das gefährlichste sind alte Omas, die kaum noch über das Lenkrad ihrer Chevys gucken können.

Als größte Verkehrsgefährdung stelle schließlich ich selbst mich heraus.

Gerade als ich den Blinker setze, um auf den Parkplatz des Supermarkts einzubiegen, steige ich in die Eisen.

Hinter mir hupt es.

Aber das nehme ich kaum wahr.

Ich starre zum Parkplatz, zu dem schwarzen Pick Up, der dort steht, zu ihm. Aiden.

Mein Bremsmanöver hat seine Aufmerksamkeit erregt. So wie die aller anderen Leute ringsumher.

Für einen Moment spiele ich dem Gedanken einfach weiterzufahren.

Das ist so peinlich!

Dann gebe ich mir innerlich einen festen Ruck. Ganz vorsichtig trete ich auf das Gaspedal und schlage das Lenkrad ein.

Ich parke meinen Wagen in der Nähe der Ausfahrt. Bevor ich aussteige, kämme ich mir mit den Fingern durch die Haare. Dann prüfe ich den Sitz meines Shirts. Ich räuspere mich. Erst dann öffne ich die Tür.

Aiden steht noch immer an der Ladefläche seines Wagens. Uns trennen weniger als zehn Meter.

Er sieht mich an.

Lauernd.

Diesen Ausdruck kenne ich nur zu gut von ihm. Ich denke, er hat nie gelernt jemandem zu vertrauen – und das kann er nicht verbergen.

Ich will möglichst lässig aussehen. Also hänge ich meine Daumen in die Gürtelschlaufen meiner kurzen Jeans.

Meine Stimme will aber einfach nicht mitmachen. Sie zittert hörbar, als ich ihn begrüße.

»Hey Aiden.«

Ich nicke ihm zu. Aber das erwidert er nicht.

Er verengt die Lider. Er sieht zornig aus. Auch das habe ich schon so oft an ihm beobachtet. Zorn, Wut, Rage. Er kann sehr laut werden. Und er wird es sehr schnell.

Als er noch ein Junge war, haben die anderen ihn gehänselt. Aber mit 12, vielleicht 13 Jahren war er stärker als alle anderen. Das hat er sie auch spüren lassen. Seitdem haben die meisten ihn gemieden.

Ich halte seinem Blick nicht länger Stand. Unwillkürlich schlage ich die Lider nieder.

Es scheint, er hat nur darauf gewartet. Vielleicht war das so etwas wie ein Test: wer gibt zuerst nach? Die Antwort stand von vorneherein fest. Ich weiß, dass Aiden nicht nachgeben kann. Damals in der Schule hat er lieber noch ein paar Schläge mehr kassiert, als sich geschlagen zu geben.

»Du ziehst wieder in die Stadt«, sagt er.

Seine Stimme massiert meine Trommelfelle. So tief, so rau, so kraftvoll.

»Ja.« Ich lächle verschüchtert. »Bin ich schon. Ich … wohne wieder bei meinen Eltern.« Ich beiße mir auf die Unterlippe. »Vorerst.«

Aiden nickt und sieht an mir vorbei. Dann holt er eine Schachtel Marlboro hervor. Er steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen, aber zündet sie nicht an.

Mir fällt auf, dass der Handballen seiner rechten Hand abgeschürft ist. Mein Blick fällt wieder in sein Gesicht. Auf die tiefe Narbe, die oberhalb der linken Schläfe verläuft. Sein ganzer Körper ist übersät mit solchen Erinnerungen an seinen gewalttätigen Vater und die Grausamkeit seiner Mitschüler.

Ich deute mir über die Schulter, in Richtung der Tankstelle am Ende der Straße. »Ich hab gesehen, du arbeitest jetzt in der Werkstatt.«

»Ich habe sie gekauft«, raunt er mir zu.

»O.« Mein Lächeln wird anerkennend. »Du bist also Mechaniker.«

Aiden hebt nur leicht die Schultern. Anscheinend ist es ihm zu dämlich, diese Offensichtlichkeit zu kommentieren.

»Also kein Pilot.« Kaum habe ich ausgesprochen, lache ich hilflos.

Aiden drückt die Brauen in die Lider. Zweifelnd schaut er mich an.

»Früher wolltest du Pilot werden«, erinnere ich ihn.

Ich sehe, wie er fest die Kiefer aufeinanderpresst. Die Muskelstränge treten hervor. »Ich muss gehen«, sagt er knurrend.

Ohne ein weiteres Wort geht er zur Fahrertür, steigt ein und schlägt sie hinter sich zu.

Völlig verdattert bleibe ich zurück.

Ich schaue seinem Wagen nach bis er hinter einer Straßenbiegung verschwunden ist.

 

Diese merkwürdige Begegnung geht mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Und auch nicht am Abend und nicht in der Nacht.

Nun liege ich wach und sehe zu wie sich die Vorhänge vor dem offenstehenden Fenster bewegen.

Mittlerweile habe ich aufgehört, mich zu fragen, wieso er so reagiert hat. Stattdessen erinnere ich mich nur noch an seinen Blick, an seine Stimme, an seinen Körper.

Ich liebe diese zu engen Shirts an ihm. Ich stelle mir vor, wie der weiche Stoff sich auf seinem festen Körper anfühlt. Ich stelle mir vor, wie es ist, ihn zu berühren. Er ist wie ein Fels, so stark, so unnachgiebig. Ich wünschte, er wäre zu mir hinüber gekommen. Ich wäre ihm so gerne näher gewesen. Viel näher.

Allein beim Gedanken an ihn krampft mein Inneres auf eine angenehme Weise zusammen. Mein Atem geht flacher, meine Wangen beginnen zu glühen. Selbst meine Brustwarzen werden steif.

Ich weiß, dass ich ihn will. Ich will ihn viel zu sehr.

 

Genau daran muss ich denken, als Zoe mir am nächsten Morgen erzählt, dass am Abend eine Feier am See stattfinden soll. »Alle werden da sein!«, sagt sie aufgeregt.

Wir sitzen zusammen im Wohnzimmer. Sie ist anscheinend nur vorbeikommen, um mir Bescheid zu sagen. Aber bei diesem ›alle‹ zögere ich.

»Du kommst doch?!«, fragt sie, als ich stumm bleibe.

»Ich … äh, hab schon Lust …« Wie kann ich ihr die Frage danach, ob Aiden auch da sein wird, bloß stellen – ohne dass es verdächtig klingt. Ich will ihn nicht wiedersehen. Nicht so bald. Ich brauche noch eine Weile, um mir klarzumachen, dass ich mich von ihm fernhalten sollte.

»Aber?« Zoe sieht mich groß an.

Da kommt mir der perfekte Einfall. »Hast du keine Bedenken, dass Will auch da sein wird?«

»Pff«, macht Zoe und winkt ab. »Klar wird er da sein. Und? Davon lasse ich mich nicht abhalten. Es ist ja nicht so, dass ich noch etwas von ihm will.«

»Okaay«, sage ich langsam. Mit anderen Worten: Aiden wird wahrscheinlich auch dort auftauchen. Nicht gut. Nicht gut für mich.

»Hast du etwa keine Lust?«, wundert sich Zoe.

»Ähm ich … weiß nicht, ich … brauche irgendwie ein bisschen Zeit«, versuche ich mich rauszuwinden.

»Wofür?«

»Um mich wieder einzuleben.«

»Wie willst du dich einleben, wenn du dich verkriechst?«

»Ich verkrieche mich nicht!«

»Dann komm doch einfach mit.«

Zoe schüttelt den Kopf. Entweder sie ist nur verwundert oder aber sie glaubt, ich verheimliche etwas.

»Ok gut«, sage ich also. »Ich komme.«

»Super!« Sie klopft mir auf die Schulter. »Ich hole dich ab!«

 

Wenn ich daran denke, ihm wiederzubegegnen, dann jagt ein Schauer über meinen Rücken. Aber die Wahrheit ist, sollte er nicht kommen, wäre ich maßlos enttäuscht.

Eine ganze Weile stehe ich vor meinem Kleiderschrank. Ich beschließe, mich nicht allzu sexy zu kleiden. Nicht unbedingt wegen Aiden, sondern eher wegen Topher. Ich will ihn nicht auf falsche Gedanken bringen.

In diesem Moment bedauere ich es ein wenig, dass es keine Keuschheitsgürtel mehr gibt. Ich will einfach keine Dummheit begehen.

No. 6 - Dummheiten

 

Als Zoe und ich um kurz nach 11 Uhr abends am See eintreffen, ist die Feier längst in vollem Gange. Wir parken zwischen den anderen Autos. Auf dem Weg zur Wiese sehe ich mich nach allen Richtungen um. Kein schwarzer Pick Up.

Jemand hat Lautsprecher mitgebracht. Gerade hallt Lana Del Reys Engelsstimme über den See. Überall am Ufer haben sich Gruppen von jungen Leuten zusammengefunden. 50, vielleicht 60 ausgelassene, fröhliche Menschen.

Manche liegen auf Decken zusammen, andere sitzen im Schein von Fackeln und Lagerfeuer, einige grillen. Und manche wagen auch noch einen Sprung ins Wasser. Besonders Mutige auch splitterfasernackt.

Ich entdecke Phil, der uns bereits zuwinkt. Er, Topher, Sara und Nadia haben es sich auf Picknickdecken gemütlich gemacht. Sie trinken Dosenbier und Wein aus Pappbechern.

Ich habe Nadia seit Jahren nicht gesehen. Sie war früher in meiner Klasse und das begehrteste Mädchen von allen. Doch nach der Schulzeit ging es mit ihr steil bergab. Sie ist eines dieser Mädchen, das geglaubt hat, gutes Aussehen und Beliebtheit würden schon ausreichen für ein schönes Leben. Nun jobbt sie als Reinigungskraft und ist bereits zwei Mal geschieden.

Ich umarme alle der Reihe nach. Dann lasse ich mir einen Becher Rotwein geben.

»Na, wer will eine Runde schwimmen?«, fragt Topher grinsend.

Alle außer Zoe und mir sind bereits angetrunken. Darüber wie wir nach Hause kommen, haben wir nicht wirklich gesprochen. Zoe meinte nur, ihre Mom stünde immer sehr früh auf. Im Zweifelsfall würde sie uns abholen.

»Lass mal, Topher«, sagt Zoe. »Du hoffst doch nur darauf, dass du in der Dunkelheit ungestraft davon kommst.«

Tophers Lachen verrät, dass Zoe damit absolut recht hat.

Ich setze den Rotwein an meine Lippen. Er ist fruchtig, ziemlich süß, das mag ich. Er rinnt mir nur so über die Kehle. Ich war schon so lange nicht mehr betrunken. In diesem Moment kann ich mir kaum etwas Schöneres vorstellen, als meine Gedanken für ein paar Stunden zu betäuben.

»Du hast ja heute richtig Durst!«, sagt Phil, als ich mir nachschenken lasse. »Du bist wohl wieder auf den Geschmack gekommen.«

»Es ist eher die Wirkung, die es mir angetan hat«, erwidere ich schmunzelnd.

 

Wir setzen uns zusammen und lachen und schwatzen. Ich bin beschwipst. Ich werde richtig albern. Ich muss sogar lachen, als Topher anfängt, anzügliche Witze zu reißen.

Ich bin bereits bei meinem vierten Becher, als plötzlich ein grelles Licht auf dem Parkplatz auftaucht. Ein Motorrad. Es blendet mich. Ich höre das Dröhnen einer leistungsstarken Maschine.

Dann verstummt der Klang und das Licht erlischt.

Wie gebannt schaue ich auf den Schatten, der dann auf der Wiese auftaucht. Im Feuerschein kann ich ihn allmählich erkennen.

Es ist Aiden. Seinem Gang nach zu urteilen, ist er auch schon betrunken. Aber das hält ihn natürlich nicht vom Fahren ab.

»Aiden!«, höre ich jemanden weiter hinten rufen.

Dann hat auch der Letzte der Anwesenden sein Eintreffen bemerkt.

Aiden erwidert keinen der Blicke, die ihm zuteil werden. Wahrscheinlich hat er sich einfach daran gewöhnt, immer unter Beobachtung zu stehen. Alle sehen ihm nach. Wirklich jeder einzelne. Und ich weiß genau, was in ihren Köpfen vorgeht.

Die Männer wünschen sich, sie wären so attraktiv, so gut gebaut und so verdammt sexy wie er. Und die Frauen wünschen sich, dass Aiden doch ein einziges Mal über sie drüberrutschen würde – natürlich ohne dass es jemand erfährt.

»Der ist doch total voll«, sagt Zoe kopfschüttelnd.

Ja, das ist er anscheinend. Ich lasse ihn nicht aus den Augen.

Will und vier weitere seiner schrägen Kumpels haben es sich auf Campingstühlen bequem gemacht. Aiden nimmt ein Bier, leert es in einem Zug und holt sich das nächste. Dann zündet er sich eine Zigarette an. Er inhaliert den Rauch so tief, dass er sich verflüchtigt hat, als er wieder ausatmet.

Ich kann das derbe Lachen von ihnen deutlich bis zu uns hören. Sie haben anscheinend viel Spaß. Mehr als wir. Sehr viel mehr als ich.

Zoe, Topher und die anderen versuchen unser Gespräch fortzuführen, aber ich beteilige mich kaum noch. Ich versuche herauszufinden, über was Aiden sich mit seinen Kumpels unterhält. Wahrscheinlich über geile Weiber, schnelle Autos und diese Sachen.

Manchmal höre ich ihn lachen. Ich weiß genau, wie sein Lachen klingt, obwohl ich es nicht oft gehört habe. Dann schaue ich jedes Mal verstohlen zu ihm. Denn Lachen gesehen habe ich ihn noch seltener.

Er hat das tollste Lachen, das man sich nur denken kann. So ehrlich, schelmisch, mitreißend. Er hat tiefe Lachfältchen um die Augen und leichte Grübchen. Er sieht so unglaublich süß aus, wenn er lächelt. Er hat so schöne Zähne. Weiß wie Salz. Am rechten Vorderzahn ist eine kleine Ecke abgebrochen.

Ich weiß, wie das passiert ist. Ich weiß, wer das getan hat.

Nämlich nicht Aidens versoffener Vater, sondern Topher. Er hat Aiden vor dem Sportplatz aufgelauert, natürlich nicht allein, sondern mit Verstärkung. Sie haben ihn geschlagen, getreten, mit Steinen beworfen. Einige Wochen später hat Aiden sich dafür revanchiert. Er hat Topher die Nase gebrochen. Aber im Gegensatz zu Aidens Eltern, hatten Tophers genug Geld, das wieder richten zu lassen.

 

Ich habe zu viel getrunken. Ich weiß, dass ich leichtsinnig werde, wenn ich zu viel trinke. Und ich weiß, dass Aiden garantiert nicht Nein sagen würde, wenn ich jetzt einfach zu ihm hinübergehen würde, mich an ihn pressen und ihn küssen würde. Ich wäre nur eine unter vielen. Und ich wäre das Gespött der Stadt. Aber in diesem Augenblick scheint es mir das wert zu sein.

Oh verdammt! Was denke ich da nur?!

»Ich geh mal in die Büsche«, sage ich und erhebe mich schwankend.

»Schaffst dus allein?«, fragt Zoe.

»Klar.«

Ich storkse vorwärts. Immer auf den Wald zu. Immer geradeaus. Ich brauche frische Luft und Abstand.

Die frische Kühle der Bäume umfängt mich. Ich bleibe kurz stehen und atme tief durch. Als ich die Augen schließe, kann ich kaum die Balance halten.

Also lasse ich mich rücklings gegen einen der Stämme sinken. Dann rutsche ich daran herab und bleibe auf dem weichen Boden sitzen. Ich schaue zu den Blättern über mir. Ich höre, wie der Wind im Laub raschelt.

Das ist genau das, was ich jetzt brauche.

 

Allerdings ist es mit meiner Einsamkeit bald vorbei. Ich höre schwere Schritte, die immer näher kommen. Ich will mich schon aufrappeln, aber dann bemerke ich, dass es Aiden ist.

Ich stocke. Ich halte den Atem an. Er ist meinetwegen hier.

 

Das stellt sich allerdings als Irrtum heraus. Aiden ist hier, um zu schiffen. Und er hat mich nicht bemerkt.

Er bleibt vor einem der Bäume stehen, keine drei Meter neben mir und öffnet seine Hose.

Ich riskiere einen Blick. Ich habe immer geglaubt, dass er einen riesigen Schwanz hat. Warum sonst hätte Sara so schreien sollen? Aber diese Größe ist schon wirklich sehr beachtlich – und noch nicht einmal erigiert. Mir wird ganz warm.

Aiden zieht die Nase hoch, dann stößt er hörbar auf. Gerade in dem Moment als er abschüttelt, entfährt meiner Kehle ein leises Hicksen.

Aiden fährt herum. Er blinzelt in die Finsternis.

»Ella«, keucht er. »Beobachtest du mich beim Pissen?«

Ich werde rot. Aber das sieht er nicht. Meiner Stimme ist meine Verlegenheit allerdings anzuhören. »Ich war schon vorher hier.«

Aiden hält inne, dann zuckt er leicht die Achseln. »Ok.« Ich höre, wie er den Reißverschluss zumacht. Dann dreht er sich um und geht.

Bevor ich wirklich begreife, was ich da tue, spreche ich ihn an. »Warte, Aiden.« Der sehnsüchtige Klang dieser Worte ist mir fast ein bisschen peinlich.

Er bleibt stehen und sieht über die Schulter auf mich hinab.

»Hast du was dabei?«, frage ich leise.

»Nein. Will könnte aber noch was haben.«

»Ich meine kein Gras«, lache ich.

Kurz wird es still zwischen uns. Dann nickt er. Nur einmal. »Hab ich«, sagt er knapp.

»Wie schnell kannst du sein?«, säusele ich.

»Tja, das Gegenteil liegt mir besser.«

»Ich will nicht, dass jemand kommt und nach mir sucht.«

»Und uns zusammen sieht«, führt er meinen Satz fort.

»Ja«, sage ich leise.

»Dann wirst du leise sein müssen.«

»Ich werde es versuchen.«

»Ich werde es dir schwer machen«, raunt er mir zu.

Bevor ich es geschafft habe aufzustehen, ist er auch schon bei mir. Er geht vor mir in die Hocke. Er schaut mir direkt in die Augen.

Mein Blick gleitet tiefer, zu seinen Schultern. Zu seinen Armen, zu seinen großen Händen. Ich komme mir plötzlich so klein und hilflos vor. Ich will mich fallen lassen. Ich weiß, er wird mich auffangen.

Als ich ausatme, bebt es in mir.

»Ich will dich so sehr«, wispere ich.

Aiden kommt näher. Ich spüre seinen Atem auf meinem Gesicht, dann auf meinen Lippen. Ich öffne meinen Mund einen Spalt weit.

Aiden lehnt sich noch weiter zu mir. Er stemmt sich mit den Händen gegen den Stamm. Seine starken Unterarme sind nun links und rechts von meinem Kopf.

Ich fühle mich gefangen, auf eine angenehme Weise. Jetzt kann ich ihm nicht mehr entkommen, selbst, wenn ich wollte.

Als er mich dann küsst, halte ich es kaum aus. Alles in mir verzehrt sich nach ihm. Ich will ihn überall spüren. Ich will ihn auf mir und in mir und nie wieder loslassen.

Es wird feucht zwischen meinen Beinen. Mein Schritt beginnt zu pulsieren. Ein Druck baut sich in meinem Unterleib auf.

Seine Lippen stoßen gegen meine. Ich fahre mit der Zungenspitze über seine Zähne, bis er den Mund weiter öffnet. Dann sauge ich an seiner Zunge, ich umspiele sie, ich necke sie. Doch Aiden ist anscheinend nicht nach Spielen zumute. Plötzlich küsst er mich so gierig, dass mein Hinterkopf gegen den Stamm gedrückt wird. Er beißt mir in die Unterlippe. So fest, dass ich überrascht japse.

»Stell dich nicht an«, wispert er gegen meine Lippen.

Dann umschlingt er mich mit seinen Armen. Er presst mich an sich. Seine Liebkosungen werden noch begieriger. Sein Griff ist so fest, dass mir die Luft wegbleibt.

Ich stöhne auf.

Mir wird klar, das hier wird kein leidenschaftliches Lustspiel. Das hier ist Druckablass.

Eigentlich bin ich es gewöhnt, dass Männer mich mit Samthandschuhen anfassen. Aber Aiden interessiert überhaupt nicht, wie ich finde, was er tut. Er benutzt mich. Und das macht mich so an.

Ich habe es so satt, erklären zu müssen, was ich mag und was nicht. Ich bin es so leid, zu reden anstatt zu spüren.

Ich schiebe meine Arme unter seinen Achseln hindurch. Meine Hände gleiten über seinen Rücken. Ich ertaste die Muskeln, die vor Anspannung zittern. Ich merke, wie er immer schneller atmet.

Aiden weicht hastig zurück. Er packt den Saum seines T-Shirts und zieht es sich über den Kopf.

Mein Herz hämmert, als ich seinen perfekt geformten Oberkörper vor mir sehe. Sein Bauch ist flach und jedes Mal, wenn er stoßend ausatmet, spannt sich sein sein Six Pack an.

Ich betrachte das Tattoo auf seiner festen Brust. ›Falling‹ steht dort. Und weiter unten, knapp unter dem Nabel der Schriftzug ›apart‹.

»Zieh dich aus«, knurrt er mich an.

»Ja«, hauche ich willenlos.

So schnell ich kann, schlüpfe ich aus meinem Shirt. Während ich den BH-Verschluss öffne, packt Aiden den Bund meines Rocks. Samt meinem Höschen reißt er ihn mir über die Hüfte. Dann öffnet er seine Hose und lässt sie über den Po rutschen. Er holt eine Kondompackung hervor.

Ich kann es kaum erwarten. Voller Begierde sehe ich zu, wie er das Kondom über seinen steifen Penis rollt.

Mein Blick gleitet wieder höher. In sein Gesicht. So sieht er also aus, wenn er erregt ist. Ich hätte nie gedacht, dass ich das je sehen würde.

Ich strecke meine Hände nach ihm aus und lasse sie über seine Brust gleiten. Seine Haut ist heiß. Sie dampft in der kühlen Nachtluft.

Aiden kommt näher. Er packt mich um die Hüfte und hebt mich mühelos in die Höhe. Er bleibt ganz dicht vor mir stehen. Sein Penis stößt gegen meine Scham. Dann nimmt er meine Hände in seine, sodass sich unsere Finger umschließen. Er hebt sie über meinen Kopf und legt sie gegen den Stamm. Es ist, als wäre ich gefesselt. Gespannt sehe ich zu ihm auf. Sein Blick ist so lüstern.

Er geht ein wenig in die Knie. Gerade so tief, dass sein Penis zwischen gegen meine Scham stößt. Die Eichel reibt über meinen Kitzler. Es fühlt sich an, als würden Stromstöße durch meinen Körper jagen. Die Innenseiten meiner Schenkel prickeln. Ein dumpfes Krampfen durchzuckt meine Scham, klettert meinen Bauch hinauf, bis hinauf zu meinen Brüsten. Meine Brustwarzen werden so hart, dass es sticht.

Ich beiße mir fest auf die Unterlippe. Aus meiner Kehle dringt ein angestrengtes Keuchen.

Ich kippe meine Hüfte nach vorne. Ich bewege mich langsam vor und zurück. Meine geschwollenen Schamlippen streicheln seinen harten Schwanz.

Aiden presst die Lippen aufeinander. Seine Miene bebt.

Völlig unerwartet lässt er mich los, packt mich um den Po. Dann rammt er seinen Penis so kraftvoll in mich, dass es mich ein paar Zentimeter in die Höhe hebt.

Vor Schreck stoße ich einen erstickten Schrei aus. Sofort presse ich mir die Hände vor den Mund.

Vor Lust verdrehe ich die Augen. Sein Penis hämmert in mir. Mein weiches Fleisch zuckt vor Erregung. Jede Faser meiner Haut kribbelt.

Er hält mich fest vor sich. Immer wieder stößt er fest zu. Jedes Mal von einem tiefen Knurren begleitet.

Meine Lust steigert sich immer weiter. Der Druck in meinem Innern ist kaum noch auszuhalten. Am Liebsten würde ich laut schreien.

Ich presse meinen Mund gegen seine Brust und vergrabe meine Zähne in seiner weichen, heißen Haut. Mit meinen Händen umfasse ich seinen strammen Po.

Aidens Atemzüge gehen immer schwerer.

Schließlich presst er mich mit seinem vollen Gewicht gegen den Baumstamm. Seine Stöße werden noch schneller und viel tiefer. Er bohrt sich so weit in mich hinein, dass es sich anfühlt, als würde ich durchstochen.

Der Rausch der Erregung lässt mich erzittern. Immer neue Wellen der Lust laufen durch meinen Körper. Ich beiße noch fester zu. Und ich merke wie ihm das gefällt. Zischend zieht er Luft durch die zusammengebissenen Zähne.

Plötzlich wird es ganz heiß in mir. Ich spüre, wie er abpumpt. Sein Penis zuckt und vibriert.

Kurz nach ihm komme auch ich. Der Druck gipfelt in einem unbeschreiblichen Höhepunkt. Ein angenehmes Ziehen durchfährt mich. Die Muskeln umschließen sein Glied noch fester, pulsieren, dann entspannt sich alles in mir.

Ich fühle mich schwach und unendlich glücklich.

Endlich löse ich meinen Biss. Ich hauche ihm seinen Kuss auf die Brust, dann schmiege ich meinen Kopf an ihn. Ich verschränke die Hände in seinem breiten Nacken. Einen Moment will ich ihn noch halten. Ich will ihn nicht gehen lassen. Ich will nicht, dass es vorbei ist.

 

Aidens Atem beruhigt sich. Aber sein Herz hämmert noch immer so fest, dass ich seinen Pulsschlag spüren kann.

Er lässt mich los, bleibt aber stehen.

»Das war wundervoll«, flüstere ich.

Eigentlich war es sogar perfekt. Ich bin noch nie so schnell gekommen und noch nie habe ich einen Orgasmus so erfüllend gefunden. Ich wünsche mir, wir hätten mehr Zeit. Ich hätte das gerne noch einmal erlebt.

»Ok«, sagt er plötzlich. Dann zieht er seinen Penis aus mir heraus.

Irritiert sehe ich ihm zu, wie er das Kondom entfernt und sich dann wieder anzieht.

Was genau meint er denn mit ›ok‹? Etwa den Sex? Hat es ihm denn nicht gefallen?

Nach allem, was man so hört, hat Aiden eine Liste an Eroberungen, die jeden Durchschnittsmann vor Neid erblassen lassen würde. Vermutlich hat er wirklich schon viele Frauen gehabt, die einfach besser waren als ich. Ich habe nicht so viel Erfahrung. Zwei Männer, um genau zu sein. Und die waren beide immer ganz begeistert von mir. Allerdings konnten die beiden meine sexuellen Qualitäten auch nicht so gut beurteilen wie ein Weiberheld wie Aiden.

Ich ringe mir ein Lächeln ab. Auch wenn es in mir ganz anders aussieht. Ich bin enttäuscht. Ein wenig gekränkt.

Für mich war der Sex mit ihm eine Offenbarung. Für ihn anscheinend nur mittelmäßig.

Als er sich fertig angezogen hat, schaut er mich knapp an. Er hebt die Hand. Wortlos wendet er sich ab und geht.

Ich sehe ihm nach, bis er hinter den Baumstämmen verschwunden ist.

No. 7 - Gentleman

 

»Wo warst du so lange?«, fragt Zoe, als ich wieder zurückkomme.

»Ich … äh, mir ist ein bisschen übel«, murmele ich. Das stimmt sogar. Allerdings ist nicht der Alkohol Schuld.

»Du verträgst ja wirklich gar nichts!«, lacht Topher. Dann klopft er auf den freien Platz an seiner Seite. »Entspann dich erstmal.«

»Nein, ich … ich denke, ich geh lieber nach Hause«, sage ich.

»Du willst laufen?!«, fragt Zoe überrascht. »Das dauert über eine Stunde!«

»Es ist warm. Die frische Luft und die Bewegung sind genau das, was ich brauche.«

»Ich lass dich doch nicht alleine gehen!« Zoe steht auf. Dann wankt sie ein wenig. »Puh, ich bin ganz gut dabei.«

»Ich komme zurecht. Wirklich«, sage ich.

»Es ist gefährlich, so ganz ohne Begleitung!«

»Ich kann doch mitgehen«, schlägt Topher vor und lacht. »Dann weißt du wenigstens, vor wem du dich fürchten musst.«

Eigentlich will ich wirklich lieber allein sein. Aber ich sehe ein, dass meine Freunde das nicht zulassen werden. Bevor Zoe in ihrem Zustand mitkommt, sollte ich vielleicht doch besser Tophers Angebot annehmen.

Topher bemerkt meinen nachdenklichen Blick. »Das bedeutet wohl Ja!«, freut er sich und macht sich sogleich startbereit.

Ich entschuldige mich bei allen, widerstehe der Versuchung, mich noch einmal nach Aiden umzusehen und verabschiede mich schließlich.

 

Topher redet die ganze Zeit. Zum Glück nur über die gute, alte Zeit. Über die Schule. Über die Lehrer, die wir gehasst haben. Über die Dummheiten, die wir in unserem jugendlichen Übermut begangen haben.

Ich aber, muss ich feststellen, bin noch immer übermütig. Doch … wirklich bereuen kann ich das Geschehene nicht. Dafür war es einfach zu gut. Zumindest für mich.

»Also«, sagt Topher neben mir, während wir eine verlassene Landstraße überqueren, »ich kann verstehen, dass du wieder zurück gekommen bist. Hier lebt es sich doch gut. Ich könnte auch in die Stadt ziehen. Ich arbeite ja sowieso dort. Ich könnte mir ein schickes Appartement in der City leisten. Aber das will ich nicht. Hier bin ich Zuhause. Hier sind meine Freunde.« Er lächelt mich von der Seite an. »Ehrlich. Ich habe mich riesig gefreut, als ich gehört habe, du kommst wieder zurück.«

Ich nicke. »Ja, ich … schätze, ich habe das Richtige getan.«

»Das Richtige?«, fragt er neugierig. »Ich will nicht aufdringlich sein, aber … warum gerade jetzt?«

»Zwischen meinem Freund und mir gab es einige Probleme. Deswegen ist er jetzt mein Ex-Freund. Meine Wohnung war weg, mein Job auch. Ich, tja, stand auf der Straße.«

»Oh«, macht er verständnisvoll. »Das tut mir leid.«

Ich zucke die Achseln. »Es ist ok. Ich … habe damit abgeschlossen.«

»So schnell?«

»Es war schon länger absehbar, dass es nicht mehr lange gut geht«, erwidere ich knapp. Ich will Topher nicht alles erzählen. Er würde mich nur für eine Idiotin halten. Weil ich genau das bin. Eine naive, leichtgläubige Idiotin.

»Dein Ex kann nicht sehr schlau gewesen sein, wenn er dich gehen gelassen hat«, sagt Topher.

Zu einem anderen Zeitpunkt hätte seine Zudringlichkeit mich genervt. Aber jetzt finde ich sie schmeichelhaft. Ein wenig Bestätigung kann ich gerade gut gebrauchen.

»Nein, er ist ziemlich intelligent«, seufze ich und blinzele in den Sternenhimmel hinauf. »Er ist gerade mal 33 und schon Juniorpartner der Firma, in der ich gearbeitet habe. Er ist ein Experte für Unternehmenskommunikation. Man muss ihm lassen, dass er wirklich sehr gut mit Worten umgehen kann.«

»Höre ich da Zynismus?«, fragt er amüsiert und stupst mich leicht an.

»Frustration eher«, erwidere ich schmunzelnd.

»Du bist zu jung und zu hübsch, um frustriert zu sein.«

»Danke«, sage ich knapp.

»Ich meine es ernst. Das Leben ist zu kurz, um sich darüber zu ärgern, was man verloren hat.«

Fragend sehe ich Topher an.

Als fühle er sich ertappt, beginnt er zu grinsen. Dann sieht er an mir vorbei. »Meine letzte Beziehung war auch nicht gerade … glücklich. Zwar war ich derjenige, der die Sache beendet hat, aber anfangs war ich ziemlich niedergeschlagen. Aber jetzt genieße ich meine Freiheit.« Topher streckt die Arme aus, wie um zu zeigen, wie weit seine neue Freiheit reicht. Als gehöre ihm die ganze Welt.

Ich nicke. Aber zwischen mir und meinem Ex ist es ganz anders verlaufen. Er hat bis zuletzt behauptet, dass er mich liebe. Vielleicht hat er das sogar getan. Das Problem ist nur, er hat mich leider nicht genug geliebt, um mir treu zu sein.

»Das wird schon wieder«, sagt Topher. Dann kommt er näher. Er legt den Arm um mich und streichelt mir über die Schulter. »Es gibt so viele nette Männer auf der Welt. Und ganz besonders viele davon wohnen in der Gegend.« Er zwinkert mir zu.

Ich lächle leicht. Nette Männer waren irgendwie noch nie meine Sache. Ich stehe ja mehr auf den Typ Mann, der nur an sich selbst denkt. Ich sollte wohl an meinem Selbstwertgefühl arbeiten, überlege ich.

Topher drückt mich noch fester an sich. Er tut, als wolle er mich aufmuntern. Aber ich weiß schon, worum es hier geht. Was er wohl sagen würde, hätte er gewusst, dass ich vor einer halben Stunde seinen Erzfeind gefickt hatte? Es würde ihn garantiert unglaublich wütend machen. Ich muss kichern.

»Was ist los?«, fragt Topher verwundert.

»Nichts, ich … bin einfach nur gut gelaunt.«

»Eben warst du noch frustriert …«

»Ja, aber, weißt du, du hast völlig recht. Das Leben ist zu kurz.« Ich beschließe, dass ich mich einfach über diesen fantastischen Sex freuen sollte. Ich hatte meinen Spaß. Aiden ist ein Arschloch – aber das habe ich schon vorher gewusst. Also, worüber sollte ich mich ärgern?

In diesem Moment rede ich mir ein, dass ich wirklich unheimlich gut drauf bin. Ich sage mir, dass es ja kaum noch besser werden könnte.

Ich werde richtig übermütig.

»Schön, dass du das so siehst«, sagt Topher. Er scheint ein bisschen enttäuscht zu sein, weil er mich nicht weiter trösten kann.

Ohne weiter darüber nachzudenken, lege ich meinen Arm um Tophers Seite.

Seine Miene verrät, dass ihm das gefällt.

Was mich angeht, ich bin mir da nicht so sicher. Ich lächle nervös. Aber ich lasse meine Hand, wo sie ist.

 

Arm in Arm laufen wir den Feldweg bis ans Ende. Dann biegen wir auf die Straße, die in den Ort hineinführt. Wir gehen am Straßenrand entlang. Als wir dann das Ortsschild passieren, bin ich beinahe wieder klar im Kopf. Noch ein wenig energielos, aber zumindest wieder zurechnungsfähig.

 

Topher ist ein Gentleman. Er bringt mich bis vor die Haustür. Auf der Veranda lösen wir unsere Umarmung auf.

»Tja, vielen Dank«, sage ich freundlich. Ich krame nach dem Schlüssel in meiner Tasche.

»Immer wieder gerne«, erwidert er. Und bleibt stehen. Sein Blick ist voller Erwartung.

Ich merke, wie sich eine Spannung zwischen uns aufbaut.

Er denkt doch nicht, dass ich ihn küssen werde?

Seiner Miene nach zu urteilen, tut er das.

Ganz unwillkürlich gleitet mein Blick zu seinen Lippen. Ich muss an Aiden denken. An seine wilden, unnachgiebigen Küsse.

Ich presse die Lider aufeinander, um diesen Gedanken loszuwerden.

»Stimmt etwas nicht?«, säuselt Topher mir zu und neigt den Kopf, um mir direkt ins Gesicht sehen zu können.

»Alles wunderbar«, antworte ich knapp.

»Aber …?«

»Nichts ›aber‹«, sage ich schnell.

Topher runzelt die Brauen.

Ich will dieser Situation entkommen. Aber ich will auch nicht unfreundlich sein. Ich denke, ich sollte irgendetwas sagen, um das Thema zu wechseln. Irgendetwas, das nichts mit uns zu tun hat.

Hilfesuchend sehe ich an ihm vorbei. Die Straße hinunter. Auf das baufällige Haus gegenüber.

»Wo ist eigentlich Holly?«, platzt es aus mir heraus.

»Hm?«, macht Topher überrascht. Dann dreht er sich nach dem Haus der Harts um. »Ich, äh, weiß nicht genau. Phil hat erzählt, sie hätte eine Weile in einer Oben-Ohne-Bar gejobbt. Keine Ahnung, was sie jetzt macht.«

»O«, sage ich betroffen, »Oben-Ohne-Bar.«

Topher macht ein mitfühlendes Gesicht. »Ja. Es ist traurig. Holly war eigentlich ziemlich ok. Zumindest wenn man sich den Rest ihrer Familie ansieht. Sie hatte es schwer.«

Alle Hart-Kinder hatten es schwer. Aber das interessiert Topher nicht. »Wieso hast du Aiden einen ›großen Soldat‹ genannt?«, frage ich weiter. Mir sind seine Worte einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Ein amüsiertes Grienen taucht auf Tophers Gesicht auf. »Ach, das weißt du nicht?«, gackert er.

»Nein. Was?«

»Aiden war in der Army. Ganze elf Tage. Sie haben ihn rausgeschmissen. Und ich wette, das lag nicht daran, dass sein Vorgesetzter eine hübsche Tochter hatte.«

»Sondern?«

Topher zuckt die Achseln. Dann sagt er abfällig: »Ich vermute, er hat einfach genau die Dinge getan, die er auch sonst immer tut. Gesoffen, gekifft, rumgehurt, sich mit jedem angelegt. Eben das ganze Aiden Hart-Programm.«

Ein sehnsüchtiges Lächeln huscht über meine Lippen. Irgendwie habe ich eine Schwäche für das Aiden Hart-Programm.

»Ich gehe jetzt rein«, hauche ich. »Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.«

Ich lasse den verdatterten Topher allein auf der Veranda zurück. Ich schleiche die Treppe nach oben, um niemanden zu wecken. Dann gehe ich in mein Zimmer und lasse mich auf das Bett fallen.

Nein, ich bereue wirklich nicht, was heute Nacht passiert ist.

Ich presse meine Schenkel fest zusammen. Dann lasse ich meine Hände über meinen Bauch gleiten, bis ich an den Bund meines Rocks stoße. Ich zögere. Langsam arbeite ich mich weiter vor. Bis meine Fingerkuppen meine Schamlippen erreichen. Sanft streiche ich über die empfindliche Haut.

Ich schließe die Augen. Ich stelle mir vor, er wäre jetzt hier.

No. 8 - Ok

 

»Seit du mit dem Dodge gefahren bist, macht das Auto ganz komische Geräusche«, sagt meine Mutter am nächsten Morgen.

Verschlafen sitze ich am Küchentisch. Ich habe einen Kater. Deswegen kann ich das Gemecker meiner Mutter noch schlechter ertragen als sonst.

Ich sehe träge zu meinem Dad hinüber. Dieser ist völlig darin vertieft, sein Müsli auszulöffeln.

»Ich bin damit nur zum Supermarkt gefahren«, sage ich seufzend. Diese abrupte Bremsaktion vor dem Parkplatz behalte ich für mich. Aber das ist auch absolut unerheblich. Autos haben schließlich eine Bremse, damit man sie benutzt.

Meine Mom mustert mich kritisch. »Ich sage ja nur, dass es sich komisch anhört.«

»Nein, eigentlich hast du gesagt, das wäre meine Schuld«, widerspreche ich.

»Habe ich nicht«, sagt sie. Ihrem Tonfall ist allerdings anzuhören, dass sie das doch für sehr wahrscheinlich hält.

»Der Doge ist wie alt? 15 Jahre? Da ist es doch normal, dass es ein bisschen klappert«, meine ich kopfschüttelnd.

Mein Vater sieht von seinem Frühstück auf. »Was klappert?«

»Nichts klappert«, sage ich und rolle die Augen.

»Der Dodge klappert«, sagt meine Mutter und nickt mir dann zu. »Das hast du doch gerade gesagt, Ella.«

»Ich habe nur gemeint, dass ein so altes Auto eben nicht wie ein frisch geölter Sportwagen klingt.«

»Ich habe dieses Auto immer bestens gepflegt«, sagt mein Vater. »Was genau klappert denn?«

Meine Mutter holt schon tief Luft, um ihre Theorien über meine mangelnden Fahrkünste weiter auszuführen. Aber ich komme ihr zuvor.

»Ich bringe den Wagen in die Werkstatt. Gleich heute Morgen.« Meine Eltern scheinen etwas verwundert. Immerhin komme ich aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus.

Es mag eine dumme Idee sein. Aber die Aussicht darauf, Aiden wiederzubegegnen, stimmt mich unglaublich fröhlich. Was ich mir davon erwarte? Ich weiß, ich sollte mir keine Hoffnungen machen. Aiden wird nicht nett sein. Er wird nicht gesprächig sein. Er wird meine romantischen, kindischen Gefühle niemals erwidern. Aber das ist ok.

 

Ich verputze mein Frühstück in Nullkommanichts. Dann gehe ich nach oben und ziehe mich um. Ich entscheide mich gegen Rock und für eine Jeans, die mir gerade so über die Pobacken reicht. Dazu trage ich eine Bluse. Die obersten Knöpfe öffne ich erst auf, nachdem ich mich von meinen Eltern verabschiedet habe und im Wagen sitze.

Während ich dann so durch die Straßen fahre, frage ich mich ernsthaft, wieso ich das eigentlich mache. Mir fällt keine Antwort ein. Aber ich habe auch nicht den Eindruck, dass mein Verstand noch irgendetwas zu melden hat. Mein Herz dafür schon. Aber am allermeisten mein Körper.

Verdammte Hormone!

Als ich von der Tankstelle auf den Hof der Werkstatt biege, sehe ich mich gespannt um. Doch ich entdecke nur einen bierbäuchigen Glatzkopf im Blaumantel, der an einem verrosteten Mustang herumschraubt. Ich parke den Wagen in der Nähe des offen stehenden Tors, das in Reparaturwerkstatt führt.

Einen Moment bleibe ich sitzen. Ich spiele sogar mit dem Gedanken hier zu warten, bis Aiden kommt. Allerdings könnte das noch lange dauern. Er ist bestimmt nicht früh ins Bett gekommen. Falls überhaupt. Und vielleicht auch nicht allein.

Seufzend stoße ich die Tür auf und klettere ins Freie. Gerade will ich den Glatzkopf ansprechen, als eine Gestalt im Tor auftaucht. Schon an den kraftvollen Bewegungen und der robusten Statur erkenne ich sofort, dass es Aiden ist.

Als ich ihn dann ansehe, zerfließe ich fast.

Er trägt eine tiefsitzende Jeans und ein weißes Unterhemd. Seine großen Hände wischt er an einem schmutzigen Lappen ab. Seine Kleidung ist mit dunklen Flecken übersät. Seine Haut von einem feinen Ölfilm überzogen. Er glänzt, als wäre er Teilnehmer eines Bodybuilding-Wettbewerbs – den er auf jeden Fall gewonnen hätte.

Aiden bemerkt mich. Aber der Dodge hinter mir interessiert ihn anscheinend mehr als ich. Er ist ja auch bei der Arbeit, sage ich zu mir.

Nachdem er nähergekommen ist, zeige ich auf den Wagen.

»Meine Mom sagt, der Wagen macht komische Geräusche«, erkläre ich verschmitzt.

Aiden zieht die Brauen zusammen. »Und tut ers?«

»Ich dachte, ich lasse das besser einen richtigen Fachmann beurteilen.« Meine Schmeichelei perlt an ihm ab. Es scheint, er hört mir ohnehin kaum zu. »Frauen und Technik«, setze ich kichernd hinzu. Eigentlich hasse ich dieses ganze Gerede über ›Männer‹ und ›Frauen‹. Aber Aiden ist ganz ohne Frage ein richtiger Kerl – und deswegen war ich davon ausgegangen, auf diesen Kommentar würde er anspringen. Allerdings tut er das nicht im Geringsten.

Stattdessen deutet er an mir vorbei. »Stell ihn hinten auf den Hof. Ich sehe ihn mir an, wenn ich Zeit habe.«

»Gut.« Ich beginne unruhig zu tippeln. Ich will nicht einfach gehen. Das hier war viel zu kurz. »Wie viel wird das wohl kosten?«, frage ich, um das Gespräch am Laufen zu halten.

»Gucken kostet nichts, Anfassen schon. Aber noch kann ich dir nicht sagen, ob ich Hand anlegen muss«, erwidert er.

Diese anzüglichen Worte bringt er absolut trocken rüber. Ich weiß nicht, ob ich mich angemacht fühlen soll. Oder ob das ein Scherz war. Oder ob das einfach seine Art ist.

Da er noch immer ein ernstes Gesicht macht, verkneife ich mir ein Lachen. »Ich verstehe.«

»Ok.« Er nickt in die Richtung, wo ich den Wagen abstellen soll.

Geknickt winke ich ihm zu. Dann fahre ich die Klapperkiste zu einem der Stellplätze.

Doch als ich dann aussteige, steht Aiden noch immer vor dem Tor. Und sieht zu mir hinüber. Ich winke noch einmal. Aber er regt sich keinen Millimeter.

Ich schlage den Weg zur Tankstelle ein. Und Aiden lässt mich nicht aus den Augen.

Mein Herz schlägt schneller. Warum tut er das?

Warum wohl?

Warum sieht ein Mann einer Frau nach …?

Jetzt bin ich wirklich froh, dass ich mich für die Hotpants entschieden habe.

›Bloß nicht stolpern‹, sage ich zu mir. Dann beginne ich meine Hüften ein wenig ausladender zu schwingen. Grazil, aber doch deutlich.

Das zeigt Wirkung. Aiden hebt die Hand und schirmt seine Augen gegen die Sonnenstrahlen ab – um mich besser erkennen zu können.

Meine Wangen beginnen zu glühen. Meine Knie werden weich.

»Ich brauche die Schlüssel, Ella!«, ruft Aiden mir quer über den Hof zu.

Ich stocke.

Ich erstarre.

Ich werde knallrot.

»Klar!«, rufe ich krächzend zurück. Albern lachend gehe zu ihm.

Dann lege ich die Schlüssel in seine Hand. In diese Hand, die gestern Nacht meinen nackten, zitternden Arsch berührt hat.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er unser Zusammentreffen gar nicht eigenartig findet.

Doch seine Miene ist völlig unbewegt. Wahrscheinlich hat er sich einfach daran gewöhnt, ständig irgendwelchen Frauen zu begegnen, die er irgendwann mal irgendwo gebumst hat.

Ich sehe ihn prüfend an. Mir fallen die dunklen Augenringe auf. Das Weiß der Augen ist von roten Äderchen durchzogen. Er ist ein bisschen blass.

Vermutlich hat er überhaupt nicht geschlafen. Wahrscheinlich hat er nicht nur zu viel getrunken, sondern auch zu viel gekifft und vielleicht auch noch etwas anderes ausprobiert.

Mir kommt der Einfall, dass er ja womöglich gar nicht mehr weiß, was gestern Nacht passiert ist.

»Ich … ähm«, stammele ich, »brauche außerdem noch neue Wischblätter.«

»Die kann ich wechseln«, erwidert er.

»Ich würde mir gerne die Auswahl ansehen.«

»Es gibt keine Auswahl, nur unterschiedliche Größen«, erklärt er.

»Gut, dann eben die Größen.«

»Ich weiß, welche passt. Du auch?«

Nachdenklich ziehe ich den Mund schief. »Ich … ähm, will mir die Qualität ansehen.«

»Eben hast du mich noch als Fachmann bezeichnet.« Er verschränkt die Arme.

Er hat mir also doch zugehört. Ich lächele angetan.

»Komm mit«, brummt er.

Nachdem ich hinter ihm in die Halle getreten bin, deutet er auf ein Regal. Ich brauche einen Moment, bis ich die Wischblätter gefunden habe. Ich tue, als würde ich sie auf ihre Festigkeit prüfen. Keine Ahnung, ob sie fest sein sollten.

»Sieht gut aus«, sage ich dann.

Aiden nickt.

Ich spähe zum Tor, dann quer durch die Halle. Wir sind ganz allein.

Ich nehme all meinen Mut zusammen, als ich frage: »Was genau meintest du mit diesem ›Ok‹?«

Irritiert zieht Aiden die Brauen zusammen. Sagt aber keinen Ton.

»Gestern, als wir … fertig waren, da hast du ›Ok‹ gesagt«, erkläre ich, »warum?«

»Was hätte ich sonst sagen sollen?«, erwidert er.

»Ich weiß nicht«, murmele ich verlegen. »Ich habe gesagt, es war ›wundervoll‹.«

»Tja, das war dann ja schon belegt«, sagt er tonlos.

Nun frage ich mich wirklich, ob er es darauf anlegt, mich zurückzuweisen. »Was meintest du damit? Hast du nur gemeint, dass du fertig bist? Oder hast du das nur so gesagt? Oder ging es um den Sex?«

Aiden sieht nun richtiggehend zornig aus. »Was willst du von mir?«, zischt er.

›Alles!‹, denke ich.

»Nichts!«, sage ich.

»Ok«, sagt er wieder. Ich kann es nicht mehr hören.

Ich nicke leicht. Ich habe mich zum Deppen gemacht. Damit muss ich jetzt leben.

»Tja, danke«, murmele ich und wende mich zum Gehen. Doch ich bin noch keinen Schritt weit gekommen, als Aiden leise grummt.

Ich halte inne und drehe mich nach ihm um.

Er steht da und starrt in die Leere. Völlig gedankenverloren. Erst nach einigen Sekunden fragt er unvermittelt: »Wie geht’s Zoe?«

»Ähm …«, mache ich. Wieso um alles in der Welt fragt er mich nach Zoe? Er und Zoe? Was haben die beiden miteinander zu tun? Ich spüre, wie soetwas wie Eifersucht an mich herankriecht. »Gut. Es geht ihr … gut«, sage ich zögernd.

Während er über meine Worte nachdenkt, zieht er einen Schmollmund. »Will feiert seinen Geburtstag am Wochenende. Im ›Passion‹.«

»Kenne ich«, sage ich. Den Namen dieses Clubs habe ich schon häufiger gehört, habe ihn aber noch nie selbst besucht. Da Aiden nichts mehr sagt, meine ich: »Ich glaube aber kaum, dass Zoe vorbeikommen möchte.«

»Das glaube ich auch nicht«, sagt er knapp.

Irritiert schüttele ich den Kopf. »Also … soll ich sie nicht fragen?«

»Tu was du willst.« Aiden schaut mich an. Trotzig. Dann holt er schwer Luft und vergräbt die Hände in den Hosentaschen. »Ich werde hinfahren. Samstag. So gegen 1 Uhr.«

Ich begreife allmählich, dass es hier gar nicht um Zoe und Will geht. Sondern um ihn und mich. Mir wird ganz warm in der Brust. Ob er wohl ahnt, was er mit mir macht? Ob er wohl auch nur die blasseste Ahnung hat, dass gerade ein Sturm in meinem Innern losbricht?

Aber wieso fragt er mich dann nicht einfach?

Zugegeben, so einfach ist es nicht. Jedenfalls nicht, solange wir uns in dieser Stadt befinden. Solange ich hier ein halbwegs ruhiges Leben führen will.

»Ich weiß gar nicht, wo du wohnst«, sage ich leise.

»Ich warte am Ortsausgang Richtung Highway.«

»Gut, dann … werde ich dorthin kommen. Um 1.«

»Ok.« Im Gegensatz zu mir scheint er kein bisschen aufgeregt.

Ich bin so nervös. Ich zittere sogar. Eilig verschränke ich meine Hände. »Ich … freue mich schon«, sage ich.

»Das sehe ich«, erwidert er und nickt dann in den Hof hinaus. »Ich muss arbeiten.«

»Klar.« Ich nicke auch. »Dann bis Samstag, Aiden.«

Ich höre, wie er leise »Mh« macht. Es klingt verdammt sexy. Ungefähr so wie das kehlige Knurren, das ich in der vergangenen Nacht von ihm zu hören bekommen habe. Mir wird ganz flau im Magen.

Aiden kehrt sich ab.

Ich winke ihm, auch wenn er das nicht sieht.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.07.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /