Herr Erwin
und die tödliche Nußrolle
Es passierte an einem Donnerstag, morgens um 9 Uhr 20.
Die Frühlingssonne hatte schnell den leichten Nachtfrost vertrieben und im Stadtpark von Graz tummelten sich schon viele Spaziergänger. Erwin Wolf, immer darauf bedacht mit seinem korrekten Titel "Herr Hofrat" angesprochen zu werden, auch wenn er schon pensioniert war, öffnete den obersten Knopf seines schweren Lodenmantels. Er wurde immer so schnell kurzatmig und müde. Die Parkbänke waren schon alle durch schwatzende Hausfrauen besetzt, die ihre kleinen Kinder zum Auslüften ins Freie brachten. Auf einer Bank allerdings saß nur ein alter Mann.
"Ist da noch ein Platzerl frei?" - fragte Erwin und lüftete vornehm seinen Steirerhut.
Der alte Mann sah kurz auf, dann sagte er in vorwurfsvollem Ton: "Viel zu trocken! Ich hab es ja gewußt!" Dabei kaute er auf etwas herum.
"Ja, aber es soll ja bald wieder regnen. Morgen oder so ..."
"Dabei hab ich ihr immer gesagt ...", begann der Alte.
"... kann es starken Regen geben", vollendete Herr Erwin und warf einen zweifelnden Blick zum wolkenlosen Himmel.
"... da gehört mehr Honig und Rum rein!"
"Rum? Ja, in unserem Alter, da braucht man schon was zum Wärmen, nicht wahr?" Herr Erwin war froh, jemanden zum Reden gefunden zu haben. Seit seine Frau gestorben war, fühlte er sich ein wenig einsam.
"Rum und Honig! Dazu Nüsse und warme Milch", bestätigte der Alte mit strengem Blick.
Das Hörgerät von Herrn Erwin gab wieder diese Pfeiftöne von sich, es machte ihn schier verrückt. "Ja", sagte er, "da wird einem gut warm dabei."
"Und außerdem", fuhr der Alte fort, "ist der Teig viel zu fest." Er hielt Herrn Erwin einen Papierteller unter die Nase, auf dem ein krümeliges Stück Kuchen lag. "Nußrolle! Mal probieren?"
"Nein, danke", wehrte Herr Erwin mißtrauisch ab, "ich hab schon ..."
"Ich hab es ihr schon tausendmal gesagt", ereiferte sich der Alte, "da nimmt man Mehl, Germ, Salz und Milch und läßt das ein wenig ruhen."
" ... Frühstück gehabt", sagte Erwin und nahm genervt sein Hörgerät aus dem rechten Ohr. Er klopfte daran herum und steckte es wieder rein.
"Dann", fuhr der Alte fort, "gibt man Eier und Butter dazu und knetet alles gut durch. Sie hat aber nie Eier genommen. Zuviel Cholesterin, hat sie gesagt!"
"Ganz recht", sagte Herr Erwin, einfach um irgend etwas zu sagen.
"Die Füllung! Die muß schön saftig sein, das geht nicht ohne viel Rum und Honig!" Mit einem widerwilligen Ausdruck im Gesicht zerkrümelte der Alte das krümelige Etwas, das er auf dem Teller hatte.
Herr Erwin zog einen Flachmann aus der Tasche seines Lodenmantels. "Rum", sagte er mit einem fröhlichen Zwinkern, "wird einem gut warm dabei." Er nahm einen tiefen Schluck und hielt dem Alten seinen Flachmann hin. "Übrigens", fügte er mit einer angedeuteten Verneigung hinzu, "Erwin Wolf, Hofrat Erwin Wolf a.D."
"Ahdäh?" - fragte der Alte und nahm einen tiefen Schluck von Herrn Erwins Rum.
"a.D.", sagte Herr Erwin, "außer Dienst. Seit zwei Jahren schon." Sein Hörgerät pfiff wieder. "Unglaublich", seufzte er.
Der Alte nahm einen weiteren tiefen Schluck. "Ja, nicht wahr? Unglaublich! Es ist wirklich unglaublich. Frauen können heute alle nicht mehr kochen. Nur mehr Flausen im Kopf haben's, die Weiber!" Dabei hob er beide Arme anklagend in die Luft und wedelte mit beiden Händen, als ob er Hilfe vom Himmel selbst anfordern würde.
"Ich werde mich nach etwas Neuem umsehen müssen", meinte Herr Erwin resignierend.
"Muß ich auch", brummelte der Alte und dachte kurz an seine Frau, die Zuhause tot in der Besenkammer lag. Sie war an einem Hustenanfall erstickt. Erstickt an ihrer eigenen Nussrolle. "Muß nur noch überlegen, wie ich zuerst die Alte entsorge ..."
Tag der Veröffentlichung: 26.02.2016
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Meinen schrägen, grantigen, aber meist doch so liebenswerten Grazern gewidmet. So sind sie eben, und so sollen sie auch bleiben.