Link zur Musik:
https://www.youtube.com/watch?v=JW6WOBk0cfE
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„Ich muss nochmal kurz weg“
Wie betäubt nicke ich, sehe dir zu, wie du unsere Wohnung verlässt und höre wie mein Herz einen weiteren Riss erträgt.
Schon wieder, lässt du mich allein. Und warum? Wegen wem?
Ich muss es wissen. Ich brauche Gewissheit. Sonst werde ich verrückt.
Zitternd erhebe ich mich und setze mich ins Auto. Ich kann gerade noch sehen, wie dein Wagen nach links abbiegt.
Links bedeutet Stadt. Wer ist es? Ist es dieser Simon, von der Arbeit? Oder Markus?
Allein der Gedanke schnürt mir die Luft ab. Meine Finger krampfen sich ums Lenkrad, sodass die Knöchel weisslich hervorragen.
Die Ampel schaltet auf Rot. Doch es ist mir egal. Ich drücke das Gaspedal durch und folge dir weiter. Zwischen uns ist nur ein Auto und doch bemerkst du mich nicht.
Warum nicht? Sind deine Gedanken denn schon bei dem Anderen? Freust du dich schon so sehr auf ihn, dass du meinen roten Mustang übersehen kannst?
Du hast ihn mir geschenkt. Unsere Initialen sind in die Stossstange eingraviert. Es kann nicht sein, dass du nicht weisst, wer es ist. Es kann nur sein, dass du mit deinen Gedanken bereits weit weg bist und mich nicht siehst.
Oder interessiert es dich einfach nicht? Bin ich dir egal?
Verzweifelt beisse ich mir auf die Lippe bis ich den metallischen Geschmack meines Blutes wahrnehme. Es vermischt sich mit der bitteren Verzweiflung, die mich langsam ersticken lässt. Ich kann nicht mehr, es zerreisst mich innerlich.
Als du rechts ranfährst, schnellen Schrittes die Stufen eines Hauses hoch joggst und dann darin verschwindest, schreie ich unterdrückt auf.
Es kann nicht im Geringsten den Schmerz meines zerrissenen Herzens übertünchen, aber ich kann all die Qualen, die Trauer und die Wut nicht länger in mir verschliessen.
Mit aller Gewalt sprängt sie ihre Fesseln, die ich ihr angelegt habe, um sie so im hintersten Verliess meines Bewusstseins wegsperren zu können.
Ich liebe dich so sehr! Wieso tust du mir das an? Warum verrätst du uns?
Ungehindert fliessen mir heisse Tränen übers Gesicht. Ich will weiter schreien, dir nachrennen, dir wehtun wie du es bei mir machst und gleichzeitig will ich mich im Fussraum meines Autos zusammen rollen und einfach nur weinen.
Hemmungslos. Um uns.
Du bist mein Leben. Die letzten neun Jahre haben sich nur um dich und mich gedreht. Seit der Schule sind wir zusammen und jetzt wirfst du alles weg.
Es gab nie jemand anderen in meinem Leben.
Nur dich.
Und genau deshalb wünschte ich mir, ich wäre dir nicht nachgefahren. Ich hätte weiter so tun können, als würde ich die Kluft zwischen uns nicht bemerken.
Ich will nicht, dass wir vorbei sind. Ich liebe dich.
Du bist der netteste, liebevollste Mensch den ich kenne, aber da gibt es einen Teil von dir, den ich verabscheue. Das Stück von dir, das dich in fremde Arme treibt.
Und ich weiss nicht warum...
Innerlich verblutend, langsam strebend, wende ich den Wagen und fahre wieder zu uns nach Hause.
Ich will weg von dir und im selben Moment will ich mich in deine Arme werfen, um von dir vor all dem Schmerz beschützt zu werden.
Das hast du immer getan.
Und ausgerechnet du, mein Beschützer bringst mich um. Eine Klinge aus Eis treibst du in mein Herz. Die Kälte breitet sich in mir aus und verlangsamt meinen Pulsschlag.
Was haben diese Männer, was ich dir nicht geben kann?
Seit ich das erste Mal den Verdacht hatte, was du tust, stelle ich mir diese Frage.
Ich habe geglaubt, ich sei schuld. Ich würde dich dazu bringen, dich dazu zwingen mich zu betrügen.
Vielleicht zeige dich dir meine Liebe zu wenig? Gebe ich dir nicht, was du brauchst? Bin ich nicht genug? Ist es meine Schuld?
Jetzt endlich weiss ich, dass das alles nicht stimmt.
Ich liebe dich mehr als mein Leben, aber du bist das Problem.
Und dieses Wissen ist auf eine tödliche Weise beruhigend. All die Schuldgefühle, meine Begleiter der letzten Monate, fallen von mir ab.
***
In unserer Wohnung angekommen sammle ich all die unzähligen Fotos ein, die uns glücklich zeigen.
Wie betäubt setze ich mich an den Esstisch, nehme die Bilder aus ihren Rahmen und sehe sie durch.
Wir waren so verdammt glücklich! Neun Jahre lang!
Aber plötzlich erkenne ich, wie du dich von Bild zu Bild veränderst.
Die Brille ist weg, genau wie die Zahnspange. Aus der wilden dunkelbraunen Mähne ist eine gezähmte Frisur geworden. Dein Äusseres hat sich gewandelt, aber innerlich bist du derselbe geblieben.
Nur dieser eine Teil von dir nicht. Oder hattest du ihn schon immer? Bin ich nur zu blind gewesen, um ihn zu erkennen?
Unwissend, nehme ich eines unserer neueren Fotos und zerreisse es, verbildliche so die Schlucht zwischen uns, bevor ich ein Feuerzeug hervor ziehe.
Erst verbrenne ich mich, für mein Versagen, dich nicht bei mir halten zu können und dann dich, in der Erinnerung, dass ich nicht die Schuld trage.
So mache ich das mit allen Bildern, bis ich zu unserem ersten Schnappschuss als Paar angelangt bin.
Ich kann es weder zerreissen noch in Flammen aufgehen lassen.
Ich liebe uns.
Auf dem Foto küsst du mich auf die Schläfen, während ich, trunken vor Liebe und Glück in die Kamera grinse.
Du hast nur Augen für mich.
Selbst jetzt durchströmt mich deine liebevolle Wärme bei unserem Anblick.
So hätte es für immer sein sollen... Stattdessen haben wir uns zerbrochen. Genau das muss jetzt ein Ende haben.
Symbolisch für unser Aus, schreibe ich in schwarzen dicken Buchstaben das Wort “zerbrochen“ auf unser Bild, ehe ich mich erhebe, um meine Sachen zu packen.
***
Ich stelle gerade meine Koffer in den Flur, als du nach Hause kommst.
Dein Blick wandert zu den Koffern, dann zu mir.
Entsetzen breitet sich in deinem Gesicht aus. Ich brauche dir nicht zu sagen, dass ich dir gefolgt bin, dass ich weiss was du tust. Du merkst es auch so.
„Oh Gott, Lias“, wisperst du und kommst zu mir. Der Schmerz in deiner Stimme, trifft mich nicht länger. Mein Limit ist erreicht, es ist regelrecht in Schutt und Asche gelegt worden...
All meine Qualen pochen dumpf in meinem Körper. Sie sind durch die Scherben meines Herzens nach aussen gedrungen und fliessen nun ungehindert durch mich. Ich fühle mich matt und entkräftet. Ich nehme alles verzerrt wahr, wie durch eine unsichtbare Wand hindurch.
Meine Sinne sind erblindet. Das ist der letzte Schutzmechanismus, den ich noch habe. Ohne ihn würde ich jetzt nicht die Kraft haben vor dir zu stehen, ohne zusammen zu brechen.
„Es tut mir so unglaublich leid! Ich weiss nicht... warum?! es... ich-“
„Wie viele?“, unterbreche ich dich mit emotionsloser Stimme. Ich muss es wissen. Warum, ist mir unklar, ist mir doch bewusst, dass die Antwort mich nur weiter zerstören wird.
„Lias... ich...“
„Wie viele! Sag es mir Sam!“
Mein kalter abweisender Tonfall lässt dich zusammen zucken, ehe du beschämt zur Seite siehst.
Oh Gott… So viele?
„Ich... weiss es...nicht“
Deine Antwort ist kaum mehr als ein raues Glucksen, aber ich habe das Gefühl sie würde mich Ohrfeigen. Dieser Satz schmerzt mehr, als jede Zahl es hätte tun können.
Vier, fünf, zehn oder zwanzig, alles wäre gnädiger gewesen als “ich weiss es nicht“.
Es waren so viele, dass du es nicht einmal mehr benennen kannst.
Aus purer Verbitterung und einem guten Schuss Masochismus, fange ich an zu lachen.
Es hat nichts mit Fröhlichkeit zu tun, sondern mit Qual. Wie die schmerzvollen Klagelaute eines sterbenden Tiers.
„Ich reiche dir wohl wirklich nicht“, schmunzle ich wütend.
„Was?! Nein!“
Fassungslos schüttelst du den Kopf und nimmt mein Gesicht in deine Hände. Deine Augen brennen sich in meine. So intensiv und voller Leid.
„Du bist perfekt. So verdammt perfekt“
Wahnsinn glitzert in deinem Blick, während du über mein Gesicht streichst und meine Haare durchwühlst.
„Ich liebe dich so sehr Lias, glaubst du mir etwa nicht?“
Doch das tue ich.
Ich weiss, dass du mich auf deine eigene, paradoxe Weise liebst.
Aber Sam? Das ist nicht normal. Dieses verrückte Verhalten, dein Betrug und deine Beteuerung von Liebe. Nichts davon…
„Ich liebe dich. Nur dich“
„Ich weiss“, müde nehme ich deine Hände von meinem Gesicht und schüttle dann den Kopf.
„Du bist krank Sam. Man betrügt den Menschen, den man liebt, nicht. Das ist Wahnsinn“
Das Unverständnis in deinem Gesicht, zeigt mir, wie schlimm es wirklich um dich steht.
„Ich kann mich ändern... Mit deiner Hilfe.. ich..“
„Nein Sam. Das kann ich nicht. Du brauchst Hilfe, die ich dir nicht geben kann. Deshalb gehe ich -“
„Nein! Nein! Nein! Nein! Verlass mich nicht! Nein! Nein...Nein...Nein...“, schreist du zuerst laut, ehe deine Stimme immer leiser wird und sie schlussendlich völlig verlöscht.
Deine Arme reissen mich an dich. Du zitterst am ganzen Leib. Deine Beine geben unter dir nach und du lässt dich zu Boden gleiten, deine Arme um meinen Körper geschlungen.
Dich so zu sehen bringt mich noch näher an die Klippe, in deren Abgrund ich den Tod wähne.
Ich liebe dich und deshalb muss ich gehen. Ich zerbreche an deinen Taten und du wirst zerrissen zwischen dem Drang und dessen Folgen... Wir zerstören uns gegenseitig und das solange, bis einer von uns beiden für immer am Boden bliebe.
Ich kann dir nicht helfen. Meine Kraft reicht nicht mehr. Nicht einmal für mich selbst.
Voller Verzweiflung knie ich mich vor dich, streiche dir durch deine seidigen Haare und presse meine Lippen fest auf deine Stirn.
Tränen, so schmerzhaft und zäh wie Blut entkommen meinen geschlossenen Augen.
Ich liebe dich.
„Leb wohl, Sam“
Mit tauben Gliedern erhebe ich mich, nehme meine Taschen und verlasse unsere... nein deine Wohnung.
Das Zuknallen der Tür ist wie ein Todesschuss.
Es stimmt, was ich auf unser Foto geschrieben habe. Wir sind zerbrochen...
Für immer...
Ich liebe dich...
The end…
Texte: Sämtliche Rechte an den Texten, liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2015
Alle Rechte vorbehalten